A Sustainable World is Possible
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A Sustainable World is Possible
A Sustainable World is Possible Problemlösungen für das 21. Jahrhundert mit dem Wise-Consensus Verfahren Ralf Klemens Stappen1 Working Paper 1.4 4. überarbeitete Version 1.1.2008 (Fassung) © Ralf Klemens Stappen 2004-2008 1 Ralf Klemens Stappen, International Academy of Science - ICSD (www.ias-icsd.org) E-mail: [email protected] Vorwort Einleitung 1. Die Notwendigkeit eines neuen völkerrechtlich verankerten „Global Governance System“ für nachhaltige Entwicklung 2. Die vergessene „idea of limitations” 3. Eine superstarke, völkerrechtlich konforme Definition nachhaltiger Entwicklung 4. Das Zweisäulen-Modell der Nachhaltigkeit im Sinnes eines Nachhaltigkeitsraum-Konzept (Concept of Sustainability Space) 5. Globale Heuristik der Nachhaltigkeit 6. Der „Wise Consensus“ – Die Voraussetzung für nachhaltige Entscheidungen und Problemlösungen im 21. Jahrhundert 7. Ausblick: Die neue globale Aufklärung Literaturverzeichnis Über den Autor 2 Vorwort Dieses Arbeitspapier ist eine vollständige Neubearbeitung der 1. und 2. Fassung (2004/2005) welche als Manuskript mit dem Titel: „Der Rio-Johannesburg Prozess und die Global Marshall Plan Initiative“ im Umlauf ist. Der erste Text war eine kritische Stellungsnahme zum Grunddokument des Global Marshall Plans von F.J. Rademacher aus Sicht des Rio-Johannesburg Prozesses. In den vorliegenden Text werden z.T. bruchstückhaft, erste Bausteine für ein neues Paradigma nachhaltiger Entwicklung im 21. Jahrhundert vorgestellt. 20 Jahre Theorie und Praxis nachhaltiger Entwicklung waren für mich Anlass, Bilanz zu ziehen und neue Perspektiven anzudenken. Ich bitte um Nachsicht, wenn hier der bisherige, doch sehr komplexe Nachhaltigkeitsdiskurs vorausgesetzt wird und nicht jeder Gedanke konsequent zu Ende gedacht wird. Einen sehr guten Überblick findet sich im Artikel von Joachim H. Spangenberg (2005). Mit diesem Arbeitspapier soll ein Diskurs für einen Paradigmenwechsel nachhaltiger Entwicklung fürs 21. Jahrhundert unterstützt werden. Eine Neukonzeption beginnt in der Regel mit einer Kritik des alten Paradigmas. Aus verschiedenen Gründen wurde die Kritik des bestehenden Paradigmas in einem eigenen, stark philosophisch orientierten Artikel vollzogen „Kritik der regulativen Idee der Nachhaltigkeit“ (Stappen 2007). Grund hierfür ist, dass sich die Begründung der alten Argumentationskette bis auf Kants „Kritik der reinen Vernunft“ beruft und hier terminologisch und methodologisch weit ausgeholt werden muss. Weil die Kritik abstrakt, logisch und sprachphilosophisch ansetzt und ein philosophisches Vorverständnis vorsetzt, wurde der kritische Teil kurzerhand in einen eigenen Artikel ausgelagert. Eine Kurzfassung ist geplant und wird 2008 hier eingebaut. Das hier vorgestellte neue Paradigma, greift auf die Konzeption der nachhaltigen Entwicklung des Brundtlandberichts zurück, ist primär normativ und sekundär empirisch begründet. Im Grunde sind viele, der hier vorgestellten neuen Ideen – alte Ideen, welche nur wiederentdeckt und konsequent weitergedacht wurden. Dazu zählen z.B. die nicht realisierte Idee der Brundtland-Kommission für eine Konvention nachhaltiger Entwicklung und die Idee der Grenzen in der Nachhaltigkeitsdefinition. 3 Neu in den Diskurs eingeführt werden: eine wissenschaftlich präzisere, völkerrechtlich konforme „superstarke“ Nachhaltigkeitsdefinition, das Prinzip des „Wise Consensus“, Gerechtigkeitskriterien für nachhaltige Entwicklung und das Nachhaltigkeitsraum-Konzept. Zusammen sind dies einige Bausteine für das notwendige neue Paradigma nachhaltiger Entwicklung für das 21. Jahrhundert, welche, so die Hoffnung, in die globale Konsensfindung, in den globalen Nachhaltigkeitsdiskurs und in die Nachhaltigkeitswissenschaft Eingang finden werden. Methodisch wird eine kohärente und logische Argumentationskette angestrebt, die sich normativ (Nachhaltigkeitsraum-Konzept) begründet. Der Text basiert auf vier Vorträgen und Veranstaltungen: „Konferenz der Global Marshall Plan Initiative in Berlin“ (30. Okt. und 1.Nov.2005); „FAW/n KonferenzAISEC und der Global Marshall Plan“ auf Schloss Reisensberg (5./6.01.2006) unter Leitung von Prof. F.J. Rademacher, der Klausur „Neue Perspektiven für die Entwicklungspolitik“ in Köln (13.05.2006) und der „Wise Consensus Workshop“ (17. bis 19.10.2006) an der Universität Lüneburg, als Auftakt der großen AIESEC Veranstaltungsserie und Kampagne „Eine nachhaltige Welt ist möglich“ an mehreren deutschen Universitäten. Der Text ist allen Mitstreitern im Rio-Johannesburg Prozess gewidmet, welche an vielen Orten unserer Erde, täglich für eine nachhaltige Welt arbeiten und kämpfen – besonders all unseren Freunden, welche auf dem NGO Global Forum „A Sustainable World is Possible“ in Johannesburg 2002 waren. Ralf Klemens Stappen 4 Einleitung Die Lage von Erde und Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhundert ist besorgniserregend: Armut, Hunger, entfesselte Globalisierung, internationaler Terrorismus - globaler Klimawandel; globale Krankheiten wie Aids und weltweite Vogelgrippe. Die Liste der globalen existenziellen Herausforderungen ist scheinbar unendlich. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten zahlreiche mutige und hoffnungsvolle Schritte in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat unternommen wurden, konnte das „drohende Unheil“ (Hans Jonas) nicht abgewendet werden. Entweder wir schaffen es, die beste und nachhaltigste aller Welten im 21. Jahrhundert zu gestalten – oder wir steuern direkt in eine globale Barbarei und in einen globalen Kollaps hinein. Die Welt im 21. Jahrhundert wird eine nachhaltige Welt sein oder sie wird nicht mehr sein. Die Zeit läuft uns bereits davon. Wir sind mittendrin in der „Überlebenskrise“ (Altner, 1992) oder im Sinne von Karl Jaspers gesprochen, in einer „globalen Grenzsituation“. Die völkerrechtlich unverbindliche Agenda 21, der unzureichende Implementierungsplan von Johannesburg, sowie die kaum wirksamen internationalen Konventionen z.B. die Klimarahmenkonvention/Kyotoprotokoll werden die gewaltigen globalen Probleme nicht wirksam lösen können. Die internationale Staatengemeinschaft steckt in einem globalen Gefangenendilemma, welches die notwendigen Konsensentscheidungen für wirksame globale Problemlösungen blockiert und Worten wenig Taten folgen lässt. Ein Grund hierfür ist das gegenwärtige, verwässerte Paradigma von nachhaltiger Entwicklung (das sog. Dreisäulenmodell), unter dessen Dach heute fast alles zur Nachhaltigkeit gezählt werden kann und nachhaltig ist (vgl. Ott et Döring:2004)! Eine klare Unterscheidung von nachhaltig und nicht-nachhaltig, fällt selbst Experten und Wissenschaftlern schwer. Es fehlt Präzision, Orientierung und Unterscheidungsvermögen in Bezug auf die Theorie und Praxis der Nachhaltigkeit. Die Menschheit stochert überspitzt formuliert, was den globalen Nachhaltigkeitskurs betrifft, blind im Nebel herum, was dazu führt, dass die Logik des Misslingens in der Nachhaltigkeitspraxis obsiegt. Für die heute bereits bekannten neuralgischen Kippunkte (Tipping Points) gibt es faktisch keine Problemlösungen und konsequente Vorbereitung. 5 Globale Kippunkte* : - Versauerung der Meere und Abnahme der CO2-Pufferungskapaziät - Instabilität des west-antarktischen Eisschilds – Möglichkeit des Meeresspiegelanstiegs - Instabilität des Grönland-Eisschilds – Meereswasseranstieg - Albedoabnahme Arktis - Bistabilität der Sahel-Zone (sog. Achterbahn-Dynamik) - Instabilität/Kollaps des Amazonas-Regenwalds (im Jahr 2080) - Bistabiliät des Indischen Monsuns (sog. Achterbahn-Dynamik) - Albedoabnahme im Tibet-Hochplateau - Zunahme/ Persistenz des EL Nino-Phänomens - Auftauen des Permafrostbodens und Methanfreisetzung - Atlantisches Tiefenwasser – Kippen des Golfstroms * siehe auch : Geographically explicit switch and choke elements in the Earth System Quelle: W.C: Clark, P.J. Crutzen and H.J.Schellnhuber 2004 Die Menschheit läuft mit der derzeitigen globalen Logik des Misslingens, Gefahr, dass der „endgültig entfesselte Promotheus“ (Hans Jonas) bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zum „Moloch“ mutiert. Es gilt diese „negative Utopie“ mit vereinten Kräften zu verhindern. Wir brauchen eine neue Vision – eine tragfähige, globale Leitphilosophie fürs 21. Jahrhundert, die Hoffnung und Mut macht. Dazu dient auch diese Erörterung, konkret geht es um Antworten auf folgende Fragen: Wie können wir uns von den Fesseln der globalen Logik des Misslingens befreien ? Brauchen wir eine neue Vision und Strategie für eine zukunftsfähige Erde ? Müssen wir unser Paradigma nachhaltiger Entwicklung ändern ? Ist vielleicht sogar eine neues Paradigma nachhaltiger Entwicklung notwendig ? Wie soll dieses völkerrechtlich ins Global Governance verankert werden ? Welche konkreten Ziele und Leitbilder zeichnen eine globale Nachhaltigkeitsstrategie aus ? Was kann in den nächsten Jahren bis 2015/2017 konkret getan werden ? Welche Spielregeln müssen verändert werden ? Was kann eine neue Aufklärung hierzu beitragen ? 6 1 Die Notwendigkeit eines neuen völkerrechtlich verankerten „Global Governance System“ für nachhaltige Entwicklung Von der globalen Diagnose zur Therapie Die Idee für einen Global Marshall Plan ist zeitlich vor dem Rio Erdgipfel entstanden (Al Gore, 1992), zu einer Zeit, wo es noch keinen international verbindlichen Handlungsrahmen zur Lösung der drängenden globalen Probleme gab. Vorausgegangen waren u.a. die Berichte an den Club of Rome („Grenzen des Wachstums“) in den 70 er und besonders die große US Studie „GLOBAL 2000“ (Diagnose) mit dem Zusatzband „Global Future“ (Therapie). In „Global Future“ wurde, was heute schon vergessen wurde, auch der Terminus „Sustainable Development“ eingeführt (Global Future 1980, S.145 ff.), welcher dann von der UN Kommission für Umwelt und Entwicklung aufgegriffen und definiert wurde. Mit dem Rio-Erdgipfel wurde das Defizit eines globalen Handlungsrahmens behoben. Die UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 (UNCED) verabschiedete mit der Rio-Deklaration, der Agenda 21, der Klimarahmen-Konvention, der Biodiversitäts-Konvention quasi den notwendigen globalen Therapieplan. Die Agenda 21 (BMU 1994) ist dabei das Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert mit hunderten detaillierten Handlungsaufträgen und guten Vorsätzen – allerdings ohne völkerrechtlich bindend zu sein. Für die Umsetzung wurden 1992 jährlich 600 Mrd. Dollar veranschlagt, von denen 125 Mrd. Dollar die Industrieländer aufbringen sollten (Agenda 21: Kapitel 33.18). Auf dem Weg zu wissenschaftlichen „gesicherten“ Nachhaltigkeitsstrategien Die Agenda 21 und die Fortschreibungen sind der Globale Marshallplan der internationalen Staatengemeinschaft für das 21. Jahrhundert. Die Agenda 21 (1992), das Programm für die weitere Umsetzung der Agenda 21 (1997), Durchführungsplan des Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2002 2 der , die Millenniumserklärung 2000 und die Weltgipfel-Resolution 2005 sind zusammen mit allen anderen internationalen Konventionen das Fundament für die Weiterentwicklung des globalen Konsens für eine zukunftsfähige Erde. 2 (http://www.un.org/Depts/german/conf/jhnnsbrg/a.conf.199-20.pdf) (zitiert als Johannesburgplan 2002). Eine gute Zusammenfassung des Rio-Johannesburg-Prozess findet sich bei Eisermann 2003 7 Die Insuffizienz des derzeitigen globalen Umsetzungssystem Trotz zahlreicher Fortschritte wird heute immer offensichtlicher, dass das bestehende Gesamtsystem zur Umsetzung einer global-nachhaltigen Entwicklung insufficient ist. Zur Begründung mögen folgende ausgewählte Fakten genügen: - Die Erreichung der 2000 auf dem VN Millenniumsgipfel „verabschiedeten“ und in den Aktionsplan von Johannesburg aufgenommen Millenniumsziele (MDG) bis 2015 ist definitiv gefährdet, da die Umsetzung insufficient ist - Die globalen CO2 Emissionen sind nach 1992 unaufhaltsam gestiegen (von ca. 21,9 Mrd. t CO2/pro