Ewige Wiederkehr des Rassismus

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Ewige Wiederkehr des Rassismus
Dr. Marc Dressler
USt-IDNr. DE 254200578
Kto: 856 964 756
BLZ 660 100 75
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Die ewige Wiederkehr des Rassismus
Neger, Neger Schornsteinfeger! Dabei wollte Hans-Jürgen
Massaquoi in der chiquen SS-Uniform das Aufmarschieren lernen,
nicht den Umgang mit dem Kaminbesen im rußigen Mantel. Der
national gesinnte Deutsche mit Vater aus Liberia taugte nicht
zum Übermenschen. Er hatte einen unübersehbaren Makel: seine
Hautfarbe. Erbarmungslos verrät sie seine Naivität und
Plumbheit. Neger sind treudoof und harmlos. Nicht so
intelligent und durchsetzungsstark wie Weiße.
Das Farbigen anhaftende Etikett der Minderwertigkeit prägen so
unschuldige Bücher wie Onkel Toms Hütte von Harriet Beecher
Stowes aus dem Jahr 1851. Echte Rassisten wie Frank Green und
Septimus Winner griffen gerne darauf zurück, um sich über
ethnische Minderheiten lustig zu machen. Ihr 1869
veröffentlichter Kinderreim ‚Zehn kleine Negerlein’
(ursprünglich ‚Ten little Injuns’) verbreitete sich durch
Minstrel-Shows, in denen Weiße sich für ihren Ulk schwarz
anmalten.
Die rassistische Motivation der ‚Zehn kleinen Negerlein’ fügte
sich nahtlos in Deutschlands Weltpolitik des 19. Jahrhunderts.
Der Text wurde 1885 abgedruckt in dem Büchlein ‚Aus Kamerun’,
das von der damaligen deutschen Kolonie berichtet – und der
Primitivität ihrer Bevölkerung. Weil Schwarze so primitiv
sind, darf man sie umbringen. Der offene Rassismus wird zur
Legitimation von Völkermorden, wie dem an dem Hirtenvolk der
Hereros nach dem Aufstand 1904 in Südwestafrika (heute
Namibia). Den Tod von 100 000 Farbigen rechtfertigt Gustav
Frenssen in seinem 1906 erschienen Jugendbuch ‚Peter Moors
Fahrt nach Südwest’: „Diese Schwarzen haben vor Gott und den
Menschen den Tod verdient, nicht weil sie die zweihundert
Farmer ermordet haben und gegen uns aufgestanden sind, sondern
weil sie keine Häuser gebaut und keine Brunnen gegraben haben.
[…] Gott hat uns hier siegen lassen, weil wir die Edleren und
Vorwärtsstrebenden sind.“
Die verborgene Aggression im kindlichen Spiel wird hier offen
gelenkt gegen andere Menschen. Dieser Rassismus versteckte
sich in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Ganz
verschwand er nicht. In der Kinder- und Jugendliteratur der
Gegenwart müssen Schwarze noch immer mit dem Bimbo-Image von
Onkel Tom leben, sofern sie überhaupt erwähnt werden. In fast
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einem Drittel der Jugendbücher, in denen es um Afrika geht,
kommen gar keine Afrikaner vor. In ihnen geht es um die
exotische Tierwelt. Sonst sind die Menschen die Exoten.
In ihrer wiederkehrenden Gleichartigkeit berauben viele
Kinderbuchautoren – ungewollt – Ausländer ihrer individuellen
Identität. Türkische Männer sind dick, tragen einen schwarzen
Schnurrbart und sind entweder arbeitslos oder gehen einer
einfachen Arbeit nach. Türkische Frauen sind bunt gekleidet,
tragen ein Kopftuch, laufen in gebührendem Abstand hinter
ihren Männern her und sind darauf „abgerichtet, ein Leben lang
zu dienen.“ (Jochen Ziem. Boris, Kreuzberg. 1988) Zusammen mit
ihrer Kinderschar hausen sie eingepfercht in baufälligen,
feuchten Räumen ohne Klo und Dusche. (Vgl. Annelies Schwarz.
Hamide spielt Hamide. 1986; Irina Korschunow. Eigentlich war
es ein schöner Tag. 1988.) Türken sind eben anders als
Deutsche, sie sind erfolglos und zurückgeblieben bzw. nicht so
edel und vorwärtsstrebend. Mit einem Wort: primitiv. In Heinz
Knappes Wolfslämmer (1987) ist die Reise in die Türkei gar
„eine Reise in die Steinzeit“.
Indem selbst um Integration bemühte Autoren – wie die eben
genannten – letztlich doch rassistischen Klischees verfallen,
bewahrheitet sich die mahnende Botschaft Max von der Grüns in
den ‚Vorstadtkrokodilen’ (1976): In jedem steckt ein Rassist.
Der eine schreibt dagegen an, der andere posaunt es lautstark
hinaus. An keine Liedform gebunden, ist es doch der Rap, der
sich der größten Beliebtheit unter Rassisten erfreut. Mit
Folgen. Die Dauerbeschallung mit wüsten Beschimpfungen bringt
Jugendliche dazu, rassistische Vorurteile für bare Münze zu
nehmen.
Im Grunde unterscheiden sich die Doubles und Kombos von RapSongs kaum von den Versen eines Kinderreims. In letzteren
erblickte Peter Rühmkorf eine Symbiose von Freiheitsbedürfnis
und analer Aggression. Volljährige Rapper leben dagegen ihre
Freiheit in ödipalen Aggressionen aus. Der Motherfucka ist
einmal schwarz, einmal weiß. Je nach rassistischer Couleur.
Anale Aggressionen sind nicht minder geeignet, rassistische
Hierarchien zu festigen, auch wenn sie spielerisch verbrämt
sind: „Umba! Umba! Wir sind Neger, aus dem Stamm der
Hosenträger, unser Häuptling ist ein Weißer, aus dem Stamm der
Hosenscheißer!“
Quellen:
Bräunlein, Peter. Kinder- und Jugendliteratur zu Afrika – aus
Afrika?! In: Diskussion Deutsch (1994) Bd.25/138 S.266-271.
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Doll, Annegret. Latenter Rassismus und Ausländerfeindlichkeit
gegenüber ausländischen Arbeitnehmern im deutschsprachigen
Kinder- und Jugendbuch der Gegenwart. Stuttgart: 1999.
Grenz, Dagmar. Dieb, Kopftuchmädchen und Märchenheld. In:
Beiträge Jugendliteratur & Medien (1996) Bd.1 S.22-25.
Ipsiroglu, Zehra. Türkeibilder in der deutschen Kinder- und
Jugendliteratur. In: Beiträge Jugendliteratur & Medien
(1996) Bd.1 S.2-10.
Kalpaka, Annita; Räthzel, Nora. Die Schwierigkeiten nicht
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Lee, Matthew; Rudman, Laurie A.. Implicit and explicit
Consequences of Exposure to violent and misogynous Rap
Music. In: Group Processes & Intergroup Relations (2002)
Bd.5/2 S.133-150.
Mattenklott, Gert. Fremde Welten. In: Börsenblatt des
Deutschen Buchhandels (1992) Bd.69 S.48-52.
Nüsslein, Annette. Rassismus über Bord! In: Mitteilungen des
Deutschen Germanistik-Verbandes (1995) Bd.42/3 S.36-42.
Wegener-Spöhring, Gisela. Aggressivität im kindlichen Spiel.
Weinheim: 1995.
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