Spaß verkaufen und Spaß daran haben

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Spaß verkaufen und Spaß daran haben
AutomatenMARKT | September 1999 | 50 Jahre AutomatenMarkt
Hans H. Rosenzweig
Spaß verkaufen und Spaß daran haben
Gute und weniger gute Erfahrungen aus fünf Jahrzehnten in der
Automatenbranche.
Als ich im Februar 1955 beim Braunschweiger Sigert Verlag meinen Dienst antrat,
schallte es mir von nebenan entgegen: „Am 30. Mai ist der Weltuntergang!“ Es war
der Top-Hit Anfang 1955.
Kein böses Orakel. In der „Baracke“ neben dem Verlagsgebäude befand sich die
NSM-Spielgerätefabrikation. Dort baute Rupert Mosinger mit seiner Mannschaft
amerikanische Seeburg-Musikautomaten auf deutsche Verhältnisse um.
Bunte, schillernde Kästen. Aus ihnen kam
hervorragende Musik. Jedenfalls nach damaligen
Maßstäben. Sie orientierten sich noch am alten
Volksempfänger. Und der NWDR (Nordwestdeutscher
Rundfunk), damals beherrschender Sender in
Norddeutschland, wollte die Bevölkerung zur E-Musik
erziehen. U-Musik gab es über den Äther kaum.
Schlager waren die Domäne der Musikautomaten.
Sie stammten meist von ehemaligen Orgelbauern in
den USA wie Seeburg und Wurlitzer. Der Import war
sehr umständlich. Den Deutschen fehlten frei
verfügbare Dollars. Es wurde auf so genannte BierDollars ausgewichen. Sie wurden bei Brauereien
gekauft, die Amerikaner belieferten. Gegen harte
US-Währung.
Es wurden 1955 bereits die vier heute noch
bekannten US-Musikautomaten importiert: Seeburg
von Löwen in Braunschweig, Wurlitzer von Gustav
Hans H. Rosenzweig
Husemann in Köln, Rowe AMI von Rehbock und
RockOla von der Nova, beide in Hamburg.
Alfred W. Adickes, Gründer der Nova, hatte schon vor dem Krieg münzbetätigte
Waagen von Seca in die USA verkauft. Mister Rock-Ola war sein Kunde gewesen.
Diese alte Beziehung hatte er nach dem Krieg wieder aufleben lassen. Als für die
meisten Deutschen die USA noch unheimlich weit weg war, mindestens acht bis
neun Tagesreisen mit dem Schiff, feierte Adickes bereits seinen fünfzigsten AmerikaBesuch.
Auch das Geldspiel zeigte aufregende Aspekte. Beim Blick aus dem Fenster bei
Sigerts konnte man eine lange Schlange von Lieferwagen sehen. Sie warteten auf
Rotamints. Sie wurden direkt aus der Fertigung verladen und bezahlt. Oftmals
warteten Händler oder Aufsteller tagelang, um die begehrten Scheibengeräte kaufen
zu können.
Diese offensichtliche Erfolgswelle
wirkte sich auch auf Inhaber und
Mitarbeiter aus. Ständig wurde irgend
etwas gefeiert. Meistens ein neuer
Umsatzzuwachs. Kein Monat verging,
ohne dass Gert W. Schulze mit seinem
300er-Mercedes bei Sigerts vorfuhr,
chauffiert vom ehemaligen HermannGöring-Fahrer. Dann wurde mindestes
ein Kasten Bier ausgeladen, um mit
der Mannschaft den jeweiligen Erfolg
zu begießen.
Die Branche verkaufte Spaß und hatte
selbst großen Spaß daran. Ein
Die erste Leserreise des AutomatenMarkt,
Geldspielautomat kostete zwischen
organisiert von ihrem damaligen
550 und 600 Mark. Bei etwa 300 Mark
Redakteur Hans H. Rosenzweig, führte in
Kasse in Groschen lief die Kasse über
die USA.
und das Gerät war gestört. Dann
wurde vor Öffnen des Gerätes ein
Sack untergehalten, damit nicht zu viele Groschen in der Kneipe umherrollten.
