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AL T 180 Seiten ! DAS MAGAZIN FÜR KLASSISCHE SPIELE 3/2013 Juni/Juli/August 2013 3/2013 180 Seiten spiele-klassiker für Home-Computer, Konsolen & PCs Deutschland @ 9,90 Österreich @ 10,90 Schweiz sfr 19,80 Luxemburg @ 11,40 Made in Germany Die 1990er Jah Der Übergang re (Teil 2): vom Homecomputer zu MS Windows – erk -DOS und Winnie Forster lärt von alles über infocom Anatol Locker über die AdventureSchmiede, ihre Glanzzeit und die Gründe ihres Untergangs die kultklassiker Battle Isle Hexfeld-Hit: Der deutsche Klassiker für Rundentaktik-Spiele 30 power-ups die besten Mick Schnelle, Heinrich Lenhardt, Jörg Langer und Anatol Locker über ihre Spiele-Lieblinge von einst Retro Gamer und bekannte Spieledesigner küren die denkwürdigsten Extrawaffen der Videospiel-Historie Planescape Torment So entstand das vermutlich abgedrehteste ComputerRollenspiel aller Zeiten AMIGA 500 Die besten Spiele, die beste Peripherie zu Commodores „Spiele-Freundin“ MEGA DRIVE Diese Games für Segas 16-BitMaschine sind Pflicht für Retro-Fans PC ENGINE NECs Wunderkonsole: Technisch überlegen, aber leider erfolglos GRATIS POSTER Zu deiner Vorbestellung bei JETZT VORBESTELLEN! In über 200 Stores in Deutschland oder unter www.gamestop.de/destiny *Nur solange Vorrat reicht. Keine Mitnahmegarantie. arcade | atari | commodore | MSX | NEO GEO | nintendo | schneider | sega | sinclair | SONY N Heinrich Lenhardt Winnie Forster Anatol Locker Mick Schnelle Jörg Langer och schöner, noch lauter, noch gewalthaltiger: Wenn ihr nach diesen Kriterien die Güte von Computer- und Videospielen bewertet, dann legt dieses Heft doch bitte ins Regal zurück für jemanden, der die inneren Werte eines Spiels zu schätzen weiß: Natürlich sind viele alte Games im Rückblick geradezu herzerweichend schlicht gestaltet. Umso mehr betonten die guten davon den Spielwitz. Und wie ich selbst beim Neuspielen von Rogue für diese Ausgabe festgestellt habe: Je weniger detailliert die Grafik auf dem Bildschirm, desto detaillierter das Bild vor meinem inneren Auge. Aktualität ist bei einem Nostalgiemagazin wie dem unseren vielleicht nicht die allerwichtigste Eigenschaft. Aber nachdem wir in den ersten beiden Ausgaben jeweils ein britisches „Jahresheft“ als Vorlage genommen hatten, können wir für dieses Magazin erstmals auf drei aktuelle Monatsausgaben zurückgreifen. Aus über 300 Seiten haben wir die spannendsten 140 ausgewählt, liebevoll lokalisiert und um viele neu geschriebene Inhalte ergänzt. Ich finde, man merkt diese Häufung spannender Themen dem vorliegenden 180-Seiten-Heft an. Danke für das enorme Feedback auf unsere Umfrage im letzten Heft! Viele Hundert Fragebögen sind zurückgekommen, als Text-E-Mail, PDF-Scan oder JPEG-Foto, in Fax- oder Briefform. Demnach sind unsere Leser überwiegend männlich, gut verdienend, nicht mehr die Allerjüngsten (sag nur!) und finden unser Heft richtig gut (Notendurchschnitt 1,6). Das heißt aber auch, dass wir noch besser werden können. So haben wir bereits in diesem Heft die Gewichtung einiger Rubriken verschoben (z. B. weniger Interviews) und lassen einen Versuchsballon namens „Retro-Feed“ starten: eine Doppelseite mit Leserbriefen, Retro-Terminen und so weiter. Viele Teilnehmer bemängelten, dass in der Umfrage der Atari 800 fehlte, der ja sicherlich wichtiger als viele andere der aufgeführten Plattformen sei. Das ist völlig korrekt: Ich bitte die Atari-Fraktion um Verzeihung! Meistgerügt aber waren die AutorenPorträts – was man als indirektes Lob oder „Jammern auf hohem Niveau“ werten könnte. Zumal wir die Zeichnungen gar nicht schlecht fanden, sonst hätten wir sie ja nicht ins Heft genommen. Nachdem mir aber ein Leser geraten hat, doch für den nächsten Retro Gamer einfach mal den Briten Oliver Frey zu fragen, habe ich genau das getan. Von Frey stammen die Porträts im Zapp!-Stil für die englische Retro Gamer, und zufälligerweise ist er auch in diesem Heft erwähnt, mit einer Karte, die er damals für die Anleitung des Klassikers Shadowfire zeichnete. Oliver Frey stimmte zu, und so könnt ihr nun seine Porträts bewundern. Viel Spaß beim Lesen! Jörg Langer Projektleitung Retro Gamer 03/2013 Juni, Juli, August INHALT Das Magazin für Liebhaber von klassischen Spielen RETRO-REVIVAL Schwerpunkte Retro-Hardware 006Nemesis (Heinrich Lenhardt) 026 Magic Carpet (Mick Schnelle) 050 Frankie Goes to Hollywood 014 Made in Germany, Teil 2 032 Amiga 500 (Anatol Locker) 092 Eye of the Beholder 2 (Darran Jones) 132Rogue (Jörg Langer) 044 Die besten Videospiel-Bosse 008 Battle Isle 1 bis 4 Wie das storylastige Edel-RPG entstand 052 Carrier Command Mix aus 3D-Simulation und Strategie 058Rampart Burgen und Kanonen ... plus Tetris 070Warcraft Blizzards schwieriges RTS-Debüt 118 Star Castle Der Vektor-Bildschirm-Klassiker 134 Lode Runner Was geschah 1977/1978 in der Branche? 082 30 denkwürdige Power-ups Welche Extrawaffen die besten waren 110Konversions-Könige Gelungene Arcade-Umsetzungen und ihre Macher Heinrich Lenhardt über die Hexfeld-Hits 020 Planescape Torment Retro Gamer kürt die größten Endgegner 064 Der mysteriöse Crash Making Of Winnie Forster über die 90er Jahre Mega-Erfolg von einem Nicht-Spieler Arcadespiele, die in der Spielhalle blieben 080 F-15 Strike Eagle II Mick Schnelle mag Sid Meiers Flugsim 142Commodore-16-Spiele Unser „Minderheiten-Report“ zum C16 177 Back to the Future II Retro-Schande: Grottige Filmumsetzung Historie Die wichtigste unbekannte Videospiel-Firma 4 | RETRO GAMER 3/2013 Evolution des Grafikwunders von NEC/Hudson 102 Bally Astrocade Winnie Forster gräbt eine obskure Konsole aus 122 Sega Mega Drive Hard- und Software für Retro-Sammler 172 Steven Kelly 028Infocom AUF DEM SOFA Firmen-Archive 156 Imagitec Design 094 PC Engine 042 Die Unkonvertierten Anatol Locker spürt dem legendären Text-Adventure-Studio nach Sammler-Check: Spiele, Peripherie, Kronjuwel Klassische Spiele 074Civilization-Serie Erfolgsgründe für Sid Meiers Epos 104Shadowfire Die Taktik-Adventure-Serie samt Teil 3 148 Micro Machines Die Sogwirkung der Mini-Rennwagen 164 Der König des Chaos Julian Gollops Taktikwerke & Chaos Reborn Die Psion-Jahre des Bitmap Brothers mit Match Point und Co. RUBRIKEN 003Editorial 162Retro-Feed Leserbriefe, V erlosung und Termine 178Vorschau & Impressum RETRO-HARDWARE ALTE KONSOLEN-SCHÄTZE FRISCH POLIERT 032 094 006 058 070 104 110 134 164 102 122 008 020 026 044 080 092 014 » retro-revival Nemesis (Gradius) Extra-Tour » Publisher: Konami » Erschienen: 1987 (Arcade-Version: 1985) » Hardware: C64 (Originalversion: Arcade) HISTORie Von Heinrich Lenhardt Wie ich lernte, die Extrawaffe zu lieben: Konamis Arcade-Klassiker Gradius erreichte unter dem (passend zum Schwierigkeitsgrad) feindseligeren Namen Nemesis meinen C64. Da konnten die Sprites noch so herzhaft flackern, das taktische Element der Schiffsausrüstung machte den Shmup-Opa spannend. Es war nicht die erste, nicht die letzte und auch nicht die beste Heimversion von Konamis Spielautomaten-Hit. Aber das MSX-Modul war schwer zu kriegen, die NES-Umsetzung ließ noch auf sich warten, und deshalb war der Commodore 64 die Plattform, die mich mit den Freuden der ExtrawaffenWahl von Gradius (alias Nemesis) vertraut