Vorlesung Versicherungsrecht

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Vorlesung Versicherungsrecht
Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
SS 2009
Vorlesung
Versicherungsrecht
Sommersemester 2009
Dr. Konstantin Kirsten
Dr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
SS 2009
A. Einführung in das Privatversicherungsrecht
I. Charakterisierung
Das Privatversicherungsrecht (Individualversicherungsrecht) umfasst das Versicherungsaufsichtsrecht, das Versicherungsunternehmensrecht und das Versicherungsvertragsrecht.
Das Versicherungsaufsichtsrecht ist öffentliches Recht. Es regelt das Rechtsverhältnis
des Staates zu den einzelnen, seiner Aufsicht unterstehenden Versicherungsunternehmen
und beruht mithin auf einem Über-/
Unterordnungsverhältnis. Es hat die behördliche Kontrolle über die das Versicherungsgeschäft betreibenden Unternehmen zum Gegenstand. Die grundlegenden Regelungen finden
sich im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG).
Das Versicherungsunternehmensrecht enthält vor allem Regelungen zur Gründung und
Organisation von Versicherungsunternehmen. Es gelten vorrangig spezielle Regelungen für
Versicherungsunternehmen, insbesondere im Versicherungsaufsichtsgesetz, und subsidiär
das Allgemeine Gesellschafts- und Vereinsrecht.
Das Versicherungsaufsichtsrecht und das Versicherungsunternehmensrecht gehören zum
Privatversicherungsrecht, da sie sich, auch soweit es sich um öffentliches Recht handelt, auf
Versicherungsunternehmen beziehen, die privatrechtliche Versicherungsverträge mit ihren
Versicherungsnehmern abschließen.
Das Versicherungsvertragsrecht enthält das Vertragsrecht für Versicherungsverträge. Es
ist in erster Linie in dem Gesetz über den Versicherungsvertrag (VVG) geregelt. Kennzeichnend ist die privatautonom begründete und gestaltete Rechtsbeziehung zwischen den Vertragspartnern des Versicherungsvertrages. Erfasst werden aber auch Versicherungsverträge
zu deren Abschluss eine gesetzliche Verpflichtung (“Pflichtversicherungen“) besteht und deren Mindestinhalt gesetzlich vorgeschrieben ist, z. B. die Kfz-Haftpflichtversicherung oder die
Berufshaftpflichtversicherungen. Ein weiterer Teil des Versicherungsvertragsrechts ist das
Recht der Versicherungsvermittlung durch Versicherungsvertreter und Makler, soweit es
um das Versicherungsverhältnis und damit einhergehender Haftungsfragen geht. Ist dagegen das Innenverhältnis des Versicherungsunternehmens zum Versicherungsvermittler betroffen, handelt es sich je nach Art und Rechtsstellung des Versicherungsvermittlers um Fragen des Handelsvertreterrechts oder Arbeitsrechts.
Das Privatversicherungsrecht steht im Gegensatz zum Sozialversicherungsrecht. Gegenstand des Sozialversicherungsrechts sind Versicherungsverhältnisse, die kraft Gesetzes
zwischen Versicherten und den Trägern von Sozialversicherungen bestehen. Wichtigste Beispiele sind die gesetzliche Krankenversicherung mit den gesetzlichen Krankenkassen sowie
die gesetzliche Rentenversicherung mit der Bundesanstalt für Angestellte als Träger. Die
Sozialversicherung ist ein wichtiger Gegenstand des Sozialrechts und größtenteils im Sozialgesetzbuch geregelt. Sie wird von anderen Grundsätzen beherrscht und wendet andere
Techniken an als das private Versicherungswesen. Z. B. besteht in der privaten Versicherung eine Relation zwischen der Höhe der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämie
und dem versicherten Risiko sowie zur Höhe der zu erwartenden Versicherungsleistung.
Dagegen werden in der Sozialversicherung in der Regel alle Versicherten durch den Staat zu
gleichen, allenfalls nach der Leistungsfähigkeit gestaffelten Beiträgen versichert und können
Leistungen erhalten, die in keiner Weise durch die von ihnen persönlich aufgebrachten Beiträge gerechtfertigt sind, vielmehr zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft gezahlt werden
(sog. Umlagesystem).
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II. Bedeutung des privaten Versicherungswesens
Das private Versicherungswesen und damit einhergehend vor allem das Versicherungsvertragsrecht haben eine enorme wirtschaftliche Bedeutung. Dies wird bereits durch die bloße
Zahl der existierenden Versicherungsverhältnisse offenbart. Im Jahre 2007 gab es ca.
430.000.000 Versicherungsverträge, davon über 100.000.000 aus der Kraftfahrtversicherung
und ca. 97.000.000 aus der Lebensversicherung. Im Jahr 2007 besaßen durchschnittlich ca.
77 % aller privaten deutschen Haushalte eine Hausratsversicherung, eine Allgemeine Haftpflichtversicherung ca. 71 %, eine Lebensversicherung ca. 40 %. Das Gesamtprämienaufkommen der Versicherungswirtschaft lag 2007 in der Größenordnung von EUR
160.000.000.000,00 und damit bei 7 – 8 % des Bruttoinlandproduktes. (Quelle: Jahrbuch des
GDV 2007)
Daneben kommt der Privatversicherung eine große gesellschaftliche, politische und soziale
Bedeutung zu, die sich aus ihrem Hauptzweck, wirtschaftliche Risiken des Einzelnen gegen
eine vergleichsweise niedrige Prämienzahlung auf die Versicherung zu übertragen, ergibt.
Versicherungen können den Einzelnen zwar nicht vor Naturkatastrophen, Invalidität, Berufsunfähigkeit oder Haftpflichtrisiken bewahren, sie können aber dem Versicherten die wirtschaftlichen Folgen aus derartigen Ereignissen ganz oder teilweise abnehmen.
B. Grundlagen des Versicherungsvertragsrechts
Das Versicherungsvertragsrecht ist “normales“ Schuldvertragsrecht. Es hat aber eine wesentlich größere Bedeutung als z. B. das Kaufvertragsrecht für den Sachkauf. Dies resultiert
daraus, da die Versicherung ein “nicht greifbares“, unsichtbares Gut ist, das erst durch
den Versicherungsvertrag und die geltenden Regelungen Gestalt erlangt. Das Produkt Versicherung ergibt sich ausschließlich aus den zwischen den Parteien geschlossenen Vertragsverhältnissen.
I. Rechtsquellen
1. Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ist die wichtigste Rechtsquelle des Privatversicherungsrechts und stammt aus dem Jahre 1908. Es ist durch das am 1.1.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragrechts vom 23.11.2007 (Bundesgesetzblatt
I. S. 2631) erstmals nach 100 Jahren grundlegend reformiert worden. Eine europarechtlich
bestimmte und besonders bedeutsame Änderung und Ergänzung des VVG in jüngerer Zeit
brachte bis dahin das 3. Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des
Rates der europäischen Gemeinschaften vom 21.07.1994 (Bundesgesetzblatt I. S. 1630).
Dieses Gesetz bezweckte hauptsächlich die in dem von ihm umgesetzten Richtlinien der
EWG vorgeschriebene Deregulierung des Versicherungsmarktes, also – vereinfacht gesagt
– die Einschränkung der Versicherungsaufsicht in den Mitgliedstaaten der EU. Seither gehören – von gewissen Ausnahmen abgesehen – allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB)
nicht mehr zum Geschäftsplan des Versicherers (vgl. § 5 VAG), unterliegen damit nicht mehr
der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde (damals Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen, heute Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht). Eingeführt wurden ferner § 5 a ) VVG a.F. der den Abschluss von Versicherungsverträgen betrifft, sowie § 8 VVG
a.F. (Langzeitverträge), sowie § 172 bis § 179 VVG a.F. (Rückkaufswert einer Lebensversicherung u.a.). Die private Krankenversicherung wurde durch die §§ 178 a) bis 178 o) VVG
a.F. erstmals im deutschen Recht gesetzlich geregelt.
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Das VVG a.F. galt seit längerer Zeit als reformbedürftig. Es entsprach nicht mehr den Erfordernissen des modernen Verbraucherschutzes. Im Jahr 2000 wurde das Bundesjustizministerium durch eine Kommission zur Reform des Versicherungsvertragesrechts eingesetzt. Die
umfassende Aufgabe der Kommission lautete, Vorschläge zu erarbeiten, die es dem Gesetzgeber erlauben, das Versicherungsvertragsrecht in seinen allgemeinen Bestimmungen,
wie auch das Vertragsrecht der einzelnen Versicherungszweige, unter Berücksichtigung der
Ergebnisse der Rechtsprechung zeitgemäß und übersichtlich zu gestalten. Auf Grundlage
des Vorschlags der Reformkommission erarbeitete sodann das Justizministerium die Gesetzesänderung. Vorschriften des reformierten VVG werden nachfolgend ohne Zusatz als VVG
bezeichnet, die zuvor geltenden Vorschriften mit dem Zusatz a.F. (alte Fassung) gekennzeichnet.
Mit gutem Gewissen kann gesagt werden, dass das neue VVG den Verbraucherschutzgedanken umfassend aufgegriffen hat.
Als Beispiele seien lediglich erwähnt: Der Wegfall des Alles- oder Nichts-Prinzips, die Einführung umfassender Informations- und Beratungspflichten des Versicherers sowie der Wegfall
des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Prämie.
Das neue VVG ist auf alle Versicherungsverhältnisse anzuwenden, die seit Inkrafttreten des
Reformgesetzes am 01.01.2008 entstanden sind und zukünftig entstehen, mit Ausnahme
bestimmter Regelungen über die Krankenversicherung (ab 01.01.2009).
Die Übergangsvorschriften für “Altverträge“, d.h. für Versicherungsverhältnisse, die bis zum
01.01.2008 entstanden sind, sind in Artikel 1 bis 5 des Einführungsgesetzes zum VVG geregelt. Danach gilt der Grundsatz, dass auf Altverträge bis zum 31.12.2008 das VVG a.F. anzuwenden war. Seit dem 01.01.2009, nach einjähriger Übergangsfrist, gilt aber auch für Altverträge grundsätzlich nur noch das neue VVG.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bildet allerdings der Fall, dass auch Versicherungsfälle, die vor dem 01.01.2009 eingetreten sind, dauerhaft die Rechte und Pflichten des VVG
a.F. Anwendung finden.
2. Pflichtversicherungsgesetz (PflVG)
Eine weitere wichtige Rechtsquelle des privaten Versicherungsrechts ist das Gesetz über die
Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter. Durch dieses Gesetz, erlassen im Jahre 1939,
wurde für Kraftfahrzeughalter die gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung begründet. Im Jahre 1965 wurde im Rahmen einer Änderung dieses Gesetzes ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des
Schädigers sowie Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen eingeführt,
an denen der Geschädigte seine Schadenersatzansprüche richten kann, wenn sie aus den
im Pflichtversicherungsgesetz abschließend genannten Gründen gegenüber dem Schädiger
und dessen Haftpflichtversicherer nicht durchsetzbar sind. Weiter wurde das Gesetz durch
Umsetzung der 4. EU-Kfz-Richtlinie 2000/26/EG dahingehend verändert, dass die Regulierung von Schäden erleichtert wurde, die bei Verkehrsunfällen in einem anderen Land als
dem entstehen, in dem der Geschädigte seinen Wohnsitz hat. Die Umsetzung der 5. EU-KfzHaftpflichtversicherungsrichtlinie führte zu einer Anhebung der Mindestdeckungssumme und
sah die Möglichkeit vor, den Versicherer des Unfallgegners direkt in dem Mitgliedstaat, in
dem der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat, verklagen zu können.
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3. Kfz-Pflichtversicherungsverordnung (KfzPflVV)
Die KfzPflVV, die auf der Grundlage von § 4 PflVG ergangen ist, legt zwingend fest, welcher
Mindestversicherungsschutz im Interesse der Versicherten und der Geschädigten in der KfzHaftpflichtversicherung vorgesehen werden muss.
4. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB)
Zum Versicherungsvertragsrecht und damit zum Privatversicherungsrecht, aber nicht zu
dessen Rechtsquellen, gehören die AVB - denn sie werden nicht von einem Gesetzgeber
oder aufgrund eines Gesetzes erlassen. Es handelt sich bei AVB vielmehr um Allgemeine
Geschäftsbedingungen, also um Vertragsrecht. Die AVB werden grundsätzlich von dem Versicherer zur Ausgestaltung der von ihm angebotenen Verträge verwendet. Sie werden Vertragsinhalt, wenn sie in den Vertrag wirksam einbezogen worden sind. Die Einbeziehung und
deren Wirksamkeitsvoraussetzungen richten sich insbesondere nach den § 305 ff. BGB.
Daneben gibt es eine Reihe wichtiger Sondervorschriften des VVG zu berücksichtigen. Denn
wie bereits erwähnt, anders als die AGB etwa bei einem Warenkauf oder bei einem Werkvertrag, dienen die AVB auch dazu, den Gegenstand des Versicherungsvertrages, also den
Versicherungsschutz zu bestimmen.
5. Allgemeines Privatrecht
a) BGB
Das BGB enthält nur wenige versicherungsrechtliche Bestimmungen. So bestimmt z. B. §
330 BGB, wie ein Lebensversicherungsvertrag auszulegen ist, wenn die Vertragsparteien die
Zahlung der Versicherungssumme an einen Dritten vereinbart haben. § 1045 BGB begründet
eine (Sach-)Versicherungspflicht für den Nießbraucher, wenn die Versicherung der ordnungsgemäßen Wirtschaft entspricht. § 1046 BGB erstreckt den Nießbrauch auf die beim
Versicherungsfall entstandene Versicherungsforderung bei bestehenden und neu abgeschlossenen Versicherungsverträgen im Rahmen des § 1045 BGB. §§ 1127 bis 1130 BGB
regeln die Rechte des Hypothekengläubigers an den Versicherungsforderungen wegen des
Untergangs der versicherten Sache, auf die sich die Hypothek erstreckt. Kennzeichnend für
die vorgenannten Bestimmungen ist, dass sie vielfach Versicherungspflichten aufstellen oder
die Rechtsstellung nicht am Vertragsschluss beteiligter Dritter betreffen.
Im Übrigen finden die Allgemeinen Bestimmungen des BGB über Rechtsgeschäfte, Inhalt
der Schuldverhältnisse aus Verträgen, insbesondere gegenseitigen Verträgen ergänzend
Anwendung, soweit nicht das VVG vorgehende Sonderregelungen enthält. Das VVG ist im
Verhältnis zum BGB lex specialis. Im VVG enthaltene Sonderregelungen sind z. B. die §§
37, 38 VVG, die den Schuldnerverzug des Versicherungsnehmers mit der Prämie abweichend von §§ 323 ff. BGB regeln. In den §§ 19 bis 21 VVG ist der Irrtum des Versicherers
über Gefahrumstände abschließend behandelt. Eine Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB ist
in diesem Fall ausgeschlossen.
b) Handelgesetzbuch (HGB)
Nach der Aufhebung der Regelungen des Seeversicherungsrechts berührt das HGB das
Versicherungsvertragsrecht in § 363 Abs. 2 HGB, der auch die Übertragung von Transportversicherungspolicen betrifft. Auf den Versicherungsvertreter findet vorbehaltlich der Sonderregelungen des § 92 Abs. 3 und Abs. 4 HGB allgemeines Handelsvertreterrecht Anwendung,
§ 84 ff. HGB. Im Übrigen kommen die Vorschriften über den Handelsstand sowie die allgemeinen Vorschriften über Handelsgeschäfte in dem Maße subsidiär zur Anwendung, als das
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VVG oder das VVG ergänzende privatversicherungsrechtliche Sondergesetze keine speziellen Regelungen enthalten.
c) Gewohnheitsrecht
Eine weitere Rechtsquelle ist das Gewohnheitsrecht, welches im Versicherungsrecht aber
nur eine untergeordnete Stellung einnimmt. Gewohnheitsrechtlichen (richterrechtlichen) Ursprungs ist die Erfüllungshaftung des Versicherers für Auskünfte seines Agenten (Versicherungsvertreters). Sie findet ihre Grundlage in den Aufklärungs- und Beratungspflichten des
Versicherers. Erteilt der Agent in Erfüllung einer Informations- bzw. Aufklärungspflicht eine
unrichtige Auskunft, so der darf der Versicherungsnehmer gleichwohl auf die Richtigkeit dieser Auskunft vertrauen und der Versicherer muss sie gegen sich gelten lassen, als ob er sie
durch seine Organe selbst erteilt hätte. Betroffen sind die Fälle, in denen der Versicherungsvertreter dem Versicherungsnehmer vor der Antragsstellung Auskünfte über den sachlichen,
räumlichen oder zeitlichen Umfang des Versicherungsschutzes gibt, die im Widerspruch zum
Inhalt der AVB des Versicherers stehen.
II. Grundbegriffe des Versicherungsvertragsrechts
1. Definition des Versicherungsvertrages
§ 1 VVG enthält keine Definition des Versicherungsvertrages, sondern beschreibt lediglich
die vertragstypischen Pflichten der Parteien eines Versicherungsvertrages. Der Gesetzgeber
hat auf eine Legaldefinition verzichtet und es der Rechtsprechung und Lehre überlassen,
eine Definition zu finden. Selbstverständlich muss Klarheit darüber bestehen, ob ein Versicherungsvertrag vorliegt und deshalb das VVG und seine Nebengesetze Anwendung finden.
Dazu bedarf es der Kenntnis der Merkmale des Typus “Versicherungsvertrag“, um diesen
von anderen Vertragstypen wie z. B. Wette, der Garantie oder der Geschäftsbesorgung zu
unterscheiden. Abgrenzungsprobleme der Versicherung der vertragsrechtlichen Praxis sind
dagegen selten.
Nach der Definition des BGH (BGH, VersR 1964, 497; BGH, VersR 1988, 1281) ist ein Versicherungsvertragsverhältnis gegeben, wenn sich jemand als Versicherer gegen Entgelt verpflichtet, einem anderen (Versicherungsnehmer) eine vermögenswerte Leistung für den Fall
eines ungewissen Ereignisses zu überbringen, wenn außerdem das damit übernommene
wirtschaftliche Risiko auf eine Mehrzahl von der gleichen Gefahr bedrohter Personen verteilt
wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation
zugrunde liegt.
Die prägenden Merkmale des Versicherungsvertragsverhältnisses sind somit:





Gefahr (ungewisses Ereignis)
Gleichartigkeit der Gefahr
Planmäßige Grundlage (Kalkulation)
Rechtliche Gefahrengemeinschaft (Entgeltlichkeit)
Rechtsanspruch
Ein Versicherungsvertrag sieht die Leistungspflicht des Versicherers für den Fall des Eintrittes eines ungewissen Ereignisses vor, wobei sich die Ungewissheit darauf beziehen kann,
ob dieses Ereignis überhaupt jemals eintreten wird (z. B. Ausbruch des Schadensfeuers),
oder auf die Frage, wann ein Ereignis, dessen Eintritt sicher ist, im einzelnen Fall realisiert
werden wird (Erkrankung, Tod). Diese Tatbestände, bei deren Verwirklichung der Versicherer die Vertragsleistung zu erbringen hat, werden im Voraus ebenso umschrieben, wie der
Umfang der dann geschuldeten Leistung des Versicherers. Man spricht von versicherten
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Gefahren. Zweites Wesensmerkmal der Gefahr ist, dass mit ihrer Verwirklichung für den
Versicherungsnehmer oder seinen Hinterbliebenen ein wirtschaftlicher Nachteil verbunden
ist.