Jahr auf derzeit ca. 28 Mrd. t CO2/pro Jahr (plus 3-4 ppm CO2 pro Jahr)). Die eingeleiteten CO2 Reduktionsmaßnahmen (Kyotoprotokoll) sind insufficient um das zentrale Ziel der KlimaRahmenkonvention (Art.2) „die Stabilisierung der Treibhausgas-konzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“ zu erfüllen. - Eine spürbare Beschleunigung nicht-nachhaltiger Entwicklung prägt zur Zeit das 21. Jahrhundert, die Industrie und Wirtschaft regagiert (von Ausnahmen abgesehen) insufficient und fördert mit der nichtnachhaltigen Produktion immer hochmotorisierter, verbrauchsintensiver Autos (10–30 l/100Km) den nicht-nachhaltige Konsum ! - Nachhaltige Entwicklung wird als freiwilliger Prozess verstanden (Agenda 21, etc.). Weil die völkerrechtliche Verbindlichkeit fehlt, ist der Gesamtprozess insufficient. - Die Agenda 21 und der Aktionsplan von Johannesburg 2002 sind in ihren Maßnahmen, aus nachhaltigkeitswissenschaftlicher Sicht insufficient, weil sie „nicht-nachhaltig“ Strukturen zementieren.3 - Die Entwicklungspolitik der letzten 50 Jahre war weitestgehend insufficient, die Wirksamkeit und Kohärenz von Entwicklungsprojekten, ist nach den jüngsten Evaluierungsstudien gering. Finanzmittel für die Umsetzung (z.B. für 2006 48 Mrd. für die MDGs ) fehlen, da die Maßnahmen freiwillig sind. - Nicht-nachhaltige Entwicklung kann, so zeigen jüngste Studien4 , zum Untergang von lokalen, regionale und selbst nationalen Gesellschaften führen – auch global ist ein solches Szenario heute möglich, wenn nicht sogar sehr wahrscheinlich. - Es zeichnet sich heute schon ab, dass viele der in den 90 er Jahren angedachten Strategien, Konzepte für das 21. Jahrhundert nur bedingt die globalen Probleme lösen können. - Es gibt eine große Frustration aller Beteiligten im Rio-Johannesburg Prozess, welche mehr wollten aber aufgrund des Konsensprinzip „notwendige Vernunftlösungen“ nicht durchsetzen konnten (Unternehmen, Staaten, NGOs, etc.). Ein Grund für die Insuffizienz des derzeitigen globalen Umsetzungssystem ist eine insuffiziente Verzahnung von Fachwissen (knowledge) und Umsetzung (action). 3 Die Agenda 21 basiert in vielen Punkten auf den überholten nördlichen Entwicklungsmodell mit zerstörerischen Konsequenzen. Vgl. hierzu auch Weizsäcker, E.U.: Faktor 4. 1995, S. 244 ff. 4 Diamond, Jared: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt 2005 8 Notwendige Bedingungen für das Gelingen der global nachhaltigen Entwicklung Eine notwendige Bedingung für das Gelingen der global nachhaltigen Entwicklung im 21. Jahrhundert ist die Entwicklung und Umsetzung von wissenschaftlich abgesicherten Nachhaltigkeitsstrategien (von der globalen bis zur lokalen Ebene), welche im politischen Systemen verankert sein müssen. Dies ist heute bestenfalls, obwohl in der Agenda 21 die Rolle der Wissenschaft in fast allen 40 Kapiteln verankert wurde, meist nur rudimentär erfolgt. Ohne wissenschaftlich abgesicherte, quantitative und qualitative Nachhaltigkeitsziele, z.B. Reduktionsziele für den Klimaschutz, ohne neue „nachhaltige“ Leitbilder (=Orientierungswissen), ohne verbindliche Aktionsprogramme basierend auf bester Fachpraxis, wird die Umsetzung der global nachhaltigen Entwicklung insuffcient bleiben und der Gefahr subjektiver Beliebigkeit ausgesetzt. Weitere Bedingungen für ein wirksames Umsetzungssystem sind eine neue Logik der Institutionen (Zusammenwirken), die Implementierung neuer innovativer Lösungen, ein kohärentes globales Ordnungsdesign, neue mechanismen, sowie auch die Klärung der Finanzierungsfrage, Umsetzungsinsgesamt ein effektiveres Umsetzungssystem, wie es auch von der Global Marshall Plan Initiative gefordert werden (Rademacher: 2003, S.71ff.). „Nicht eine neue Agenda 21 ist erforderlich, sondern die Umsetzung der in Rio beschlossenen“ (Klaus Töpfer: 2002). Der völkerrechtliche Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategien Schon im Vorfeld vom Weltgipfel in Johannesburg wurde ein Paradigmenwechsel zur Nachhaltigkeitsstrategie als neues Instrument für die Implementierung von nachhaltiger Entwicklung vollzogen. Auf einer Veranstaltung der OECD wurde in Johannesburg mit dem „Ressource Book Sustainable Development Strategies“ ein internationales Grundlagenwerk vorgestellt (OECD/UNDP 2002). Bereits 2001 wurden mit den DAC Guidelines „Strategies for Sustainable Development“ ein Standard geschaffen. Grundlage ist hier Agenda 21 8.7 und Kapitel 28. Es handelt 9 sich hierbei um ein neues Instrument, besonders für die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) von der nationalen bis zur lokalen Ebene, welches weit über alle bisherigen Ansätze5 hinausgeht. Es geht dabei auch um die Überwindung der „Projektitits“, der reduktionistischen Praxis – da heißt der Überwindung der vielen nicht koordinierten Projekte und Maßnahmen der EZ in einem Land, einer Region, einer Stadt oder einem Dorf – durch kohärentes Programmmanagement. Es geht um wirksame Kohärenz und Koordination – bis hin zu den Instrumenten. Zukünftig können Projekte und Programme unter dem Dach einer Nachhaltigkeitsstrategie wirksamer koordiniert werden. Das Konzept einer Nachhaltigkeitsstrategie kann wie folgt definiert werden: Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist eine Steuerungsinstrument zur Transformation komplexer Systeme (Staaten, etc.), Organisationen und Institutionen in Richtung nachhaltiger Entwicklung. Ziel einer „nachhaltigen Entwicklungsstrategie“ ist es, die am besten geeignete Strategie für die Zukunftsfähigkeit (bzw. Nachhaltigkeit) zu entwickeln, umzusetzen, fortzuschreiben und regelmäßig zu überprüfen (Review/Monitoring). Als Steuerungsinstrument dient sie zur wirksamen Lösung von komplexen Problemen in komplexen, vernetzten, intransparenten und dynamischen Handlungssituationen – z.B. Armutsüberwindung. Eine Nachhaltigkeitsstrategie muss nach OECD DAC 2001 folgende Schlüsselprinzipen erfüllen: • • • • • • • • Menschenorientierung Konsens für ein langfristigen Vision integrativ, zielorientiert mit konkreten Budget basierend auf qualifizierte Analyse Indikator und Monitorringsystem in Eigenverantwortung entwickelt High-Level Beschluss und Commitment aufbauend auf bestehende Regeln, Strategien Planungsinstrumente • wirksame Beteiligung • vertikale Integration (global, nationale u. lokale Ebene) und • entwickelt und aufgebaut auf bestehenden Kapazitäten. Konkretisiert wird eine Nachhaltigkeitsstrategie in einem vom und obersten Entscheidungsgremium (möglichst Parlament) beschlossenen Dokument, mit in der Regel folgenden inhaltlichen Elementen: Visionen, Normen, Leitbilder, strategische Ziele, Programm mit Projekten. Für die Umsetzung wird ein dynamischer 5 z.B. der Entwicklungsplanung 10 Managementzyklus (Managementsystem) verankert, welche zur Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität eines Staates, einer Region oder Kommune führt. Beispiele für die Praxis von Nachhaltigkeitsstrategien sind auf lokaler Ebene, die Lokale Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt Neumarkt („Zukunftsfähiges Neumarkt“)6 , die „Visionen für Ingolstadt“, welche vom Autor betreut wurden, sowie auf nationaler Ebene die „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“ von Deutschland, oder die „EU Strategie für nachhaltige Entwicklung“. Das globale Umsetzungsdefizit Alle Staaten sollten gemäß Agenda 21 Kapitel 8.7 bis zum Weltgipfel 2002 in Johannesburg ihre nationale Nachhaltigkeitsstrategie vorlegen, dies ist besonders von vielen Industrieländern erfolgt. Entwicklungsländer konnten diese Empfehlung nur z.T. erfüllen. Obwohl schon 1992 vereinbart (Agenda 21 8.7), 1997 (Rio plus 5) bekräftigt und für 2002 (WSSD) nochmals gefordert, haben bis Ende 2005 nur ca. 30 % aller Staaten eine Nationale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt wie folgende UN Abbildung über den Umsetzungsstand (2005) zeigt: 6 Stadt Neumarkt: Zukunftsfähiges Neumarkt . 2004 und Stadt Ingolstadt: Visionen für Ingolstadt. 2002 11 Ein großes Umsetzungsdefizit gibt es in Afrika und Nahost, sowie in Asien. In Johannesburg haben auch die dort versammelten Regionalregierungen mit der Gauteng Gründungerklärung für das „Regional Government Network for Sustainable Development“ - alle Regionalregierungen weltweit dazu aufgerufen, eine „Regionale Nachhaltigkeitsstrategie“ zu erarbeiten und umzusetzen. Auf der regionalen Ebene (über 2700 regionale Raumeinheiten (Provinzen, Bundesstaten, etc.) liegt der Umsetzungstand geschätzt unter 10 %. Durch Kapitel 28 der Agenda 21 sind auch alle Kommunen aufgefordert „die beste Strategie“ nachhaltiger Entwicklung zu erarbeiten. Bei Kommunen liegt der Umsetzungsstand, trotz der beträchtlichen Zahl von mehr als 10.000 Lokaler Agenda 21 Prozesse bei unter 5 % (bei über 500.000 Kommunen weltweit). Eine Verzahnung mit bestehenden Instrumenten, z.B. der Raum- , Entwicklungs- bzw. Stadtentwicklungsplanung und der Wissenschaft z.B. der Global Change- und Klimafolgenforschung findet heute nur punktuell aber nicht systematisch statt. Die Qualität der Nachhaltigkeitsstrategien ist z.T. sehr unterschiedlich. Nur wenige erfüllen den hohen OECD-DAC Standard für Nachhaltigkeitsstrategien. So gibt es zwar eine von der lokalen, über die regionale bis hin zu nationalen Ebene räumliche Umsetzungsstruktur für die nachhaltige Entwicklung, kritisch betrachtet greifen die „freiwilligen Instrumente“ des Rio-Johannesburg Prozesses bisher nicht und sind, was die Quantität und Qualität der Implementierung betrifft, von Ausnahmen abgesehen, insufficient. Es fehlen hier die Anreizsysteme. Der mit Rio eingeleitete Paradigmenwechsel könnte langfristig zu wesentlich effektiveren und effizienteren Umsetzungssystemen der Nachhaltigkeit, zur Lösung von Armutsproblemen, etc. führen. Das setzt voraus, dass die neuen Problemlösungsinstrumente mit Hilfe der Sustainability Sciene, welcher hier die Rolle einer Leitwissenschaft zukommt, konsequent umgesetzt werden. Hiermit sind eine Fülle von Instrumenten wie z.B. Managementsysteme, Indikatoren und auch Nachhaltigkeitsberichte verbunden, Entwicklungszusammenarbeit Prozessmanagement, die die bestimmen besonders werden. Beteiligungsverfahren und Für die das Fachberatung zukünftige komplexe ist die Unterstützung durch die angewandte Nachhaltigkeitswissenschaft erforderlich. 12 Ein wirksames Multi-Level Global Governance Modell für nachhaltige Entwicklung Die Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien ist ein zentaler Schritt zum Aufbau eines wirksamen multi-level Global Governance für nachhaltige Entwicklung. Es ist heute unbestritten, dass zur wirksamen globalen Problemlösung ein neues Global Governance7 geschaffen werden muss. Hierfür gibt es je nach Zielrichtung verschiedene Optionen und Ansatzpunkte. Das hier vorgestellte „MultiLevel Global Governance Modell“ beansprucht nicht die ökonomische Globalisierung zu gestalten, sondern hier geht es primär um ein Modul für ein wirksames Global Governance, für die Umsetzung global nachhaltiger Entwicklung, Armutsbekämpfung, Klimafolgenprävention und MDG Umsetzung von der globalen bis zur lokalen Ebene. Dabei kann auf schon von der UN und anderen int. Organisationen bestehende Elemente und Normen zurückgegriffen werden. Das ergänzte Global Governance für nachhaltige Entwicklung muss die bereits bestehenden, durchaus sinnvollen Instrumente verstärken. Der entscheidende Unterschied zum bestehenden System ist der, dass das mehr auf Freiwilligkeit basierende jetzige System, in ein völkerrechtlich verankertes Global Governance für nachhaltige Entwicklung überführt werden müsste, damit es wirksam werden kann. Die hierfür notwendigen Optionen, welche schon langjährig diskutiert worden sind: Eine Konvention für nachhaltige Entwicklung (Vorschlag Brundtland); ein MDG Aktionsplan 2008-2015 (Vorschlag von Jeffry Sachs); wissenschaftlich abgesicherte Nachhaltigkeitsstrategien (Int. Staatengemeinschaft); die Ausrichtung auf eine nachhaltige Weltwirtschaftsordnung (Vorschlag Global Marshall Plan) und die Schaffung einer neuen UN Organisation (Vorschlag verschiedener Staaten). Die neuen Elemente sind in der folgenden Grafik mit orange markiert. Um die Kohärenz mit der WTO; dem int. Währungsfond und der Weltbank herzustellen – könnte eine neue Konvention für nachhaltige Entwicklung diese Brücke bauen. Alle für eine nachhaltige Globalisierungsgestaltung steuerungsrelevanten globalen Normen der ILO, UN-Umweltabkommen, UNESCO, Menschenrechte und anderer 7 Ziel von Global Governance ist die „Entwicklung eines Institutionen- und Regelsystems und neuer Mechanismen internationaler Kooperation, die die kontinuierliche Problembearbeitung globaler Herausforderungen und grenzüberschreitender Phänomene erlauben (Messener 2000:284). 