Es gab damals noch keine gleitende, sondern nur eine Festzulassung auf zweieinhalb
Jahre. Zu einem bestimmten Zeitpunkt liefen Hunderte oder Tausende von Geräten
ab. Hersteller und Aufsteller mussten Geräte auf Vorrat halten. Ob diese dann
erfolgreich waren oder nicht, zeigte sich erst nach längerem Einsatz.
Neben den US-Importen kamen zunehmend Musikboxen deutscher Hersteller auf
den Markt. Kurt Wiegandt & Söhne brachte seine Diplomat heraus. Es gab auch die
Tonmaster aus Berlin. Sie wurde im ehemaligen Metropol-Theater gebaut. In NeuIsenburg war es die Tonomat, die später auch den ersten elektronischen
Musikautomaten herausbrachte. Bergmann ließ bei Harting in Espelkamp seine
Symphonie bauen. Nicht zu vergessen NSM und Deutsche Wurlitzer.
Aber schon in den Fünfzigerjahren wurden weniger als 5 000 Musikautomaten in
Deutschland verkauft. Trotzdem hatte die damalige Riege der Hersteller schon
beachtliche Größenordnungen angenommen. Wiegandt in Berlin beschäftigte über
600 Mitarbeiter. Allerdings mit etwa 500 verschiedenen Automatentypen im
Programm. Neben Musikautomaten und Geldspielgeräten auch FlaschenRücknahmegeräte, Brötchen-, Heiß- und Kaltgetränkeautomaten und und und.
Selbst miterlebt habe ich, als ein Förster Kurt Wiegandt den Wunsch vortrug, einen
Fasananfütterungsautomaten zu bauen. Der Chef und sein Schwiegersohn Kurt
Naujoks sagten spontan begeistert zu. Ohne Rücksicht
auf Entwicklungskosten. Ohne Wirtschaftlichkeitsrechnung oder Marktanalyse. So
erklärt sich das frühe Ende dieses Unternehmens und vieler anderer aus der
großartigen Pionierzeit.
Platz für Automaten in der Kneipe war schon immer ein Problem. So wurden
raumsparende Wandboxen entwickelt. Und so genannte Hideways, wobei der
Musikautomat in einer Kiste verpackt separat untergebracht war, etwa im Bierkeller.
In der Kneipe selbst befanden sich nur eine Wahlbox mit Münzeinwurf sowie einige
Lautsprecher.
– „Arrivederci Roma“ von Lys Assia war Top-Hit 1956.
Für eine lange Zeit war die Musikbox Promoter für neue Titel und Interpreten. Bei
der AutomatenMarkt-Redaktion gaben sich berühmte Künstler und ihre Manager die
Klinke in die Hand. Keine Woche verging, in der nicht Berühmtheiten beim
AutomatenMarkt ihre Aufwartung machten. Die Schallplattenindustrie testete
Erstpressungen in Musikboxen. Die ersten Auslieferungen gingen ebenfalls an unsere
Branche.
Gastwirte waren damals froh, überhaupt einen Musikautomaten vom Aufsteller zu
bekommen. Der zahlte dafür 20 Mark Stromgeld im Monat. Häufig war es so, dass
der Wirt dafür Mindesteinnahmen von einigen hundert Mark garantieren musste.
Spielhallen waren damals in der Branche sehr umstritten. Ende 56 titelte der
Spiegel: „Die Spielhallen werden geopfert“. Über einige Seiten hinweg wurde über
die Branche berichtet. Gert W. Schulze wurde beschuldigt, gegenüber der Politik die
Spielhallen geopfert zu haben, um das Geldspiel in den Gaststätten zu retten.
Dies sei eine Fehlentscheidung gewesen, wurde später auch branchenintern
behauptet. Man hätte beides haben können. Aber hinterher ist es immer leichter,
klüger zu sein.