machte. Es war ein cooles Innovations-Feature scrollender Ballerspiele Mitte der Achtziger: Bestimmte Gegner hinterlassen bei ihrem Ableben eine Kapsel, die wir durch Berührung mit dem eigenen Schiff einsammeln. Am unteren Bildrand zeigt ein Balken an, welches Upgrade wir für unser Viper-Raumschiff derzeit per geschwindem Tastendruck erwerben können. Dem dauerscrollenden Shoot-em-up-Genre war somit eine delikate taktische Würze beschert: Wie lange spare ich auf ein besseres Upgrade, in welcher Reihenfolge aktiviere ich die Extras? Bei Nemesis wurden die ersten paar Kapseln auf jeden Fall in Tempoverbesserungen des in der Grundversion phlegmatisch trägen Raumschiffs gesteckt. Aber dann? Sparen auf Laser oder mit-ballerndes Beiboot? Aber überlebe ich die nächsten 30 Sekunden ohne schräg nach unten feuernde Missiles? Das Nemesis-Leben ist voller schwerwiegender Entscheidungen … und währt meist nicht sonderlich lang: Erschütternd oft steuere ich in ein Hindernis oder ein feindliches Geschoss, weil ich unbedingt eine Power-up-Kapsel in schwieriger Bildschirm-Randlage noch erhaschen will. Jeder Tod der allzu wenigen Leben wird durch den Verlust aller bis dahin ergatterten Upgrades hart bestraft: Da hat man es endlich mal in den nächsten Level geschafft und muss nach einem kleinen Fehler mit einer unaufgerüsteten GrundversionGurke weiter machen! Aber ein wenig Masochismus gehört ja zum Gesamtspielerlebnis klassischer Arcade-Shooter dazu – also lernte man tapfer Level-Layouts sowie die Formationen Kapseln hinterlassender Gegner auswendig. Heute noch ist es ein Hochgefühl, mich mit einer bis an die Zähne hochgerüsteten Viper durch den Level zu fräsen: Beiboote, Laser, Raketen, zur Sicherheit ein Schutzschild – so lässt es sich leben. Jeder Feuerknopfdruck spuckt eine Flut an Geschossen in den seitlich scrollenden Kosmos. Die Serie wurde über die Jahre immer wieder fortgesetzt; ein Höhepunkt war sicher Parodius, eine ebenso brillante wie amüsante Selbstparodie des gesamten Genres. Für den ExtrawaffenAppetit zwischendurch gibt es heutzutage Schätze wie das NES-Gradius im 3DS-Online-Shop oder die fünf Serienteile enthaltende Gradius Collection für PSP und Vita. 6 | RETRO GAMER 3/2013 RETRO GAMER 3/2013 | 7 BATTLE ISLE Making Of E Blaues Wunder made in Mülheim: 1991 machte eine deutsche Produktion das Rundenstrategie-Genre salonfähig. Battle Isle präsentierte komplexe Eroberungsplanungen als komfortabel-geselliges Vergnügen und verhalf Blue Byte zum Durchbruch als Publisher. Heinrich Lenhardt hat mit den Machern über die Entstehung des Taktik-Klassikers gesprochen. inheitensymbole über hexa gonale Felder zu schieben war in den 80er Jahren ein Fall für ausgesprochene Geduldsmenschen. Die grafisch minimalistischen und thematisch militärisch geprägten Schlachten simulationen von Pionieren wie SSI erschlossen sich nur einem kleinen Spielerkreis in Deutschland. Sperri ge Bedienung, langatmiger Ablauf und teure Importpreise erschwerten es, die Freuden der Rundenstrategie zu entdecken. Dabei hat das Genre jahrtausendealte Wurzeln: Einheiten klug auf dem Spielfeld positionie ren, um die Truppen des Gegners zu schlagen, das tat man schon beim Brettspiel Schach, mit dem sich Battle Isle in seiner Anleitung vergleicht. 1991 erlebten Amiga-, ST- und PC-Spieler einen strategischen Durchbruch: Battle Isle brachte eine ganze Generation auf den TruppenmanöverGeschmack – mehrere Jahre, bevor Titel wie X-COM (UFO), Warcraft oder Command & Conquer Strategiespiele als Massenmarkt-Genre etablierten. Auf dem Planeten Chromos dirigierten wir in der Rolle eines von der fernen Erde eingeflogenen Meisterstrategen umfangreiche Verbände im Kampf gegen die Einheiten des Computergegners TitanNet. Am meisten Spaß machten Duelle mit menschlichen Spielern, was auch ohne Netzwerke und Online-Spielmöglichkeiten flott und spaßig von der Hand ging. Eine innovative Teilung sowohl des Bildschirms als auch der Spielrunden verlieh dem Hexfeld-Taktikbrocken Battle Isle gewisse Party-Spiel-Qualitäten. Die Entstehung des Entwicklerteams von Blue Byte Software geht wie so vieles in der deutschen Entwicklerszene der 8- und 16-BitEpochen auf die Firma Rainbow Arts zurück. Thomas Hertzler hatte 1986 bei dem Düsseldorfer Spieleentwickler angefangen. Dort kümmerte er sich um Projekte wie die ST- und AmigaVersionen von Great Giana Sisters und stieg bis zum Entwicklungsleiter auf. 1987 lernte er den Programmierer Lothar Schmitt kennen, als dieser ein Tron-3D-Spiel zur Evaluierung einreichte. Das wurde zwar nie veröffentlicht, aber die Begegnung legte den Grundstein für Blue Byte: 1988 setzten Hertzler und Schmitt ihren Plan in die Tat um, sich mit einer eigenen Firma selbstständig zu machen. Reif für die Strategie-Insel Die Anfänge von Blue Byte – zunächst unter dem Namen »Hertzler & Schmitt GbR« – waren bescheiden. Thomas Hertzler programmierte im Dachgeschoss des Elternhauses, Lothar Schmitt arbeitete in seiner Düsseldorfer fakten » P ublisher: Blue Byte » Entwickler: Blue Byte » Jahr: 1991 8 | RETRO GAMER 3/2013 enre: Runden-Strategiespiel »G » Preisprognose: ab 20 Euro MAKING Of: Battle isle » Mit Icon-Steuerung per Joystick und getrennten Spielfeld-Ansichten für beide Kontrahenten betrat das erste Battle Isle 1991 strategisches Neuland. Wohnung. Als passionierter Sportler hatte Schmitt die Idee, eine Tennis simulation als erstes Spiel der jungen Firma zu entwickeln. Great Courts fand mit Ubisoft einen Publisher und mau serte sich zum soliden Hit, der mehrere Nachfolger auslöste. Unterm Dach der Familie Hertzler wurde dagegen die Grund lage für ein ganz anderes Spiel gelegt. Thomas war von einem japanischen Importtitel fasziniert, der bei ihm die Idee für Battle Isle auslöste: „Dank Peter Bee und dessen Compy-Shop in Mülheim bin ich an Nectaris für die PC-Engine gekommen. Das brachte Strategie schlicht und einfach auf den Punkt, das konnte jeder verstehen.“ Die exotische Import-Konsole hatten nur wenige Leute in Deutschland, leicht zugängliche Strategiespiele fehlten auf gängigen Heimcomputern – beste Voraussetzungen, mit Battle Isle diese Lücke zu füllen. Erste Echtzeit-Versuche In der Anfangsphase der Entwicklung gab es zum Vorbild Nectaris einen gravierenden Unterschied: Battle Isle war zunächst als Echtzeitstrategiespiel geplant. Beeinflusst von Herzog Zwei, einem japanischen Genre-Vorreiter fürs Sega Mega Drive, ließ Hertzler die Ein heiten ohne Rundenphasen über den Bildschirm marschieren. Das Konzept klang toll – aber dann kam das böse Erwachen: „Beim ersten Anspielen stellte sich heraus, dass es so keinen Spaß machte. Es passte einfach nicht zusammen, Einheiten in Echtzeit über die beiden Bildschirme mit Hexfeldern zu ziehen“, erinnert sich Programmie rer Bernhard Ewers. „Dann bin ich auf die Idee gekommen und habe Bewegungen und Angriffe aufgeteilt, um ein Rundenstrategiespiel daraus zu machen, also einen Schritt zurück in Richtung Nectaris. So ist es das Battle Isle geworden, dass heute alle kennen. Mir persönlich hat der rundenbasierte Spielablauf deutlich besser gefallen, gerade zu zweit hat man so mehr strategische Tiefe.