13 könnten den Kern der Konvention bilden. Damit wäre eine neue globale Balance, eine Verankerung von sozialen, ökologischen und ökonomischen Normen sichergestellt. Mit der Konvention könnte ein Mandat zur Gründung einer speziellen Umsetzungsorganisation8 verbunden werden. Wobei hier die strategische Option einer United Nations Sustainable Development Organization, UNSDO oder alternativ (wenn nicht über die UN) World Sustainable Development Organization, ernsthaft geprüft werden sollte, wozu alle relevanten internationalen Millennium Developement Goals UN Convention for Sustainable Development MDG Action Plan 2008-2015 Global Sustainable Development Strategy (Grand Design) Ecosocial Market Economy Implementation Agenda 21, Rio plus 5, Johannesburg Actionplan and Conventions National Sustainable Development Strategies, MDG and National Poverty Reduction Strategies Regional Sustainable Development Strategies, MDG and Poverty Reduction Strategies for Regional Governments Local Sustainable Development Strategies (Local Agenda 21),MDG and Poverty Reduction Strategies for Cities, Commuities and Villages Effective Implementation Cycle through a UNSDO*/WSDO Effective Multi-Level Global Governance System for SD, MDG and Poverty Reduction Strategies Implementation UNSDO= United Nations Sustainable Development Organization (UNEP & UNDP) © Stappen 2006 8 Die angedachte United Nations Environment Organisation, UNEO kann diese Funktion nur teilweise erfüllen, wobei die Umweltorganisation der UN massiv gestärkt werden muss - egal in welchen neuen Strukturen. Hier wird der Vorschlag zur Integration von Umwelt und Entwicklung eingebracht. 14 und UN Institutionen (UNDP, UNEP, GEF; World Solidarity Fund, UNFCCC, etc.) unter einem Dach gebündelt werden könnten. Ein institutionelle Trennung von Umwelt und Entwicklung im UN System ist seit der UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung (Rio 1992) faktisch ein Anachronismus und auch fachlich obsolet, weil hiermit in der Praxis, z.B. der Umsetzungsunterstützung für Nachhaltigkeitsstrategien, massive Kohärenznachteile verbunden sind. Dies führt auch dazu, dass das in Rio angedachte Umsetzungssystem faktisch nur teilweise funktioniert ! Mit einer UNSDO könnten die UN Programme für Umwelt (UNEP) und Entwicklung (UNDP) besser verzahnt, deutlich aufgewertet und im int. System auch gegenüber der WTO massiv gestärkt werden. Ziel der UNSDO wäre die Umsetzung globaler nachhaltiger Entwicklung, der Agenda 21, des Johannesburg Aktionsplans, der MDG und Umweltabkommen. Dies würde dem Rio-Johannesburg Prozess ein starke, institutionelle Verankerung geben, welche zur effektiven, effizienten und globalen Problemlösung unabdingbar ist. Vorraussetzung ist hier jedoch, dass die internationalen Vertragsparteien (Staaten) , sowie tangierte int. Organisationen WTO, Weltbank und IWF die neue Konvention (für nachhaltige Entwicklung) völkerrechtlich bindend annehmen und alle ihre Regelwerke auf Normenkonformität hin überprüfen und ändern. Hier müsste ein spezieller Ratifizierungsschlüssel gefunden werden, welcher dies bewirkt. Methodisch ist noch der Nachhaltigkeitszyklus (äußere Pfeile orange) hervorzuheben, welche zur kontinuierlichen Verbesserung des Gesamtsystems beitragen soll. Zentral ist dabei die Optimierung der Kohärenz verschiedener Normen, Ziele, Programme und Instrumente. Die eigentliche Archillesverse des Rio-Johannesburg Prozesses liegt auf der völkerrechtlichen Ebene. Bisher fehlt ein wirksamer, das ganze globale Governancesystem, umfassender völkerrechtliche Rahmen für die globalnachhaltige Entwicklung. Bisher hat die Staatengemeinschaft nur die Rio Deklaration verabschiedet, welcher völkerrechtlich nicht bindend ist. Nach den Empfehlungen der Brundtlandkommission sollte aber später eine völkerrechtliche Konvention für nachhaltigen Entwicklung verabschiedet werden: „Wir empfehlen, dass die Generalversammlung sich dazu verpflichtet, eine weltweite Deklaration und später eine Konvention zu Umweltschutz und dauerhafter Entwicklung vorzubereiten (Hauff 1987, 327).“ 15 Das Fehlen einer verbindlichen völkerrechtliche Konvention für nachhaltigen Entwicklung ist Unverbindlichkeit, die Achillesverse Beliebigkeit und des Rio-Johannesburg Prozesses. Die die Frustrationen gesamten Rio- des Johannesburg-Prozesses sind hierauf zurückzuführen. Die global nachhaltige Entwicklung - gilt international immer noch als freiwillige Aufgabe – und nicht als rechtlich verbindliche Pflichtaufgabe ! Dies wäre 1992 schon nötig gewesen und hätte auch eine stärke finanzielle Verbindlichkeit zur Folge gehabt. In Zukunft muss daher ein völkerrechtlich verbindlicher Umsetzungsmodus verankert werden, sowie die kohärente und konsequente Weiterentwicklung des internationalen Rechts für nachhaltige Entwicklung (International Law on Sustainable Development, vgl. Agenda 21 39.1 a) in Bezug auf alle globalen Regelwerke, massiv beschleunigt werden. Warum ist dies notwendig ? Hier mag ein historischer Rückblick helfen. Nach den totaler Waldvernichtung (Grenzüberziehung wegen Übernutzung) am Anfang der Neuzeit, im Eichstätter Hochstift wurde die Nachhaltigkeit der Waldbewirtschaftung gesetzlich verankert. Hätte der Fürstbischof von Eichstätt 1592 die Nachhaltigkeit nicht gesetzlich verankert, würde es heute sicher kaum noch Wald im Eichstätter Gebiet geben. Gleiches gilt auch für das System Erde und für die Sicherung der Grundbedürfnisse. Ohne völkerrechtliche Verankerung der Nachhaltigkeit werden die globalen, nationalen und regionalen Ökosysteme – die Selbstregulation der Erde, bereits im 21. Jahrhundert, dann auf jeden Fall im 22. Jahrhundert in Grenzüberziehungen geraten. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ist bis heute nicht völkerrechtlich verankert, es ist sogar selbst in den UN Dokumenten bisher keine Definition9 völkerrechtlich verankert. Eine völkerrechtlich verankerte Definition von nachhaltiger Entwicklung wäre ein Baustein für die noch ausstehende Konvention für nachhaltige Entwicklung und darüber hinaus auch für eine nachhaltige Weltwirtschaftsordnung. Ohne eine „Konvention für nachhaltige Entwicklung“ wird es kaum Bemühungen geben, die für die Umsetzung notwendigen Finanzmittel bereitzustellen ! Erste Rechtsprinzipien für eine Konvention wurden schon 1987 vorgeschlagenen (vgl. Hauff 1987: S.387-390). 1992 ist die Idee einer völkerrechtlich bindenden ErdCharta in der Rio Deklaration abgemildert wurde. Geplant war aber als Kern ein 9 Giulio Di, A.: Die Idee der Nachhaltigkeit im Verständnis der Vereinten Nationen. 16 völkerrechtliches Rahmenwerk. Erst mit dieser Konvention würden die allgemeinen Beschlüsse zur nachhaltigen Entwicklung von Rio, New York und Johannesburg völkerrechtlich bindend sein und zur Beschleunigung global nachhaltigen Entwicklung und zu einer massiven finanziellen Stärkung des Rio-Johannesburg Prozesses beitragen. In der Kontinuität des Rio-Johannesburg Prozesses, mit der Priorität der Umsetzung, wäre solch eine Konvention ein völkerrechtlich verbindlicher „Umsetzungs- und Finanzierungsvertrag für die internationalen Beschlüsse zur nachhaltigen Entwicklung“ auch im Sinne eines „Global Deal“ bzw. „North-South pact“ , wie er auch von der EU angestrebt wird: “38. The EU sees the Johannesburg WSSD as part of a process building on previous results including the Doha Development Agenda and the Monterrey Consensus. The aim is to achieve a Global Deal for sustainable development for the 21st century” (EU Priorities for 57th General Assembly: Art 38) 10. Und:“We launched a North-South pact that encompasses the results of Doha and Monterrey”. President Prodi’s Statement on WSSD 11 Internationale Pläne, Programme und Beschlüsse sind genügend vorhanden – was neben den nicht umgesetzen und defizitären Nachhaltigkeitsstrategien fehlt12, sind völkerrechtlich bindende Umsetzungs- und Finanzierungsregelungen bestehenden Beschlüsse und Programme. Hier besteht für die dringender Handlungsbedarf. 10 http://europa-eu-un.org/article.asp?id=1553&lg=5 http://europa-eu-un.org/article.asp?id=1601 12 Trotz der in Johannesburg verabschiedeten Stärkung des institutionellen Rahmens für eine nachhaltige Entwicklung. 11 17 2 Die vergessene „idea of limitations” Das dass „installierte globale Therapiesystem“ auch inhaltlich erhebliche Defizite hat und eine neue Logik des Gelingens dringend erforderlich ist, steht außer Frage. Zentrale Funktionen einer zukünftigen globalen Nachhaltigkeitsstrategie sind somit die Weiterentwicklung, Verbesserung und die Einleitung der Neuordnung des derzeitigen globalen Ordnungssystems. Es geht darum, dem Rio-Johannesburg Prozess eine neue qualitative Richtung zu geben. Ziel ist die schon 1992 geforderte Beschleunigung nachhaltiger Entwicklung (vgl. auch Agenda 21, Kapitel 2). Notwendig hier für ist die Klärung des Konzepts nachhaltiger Entwicklung. „Nachhaltige Entwicklung vollständig denken“ – Das Zwei-Säulenmodell Ein fundamentaler Schwachpunkt des bisherigen Rio-Johannesburg Prozesses und aller internationaler Beschlüsse, ist die allgemein bekannte Definition13 von „sustainable development“, die meist in folgender Form erfolgt: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“ (Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 1987, zitiert nach Bundesregierung:2002, S.9)“ Es geht hier jetzt nicht um die richtige Interpretation bzw. Operatonalisierung14 dieser Konzeption, sondern, einfach um die Tatsache, dass die Definition unvollständig ist. Dazu ist ein Blick in den Brundtland-Report notwendig. Die vergessene „Idee der Grenzen“ Die Weltkommission hat explizit die Definition mit zwei zentralen Grundprinzipien verbunden. Im englischen Original steht hier: 13 Der Begriff nachhaltige Entwicklung ist im strengen wissenschaftstheoretischen Sinne keine Definition, sondern eine Norm, Normsetzung ! 14 Die meisten Konzepte nachhaltiger Entwicklung sind streng genommen „Interpretationen nachhaltiger Entwicklung“, d.h. meist werden aus nationaler oder wissenschaftlicher Perspektive – zusätzliche Aspekte wie Lebensqualität, systemare Integrität, etc. (vgl. Renn 2007) in die Definitionen bzw. Konzeptionen eingebaut bzw. hineininterpretiert – normsetzend bzw. intentional gültig sind diese Ansätze in der Regel nicht ! 18 “Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains within it two key concepts: 1. The concept of “needs”, in particular the essential needs of the world`s poor, to wich overriding priority should be given; and 2. The idea of limitations imposed by the state of technology and social organization on the environment ability to meet present and future needs”. Was im gesamten Rio-Johannesburgprozess bisher ausgeblendet wurde, selbst von der Wissenschaft15 ist das zweite Grundprinzip die „idea of limitations“, in Bezug auf die Umwelt, die Ökosysteme und das Erd-Ökosystem. Dies kann auch erklären, dass die internationale Staatengemeinschaft die Definition der Weltkommission auf dem Rio Erdgipfel nicht übernehmen wollte. Sichtbar wird dies z.B. in der Rio Deklaration über Umwelt und Entwicklung, wo von „Grenzen“ (i.S. von limitations) des Erd-Ökosystems keine Rede mehr ist. Die 27 Prinzipien der Rio Erklärung stellen das Grundkonzept für nachhaltige Entwicklung dar und durch die einseitigen anthropozentrischen Regelungen, die vollständige Brundtland-Definition auf den Kopf. Was unter dem zweit Schlüsselkonzept der „idea of limitations“ zu verstehen ist ergibt sich nicht direkt aus dem obigen Satz. Die Brundtland Kommission hat im Unterkapitel „Konzept der nachhaltigen Entwicklung“ das zweite Schlüsselkonzept präzisiert: „Im Hinblick auf dauerhafte Entwicklung sollten wir solche Werte fördern, die Verbrauchsstandards innerhalb der Grenzen des ökologischen Möglichen setzen und nach denen sich alle richten könnten“ (Brundtland 1987, S.47) „Zumindest darf nachhaltige Entwicklung die natürlichen Systeme nicht gefährden, die das Leben der Erde erhalten: die Atmosphäre, das Wasser, den Boden und die Lebewesen“ (Brundtland 1987, S.48). „Im allgemeinen brauchen erneuerbare Ressourcen wie Wälder und Fischbestände nicht zerstört werden, wenn die Nutzungsrate 15 Vgl. Sachs, W.: Fair Future. 