– „Steig in das Traumboot der Liebe“ mit Caterina Valente war der Top-Hit im Juli
1956.
Schon damals wurde um die Vergnügungssteuer gestritten und prozessiert. Ein
Kölner Anwalt hatte bereits nahezu 300 Verfahren laufen. Sätze von zehn und zwölf,
in einigen Gegenden auch 25 Mark würden erdrosselnde Wirkung zeigen.
Sinnigerweise wurde Sekt von vielen Akteuren Erdrosselungslimonade genannt.
Angeblich war er das Hausgetränk der Branche. Neben der „Atombombe“ aus
Monier-Weinbrand und Cola.
– „Cindy oh Cindy“ war der Musikboxen-Hit im Sommer 1957.
Ein Aufstellgeschäft ließ sich weitgehend ohne Bargeld gründen. Der Wechsel machte
es möglich. Es wurde quergeschrieben und oftmals über zwei, drei Jahre prolongiert.
Oft sogar das Darlehen für den Wirt vom Großhandel mit finanziert. Zwangsläufig
führte das zu Übertreibungen und ersten Pleiten.
Um Doppel- oder Dreifachfinanzierungen von Musikboxen zu unterbinden wurde
1959
der Musikautomaten-Brief eingeführt. Jede Box, die von einem VDAI-Mitglied
verkauft wurde, erhielt ein solches Dokument als Eigentumszertifikat. Analog zum
Kfz-Brief sollte es die Finanzierung durch Kreditinstitute erleichtern.
– „Der weiße Mond von Maratonga“ schallte es aus den Boxen. Lolita wurde zum
Schlagerstar.
Findige Importeure entdeckten den Flipper. Adickes brachte mit seiner Nova schon
sehr früh amerikanische Kugelspiele nach Deutschland. Anfangs sowohl von Bally
und Williams als auch Gottlieb. Bis er sich letztlich auf Gottlieb konzentrierte. Löwen
übernahm den Import der Bally-Flipper, während Williams vom legendären
Hamburger Erich Schneider vertrieben wurde.
Daneben etablierte sich in Antwerpen ein zweiter Markt, eine Art Cash-and-CarryMarkt. Dort tauchten Aufsteller mit ihren Anhängern auf und kauften gebrauchte
US-Geräte gegen Bargeld. Es bedurfte dann allerdings sehr findiger Techniker, um
diese von US-Aufstellern ausgemusterten Geräte betriebsfähig zu halten.
Ein Service nahezu rund um die Uhr war bei den meisten Aufstellern
selbstverständlich. Die ersten Telefonanrufbeantworter wurden erfunden. Einer der
ersten kam von der Firma Grande in Fassberg. Ein Monstrum mit vielen Röhren.
Wollte man von einer Telefonzelle aus abfragen, durfte keine Störquelle von außen
einwirken, etwa ein Lkw vorbeifahren.
Schon Ende der Fünfzigerjahre hatten die Verbände der Automatenwirtschaft
erkannt, dass es auf Dauer mit einem Zehn-Pfennig-Spiel nicht weitergehen könne.
Beim Bundeswirtschaftsminister wurde um Novellierung der Spielverordnung ersucht.
Anfang 1961 schien eine Erhöhung von zehn auf zwanzig Pfennig in Sicht. Ein
Frankfurter Aufsteller war dagegen. Er schrieb an das Ministerium, dass man mit
dem Zehn-Pfennig-Spiel sehr wohl leben könne. Der AutomatenMarkt unter seinem
neuen Chefredakteur Walter Mallin druckte diesen so genannten Gärtner-Brief in
seiner Märzausgabe ab.
Rechtsanwalt Wolf Meyer-Christian, kommissarischer Geschäftsführer des Sigert
Verlages und gleichzeitig Geschäftsführer des Großhandelsverbandes, erfuhr davon.