“ Ewers war Blue Bytes erster Angestellter. Die Firmengründer Tho mas Hertzler und Lothar Schmitt waren mit Aufgaben wie der Programmierung von eigenen Entwicklungs-Tools gut beschäftigt. Darum blieb nicht genug Zeit, um Battle Isle fertigzustellen, das immer noch als GFA-Basic-Prototyp vor sich hin schmorte. Bernhard Ewers war in der Amiga-Szene bereits als Programmierer von Tools wie dem EPROM-Brenner Quickbyte 5 in Erscheinung getreten. Vor allem aber kannte er sich mit der Programmier sprache C aus, die leichtere Portie rungen zwischen den drei Systemen Amiga, Atari ST und PC versprach. Ein gemeinsamer Bekannter brachte Ewers und die Blue-Byte-Gründer zusammen: Armin Gessert, der bei Rainbow Arts die C64-Version von Great Giana Sisters entwickelt hatte. Bernhard Ewers stellte sich bei Blue Byte mit seinem Adventure Gene rator vor, einem „Mini-Ultima in C“, wie er es beschreibt. „Zu dem Zeit punkt wollte ich eigentlich Informatik studieren, aber da habe ich gesagt: Ich geh jetzt zu Blue Byte nach Mülheim und mach da Games“, erinnert sich Ewers lachend an die damals aben »B attle Isle 2 bot mehr grafische Abwechslung als der Erstling und schaffte den Splitscreen ab. Einheiten und Karten waren wiederum sehr gut balanciert. teuerlich anmutende Entscheidung: „Meine Mutter dachte, ich überfalle in Mülheim Tankstellen oder so was. Videospiele programmieren und dafür Geld zu kriegen, das klang so unglaub lich unwahrscheinlich.“ Dieser Berufs stand war damals in Deutschland so exotisch, dass Hertzler anfangs seine Firma gegenüber dem Bürovermieter als „Werbeagentur“ bezeichnete, um seriöser zu wirken. Die Runde wird geteilt Ein Überbleibsel des ursprünglichen Echtzeit-Ansatzes von Battle Isle war der Splitscreen, wodurch zwei Spieler voneinander unabhängig gleichzeitig agieren können. Damit dieses Prinzip auch bei Runden funktioniert, wurden diese in Zug- und Kampf-Phasen aufge teilt: Während ein Spieler Truppenbe wegungen plante, gab der andere seine Angriffskommandos – was jedoch we niger lang dauerte als die Bewegungen. Dieser Ansatz war nicht unumstritten und wurde ab Battle Isle 2 zugunsten einer Zusammenfassung von Bewe gungs- und Angriffsplanung aufgege ben. Doch bei seiner Veröffentlichung 1991 sorgte Battle Isle nicht zuletzt dank dieser Zwei-Spieler-freundlichen Innovation für Aufsehen und machte aus dem staubtrockenen Nischengenre Strategie ein geselliges Vergnügen mit straffem Ablauf: „Beide Spieler hatten etwas zu tun, man musste nicht aufeinander warten. Spieler 1 konnte Bewegungen planen, die allerdings noch nicht ausgeführt wurden. Der zweite Spieler durfte Einheiten in seiner Reichweite angreifen. Am Rundenende wurden diese Eingaben ausgewertet »D ie zweite Battle Isle-Zusatzdiskette mit neuen Schlachtfeldern entführte irdische Strategen auf den Mond von Chromos. InselInspirator Nectaris Ohne dieses japanische Strategiespiel wäre die Blue-Byte-Geschichte anders verlaufen: Nectaris entzündete den Inspirationsfunken für Battle Isle. Nur gut, dass Thomas Hertzler 1989 öfters beim Compy-Shop in Mülheim an der Ruhr vorbeischaute. Sonst wäre ihm womöglich der Hexfeld-Rundentaktik-Exot aus Japan entgangen, der ihn auf den Battle Isle-Trip brachte: „Für die damalige Zeit und Hardware war Nectaris schon ein einmaliges Spiel“, schwärmt der Blue-Byte-Mitgründer. 2009 veröffentlichte Hudson Entertainment mit Nectaris: Military Madness eine dezent modernisierte Neuauflage, die als Download-Titel für PS3, Xbox 360 und Wii erhältlich ist. Zu den Neuerungen gehört ein Multiplayer-Modus für bis zu vier Spieler. 2010 erschien unter dem Namen Neo Nectaris auch eine iPhone-Variante. Battle Isle selbst ist dank der Platinum Edition von GOG.com heute noch auf modernen PCs spielbar. Das Download-Paket Battle Isle Platinum bietet für 10 Dollar die drei Strategie-Teile plus Historyline 1914-1918, Incubation und diverse Missionsdisketten. eschichte schreiben wollte »G Blue Byte mit der Historyline-Reihe, die auf der Battle Isle-Engine basierte. Als einzige Episode erschien eine StrategiespielVersion des 1. Weltkriegs. RETRO GAMER 3/2013 | 9 Making Of BATTLE ISLE ENTWICKLERHIGHLIGHTS Great Courts 2 System: Amiga, Atari ST, MS-DOS JAHR: 1991 Battle Isle System: Amiga, Atari ST, MS-DOS JAHR: 1991 Die Siedler (abgebildet) System: Amiga, MS-DOS JAHR: 1993 » Die weiteren Aussichten für das rundum verbesserte Battle Isle 2: Wechselnde Wetterverhältnisse, bildschirmfüllende Karten und noch komplexere Schlachten. C hronol o » Schnittige PC-Technik anno 1994: Bei Battle Isle 2 wurden die Kampfszenen erstmals als im Spiel gerenderte 3D-Sequenzen gezeigt. g ie Die Seriengeschichte ist reich an Experimenten und Innovationen: Vom Weltkriegsgeschehen in Historyline bis zur Squad-Taktik mit Incubation. Battle Isle (Amiga, Atari ST, MS-DOS – 1991) Mit Joystick-freundlicher Icon-Bedienung und Zwei-SpielerSimultanmodus sorgte Blue Byte für frischen Wind im Rundenstrategie-Genre. Die Aufmachung wirkte einladend, ausgefeilte Karten, Einheiten und herausfordernde künstliche Intelligenz sorgten für langes Spielvergnügen. Zwei DatenDisketten versorgten die Fans mit zusätzlichen Levels. Historyline 1914–1918 (Amiga, MS-DOS – 1992) Bei diesem Serienableger wird erneut das Prinzip der Rundenaufteilung aufgegriffen. Die Hexagon-Felder der umfangreicheren Karten sind hier auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs angesiedelt. Besonders viel Lob erntet die Präsentation der geschichtlichen Ereignisse und Zusammenhänge, doch weitere Historyline-Titel sind nie erschienen. Battle Isle 2 (MS-DOS – 1994) Erst nach drei Jahren erschien endlich der offizielle Nachfolger, deutlich komplexer und mit einigen spielerischen Änderungen. der Splitscreen und die Trennung von Bewegungs- und Angriffsphasen wurden aufgegeben. Geduldige Feldherren tobten sich auf riesigen Karten mit wechselnden Wetterverhältnissen aus und Schlachten wurden erstmals als 3D-Szenen gezeigt. Battle Isle 3 (Windows – 1995) Ursprünglich als erweiterte Windows-Version von Battle Isle 2 geplant, wurde der „Schatten des Imperators“ zum eigenständigen Titel befördert. Entsprechend dünn sind spielerische Neuerungen gesät, dafür gab’s eine Extraportion Multimedia: In digitalisierten Videos versuchten mittelmäßig begabte Schauspieler, den Verlauf der konfusen Handlung zu vermitteln. Incubation (Battle Isle Phase vier) (Windows – 1997) Die Verwandtschaft zum Rest der Serie beschränkte sich aufs gemeinsame Story-Universum. Spielerisch wandelte Incubation mit seiner Rundentaktik eher auf X-COM-Pfaden. Statt riesiger Armeen steuerte man einen kleinen Trupp Soldaten, die durch Talentpunkte-Vergabe gestärkt werden. Incubation erntete gute Kritiken, aber schwache Verkaufszahlen. Battle Isle: Der Andosia-Konflikt (Windows – 2000) Das Spätwerk kombinierte traditionell rundenbasierte Kämpfe mit einer in Echtzeit ablaufenden Wirtschaftssimulation, dazu gab es zeitgemäße 3D-Grafik. Die Schlachtplanung war gewohnt komplex, aber die Spielerresonanz auf den Andosia-Konflikt verhalten. Ab 2001 hatte Ubisoft die Battle Isle-Rechte, gab aber keine weiteren Nachfolger in Auftrag. 