Nur die Zusammenfassung gleichartiger Risiken ermöglicht eine statistische Erfahrung und
damit eine Wahrscheinlichkeitsrechnung darüber, welcher Prozentsatz der versicherten Risiken im Laufe eines Geschäftsjahres von einem Versicherungsfall betroffen wird (Schadenshäufigkeit), welcher Prozentsatz der gesamten Prämieneinnahme im gleichen Zeitraum für
Schadenszahlungen aufgewendet werden muss (Schadensquote) und welchen durchschnittlichen Aufwand man pro Schadensfall zu kalkulieren hat (Schadensdurchschnitt). Auf Grundlage dieser Faktoren lässt sich dann eine bedarfsgerechte Prämie errechnen. Die spezifische
Funktion des Versicherers in Mitten der Vielzahl von gleichartigen Einzelrisiken besteht darin, dass der Versicherer die von den Versicherungsnehmern gezahlten Prämien zusammenfasst und daraus diejenigen Kapitalbeträge bereitstellt, die zur Deckung der einzelnen Versicherungsfälle notwendig sind (Kalkulation).
Der Begriff der rechtlichen Gefahrengemeinschaft könnte auch beschrieben werden mit
“Entgeltlichkeit“ oder “Wechselseitigkeit“. Die Mitglieder einer Risikogruppe bilden gedanklich
eine Gefahrengemeinschaft. Die Mittel für die Bezahlung der eingetretenen Versicherungsfälle werden von den Mitgliedern der Gefahrengemeinschaft durch ihre Prämien aufgebracht.
Erforderlich ist eine Äquivalenz zwischen Risikoübernahme und Prämienzahlung, ohne dass
Gleichwertigkeit vorliegen müsste, d.h. ein Versicherer kann trotz unterschiedlicher Risiken
eine Einheitsprämie erheben. Das der Versicherungsnehmer einen Rechtsanspruch auf die
Versicherungsleistungen hat, folgt bereits aus § 1 VVG.
Qualifikationsprobleme zeigen sich besonders, wenn unsicher ist, ob ein Vertragspartner
seine Leistung wird erbringen müssen. So ist z. B. die von einem Fernsehgerätehändler auf
die von ihm verkauften Geräte gewährte Garantie, deren Dauer weit über die gesetzliche
Gewährleistungspflicht hinausreicht, nicht als Versicherungsvertrag zu werten (vgl. Bundesverwaltungsgericht, VersR 1992, 1381). Abgrenzungskriterium hierfür ist, ob eine selbstständige Risikoübernahme ohne inneren Zusammenhang mit einem anderen Rechtsgeschäft
gegeben ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, a.a.O.). Anders wäre dies wohl zu beurteilen,
wenn ein Unternehmen gegen ein festes Entgelt “Wartungs- und Instandhaltungsverträge“
abschließt, die erstens zur regelmäßigen Wartung verpflichten, zweitens aber auch vorsehen, ohne zusätzliches Entgelt etwa nötige Reparaturen vorzunehmen, oder anfallende Reparaturkosten zu ersetzen.
2. Versicherungssparten und Versicherungsarten
Mit Versicherungsart wird überwiegend der jeweilige Versicherungstyp bezeichnet, etwa die
Krankheitskostenversicherung oder die Krankentagegeldversicherung. Der Differenzierungsgrad ist unterschiedlich und uneinheitlich. So lassen sich die ambulante und die stationäre
Krankheitskostenversicherung als selbstständige Versicherungsarten, aber auch als Unterarten der Krankheitskostenversicherung klassifizieren.
Mit den Begriffen Versicherungszweige bzw. Versicherungssparten werden verwandte
Versicherungsarten zusammengefasst. Z. B. gehören die Versicherungsarten Krankenkostenversicherung und Krankentagegeldversicherung zur Versicherungssparte Krankenversicherung. Die Einteilung der Risiken nach Versicherungssparten erfolgt in der Anlage A des
VAG. Die Einteilung nach Sparten hat im Rahmen des Aufsichtsrechts deshalb große Bedeutung, da die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb gesondert für einzelne Versicherungssparten erteilt wird (§ 6 Abs. 2 VAG). Im Übrigen gilt im Aufsichtsrecht das Prinzip der Spartentrennung, wonach gemäß § 8 Abs. 1 a) VAG sich die Erlaubnis zum Betrieb der Lebens- und
Krankenversicherung mit der Erlaubnis zum Betrieb anderer Versicherungssparten einander
ausschließen. § 8 a) Abs. 1 VAG bestimmt, dass das Versicherungsunternehmen, dass die
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Rechtsschutzversicherung zusammen mit anderen Versicherungssparten betreibt, die Leistungsbearbeitung in der Rechtsschutzversicherung einem andere Unternehmen zu übertragen hat, dass gemäß § 8 a) Abs. 2 VAG außer der Rechtsschutzversicherung keine anderen
Versicherungsgeschäfte betreiben und keine Leistungsbearbeitung anderer Versicherungssparten durchführen darf.
Einen Überblick über diejenigen Versicherungsarten, die im VVG geregelt sind, gibt die Untergliederung des zweiten Teils des VVG. Folgende Versicherungszweige werden genannt:
Haftpflichtversicherung (§§ 100 bis 124), Rechtsschutzversicherung (§§ 125 bis 159), Transportversicherung (§§ 130 bis 141), Gebäudeversicherung (§§ 142 bis 149), Lebensversicherung (§§ 150 bis 171), Berufsunfähigkeitsversicherung (§§ 172 bis 177), Unfallversicherung
(§§ 178 bis 191), Krankenversicherung (§§ 192 bis 208).
Die vorstehend geregelten Versicherungsarten decken die Vielfalt der auf dem Versicherungsmarkt angebotenen Produkte jedoch bei weitem nicht ab. Technologischer und gesellschaftlicher Wandel führen zu immer neuen Versicherungsprodukten (z. B. Computermissbrauchsversicherung, D&O-Versicherung, Pflegeversicherung, Dread-Disease-Versicherung
u.s.w.).
3. Schaden- und Summenversicherung
Bei der Schadensversicherung ist der Versicherer verpflichtet, den Versicherungsnehmer
den durch den Eintritt des Versicherungsfalles konkret entstandenen Vermögensschaden zu
ersetzen. Der Umfang der Leistungspflicht des Versicherers hängt also konkret davon ab, in
welcher Höhe ein vertragsgemäß zu deckender Schaden eingetreten ist (“konkrete Bedarfsdeckung“). Bestimmte Normen und Normengruppen sind nur bei Vorliegen einer
Schadensversicherung anwendbar (vgl. Teil 1, Kapitel 2, §§ 74 bis 99 VVG).
Den Gegensatz zur Schadensversicherung bildet die Summenversicherung. Bei ihr hat der
Versicherer im Versicherungsfall, unabhängig von dem Eintritt eines Vermögensschadens,
die im Vertrag fest vereinbarte Summe zu leisten (“abstrakte Bedarfsdeckung“), z. B. eine
Risikolebensversicherung, bei der bei Tod der versicherten Person die vereinbarte Versicherungssumme zu zahlen ist. Das VVG verwendet den Begriff der Summenversicherung nicht.
Es werden lediglich einzelne Summenversicherungsarten im besonderen Teil geregelt. Der
Begriff der Schadensversicherung findet sich im VVG dagegen wieder.
Praktisch bedeutsam ist die Unterscheidung u.a. im Hinblick auf den Übergang von Ersatzansprüchen (§ 86 VVG) sowie die Höhe der zu erbringenden Versicherungsleistung.
4. Personen- und Nichtpersonen-Versicherung
Bei der Personenversicherung betrifft die versicherte Gefahr eine Person, die als Gefahrperson bezeichnet wird. Sie muss nicht identisch mit dem Versicherungsnehmer sein. Die
Gegenkategorie zur Personenversicherung bildet die Nichtpersonen-Versicherung. Die
Nichtpersonen-Versicherung umfasst alle diejenigen Versicherungen, bei denen die versicherte Gefahr nicht eine Person betrifft. Bezogen auf die im VVG genannten Versicherungsarten sind demzufolge als Nichtpersonen-Versicherung, die Haftpflichtversicherung, die
Rechtsschutzversicherung, die Transportversicherung und die Gebäudeversicherung zu qualifizieren.
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5. Freiwillige Versicherungen und Pflichtversicherungen
Pflichtversicherungen sind dadurch gekennzeichnet, dass der Versicherungsnehmer durch
Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Verordnung oder Satzung einer öffentlichrechtlichen Körperschaft zu ihrem Abschuss verpflichtet ist. Insoweit besteht ein Zwang für
den Versicherungsnehmer, sich zu versichern. Jedoch entsteht das Versicherungsverhältnis
durch Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages und nicht – wie im Sozialversicherungsrecht – unmittelbar kraft Gesetzes. Im Unterschied zur gesetzlichen Sozialversicherung finden die Regelungen über das Zustandekommen von Versicherungsverträgen nach dem
VVG Anwendung. Der Verpflichtete behält die Freiheit der Auswahl des Versicherers.
Die Gegenkategorie zur Pflichtversicherung bildet im Privatversicherungsrecht die freiwillige
Versicherung. Damit sind solche Versicherungen gemeint, die freiwillig, mithin ohne Verpflichtung begründet werden. Freiwillige Versicherungen, zu deren Abschluss der Versicherungsnehmer gegenüber Dritten vertraglich verpflichtet ist, fallen nicht unter den Begriff der
Pflichtversicherung.
Pflichtversicherungen können grundsätzlich alle Risiken zum Gegenstand haben, die in
der Nichtpersonenversicherung (Beschädigung, Zerstörung und Abhandenkommen von Sachen; Inanspruchnahme auf Schadenersatz durch Dritte; Zahlungsunfähigkeit) und in der
Personenversicherung (Unfall, Krankheit/Pflege, Berufsunfähigkeit, Leben) versicherbar sind.
Die private Pflichtversicherung hat Risikovorsorgefunktion. Die Versicherungspflichtigen
werden durch den verordneten Versicherungsschutz zur Eigenvorsorge für sich und die Mitversicherten gegen die sie betreffenden Vermögensgefahren gezwungen. Hierdurch werden
die staatlichen sozialen Sicherungssysteme entlastet.
Dieses Prinzip hat versicherungstechnisch dahingehend Vorteile, dass wegen der Vielzahl
von Versicherungspflichtigen das für den Risikoausgleich erforderliche Gesetz der großen
Zahl leichter erreicht werden kann. Für den Versicherer vermindert sich dadurch die Gefahr
einer negativen Risikoauslese und für den Versicherungspflichtigen verbilligt sich der Versicherungsschutz. Andererseits stellt der gesetzliche Zwang zum Abschluss einer Versicherung einen Eingriff die Privatautonomie des Versicherungspflichtigen dar. Ist die Ausübung
eines Berufs oder die Führung eines Unternehmens vom Abschluss oder dem Fortbestehen
einer Versicherung abhängig, sind zudem die Berufsfreiheit und das Eigentumsrecht des
Versicherungspflichtigen betroffen. Soweit Pflichtversicherungen Mindestanforderungen der
Versicherungsdeckung festlegen, greifen sie in die Vertragsgestaltungsfreiheit der Versicherer ein. Die Einführung einer Pflichtverletzung bedarf daher immer besonderer Rechtfertigung (besondere Gefahr für die Allgemeinheit oder eines größeren Personenkreises sowie
die Gefahr, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betroffenen bei Schadenseintritt
nicht ausreichen wird).
Ein Kontrahierungszwang des Versicherers, bei dem der Versicherungspflichtige seinen Versicherungsvertrag abschließen will, ist nach deutschem Recht auch in der Pflichtversicherung ganz überwiegend nicht vorgesehen. Ausnahmen hiervon bilden gegenwärtig die private Pflegeversicherung (§ 110 SGB XI.), die Krankenversicherung (§ 193 Abs. 3 und 5 VVG)
und mit Einschränkung die Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 5 Abs. 2 PflVG).
6. Eigen- und Fremdschadenversicherung
Eigen- und Fremdschadenversicherung sind Unterformen der Schadenversicherung. Eigenschadenversicherungen gewähren Schutz vor den wirtschaftlichen Folgen von Schäden an
Sachen, den Verlust oder Nichteinbringung von Forderungen oder den Verlust von Anwartschaften am eigenen Vermögen des Versicherungsnehmers (z. B. Gebäudeversicherung
des Eigentümers). Die Fremdschadenversicherung schützt demgegenüber das Vermögen
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des Versicherungsnehmers vor Vermögensnachteilen durch Inanspruchnahme auf Schadenersatz durch Dritte wegen einer (behaupteten) Schadenersatzverpflichtung.
Von den Begriffen der Eigenschaden- und der Fremdschadenversicherung zu unterscheiden
sind die Eigen- und Fremdversicherung. Ob eine Eigen- oder Fremdversicherung vorliegt,
wird danach bestimmt, wessen Interesse versichert ist. Von einer Eigenversicherung
spricht man, wenn das Interesse des Versicherungsnehmers versichert ist. Eine Fremdversicherung ist dagegen gegeben, wenn das Interesse eines nicht am Vertrag als Partei beteiligten Dritten versichert und dieser Inhaber des Anspruchs gegen den Versicherer ist. Die
Fremdversicherung ist in den §§ 43 bis 48 VVG geregelt (Versicherung für fremde Rechnung).
Sowohl die Eigenschaden- als auch die Fremdschadenversicherung können als Eigenund/oder Fremdversicherung ausgestaltet sein. Als Beispiel für eine kombinierte Eigen/Fremdversicherung in Form der Fremdschadenversicherung ist die Privat- und Betriebshaftpflichtversicherung zu nennen. Neben dem Eigeninteresse des Versicherungsnehmers sind
die fremden Interessen der Familienangehörigen/Mitarbeiter versichert. Eine reine Fremdversicherung stellt die D & O-Versicherung dar, bei der ausschließlich die versicherten Personen (Organmitglieder) aus dem Versicherungsvertrag berechtigt werden.
7. Erstversicherung und Rückversicherung
Versicherungsverträge mit Versicherungsnehmern, die nicht selbst Versicherer sind, bezeichnet man als Erstversicherungen. Die Versicherungsunternehmen, die das Erstversicherungsgeschäft betreiben, heißen entsprechend Erstversicherer.
Die Erstversicherung steht im Gegensatz zur Rückversicherung. Im Gegensatz eines
Rückversicherungsvertrages nimmt ein Erstversicherer bei einem anderen Versicherungsunternehmen, dem Rückversicherer, Deckung für seine Eintrittspflicht aus den Erstversicherungen mit seinen Kunden. Die Rückversicherung ermöglicht dem Erstversicherer die Deckung größerer Risiken. Mit ihr kann er das sog. versicherungstechnische Risiko, d.h. Abweichungen des tatsächlichen Schadenverlaufs von denen seiner Prämienkalkulation
zugrunde gelegten Annahmen, abdecken. Die Rückversicherung substituiert auch Eigenkapital, das ohne eine Rückversicherung zur Abdeckung der Verpflichtungen aus dem Erstversicherungsgeschäft bereitgehalten werden müsste. Die Vorschriften des VVG finden auf die
Rückversicherung keine Anwendung (§ 209 VVG).
8. Versichertes Interesse und Versicherungsfall
Dem Begriff des versicherten Interesses kommt insoweit besondere Bedeutung zu, als
dass das Bestehen eines Versicherteninteresses Voraussetzung für das Bestehen von Versicherungsschutz ist (vgl. § 80 VVG). Eine Legaldefinition des versicherten Intersses findet
sich im Gesetz nicht.
Der BGH versteht unter diesem Begriff “einen von den Parteien des Versicherungsvertrages
bei Vertragsschluss für möglich gehaltenen Vermögensnachteil, der im Falle seines Eintritts
durch die Versicherungsleistung ausgeglichen werden soll…“ Welches Interesse versichert
ist, ist ggf. durch Auslegung des Versicherungsvertrages zu ermitteln. Dabei sind auch die
Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (BGH, NJW-RR 1988, 727). Wenn es darum
geht festzustellen, wessen Interesse versichert ist, ist zu fragen, wer den Nachteil zu tragen
hätte, wenn kein Versicherungsschutz bestünde.
In der Haftpflichtversicherung besteht z. B. der Vermögensnachteil in der Belastung mit
Schadenersatzansprüchen. In der Sachversicherung besteht der Vermögensanteil je nachDr. Konstantin Kirsten
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dem, ob der Versicherungsnehmer Eigentümer der zerstörten, beschädigten oder verloren
gegangen Sache war oder nicht, entweder in der Beeinträchtigung oder dem Verlust des
Substanzwertes der Sache (Sacherhaltungsinteresse) oder in der Haftpflichtigkeit gegenüber
dem Eigentümer (Sachersatzinteresse). In der Betriebsunterbrechungsversicherung besteht
der Vermögensnachteil in der Unmöglichkeit oder der Beeinträchtigung des Gebrauches der
zerstörten, beschädigten oder verloren gegangenen Sache (Gebrauchsinteresse).
Der Versicherungsfall umschreibt das Ereignis, dessen Eintritt notwendige Bedingung der
Leistungspflicht des Versicherers ist. Der Versicherungsfall ist ebenfalls nicht im Gesetz definiert. Seine Definition erfolgt grundsätzlich in den allgemeinen Versicherungsbedingungen.
C. Der Versicherungsvertrag
I. Parteien des Versicherungsvertrags und Drittbegünstigte
1. Versicherer
Hinsichtlich der Personen des Versicherers gilt es die Vorgaben des VAG zu beachten. Für
Versicherer besteht Rechtsformzwang (vgl. § 7 Abs. 1 VAG).
Ist ein und dasselbe Interesse bei verschiedenen Versicherern versichert, liegt je nachdem,
ob die Versicherer einverständlich zusammenwirken oder nicht, eine Mitversicherung oder
Neben-/Mehrfachversicherung vor. Unter Mitversicherung versteht man das einverständliche Zusammenwirken mehrerer Versicherer an der Versicherung eines bestimmten Interesses für dieselbe Zeit und gegen dieselbe Gefahr, wobei jeder Versicherer nur einen Teil des
Risikos übernimmt, im Gegenzug aber auch nur einen entsprechenden Teil der Prämie erhält. In der Regel findet sich ein solches Zusammenwirken bei der Versicherung von Großrisiken, die die Versicherer nicht alleine tragen wollen/können (z. B. Versicherung von Flugzeugen). Bei der Mitversicherung gibt es wiederum zwei weitere Unterarten. Bei der verdeckten Mitversicherung schließt der Versicherungsnehmer nur einen Versicherungsvertrag. Der Versicherer schließt seinerseits weitere Verträge mit anderen Versicherungen unter
Aufteilung der Prämie und des Risikos ab. Bei der offenen Mitversicherung schließt der
Versicherungsnehmer mit den Versicherern jeweils rechtlich selbstständige Verträge ab. In
der Praxis wird allerdings zumeist nicht eine der Zahl der Mitversicherer entsprechende Anzahl an Vertragsdokumenten ausgewertet, sondern durch den führenden Mitversicherer ein
Sammelversicherungsschein über die von den Mitversicherern insgesamt gedeckte Gesamtversicherungssumme als einheitliche Vertragsurkunde ausgestellt. Kennzeichnend für die
offene Mitversicherung sind sog. Führungsabreden. Diese regeln die Befugnisse des führenden Mitversicherers im Außenverhältnis zum Versicherungsnehmer und bestimmen besondere, im Zusammenhang mit der angestrebten vereinfachten Vertragsabwicklung stehende
Rechte und Pflichten der Mitversicherer und des Versicherungsnehmers. Sie haben den
Zweck, die Komplexität der Vertragsdurchführung, die aus der Stellung der Mitversicherer als
rechtlich selbstständige Vertragspartner des Versicherungsnehmers resultieren, zu vereinfachen.