2005, wo zwar das Thema Gerechtigkeit und Grenzen intensiv diskutiert wird, aber keine Rückbesinnung auf die vollständige Brundtland erfolgt. So wird selbst auf Konferenzen zu den Grenzen hier kein Bezug genommen ! 19 innerhalb der Grenzen der Regeneration und natürlichen Wachstum bleibt“ (Brundtland 1987, S.49). „Der Verlust von Pflanzen- und Tierarten kann die Optionen künftiger Generationen entschieden einschränken, daher fordert dauerhafte Entwicklung, dass Pflanzen- und Tierarten erhalten werden“ (Brundtland 1987, S.49). „Nachhaltige Entwicklung fordert, dass die ungünstigen Einflüsse auf die Qualität von Luft, Wasser und anderen natürlichen Elementen minimiert werden, damit die gesamte Intaktheit des Ökosystems erhalten bleibt“. „Für nichterneuerbare Ressourcen wie fossile Brennstoffe und Minerale gilt, dass ihre Nutzung die zur Verfügung stehenden Bestände für künftige Generationen mindert (Brundtland, S.49) Boden sollte als nur soweit genutzt werden, wie er sich regenerieren lässt“. „Nachhaltige Entwicklung erfordert, dass die Verbrauchsrate nichterneuerbarer Ressourcen so wenige zukünftige Optionen ausschließt wie möglich“ (Brundtland 1987, S.49). Bei genauer Betrachtung hat die Brundtlandkommission schon 1987 ein differenzierteres und vollständigeres Konzept nachhaltiger Entwicklung vorgelegt, als es den heutigen Interpretationen und der Praxis entspricht ! Das ursprüngliche Konzept, man könnte es auch als (Zwei-Säulenmodell der Nachhaltigkeit bezeichnen) basiert auf eine normative Idee der Nachhaltigkeit. Es werden Managementregeln der Nachhaltigkeit vorgestellt, welche denen von Herman Daly in vielen Punkten entsprechen. Die grundlegenden Managementregeln der Nachhaltigkeit (i.S. von Herman Daly) besagen im wesentlichen: • Die Nutzung erneuerbarer Naturgüter (z.B. Wälder oder Fischbestände) darf auf Dauer nicht größer sein als ihre Regenerationsrate. Andernfalls ginge die Ressource zukünftigen Generationen verloren. • Die Nutzung nichterneuerbarer Naturgüter (z.B. fossile Energieträger) darf nach Möglichkeit und auf Dauer nicht größer sein als die Substitution ihrer Funktionen (Beispiel: denkbare Substitution fossiler Energie träger durch Wasserstoff aus solarer Elektrolyse). 20 • Die Freisetzung von Stoffen und Energie darf auf Dauer nicht größer sein als die Anpassungsfähigkeit der natürlichen Umwelt (Beispiel: Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre oder von säurebildenden Substanzen in Waldböden). Der eindimensionale Rio-Johannesburgprozess Die heutige Diskussion und Praxis nachhaltiger Entwicklung leidet an einem einseitigen, rein anthropozentrischen Fehlinterpretation nachhaltiger Entwicklung (Giulio 2004: S. 321). Nicht zu unterschätzen waren auch Uminterpretationen des Konzept. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung des Brundtlandberichts wurde nach dem Rio Erdgipfel, besonders von neoliberalen Ökonomen systematisch und gezielt zersetzt und radikal neu positioniert. Als Beispiele sei hier das sogenannte Dreisäulenmodell bzw. das Integrationsmodell der Nachhaltigkeit, die sog. regulative Idee der Nachhaltigkeit, die Interpretation als „Heuristik für die Reflexion und die Sicht als offener Prozess, für den es nur vorläufige und hypothetische Zwischenbestimmungen geben kann (Homann 1996) genannt. Dies führte zwangläufig zu dem „anything goes“ Phänomen der Nachhaltigkeit – zur vollständigen Beliebigkeit und zur Nichtunterscheidbarkeit von nachhaltig und nichtnachhaltig. Das damit verbundene politische Konzept war das der Deregulierung, die politische und ökonomische Konkurrenz („after Hegemony“), das wirtschaftspolitische Konzept das des Marktautomatismus und des Weltmarkts, die Entwicklungsstrategie die der Strukturanpassung der Länder (Outward looking strategies) – insgesamt einen Vorrang der Mikroökonomie (Altvater 1996, S.84). Heute dominiert dieses Nachhaltigkeitskonzept den gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsdiskurs in Deutschland, Europa, wenn nicht sogar weltweit, ohne das dies explizit wahrgenommen wird. Dies einseitige anthropozentrische Ausrichtung und Interpretation des Nachhaltigkeitskonzept, kann bis auf den Rio-Erdgipfel zurückverfolgt werden. So steht im Zentrum der Rio Erklärung primär der Mensch, d.h. die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung in Rio werden aus einer primär anthropozentrischen Perspektive festgelegt: Principle 1: “Human beings are at the centre of concerns for sustainable development”. 21 Die Natur bzw. Umwelt selbst wird, wenn man von Prinzip 716 absieht, rein auf den Menschen gedacht. Die Staatengemeinschaft hat hier das Kunstwort „environmental needs“ verwendet: Principle 3 :The right to development must be fulfilled so as to equitably meet developmental and environmental needs of present and future generations. Bei nachhaltiger Entwicklung geht es um die menschlichen Bedürfnisse an die Umwelt bzw. Natur ! Die Folgen der Nichtanerkennung der Grenzen In der Praxis führt die anthropozentrische Interpretation der Brundtlanddefinition, die dominante Heuristik in letzter Konsequenz zur Nichtanerkennung der Grenzen der Tragfähigkeit der Erde und Ökosysteme in allen internationalen Beschlüssen (z.B. der Agenda 21 ) und zur Beliebigkeit bei internationalen Regelungen (z.B. bei der WTO) mit fatalen Konsequenzen wie das einfache Beispiel des globalen, ökologischen Fußabdruck zeigt. Quelle: Fair Future 2005 16 Visionär auch für zukünftige Optionen und für ein vertieftes Verständnis des zweiten Schlüsselkonzepts ist dagegen das Prinzip 7 der Rio-Deklaration, worauf später einzugehen ist. 22 Grenzen wurden auf dem Rio Erdgipfel im Prinzip nicht akzeptiert und kommen auch in den UN Dokumenten als Begriff kaum vor. Grenzen z.B. der Tragfähigkeit der Erde (carrying capacity) und Ökosysteme, der Critical Loads (Eintragsraten) bzw. Critical Levels (kritische Konzentrationen), welche wissenschaftlich evident vorliegen, werden vom Montreal-Protokoll abgesehen, bis heute, von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt. Eine anthropozentrische und eindimensionale Interpretation von „sustainable development“, wie diese heute vertreten wird, ist interessanterweise mit dem ursprünglichen Konzept der nachhaltigen Entwicklung der Brundtlandkommission völlig unvereinbar (Hauff 1987: S.46). Als ein Beispiel der Nichtanerkennung von Grenzen ist der Klimaschutz. In Bezug auf die Atmosphäre wird die maximale Belastungsgrenze der Erde (zusätzliche global CO2 Senke) globale in Bezug auf das Treibhausgas CO2 auf 11 bis 13 Mrd. t geschätzt. Derzeit liegt aber der CO2 Ausstoß bei 27,5 Mrd. t pro Jahr, das heißt um 13,5 bis 14,5 Mrd. t über der physiologischen Belastungsgrenze der Erde. Würde die Staatengemeinschaft (selbst die Wissenschaft) die „idea of limitations“ und die zusätzliche globale CO2 Senke akzeptieren, wäre hier eine Reduktion des Treibhausgas CO2 um 60 % für das Nachfolgeprotokoll von Kyoto (2012) erforderlich. Zweitens hätte es keinen weiteren CO2 Anstieg seit 1992 geben dürfen (21,9 Mrd. t 1990/1992). Es gibt trotz Klimarahmen-Konvention keinen wirksamen Klimaschutz ! Quelle: Fair Future 2005 Die dominante Nachhaltigkeitsinterpretation und die Ausblendung der Grenzen könnte ein Erklärung dafür sein, dass es bis heute weder eine völkerrechtlich verbindliche Definition internationalen von „sustainable Staatengemeinschaft in development“ noch irgendeiner Form eine von der beschlossene 23 Konsensdefinition gibt – dies passt nicht ins Paradigma ! Wahrscheinlich ist dies auch darauf zurückzuführen, dass die UN Generalversammlung 1987 nur die verkürzte Definition erstmals verwendete: The General Assembly (96th plenary meeting, 11 December 1987) Concerned about the accelerating deterioration of the human environment and natural resources and the consequences of that deterioration for economic and social development, Believing that sustainable development, which implies meeting the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs, should become a central guiding principle of the United Nations, Governments and private institutions, organizations and enterprises… Die Brundtland-Definition ist völkerrechtlich nicht bindend. Völkerrechtlich bindend ist auch nicht die Rio Deklaration für Umwelt und Entwicklung17, diese ist mehr als Konsens zu verstehen. Das Ende der Beliebigkeit Die Ausblendung der „Idee der Grenzen“ führte auch zur Beliebigkeit in der Nachhaltigkeitspraxis und zur Dominanz der ökonomischen Dimension nachhaltiger Entwicklung. Die ökologische und humanitäre Norm nachhaltiger Entwicklung ist sekundär. Wenn wir nicht in einen globalen Kollaps steuern wollen, müssen wir von der Beliebigkeit zur Verbindlichkeit in der Nachhaltigkeitspraxis kommen. Hierzu brauchen wir dringend eine völkerrechtlich verbindliche Konsensdefinition von „sustainable development“, die möglichst wissenschaftlich und universalethisch begründet sein muss. Diese Definition müsste in der noch ausstehenden Konvention und alle nationalen Verfassungen verankert werden. Als Minimalkonsens wäre es auch denkbar, die vollständige Brundtland-Definition von der UN Vollversammlung nochmals zu bestätigen. 17 http://www.unep.org/Documents/Default.asp?DocumentID=78&ArticleID=1163 24 3 Eine superstarke, völkerrechtlich konforme Definition18 nachhaltiger Entwicklung Um die Unklarheiten des heutigen Konzept von nachhaltiger Entwicklung zu revidieren ist eine präzisere und konkretere Definition, welche im Kern auf der Brundtlanddefinition aufbauen muss nötig. Einen interessanter, neuer Vorschlag für eine „Definition starker Nachhaltigkeit“ wurde von Konrad Ott und Ralf Döring vorgelegt (Ott u. Döring: 2004), ältere Ansätze finden sich in der Studie Zukunftsfähiges Deutschland (1996), welche auf dem Umweltraum Konzept von Hans Opschoor aufbaut. Zentrale Grundgedanken der starken Konzeptionen sind die Erhaltung eines „konstanten Naturkapitals“ für künftige Generationen und die Idee der Gerechtigkeit (in Anlehnung an Rawls). Gerechtigkeitstheoretische oder wie auch immer begründete Ansätze „starker Nachhaltigkeit“, so gut begründet sie auch sein mögen, sind nicht per se für die internationale Staatengemeinschaft „konsensfähig“, d.h. weder gültig noch für die internationale Praxis relevant. Die einzigste Möglichkeit eine global, gültige Definition starker Nachhaltigkeit neu zu begründen, kann nur über den Umweg schon ratifizierter UN-Normen gegangen werden. Dabei muss auf Beschlüsse der UN zurückgegriffen werden. Schwache, mittlere, starke und superstarke Ansätze der Nachhaltigkeit, müssen sich zukünftig an ihrem globalen Problemlösungspotential messen lassen. Ein Vorschlag für eine ergänzende Definition19 von „sustainable development“, basierend auf ratifizierten UN-Normen, wäre der gravierende Unterschied zu allen bisherigen Definitionen. Eine superstarke Definition nachhaltiger Entwicklung20, welche auf zahlreichen UN-Normen gründet kann wie folgt definiert werden: Nachhaltige21 EntwicklungA der Erde ist eine Entwicklung, die die A Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt und die Gesundheit und Integrität 18 Nachhaltige Entwicklung ist im strengen wissenschaftstheoretischen Sinne keine Definition, sondern eine Norm, Normsetzung ! 