Er ließ den Versand des Heftes stoppen. In einer Nacht- und Nebelaktion mussten
sämtliche Mitarbeiter aus einigen tausend gedruckten und gebundenen Heften die
Seiten 187 und 188 herausreißen. Wodurch allerdings nicht verhindert wurde, dass
im Bundeswirtschaftsministerium Pläne zur Änderung der Spielverordnung zunächst
ad acta gelegt wurden.
Ein Lehrstück vielleicht, wie Einzelne durch unüberlegte Handlungen die Interessen
der gesamten Branche schädigen können.
Viele Jahre war das Automatengeschäft in Deutschland eine rein deutsche
Angelegenheit. Dennoch bemühten sich die Hersteller recht schnell um
Exportmöglichkeiten. Bereits 1963 wurden für 25 Millionen Mark Münzautomaten
exportiert. Vor allem Musikautomaten. Hauptabnehmer waren Großbritannien mit 40
Prozent vor Italien mit 15 und Frankreich mit 14 Prozent.
Schon Anfang der Sechziger hatten sich Amerikaner in Deutschland eingekauft.
Automatic Canteen, wozu auch Rowe AMI gehörte, kauften die Isenburger
Tonomatic. Diese Transaktion machte die drei früheren Inhaber zu ersten
Dollarmillionären der Branche in Deutschland.
Kurze Zeit später gründete die Seeburg Corporation aus Chicago ihre ersten
Niederlassungen in Europa: Seevend in Hamburg, Seeben in Antwerpen und
Seerome in Mailand.
–„Unter fremden Sternen“ war der erste Boxentitel von Freddy 1960.
Es begann die Zeit der Reisen in die USA, das Land der Automaten. Bereits 1961
trafen sich dort der Entwicklungsingenieur von Harting, Paul Gauselmann, und der
AutomatenMarkt-Redakteur Hans Rosenzweig. Irgendwie stimmte die Wellenlänge
der beiden jungen Wilden. Sie beschlossen, die deutsche Branche voranzubringen.
Natürlich nicht ohne Eigennutz.
Mein fester Wunsch war es, die Messe in den USA auch im folgenden Jahr zu
besuchen. Doch der damalige Verlagsleiter meinte, dass es die finanziellen
Möglichkeiten nicht zuließen. Ich sann nach einem Ausweg. Der bot sich in Form
einer Leserreise an. Bei 15 Teilnehmern konnte ich kostenlos mitfliegen. Ich schaffte,
17 Interessenten für die Leserreise 1962 zu gewinnen.
Noch niemals vorher hatte ich eine Gruppenreise veranstaltet oder daran
teilgenommen. Bereits in Frankfurt begann das Desaster. Wir verpassten den
Anschlussflug nach London. Dort verspätet angekommen, war unsere Maschine nach
New York weg. Dort wiederum war unsere Maschine nach San Francisco bereits
abgeflogen.
Als wir endlich dort ankamen, waren die bestellten Busse nicht mehr da. Aber
irgendwie konnte ich es doch noch arrangieren, dass wir alle im vorbestellten Hotel
gelandet sind. Mit einer Gruppe von 17 Männern, von denen 15 kein Wort Englisch
sprachen.
Von San Francisco ging es nach Los Angeles, von dort nach Kansas City, nach Las
Vegas und Chicago, wo wir vor allem Hersteller von Musikautomaten besuchten.
Anschließend waren noch einige Tage Erholung in Miami Beach vorgesehen. Als wir
dort gerade gelandet waren, wurde der Flughafen geschlossen. Die Kuba-Krise war
ausgebrochen.
Viele wollten am liebsten einen Wagen mieten und nach New York fahren. Es gelang
mir, sie alle zu überzeugen, dass wir selbst im Falle kriegerischer Handlungen in
Miami besser aufgehoben seien. Notfalls könnten wir am Strand Apfelsinen
verkaufen.
Mehr als eine Woche dauerte das ungewisse Zittern und Bangen. Selbst die des
Englisch kaum Mächtigen gingen nicht ohne Transistorradio und Kopfhörer ins
Wasser. Nur keine Information verpassen! Als wir dann nach 17 Tagen wieder heil in
Frankfurt gelandet waren, machte ich erst mal drei Kreuze. Niemals wieder wollte ich
eine Gruppenreise organisieren.