Bei einer Neben-/Mehrfachversicherung sind dagegen mehrere Versicherungsverträge mit
verschiedenen Versicherern für das gleiche Interesse und die gleiche Gefahr geschlossen
worden, ohne dass die beteiligten Versicherer voneinander wissen. Liegt eine Nebenversicherung vor, ist der Versicherungsnehmer gemäß § 77 Abs. 1 VVG verpflichtet, jedem Versicherer von der anderen Versicherung unverzüglich Mitteilung zu machen und die Versicherungssumme anzugeben.
Übersteigen die Versicherungssummen zusammen den Versicherungswert oder übersteigt
aus anderen Gründen die Summe der Entschädigungen, die von jedem Versicherer ohne
Bestehen der anderen Versicherung zu zahlen wären, den Gesamtschaden, liegt eine MehrDr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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fachversicherung vor. Gemäß § 78 Abs. 1 VVG haften die Versicherer in der Weise als Gesamtschuldner, dass Versicherer den von ihm nach dem Vertrag zu leistenden Betrag zu
zahlen hat, der Versicherungsnehmer aber insgesamt nicht mehr als den Betrag des Schadens verlangen kann. Im Verhältnis zueinander sind die Versicherer gemäß § 78 Abs. 2 VVG
zu Anteilen nach Maßgabe der Beträge verpflichtet, die sie dem Versicherungsnehmer nach
dem jeweiligen Vertrag zu zahlen haben.
2. Versicherungsnehmer
Versicherungsnehmer kann jede natürliche oder juristische Person. Gesamthandsgemeinschaften können Versicherungsnehmer sein, soweit sie rechtsfähig sind. Dies trifft sowohl
auf die Personenhandelsgesellschaften (oHG, KG) als auch für die (Außen-)GbR zu.
Der Versicherungsnehmer kann bei Vertragsschluss oder während des Versicherungsverhältnisses durch einen (gesetzlichen oder bevollmächtigten) Vertreter handeln. Für die Stellvertretung gelten grundsätzlich uneingeschränkt die allgemeinen Regelungen des BGB. Neben der Stellvertretung hinsichtlich Willenserklärungen gibt es im Versicherungsrecht, wie im
allgemeinen Zivilrecht auch, die Vertretung hinsichtlich bloßer Wissenserklärungen sowie
Tatbestände der Wissenszurechnung. Außerdem kann der Versicherungsnehmer im Rahmen der Erfüllung des Versicherungsvertrages Dritte einschalten, deren Verhalten ihm zugerechnet wird. Die diesbezüglichen versicherungsrechtlichen Besonderheiten werden an späterer Stelle behandelt.
3. Drittbegünstigte
a) Versicherter
Ein Versicherungsvertrag kann als Vertrag zugunsten Dritter “ausgestaltet“ sein. Bei einigen
Versicherungsarten ist dies der Regelfall. Den Dritten, dem der Versicherungsnehmer im
Wege des Vertrages zugunsten Dritter Versicherungsschutz verschafft, bezeichnet das Versicherungsvertragsrecht als den Versicherten. Solche Drittbegünstigungen sind zulässig in
der Schadenversicherung (vgl. § 43 ff., Versicherung für fremde Rechnung), in der Krankenversicherung und in der Unfallversicherung. Eine Lebensversicherung für fremde Rechnungen gibt es nicht. Eine Fremdversicherung kann ausdrücklich vereinbart werden, oder sich
aus den Umständen ergeben.
b) Versicherung für wen es angeht
Lässt der Versicherungsvertrag offen, ob ein eigenes oder fremdes Interesse versichert sein
soll, handelt es sich um eine „Versicherung für wen es angeht“ (vgl. § 48 VVG). In diesem
Falle sind nicht beide Interessen (das eigene und das fremde Interesse) versichert, sondern
stets nur entweder das eine oder andere. Schließt z. B. der Alleineigentümer eines Wohngebäudes vor der Aufteilung in Wohneigentumseinheiten eine Wohngebäudeversicherung als
angeblicher “Verwalter“ für die noch nicht bestehende Wohnungseigentümergemeinschaft
ab, so will er dadurch regelmäßig kein nach §§ 177 ff. BGB schwebend unwirksames Versicherungsverhältnis eingehen, sondern eine „Versicherung für wen es angeht“ abschließen
(vgl. OLG Koblenz, r+s 1996, 540).
c) Gefahrperson
Mit dem Begriff der Gefahrperson wird die versicherte Person in der Personenversicherung
bezeichnet. Sie muss nicht identisch mit dem Versicherungsnehmer sei. So kann in der LeDr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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bens-, Unfall- und Krankenversicherung der Versicherungsvertrag gegen Versicherungsfälle
abgeschlossen werden, die sich in der Person eines anderen ereignen. Da die Aussicht auf
die Versicherungssumme für den Versicherungsnehmer bzw. ggf. Bezugsberechtigten einen
Anreiz zur Herbeiführung des Versicherungsfalles bieten kann, ist in der Lebens- und Unfallversicherung zur Wirksamkeit des Vertrages die schriftliche Einwilligung der Gefahrperson
erforderlich (§ 159 Abs. 2, § 179 Abs. 2 VVG). Damit soll eine Spekulation mit dem Leben
oder der Gesundheit eines anderen hinter dessen Rücken verhindert werden. Liegt die Einwilligung nicht vor, so gilt die Versicherung als zugunsten der Gefahrperson genommen.
d) Bezugsberechtigter
Durch die Bestimmung einer Bezugsberechtigung erwirkt der Bezugsberechtigte das Recht
auf die Versicherungsleistung. Die Bezugsberechtigung kommt nur in der Lebens- und Unfallversicherung vor. Anders als bei der Versicherung für fremde Rechnung bedarf es keiner
Einigung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer, dass ein Dritter Rechte aus dem
Versicherungsvertrag geltend machen kann. Eine einseitige Willenserklärung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer genügt. Der Begünstigte erwirbt sein Recht entweder sofort (sog. unwiderrufliche Bezugsberechtigung) oder erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalls (widerrufliche Bezugsberechtigung).
In der Lebensversicherung ist die Bezugsberechtigung die einzige mögliche Form einer Zuwendung der Versicherungssumme an einen Dritten und Erlebenden, da es eine Lebensversicherung für fremde Rechnungen nicht gibt.
e) Eintrittsberechtigter
Für die Lebensversicherung sieht § 170 Abs. 1 und 2 VVG ein Eintrittsrecht Dritter in den
Versicherungsvertrag vor, wenn in die Versicherungsforderung ein Arrest vollzogen, eine
Zwangsvollstreckung vorgenommen oder das Insolvenzverfahren über das Vermögen des
Versicherungsnehmers eröffnet wird. Eintrittsberechtigt ist der namentliche bezeichnete Bezugsberechtigte mit Zustimmung des Versicherungsnehmers, ersatzweise der Ehegatte oder
Lebenspartner und die Kinder des Versicherungsnehmers.
f) Realgläubiger
Ist ein Gebäude oder ein Grundstück (z. B. gegen Elementarschäden), an dem Sicherungsrechte von Realgläubigern (z. B. Hypotheken) bestehen, versichert, so erstreckt sich gemäß
§ 1127 Abs. 1 BGB die hypothekarische Haftung im Versicherungsfall auch auf die Versicherungsforderung. Der Realgläubiger hat im Hinblick auf den Anspruch gegen den Versicherer
somit auch ohne Beschlagnahme die Rechtstellung eines Pfandgläubigers und kann § 1128
Abs. 2, 1181 BGB vor Fälligkeit des Pfandrechts vom Versicherer verlangen, die Versicherungssumme an ihn und den Versicherungsnehmer gemeinschaftlich zu leisten.
g) Erwerber der versicherten Sache
Wird die versicherte Sache vom Versicherungsnehmer veräußert, tritt gemäß § 95 Abs. 1
VVG an dessen Stelle der Erwerber in die währende Dauer seines Eigentums aus dem Versicherungsverhältnis sich ergebende Rechte und Pflichten des Verscherungsnehmers ein.
Die Regelung erfasst außer der reinen Sachversicherung auch sachbezogene Haftpflichtversicherungen (z. B. Gebäudehaftpflichtversicherung).
Dr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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h) Geschädigter in der Haftpflichtversicherung
Im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung steht dem Geschädigten ein Direktanspruch nach
§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners zu. Bei sonstigen Pflicht-Haftpflichtversicherungen hat der Geschädigte gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 2 und 3
VVG nur dann einen Direktanspruch, wenn der Versicherungsnehmer insolvent ist oder der
Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist. Einen generellen Direktanspruch des
Geschädigten gegen den Versicherer in der Haftpflichtversicherung wurde im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens zum neuen VVG ausführlich erörtert, letztendlich aber nicht mit
ins Gesetz aufgenommen.
II. Allgemeine Versicherungsbedingungen
1. Rechtstechnik der Risikoabgrenzung
Inhalt und Umfang des Versicherungsschutzes werden in der Praxis durch AVB bestimmt,
selbst wenn sich hierzu Regelungen im VVG wiederfinden. Dabei bedienen sich die Versicherer der Rechtstechnik der Risikoabgrenzung. Es wird zwischen primärer, sekundärer und
tertiärer Risikoabgrenzung unterschieden.
Durch die primäre Risikoabgrenzung gestaltet der Versicherer sein Produkt, in dem er die
versicherten Sache, Forderungen oder Personen, die übernommenen Gefahren, gedeckten
Schäden, die Versicherungsdauer, den räumlichen Schutzbereich oder sonstige Zustände, in
denen versicherte Sachen oder Personen sich bei Eintritt des Schadens befinden müssen,
bezeichnet.
Durch die sekundäre Risikoabgrenzung werden bestimmte Teilrisiken aus den Risikoeinschlüssen der primären Risikoabgrenzung wieder herausgenommen. Neben Risikoausschlüssen zählt auch die Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung zu den Mitteln der
sekundären Risikoabgrenzung. Maßgeblich für die Unterscheidung zwischen Obliegenheit
und Risikoausschluss ist der materielle Inhalt der einzelnen Bedingungen.
Durch die tertiäre Risikoabgrenzung kann für ein noch spezielles Teilrisiko wiederum eine
Gegenausnahme vom Risikoausschluss durch sekundäre Risikoabgrenzung gemacht werden und zum primär versicherten Risiko wieder hinzugenommen werden.
Die Einteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Risikoabgrenzung ist in der Praxis von großer Bedeutung, da hieran die Beweislast geknüpft ist. Für den Eintritt des Versicherungsfalls ist der Versicherungsnehmer, für das Vorliegen von Ausschlüssen und Obliegenheitsverletzungen der Versicherer und für das Eingreifen von Wiedereinschlüssen der Versicherungsnehmer beweispflichtig.
2. Die Grenzen der Ausgestaltung von AVB
a) VVG
Grenzen der Vertragsgestaltungsfreiheit ergeben sich im Versicherungsrecht zunächst einmal aus dem VVG selbst. Im VVG sind drei Typen von Vorschriften zu unterscheiden, nämlich erstens die abdingbaren (dispositiven), zweitens die zwingenden und drittens die halbzwingenden Vorschriften. Zu den abdingbaren (dispositiven) Vorschriften sind keine Be-
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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sonderheiten zu bemerken. Ihre Geltung kann durch Vereinbarung der Parteien ausgeschlossen werden (z. B. § 75 VVG).
Zwingende Vorschriften können weder zu Gunsten noch zu Ungunsten des Versicherungsnehmers geändert werden. Verstoßen Klauseln hiergegen ist entweder nur die Klausel
nichtig (z. B. § 5 Abs. 4 VVG, § 28 Abs. 5 VVG) oder der ganze Vertrag (z. B. § 74 Abs. 2
VVG, § 78 Abs. 3 VVG) oder die Nichtigkeit der entgegenstehenden Klausel folgt aus der
Natur der Vorschrift (z. B. § 16 VVG, § 17 VVG).
Halbzwingende Vorschriften können nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers oder
geschützter Dritter abgeändert werden. An die Stelle einer abweichenden oder das Gesetz
umgehenden Vereinbarung tritt die gesetzliche Bestimmung. Ob eine Norm halbzwingend
ist, ergibt sich aus dem VVG (z.B. §§ 18, 32, 42, 67, 87, 112 usw.) Im Hinblick auf den
Schutzzweck halbzwingender Vorschriften ist es nur dem Versicherer, nicht auch dem durch
sie geschützten Versicherungsnehmer verwehrt, sich auf eine von ihr abweichende Vereinbarung zu berufen und Rechte aus ihr herzuleiten, auch wenn sie Abweichungen von der
gesetzlichen Regelung enthält, die ihn benachteiligen (vgl. BGH, NJW 1951, 231).
b) Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB
aa) Einbeziehung von AVB
Für die Einbeziehung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen gelten die allgemeinen
Regelungen des BGB (§ 305 ff. BGB). Der Versicherer als Verwender genügt seiner Hinweispflicht gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn bereits die - auf einem Antragsformular
des Versicherers abgegebene - Vertragserklärung des Versicherungsnehmers auf die später
im Versicherungsschein genannten AVB Bezug nimmt. Weitere Voraussetzungen für die
Einbeziehung ist, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise von dem Inhalt der AVB Kenntnis zu nehmen (vgl. § 305 Abs.
2 Nr. 2 BGB). Dabei ist nach Sinn und Zweck des § 305 Abs. 2 BGB auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Kunde seine ihn bindende Vertragserklärung abgibt.
Unter Geltung des § 5 a) VVG a.F. wurden diese Grundsätze durch die Ermöglichung des
Vertragsschlusses im Wege des sog. Policenmodells weitgehend zurückgedrängt. Im Wege
des Policenmodells erhielt der Versicherungsnehmer nach Antragsstellung die Vertragsunterlagen erst mit Übersendung der Versicherungspolice und konnte dem Vertragsschluss
dann binnen zwei Wochen (bzw. 30 Tagen) widersprechen. Versicherungsverträge konnten
danach auch dann unter der Geltung der vom Versicherer verwendeten Bedingungen zustande kommen, wenn diese dem Versicherungsnehmer erst mit dem Versicherungsschein
zugänglich gemacht wurden. § 5 a) VVG a.F. wurde daher als Modifikation des § 305 BGB
mit weitgehender Reparaturmöglichkeit mangelhafter Einbeziehung angesehen. Nach diesem Standpunkt kam der Versicherungsvertrag auf der Grundlage der AVB zustande, die
entweder in dem Antragsformular bezeichnet waren oder bei Fehlen einer solchen Angaben,
die der Versicherer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses üblicherweise einem vergleichbaren Vertrag zugrunde zu legen pflegte. Dies galt auch für den Fall, wenn überhaupt keine
Versicherungsbedingungen übersandt worden waren.
Aufgrund der seit dem 01.01.2008 neuen Rechtslage und der faktischen Abschaffung des
Vertragsabschlusses nach dem sog. Policenmodell (§ 5 a) VVG a.F.) dürften nunmehr wieder die allgemeinen Grundsätze gelten, was in der Literatur aber nicht unumstritten ist. Diese
Rechtsfrage wird künftig von den Gerichten zu entscheiden sein.
Ungeachtet der Bedeutung von AVB für den Inhalt eines Versicherungsvertrages bleibt der
Vertrag bei einem Scheitern der Einbeziehung der AVB wirksam (vgl. § 306 Abs. 1 BGB).
Soweit gesetzliche Regelungen zur Findung von Risikolücken nicht zur Verfügung stehen,
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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sind diese im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch Rückgriff auf marktübliche
AVB zu schließen. Dies kann auf die Anwendung der nicht einbezogenen unternehmensindividuellen AVB hinauslaufen, wenn diese marktüblich sind. Das Abstellen auf Marktüblichkeit
schützt den Versicherungsnehmer aber, wenn die unternehmensindividuellen AVB von
marktüblichen AVB zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweichen.
bb) Auslegung von AVB
AVB sind wie sonstige AGB objektiv auszulegen, d.h. ohne Rücksicht auf die besonderen
Umstände des einzelnen Vertragsabschlusses. Maßgeblich ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof, „wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei
verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren
Sinnzusammenhangs verstehen muss“. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeit und
Interessen eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an
(vgl. BGH, VersR 2001, 489).
Die Entstehungsgeschichte einer Regelung hat deshalb bei der Auslegung außer Betracht zu
bleiben, wenn der Versicherungsnehmer sie typischerweise nicht kennt. Dies soll selbst dann
gelten, wenn die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte zu einem dem Versicherungsnehmer günstigeren Auslegungsergebnis kommen würde. Versicherungsrechtliche
Überlegungen können nach der Rechtsprechung allenfalls insoweit berücksichtigt werden,
wie sie sich aus dem Wortlaut der Bedingungen für den verständigen Versicherungsnehmer
unmittelbar erschließen.
Wenn sich Zweifel an der Bedeutung einer Klausel durch Auslegung nicht beseitigen lassen
(mehrdeutige Klauseln), gehen die Auslegungszweifel nach der “Unklarheitenregel“ des
§ 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders, mithin des Versicherers.
cc) Umfang der Inhaltskontrolle
§ 310 Abs. 3 S. 1 BGB soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers weder eine Kontrolle
der Preise oder Leistungsangebote ermöglichen, noch sollen Vorschriften anderer Gesetze
modifiziert werden. Da das Gesetz den Vertragspartnern grundsätzlich freistellt, Leistungen
und Gegenleistungen im Vertrag frei zu bestimmen, unterliegen im Grundsatz weder Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung (sog. Leistungsbeschreibung),
noch Vereinbarungen über das von dem anderen Teil zu erbringende Entgelt der gesetzlichen Inhaltskontrolle (vgl. BGH, NJW 2001, 2014). Hierzu gehören im Versicherungsrecht
insbesondere Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen.
Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern oder ausgestalten
sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Dies ergibt sich aus § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wonach außer der gesetzlichen Regelung die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag und den Vertragszweck als Kontrollmaßstab fungieren. Für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung bleibt nur der enge Bereich der Leistungsbeschreibung, ohne
deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (vgl. BGB, NJW 1999,
2279).
Derartige Leistungsbeschreibungen sind aber nicht vollständig von der Kontrollfreiheit ausgenommen. Die Grundsätze des Transparenzgebotes (s.u.) sind auch bei Leistungsbeschreibungen zu berücksichtigen.