19 Diese Definition soll die bisherigen Definition nur ergänzen – nicht ersetzen, sie hat aber den Vorteil, dass sie konkreter, präziser und leichter im Rahmen des Nachhaltigkeitsraum-Konzepts operrationalisierbar ist. 20 Sustainable development of the earth is a development that meets the basic needs of all human beings and which conserve, protect and restore the health and integrity of the Earth's ecosystem, without compromising the ability of future generations to meet their own needs and without going over the limits of long term capacity of the earth`s ecosystem. 21 Nachhaltig im Sinne (der Systemforschung) von aufrechterhaltbar, Aufrechterhaltbarkeit (Sustainability im Sinne der Systemdynamik und Erdsystemforschung): Zustand eines Systems, das sich so verhält, dass es über 25 des Erdökosystems B (living Earth) bewahrt, schützt und wiederherstellt, ohne zu riskieren, dass zukünftige GenerationenC ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können und die Grenzen der Tragfähigkeit der ErdeB überschritten werden22. Durch die Rückbindung der Definitionselemente auf ratifizierte UN-Normen ist diese präzisierte Definition nachhaltiger Entwicklung „per se“ - international gültig. Ohne superstarke Definition mit großem Problemlösungspotential – ist es wahrscheinlich, wie manche radikale Kritiker wie James Lovelock (2007) heute schon behaupten „zu spät“ für nachhaltige Entwicklung. Etwas pointierter ist hier Meadows: „It is too late for sustainable development, as that term is commonly understood“ (Meadows: 2005). Es lässt sich eine Schlussfolgerung ziehen: Ohne eine starke bzw. superstarke Definition von nachhaltiger Entwicklung, welche international gültig sein muss - ist es zu spät für nachhaltige Entwicklung. Schwache und mittlere Definitionen der Nachhaltigkeit, auch dem Drei-Säulenmodell, fehlt nicht nur das notwendige Problemlösungspotential, sondern diese Konzepte sind Teil des Problems in dem sie Nicht-Nachhaltigkeit zementieren. 4. Das Zweisäulen-Modell der Nachhaltigkeit im Sinnes eines Nachhaltigkeitsraum-Konzept (Concept of Sustainability Space) Vier Randbedingungen sind für die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung im 21. Jahrhundert zentral: 1. Die Vision eines würdigen, erfüllten und reichen Lebens für alle Menschen in Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und innerhalb der natürlichen Grenzen (idea of limitations). unbeschränkte Zeiträume ohne grundsätzliche oder unsteuerbare Veränderungen (Zusammenbruch) [...] existenzfähig bleibt und vor allem nicht in den Zustand der Grenzüberziehung gerät (vgl. Meadows 1992: S. 298 ) 22 A in Bekräftigung (reaffirming) der UN Millennium Development Goals, Rio Declaration on Environment and Development, der Agenda 21, dem Programm für die weitere Umsetzung der Agenda 21, dem Johannesburgplan, den Menschenrechten, den ILO Standards, ....) B in Bekräftigung (reaffirming) des Prinzip 7 der Rio Deklaration und der, Welt Charta der Natur22) C in Bekräftigung (reaffirming) der Declaration on the Responsibilities of the Present Generations Towards Future Generations22) 26 2. Die Erfüllung der Grundbedürfnisse, insbesondere der Ärmsten der Welt, die überwiegend Priorität haben sollten, durch Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele, wirksame Entwicklungszusammenarbeit und neue Finanzierungsquellen. 3. Die Anerkennung der Grenzen der Tragfähigkeit des Erd-Ökosystems (carry capacity), insbesondere durch wirksame Anreizsysteme für nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen, Energie-, Stoff und Transportproduktivität (Faktor4/20). 4. Die völkerrechtliche Verankerung einer nachhaltigen Weltwirtschaftsordnung23 mit einem gerechten Verteilungsprinzip24 (Equity-Faktor) in einer kulturell, vielfältigen und nachhaltigen Weltzivilisation. Diese Randbedingungen müssen in die Nachhaltigkeitsstrategien aller Staaten, Provinzen und Kommunen verankert werden. Ziel ist die beste und nachhaltigste aller Welten im 21. Jahrhundert zu gestalten. Eine andere Alternative wäre eine ergänzende Definition25 aufgrund der Erkenntnisse der Sustainability Science26 und der Global Change Forschung, wobei beide Definitionen im Kern gleich sind, nur in einzelnen Termini weichen sie voneinander ab. Zentral ist dabei die Fokussierung der Definition auf die ganze Erde, die Grundbedürfnisse und die Integration der Grenzen in die Definition. Fokussierung auf Grundbedürfnisse Die Präzisierung auf Grundbedürfnisse ist nicht neu und wurde schon von der Brundtland-Kommission intendiert (Hauff: S.46). Entsprechend der Definition der Weltbeschäftigungskonferenz (1976) umfassen die Grundbedürfnisse den laufenden Mindestbedarf des einzelnen und seiner Familie an Ernährung, Unterkunft und 23 24 25 Riegler, J.: Ökosoziale Marktwirtschaft. Denken und Handeln in Kreisläufen. Graz 1997 Rademacher, F.J. und R. Pestel Sustainable development of the earth is a development that meets the fundamental human needs (of all human beings) and which preserve the life-support system of Planet Earth, without compromising the ability of future generations to meet their own needs and without going over the limits of long term capacity of the earth`s ecosystem 26 Robert W. Kates et al : Sustainability Sceince. In Science. VOL 292. 27 April 2001 27 Kleidung, ferner lebenswichtige öffentliche Dienstleistungen, insbesondere Trinkwasser, sanitäre Anlagen, öffentliche Verkehrsmittel, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Mit der Fokussierung auf die Grundbedürfnisse würde die Armutsbekämpfung („das Leben in Würde“) in das Zentrum der nachhaltigen Entwicklung gerückt. Ein wichtiger Verweis ist das 1. Prinzip der Declaration on the United Nations Conference on the Human Environment wo explizit ein Leben in Würde erwähnt wird. Principle 1 “Man has the fundamental right to freedom, equality and adequate conditions of life, in an environment of a quality that permits a life of dignity and well-being, and he bears a solemn responsibility to protect and improve the environment for present and future generations” . Fokussierung auf die Anerkennung und Einhaltung der Grenzen Die global nachhaltige Entwicklung kann nur dann gelingen, wenn „die Menschheit die ihr gesetzten Grenzen erkennt und sich an bestimmte Maße der Ausbeutung und Nutzung des Planten hält...Alles kommt drauf an, dass die Grenzen der Belastbarkeit erkannt, festgelegt und respektiert werden“ (Vischer 2001, S.89). Die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde (vgl. hierzu auch Weizsäcker, S.244) wären das substanziell Neue in der Definition, welche aber im Prinzip in der UN Weltcharta der Natur (long-term capacity of natural systems) und in der Stockholm Deklaration enthalten sind: “In the decision-making process it shall be recognized that man's needs can be met only by ensuring the proper functioning of natural systems and by respecting the principles set forth in the present Charter” (UN World Charter for Nature, Art. 6 1982). Und ergänzend: “In formulating long-term plans for economic development, population growth and the improvement of standards of living, due account shall be taken of the long-term capacity of natural systems to ensure the subsistence and settlement of the populations concerned, recognizing that this capacity may be enhanced through science and technology” (UN World Charter for Nature, Art. 8 1982). 28 Vgl. auch Principle 3: “The capacity of the earth to produce vital renewable resources must be maintained and, wherever practicable, restored or improved.” Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment (1972) Völkerrechtlich verankerte, humanitäre und ökologische Grundnormen für eine global nachhaltigen Entwicklung Die oben erwähnten „key concepts“ sind nichts anderes als normative Festsetzungen, welche sich auch in anderen UN Dokumenten finden, sie brauchen nicht etabliert werden, sondern müssen nur befolgt werden. Die Nichteinhaltung der Grundnormen können auf lokaler, nationaler und selbst globaler Ebene zur Barbarei und zum Kollaps führen. Sie sind die Achillesverse unserer Existenz. Aufbauend auf das Umweltraumkonzept von Hans Opschoor, bzw. dem ökologischen Fußabdruck (M. Wackernagel) wird hier das humanitäre Konzept (Bedürfnis-Konzept) ergänzt und zu einem Nachhaltigkeitsraum-Konzept integriert – d.h. ökologische und humanitäre Maßstäbe werden zu einem NachhaltigkeitsMaßstab verschmolzen. Das neue Paradigma der nachhaltigen Entwicklung (Zwei-Säulenmodell) muss nach der vollständigen Definition nach Brundtland, zwei minimale globale Normen erfüllen, welche schon im internationalen Rechtssystem verankert sind: 1. Humanitäre Grundnorm der nachhaltigen Entwicklung: Die Erfüllung der Grundbedürfnisse aller Menschen in Gegenwart und Zukunft (zukünftiger Generationen) - für ein Leben in Würde. Hier geht es normativ und völkerrechtlich um nichts anderes, als um die globale Umsetzung von § 25 der Universal Declaration of Human Rights.27 2. Ökologische Grundnorm der nachhaltigen Entwicklung: Die Anerkennung und Einhaltung der Grenzen der Tragfähigkeit der Erde und Ökosysteme für unbeschränkte Zeiträume durch die internationale Staatengemeinschaft, welche wissenschaftlich evident sind. Hier geht es normativ und 27 Aus Thomas Pogge : § 25 der Univesal Declaration of Human Rights : “Everyone has the right to a standard of living adequate for the health and well-being of himself and of his family, including food, clothing, housing and medical care and necessary social services, and the right to security in the event of unemployment, sickness, disability, widowhood, old age or other lack of livelihood in circumstances beyond his control”. 29 völkerrechtlich um die globale Umsetzung des Prinzips 7 der Rio Deklaration: “States shall cooperate in a spirit of global partnership to conserve, protect and restore the health and integrity of the Earth's ecosystem”. Die humanitäre und ökologische Grundnormen für nachhaltige Entwicklung sind für die Existenzfähigkeit von Menschheit und Erde unabdingbar. Grundnorm 2 ist eine notwendige Bedingung für Grundnorm 1, d.h. ohne Einhaltung der Grenzen, der Grundnorm 2, kann es dazu kommen, das Grundnorm 1 nicht eingehalten werden kann, z.B. wenn nicht alle Menschen ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Die rechtsphilosophische Begründung könnte auf der Theorie globaler Gerechtigkeit erfolgen, die ethische Begründung auf dem ersten Imperativ: dass eine Menschheit28 und Erde sei – des Prinzips Verantwortung von Hans Jonas. Humanitäre und ökologische Gerechtigkeitskriterien nachhaltiger Entwicklung Aufgrund der globalen Grundnormen für nachhaltige Entwicklung, die im internationalen Rechtssystem verankert sind, können zwei humanitäre und ökologische Gerechtigkeitskriterien universalethisch abgleitet werden, ohne die keine globale Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit möglich ist. Diese haben bei einer transnationalen Auslegung der globalen Gerechtigkeit von § 1 der Universal Declaration of Human Rights in Bezug auf alle Menschen, auch heute schon universalethische Gültigkeit. 1. Humanitäres Gerechtigkeitskriterium: Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf die Teilhabe an den Reichtümern und Gütern der Erde29, welche er für ein Leben in Würde benötigt. Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf die Verteilung der Reichtümer und Güter der Erde, welche er für ein Leben in Würde benötigt. Ein gerechter Verteilungsschlüssel (Equity-Faktor) hierzu, muss durch die Staatengemeinschaft global und durch jeden einzelnen Staat national bestimmt werden. 2. Ökologisches Gerechtigkeitskriterium: Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf eine gesunde Umwelt (Ökosysteme) und eine gesunde Erde, dies 28 Jonas, Hans: Prinzip Verantwortung. 