Nach den Gründervätern wie Schulze, Wulff, Volbracht und Adickes waren
Rosenzweig und Gauselmann schon eine zweite Generation. Sie wollten eine
moderne, aufgeschlossene Branche. Doch viele Ältere hätten gern ihre geschlossene
Gesellschaft weiter konserviert. Ein Stuttgarter Großhändler meinte gar, dass man
eigentlich die Fachpresse verbieten müsse. Was die Kunden wissen müssten,
könnten sie auch von ihm erfahren. Absolut unnötig wäre es, weitere Kreise in die
Geheimnisse des Automatengeschäfts einzuweihen. Das führe nur zu neuer
Konkurrenz.
Daraus erklärt sich, dass der Großhandelsverband neue Mitglieder aufnahm, wenn
diese einen Umsatz von mindestens zwei Millionen nachwiesen. Von der Industrie
wurden sie aber nur beliefert, wenn sie DAGV-Mitglied waren. Wie sollten sie aber
zwei Millionen Umsatz machen, ohne von der Industrie beliefert zu werden!
Weiteres Wachstum konnte nur erreicht werden, wenn neue Kräfte ins Spiel kamen.
Diese kamen von einer völlig anderen Sparte: den Warenautomaten. Einer der
Senioren unserer Branche, Max Walberer, hatte sich bereits in den Fünfzigerjahren
mit Warenautomaten befasst. Er importierte Getränkeautomaten von Apco und stieß
dann später auf Harting Zigarettenautomaten. Die waren eigentlich von Bergmann
entwickelt worden. Über Wurlitzer landete Walberer schließlich bei der Unterhaltung.
Im VDAI waren beide Sparten vertreten. Die Warenautomatengruppe nannte die
Unterhaltungssparte etwas abfällig „Abteilung Lustig“. Die Musik- und
Unterhaltungsleute konterten mit „Klappe auf – Klappe zu“, was von den
Gefachautomaten der Vendingsparte abgeleitet wor-den war.
Im bereits etablierten AMA wurde häufig darüber diskutiert, ob es sinnvoll sei, mehr
nach außen zu wirken. Wenn bei Politikern, insbesondere im Wirtschaftsministerium,
etwas erreicht werden solle, müsse das Blühen im Verborgenen ein Ende finden. Um
eine bestimmte Bedeutung der Branche zu demonstrieren, wurde 1965/66 die
weltbekannte PR-Firma Walter G. Thompson mit einer PR-Kampagne beauftragt.
Jahresetat: 250 000 Mark.
Diese ersten Versuche einer Öffentlichkeitsarbeit führten aber nicht sofort zum
Erfolg. Nach einer Pressekonferenz von Thompson in der Hamburger Spielhalle
„Penny Arkaden“, die dem legendären Lars Skriver gehörte, titelte die Bild-Zeitung:
„Daddelbosse decken ihre Karten auf“. Nach dieser wie viele meinten Ohrfeige waren
PR-Aktionen erst mal wieder erledigt.
Ein Problem lag immer wieder auch in dem Bemühen, mit nicht realen Zahlen zu
operieren. So haben die AMA-Verbände zur ersten IMA 1980 in Frankfurt eine
Pressekonferenz einberufen, auf der ZOA, DAGV und VDAI vertreten waren. Auf die
Frage eines Journalisten nach dem Preis eines Gerätes verwies die Industrie an den
Großhandel und der Großhandel an die Aufsteller. Alle gaben vor, es nicht genau zu
wissen. Ähnlich wurden Fragen nach Umsatz und Rentabilität behandelt. Da musste
doch selbst der dümmste Journalist zu dem Schluss kommen, dass es etwas zu
verbergen gäbe. Viele Presseberichte, die nicht im Interesse der Branche gewesen
sind, könnten hier ihren Ursprung haben.