Dr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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dd) Der Prüfungsmaßstab im Einzelnen
(1) Vorrang der Individualabrede, § 305 b) BGB
Individuelle Vertragsabreden sind alle Vereinbarungen, die im Sinne des § 305 Abs. 1 3 BGB
im Einzelnen ausgehandelt worden sind. Bedeutung im Versicherungsrecht hat die Individualabrede in Fällen, wo in der Leistungsbeschreibung der Versicherungspolice sich abweichende Angaben zu dem Inhalt der AVB wiederfinden.
(2) Überraschende Klauseln, § 305 c) BGB
Bei einer überraschenden Klausel muss es sich um eine objektiv ungewöhnliche Klausel
handeln, ob das der Fall ist, ist nach den Gesamtumständen zu beurteilen. Die Ungewöhnlichkeit kann sich aus der Unvereinbarkeit mit dem Leitbild des Vertrages, der Höhe des Entgeltes, einem Widerspruch zum Verlauf der Vertragsverhandlungen oder zur Werbung des
Verwenders ergeben. Hinzukommen muss das Überraschungsmoment, d.h. dass der andere Teil mit der Klausel “nicht zu rechnen brauchte“. Das Vorliegen einer überraschenden
Klausel im Rahmen einer Krankenversicherung, die die Leistungspflicht auf 30 psychotherapeutische Sitzungen begrenzte, wird verneint, ist aber eine unangemessene Benachteiligung
(BGH VersR 1999, 745 ff.). Eine Klausel, welche die Minderung der Versicherungssumme
wegen früherer Zahlungen vorsieht, ist dagegen als überraschend klassifiziert worden (vgl.
BGB, NJW 1985, 971).
(3) Unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB
Die beiden Tatbestände des § 307 Abs. 2 BGB sollen § 307 Abs. 1 BGB inhaltlich konkretisieren. Sie stellen gesetzliche Regelbeispiele einer unangemessenen Benachteiligung dar.
Bei der Beurteilung, ob eine unangemessene Benachteiligung vorliegt, ist von den Vorschriften des dispositiven Rechts auszugehen, die ohne die Klausel gelten würden. Voraussetzung ist, dass die Abweichung vom dispositiven Recht Nachteile von einigem Gewicht begründet. Unangemessen ist die Benachteiligung, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGHZ 1990, 280, 284). Zur
Beurteilung bedarf es einer umfassenden Würdigung, in die die Interessen beider Parteien,
die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise und die sich aus der Gesamtheit der
Rechtsordnung ergebenden Bewertungskriterien einzubeziehen sind (BGH, ZIP 2008, 1729).
(4) Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB
Dem Transparenzgebot kommt im Versicherungsrecht besondere Bedeutung zu, da die
Rechtstechnik der Risikoabgrenzung einfach höhere intellektuelle Anforderungen an den
Versicherungsnehmer stellt. Nicht nur die einzelne Regelung und ihre Überschrift, sondern
auch Aufbau und Systematik der Bedingungswerke müssen dem Transparenzgebot Rechnung tragen. Klauseln, die an verschiedenen Stellen in den Bedingungen niedergelegt sind,
die nur schwer miteinander in Zusammenhang zu bringen sind oder deren Regelungsgehalt
auf andere Weise durch die Verteilung auf mehrere Stellen verdunkelt wird, halten einer Inhaltskontrolle nicht stand. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers an, von dem allerdings die aufmerksame Durchsicht der
Bedingungen, deren Verständigung und Würdigung und die Berücksichtigung ihres erkennbaren Sachzusammenhangs erwartet werden kann (vgl. BGB, NJW-RR, 2005, 1189 ff.). Eine Klausel über deren Inhalt Rechtsprechung und Literatur streiten oder mit feinsinnigsten
Dr. Konstantin Kirsten
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Begrenzungen arbeiten müssen, ist im Zweifel intransparent (vgl. OLG Nürnberg, VersR
2002, 967).
ee) Unwirksamkeitsfolgen
§ 306 Abs. 1 BGB enthält eine Sonderregelung gegenüber § 139 BGB. Im Gegensatz zu
§ 139 BGB, der im Zweifel die Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäftes anordnet, bleibt
gemäß § 306 Abs. 1 BGB der Vertrag bei Unwirksamkeit einer allgemeinen Geschäftsbedingung im Übrigen bestehen. Hiermit wird dem Schutzbedürfnis des Kunden Rechnung getragen, der in der Regel trotz der unwirksamen Klausel ein Interesse an der Aufrechterhaltung
des Vertrages hat.
Verstößt eine Klausel gegen § 307 ff. BGB ist sie unwirksam, der Vertrag im Übrigen aber
grundsätzlich wirksam (Ausnahme § 306 Abs. 3 BGB). Die hierdurch entstandene Lücke ist
nach § 306 Abs. 2 BGB durch die gesetzlichen Vorschriften zu füllen. Ausnahmeregelungen
gibt es im Versicherungsrecht für den Bereich der Lebensversicherung, der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Krankenversicherung durch die §§ 164, 176, 203 VVG, wonach es
dem Versicherer in den genannten Versicherungszweigen unter bestimmten, sehr engen
Voraussetzungen möglich ist, eine unwirksame Klausel zu ersetzen. Ein allgemeines Bedingungsanpassungsrecht für andere Versicherungszweige findet sich im VVG hingegen nicht.
Nach dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (vgl. BGH, NJW 1996, 1407, 1408)
ist es unzulässig, eine unwirksame Klausel mit gerade noch zulässigem Inhalt aufrechtzuerhalten. Bei der geltungserhaltenden Reduktion geht daher um Klauseln, die zulässige und
unzulässige Tatbestände sprachlich nicht trennbar verbinden, bei denen daher die Ausgrenzung der unzulässigen und die Aufrechterhaltung der zulässigen Teile nur durch eine sprachliche Umgestaltung erreicht werden könnte, so etwa überlange oder zu kurze Fristen auf die
zulässige Dauer verkürzt oder verlängert werden könnten. Die Sanktion der vollständigen
Unwirksamkeit soll verhindern, dass der Klauselverwender, vorliegend der Versicherer, bewusst unwirksame Klauseln in seine AVB mit aufnimmt, ohne dabei das Risiko der Gesamtunwirksamkeit der Klausel einzugehen.
Ein Verstoß gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion liegt jedoch nicht vor,
wenn in einer Klausel mehrere eigenständige Regelungen enthalten sind, so dass sich die
Aufrechterhaltung zulässiger Teile durch bloße Streichung unzulässiger Passagen bewerkstelligen lässt. Dabei geht es nicht darum, für eine unlässige Klausel eine neue Fassung zu
finden, die für den Verwender möglichst günstig, aber rechtlich gerade noch zulässig ist. Eine sprachlich und inhaltlich teilbare AVB-Klausel wird hier vielmehr ohne ihre unzulässigen
Bestandteile mit ihrem zulässigen Inhalt aufrechterhalten.
Von der geltungserhaltenden Reduktion ist die ergänzende Vertragsauslegung zu unterscheiden. Steht dispositives Gesetzesrecht, wie es im Versicherungsrecht sehr häufig der
Fall ist, zur Füllung der durch den Wegfall der Klausel entstandenen Lücke nicht zur Verfügung, entfällt die Klausel ersatzlos. Ein Rückgriff auf die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung ist grundsätzlich nicht geboten. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die ersatzlose Streichung ausnahmsweise keine angemessene, den typischen Interessen des
AGB-Verwenders und seines Vertragspartners Rechnung tragende Lösung bietet (vgl. BGH,
NJW 2000, 1110, 1114). In diesem Fall ist die Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Diese orientiert sich bei allgemeinen Geschäftsbedingungen
an einem objektiv-generalisierenden Maßstab, der sich am Willen und Interesse der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrsreise auszurichten hat.
Dr. Konstantin Kirsten
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III. Zustandekommen des Versicherungsverhältnisses
1. Vertragsschlussmodelle
Nach dem alten Recht erfolgte der Vertragsschluss üblicherweise nach dem sog. Policenmodell. Danach werden erst mit der Annahmeerklärung des Versicherers die erforderlichen
Informationen (AVB, Verbraucherinformationen etc.) übersandt. Der Versicherungsnehmer
hatte nach altem Recht (§ 5 a) VVG a.F.) die Möglichkeit des Widerspruchs. Der Antrag erfolgte von dem Versicherungsnehmer. Die Annahme erfolgte durch den Versicherer, indem
er die Versicherungspolice ausfertigte und dem Versicherungsnehmer übersandte.
Im reformierten VVG ist § 5 a) VVG a.F. ersatzlos gestrichen worden. Gemäß § 7 Abs. 1
VVG hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer rechtzeitig vor Abgabe schon dessen
Vertragserklärung sowie seine Vertragsbedingungen einschließlich Verbraucherinformationen in Textform mitzuteilen. Was als rechtzeitig im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist,
dürfte von der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrages abhängen. Die Verletzung des § 7 Abs. 1 VVG ist sanktioniert dadurch, dass die Widerrufsfrist des § 8 Abs. 2
VVG nicht zu laufen beginnt.
Grundsätzlich wäre es wohl möglich, das Policenmodell heutzutage auch weiter zu verwenden, d.h. den Kunden erst mit der Police die entsprechenden Vertrags- und Informationsunterlagen zur Verfügung zu stellen. Da der Gesetzgeber aber offensichtlich hiervon abgerückt
ist, könnte diese grundsätzliche Verfahrensweise einen Missstand darstellen, bezüglich dessen, dass das Bundesaufsichtsamt gemäß § 81 VAG einschreiten könnte. Auch könnte der
Versicherer sich ggf. Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Versicherungsnehmer aussetzen.
Gesetzlicher Regelfall ist das sog. Antragsmodell. Nach diesem stellt der Versicherungsnehmer nach Übergabe aller erforderlichen Vertragsinformationen den Antrag auf Abschluss
des Versicherungsvertrages (Angebot), den der Versicherer dann annimmt und nur noch den
Versicherungsschein übersendet. Diesem Kernstück der Reform liegt der gesetzgeberische
Wunsch zugrunde, dass der VN als “mündiger Verbraucher“ sämtliche für seine Willensbildung erforderlichen Informationen bereits vor Abgabe seiner Vertragserklärungen einsehen
kann.
Das Antragsmodell führt in der Vertriebspraxis aber zu einem erheblichen Mehraufwand, da
so gut wie zwingend mindestens 2 Vermittlerbesuche notwendig sind. Im ersten Gespräch
wird der Bedarf ermittelt und es muss beraten werden. Erst danach kann in der Regel das
konkrete Produkt bzw. der Tarif bestimmt werden. Daraufhin müssen die Vertragsunterlagen
zusammengestellt, die dem Kunden in dem einem zweiten Kontakt vorgelegt bzw. mit diesem besprochen werden, damit er danach seinen Antrag stellen kann.
Ein weiteres Modell ist das sog. Invitatio-Modell. Beim Invitatio-Modell (Angebotsmodell)
gibt der VN durch Ausfüllen des Antragsformulars noch keinen rechtlich bindenden Antrag im
Sinne des § 145 BGB ab, sondern fordert lediglich den Versicherer auf, ihm ein Angebot zu
unterbreiten, welches er dann annimmt (sog. Invitatio ad offerendum – Einladung zum Angebot). Der Antrag, den der VN annehmen kann, liegt also in der Übersendung der Police, der
Bedingungen und der erforderlichen Informationen. Die Annahmeerklärung des Versicherungsnehmers führt als Willenserklärung unter Abwesenden erst mit Zugang beim Versicherer zum Vertragsschluss. Als möglich erscheinen auch eine konkludente Vertragsannahme z.
B. durch Zahlung der Prämie. Bezüglich sämtlicher Vertragsschlussmodelle bestehen derzeit
erhebliche rechtliche Unsicherheiten, welche künftig durch die Gerichte zu beseitigen sind.
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2. Versicherungsschein
Der Versicherungsschein ist die Urkunde über den zustandegekommenen Versicherungsvertrag. Eine Legaldefinition befand sich in § 3 Abs. 1 VVG a.F.. Nach neuem Recht ist eine
Legaldefinition im Gesetz nicht näher zu finden, da hierfür nach Ansicht des Gesetzgebers
kein praktisches Bedürfnis mehr bestand. Der Versicherungsschein enthält sämtliche vertraglichen Vereinbarungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer (z. B. spezifisch
versichertes Risiko, die Vertragspartner und die übrigen am Vertrag Beteiligten, die Versicherungssummen, Versicherungsbeginn und –dauer und der Versicherungsbeitrag). Üblicherweise enthält der Versicherungsschein auch die dem Vertrag zugrunde liegenden Vertragsbedingungen (AVB).
Weder Ausstellung noch Übermittlung des Versicherungsscheins sind Voraussetzungen für
das Zustandekommen des Versicherungsvertrages. Es handelt sich insoweit nur um eine
Beweisurkunde, die die widerlegbare Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit begründet (OLG Karlsruhe, VersR 1995, 999). Der Zugang des Versicherungsscheins ist jedoch für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich (vgl. § 8 Abs. 2 S. 1 VVG). Unter den
Voraussetzungen des § 5 VVG kommt dem Versicherungsschein auch vertragsgestaltende
(konstitutive) Wirkung zu, wenn er vom Antrag des Versicherungsnehmers abweicht.
3. Abweichung des Versicherungsscheins vom Antrag
Die Risikoprüfung durch den Versicherer kann diesen veranlassen, den gestellten Antrag
nicht einfach anzunehmen, sondern nur mit Abweichungen zu akzeptieren, z. B. in der Krankenversicherung mit einem Prämienzuschlag für eine Vorerkrankung des Versicherungsnehmers. Nach allgemeinem Zivilrecht (§ 150 Abs. 2 BGB) wäre in der Zusendung des vom
Antrag inhaltlich abweichenden Versicherungsscheins eine Ablehnung des Antrages, verbunden mit einem jetzt vom Versicherer gemachten Gegenangebot zu sehen. Der Vertragsschluss hinge dann davon ab, ob der Versicherungsnehmer dieses Gegenangebot ausdrücklich oder schlüssig (z. B. durch Bezahlung der Prämie usw.) annimmt. Diese Regel gilt für
Versicherungsverträge nicht. § 5 VVG verdrängt § 150 Abs. 2 BGB als lex specialis. Für Versicherungsverträge gilt die sog. Billigungsklausel nach § 5 VVG. Erhält der Versicherungsnehmer einen dem Versicherungsantrag nicht entsprechenden Versicherungsschein, gilt die
Abweichung als genehmigt, wenn nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins widerspricht, d.h. sein Schweigen wird als rückwirkende Annahme des Gegenangebotes angesehen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Versicherer in dem Versicherungsschein auf die einzelnen Abweichungen und die hiermit verbundenen Rechtsfolgen besonders aufmerksam macht und ihm deutlich auch die Rechtsfolgen eines Schweigens hinweist (§ 5 Abs. 2 VVG). Erfolgt die Kenntlichmachung der Abweichung nicht oder
fehlt die Belehrung bzw. ist diese fehlerhaft, dann kommt der Versicherungsvertrag gemäß §
5 Abs. 3 VVG entsprechend dem Enthalt des Antrages zustande. Sanktion des mangelnden
Hinweises und der Kenntlichmachung des Versicherers ist mithin, dass der Vertrag dann auf
Basis des Antrages des Versicherungsnehmers zustande kommt.
IV. Dauer und Beendigung des Versicherungsvertrags
1. Vertragsdauer / Versicherungsdauer
Im Versicherungsrecht ist zwischen der sog. formellen, materiellen und technischen Vertragsdauer zu unterscheiden.
Ein Versicherungsvertrag kommt wie andere Verträge in dem Zeitpunkt zustande, in dem die
Annahmeerklärung der antragstellenden Partei zugeht. Man bezeichnet dies als den formellen Versicherungsbeginn. Die Vertragsdauer richtet sich nach der Vereinbarung der ParDr. Konstantin Kirsten
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teien. Als Ende des Vertrages kann ein bestimmtes Datum oder konkretes Ereignis, wie z. B.
das Ende einer Reise, vereinbart werden. Ein Versicherungsverhältnis kann auch auf unbestimmte Dauer eingegangen werden (s. § 11 Abs. 2 VVG). Es endet dann mit dem Wirksamwerden einer Kündigung.
Nach § 11 Abs. 4 VVG kann ein Versicherungsverhältnis, das für eine Dauer von mehr als
drei Jahren eingegangen worden ist, zum Ende des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres gekündigt werden.
Von der formellen Vertragsdauer ist der Zeitraum zu unterscheiden, dessen Inhalt ein Ereignis zum Versicherungsfall werden kann, und damit die Leistungspflicht der Versicherung
auslöst. Man spricht diesbezüglich von der materiellen Versicherungsdauer (Haftungsdauer) und dementsprechend vom materiellen Versicherungsbeginn.
Die Haftungsdauer richtet sich in erster Linie nach der vertraglichen Vereinbarung. Eine Auslegungsregel gibt es in § 10 VVG. Danach beginnt die Versicherung mit Beginn des Tages,
in welchem der Vertrag geschlossen wird und endet mit Ablauf des letzten Tages der Frist,
die als Vertragsdauer vereinbart wird. Von der Bestimmung im Vertrag abgesehen, kann der
Haftungsbeginn aber auch davon abhängen, ob der Versicherungsnehmer die Prämie rechtzeitig bezahlt hat (§ 37 Abs. 2 VVG).
Im Normalfall fällt der Haftungsbeginn mit dem formellen Versicherungsbeginn zusammen
oder folgt ihm nach. Ausnahmsweise kann dies auch umgekehrt sein, dann liegt eine sog.
Rückwärtsversicherung (vgl. § 2 Abs. 1 VVG) vor.
Eine Besonderheit für den Haftungsbeginn regelt § 37 Abs. 2 S. 1 VVG. Danach beginnt die
Haftung des Versicherers erst ab dem Zeitpunkt, in dem die einmalige oder erste Prämie
bezahlt worden ist, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten (sog. Einlösungsprinzip). Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass der
Versicherer einerseits auf die Prämieneingänge angewiesen ist, um seinen Leistungspflichten aus eingetretenen Versicherungsfällen nachkommen zu können, und dass es andererseits zu kostenträchtig ist, einzelne Prämien in meinst geringer Höhe einzutreiben. Zugleich
wird auf Seiten vieler Versicherungsnehmer auch einem psychologischem Umstand begegnet, der in der „Unsichtbarkeit“ der Risikotragung begründet ist: Angenommen der Versicherer kassiert für eine kurzfristige Reisegepäckversicherung die Prämie nicht gleich bei Vertragsschluss, dann glauben viele Versicherungsnehmer nach schadensfreiem Verlauf der
Reise der Versicherer habe keinerlei Leistung erbracht. Dies ist aber nicht richtig, da der
Versicherer sehr wohl eine Gegenleistung erbracht hat, nämlich die wirtschaftliche Risikotragung.