10 | RETRO GAMER 3/2013 und man konnte sehen, was passiert“, fasst Thomas Hertzler den Ablauf zusammen. Da Battle Isle speziell für zeitgenössische 16-Bit-Computer entwickelt wurde, konnte man im Vergleich zum Vorbild Nectaris auf stärkere Hardware zurückgreifen. Dank größerer RAMReserven verwaltete Battle Isle mehr Variablen im Speicher, wodurch die Einheiten mit mehr Eigenschaften möglich wurden. Die Karten fielen detailreicher aus und waren mit strategisch wichtigen Gebäuden wie Fabriken und Lagerhäusern bestückt. Zum Kompilieren des C-Programmcodes wurden „Höllenmaschinen“ wie ein 386-PC mit 33 MHz verwendet, Kostenpunkt damals rund 9.000 Mark. „Da stand quasi ein halbes Auto im Raum“, schmunzelt Bernhard Ewers. „Damit bekamen wir die Kompilierungszeit von 20 auf elf Minuten runter, ein Wahnsinn!“ Für eine Handvoll KI-KByte Nach heutigen Maßstäben wirkt der zur Verfügung stehende Arbeitsspeicher bescheiden: Ewers, der heute noch stolz auf die Qualität der künstlichen Intelligenz ist, musste mit 11 KByte für die KI auskommen: „Dafür spielt die ziemlich gut. Einer der Gründe, warum die Spieler Battle Isle so sehr gemocht haben, war doch, dass sie dort einen echten Gegner hatten. Bei der ausgefeilten KI konntest du nicht einfach pennen, sondern musstest schon aufpassen – sonst hat dich der Computergegner plattgemacht.“ Dreieinhalb Monate arbeitete Ewers ausschließlich an der künstlichen Intelligenz: „Die meisten Konkurrenzspiele damals hatten nur eine Formel, die sich im wesentlichen auf ,If in range, then attack‘ beschränkte“, ergänzt er trocken. Viel Mühe gaben sich die Entwickler auch bei der Kartenauswahl: Nur etwa jede dritte Map, die für Battle Isle designt wurde, schaffte es auch ins fertige Programm. „Wir haben uns beim Testen zu Tode gespielt und nur die besten Karten übernommen“, erinnert sich Ewers. Map-Designer Janos Toth war bei den Team-internen Duellen der nahezu unschlagbare Meister. Zu den technischen Finessen gehörte auch ein von Programmierer Thomas Häuser geschriebenes Diskettensystem, um Speicher und Ladezeit zu sparen. Weitere Mitglieder des Entwicklungsteams waren Thorsten Knop (Grafik), Ralf-Jürgen Kraft (Programmierung) und Haiko Ruttman (Sound). Bei der Musik hatte Chris Hülsbeck seine Finger mit im Spiel. Bernhard Ewers hält Hingabe und Kompetenz der damaligen Blue-Byte-Mannschaft für den wichtigsten Erfolgsgrund: „Ohne jetzt arrogant wirken zu wollen: Wir waren damals ein Team von wirklich absoluten Top-Leuten, die an dem Spiel mit so viel Herzblut gearbeitet hatten – das merkt man Battle Isle richtig an. Es hatte für damalige Verhältnisse eine lange Entwicklungszeit. Und es hat einfach Spaß gemacht, daran zu arbeiten.“ Kampfinsel ohne Publisher Blue Byte war bisher nur ein Entwicklungsstudio gewesen und wurde erst wegen Battle Isle auch zum Publisher. Denn niemand wollte das merkwürdig anmutende Strategiespiel veröffentlichen, selbst Great Courts-Partner Ubisoft lehnte dankend ab: „Das ist nun mal so, dass ein Publisher nur die Titel haben will, die gerade in seinen Katalog passen. Aber wir als Entwickler hatten gewisse Überzeugungen, was unsere Produkte angeht“, erinnert sich Thomas Hertzler. „Mittlerweile waren Kontakte zu Vertriebsfirmen aufgebaut, zum Beispiel Jürgen Goeldner bei Rushware oder Ronald Schäfer bei Leisuresoft. Die haben uns Mut gemacht und gesagt: Wenn ihr das Produkt rausbringt, dann machen wir für euch die Distribution.“ Die Risikobereitschaft zahlte sich aus, Battle Isle war ein kommerzieller Hit – wenn auch nicht so erfolgreich wie die Great Courts-Serie, was Hertzler nicht überrascht: „Great Courts war von der Thematik her mehr für den Massenmarkt geeignet, jeder MAKING Of: Battle isle » Windows und CDROM wurden von Battle Isle 3 weidlich ausgenutzt, spielerisch gab es aber keine dramatischen Unterschiede zum 2. Teil der Serie. hatte schon mal ein Tennismatch im Fernsehen gesehen. Aber ein rundenbasiertes Strategiespiel mit futuristischen Einheiten ist einfach schwerer zu verkaufen. Battle Isle hat sich aber auf jeden Fall finanziell gelohnt, wir haben ja auch noch zwei Datendisketten nachgeliefert.“ Historische Tragweite Bevor sich Blue Byte Battle Isle 2 zuwandte, wurde 1993 Historyline 1914–1918 veröffentlicht. Auch wenn der Name auf eine eigenständige Spielserie hindeutet, handelt es sich bei diesem Titel um den direkten Battle Isle-Nachfolger, bei dem das Prinzip der Unterteilung in Bewegungs- und Angriffsphasen auf zwei Bildschirmhälften beibehalten wurde. Erster Weltkrieg statt Science Fiction – Anfang der 90er Jahre ein heißes Eisen, vor allem für einen deutschen Entwickler. „Damals war die Sensibilität noch viel größer. Heute würde ich keine Bange mehr haben, auch ein Spiel über den Zweiten Weltkrieg zu machen. Komischerweise hat man das in Deutschland den Amerikanern nicht übel genommen, siehe Panzer General von SSI. Das war eben ein Doppelstandard: Als deutsches Entwicklungshaus durfte man das nicht“, analysiert Thomas Hertzler die Weltkriegs-Berührungsängste dieser Zeit. Das Szenario von History line 1914–1918 hatte einen weiteren Nachteil: Der Erste Weltkrieg wurde vor allem durch Infanterieschlachten entschieden, das Karten- und Einheitendesign geriet dadurch weniger vielfältig. „Historyline war spielerisch nicht so gut wie ein Battle Isle, weil wir auch den Stellungskrieg darstellen wollten“, gibt Bernhard Ewers zu. „Wir hatten versucht, das mit ein paar Panzern zu kompensieren, aber im Ersten Weltkrieg bestand der Großteil der Armeen aus Infanterie und Artillerie. Deshalb konnten wir nicht Einheitentypen wie zum Beispiel Transportflugzeuge einbauen.“ In anderer Hinsicht sieht er das Spiel als großen Schritt nach vorn: Die Präsentation war so gut, dass einige Lehrer das Intro im Geschichtsunterricht einsetzten, wie sich Ewers erinnert. Durchwachsene Verkaufszahlen besiegelten das vorzeitige Ende der Historyline-Reihe, obwohl es bei Blue Byte Ideen für weitere Ausgaben gab. „Wir hätten besser mit dem Zweiten Weltkrieg beginnen und vielleicht dann erst den Ersten Weltkrieg behandeln sollen. Es war auch einmal in der Überlegung, ein Historyline-Spiel zum Koreakrieg oder einem fiktiven Szenario zu machen“, erinnert sich Thomas Hertzler. Komplexitäts-Offensive Zurück auf fiktive Schlachtfelder der Zukunft ging es bei Battle Isle 2. Die 1994 veröffentlichte Fortsetzung kombinierte Planungs- und Angriffsphasen, womit auch die charakteristische Bildschirm teilung verschwand. Der Ausgang von Kämpfen wurde nun in kurzen 3D-Sequenzen gezeigt. Wetter, Versorgung und Aufklärung mussten bei der Kriegsführung berücksichtigt werden. Bei aller Komplexität enthielt Battle Isle 2 „nur 60 Prozent des Spiels, das ich eigentlich machen wollte“, lacht Bernhard Ewers. Für den Programmierer ist dieser Teil der persönliche Höhepunkt der Seriengeschichte: „Für mich war es ein Riesentitel, weil ich da für alles verantwortlich war. Das Team wurde viel größer, erstmals haben wir 3DSequenzen gemacht. Battle Isle 2 halte ich heute noch für ein sehr komplexes Strategiespiel. Auf einer Karte mit allen Einheiten kannst du da echt Stunden für einen Zug verwenden.