1984 . Der erste Imperativ wurde hier durch die „Erde“ ergänzt, denn rational gesehen, kann ohne Erde die Menschheit nicht sein. 29 Dies setzt voraus, dass „der Menschheit als Ganzer ein unverlierbares Teilrecht an allen Naturschätzen zugeschrieben wird: Vgl. hierzu: Thomas Pogge.: Eine globale Rohstoffdividende. In Christine Chwascza, Wolfgang Kersting (Hrsg.): Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, Frankfurt 1998, Seite 341. 30 gilt auch für zukünftige Generationen gleichermaßen30. Jeder Mensch hat das gleiche Recht, für die Erfüllung seiner Grundbedürfnisse (Grundnorm 1) global zugängliche Ressourcen31 in Anspruch zu nehmen, solange die Ökosystem (Umwelt) und Erde nicht in den Zustand der Grenzüberziehung gelangen.32 Der gerechte Verteilungsschlüssel der humanitären Gerechtigkeitskriterium lässt sich gut durch Thomas Pogge Argument der „Umkehr der Rechtfertigung“ begründen : „ Wenn innerhalb eines Staates oder vergleichbaren sozialen Systems radikale Ungleichheit besteht, dann ist seine Grundordnung (die Gesamtheit seiner wichtigeren sozialen Institutionen) prima facie ungerecht und bedarf dann einer besonderen Rechtfertigung. Dabei liegt die Beweislast bei denen, die diese Grundordnung, und ihre Durchsetzung mit Zwangsmitteln, als mit der Gerechtigkeit vereinbar rechtfertigen wollen (Pogge Manusskript I).“ Der ganze Komplex der globalen Gerechtigkeit muss hier aus Zeitgründen vorerst ausgeklammert werden. Nachhaltige Weltwirtschaftsordnung Diese Grundnormen und Grundrechte sind neben allen völkerrechtlichen Normen und Rechten, welche nicht im Widerspruch zur nachhaltigen Entwicklung stehen, das Fundament einer nachhaltigen Weltwirtschaftsordnung, im Sinne von sozialökologischen Markt- und Planwirtschaften33. Der derzeitige Trend der unregulierten Weltökonomie kann, wenn sich nichts verändert, im 21. Jahrhundert dazu führen, dass die humanitären und ökologischen Grundnormen von den meisten Staaten nicht mehr erfüllt werden können. Verantwortlich hierfür ist das neoliberale Megaphilosophie und die damit verbundene implizite, neoliberale Weltwirtschaftsordnung. 30 Der Gedanke beruht im wesentlichen auf das Umweltraum-Konzept von Hans Opschoor. Vgl. auch Opschoor, J.B.: Environment, Economics and Sustainable Development. Groningen 1992 31 Interessant ist hier die Idee einer Rohstoffdividende von Thomas Pogge: diejenigen, die mehr als von den Rohstoffen unseres Planeten verbrauchen (im allgemein sind das die Wohlhabenden) diejenigen entschädigen (sollten), deren Verbrauch – unfreiwillig- nur sehr geringfügig ist. Alle die einen Mehrverbrauch über ihren Bedürfnissen haben sollten in einen globalen Fond einbezahlen, womit die globalen Ungleichheiten ausgeglichen werden können und auch nicht-erneuerbare Ressourcen geschont werden könnten !. 32 Die Legitmation dieses Kritreiums, ergibt sich aus § 1 Univesal Declaration of Human Rights “All human beings are born free and equal in dignity and rights.” 33 Wobei jeder Staat das Recht hat, seine Wirtschaftsordnung selbst wählen zu können – im Prinzip wäre auch eine sozial-ökologische Planwirtschaft, z.B. für China denkbar. 31 Die heutige stark neoliberale geprägte Weltwirtschaftsordnung steht heute im Einklang mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung der internationalen Staatengemeinschaft, so wie in Rio formuliert - aber im Widerspruch zur ursprünglichen Nachhaltigkeitskonzeption der Bundlandkommission. Hier wurde z.B. schon 1987 festgestellt, das für nachhaltige Entwicklung, „ein internationales System, das nachhaltige Handels- und Finanzbeziehungen fördert“ erforderlich ist (Brundtland, S.69). Die Elemente des Washington Consensus stehen, im Widerspruch zu den Elementen des Rio-Johannesburg Consensus. So muss man sich z.B. Fragen ob die Privatisierung der Staatsbetriebe zur Erfüllung der Grundbedürfnisse und zur Einhaltung ökologischer Grenzen beiträgt ? Ist dies nicht der Fall, gibt es einen Widerspruch zur nachhaltigen Entwicklung und damit einen Widerspruch zur Staatengemeinschaft. Ziele und hieraus abgeleitete Regeln z.B. der WTO die in Zielkonkurrenz zur Nachhaltigkeit stehen – sind im 21. Jahrhundert weder völkerrechtlich legitim noch moralisch vertretbar. Auch wenn einige Elemente des Washington Consensus Haushaltsdefiziten, Staatengemeinschaft so durchaus muss umdefiniert vertretbar dieser sind, aufgrund werden. z.B. des der Abbau von Konsens der widerspricht der neuen Strenggenommen Washington Consensus dem „ersten Imperativ – dass eine Menschheit sei“, unserer Grundpflicht gegenüber der Zukunft der Menschheit und dem gesamten RioJohannesburg Prozess (Jonas 1984: 89-91). Verantwortlich hierfür ist die mangelnde völkerrechtliche Definition und Verankerung der nachhaltigen Entwicklung. Die derzeitige globale Marktfundamentalismus bzw. das neoliberale globale Steuerungsmodell stehen hier in Zielkonkurrenz zur nachhaltigen Entwicklung, den humanitären und ökologischen Grundnormen, oder anders ausgedrückt zum globalen Existenzsicherungsziel. Eine nichtnachhaltige, neoliberale Weltwirtschaftsordnung, wie sie heute besteht, erfüllt beide Grundnormen global nicht oder nur unzureichend und ist im globalen, als auch im nationalen und regionalen Maßstab, weder sozial noch ökologisch. Nachhaltige Weltwirtschaftsordnung durch eine sozial-ökologische Marktwirtschaft 32 Nur eine Weltwirtschaftsordnung, die die humanitären und ökologischen Grundnormen und Grundrechte nachhaltiger Entwicklung sichert, erfüllt die Kriterien der nachhaltigen Entwicklung vollständig und verdient den Namen nachhaltige Weltwirtschaftsordnung. Der erste Imperativ erfordert, dass die nicht-nachhaltige Weltwirtschaftsordnung des 20. Jahrhunderts durch eine nachhaltige Weltwirtschaftsordnung für das 21. Jahrhundert ersetzt wird. Die rechtliche Grundlage hierzu (Grundnorm 1) ist in § 28 der „Universal Declaration of Human Rights“ verankert: “Everyone is entitled to a social and international order in which the rights and freedoms set forth in this Declaration can be fully realized.” gibt es zumindestens einen Anspruch eines jeden Menschens dieser Erde zur Umsetzung in Form einer neuen internationalen Ordnung im Sinne einer nachhaltigen Weltwirtschaftsordnung.34 Ohne eine neue nachhaltige Weltwirtschaftsordnung ist die zwingend notwendige 100 % Umstellung auf nachhaltige Konsum- und Produktionsstrukturen35 weltweit kaum umsetzbar – es fehlt das Anreizsystem zur Umstellung. Nur wenige Konsumenten und Produzenten arbeiten hier freiwillig, im Sinne des Prinzips Verantwortung und leisten heute schon einen aktiven Beitrag für eine ökosoziale Marktwirtschaft. Konsumstil und neue Frugalität In der Debatte um eine nachhaltige Weltwirtschaftsordnung muss die dringend notwendige Diskussion, um einen neuen, nachhaltigen Konsum- und Lebensstil geführt werden. Grundsätzlich gilt hier die Aussage der Bundtlandkommission: „Lebensstandards, die über das Minimum hinausgehen, sind nur nachhaltig, wenn Verbrauchsstandards überall langfristige Nachhaltigkeit in Betracht ziehen“ (Brundtland 1987, S.47). Es ist internationaler Konsens, dass der Lebensstil und die Konsumweise, in den Industrieländern als auch in vielen Entwicklungsländern absolut nicht nachhaltig ist: 34 Vgl. hierzu auch Pogge, T: Internationale Gerechtigkeit: Ein universalistischer Ansatz, S. 34. In: Ballestrem, K.G. (Hrsg.): Internationale Gerechtigkeit. Opladen 2001 35 Die wurde 1992 schon in der Agenda 21 empfohlen und vom Weltgipfel in Johannesburg 2002 bekräftigt. 33 Nachhaltiger Konsum (Auszüge aus der Agenda 21) „4.3 Zwischen Armut und Umweltzerstörung besteht eine enge Wechselbeziehung. Zwar bringt auch die Armut bestimmte Arten von Umweltbelastungen mit sich, doch ist die Hauptursache für die allmähliche Zerstörung der globalen Umwelt in den nicht nachhaltigen Verbrauchs- und Produktionsmustern - insbesondere in den Industrieländern - zu sehen, die Anlaß zu ernster Besorgnis geben und zunehmende Armut und Ungleichgewichte verursachen (vgl. Agenda 21, Kapitel 4). 4.5 ...Während in bestimmten Teilen der Welt übermäßig konsumiert wird, bleiben die Grundbedürfnisse eines großen Teils der Menschheit unbefriedigt. Dies führt zu überhöhten Ansprüchen und einer auf Dauer nicht vertretbaren Lebensweise der wohlhabenden Bevölkerungsanteile, was wiederum mit einer immensen Belastung der Umwelt einhergeht. Die ärmeren Teile der Weltbevölkerung indessen sind nicht in der Lage, ihre Bedürfnisse in bezug auf Nahrung, Gesundheitsfürsorge, Wohnraum, Bildung und Erziehung zu befriedigen. Eine Veränderung der Verbrauchsgewohnheiten setzt eine aus mehreren Elementen bestehende Strategie voraus, die sich gezielt mit den Fragen des Bedarfs und der Deckung der Grundbedürfnisse der Armen befaßt und die dem Abbau, der Verschwendung und der Übernutzung begrenzter Ressourcen im Rahmen des Produktionsprozesses entgegenwirkt. 4.8 Bei ihrer Auseinandersetzung mit der Frage des Konsumverhaltens und der Lebensweise im Gesamtzusammenhang von Umwelt und Entwicklung sollen die Länder von folgenden grundlegenden Zielvorgaben ausgehen: a) Alle Länder sollen danach streben, nachhaltige Verbrauchsgewohnheiten zu fördern; b) die Industrieländer sollen bei der Einführung nachhaltiger Verbrauchsgewohnheiten die Führung übernehmen; c) die Entwicklungsländer sollen im Rahmen ihres Entwicklungsprozesses die Verwendung nachhaltiger Verbrauchsgewohnheiten anstreben, um einerseits die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Armen zu gewährleisten, gleichzeitig aber die insbesondere in den Industrieländern verwendeten ökologisch nicht vertretbaren Verbrauchsgewohnheiten, die generell als zu umweltschädlich, ineffizient und verschwenderisch betrachtet werden, im Verlauf dieses Prozesses zu vermeiden. Dies setzt eine verstärkte technologische und anderweitige Hilfeleistung der Industrieländer voraus. Für einen, wie in der Agenda 21 geforderten Kurswechsel ist dringend eine neue Frugalität nötig wie Hans Jonas betont. „Um die im vollen Lauf begriffene Ausplünderung, Artenverarmung und Verschmutzung des Planeten aufzuhalten, der Erschöpfung seiner Vorräte 34 vorzubeugen, sogar einer menschverursachten, unheilvollen Veränderung des Weltklimas, ist eine neue Frugalität in unsern Konsumgewohnheiten vonnöten“ (Hans Jonas 1987: S. 67). Der Kurswechsel hat auch der Weltgipfel 2002 nochmals bekräftigt und 10 Jahres Programme für nachhaltigen Konsum- und Produktion vorgeschlagen (Johannesburgplan 2002: Art.14). Seit Rio gilt die Aussage von Klaus Töpfer: „Dabei muss ebenso unmissverständlich klar gestellt werden, dass die Zukunftsfähigkeit der Welt zu allererst in den hochentwickelten „reichen“ Ländern des Nordens in Angriff genommen werden muss. Durch eine Veränderung der Konsumund Produktionsstrukturen müssen die ökologischen Fußabdrücke des Nordens im entwicklungsbedürftigen Süden systematisch verringert werden (Töpfer 2002: S. 17). Eine neue nachhaltige Weltwirtschaftsordnung darf nicht nur strukturell gesehen werden, sondern macht ohne die Verhaltensdimension keinen Sinn. Struktur (z.B. Produktion) und Verhalten (z.B. Konsum) der Weltzivilisation gehören untrennbar zusammen (grundlegend hierzu Brand36 2005). Zentral ist aber der treibende Geist der Weltzivilisation, der blind im Nebel herumstochert und die Orientierung verloren hat. 5 Globale Heuristik der Nachhaltigkeit Alle die hier vorgebachten Gedankengänge zeigen, dass wir einen alternativen, globalen Zukunftsentwurf brauchen, um das dominante nichtnachhaltige Modell geistig, rechtlich und praktisch zu ersetzen – eine ganz neue Vision, Strategie und ein neues globales Metaleitbild. Das neue Metaleitbild muss sich von Ideologien durch Zukunftsoffenheit (Undeterminiertheit) und vom Liberalismus durch Gerichtetheit unterscheiden (Spangenberg 2005, 336). „Der mit dem Begriff der Nachhaltigkeit charakterisierter Zustand muss in Form eines Zukunftsentwurfs und in Form von Zielen konkretisiert und opernationalisiert werden..) in den untersuchten Dokumenten der Vereinten Nationen fehlt ein 36 Believing that technical and social realms are much more connected than most people concerned with sustainability tend to admit, the author has developed an innovative and integrated strategy that encourages people to 'co-design' technologies that make socially-desired behaviours more attractive. 