Die Regelung der Einlösungsklausel ist allerdings unpraktisch für den Fall, wenn einem redlichen Versicherungskunden schon vor Zahlung der ersten Prämie Versicherungsschutz gewährt werden soll. Zu diesem Zweck kann die Regelung des § 37 Abs. 2 S. 1 VVG vertraglich mit der Folge abbedungen werden, dass die Haftung des Versicherers mit dem formellen
Vertragsschluss oder jeweils dem im Vertrag vorgesehenen Zeitpunkt ohne Rücksicht darauf
beginnt, ob auch die Prämie schon bezahlt ist. So wird oft ausdrücklich vereinbart, dass die
Haftung zum vereinbarten Zeitpunkt beginnt, wenn nur die Prämie nach späterer Aufforderung unverzüglich oder innerhalb eines bestimmten Zeitraumes entrichtet wird (sog. erweiterte Einlösungsklausel). § 37 Abs. 2 S. 1 VVG kann auch stillschweigend abgedungen
werden. Die Leistungsfreiheit bei Nichtzahlung der Erstprämie ist jedoch nur dann gegeben,
wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer entsprechend gesonderter Mitteilung in
Textform oder durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein auf diese Rechtsfolge
der Nichtzahlung der ersten oder einmaligen Prämie hingewiesen hat.
Ein Dritter, juristisch weniger problematischer Zeitraum, ist derjenige, für den der Versicherungsnehmer die Prämie schuldigt. Man spricht von technischer Versicherungsdauer
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(prämienbelasteter Zeitraum). Der prämienbelastete Zeitraum kann nach Vereinbarung von
der formellen und materiellen Vertragsdauer abweichen. Der Versicherungsnehmer zahlt
dann für einen Zeitraum Prämie, ohne für diesen Zeitraum auch Versicherungsschutz zu
haben, d.h. es geht darum, dass sich der Versicherungsnehmer durch Vordatierung des
Zeitpunkts, ab dem die Prämie zu zahlen ist, Vorteile erkauft, z. B. ein günstigeres Eintrittsalter in der Lebens- oder Krankenversicherung.
2. Beendigung des Versicherungsvertrages
Ein Versicherungsverhältnis kann wie andere Vertragsverhältnisse durch Ablauf, durch das
zeitliche Ende eines gedeckten Ereignisses (z. B. Reise, Transport usw.), durch einverständliche Aufhebung des Vertrages sowie durch Rücktritt oder Kündigung enden. Daneben hat
der Versicherungsnehmer das Recht, den Vertragsschluss zu widerrufen. Für die Beendigung durch Zeitablauf und einverständliche Vertragsaufhebung kann auf das allgemeine
Schuldrecht verwiesen werden. Näherer Betrachtung bedürfen Rücktritt, Kündigung sowie
das allgemeine Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers.
a) Der Widerruf des Versicherungsnehmers
aa) Das Widerrufsrecht, § 8 VVG
Der Versicherungsnehmer kann grundsätzlich innerhalb einer zweiwöchigen Frist den Vertragsschluss widerrufen. Während der Widerruflichkeit ist der Vertrag schwebend wirksam.
Es besteht im Gegensatz zur früheren Rechtslage ein allgemeines Widerrufsrecht unabhängig davon, unter welchen Umständen der Vertragsschluss zustande kommt und ob der Versicherungsnehmer eine natürliche oder juristische Person ist. Nur ausnahmsweise besteht
kein Widerrufsrecht. Diese Ausnahmen sind in § 8 Abs. 3 S. 1 VVG geregelt. Die Widerrufsfrist beträgt zwei Wochen, in der Lebensversicherung beträgt sie dreißig Tage (§ 172 Abs. 1
VVG).
Die Frist beginnt zum Schutz des Versicherungsnehmers erst zu laufen, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein, sämtliche nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 VVG vorgeschriebenen Unterlagen und Informationen sowie eine ordnungsgemäße Belehrung über das
Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs in Textform zugegangen sind. Die
Belehrung genügt den Anforderungen, wenn das vom Bundesministerium der Justiz aufgrund der Rechtsform und nach § 8 Abs. 5 VVG veröffentlichte Muster verwendet wird. Ein
derartiges Muster ist bisher aber nicht veröffentlicht worden.
Die Beweislast des für den die Widerrufsfrist in Gang setzenden Zugangs der Unterlagen
liegt beim Versicherer. Ebenfalls obliegt dem Versicherer die Beweislast für die ordnungsgemäße Belehrung. Dies hat in der Praxis besondere Bedeutung, da das Nichtlaufen der
Widerrufsfrist es dem Versicherungsnehmer dauerhaft ermöglicht, sich jederzeit vom Vertrag
zu lösen.
Entgegen der früheren Rechtslage, wonach gemäß § 5 a) Abs. 2 S. 4 VVG a.F. auch bei
Nichtzugang der erforderlichen Belehrung und Unterlagen das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmer binnen Jahresfrist nach Zahlung der Erstprämie erloschen ist, ist eine derartige Ausschlussfrist im neuen Gesetz nicht gegeben. Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer nunmehr ein sog. ewiges Widerrufsrecht haben kann. Noch Jahre nach Vertragsschluss ist es ihm daher möglich, sich ohne Angabe von Gründen vom Vertrag zu lösen. Die Widerrufserklärung hat in Textform zu erfolgen, bedarf der Angabe von Gründen
nicht. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.
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bb) Rechtsfolgen des Widerrufs, § 9 VVG
Ausgehend davon, dass der Versicherungsschutz bereits während des Laufes der Widerrufsfrist beginnt (anderenfalls gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen der §§ 357,
346 ff. BGB), regeln sich die Rechtsfolgen des Widerrufs nach § 9 VVG.
Unmittelbar geregelt werden die Rechtsfolgen hinsichtlich der Prämienzahlung, die der Versicherungsnehmer vor Ausübung seines Widerrufs bereits an den Versicherer geleistet hat.
Mittelbar werden aber auch die Rechtsfolgen des Widerrufs für die Leistung (Leistungspflicht) des Versicherers geregelt. Für die Lebensversicherung enthält § 152 Abs. 2 VVG
eine gegenüber § 9 VVG vorrangige spezielle Regelung.
Das Schicksal der Prämie ist in § 9 S. 1 VVG geregelt. Sofern der Versicherer den Versicherungsnehmer ordnungsgemäß auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und
den im Falle des Widerrufs zu zahlenden Prämienteil hingewiesen und der Versicherungsnehmer außerdem zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz bereits vor Ende der Widerrufsfrist beginnt (diesbezüglich sind keine hohen Anforderungen nötig, der normale Vertragsschluss reicht aus), hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer nur den auf die Zeit
nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der von diesem geleisteten Prämien zu erstatten. Mithin hat der Widerruf rechtlich die Wirkung einer Kündigung. Den auf den Zeitraum
vor Zugang des Widerrufs entfallenden Prämienanteil darf der Versicherer behalten. Diesbezüglich hat er auch Versicherungsschutz gewährt, weswegen er, was sich aus dem Gesetzestext selbst direkt nicht ergibt, auch Leistungen für Versicherungsfälle, die vor Zugang des
Widerrufs eintreten, zu erbringen hat.
Zweck der Regelung ist, den Parteien eines Versicherungsvertrages die Möglichkeit einzuräumen, den Vertrag für den Zeitraum der Widerruflichkeit vereinbarungsgemäß durchzuführen. Sofern der Versicherer aber den strengen Hinweisauflagen nicht nachkommt, enthält § 9
S. 2 VVG eine spezielle Regelung. Danach hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer
zusätzlich die geleisteten Prämien für das erste Beitragsjahr zurückzuerstatten. Dies ist
ausnahmsweise nicht der Fall, wenn der Versicherungsnehmer bereits Leistungen aus dem
Versicherungsvertrag in Anspruch genommen hat. § 9 S. 2 VVG beinhaltet die Sanktion für
den Versicherer, dass er seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen ist.
Besonderheiten ergeben sich in der Lebensversicherung, bei welcher der Versicherungsnehmer wählen kann, ob er entweder den Rückkaufswert einschließlich Überschussanteilen
oder, wenn für ihn günstiger, die für das erste Jahr gezahlten Prämien zurückverlangen
kann. Auf die Besonderheiten in der Lebensversicherung ist der Versicherungsnehmer ebenfalls hinzuweisen.
b) Rücktritt
Rücktritt und Kündigung werden an dieser Stelle lediglich im Überblick behandelt. Die einzelnen Rücktritts- und Kündigungsgründe werden jeweils im konkreten Zusammenhang
(z. B. Obliegenheitsverletzung usw.) besprochen.
Der Rücktritt führt nach dem allgemeinen Schuldrecht grundsätzlich zur Rückabwicklung des
Vertragsverhältnisses. Das VVG berücksichtigt bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Rücktrittsfolgen jedoch, dass der Versicherungsvertrag ein Dauerschuldverhältnis ist und Dauerschuldverhältnisse, die schon teilweise erfüllt worden sind, grundsätzlich nicht rückabgewickelt werden, sondern durch Kündigung nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden.
Der “Rücktritt“ nach dem VVG ist deshalb terminologisch als ein „Zwitter“ zwischen Rücktritt
und Kündigung nach dem BGB einzuordnen, wenn der Versicherer einen Anspruch auf eine
angemessene Geschäftsgebühr gemäß § 39 Abs. 1 S. 3 VVG oder sogar den Anspruch auf
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die Prämie bis zum Wirksamwerden der Rücktrittserklärung gemäß § 39 Abs. 1 S. 2 VVG
behält.
Das VVG gewährt dem Versicherer ein derartiges Rücktrittsrecht, wenn der Versicherungsnehmer die einmalige oder die erste von mehreren Prämien nicht bezahlt (§ 37 Abs. 1 VVG)
und wenn der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss gefahrerhebliche Umstände nicht
oder falsch angezeigt hat (§ 19 Abs. 2 VVG).
Der Rücktritt wird durch empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt. Ggf. bedarf es zusätzlicher Anforderungen (z. B. § 21 Abs. 1 VVG).
c) Kündigung
Die ordentliche Kündigung von Versicherungsverträgen ist in § 11 Abs. 2 bis 4 VVG geregelt. Diese Vorschrift ist halbzwingend (§ 18 VVG). § 11 Abs. 3 VVG bestimmt für Verträge
auf bestimmte Zeit mit Verlängerungsklausel und für Verträge auf unbestimmte Zeit, dass die
Kündigungsfrist für beide Vertragsparteien gleich sein muss. Bezüglich des zulässigen kündigungsfesten Zeitraums ist für die auf unbestimmte Zeit eingegangene Versicherungsverhältnisse geregelt, dass die Parteien bis zu einer Dauer von 2 Jahren auf das Kündigungsrecht verzichten können (§ 11 Abs. 2 VVG). Ein Versicherungsvertrag, der für die Dauer von
mehr als 3 Jahren geschlossen worden ist, kann vom Versicherungsnehmer zum Schluss
des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres und Einhaltung einer Frist von drei Monaten
gekündigt werden (§ 11 Abs. 4 VVG). Zu Gunsten des Versicherers sieht das Gesetz ein
solches Kündigungsrecht nicht vor. Der Versicherer kann sich ein entsprechendes Kündigungsrecht jedoch in seinen AVB vorbehalten. § 18 VVG steht dem nicht entgegen.
Bei den meisten Arten der Krankenversicherung, insbesondere in der substitutiven Krankenversicherung, hat der Versicherer allerdings aus sozialen Gründen kein ordentliches Kündigungsrecht (§ 206 VVG, halbzwingend nach § 208 VVG). Auch in der Lebensversicherung
hat der Versicherer kein ordentliches Kündigungsrecht ohne dass dies im Gesetz ausdrücklich gesagt würde. Im Übrigen sind für die Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung die
Sonderregelungen der §§ 168, 176 VVG zu beachten, für die Krankenversicherung § 205
VVG. Für einen auf unbestimmte Zeit eingegangenen Vertrag über vorläufige Deckung ist
§ 52 Abs. 4 VVG zu beachten.
Die außerordentliche Kündigung, welche meist mit einer Kündigungsfrist auszuüben ist,
bietet beiden Parteien oder auch nur einer Partei die Möglichkeit sich aus besonderem Anlass vorzeitig von dem Vertrag zu lösen (z. B. nach Prämienerhöhung, § 40 VVG; nach einem Versicherungsfall in der Sachversicherung, § 92 VVG; nach einer Veräußerung in der
Sachversicherung § 96 VVG).
Die fristlose Kündigung ist schließlich eine Reaktion auf schwere Vertragsstörungen, die
meist auf schuldhaften Vertragsverletzungen der anderen Partei beruhen (z. B. Kündigung
des Versicherers wegen vorsätzlicher und grob fahrlässiger Gefahrerhöhung durch den Versicherungsnehmer, § 24 Abs. 1 VVG).
V. Vorläufige Deckung
Oftmals besteht ein erhebliches Interesse, Versicherungsschutz bereits vor Abschluss eines
beabsichtigten Versicherungsvertrages zu erhalten, um z. B. die Zeit zu überbrücken, die für
Verhandlungen über einen endgültigen Vertrag, für die Beibringung der notwendigen Unterlagen durch den Versicherungsnehmer, für die Prüfung des Antrags durch den Versicherer
einschließlich der Risikoprüfung und Tarife sowie für gesetzlich vorgeschriebene Informationen benötigt wird. Hierfür gibt es die sog. vorläufige Deckung.
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§ 49 Abs. 1 S. 1 VVG stellt klar, dass es sich bei der Gewährung einer vorläufigen Deckung
um einen eigenständigen Versicherungsvertrag handelt, der von dem in aller Regel sich anschließenden Hauptvertrag zu unterscheiden ist. Wesentliches Merkmal des Vertrages ist,
dass der Versicherer das Risiko des Versicherungsnehmers für einen vorübergehenden Zeitraum bis zum endgültigen Versicherungsschutz absichert. Grundsätzlich gelten die jeweils
einschlägigen Vorschriften des VVG auch für diesen Vertrag über die vorläufige Deckung.
Ausnahmen bestehen hinsichtlich der Vorschriften über die dem Versicherungsnehmer vor
Vertragsschluss zu erteilenden Informationen, um den Abschluss des nur vorübergehenden
Vertrages zu erleichtern. So besteht die Möglichkeit, dass der Versicherungsnehmer ggf.
auch stillschweigend darauf verzichtet, dass ihm gemäß § 7 Abs. 1 VVG vor Abgabe seiner
Vertragserklärung die Versicherungsbedingungen sowie weiteren Informationen ausgehändigt werden. Diese Unterlagen müssen nur auf Verlangen dem Versicherungsnehmer und
spätestens mit dem Versicherungsschein in Textform übermittelt werden. Für den Hauptvertrag verbleibt es den Informationspflichten des Versicherers nach § 7 Abs. 1 VVG.
§ 49 Abs. 2 S. 1 VVG bestimmt abweichend von § 305 Abs. 2 BGB, dass die AVB des Versicherers auch bei Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises zum Vertragsbestandteil werden. In
erster Linie sind dies die vom Versicherer für den vorläufigen Deckungsschutz verwendeten
Bedingungen. Gibt es solche Bedingungen nicht, gelten die Bedingungen des Versicherers
für den angestrebten Hauptvertrag.
Kommt kein Hauptvertrag zustande, legt § 50 VVG fest, dass sich der Prämienanspruch pro
rata temporis nach der Prämie bestimmt, die bei Zustandekommen des Hauptvertrages für
diesen zu zahlen wäre. Eine hiervon abweichende Vereinbarung ist zulässig. Der Versicherer kann z. B. eine Abrechnung nach einem Kurztarif vereinbaren.
Bei einem Vertrag über vorläufige Deckung geht es dem Versicherungsnehmer in aller Regel
darum, sofort den Versicherungsschutz für das bestimmte Risiko zu erhalten. Dementsprechend verzichtet der Versicherer im Allgemeinen darauf, die sofortige Zahlung der Prämie
als Voraussetzung für den Beginn der vorläufigen Deckung zu verlangen. Ist dies trotzdem
der Fall, beurteilt sich die Leistungspflicht des Versicherers nach § 37 Abs. 2 VVG. Wegen
der sich hieraus ergebenden Risiken für den Versicherungsnehmer kann der Versicherer
sich nur auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er gemäß § 51 VVG den Versicherungsnehmer
durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein oder durch gesonderte Mitteilung in
Textform hierüber aufgeklärt hat. Erfolgt dies nicht, tritt Leistungsfreiheit gemäß Zahlung der
Erstprämie im Versicherungsfall nicht ein.
Für den vorläufigen Deckungsschutz in der Kfz-Haftpflichtversicherung enthält § 9 S. 2
KfzPflVV eine besondere Regelung. Sofern der Versicherer den Versicherungsnehmer
schriftlich darüber belehrt, kann sich der Versicherer vorbehalten, dass die vorläufige Deckung rückwirkend außer Kraft tritt, wenn bei einem unverändert angenommen Versicherungsantrag der Versicherungsschein nicht binnen einer im Versicherungsvertrag bestimmten, mindestens zweiwöchigen Frist eingelöst wird und der Versicherungsnehmer die Verspätung zu vertreten hat. Dadurch soll der Versicherungsnehmer über die gravierenden
Konsequenzen eines rückwirkenden Wegfalls des Versicherungsschutzes (vgl. § 6 Pflichtversicherungsgesetz) belehrt werden.
Eine Regelung zur Beendigung des Vertrages über die Deckung findet sich in § 52 VVG.
Diese trägt zum einen der Überlegung Rechnung, dass der Versicherungsnehmer sowohl
vor einem überraschenden Verlust des vorläufigen Versicherungsschutzes als auch vor einer
Mehrfachversicherung geschützt werden muss. Zum Schutz des Versicherungsnehmers endet der Vertrag über vorläufige Deckung nach § 52 Abs. 1 S. 1 VVG deshalb nicht mit Abschluss des Hauptvertrages und mit dem bisherigen Versicherer, sondern erst ab Beginn des
Versicherungsschutzes des Hauptvertrags. Des weiteren endet der Vertrag über die vorläufige Deckung auch mit einem Widerruf gemäß § 8 VVG oder einem Widerspruch nach § 5
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Abs. 1 VVG des Hauptvertrages (§ 52 Abs. 3 VVG). Eine zusätzliche Erklärung des Versicherungsnehmers über den Widerruf oder den Widerspruch hinaus wäre nicht erforderlich.
Ist das Vertragsverhältnis über vorläufige Deckung auf unbestimmte Zeit eingegangen, hat
jeder Vertragspartner das Recht, sich durch Kündigung von dem Vertrag ohne Einhaltung
einer Kündigungsfrist zu lösen. Die Kündigung des Versicherers wird allerdings erst zwei
Wochen nach dem Zugang beim Versicherungsnehmer wirksam (§ 52 Abs. 4 S. 2 VVG).
C. “Pflichten des Versicherungsnehmers“
I. Prämienzahlungspflicht
Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer das vereinbarte Entgelt (Prämie, § 1 S. 2 VVG) zu leisten. Es handelt sich um die vertragliche Hauptleistungspflicht des
Versicherungsnehmers. Die Prämie kann entweder als Einmalprämie für die gesamte Vertragsdauer oder fortlaufend während der Dauer des Vertrages zu zeitlich aufeinander folgenden Zeitpunkten zu entrichten sein. Bei der zweiten Alternative ist zwischen Erst- und Folgeprämie zu unterscheiden.