“ Battle Isle 3 hielt sich ein Jahr später mit spielerischen Innovationen zurück, lag dafür voll im MultimediaTrend: Immer mehr PCs waren mit CD-ROM-Laufwerken ausgestattet, wodurch Computerspiele ihre Geschichte durch digitalisierte Videoclips erzählen konnten. Populäre Beispiele dieser Epoche waren Wing Commander 3 und das erste Command & Conquer von Westwood. Doch die Filmszenen von Battle Isle 3 sind (wie so viele Mitte der 90er Jahre entstandene Spiele-Videoproduktionen) wenig vorteilhaft gealtert. Aus heutiger Sicht beschmunzelt man den Laien-Charme der in schlichten Computergrafik-Umgebungen agierenden Schauspieler. Thomas Hertzler über die Fortsetzungen der Battle Isle-Serie: „Die Nachfolger waren natürlich sukzessive besser und umfangreicher. Später liefen sie auch auf Windows und dann » Wir waren damals ein Team von absoluten Topleuten .« Bernhard Ewers noch mit furchtbaren Videos verballhornt, was man Mitte der 90er Jahre einfach machen musste. Auch wenn es Zutaten waren, die zum Spiel nichts beigetragen haben.“ Taktischer Kult-Flop Umso innovativer war ein 1997 veröffentlichter Serienableger, der sich im Untertitel zwar Battle Isle Phase 4 nannte, spielerisch aber in eine andere Richtung hing: Incubation. Statt ganze Armeen über Landkarten zu kommandieren, befehligte man einen kleinen Zukunfts-Soldatentrupp mit unterschiedlichen Charakteren. Mittels Aktionspunkten ging es in einer 3D-Umgebung gegen gefährliche, sehr grob Aliensinspirierte Monstren. Das Geschehen erinnerte eher an X-COM und Jagged Alliance als an die Serienvorgänger, auch wenn spätere Levels weniger Taktik- als vielmehr Denkspiel-Charakter hatten, weil man sie fast wie ein Logikpuzzle lösen musste. Incubation wurde ein kommerzieller Flop, wird aber von seiner Fanbasis bis zum heutigen Tag kultig verehrt. Geschaffen wurde es quasi im Alleingang von Blue-Byte-Mitarbeiter Andreas Nitsche, dem Hertzler grünes Licht gegeben hatte, um seine Taktikspiel-Idee zu verwirklichen. „Ich sagte: Dann mach das, du hast hier komplette Freiheit. Mir hat Incubation auch sehr gut gefallen, nur war es eben etwas ganz anderes, als es der Battle Isle-Spieler erwartet hätte.“ Die Verantwortung für die nicht optimale Vermarktung des Spiels nimmt Hertzler, der Blue Byte nach dem Ausstieg von Mitgründer Lothar Schmitt inzwischen alleine führte, auf seine Kappe: „Das war damals noch in der Lernphase. Ich habe keinen Marketing-Abschluss und man tat in der Hinsicht eben das, was man für richtig hielt.“ Die Glanzzeit der Serie war ohnehin zu Ende. Es gab 2000 zwar noch die mit Echtzeit-Elementen angereicherte Fortsetzung Der Andosia-Konflikt, bei der das ganze Spielgeschehen in 3D-Grafik dargestellt wurde. Dabei handelte es sich um eine Auftragsarbeit des slowakischen Programmierteams Cauldron. Blue Byte hatte inzwischen mit der Siedler-Serie ein weiteres heißes Eisen im Feuer. Dennoch verkaufte Thomas Hertzler 2001 seine Firma an Ubisoft und zog sich ein Jahrzehnt lang aus der Spielebranche zurück. Blauer Börsen-Crash » Der große Stratege von der Erde als braver Schwiegersohn-Typ: Das Intro von Battle Isle 2 hatte noch handgezeichneten Charme. Der Multimedia-Gaul ging dann bei Battle Isle 3 durch: Die digitalisierten Story-Videos bleiben als bizarres Kuriosum in Erinnerung. Ausschlaggebend für das Ende als unabhängige Firma war der gescheiterte Börsengang von Blue Byte: „In den späten 90ern war das total verrückt, da wollte jeder an die Börse – und so ziemlich jeder konnte auch“, erinnert sich Hertzler. Die Moorhuhn-Macher RETRO GAMER 3/2013 | 11 Making Of BATTLE ISLE Der Traum vom OnlineWeltraum Der Raumschiffsimulator DarkSpace wäre 2001 beinahe als Battle Isle-Titel veröffentlicht worden. Nach dem Taktikexperiment Incubation sollte die Battle Isle-Serie den Weltraum erobern: Im Juli 2000 kündigte Blue Byte das MMO Battle Isle: DarkSpace an, das eine Mischung aus Echtzeitstrategie und 3D-Raumschiff-Action werden sollte. Es wäre Blue Bytes erstes reines Online-Spiel gewesen. Doch aus der geplanten Veröffentlichung im 1. Quartal 2001 wurde nichts: Der neue Eigentümer Ubisoft kündigte die Verträge mit Dark Space-Entwickler Palestar, weil man eine Verwässerung der Battle Isle-Markenidentität befürchtete. Trotz dieser Enttäuschung hat sich DarkSpace wacker gehalten: Das MMO wurde 2002 veröffentlicht und kann dank des Einsatzes ehrenamtlicher Helfer heute noch kostenlos gespielt werden (www.darkspace.net). QA & Thomas Hertzler gründete Blue Byte 1988 zusammen mit Lothar Schmitt und ist der Erfinder der Battle Isle-Serie. ■ Bedauerst du es, dass die Battle IsleReihe so lange nicht fortgesetzt wurde? Wenn ich Blue Byte weiter geführt hätte, wäre Battle Isle nie aufgegeben worden. Aber es war Ubisofts Entscheidung, nach meinem Verkauf zu sagen: „Mit Battle Isle machen wir nichts mehr.“ Wir hatten früher damit viel experimentiert und das ist auch teilweise in die Hose gegangen. Wenn man eine solche Marke weiter entwickelt, dann änderst du entweder nicht genug oder du änderst zu viel. ■ Wie würde ein neues Battle Isle heutzutage aussehen, wäre der Spielablauf immer noch rundenbasiert? Ich denke schon – rundenbasiert müsste sein, sonst wäre es kein Battle Isle mehr. Da gäbe es viele Methoden, es interessant zu machen und der heutigen Zeit anzupassen. 12 | RETRO GAMER 3/2013 ■ Was hat das erste Battle Isle besser gemacht als dessen Inspirationsquelle Nectaris? Nectaris lief auf der Spielkonsole PC-Engine, die extreme Beschränkungen beim RAM hatte. Mit 8 KByte konnte man nur sehr wenig Variablen im Speicher halten. Die Nectaris-Entwickler mussten gewisse Kompromisse eingehen, während wir uns auf Amiga und Atari ST nicht so viele Gedanken machen mussten – ein paar KByte mehr für Datenstrukturen waren da kein Thema. Dadurch konnten wir den Einheiten mehr Eigenschaften verleihen und die Karten großzügiger gestalten. ■ Die Aufteilung der Runden bei Battle Isle 1 und Historyline war umstritten. War sie zu unrealistisch? Das war eher eine Sache der Kommunikation. Bei einer Simulation der Bundeswehr weiß der General oder Gruppenleiter ja auch nicht genau, was seine Einheiten in jedem Moment gerade machen. Wenn der sagt „2. Panzerdivision, ihr fahrt jetzt mal da rüber“, dann kommt vielleicht nur die Hälfte an, weil die Division zwischendurch von Tieffliegern angegriffen wurde. Wenn man das entsprechend verpackt hätte, wäre das Spielprinzip vielleicht noch deutlicher rübergekommen. Aber du hast recht, viele Spieler mochten dieses Prinzip nicht, und in Battle Isle 2 haben wir es deshalb anders gemacht. ■ 2012 hast du die neue Spielefirma Strato tainment gegründet, nachdem du eine lange Branchen-Auszeit genommen hattest? Richtig, nach dem Verkauf von Blue Byte an Ubisoft war’s erst einmal genug für mich. Die zwei Jahre davor mit dem Aufwand für den geplanten Börsengang waren sehr stressreich und die ganze Sache verlief sehr enttäuschend. Die Ideen sind mir nie ausgegangen; es gibt noch ein paar Dinge, die ich irgendwann gerne machen möchte. Aber 2001 hatte ich von der Spielebranche erst einmal genug. Ubisoft hat seit dem Blue-Byte-Erwerb zwar die Siedler-Serie weitergeführt, aber Battle Isle nicht mehr angefasst. Thomas Hertzler nahm sich eine längere Spiele-Auszeit und betrieb eine Luftfahrt-Dienstleistungsfirma im USBundesstaat Arizona: „Als Tango One Aviation haben wir uns um Wartung, Avionik und Betankung gekümmert. Das ging vom kleinen Sportflieger bis zum interkontinentalen Privat-Jet, wir hatten auch das Militär als Kunden. Zeitweilig hatten wir 16 AH-64 und UH-64 Longbows auf der Rampe“, erinnert sich Hertzler. Heutzutage tummelt er sich im texanischen Austin, wo seine neue Firma Stratotainment im Mobilspiele-Bereich tätig ist. Da Ubisoft die Battle Isle-Trademarks nicht erneuerte, hat Hertzler sich diese Marke inzwischen gesichert. Wer aber wann und wie ein neues Battle Isle-Spiel entwickeln könnte, war zu Redaktionsschluss noch unklar. Programmierer Bernhard Ewers hatte Blue Byte nach Battle Isle 2 verlassen und war in verschiedene Spieleprojekte eingebunden. So wollte er schon 1996 ein Cyberpunk-MMO programmieren: „Damals kam ISDN gerade mal auf, wir ritten noch auf 48KModems rum – und ich wollte Massively Multiplayer!