Viele Jahre hat es gedauert, bis der inzwischen zum Unternehmer avancierte Paul
Gauselmann zusammen mit Hans H. Rosenzweig, der schon 1963 von der
Journalistik zum Automaten-Import gewechselt hatte, versuchten, echte Zahlen
wenigstens hochzurechnen. Von da an wurde mit relativ realistischen Fakten
operiert, womit das Eis in der Beziehung zur Presse gebrochen wurde.
Ebenso wie das Umfeld wurde die Branche zunehmend internationaler. Schon lange
gab es den Euromat, eine Vereinigung von Aufstellverbänden im europäischen
Raum. Zusätzlich wurde auf Initiative des damaligen VDAI-Vorsitzenden Gert W.
Schulze und seines Geschäftsführers Dr. Heinz Kummer 1973 die VVA gegründet:
Vereinigung der Automatenverbände in der Europäischen Gemeinschaft. Mitglieder
waren überwiegend Verbände, deren Vorsitzende Importeure von NSMMusikautomaten waren.
Es war dann noch ein langer steiniger Weg, bis sich die beiden europäischen
Verbände im Euromat vereinigten. Ein erster Schritt auf dem richtigen Weg. Es
dauerte dann aber nochmals lange, um Misstrauen auszuräumen. Es war durch die
Absichtserklärung des VVA entstanden, die deutsche Gesetzgebung für alle EGStaaten durchzusetzen. Das erinnerte fatal an einen Ausspruch, wonach am
deutschen Wesen die Welt genesen sollte.
Harro Koebke, der jahrelang die AMA-Verbände im Euromat vertrat, gelang es
aufgrund seiner anglophilen Einstellung schrittweise, dieses Misstrauen zu
entkräften. Noch viele Jahre musste hart daran gearbeitet werden, die Integration
voranzutreiben. Auch durch Hans Rosenzweig, der zuerst als Delegierter, später als
Mitglied im Exekutivkomitee, dann als Erster Vizepräsident und schließlich als
Präsident von Euromat aktiv war.
Nach einem Billard-Boom in den Sechzigerjahren und dem dann wieder aufgelebten
Geldspielgeschäft wartete man gespannt auf die nächsten Impulse. Sie kamen aus
einer ganz anderen Richtung. 1972 hatte im amerikanischen Silicon Valley der
Student Nolan Bushnell ein Spiel erfunden, das sich auf einen Bildschirm projizieren
ließ: „Pong“. Das Videospiel war geboren.
Die ersten Ergebnisse dieses relativ einfachen Schwarzweißgeräts waren frappierend.
Sagenhafte Kassen. Schon wurde auf Teufel komm raus kopiert. Innerhalb von
wenigen Monaten gab es nicht nur Atari und Key Games, beides Firmen von Nolan
Bushnell, die von Löwen und Seevend in Deutschland vertreten wurden. Auch
Williams, Bally und Midway, jeder baute TV-Geräte. Die Freude war von kurzer
Dauer. Nach wenigen Monaten stürzten die Kassen ab. Aus heutiger Sicht
verständlich. Wegen der geringen Spieltiefe ließen sich schon nach kurzer Zeit alle
Spielzüge voraussehen.
Bis später die Fahrgeräte aufkamen, war die Ära der Videospiele erst mal erledigt.
Einen ungeahnten Durchbruch erlebte 1976 der Flipper. Ausgelöst durch den ersten
vollelektronischen Flipper von Bally. Flippersenioren wie Alfred W. Adickes oder
Samuel Stern hatten diese Technologie für nicht nötig gehalten. Zu Unrecht! Bally
hatte den Vogel abgeschossen. 1977 wurden in Deutschland etwa 50 000 Flipper
verkauft. Bis Gottlieb und Williams ebenfalls auf diesen Zug aufspringen konnten,
vergingen noch zwei Jahre.