1. Fälligkeit
§ 33 VVG regelt als lex specialis zu § 271 BGB die Fälligkeit der Erst-/Einmal-Prämie. Die
Fälligkeit der Folgeprämie beurteilt sich demgegenüber nach § 271 BGB. Die Erst/Einmalprämie ist unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern, § 121 BGB) nach Ablauf von 2
Wochen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. Mit dem Aufschub der Fälligkeit
wird dem Umstand Rechnung getragen, dass grundsätzlich jedem Versicherungsnehmer ein
Widerrufsrecht (§ 8 VVG) zusteht. Der Versicherungsnehmer ist an seine Vertragserklärung
erst endgültig gebunden, wenn die Widerrufsfrist abgelaufen ist. Vor diesem Hintergrund wird
nach § 33 Abs. 1 VVG die Fälligkeit der Prämie auf den Zeitpunkt verschoben, zu dem im
Normalfall die Widerrufsfrist abläuft.
Wie der Versicherungsnehmer die Prämienzahlungsschuld erfüllen muss, ergibt sich im Wesentlichen aus den Allgemeinen Regelungen des BGB (§ 269 ff.). Hinsichtlich des Ortes der
Zahlung weicht § 36 VVG insoweit von § 269 BGB ab, als der jeweilige Wohnsitz des Prämienschuldners – nicht wie § 269 BGB der Wohnsitz zurzeit der Entstehung der Schuld –
Leistungsort ist. Kosten- und Gefahrtragung treffen allerdings nach § 36 Abs. 1 zweiter Halbsatz VVG ebenso wie nach § 270 Abs. 1 S. 1 BGB den Versicherungsnehmer. Es handelt
sich um eine “qualifizierte Schickschuld“. Vereinbaren die Parteien den Einzug vom Bankkonto des Kunden im Wege des Lastschriftverfahrens, liegt eine Hohlschuld vor. Der Versicherungsnehmer hat dann nur für die entsprechende Kontodeckung zu sorgen.
2. Rechtsfolgen der Nichtzahlung
Die Folgen der Nichtzahlung der Prämie und den Beginn der Gefahrtragung durch den Versicherer regeln §§ 37, 38 VVG abschließend. § 37 VVG betrifft den Fall des Einmal/Erstprämienverzuges. Wird eine einmalige oder die Erstprämien nicht rechtzeitig gezahlt, ist
der Versicherer – solange die Zahlung nicht bewirkt ist – zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten. Der Versicherer ist bei Eintritt des Versicherungsfalls vor Zahlung der Erst-/Einmalprämie gemäß §
37 Abs. 2 S. 1 VVG nicht zur Leistung verpflichtet, es sei denn, der Versicherungsnehmer
weist nach, dass er die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat und der Versicherungsnehmer
nicht entsprechend belehrt worden ist.
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Der Folgeprämienverzug ist Gegenstand des § 38 VVG. Wird eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, kann der Versicherer gemäß § 38 Abs. 1 VVG auf Kosten des Versicherungsnehmers in Textform eine Zahlungsfrist bestimmen, die mindestens 2 Wochen betragen
muss. Die Bestimmung ist nur wirksam, wenn sie die rückständigen Beiträge der Prämie,
Zinsen und Kosten im Einzelnen beziffert und die Rechtsfolgen angibt, die mit dem Ablauf
verbunden sind, namentlich die Leistungsfreiheit und das Recht zur Kündigung. Bei zusammengefassten Verträgen sind die Beträge jeweils getrennt anzugeben. Der Versicherer ist
nach § 38 Abs. 2 VVG nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsfall nach Fristablauf eintritt und der Versicherungsnehmer bei Eintritt mit der Zahlung der Prämie oder Kosten in Verzug ist. Nach Fristablauf kann der Versicherer nach § 38 Abs. 3 VVG den Vertrag
ohne Einhaltung einer Frist kündigen, sofern der Versicherungsnehmer mit der Zahlung der
geschuldeten Beiträge in Verzug ist. Die Kündigung kann dabei mit der Bestimmung der
Zahlungsfrist so verbunden werden, dass sie mit Fristablauf wirksam wird, wenn der Versicherungsnehmer zu diesem Zeitpunkt mit der Zahlung in Verzug ist. Hierauf ist der Versicherungsnehmer bei der Kündigung ausdrücklich hinzuweisen. Die Kündigung wird unwirksam,
wenn der Versicherungsnehmer innerhalb eines Monats nach der Kündigung oder, wenn sie
mit der Fristversäumung innerhalb eines Monats nach Fristablauf die Zahlung leistet. Davon
unberührt bleibt die Leistungsfreiheit nach § 38 Abs. 2 VVG.
II. Obliegenheiten
1. Charakterisierung
Eine Legaldefinition des Begriffes Obliegenheiten gibt es nicht. Obliegenheiten unterscheiden sich von Rechtspflichten darin, dass es nicht im Belieben des Rechtsverpflichteten steht,
seinen Pflichten nachzukommen oder nicht. Die Befolgung von Rechtspflichten kann gerichtlich oder behördlich erzwungen werden. Bei Verschulden ist der Vertragspartner zum Schadensersatz berechtigt. Obliegenheiten sind dagegen bloße Verhaltensnormen, die der Versicherungsnehmer zu beachten hat, um seinen Versicherungsanspruch zu behalten (vgl.
BGH, NJW 1967, 202 f.). Sie knüpfen direkt an ein Verhalten des Versicherungsnehmers
oder an Umstände an, deren Eintritt oder Ausbleiben wenigstens typischer Weise in der
Hand des Versicherungsnehmers liegt. Erfüllt der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit
nicht, führt diese bei Verschulden zu einer Verwirkung der eigenen Rechtsposition. Der
Versicherungsnehmer schadet nur sich selbst, die Einhaltung einer Obliegenheit kann nicht
erzwungen werden.
Obliegenheiten lassen sich nach Art ihrer Begründung in vertragliche und gesetzliche zeitliche Obliegenheiten vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls unterteilen.
Vertragliche Obliegenheiten sind solche, die entweder durch Individualabrede oder formularmäßig zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer vereinbart werden. Die einschlägige rechtliche Regelung für die Verletzung derartiger Obliegenheiten enthält § 28 VVG. Bei
den gesetzlichen Obliegenheiten handelt es sich regelmäßig um Anzeige- und Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers (z. B. §§ 19, 23, 30, 31 VVG). Regelmäßig übernimmt
der Versicherer die gesetzlichen Obliegenheiten in seine Versicherungsbedingungen und
versieht sie mit einer Rechtsfolge, sodass der Versicherungsnehmer auch vertraglich deren
Beachtung schuldet. Dies ist von besonderer Bedeutung bei den gesetzlichen Obliegenheiten an deren tatbestandsmäßige Verletzung keine Rechtsfolgen geknüpft sind (sog. leges
imperfecta). Beispiele hierfür sind die Anzeige- und Auskunftspflicht nach §§ 30, 31 VVG.
Vor Eintritt des Versicherungsfalls (präventiv) beachtende Obliegenheiten, dienen zur Minderung der Gefahr oder zur Verhinderung einer Gefahrerhöhung. Obliegenheiten, die im oder
nach Eintritt des Versicherungsfalls zu beachten sind (repressiv), dienen zur Minderung des
Schadens oder zur Erleichterung der Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers.
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2. Abgrenzung zu Risikobeschreibungen
Risikoausschlüsse nehmen bestimmte Risiken von vornherein aus dem Versicherungsschutz
heraus. Wenn sich ein Risiko verwirklicht, welches von dem Ausschluss umfasst wird, dann
besteht ohne weiteres kein Versicherungsschutz. Ein Verschulden des Versicherungsnehmers, die Kausalität seines Verhaltens u.s.w. ist nicht erforderlich. Dadurch besteht die Gefahr, dass ein Versicherer eher Risikoausschlüsse als Obliegenheiten vereinbaren will. Der
Schutzzweck der §§ 28, 32 VVG darf jedoch nicht dadurch umgangen werden, dass der Versicherer eine Obliegenheit durch die Formulierung einer Klausel oder durch ihren Standort
innerhalb des Regelwerks in eine Risikobeschreibung “ummünzt“. Wenn das Verhalten des
Versicherungsnehmers derart in einer objektiven Risikobeschreibung versteckt ist, spricht
man von einer sog. “verhüllten Obliegenheit“, sodass die §§ 28, 32 VVG Anwendung finden.
Für die Abgrenzung Risikobeschreibung/Obliegenheit kommt es darauf an, ob die Bestimmung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen die Beschreibung eines bestimmten
Wagnisses enthält, für das allein der Versicherer Schutz gewähren will oder, ob die Bestimmung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen in erster Linie ein bestimmtes vorbeugendes Verhalten des Versicherungsnehmer fordert, von dem es abhängt, ob dieser einen
zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Steht ein solches Verhalten
im Vordergrund und tritt es nicht hinter objektive Voraussetzungen wie z. B. dem Versicherungsort oder den Zustand der versicherten Sache zurück, so liegt eine Obliegenheit vor.
Wenn dagegen von vornherein nur ausschnittsweise Deckung gewährt und nicht ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen wird, so handelt es sich um eine Risikobeschreibung. Zu beachten ist, dass Unklarheiten bei der Auslegung nach § 305 c) Abs. 2 BGB zu Lasten des Versicherers gehen, mithin im Zweifel eine
Obliegenheit anzunehmen ist.
3. Rechtsfolgen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten
a) Grundlagen
§ 28 VVG, nach § 32 VVG halbzwingend, regelt allgemein die Mindestvoraussetzungen für
die Sanktionierung von vertraglichen Obliegenheiten und begrenzt die Art der zulässigen
Sanktionen. Dabei sind zwei Fragen zu unterscheiden: Einerseits, welche Auswirkungen die
Obliegenheitsverletzungen auf den Bestand des Vertrages haben, und andererseits, wie weit
der Versicherer für einen nach der Verletzung der Obliegenheit eingetretenen
Versicherungsfall leistungspflichtig ist. Die Rechtsfolgen bzw. die Voraussetzungen
unterscheiden sich abhängig vom Grad des Verschuldens des Versicherungsnehmers.
Entgegen dem alten Recht bleiben nach neuem Recht schuldlose und einfach fahrlässig begangene Verletzungen vertraglicher Obliegenheiten folgenlos. Sie führen weder zu einer
Anpassung des Vertrages, noch zur Leistungsfreiheit des Versicherers und auch nicht zu
einer Vertragsbeendigung für die Zukunft. Im Ergebnis heißt dies, dass das schuldlose oder
einfach fahrlässige Verhalten des Versicherungsnehmers kraft Gesetzes unter Versicherungsschutz steht. Ein Verlust oder eine Kürzung des Versicherungsschutzes setzt also voraus, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich bzw. grob fahrlässig vertragliche Obliegenheiten verletzt hat. Besondere Regelungen bestehen für arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers.
Die Klassifizierung des Verschuldensgrades richtet sich nach dem allgemeinen Schuldrecht.
Einfache Fahrlässigkeit ist gemäß § 276 Abs. 2 BGB gegeben, wenn der Versicherungsnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Grobe Fahrlässigkeit verlangt ein besonders grobes, schlechthin unentschuldbares Außerachtlassen dessen, was im
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konkreten Fall Jedermann hätte einleuchten müssen. Vorsatz verlangt das Kennen der Tatumstände und das Wollen ihrer Verwirklichung. Hierbei genügt bedingter Vorsatz, was bedeutet, dass der Versicherungsnehmer die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung und
diese billigend in Kauf genommen hat. Arglist ist eine Sonderform des Vorsatzes. Bei Täuschung über einen oder bei Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Umstandes handelt
arglistig, wer es mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß, damit rechnend oder billigend in Kauf nimmt, dass die andere Vertragspartei den Umstand nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Arglist
erfasst dabei nicht nur ein Handeln, das von trügerischer Absicht getragen ist, sondern auch
solche Verhaltensweisen, die auf bedingtem Vorsatz im Sinne eines für möglich Haltens reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss.
Bei Vorliegen des objektiven Tatbestandes einer Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit,
welche vom Versicherer zu beweisen ist, teilt sich die Beweislast bezüglich des Verschuldensgrades des Versicherungsnehmers dahingehend, dass der Gesetzgeber von einem
grundsätzlich grob fahrlässigen Verhalten des Versicherungsnehmers ausgeht. Behauptet
der Versicherungsnehmer ein geringeres Verschulden (Schuldlosigkeit, einfache Fahrlässigkeit), ist dies von ihm zu beweisen. Arglist und Vorsatz sind vom Versicherer nachzuweisen.
b) Schicksal des Vertrages als Ganzes
Verletzt der Versicherungsnehmer eine vertragliche Obliegenheit, die vor dem Eintritt des
Versicherungsfalls zu erfüllen ist, kann der Versicherer den Vertrag innerhalb eines Monats
ab Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung fristlos kündigen, § 28 Abs. 1 VVG. Voraussetzung ist, dass die Verletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgte, was widerlegbar vermutet wird. Um die Kündigung abzuwehren, muss der Versicherungsnehmer mithin nachweisen, dass er entweder einfach fahrlässig oder schuldlos gehandelt hat.
Für den Fall der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit, die nach dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen ist, enthält § 28 VVG keine Regelung über das Schicksal des Vertrages als Ganzes. Hier greifen aber das gesetzliche Kündigungsrecht wegen Eintritt des
Versicherungsfalls (§§ 92, 111 VVG) oder vergleichbare vertragliche Kündigungsrechte, die
an den Eintritt des Versicherungsfalls knüpfen. Dem Versicherer ist verwehrt, als Sanktion
für die Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit ein Rücktrittsrecht zu seinen Gunsten zu
vereinbaren, § 28 Abs. 5 VVG.
c) Leistungsfreiheit/-pflicht des Versicherers
Die Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit kann zur vollständigen oder teilweisen Leistungsfreiheit des Versicherers führen. Die Rechtsfolge der vollständigen und teilweisen Leistungsfreiheit tritt jedoch – anders als das Kündigungsrecht nach § 28 Abs. 1 VVG – nicht
kraft Gesetzes ein, sondern bedarf einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung.
Entgegen dem alten Recht wird in § 28 Abs. 2 – 4 VVG grundsätzlich nicht unterschieden, ob
es sich um eine Obliegenheit vor oder nach Eintritt des Versicherungsfalls handelt, die verletzt worden ist. Die einzige Durchbrechung enthält § 28 Abs. 4 VVG. Danach ist die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit bei Verletzung einer nach Eintritt des Versicherungsfalls bestehenden Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheit nicht nur von den allgemeinen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 und Abs. 3 VVG, sondern zusätzlich davon abhängig,
dass der Versicherer den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf
die Rechtsfolge vollständiger oder teilweiser Leistungsfreiheit hingewiesen hat. Dies ist dem
Versicherer grundsätzlich auch einfach möglich, in dem er z. B. in dem Schadenanzeigeformular eine entsprechende Belehrung aufnimmt. § 28 Abs. 4 VVG ist jedoch im Wege der
teleologischen Reduktion nicht auf solche Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten anzuDr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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wenden, denen wegen der praktischen Umstände des Regelungsgrundes keine Belehrung
durch den Versicherer vorausgehen kann. Ein Bespiel hierfür ist die Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungsfalls nach § 30 VVG.
Des Weiteren ist die Leistungsfreiheit des Versicherers nach neuem Recht nicht mehr davon
abhängig, dass er den Vertrag kündigt. Er hat nunmehr nach § 28 Abs. 1 VVG eine Kündigungsoption, welche aber zur Beurteilung der Frage, ob Leistungsfreiheit für ihn besteht,
nicht relevant ist. Nach altem Recht war der Versicherer gemäß § 6 Abs. 1 S. 3 VVG a.F.
(sog. Kündigungserfordernis) gehalten, den Vertrag binnen Monatsfrist zu kündigen, wenn er
sich auf Leistungsfreiheit berufen wollte. Tat er dies nicht, hatte er sich zum Vertrag bekannt
und war für den eingetretenen Versicherungsfall leistungspflichtig.
aa) Vollständige Leistungspflicht des Versicherers
Obliegenheitsverletzungen die schuldlos oder einfach fahrlässig begangen worden sind,
bleiben folgenlos. Diese Neuregelung, früher waren einfach fahrlässige Verstöße folgenschwer, trägt dem Umstand Rechnung, dass es häufig bei Abschluss von Versicherungen
um die Absicherung existenzieller Risiken wie des gesamten Vermögenswerts geht. Deswegen scheint es nach Ansicht des Gesetzgebers als sachgerecht, einfache fahrlässige Verstöße gegen vertragliche Obliegenheiten, die jederzeit auch einem redlichem Versicherungsnehmer passieren können, nicht zu sanktionieren, mit anderen Worten, den Versicherungsschutz auf einfaches fahrlässiges Fehlverhalten des Versicherungsnehmers zu erstrecken.
bb) Vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers
Bei Vorsatz des Versicherungsnehmers ist der Versicherer bei entsprechender vertraglicher
Vereinbarung leistungsfrei. Bei Verletzung einer nach Eintritt des Versicherungsfalls bestehenden Auskunft- und Aufklärungsobliegenheit ist das Belehrungserfordernis gemäß § 28
Abs. 4 VVG zu beachten. Ohne Belehrung keine Leistungsfreiheit.
Leistungsfreiheit besteht jedoch nicht, soweit die Obliegenheitsverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls, noch für die Feststellung oder den Umfang
der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich war (§ 28 Abs. 3 S. 1 VVG). Der entsprechende Kausalitätsgegenbeweis wäre von dem Versicherungsnehmer zu führen.
Der vom Versicherungsnehmer zu führende Kausalitätsgegenbeweis ist jedoch nicht eröffnet, wenn der Versicherungsnehmer arglistig handelt (§ 28 Abs. 3 S. 2 VVG). Bei Arglist tritt
die Leistungsfreiheit des Versicherers also unabhängig von einer Kausalität der Obliegenheitsverletzung für den Eintritt des Versicherungsfalls oder für die Feststellung oder den Umstand der Leistungspflicht des Versicherers ein.
Wie bei einer Rechtspflichtverletzung bedarf es des Weiteren eines rechtlich erheblichen
Ursachenzusammenhangs, des sog. Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen Obliegenheitsverletzung und Versicherungsfall bzw. Eintrittspflicht des Versicherers. Erforderlich
ist ein innerer Zusammenhang zwischen der vom Versicherungsnehmer geschaffenen Gefahrenlage und der eingetretenen Schadensfolge in dem Sinne, dass die auf der Obliegenheitsverletzung beruhende Gefahrenlage und die Schadensfolge zu denjenigen gehören,
denen die Obliegenheit vorbeugen soll. Es genügt, dass die Verletzung der Obliegenheit
eine Gefahrenlage geschaffen hat, die bei abstrakter, vom Einzelfall losgelöster Betrachtung
generell geeignet ist, die Wahrscheinlichkeit des Eintritt des Versicherungsfalls der vorliegenden Art zu erhöhen. Fehlt der so beschriebene Rechtswidrigkeitszusammenhang, so
kann sich der Versicherer nicht auf Leistungsfreiheit berufen.
Dr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
SS 2009
cc) Teilweise Leistungsfreiheit des Versicherers
Bei einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung ist der Versicherer berechtigt, seine
Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Man spricht von “Quotelung“, weil es darum geht, eine Quote
festzulegen, inwieweit der Versicherer leistungspflichtig ist.