“ Er entwickelte zum Beispiel auch das Strategiespiel Dunkle Manöver, programmierte den Multiplayer-Modus von Sacred und beschäftigt sich derzeit mit neuen Mobilspielen. Es gibt noch viele Strategieschlachten zu schlagen, aber die Erinnerungen an die Entwicklung von Battle Isle haben für Ewers einen ganz besonderen Stellenwert: „Bis 1994 war Blue Byte für mich der schönste Platz auf dem Planeten, es war für mich die Erfüllung eines Traums. Ich hatte Leute um mich herum, die genauso bescheuert waren wie ich: Den ganzen Tag nur am Computer sitzen und nichts anderes wollen, als Spiele zu programmieren oder zu spielen.“ » Zeitgemäße 3D-Grafik und Echtzeit-Elemente waren die Merkmale des AndosiaKonflikts. Das bislang letzte offizielle Battle Isle-Spiel erschien 2000. » I ncubation wird thematisch zwar zur Battle Isle-Serie gezählt, spielt sich aber gänzlich anders: Minigruppen-Taktik und dezente Rollenspielelemente. von Phenomedia hatten diesen Schritt 1999 vollzogen. In jahrelanger Arbeit bereitete nun Hertzler zusammen mit einer Frankfurter Bank die Blue Byte AG vor. Dazu mussten die Bilanzbücher der Firmen umgeschrieben und potenzielle Anleger beeindruckt werden – zum Beispiel mit einem teuren Stand auf der E3-Messe in den USA, der alleine eine halbe Million Mark kostete. Doch dann implodierte der Dot-Com-Boom und die Bank blies den Börsengang ab. „Die ganze Umstellung war sehr, sehr kostspielig gewesen und nun fragten wir uns: Was machen wir jetzt? Kämpfen wir uns weiter durch?“, resümiert Hertzler. „Wir hatten einige innovative Ideen, was den OnlineBereich anging, aber das war teilweise noch zu früh. Der Einzelhandel war [in den USA] sehr teuer und dominierend, man konnte noch nicht so einfach auf Online setzen wie heute mit Steam.“ Blue Byte plante die Veröffentlichung des Weltraum-Onlinespiels Battle Isle: DarkSpace, aber 2001 nahm Hertzler schließlich ein Kaufangebot seines alten Geschäftspartners Ubisoft an. Erneute Mobilmachung Erweitern Sie Ihren Horizont! Jetzt im Handel erhältlich! Oder bestellen Sie gleich unter: www.emedia.de! zweite Dekad e i e :D 2 l Te i Eutin Software 2000 1987 – 2001 Hamburg gd hre a J r e 990 Die 1 Gütersloh Gütersloh Ascaron Magic Byte 1989 – 2009 1987 – 1999 Mülheim a.d.Ruhr Blue Byte 1988 (2001 übernommen) Düsseldorf Rainbow Arts 1985 – 1995 Aachen Ikarion 1993 – 2001 Köln Leben in der Nische Jenseits der Konsolen-Prominenz und des PC-Mainstreams wursteln im Nach-Wende-Deutschland kreative Individualisten und MiniTeams, die sich in keine Schublade und keine Vermarktungsschiene pressen lassen. Ein Unikat ist die Murmel-Rollerei Oxyd, die der Heidelberger Meinolf Schneider Ende der 80er Jahre auf dem Atari ST erfindet, siehe Bild unten. Mit der Maus löst man Memory- und Meditationsaufgaben: Oxyd ist grafisch ungewöhnlich (schwarz und weiß, damit alle ST-Besitzer ihre Freude daran haben), spielerisch ein „Casual Game“ (lange bevor es diesen Begriff gibt) und bleibt trotz Windows- und Mac-Ports über 15 Jahre fast unverändert. Erst 2002 gibt die Minifirma Dongleware das Spiel auf. Was für Meinolf Schneider der Atari ST, ist für Rüdiger Rinscheid und seine „German Design Group“ der C64, dem GDG bis in die 90er Jahre die Treue hält. GDG ist der letzte Profi-Entwickler für den 8-Bit-Computer und mit stark von Brett- und Tabletop-Simulationen beeinflussten RPG-Strategie-Hybriden auch kreativ eine eigenwillige Erscheinung. Die GDG-Geschichte endet mit dem erstem fremdvermarkteten Spiel, Magic of Endoria für Sunflowers. Ein CoSim-Liebhaber ist auch der langjährige Rainbow-Arts-Produzent Teut Weidemann, der 1998 das Studio Wings zur Realisierung von Software gründet, von der andere Deutsche die Finger lassen: Zusammen mit ExAmiga-Programmierer Heiko Schröder produziert der Sohn eines Bundeswehroffiziers militärische Simulationen, Kriegsspiele mit Anspruch an Authentizität und Realismus. Wings entwickelt Panzer Elite für Psygnosis, dann verscherbelt Weidemann die GmbH an Jowood und inszeniert mit dem verbuggten Söldner: Secret Wars 3D-Krieg zu Fuß. 14 | RETRO GAMER 3/2013 Frankfurt Heusenstamm CDV Sunflowers 1994 – 2010 1993 – 2007 Frankfurt Neon Studios 1993 – 205 Frankfurt Mannheim Topware AG 1995 – 2001 Albstadt Attic 1989 – 2001 München Ravensburger Interactive 1993 – 2005 München Made in germany, Teil 2 » Geschichte wird gemacht: Wiedervereinigung und Nachwende-Zeit feiern Hersteller mit nationaler Aufbaustrategie oder persiflieren den Politbetrieb: Rechts Ralph Stocks WahlkampfManager Hurra Deutschland. Während Sega, Nintendo und Sony den Videospielmarkt reformieren, verdrängen DOS und Windows die Commodore-Computer. Für deutsche Produzenten wird der PC zur bevorzugten Plattform; den Sprung in die Konsolenzukunft schaffen dagegen nur wenige. Im 2. Teil der Retro Gamer-Serie berichtet Winnie Forster aus dem Jahrzehnt, in dem sich deutsche Hersteller auf den Weltmarkt wagen – dem IPO folgt nicht selten ein Absturz. Berlin A » Nach hochgelobten DSA-Rollenspielen gibt Guido Henkel sein schwäbisches Studio auf und zieht nach Kalifornien. In Interplays RPG-Abteilung arbeitet er an Planescape: Torment mit. nfang der 90er Jahre haben 16-Bit-Computer und -Konsolen die 8-BitGeneration abgelöst. Der PC ist bei Computer-Spielern groß im Kommen, auf dem Konsolensektor gelten Mega Drive und Super NES als State of the Art. Als Speichermedium der Zukunft wird die CD-ROM gehandelt. Man munkelt vom baldigen Markteintritt des ElektronikRiesen Sony. Nach rund 200 Originalspie len bis Ende 1990 geht die deutsche Szene selbstbewusst ins neue Jahrzehnt und zeigt sich internatio nal gut vernetzt: 3D-Profi Jürgen Friedrichs arbeitet für den englischen Atari-Partner Domark, Guido Henkel beliefert die kanadischen RPG-Profis Sir-Tech. Blue Byte hat mit Ubi soft einen starken Partner für den Weltmarkt, Rainbow Arts finanziert Spiele aus Frankreich und England. Erstmals investieren auch japanische Majors in die deutsche Development-Branche: Unter der Leitung der ehemaligen SharpPartner Axel Bialke und Andreas von Gliszczynski eröffnet Traditionsher steller Hudson eine Niederlassung in Hamburg, die nicht vermarkten, sondern lokal entwickeln soll. So entsteht 1992 ein Vier-SpielerBomberman für den Amiga, dem Kingsoft – nach guter alter Sitte – einen Klon namens Bug Bomber hinterherschickt, akustisch gepimpt von Chris Hülsbeck. Kölner Könner im Exil Am erfolgreichsten bewegt sich ein kleines Team aus Köln auf dem internationalen Parkett – wir begegneten ihm bereits in der » Peter Thierolf, Frank Matzke und Chris Hülsbeck starten optimistisch in die 90er Jahre. Auch wenn Kaiko rasch zerfällt, macht jeder der drei Karriere in der Spielebranche. Wien Neo 1993 – 2001 Schladming Max Design 1991 – 2004 Rottenmann Jowood 1995 – 2011 Wien Unsere nördlichste Spielefirma ist ein Kind der 80er Jahre und startet mit Puzzles und Adventures für C64-, Amiga- und ST-Heimcomputer (teils unter dem Label Magic Soft). In den 90ern wird Software 2000 zum reinen PC-Publisher, der sich auf Wirtschafts- und Sport-Simulationen spezialisiert und mit dem Bundesliga Manager eine lang laufende Serie etabliert. Zunehmende Konkurrenz auf dem Sim- und Manager-Sektor (den Software 2000 auch mit einem F1 Manager sowie der Pizza Connection bedient) und die vielen Bugs des Bundesliga Manager 97 bringen das Familienunternehmen ins Schlingern, schaden dem Ruf und vergraulen viele Fans. Mit den Big-Budget-Produktionen der angloamerikanischen Industrie kann Software 2000 nie mithalten, sondern liefert 15 Jahre lang sparsame Kost. Dazu gehören ab 1998 Windows-Umsetzungen der TV-Serie GZSZ sowie das Denkspiel Swing, das – eine Ausnahme im Software-2000-Programm – auf Playstation und Game Boy portiert wird. Während die Mitarbeiter W. Krahe, J. Onnen und A. Niedermeier die Bundesliga-Serie zu anderen Firmen entführen, meldet Software 2000 Anfang 2002 Konkurs an – Game over in Eutin. RETRO GAMER 3/2013 | 15 eite Dek e zw ad Di e Te i : l2 90er Die 19 e Jahr ie Speerspitze deutscher Konsolenentwicklung bleibt Factor Five: Rogue Squa»D dron nutzt als erstes Spiel die RAM-Erweiterung des N64, die Fortsetzung Rogue Leader ist der erste N64-Titel, der rundum in 5.1.-Kanal-ProLogic-II tönt. Der Computerspielverlag wird 1991 von Thalion-Veteran Holger Flöttmann als Ascon gegründet und spezialisiert sich – wie fast alle deutschen Publisher der 90er – auf Handelssimulationen (Der Patrizier, Elisabeth). Ascaron ist mit dem Anstoss-Fußballmanager erfolgreich und übernimmt 2001 die Reste des Aachener Entwicklers Ikarion, um in die Produktion von Fantasy-RPGs einzusteigen: Sacred erscheint 2004, begründet eine der erfolgreichsten deutschen Marken und wird sogar international gelobt und ausgezeichnet. Die PS3- und Xbox-360-Versionen des verspäteten Sacred-Sequels sind Ascarons erste Konsolenspiele, gleichzeitig auch das Letzte, was die fast 100 Mitarbeiter starke Firma hervorbringt: Nach erster Insolvenz 2001 geht Ascaron im April 2009 endgültig die Luft aus. Das Unternehmen wird zerschlagen, die Sacred-Reihe wandert zu Deep Silver, andere Rechte schluckt die Medienfirma Kalypso, die auch die Gründung der Gaming Minds Studios durch Ex-Ascaron-Kreative finanziert – die Entwicklungstradition in Gütersloh lebt fort. » Mit historischen Handelssimulationen setzt Ascaron die Segel; hier Port Royale 2 von 2004 ersten „Made in Germany“-Episode: Noch vor anderen deutschen Kollegen lässt Factor Five den Amiga-Computer fallen, um sich auf Sega- und Nintendo-Konsolen zu konzentrieren. Die Programmierer Holger Schmidt und Thomas Engel und ihr Produzent Julian Eggebrecht emanzipieren sich von Rainbow Arts mit Auftragsarbeiten für Hudson und – mit einer Contra-Umsetzung auf Game Boy – für Konami. 1996 siedeln sie, der besseren Arbeitsbedingungen wegen, nach Kalifornien über. Amiga-Maestro Hülsbeck folgt ihnen ein paar Jahre später. Mitte der 90er Jahre sind die Factor-Five-Profis das einzige deutsche Team mit Konsolen-Erfahrung und japanischen Referenzen, und sie erfüllen sich ihren Traum einer engen Partnerschaft mit dem wohl besten US-Entwickler: Für Lucasarts bringt Factor Five 1994 Indiana Jones aufs SNES, konvertiert dann Rebel Assault 2 auf die Ur-Playsta tion und darf 1997 den Atari-Klassiker Ballblazer für die Sony-Hardware renovieren. Dank Lucasarts kommt das Exil-Team (das weitere CodeGenies aus Europa nachzieht sowie US-Kreative rekrutiert) schließlich mit der wichtigsten aller GameFirmen ins Geschäft: Nintendo. Das N64-Star Wars: Rogue Squadron (1998), dem Nintendo in den USA eine millionenschwere TV-Kampagne spendiert, und der Gamecube-Starttitel Rogue Leader (2001) katapultieren Factor Five auf den Höhepunkt ihrer weltweiten Bekanntheit. Dabei erregt das Team weniger durch ausgefeiltes Gamedesign als vielmehr durch Hardware-Tricks und brillante Technik den Beifall von Spielern und Insidern. Factor Five entwickelt neue Kompressionsverfahren und liefert Nintendo die MuSyx-RaumklangTechnik. Die enge Kooperation mit Nintendo endet erst 2005, als Factor Five zum Sony-Partner wird – das gehört bereits in den abschließenden dritten Teil dieser Artikelserie. Die Factor-Five-Epigonen Jenseits von Factor Five lassen sich deutsche Nintendo- und PlaystationSpiele an einer Hand aufzählen. Einen frühen Versuch macht Kaiko, bestehend aus Hülsbeck, Programmierer Peter Thierolf und Grafiker Frank Matzke. Nach dem AmigaBallerspiel Apydia für Blue Byte arbeitet das Trio für Factor Five an späten Turrican-Abenteuern wie dem FX-Feuerwerk Mega Turrican (alias Turrican III), das 1993 das erste Sega-Modul aus Deutschland ist. Da Hülsbeck zum Partner wechselt und Matzke die Pixel aufgibt (um als Sierra-Manager Karriere zu machen), gründet Thierolf 1994 die Nachfolgefirma Neon. » Neon im Jahr 1994: Programmierer Thierolf (langhaarig/Mitte) ist mittlerweile Technikchef bei Keen, sein damaliger Kollege Michael Büttner (mit erhobener Rechten) codet heute für IO in Dänemark. »M anfred Trenz liefert mit einem Super Turrican-Medley das einzige deutsche NES-Spiel und 1995 eine SNES-Rarität: Rendering Ranger wird nur in Japan ausgeliefert. 16 | RETRO GAMER 3/2013 Made in germany, Teil 2 » Ab 1993 verkauft Blue Byte zig Millionen PC-Spiele der Die Siedler-Reihe. Ersonnen wird die Wuselstrategie von Kingsoft-Veteran Volker Wertich auf dem Amiga. » Friedlicher als Die Siedler sind die Handwerker und Händler in Anno 1602. Auch aus dieser deutsch-österreichischen Koproduktion wird eine erfolgreiche Aufbauserie. » Code-Talente fürs nächste Jahrtausend: Während sich die kommenden NintendoProfis Shin'en noch auf Amiga-Partys tummeln (1997, oben), startet Florian Knappe (FEB/VCC, unten) in Hamburg die Playstation-Entwicklung. Das Start-up versammelt im Raum Frankfurt viele junge Talente, ist dabei aber weit weniger straff und zielstrebig geleitet als Factor Five oder Blue Byte. Neons Debüt ist das Amiga-Jump’n’Run Mr. Nutz, das die englische Firma Ocean international vermarktet. Technisches Knowhow blitzt 1996 im Playstation-Shooter Tunnel B1 auf und wird auch in England bejubelt, doch dann zerfällt das ehrgeizige Team schon wieder. Ein zweites Playstation-Spiel, Viper, beendet Neon-Deserteur Michael Büttner bereits im Exil in Manchester und gerät dabei vom Regen in die Traufe, denn Ocean bricht just zu dieser Zeit auseinander. Büttner wird vom neuen Ocean-Inhaber Infogrames mit der Playstation-Umsetzung des Agenten-Thrillers Mission Impossible beauftragt, während der deutsche Neon-Stamm – Thierolf, Designer Boris Triebel, Produzent Jan Joeckel » Knapp 200.000 verkaufte Einheiten sind zu wenig: Nach der Fertigstellung von Technomage für Windows und Playstation löst Sunflowers sein Entwicklungs-Team auf. » Als Originalspiel-Erfinder bleiben Factor Five und Neon AusnahmeErscheinungen in Deutschland. « und Art Director Antony Christou lakis – die nächsten Jahre mit Auftragsarbeiten für Infogrames und Acclaim überleben oder mit dem bayrischen Pumuckl und den Tieren von Janosch lokale Größen auf den Game Boy bringen. Den technisch genügsamen Handheld nutzen Ende der 90er Jahre auch andere deutsche Unternehmen für den NintendoEinstieg und setzen beispielsweise ihre Puzzles Spherical und Logical (Rainbow Arts) sowie Swing (Software 2000) auf Game Boy um. Als Originalspiel-Erfinder bleiben Factor Five und die NeonClique Ausnahmeerscheinungen in Deutschland. Erst ganz am Ende des Jahrtausends schafft es ein drittes Team, schnell zoomende Action auf die Playstation zu zaubern: Hinter den Start-ups FEB und VCC in Hamburg stehen Techniker, die teilweise Neon zuarbeiteten, vor allem aber viel Talent einer neuen Generation. 