35 explizierter Zukunftsentwurf...in der Agenda 21 formulierte Ziele sind über weite Strecken nicht konkret genug (Giulio 2004, 319). Die neue globale Vision muss dabei in den Grenzen der Tragfähigkeit der Erde entwickelt werden (Weizsäcker 1995: S.245 ). Dieses fundamentale Kriterium erfüllt die Agenda 21 und im Prinzip alle Umwelt-Konventionen, außer dem MontrealProtokoll bisher nicht. Erfolgreiche Modelle für neue Visionen wurden in Europa mit der weniger bekannten Studie „Sustainable Europe“ und in Deutschland mit der stark diskutierten Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ (BUND/MISEREOR 1996) erfolgreich in die gesellschaftliche Diskussion eingebracht. Es geht zum einem darum, der Menschheit Orientierung zu geben „was in Zukunft sein sollte“, hierfür sind globale Ziele und Leitbilder notwendig. Zum Beispiel könnte eine nachhaltige Weltwirtschaftsordnung ein solches globales Leitbild sein. Die globalen Ziele und Leitbilder sollen aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse, der humanitären und ökologischen Grundnormen und den zugehörigen Gerechtigkeitskriterien entwickelt und begründet werden. Probleme können dann leichter durch die Abweichung von Ist- und Sollzustand identifiziert werden (Giulio 2004, 319). Eine neue Globale Heuristik der Nachhaltigkeit37 , welche methodologisch und methodisch abgesichert, wissenschaftlich Grenzen und Grenzwerte für das ErdÖkosystem und Minimalwerte für die Bedürfniserfüllung der Menschheit setzt und daraus wissenschaftlich-normative Ziele für die Menschheit, die Staaten, Regionen und Kommunen begründet ist anzudenken. Kernbausteine einer Globalen Heuristik der Nachhaltigkeit, welche hier nur in Ansätzen dargelegt werden und im Kern auf den Brundtlandbericht beruhen (Brundtland 1987, 308) sind: • Erschließen der Ursachen und Grenzen • Umgang mit den globalen Folgen • Prüfen globaler Risiken • Normsetzung durch das Nachhaltigkeitsraum-Konzept • Opernationalisierung von globalen Zielen • Partizipation bei der Leitbildentwicklung (Zukunftsentwürfe) 37 Vgl. Zur Heuristik vgl. hierzu Stappen, R. und R. Brand. 1997 36 • Verankerung in die globale Nachhaltigkeitsstrategie • Weise Entscheidungsfindung (wise consense) • Verankerung von globalen Normen, völkerrechtlichen Regeln und Abkommen • Investitionen in unsere Zukunft • Managementsystem und Berichterstattung Ziele und Leitbilder für eine globale Nachhaltigkeitsstrategie Es ging darum, langfristige Ziele normativ, wissenschaftlich und möglichst partizipativ im globalen Konsens festzulegen und hierzu globale Leitbilder zu entwickeln. Wichtig ist dabei jedoch die Möglichkeit der dynamischen Fortschreibung und Änderung einmal festgelegter Ziele, welches auf der lokalen Ebene z.B. durch die sog. Dynamische Agenda 21 erfolgt. Die Leitbilder und Ziele (Jahr 2030/2050) in der folgenden Tabelle stellen einen ersten Versuch der Operrationalisierung der Normen und Gerechtigkeitskriterien dar, welche hier nur semi-streng erfolgte und wozu verschiedene Quellen herangezogen wurden. Ausgehend von den MDG wurden für 2030/2050 weitere Ziele festgelegt, welche einen zukünftigen Orientierungsrahmen darstellen und jeweils mit der Heuristik der Nachhaltigkeit überprüft werden müssen. Wichtig ist hier jedoch die kohärente Verbindung von Grundnormen, Gerechtigkeitskriterien, Grenzen (Defizite) und Ziele. Diese Ziele müssen alle wissenschaftlich überprüft und jeweils ein Konsens hierzu gebildet werden. 37 Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) Ziele für eine zukunftsfähige Erde Kurzfristige Ziele (2015) Langfristige Ziele (2030/2050) Ziele und Leitbilder I. Freiheit von Armut 550 Mio. Menschen weniger die mit 1 US-Dollar pro Tag Erfüllung der Grundbedürfnisse aller Erdbewohner, leben Sicherung der Existenzrechte Halbierung der Zahl der Hungernden auf 400 Millionen bis Freiheit von menschunwürdiger Armut Erfülltes, 2015 Nationale Equity-Faktoren > 50 % gesundes und Erhebliche Verbesserungen im Leben von mindestens 100 Freiheit von Hunger Millionen Slumbewohnern erzielt zu haben (2020) Menschenwürdige Wohnungen für alle Menschenwürdige und produktive Arbeit für junge Menschen Menschenwürdige Arbeit für alle Frauen und Männer menschenwürdiges Leben für alle II. Bildung für alle Interkulturelle, suffiziente Weltzivilisation 100 % vollständige Grundschulbildung für alle Jungen und Qualifizierte, wertorientierte Bildung und lebenslanges Mädchen Lernen für alle Erdbewohner III. Gleichstellung der In der Grund- und Mittelschulausbildung soll bis zum Jahr Volle Gleichstellung der Frau Frau 2005 und auf allen Ausbildungsstufen bis zum Jahr 2015 Besonderer Schutz der Einheit der Familie, sowie von jede unterschiedliche Behandlung der Geschlechter beseitigt Witwen, Waisen, Kinder, Jugendlichen und Senioren Schutz der Familie IV. Reduzierung der Kindersterblichkeit werden Die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren soll um zwei Kindersterblichkeit gegen Null Drittel gesenkt werden Erstklassige, kostenlose medizinische Grundversorgung In Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie und Medikamente für alle Kinder (und Hilfsbedürftigen) sollen lebenswichtige Medikamente in den Verpflichtende Gesundheitserziehung Entwicklungsländern zu erschwinglichen Preisen verfügbar Sicherung der Rechte der Kinder gemacht werden V. Die Müttersterblichkeit soll um drei Viertel gesenkt werden Natürliche Müttersterblichkeit Gesundheitsversorgung Natürliche Familienplanung und Zugang zur für Mütter reproduktiven Gesundheit VI. Die Ausbreitung von HIV/Aids soll zum Stillstand gebracht Global Health Equity Gesundheitsprävention und zum Rückzug gezwungen werden HIV/AIDS Minus 100 % für alle Der Ausbruch von Malaria und anderer schwerer Gesundheit für alle – Gesundheitsplanung für alle Krankheiten soll unterbunden und ihr Auftreten zum Rückzug Kommunen (Gesunde Stadt) gezwungen werden Überwindung der Malaria und aller vermeidbarer (Aids/Malaria) Epidemien, Pandemien und Epizootien > 100.000 Terramediziner weltweit 38 Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) Ziele für eine zukunftsfähige Erde Kurzfristige Ziele (2015) Langfristige Ziele (2030/2050) Ziele und Leitbilder VII. Sicherung der Umsetzung der Agenda 21 und der nachhaltigen Globaler Equity Faktor > 0,5 globalen Nachhaltigkeit Entwicklung in die nationale Politik CO2-Minderung –Minus 90 % auf unter 13 Mrd. T pro Ethik der Erhaltung und pfleglichen Umgang mit der Umwelt Jahr bzw. 2 T pro Kopf Umsetzung eine neuen Kytoprotokolls, welches dies Rapide Anpassung aller Kommunen an den Klimawandel globalen Senken akzeptiert, des Übereinkommens zur Globale Verankerung hoher Umwelt-, Sozial- , Wüstenbildung, der Konvention zur biologischen Vielfalt Arbeitsschutz- und Gesundheitsstandards Entwicklung regionaler und nationaler Wasserstrategien 100 % nachhaltiger Konsum- und Produktion Zahl und die Auswirkungen von Natur- und anthropogenen (nachhaltige Unternehmen) Katastrophen zu vermindern 100 % globaler und lokaler Fairhandel Die Zahl der Menschen, die über keinen nachhaltigen Keine menschenunwürdige Kinderarbeit Zugang zu gesundem Trinkwasser verfügen, soll um die Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe Hälfte gesenkt werden Demateralisierung der Weltökonomie Bewahrung, Schutz und Regeneration der Gesundheit und Nachhaltiges Handwerk und Sicherung dezentraler Integrität des Erd-Ökosystems (Einhaltung der Unternehmensstrukturen (Mittelstand) biophysischen Grenzen) Zero Emission Produktion und Kreisläufe Nachhaltige Mobilität und Transport Weltweite Schuldenfreiheit, effektive und effiziente partnerschaftliche Unterstützung Nachhaltige Technologien / Wissenschaft Schutz aller nichterneuerbaren Ressourcen Good Governance aller Regierungen (global, national, regional, lokal) VIII. Verankerung Ein offenes Handels- und Finanzsystem, das auf festen Entscheidungen nach dem Prinzip der Weisheit (Wise einer globalen Partnerschaft Regeln beruht, vorhersehbar ist und nicht diskriminierend Consensus) auf allen Ebenen wirkt, soll weiter ausgebaut werden. Subsidäres und demokratisches Global Dies schließt eine Verpflichtung zu guter Staatsführung, zur Governancesystem mit Weltparlament (Weltdemokratie) Entwicklung und zur Beseitigung der Armut sowohl auf und globalen Steuern nationaler wie auf internationaler Ebene ein Kohärentes System der Nachhaltigkeits- und Auf die besonderen Bedürfnisse der am wenigsten Gesundheitsstrategien für alle Ebenen (global, national, entwickelten Länder muss entsprechend eingegangen regional und lokal) werden. Dazu gehören der zoll- und quotenfreie Alle globalen öffentlichen Güter unter Treuhand der Marktzugang für die Exporte dieser Länder; die verstärkte Vereinten Nationen Schuldenerleichterung für die hochverschuldeten armen Schutz der Rechte lokaler Gemeinschaften, Kulturen und Länder; die Streichung aller bilateralen öffentlichen Schulden Traditionen Weltweite ökosoziale Marktwirtschaft Kohärentes globales Governancesystem Weltfrieden , Weltreligionen und internationale Gerechtigkeit dieser Länder; sowie eine großzügigere Entwicklungshilfe für Gesicherter Weltfrieden und 100 % Minus aller Kriege, Länder, die wirkliche Anstrengungen zur Senkung der Armut regionaler Konflikte, Streitigkeiten und von Völkermord unternehmen Volle Unterstützung der Ziele für eine zukunftsfähige Auf die besonderen Bedürfnisse der Binnenstaaten und der Erde durch alle Weltregionsgemeinschaften, globale kleinen Inselentwicklungsländer muss entsprechend Versöhnung der Religionen und globaler Religionsfrieden eingegangen werden Vollständige Überwindung des Terrorismus Die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer mit niedrigen Vollständige Überwindung der Kriminalität, Umwandlung und mittleren Einkommen müssen durch Maßnahmen auf der Gefängnisse in Therapieanstalten und wirksame nationaler und internationaler Ebene umfassend und Prävention, Rehabilitation und Therapie statt Strafe wirksam angegangen werden, damit ihre Schulden auf lange Sicht tragbar werden In Zusammenarbeit mit dem Privatsektor sollen die Vorteile der neuen Technologien, insbesondere der Informationsund Kommunikationstechnologien, verfügbar gemacht werden 39 Partizipation für eine neue globale Nachhaltigkeitsstrategie Die Realisierungschancen zur Umsetzung einer globalen Nachhaltigkeitsstrategie können nur dann erhöht werden, wenn der die neue Vision und das neue globale Megaleitbild (der neue Geist der Weltzivilisation) von einem breiten globalen Grundkonsens von Millionen Mitmenschen, tausenden NGOs, den Weltreligionsgemeinschaften und der Mehrheit der globalen Entscheidungsträger aus Staat, Wirtschaft und Politik getragen wird. Hierzu muss ein breiter Konsens über die Konzepte, Grundnormen, Gerechtigkeitskriterien, langfristigen Ziele und Leitbilder gefunden werden. Gleichzeitig muss die Zukunftsfähigkeit der Erde in den Köpfen, den Herzen und letztlich im Willen verankert werden. Dies setzt Beteiligung bei der Entwicklung der neuen Vision voraus, nur dann werden sich unsere Mitmenschen damit identifizieren und sich hierfür politisch einsetzen. Partizipation ist dabei ein wichtiges Grundprinzip. Wir brauchen für einen globalen Kurswechsel, eine neue Vision für das 21. Jahrhundert (eine neue innere, geistige Welt) – erst dann wird die Staatengemeinschaft den Willen haben, die völkerrechtlichen Regelwerke durch globale Reform grundlegend zu ändern. Eine notwendige Grundlage hierfür ist ein neues Konsensprinzip bzw. Verfahren. 6 Das Wise Consensus Verfahren – Die Voraussetzung für nachhaltige Entscheidungen und Problemlösungen im 21. Jahrhundert Ausgangspunkt: Das Konsens-Dilemma der Staatengemeinschaft Die globale Umwelt- und Entwicklungspolitik ist auch im 21. Jahrhundert größtenteils „national organisiert“ (Weizsäcker: 1992). Bereits der Erdgipfel in Rio de Janeiro „der den erdpolitischen Durchbruch hätte bringen sollen, ist teilweise ein Opfer dieses Umstands geworden (Weizsäcker: 1992).