Mit dieser Quotenregelung hat der Gesetzgeber sich von dem früher geltenden sog. Allesoder-Nichts-Prinzip abgewendet, welches nach alter Rechtslage besagte, dass bei schuldhafter Verletzung einer Obliegenheit vor dem Versicherungsfall vollständige Leistungsfreiheit
des Versicherers bestand, bei schuldloser Verletzung vollständige Leistungspflicht. Bei Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall galt diese Abgrenzung für einfache (vollständige
Leistungspflicht)/grobe Fahrlässigkeit (vollständige Leistungsfreiheit). Die nunmehr vorzunehmende Quotelung bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit bringt eine Vielzahl von bisher
nicht beantworteten Fragestellungen mit sich. Diese Fragestellungen werden nach und nach
von der Rechtsprechung zu entscheiden sein.
Dass der Versicherungsnehmer grob fahrlässig gehandelt hat, wird vom Gesetz vermutet.
Fraglich ist deshalb, welcher Ausgangspunkt für die “Schwere“ der groben Fahrlässigkeit
zu wählen ist. In Betracht kämen die vollständige Leistungsfreiheit, von welcher sich der Versicherungsnehmer entlasten müsste, oder die vollständige Leistungspflicht, wonach der Versicherer die jeweilige „Schwere“ des grob fahrlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers nachzuweisen hätte. Auch denkbar wäre, dass nach dem Gesetz eine Leistungsfreiheit
bei grober Fahrlässigkeit zunächst von 50 % angesetzt wird.
Fraglich ist weiter, ob pauschale Quotenregelungen in allgemeine Versicherungsbedingungen aufgenommen werden könnten, um Einzelfallprobleme zu vermeiden. Hiergegen
bestehen aber erhebliche Bedenken mit einer Vereinbarkeit gemäß § 307 Abs. 2 S. 1 BGB,
da eine unangemessene Benachteiligung durch Abweichung vom wesentlichen Grundgedanken der Regelung gegeben sein könnte. Bei derartigen pauschalen Quotenregelungen
wäre nicht mehr der Anknüpfungspunkt das jeweilige Verschulden des einzelnen Versicherungsnehmers, die subjektive Komponente würde nicht hinreichend Berücksichtigung finden.
Dem Versicherer ist es selbstverständlich ungenommen, in seinen Bedingungen zu bestimmen, da dass er bei grob fahrlässigen Verletzungen jeweils vollständigen Versicherungsschutz leistet. Die Abweichung des § 28 VVG wäre lediglich für den Versicherungsnehmer
günstig, mithin nach § 32 VVG möglich.
In Streit ist auch die Frage, ob Extremquoten (100 % und 0 %) möglich sind. Diesbezüglich
werden in der Literatur verschiedene Auffassungen vertreten. Es dürfte nunmehr Aufgabe
der Rechtsprechung sein, Parameter für eine Quotenbildung herauszuarbeiten und diese
jeweils abzuwenden. Mögliche Parameter sind dabei das objektive Gewicht der verletzten
Sorgfaltspflicht, Grad der Ursächlichkeit, Motiv des Versicherungsnehmers sowie sonstige
subjektive Besonderheiten, wirtschaftliche Verhältnisse des Versicherungsnehmers, Mitverschulden des Versicherers, bisheriger Versicherungsverlauf usw.
Ungeklärt ist auch die Quotenbildung bei mehrfacher Obliegenheitsverletzung. Diesbezüglich werden verschiedene Lösungsansätze in der Literatur vertreten. Begeht der Versicherungsnehmer z. B. zwei Obliegenheitsverletzungen, die jeweils für sich 50%ige Leistungsquoten mit sich bringen würden, ergäbe sich nach den vertretenen Modellen folgendes
Szenario:
Dr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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Nach der Quotenaddition würden die jeweiligen Leistungsfreiheitsquoten von 50 % addiert,
mithin würde der Versicherungsnehmer in diesem Fall keine Leistung erlangen. Dies würde
in vielen Fällen das Alles-oder-Nichts-Prinzip wieder einführen. Nach der Quotenmultiplikation wird die Leistungskürzung derart berechnet, dass sich die zweite Obliegenheitsverletzung an der Leistungsfreiheit der ersten orientiert. Nach der ersten Obliegenheitsverletzung
ist 50%ige Leistungsfreiheit gegeben. Von den verbleibenden 50 % wären aufgrund der
zweiten Obliegenheitsverletzung erneut 50 % abzuziehen, mithin bestünde Leistungsfreiheit
zu 75 %. Dies würde bedeuten, dass bei einer dritten Obliegenheitsverletzung schon sehr
hohe Leistungskürzungen gegeben wären. Auch das diskutierte Modell der Gesamtbewertung trägt den Besonderheiten einer rechtlich-wertenden Betrachtung des Gesamtverhaltens
des Versicherungsnehmers damit Rechnung, dass es keinen starren Berechnungsmechanismus, sondern eine Gesamtbetrachtung des Verhaltens erfolgt. Nachteilig hieran ist, dass
ein weiterer weicher Bewertungsmaßstab eingeführt würde, was weitere Rechtsunsicherheit
zu Folge hätte. Die Quotenkonsumption besagt, dass sich nur die Verletzung mit der
höchsten Freistellungsquote auswirken würde. Die anderen Verletzungen treten hinter dieser
zurück. Nachteilig hieran ist, dass der Versicherungsnehmer, der nur eine Obliegenheit verletzt hat, ggf. schlechter oder gleichgestellt wird gegenüber einem Mehrfachtäter.
4. Zurechnung des Verhaltens Dritter
Werden die Obliegenheitsverletzungen nicht von dem Versicherungsnehmer selbst sondern
von Dritten begangen, stellt sich die Frage der Zurechenbarkeit der Kenntnis und des Verhaltens Dritter. Bei einer Schadenversicherung für fremde Rechnung ordnet § 47 Abs. 1 VVG
als Grundsatz an, dass die Kenntnis und das Verhalten des Versicherten der Kenntnis und
dem Verhalten des Versicherungsnehmers gleichstehen. Entsprechende Regelungen enthalten die §§ 156 und 193 Abs. 2 VVG für die Lebens- und Krankenversicherung auf die Person eines anderen. Wenn ein Vertrag dagegen eine Eigen- und Fremdversicherung umfasst,
werden Obliegenheitsverletzungen des Versicherten dem Versicherungsnehmer nicht zugerechnet, wenn der Mitversicherte nicht dessen Repräsentant ist. In derartigen Fällen schadet
die Obliegenheitsverletzung des Mitversicherten, also nur ihm selbst. Der Versicherungsnehmer soll hinsichtlich seiner Eigenversicherung nicht allein deshalb schlechter stehen, weil
daneben eine Fremdversicherung besteht.
Das VVG enthält keine allgemeine Norm über die Zurechnung des Verhaltens oder der
Kenntnisse Dritter. Nach herrschender Meinung findet eine Zurechnung im Versicherungsrecht über die allgemeine Vorschrift des § 278 BGB nicht statt. Nach § 278 BGB regelt die
Zurechnung des Verhaltens eines Erfüllungsgehilfen, das heißt einer Person, die mit Wissen
und Wollen im Pflichtenkreis des Pflichtigen tätig wird. Da es sich bei Obliegenheiten nicht
um eine erzwingbare Vertragspflicht handelt, findet deshalb § 278 BGB keine Anwendung.
Des weiteren ginge eine Anwendung dieser Bestimmung auch wegen ihrer Tragweite für den
Versicherungsschutz des Versicherungsnehmers zu weit, würde sie doch zum Verlust des
Anspruchs bei jedem schuldhaften Verhalten eines mit dem versicherten Risiko überhaupt
nicht befassten Person führen. Die Rechtsprechung hat im Versicherungsrecht daher eigene
Zurechnungskriterien entwickelt.
Im einzelnen wird je nach Bereichen, auf denen Hilfspersonen eingesetzt werden unterschieden: Geht es um den tatsächlichen Umgang mit dem versicherten Risiko (beispielsweise Wartung des versicherten Autos usw.), dann ist maßgeblich, ob ein Repräsentant für den
Versicherungsnehmer gehandelt hat. Geht es nur um die Zurechnung von Kenntnissen (wie
z.B. § 2 Abs. 2 S. 2 VVG) dann wird gefragt, ob an Stelle des Versicherungsnehmers ein
Wissensvertreter die Kenntnisse hatte. Für die Frage der Erfüllung von Anzeige- und Auskunftspflichten ist entscheidend, ob ein Wissenserklärungsvertreter die Mitteilung richtig gemacht oder unterlassen hat. Leider wird diese Differenzierung nicht stringent in der Rechtsprechung durchgehalten.
Dr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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a) Repräsentant
Repräsentant des Versicherungsnehmers ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichem Verhältnisses an die
Stelle des Versicherungsnehmers getreten und befugt ist, selbständig in einem gewissen,
nicht ganz unbedeutendem Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (sog. Risikoverwaltung). Von entscheidender Bedeutung ist dabei, ob der Versicherungsnehmer sich
der Verfügungsbefugnis und der Verantwortlichkeit vollständig begeben hat (vgl. BGH, NJW
1989, 1861, 1862). Es braucht nicht noch hinzutreten, dass der Dritte Rechte und Pflichten
aus dem Versicherungsvertrag wahrzunehmen hat (sog. Vertragsverwaltung).
In der Kraftfahrtversicherung ist der Fahrer in einem fremden Fahrzeug grundsätzlich viel
seltener Repräsentant als dies angenommen wird. Das gilt selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zur alleinigen Benutzung überlassen hat, z.B. bei der Stellung
eines Dienstwagens. Hinzukommen muss, dass der Dritte das Fahrzeug nicht nur in Obhut
hat, sondern auch für dessen Betrieb und Verkehrssicherheit zu sorgen hat (Durchführung
der vorgeschriebenen Inspektion der erforderlichen Reparaturen, Vorführung beim TÜV und
ähnliches). Der Versicherungsnehmer muss dem Dritten wesentliche Aufgaben und Kenntnisse aus seinem Pflichtenkreis zur selbständigen und eigenverantwortlichen Erledigung
übertragen haben.
b) Wissensvertreter
Wissensvertreter ist jeder, der vom Versicherungsnehmer betraut ist, im Rechtsverkehr für
ihn bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und dabei anfallende Informationen, die in Bezug auf den Versicherungsvertrag von rechtlicher Bedeutung sind, zur
Kenntnis zu nehmen und ggf. weiterzugeben. Die Kenntnis des Wissensvertreters steht der
Kenntnis des Versicherungsnehmers gleich. Im Fall der Rückwärtsversicherung beispielsweise das Wissen, dass der Versicherungsfall schon eingetreten ist (vgl. § 2 Abs. 2 S. 2
VVG), oder ein gefahrerheblicher Umstand im Rahmen der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung vorliegt, der den Versicherern mitgeteilt werden müsste. Im Unterschied zum Repräsentanten kann dem Wissensvertreter durchaus nur ein begrenzter Aufgabenbereich zugeordnet sein. Es bedarf keiner umfassenden Übertragung der Risikoverwaltung. Andererseits muss der Wissensvertreter schon eine gewisse herausgehobene Stellung haben. Untergeordnete Hilfspersonen zählen nicht dazu, auch wenn sie aus rein tatsächlichen Gründen
eher informiert sein mögen, ohne eigens mit der Kenntnisnahme betraut zu sein.
c) Wissenserklärungsvertreter
Ist das entscheidende Tatbestandsmerkmal nicht die Kenntnis sondern eine Erklärung darüber (z.B. bei der Erfüllung von Anzeige- und Aufklärungspflichten), dann kommt als zurechnungsbegründende Hilfsperson des Versicherungsnehmer der Wissenserklärungsvertreter in
Betracht. Es wird also dann gefragt, ob beispielsweise dieser den Versicherungsfall rechtzeitig und richtig gemeldet hat. Zum Wissenserklärungsvertreter wird jemand allerdings nur dadurch, dass er regelrecht mit derartigen Erklärungen entsprechend den vollmachtsrechtlichen Regeln, wie sie im allgemeinen BGB gelten, betraut wird. Ein Wissenserklärungsvertreter wird zumeist auch Wissensvertreter sein. Er ist dann zuständig für die Kenntnisnahme
und zugleich damit betraut, entsprechende Mitteilungen an den Versicherer zu machen. Er
kann aber auch nur mit der Weiterleitung von Wissen betraut sein, dass der Versicherungsnehmer selbst gewonnen hat. Umgekehrt kann es Wissensvertreter geben, die mangels
Betrauung mit der Weiterleitung ihrer Kenntnisse an Dritter nicht auch Wissenserklärungsvertreter sind.
Dr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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Der Versicherungsnehmer kann sich dem Risiko, dass seine Hilfsperson Anzeigen und Auskünfte nicht oder falsch geben, dadurch entziehen, dass er keine Hilfspersonen einschaltet.
Er muss dann aber seine Obliegenheiten selbst erfüllen, anderenfalls verletzt er sie, ohne
dass es auf die Frage einer Zurechnung ankommt.
4. Wichtige gesetzliche Obliegenheiten
a) Vorvertragliche Anzeigepflicht
Entgegen ihrem Namen ist die vorvertragliche Anzeigepflicht des (zukünftigen) Versicherungsnehmers eine gesetzliche Obliegenheit. Zweck der vorvertraglichen Anzeigepflicht ist
es, den Versicherer in die Lage zu versetzen, das Risiko des möglichen künftigen Vertragspartners, dass er mit dem Versicherungsvertrag wirtschaftlich übernehmen soll, richtig einschätzen zu können. Der Versicherer soll in die Lage versetzt werden, in Kenntnis der Gefahrumstände entscheiden zu können, ob und mit welchem Inhalt (Risikoausschlüsse, Prämieneinstufungen etc.) er den Vertrag abschließen möchte.
Die vorvertragliche Anzeigepflicht hat u.a. in der Personenversicherung, in denen die Absicherung des Gesundheitszustandes des künftigen Versicherungsnehmers im Vordergrund
steht, erhebliche Bedeutung. Bei derartigen Versicherungen (z. B. Krankenkostenversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung etc.) gibt es grundsätzlich einen detaillierten Fragebogen dazu, ob und wegen welcher Erkrankungen der Versicherungsnehmer bereits in ärztlicher Behandlung gewesen ist, da diese Informationen für die Risikoeinstufung unerlässlich
sind. Probleme ergeben sich immer dann, wenn die Antworten des Versicherungsnehmers
unrichtig sind, sei es, dass er Vorerkrankungen vergessen hat, für unwesentlich hielt oder
aber verschwieg, um den Versicherungsschutz zu erlangen. Die Regelungen zur vorvertraglichen Anzeigepflicht finden sich in den §§ 19 bis 22 VVG wieder. Für einzelne Versicherungsarten gibt es zusätzliche Sondervorschriften (§§ 56 Abs. 1, 131, 157, 194 Abs. 1 S. 3 +
4 VVG).
aa) Inhalt und Umfang
Nach § 19 Abs. 1 VVG muss der Versicherungsnehmer alle ihm bekannten Gefahrumstände
anzeigen, die der Versicherer für seine Entscheidung über den Abschluss des Vertrages mit
dem vereinbarten Inhalt benötigte und nach denen er in Textform gefragt hat. Den Versicherungsnehmer trifft damit keine spontane Anzeigepflicht, sondern es obliegt ihm lediglich, die
von dem Versicherer in Textform gestellten Fragen zu beantworten. In der Praxis verwendet
der Versicherer regelmäßig hierfür Fragebögen, welche in das Antragsformular eingefügt
sind.
Fragt ein Versicherer nach einem bestimmten Umstand, so ist dies ein Indiz dafür, dass dieser Umstand für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt
zu schließen, (gefahr)erheblich ist. Für die Frage, ob tatsächlich Gefahrerheblichkeit vorliegt, kommt es aber nicht auf die subjektive Sichtweise des Versicherers, sondern ausschließlich darauf an, ob auch objektiv Gefahrerheblichkeit gegeben ist. Dies wird z. B. zu
verneinen sein, wenn der Versicherer eine Nachfrage auf einen sehr langen zurückliegenden
Zeitraum bezieht.
Nach alter Rechtslage traf den Versicherer eine sog. spontane Anzeigepflicht, das bedeutet,
er hatte auch ohne schriftliche Frage des Versicherers gefahrerhebliche Umstände anzuzeigen. Insoweit trug der Versicherungsnehmer nach altem Recht das Risiko der Einschätzung,
ob ein gefahrerheblicher Umstand gegeben ist oder nicht. Dieses Risiko wurde dem Versicherer durch die neue Rechtslage (Fragen in Textform) abgenommen. Ist die Frage des VerDr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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sicherers nicht oder nur mündlich erfolgt, dann steht dem Versicherer nur die Möglichkeit der
Anfechtung nach § 123 BGB offen, wenn der Versicherungsnehmer einen gefahrerheblichen
Umstand arglistig verschwiegen hat. Insoweit trägt der Versicherungsnehmer im Falle der
Arglist auch nach neuem Recht das Risiko der Einschätzung, ob es sich um einen gefahrerheblichen Umstand handelt.
Der Versicherungsnehmer hat nur die ihm bekannten Umstände anzuzeigen. Hat er deshalb keine positive Kenntnis von einem Umstand, weil er bewusst die Augen verschließt, ist
dem Versicherungsnehmer eine angemessene Gedächtnisanstrengung und in engen Grenzen auch eine Nachschau- und Erkundigungspflicht abzuverlangen. Die Antworten des Versicherungsnehmers haben vollständig und wahrheitsgemäß zu erfolgen. Eine Verletzung der
Anzeigepflicht liegt daher nicht nur bei Nichtanzeige, sondern auch dann vor, wenn er unrichtige oder unvollständige Angaben macht.
Der Versicherungsnehmer hat seine Anzeigepflicht bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung zu erfüllen, § 19 Abs. 1 S. 1 VVG. Dies bedeutet, wenn der Versicherungsnehmer einen Antrag auf Abschluss des Vertrages stellt und nach Antragstellung Kenntnis von weiteren gefahrerheblichen Umständen vor der Annahmeerklärung des Versicherers erlangt, trifft
ihn insoweit keine Nachmeldeobliegenheit. Eine Ausnahme hiervon bildet § 19 Abs. 1 S. 2
VVG für den Fall, dass der Versicherer vor der seiner Vertragsannahme nochmals bei dem
Versicherungsnehmer in Textform nachfragt.
Der Versicherer hat die von dem Versicherungsnehmer vorgenommenen Antworten zu prüfen. Ergeben sich hier Widersprüche oder Unvollständigkeiten, hat er den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen. Den Versicherer trifft insoweit eine Nachfrageobliegenheit.
Entsprechend dem Zweck der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers,
dem Versicherer vor Vertragsabschluss eine Risikoprüfung zu ermöglichen, versagt die
Rechtsprechung dem Versicherer, sich nach Eintritt eines Versicherungsfalls auf eine Verletzung der Anzeigepflicht zu berufen, wenn er trotz offensichtlich unvollständiger, widersprüchlicher oder inkorrekter Angaben des Versicherungsnehmers eine eingehende Risikoprüfung
unterlassen und den Vertrag geschlossen hat. Dogmatisch wäre in diesem Fall das Berufen
auf eine Leistungsfreiheit durch den Versicherer als rechtsmissbräuchliches Verhalten zu
werten. Einerseits zieht er trotz widersprüchlicher Angaben die Prämien ein und andererseits
beruft er sich im Falle des Eintritts eines Versicherungsfalls auf seine Leistungsfreiheit aufgrund der ihm offensichtlichen widersprüchlichen Angaben.
bb) Rechtsfolgen der Verletzung der Anzeigepflicht
Nach § 19 VVG kommen jeweils abhängig vom Verschuldensgrad des Versicherungsnehmers als Rechtsfolgen der Rücktritt, die Kündigung sowie die Vertragsanpassung in Betracht. Daneben ist der Versicherer bei arglistigem Verhalten des Versicherungsnehmers,
welches vom Versicherer zu beweisen wäre, zur Anfechtung berechtigt, § 22 VVG.