1979 löste das Videospiel mit farbigem Monitor wieder einen Riesen-Boom aus. Die
kleinen Tische wurden aus Japan mit Jumbos eingeflogen. Am Anfang war das
eigentliche Spiel mehr oder weniger gleichgültig. Hauptsache farbig. Aber als sich
dann die Spreu vom Weizen trennte, konnten nur echt gute Spiele überleben.
Zuerst war es recht einfach, Platinen zu importieren. Ich weiß noch, dass ich
manchmal aus Tokio kommend in Hamburg landete mit tausend Platinen im Gepäck.
Die waren im Nu vergriffen.
Wieder wurde auf Teufel komm raus kopiert. Ein Schutz war kaum möglich und hätte
die Entwicklung enorm verzögert. Wahrscheinlich haben damals unsere japanischen
Freunde Korea oder Taiwan sogar als zweiten Vertriebsweg benutzt. Denn es ließ
sich kaum nachvollziehen, weshalb schon eine Woche nach dem Original die Kopien
aus den berühmten Copy-Ländern den Markt überschwemmten.
Der aufkommende Spielhallenboom begünstigte die Entwicklung der Videogeräte.
Zulasten des Flippers. Nur noch große Namen wie Terminator 2 oder Addams Family
vermochten den Spieler zu reizen, sein Freizeitbudget für das alte Kugelspiel
auszugeben.
Aber schon standen neue Attraktionen auf der Warteliste. Es waren Fungames, ohne
dass dieser Name bereits geboren war. Walzenmaschinen auf Pokerbasis, die hohe
Punktgewinne ermöglichten. Nach wie vor erfolgreich sind die zuerst von Max
Walberer eingeführten Unterhaltungsgeräte mit Weiterspielmarken. Womit auch
gesagt ist, dass diese Marken ausschließlich zum Weiterspielen berechtigen und
keinen geldwerten Vorteil darstellen.
Schon in den Siebzigerjahren hatten Gerd Mattern und ich es bei Löwen versucht,
mit Wettbewerben für Tournament Soccer und Flipper die Spieler mehr an die
Geräte zu binden. Diese Versuche hatten nur kurzfristigen Erfolg.
Aber dann in den Achtzigern hat es Löwen richtig gemacht und sich mit voller Kraft
in die Promotion für Electronic Darts eingebracht. Auch hier gab es einen riesigen
Boom. Über 10 000 Dartsgeräte wurden im Jahr verkauft. Der Erfolg dieser
Gerätegattung blieb allerdings überwiegend auf Gaststätten beschränkt. In
Spielhallen war das Ergebnis eher mager.
Die europäische Integration schreitet voran. In wenigen Jahren haben wir
einheitliches Geld auch in Banknoten und Münzen. Bezüglich der übrigen
Harmonisierung haben sich für unsere Branche kaum Fortschritte ergeben. Schon
1990 hatte der für unseren Bereich zuständige EG-Kommissar Bangemann
festgestellt, dass das Spielen in der EG nicht harmonisierungsbedürftig sei. Das ist
sicher richtig. Spielen ist in den verschiedenen Kulturkreisen historisch gewachsen
und sehr abhängig von der sozialen Struktur jeden Landes.
Wahrscheinlich möchte auch mancher gern günstige Voraussetzungen des Nachbarn
übernehmen, ohne selbst auf einmal erworbene Rechte und Privilegien zu verzichten.
Interessiert waren eigentlich immer nur die Länder, die keine legale Regelung für
das Geldspiel haben. Neidisch schaut man immer wieder auf die so genannten
reichen Länder wie Großbritannien, Spanien, die Niederlande, Belgien und
Deutschland. Dabei stellt sich auch die Frage, ob beispielsweise Italien noch an so
klaren Direktiven interessiert ist. Vielleicht gefällt den Italienern ihre sehr vage
Regelung viel besser.
Beim Geldspiel bleibt die Europäische Union ein Europa der Vaterländer. Das ist
vielleicht auch besser als eine einheitliche Regelung, die allen übergestülpt wird und
mit der letztlich die meisten nicht zufrieden sind.
Hans H. Rosenzweig