“ Bis heute fehlt „Weltinnenpolitik“, wie es C.F. von Weizsäcker formuliert hat es an einer sondern um eine „Erdpolitik“. Ein gravierendes Problem ist das Konsens-Dilemma, d.h. die Staatengemeinschaft einigt sich meist nur auf den kleinsten gemeinsamen Konsens (je nach Sicht !). 40 Verbindliche internationale Regelungen (i.S. des Völkerrechts), selbst freiwillige Regelungen lassen sich immer schwieriger durchsetzen. Das zeigt z.B. das Kyotoprotokoll, welches erst nach Jahren ratifiziert wurde oder der Eklat auf der 15. CSD Sitzung. Es wird für die Staatengemeinschaft immer schwieriger, sich auf Regeln zu einigen, welche von der Weisheit geboten sind. Eine globale Logik des Misslingens ist somit vorprogrammiert. Daraus resultiert eine globale Handlungsblockade, die Unfähigkeit der internationalen Staatengemeinschaft, das zu tun was getan werden muss. Es bleibt wie auch in Johannesburg, bei good will Appellen und Ankündigungen. Die Chance eines neuen globalen Kontrakts i.S. eines völkerrechtlich verbindlichen großen Regelwerks durchzusetzen, ist derzeit realpolitisch nur dann wahrscheinlich, wenn der globale Problemdruck die Staatengemeinschaft sie hierzu zwingt oder wenn die Mehrzahl der Menschen der Erde dies will (Demokratieprinzip) ! Die „Realisierungschancen“ eines MDG Aktionsplans sind aus den Erfahrungen des Rio-Johannesburg-Prozess realpolitisch mit den „alten Spieregeln“ derzeit begrenzt, wenn nicht sogar unmöglich. Ohne ein neues Konsensverfahren, wird es unmöglich sein, neue Regelwerke und völkerrechtliche Vereinbarungen zu beschließen, welche die Zukunft der Erde und Menschheit sichern. Eine strategische Option, die die ganze internationale Konferenzdiplomatie umwälzen könnte, wäre die „Normierung eines neues Konsensprinzips“. Es geht darum die „globale Logik des Misslingens“ des globalen Governancesystems zu durchbrechen, die oftmals, globale Torheit der Konferenzdiplomatie zu überwinden und die internationale Staatengemeinschaft zu helfen, das multilaterale Konsensdilemma zu überwinden. Verankerung eines neuen Konsensprinzips (Wise Consensus - Verfahren) als realpolitische Vorraussetzung für qualifizierte Problemlösungen: Aufgrund des bekannten Konsensdilemmas der Staatengemeinschaft (des Wiener Verfahrens), welches letztlich zu völlig unzureichenden Problemlösungen führt, sollte 41 der Konsultationsprozess mit einem neuem Konsensprinzip (Wise Consensus Verfahren) arbeiten. Im Prinzip wird dieses neue Konsensprinzip implizit von vielen praktiziert und vorausgesetzt – besonders von Wissenschaftlern. Die Tabelle zeigt durch die brackets die Dissenspunkte.Im Bereich Globalisierung gab es vor Johannesburg einen gewaltigen Dissens (93%), auch bei Finanzierung und Handel – überall dort wo es um Fragen der globalen Gerechtigkeit geht. Mit dem alten Nachhaltigkeitsparadigma können auch die Probleme nicht mehr qualifiziert gelöst werden. Ohne hier vertieft auf die Weisheitsdiskussion in Philosophie und den Religionen einzugehen, kann sich der Wise Consensus an dem Weisheitsverständnis aller Traditionen und des „Manifest für den Dialog der Kulturen“, einer Initiative von Seyed Mohammas Chatami (Präsident der Islamischen Republik Iran), mit Unterstützung der UN Generalversammlung und Kofi Annan, orientieren: „Weisheit bedeutet ganzheitliches Verstehen, tiefe Selbsterkenntnis, eine langfristige Perspektive, gesunden Menschenverstand und gutes Urteilsvermögen“ (Manifest38 2001, 101 f.) . Weisheit zielt letztlich in der Polis – ob lokal, national oder global - immer auf die Herstellung der Gerechtigkeit. Weisheit der Staatengemeinschaft auf die Schaffung globaler Gerechtigkeit. 38 Annan, Kofi: Brücken in die Zukunft. 2001 42 In der diplomatischen Konsensfindung zählen aber andere „Spielregeln“, welche für viele Beteiligte (Regierungen, Wissenschaftler, NGOs) zu großen Frustrationen führen. Mit den bestehenden Konsens-Spielregeln wird sich ein neuer weiser Konsens kaum erzielen lassen. D.h. hier müssen die Spielregeln verändert werden, nur damit wird ein neuer weiser Konsens, eine völlig neue Weltordnung realpolitisch „möglich“. Die bestehenden internationalen Konsens-Spielregeln sind für die globalen Problemlösungen im 21. Jahrhundert nicht geeignet, weil diese dem nationalstaatlichen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts entsprechen, d.h. auf nationaler Vernunft und Interessen beruhen und damit permanent im Widerspruch zum Maßstab der globalen Rationalität39/Weisheit geraten. In der Praxis führt dies zu den bekannten, widersprüchlichen Regelungen (Inkohärenz) im globalen Governancesystem und Regelwerken, z.B. zwischen den Regelwerken der WTO, ILO, int. Sozial- und Umweltabkommen, Menschenrechten, etc. und wenig wirksamen globalen Problemlösungen bei internationale Konferenzen. 15 July 2002, arising from the Bali PREPCOM Ein typischer Text der int. Konferenzdiplomatie, wo sich die EU nicht auf eine 2 % Steigerung der erneuerbaren Energien im Rahmen des Weltgipfels 2002 mit den anderen Staaten verständigen konnte ! Nationale Vernunft blockiert die globale Weisheit. 39 Die globale Weisheit wird hier im Sinne der „global kommunikativen Vernunft bzw. Rationalität“ verstanden, zielt auf die Möglichkeit intersubjektiver globaler Verständigung und Konsens. 43 Kriterien des Wise Consensus -Verfahren Widersprüchliche globale Regelungen sind letztlich die Hauptursache für die globale Abwärtsspirale von weltweiten Umwelt- und Sozialstandards und den Untergang des Nationalstaats. Die globale Weisheit muss dabei nicht nur die nationale Vernunft transzendieren, sondern, ganzheitlich sein, d.h. soziale, ökonomische und ökologische Vernunft im Einklang denken – wirklich Vernunft sein. Eine „Welt in Balance“ setzt Weisheit voraus. Letztlich sind mangelhafte globale Problemlösungen Ausdruck einer einseitigen instrumentellen Vernunft40, die in letzter Konsequenz, unter den heutigen Rahmenbedingungen der Globalisierung, in die Barbarei und zur totalen Herrschaft einer eindimensionalen Weltökonomie führen (vgl. auch Horkheimer, M.). Das weise Konsensprinzip basiert auf bester wissenschaftlicher Erkenntnis; guter globaler Fachpraxis und Erfahrungen; gemeinsamer globaler Werte (Grundlegende UN Normen und Werte), insbesondere des globalen Gemeinwohls, der globalen Gerechtigkeit Widerspruchsfreiheit und globaler Nachhaltigkeit Regelungen, und Erklärungen. des Das Prinzips Ziel der sind widerspruchsfreie und kohärente Regelungen im globalen Governancesystem. Erst mit Weisheit und einer neuen Gerechtigkeit werden wirksame globale Problemlösungen im 21. Jahrhundert möglich. Die Spielregeln des neuen Konsensprinzips (Wise Consensus) schließen globale „Nonsense Consense“, d.h. global irrationale Lösungen absolut aus. Ein neuer „Weiser Konsens“ oder eine kohärenzstiftende globale Nachhaltigkeitsstrategie ist unter diesen Spielregeln „realpolitisch“ möglich ! In der folgenden Tabelle wird der Unterschied aufgezeigt. 40 Horkheimer, M.: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. 1967 44 Alte Konsensprinzip der Staatengemeinschaft Neue Konsensprinzip der (das sog. Wiener Verfahren) Staatengemeinschaft (Wise Consensus-Verfahren) Konsensfindung aufgrund: Konsensfindung aufgrund: Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner; bester wissenschaftlicher und normativer Erkenntnis; Ausblendung wissenschaftlicher Erkenntnisse (werden nur teilweise guter globaler Fachpraxis und Erfahrungen; oder gar nicht berücksichtigt); gemeinsamer globaler Werte (Grundlegende UN Normen und nationaler Vernunft; Werte), insbesondere des globalen Gemeinwohls, der globalen nationaler Interessensblockaden (Richtige Problemlösungen werden Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit aufgrund von nationalen Interessen blockiert). des Prinzips der Widerspruchsfreiheit globaler Regelungen, Erklärungen; globaler Weisheit Globale Folgen: Globale Folgen: Wenig wirksamen globale Problemlösungen im 21. Jahrhundert; Weise, gerechte, widerspruchsfreie und kohärente Regelungen im widersprüchliche und inköhärente Regelungen im globalen globalen Governancesystem. Wirksame globale Problemlösungen Governancesystem z.B. zwischen WTO, ILO, Menschenrechten, etc. – im 21. Jahrhundert. Überwindung des Prinzips der „nationalen Vernunft“ Verankerung des Prinzips der „globalen Weisheit/Vernunft“ Die Spielregeln des alten Konsensprinzip schließen globale Die Spielregeln des neuen Konsensprinzips (Wise Consensus) „Nonsense Consense“ Lösungen nicht aus. schließen globale „Nonsense Consense“ Lösungen absolut aus. Eine wissenschaftlich abgesicherte globale Nachhaltigkeitsstrategie ist Eine wissenschaftlich abgesicherte globale Nachhaltigkeitsstrategie unter diesen Spielregeln „realpolitisch“ unmöglich. ist unter diesen Spielregeln „realpolitisch“ möglich. 7 Eine neue globale Aufklärung Der globale Maßstab der Weisheit Ein zentrales Kriterium für die Findung eines weisen Konsens ist der Maßstab der globalen Weisheit, womit eine neue Aufklärung einhergeht. Ziel der zweiten Aufklärung41 , die im 21. Jahrhundert als globale Aufklärung zu verstehen wäre, ist es, den bestehenden globalen Konsens, den damit zugrundeliegender Ansichten und Weltbilder (dem globalen Paradigmen) und den daraus resultierenden Regelwerke einer kritischen, am Maßstab der Weisheit42 orientierenden Prüfung zu unterziehen und falls diese der Prüfung nicht standhalten, diese zu revidieren bzw. durch andere, am Maßstab Weisheit entwickelten, neuen Global Consensus und Regelungen zu ersetzen. 41 Wurde von Günther Altner und Ernst Ulrich von Weizsäcker in den globalen Diskurs eingebracht. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Grenzen der Privatisierung. In: Global Marshall Plan Initiative. Impulse für eine Welt in Balance. 2005 42 Der ursprüngliche Begriff „globale Vernunft“ wurde hier durch Weisheit ersetzt. 45 Im Zentrum stehen dabei die Entmythologisierung moderner Dogmen, Mythen, Ideologien und überholte Theorien, welche maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass die Weltzivilisation in den ökologischen, sozialen und ökonomischen Kollaps hineinsteuert. Wenn wir die heutige Welt und die Weltprobleme als „Objektivierung des Geistes“ verstehen, so sind die nicht-nachhaltigen WTO Regeln – Schöpfungen des Geistes. Dann eröffnen sich völlig neue Verstehens- und Erklärungsräume für die globale Grenzsituation. Die Ursachen für die heutige „globale Grenzsituation“ sind geistigen, ja sogar profanreligiösen Ursprungs. Der „Glauben an den freien Markt“ – die Wohlfahrt der Nationen, trägt zu weilen heilsideologische Züge. Ein Werkzeug der globalen Aufklärung ist besonders der Dialog43. Nur durch den problemorientierten Dialog, problematisch gewordener globaler Regelungen und Regelwerke, können wir zu einem neuen tragfähigen Konsens für neue globale Regelungen finden. Ohne intensiven globalen Dialog mit und zwischen den Regierungen, der Weltbürger- und zivilgesellschaft, den Weltreligionen, den Unternehmen und Weltreligionsgemeinschaften, wird kein neuer weiser Konsens möglich sein. 46 Literatur: Annan, Kofi: Brücken in die Zukunft. 2001 Agius, E (Ed.): Our Responsibilities for Future Generation. Malta 1990 Altner, G: Überleben. Von der Kraft der Furcht. Düsseldorf 1992 Altvater, E. und B. Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Münster 1996 Ballestrem Graf, Karl (Hrsg.): Internationale Gerechtigkeit. Opladen 2001 BUND/MISEREOR: Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Basel 1996 Beherens, Maria (Hrsg.): Globalisierung als politische Herausforderung. 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Er ist seit 1989 Mitglied der International Academy of Science / International Council for Scientific Development (ICSD). R.K. Stappen forschte und lehrte an der Katholischen Universität Eichstätt, der ETH Lausanne (Gastdozent) und der Universität Witten-Herdecke (Lehrbeauftragter). 50