Dem Versicherer steht im Fall der Verletzung der Anzeigepflicht gemäß § 19 Abs. 2 VVG
dem Grundsatz nach ein Rücktrittsrecht zu. Ausnahmen hiervon enthalten § 19 Abs. 3 und
Abs. 4 VVG. Durch den Rücktritt, der gegenüber dem Versicherungsnehmer zu erklären ist,
wird der Vertrag ex tunc (von Beginn an) beseitigt. Die Bedingungen für die Ausübungen des
Rücktrittsrechts sind § 21 VVG geregelt.
Von diesem Grundsatz des Rücktrittsrechts des Versicherers wird in § 19 Abs. 3 VVG eine
erste Ausnahme statuiert. Danach ist das Rücktrittsrecht des Versicherers ausgeschlossen,
wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich, noch grob fahrlässig
verletzt hat. Dies bedeutet, verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht schuldlos
oder einfach fahrlässig, steht dem Versicherer lediglich die Möglichkeit, den Vertrag zu kündigen. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Rücktritt und Kündigung haben insbesondere
Dr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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Auswirkungen auf die mögliche Leistungspflicht des Versicherers bei einem bereits eingetretenen Versicherungsfall.
Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, dass im Falle der einfachen Fahrlässigkeit eine
so weit reichende Sanktion, wie sie das Rücktrittsrecht darstellt, nicht gerechtfertigt ist. Die
Beweislast für das Nichtvorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit liegt beim Versicherungsnehmer. Der Versicherer kann bei Vorliegen einfacherer Fahrlässigkeit oder
Schuldlosigkeit des Versicherungsnehmers nach § 19 Abs. 3 S. 2 VVG den Vertrag unter
Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat für die Zukunft beenden. Hierdurch wird
dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit gegeben, sich anderweitig Versicherungsschutz
zu verschaffen.
Eine weitere Ausnahme statuiert § 19 Abs. 4 VVG. Danach ist das Kündigungs/Rücktrittsrecht des Versicherers in den Fällen ausgeschlossen, wenn der Versicherer den
Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen geschlossen hätte. Diese Ausnahme bezieht sich aber nicht auf den vorsätzlich handelnden Versicherungsnehmer. Wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt hat, ist ein Ausschluss des Rücktrittsrechts des Versicherungsnehmers nicht
gegeben. Es wäre für den Versicherer unbillig, nicht vom Vertrag zurückzutreten zu können,
wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich gehandelt hätte.
Hätte der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn
auch zu anderen Bedingungen abgeschlossen, steht ihm lediglich ein Vertragsanpassungsrecht zu. Der Versicherungsnehmer hat darzulegen und im erforderlichen Fall zu beweisen, dass der nicht angezeigte Umstand nach den AVB und allgemeinen Geschäftsgrundsätzen des Versicherers nicht zu einer Versagung des Versicherungsschutzes geführt
hätte.
Sind Rücktritt und Kündigung ausgeschlossen, werden die Bedingungen, zu denen der Versicherer in Kenntnis der nicht angezeigten Umstände den Vertrag abgeschlossen hätte,
rückwirkend Vertragsbestandteil, sobald der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine
entsprechende Erklärung zugehen lässt. Die Rückwirkung einer Erhöhung der Prämie würde
allerdings im Falle einer unverschuldeten Verletzung der Anzeigepflicht zu einer Schlechterstellung des Versicherungsnehmers gegenüber § 41 Abs. 1 VVG führen. Diese Abweichung
vom geltenden Recht zu ungunsten des Versicherungsnehmers scheint auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Versicherers unbillig, zumal es sich eher um seltene Ausnahmefälle handeln dürfte. Daher übernimmt § 19 Abs. 4 S. 2 VVG für den Fall einer Anzeigepflichtverletzung ohne Verschulden des Versicherungsnehmers die Bestimmung
des § 41 Abs. 1 S. 1 VVG, wonach die bei richtiger und vollständiger Anzeige maßgebende
Bedingungen des Versicherers, insbesondere eine erhöhte Prämie oder die Vereinbarung
eines Risikoausschlusses, ab Beginn der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil werden.
Die Leistungspflicht des Versicherers beurteilt sich bei einer Vertragsanpassung nach den
dann dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Bedingungen. Ist z. B. der eingetretene
Versicherungsfall von einem Leistungsausschluss, welcher nunmehr nach den geänderten
Bedingungen gilt, umfasst, ist der Versicherer leistungsfrei. Konnte der Versicherer z. B. lediglich eine höhere Prämie verlangen, besteht Leistungspflicht. Hier bedarf es immer einer
genauen Prüfung des Einzelfalls unter Zugrundelegung der neuen Bedingungen.
Zum Schutz des Versicherungsnehmers ist der Versicherer gemäß § 19 Abs. 5 S. 1 VVG
verpflichtet, den Versicherungsnehmer über die Folgen einer Verletzung seiner Anzeigepflicht durch eine gesonderte Mitteilung in Textform zu belehren. Die Belehrung hat so
rechtzeitig vor Vertragsabschluss zu erfolgen, dass der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht noch erfüllen kann. Unterlässt der Versicherer eine entsprechende Belehrung, kann
er sich auf die Anzeigepflichtverletzung nicht berufen. Auch ist ihm ein Berufen auf eine AnDr. Konstantin Kirsten
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Begleitskript zur Vorlesung Versicherungsrecht
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zeigepflichtverletzung verwehrt, wenn er den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte, § 19 Abs. 5 S. 2 VVG.
Macht der Versicherer von seinem Recht nach § 19 Abs. 4 S. 2 VVG zur Vertragsänderung
Gebrauch, ist der Versicherungsnehmer gemäß § 19 Abs. 6 S. 1 VVG zur Vertragsbeendigung durch Kündigung berechtigt, wenn er zur Zahlung einer um mehr als 10 % höheren
Prämie als zunächst vorgesehen verpflichtet ist oder wenn die Gefahrabsicherung für den
nicht anzeigten Umstand vom Versicherer ausgeschlossen wird. Hierüber ist der Versicherungsnehmer auch zu belehren.
Nach § 21 Abs. 1 VVG muss der Versicherer die nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG zustehenden
Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltend gemachte Recht begründet, Kenntnis erlangt. Der Versicherer hat bei Ausübung seines
Rechts die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt; er darf nachträglich weitere Umstände zur Begründung seiner Erklärung innerhalb der Monatsfrist angeben.
Tritt der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls zurück, ist er nach § 21 Abs. 2 VVG
nicht zur Leistung verpflichtet, es sei denn, die Verletzung der Anzeigepflicht bezieht sich auf
einen Umstand, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls, noch
für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist.
Der entsprechende Kausalitätsgegenbeweis wäre vom Versicherungsnehmer zu führen.
Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht arglistig verletzt, ist der Versicherer nicht
zur Leistung verpflichtet. Das Recht zum Rücktritt oder zur Kündigung erlöschen nach Ablauf
von 5 Jahren nach Vertragsschluss, bei Vorsatz oder Arglist 10 Jahre (Ausnahme § 194 Abs.
1 S. 4 VVG).
b) Gefahrerhöhung
aa) Begriff der Gefahrerhöhung
Eine Gefahrerhöhung im Sinne von § 23 VVG ist immer dann zu bejahen, wenn sich die Gefahr des Eintritts des Versicherungsfalls gegenüber der Gefahrenlage bei Abschluss des
Versicherungsvertrages erhöht hat. Durch die Vorschriften über die Gefahrerhöhung soll das
Gleichgewicht zwischen dem vom Versicherer übernommenen Risiko und der vereinbarten
Prämie erhalten werden. Der Versicherer soll nicht gezwungen sein, an einem Versicherungsvertrag festzuhalten, obwohl das Verhältnis zwischen Prämie und Risiko nicht mehr
derjenigen Risikolage entspricht, die er bei Abschluss des Versicherungsvertrages voraussetzen durfte. Dabei ist eine ganzheitliche Betrachtung geboten. Es kommt nicht darauf an,
ob einzelne neue Gefahrenquellen entstanden sind, sondern darauf, ob sich die Risikolage
insgesamt erhöht hat. Die Gefahrenlage bei Abschluss ist mit derjenigen zu vergleichen, die
nach einer Veränderung der gefahrmaßgeblichen Umstände eingetreten ist. Soweit gefahrerhöhende Umstände gefahrmindernden Umständen entgegenstehen, sind diese gegeneinander abzuwägen (vgl. Gefahrkompensation).
Die Gefahrerhöhung ist von der bloßen Gefahrsteigerung abzugrenzen. Einmalige, kurzfristige, vorübergehende Gefahränderungen stellen im Allgemeinen keine Gefahrerhöhung dar
(z. B. einmalige Trunkenheitsfahrt, Fahren mit abgefahrenen Reservereifen bis zur nächsten
Werkstatt). Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es entscheidend darauf an, ob der
erhöhte Gefahrenzustand seiner Natur nach geeignet war, von so langer Dauer zu sein, dass
er die Grundlage eines neuen natürlichen Gefahrenverlaufes bilden oder damit den Eintritt
des Versicherungsfalls fördern kann (vgl. BGHZ 7, 311, 317). Es muss dabei um eine grundlegende Verschiebung des Gefahrenzustandes auf ein höheres Niveau handeln.
Dr. Konstantin Kirsten
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Nach § 29 Abs. 1 VVG haben unerhebliche Gefahrerhöhungen außer Betracht zu bleiben.
Dies bedeutet zunächst, dass nicht jede Risikoerhöhung eine Gefahrerhöhung darstellt, lässt
allerdings offen, unter welchen Umständen letztere anzunehmen ist. Zur Abgrenzung zwischen erheblichen und unerheblichen Risikoerhöhungen stellt die Rechtsprechung darauf
ab, ob der Versicherer den Abschluss des Versicherungsvertrages abgelehnt oder von der
Zahlung einer höheren Prämien abhängig gemacht hätte, wenn er die später tatsächlich eingetretenen Veränderungen vorhergesehen hätte. Beispiele für die Annahme einer Gefahrerhöhung: Einbruchdiebstahlversicherung  Errichten eines Gerüstes an dem Gebäude eines
Pelzgroßhandels, wenn die Fensterfront der Sicht entzogen wird, Abschaffung eines Wachhundes; Kfz-Haftpflichtversicherung  Neigung zu Trunkenheitsfahrten, nicht aber vereinzelte Trunkenheit am Steuer; Inbetriebnahme oder Weiterbenutzung eines Kraftfahrzeuges,
dass sich hinsichtlich Bremsen oder Bereifung im verkehrsunsicheren Zustand befindet.
§ 21 Abs. 1 VVG regelt das Verbot für den Versicherungsnehmer, ohne Einwilligung des
Versicherers bewusst eine Gefahrerhöhung vorzunehmen oder zuzulassen (subjektive Gefahrerhöhung). Aus der Formulierung des § 23 Abs. 1 VVG hat die Rechtsprechung zum
alten Recht herausgearbeitet, dass ein Unterlassen keine subjektive Gefahrerhöhung zu begründen vermag. Es bedarf mithin eines positiven Tuns des Versicherungsnehmers.
Das Verbot der subjektiven Gefahrerhöhung wird durch § 27 VVG konkretisiert, wonach unerhebliche oder den Umständen nach mitversicherte Gefahrerhöhungen außer Betracht bleiben. Neben dem Verbot tritt die Anzeigepflicht für nachträglich erkannte Gefahrerhöhungen
(§ 23 Abs. 2 VVG) und für diejenigen Gefahrerhöhungen, welche unabhängig vom Willen
des Versicherungsnehmers eingetreten sind (§ 23 Abs. 3 VVG, objektive Gefahrerhöhung).
bb) Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung
(1) Kündigungsrecht
Die Sanktionen werden für alle drei Tatbestände (§ 23 Abs. 1 bis Abs. 3 VVG) gesondert in
den §§ 24 bis 26 VVG geregelt. Nach § 24 Abs. 1 VVG steht dem Versicherer nur bei vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne Einwilligung des Versicherers vorgenommenen oder zugelassenen Gefahrerhöhungen (subjektive Gefahrerhöhung) ein außerordentliches fristloses
Kündigungsrecht zu. Bei einfacher Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers ist der Versicherer zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, allerdings endet das Vertragsverhältnis erst nach Ablauf eines Monats ab Zugang der Erklärung. Anders als bei § 28 VVG hält
der Gesetzgeber einen Verzicht auf eine Sanktion bei einfacher Fahrlässigkeit nicht für gerechtfertigt, da es sich bei der Gefahrerhöhung um einen den Versicherer auch in Zukunft
belastenden Dauerverstoß handelt. Nach § 24 Abs. 3 VVG erlischt das Kündigungsrecht
allerdings, wenn es nicht innerhalb eines Monats ab der Kenntnis des Versicherers von der
Erhöhung der Gefahr ausgeübt oder wenn der Zustand wiederhergestellt wird, der von der
Gefahrerhöhung bestanden hat.
Der Versicherer ist beweisbelastet dafür, dass der Versicherungsnehmer die Pflichtverletzung begangen hat. Der Versicherungsnehmer muss nachweisen, dass er weder vorsätzlich
oder grob fahrlässig gehandelt hat. Ist für den Versicherer zweifelhaft, ob dem Versicherungsnehmer grobe oder nur einfache Fahrlässigkeit anzulasten ist, kann er hilfsweise eine
fristgemäße Kündigung erklären, um den Verlust seines Kündigungsrechts wegen Ablauf der
Fristen nach § 24 Abs. 3 VVG zu vermeiden. In den Fällen des § 23 Abs. 2 und Abs. 3 VVG
ist nach § 24 Abs. 2 VVG ebenfalls eine Kündigungsfrist von einem Monat vorgeschrieben.
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(2) Prämienanpassung oder Risikoausschluss
Statt der Kündigung nach § 24 VVG ist der Versicherer gemäß § 25 Abs. 1 VVG berechtigt,
eine erhöhte Prämie zu verlangen oder die Absicherung der höheren Gefahr auszuschließen. Dieses Alternativrecht besteht jedoch nur, wenn die Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 24 VVG vorliegen. Die Prämie ist nach den für die höhere Gefahr maßgeblichen
Geschäftsgrundsätzen des Versicherers zu bemessen. Auch hier ist die Monatsfrist des § 24
Abs. 3 VVG zu beachten, § 25 Abs. 1 S. 2 VVG. Erhöht sich die Prämie um mehr als 10 %,
wird dem Versicherungsnehmer gemäß § 25 Abs. 2 VVG das Recht eingeräumt, durch fristlose Kündigung des Vertrages das höhere Risiko anderweitig günstiger zu versichern oder
auf eine Versicherung zu verzichten. Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Versicherer
anstatt einer Prämienanpassung einen Risikoausschluss bestimmt.
(3) Leistungsfreiheit
Die Regelung über die Leistungsfreiheit des Versicherers bei Gefahrerhöhung folgt in ihrer
Systematik den Grundsätzen für die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen des Versicherungsnehmers. Dies bedeutet zum einen, dass der Versicherer bei nur einfacher Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers leistungspflichtig ist. Zum anderen wird für die Fälle der
groben Fahrlässigkeit das bisherige Alles-oder-Nichts-Prinzip durch die Quotelungsregelung ersetzt, § 26 Abs. 1 S. 2 VVG. Für die Fälle der Gefahrerhöhung nach § 23 Abs. 2 und 3
VVG regelt § 26 Abs. 2 VVG, dass der Versicherer dann nicht zur Leistung verpflichtet ist,
wenn der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, zudem die
Anzeige dem Versicherer hätte zugegangen sein müssen, es sei denn, dem Versicherer war
die Gefahrerhöhung zu diesem Zeitpunkt bekannt. Dies gilt aber nur bei vorsätzlichem Verhalten des Versicherungsnehmers, bei grob fahrlässigem Verhaltens des Versicherungsnehmers ist wieder eine Quotelung vorgesehen.
Uneingeschränkt leistungspflichtig ist der Versicherer gemäß § 26 Abs. 3 VVG, wenn die
Gefahrerhöhung nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalls oder den Umfang der
Leistungspflicht war oder zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls die Kündigungsfrist
des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt war. Der Kausalitätsgegenbeweis wäre wieder vom Versicherungsnehmer zu führen.
D. Pflichten des Versicherers
I. Hauptleistung
Nach § 1 S. 1 VVG verpflichtet sich der Versicherer mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder des eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls zu erbringen hat.
In der Summenversicherung ist die Leistungspflicht auf die Zahlung einer zwischen den
Parteien festgelegten Summe gerichtet. In der Schadensversicherung ist die Leistungspflicht im Allgemeinen auf den Ersatz des durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachten Vermögensschaden gerichtet.
In der Sachversicherung bemisst sich die Entschädigungsleistung grundsätzlich nach dem
Zeitwert. Etwas anderes gilt, wenn eine sog. Neuwertversicherung, welche in der Praxis üblich ist, vereinbart ist. Ist der Versicherer nach dem Vertrag verpflichtet, einen Teil der Entschädigung nur bei Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung der versicherten Sache zu
zahlen, wie bei der Neuwertversicherung üblich, kann der Versicherungsnehmer gemäß § 93
S. 1 VVG die Zahlung eines über den Versicherungswert hinausgehenden Betrags erst verlangen, wenn die Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung gesichert ist. In einem solchen
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Falle ist die Wiederherstellung bzw. Wiederbeschaffung der Sache ein Tatbestandsmerkmal
des Versicherungsfalls, durch den die Leistungspflicht des Versicherers bedingt ist. Bei entsprechender Vereinbarung kann die Entschädigungsleistung auch in Naturalherstellung erfolgen.
In der Haftpflichtversicherung ist die Verpflichtung, die Kosten des Rechtsschutzes zu übernehmen, eine mit der Befriedigung begründete Haftpflichtansprüche gleichrangige Hauptleistungspflicht des Versicherers (vgl. BGH, NJW 2007, 2258, 2259).
Geldleistungen des Versicherers sind in Abweichung von § 271 BGB gemäß § 14 Abs. 1
VVG erst mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfanges
der Leistung des Versicherers notwendigen Erhebungen fällig. Die Fälligkeit tritt bereits vor
diesem Zeitpunkt ein, wenn der Versicherer die Deckung zu Unrecht ablehnt. Die Verjährung von Ansprüchen bestimmt sich im Gegensatz zum alten Recht nach den allgemeinen
Verjährungsbestimmungen der § 195 ff. BGB, d.h. Ansprüche auf Versicherungsleistungen
verjähren grundsätzlich nach drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des
Jahres, in dem der Anspruch entstanden und der Versicherungsnehmer von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen
müsste, § 199 Abs. 1 BGB.
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