2000 kommt FEBs Killer Loop als Mag Force Racing auf Dreamcast, als einziges deutsches Spiel für die letzte Sega-Konsole. Big Business mit dem PC In den vorangegangenen Absätzen war nur von Studios und Teams die Rede, die sich in den Nintendo- und Playstation-Zirkus wagten, nicht jedoch von deutschen Publishern. Das hat einen triftigen Grund: Während verstreute Grüppchen begabter und ehrgeiziger Techniker auf Konsolen setzen (und internationalen Partnern zuarbeiten), konzentrieren sich die hiesigen Herstellerfirmen ganz auf den PC. Im Gegensatz zu ihren englischen und französischen Mitbewerbern wollen die deutschen Verlage nach dem Ende von C64, Atari ST und Amiga nicht in teure KonsolenTechnik und -Lizenzen investieren, sondern auf dem offenen, freien und sparsamen DOS- sowie WindowsMarkt agieren. Mit zivilen Simulationen machten sich deutsche PublishingFirmen Ende 80er Jahren einen Namen und schufen eine Nische, die sie über die 90er Jahre erweiterten, professionalisierten und für den internationalen Erfolg flott machten. » Der japanische Major Hudson lässt Umsetzungen von deutschen Profis programmieren und produziert mit Sunflowers 1995 das DOS-Nectaris. Anfang der 90er Jahre ist die Handelsfirma Bomico der wichtigste Distributor internationaler Spiele in Deutschland. Der Vertriebsmacht stellt Firmenchef Adi Boiko 1993 eine eigene Inhouse-Entwicklung zur Seite: Sunflowers soll PC-Spiele speziell für deutschen Geschmack und mit nationalen Themen produzieren. Das Label debütiert 1994, vier Jahre nach der Wiedervereinigung, mit der Wirtschaftssimulation Aufschwung Ost und wächst mit weiteren zivilen Strategiespielen auf 50 Mitarbeiter. Sunflowers bleibt unabhängig, als Bomico von Infogrames übernommen wird, setzt 1996 das 80er-Jahre-Spiel Die Fugger fort und feiert mit Holiday Island den ersten internationalen Titel. Sunflowers’ größter Erfolg ist die Anno-Serie, eine Koproduktion mit dem österreichischen Studio Max Design. Der Auftakt Anno 1602 verkauft sich über zwei Millionen Mal, bis heute folgen Fort- und Umsetzungen. 2003 setzt Sunflowers mit Related Designs ein neues Team auf die Serie an, deren Anno 1701 erst 2006 fertiggestellt und – als letzte Sunflowers-Produktion – geliefert wird. Sunflowers investiert in Max, Related und SEK Berlin und ist damit ein Major Player der deutschen Szene, bis Ubisoft die Firma Anfang 2007 schluckt. RETRO GAMER 3/2013 | 17 eite Dek e zw ad Di e Te i : l2 90er Die 19 e Jahr » Fast so schnell wie eine Verkehrsgigant-Stadt wächst ab 2000 die Jowood AG, die Strategie- und Aufbauspiele aus Österreich und Deutschland vermarktet. » Mit dem Bundesliga Manager feiert Software 2000 bis 2001 viele Erfolge Interessant und lukrativ erscheint deutschen Machern die Mischung aus Finanz-Management und dem Lieblingskind der hiesigen TVZuschauer, dem Fußball. Nachdem Software 2000 mit ihrem Bundesliga Manager in die 90er startet, bauen Ascaron und die Ariolasoft-Veteranen von Independent Arts ab 1993 mit Anstoss eine Konkurrenz-Liga auf. Beide Serien werden erst für Amiga, später europaweit für den PC vermarktet, haben aber vor allem in Deutschland eine treue Fan-Basis. 1996 simuliert Independent Arts mit Greenwood (Macher der LogistikSimulation Der Planer) und Sat.1 die Ökonomie der Bundesliga ebenso wie die Taktik auf dem Spielfeld: Im ran Trainer 2 kommentieren Johannes B. Kerner und Werner Hansch die Pixel-Partien. Der Aufbau-Aufschwung … ist keine deutsche Firma, sondern wird 1995 in Wien gegründet und steht hier stellvertretend für die Development-Stärke unserer südlichen Nachbarn und deren Verknüpfung mit der hiesige Szene. Wie auch die österreichischen Studios Max und Neo spezialisiert sich Jowood auf das Lieblingsthema deutscher Entwickler – Handel und Wirtschaft. Mit Titeln wie Industriegigant und Verkehrsgigant wird sie eine europaweite Macht. Mit Gothic (ab 2002) und Spellforce (ab 2003) nimmt Jowood die neben Ascarons Sacred stärksten deutschen RPG-Marken ins Programm. Die internationale Belegschaft steigt sprunghaft: In schneller Folge werden die deutschen Studios Massive (Aquanox), Neon und Wings übernommen. 2002 arbeiten fast 300 Frauen und Männer für das börsennotierte Unternehmen. Danach schrumpft Jowood schnell, schließt sich mit der kanadischen Firma Dreamcatcher zusammen, zerstreitet sich mit dem deutschen Gothic-Entwickler Piranha Bytes und verwandelt sich schließlich in die Wien-Niederlassung von Nordic Games – ab 2011 haben die Schweden das Sagen. » Die letzten Atari-Genies sind Michael Bittner und Marc Rosocha, die mit der Mech-Schlacht Iron Soldier 1995 ein 3D-Meisterwerk für die Jaguar-Konsole liefern. 18 | RETRO GAMER 3/2013 Während in den USA das neue Genre der Echtzeitschlachten (RTS genannt) nach und nach alle anderen Strategiespiele zurückdrängt, bleiben deutsche Hersteller ihren historischen und zeitgenössischen Simulationen treu und mehr Handel und Erwerb als Zerstörung und Eroberung verpflichtet. So kümmert sich 1993 Aufschwung Ost, das erste Spiel von Sunflowers, um die Folgen der Wiedervereinigung, behandelt Finanz-, Umwelt- und Infrastrukturprobleme. Auch wenn das Debüt kein Superhit wird, hat Sunflower die Zeichen der Zeit und die Vorlieben der deutschen PC-User gut erkannt. Unter der Leitung von Ex-Intel-Mann Arne Peters laden die Aufschwung Ost-Macher drei Jahre später auf die Holiday Island, einem ManagerSpielplatz in der Südsee. Einen grenzüberschreitenden Hit landet Sunflowers schließlich 1998 mit Anno 1602, das Max Design in Österreich erfindet. Die Welt der Renaissance in bis zu 1024 x 768 Pixeln macht Max Design und Sunflowers zu Abonnenten der 1998 eingeführten Verkaufs-Auszeichnungen des „Verbands der Unterhaltungssoftware Deutschland“. Auch die Fortsetzung Anno 1503 (2002) verkauft sich in Deutschland, Schweiz und Österreich bis Ende 2004 über eine halbe Million mal und ist damit das einzige deutsche Spiel, das einen „SpezialAward“ des VUD einheimen kann. Anno zeigt das Computerspiel-Talent unserer Nachbarn jenseits der Alpen: Wer von den spezifischen Stärken und Schwächen der deutschen Game-Entwicklung spricht, darf von der Szene in Österreich nicht schweigen. Auch die Max-Design-Deserteure um Hans Schilcher starten mit einer isometrischen Wirtschaftssimulation – jedoch modern, nicht historisch, und mit starkem Anklang an SimCity und das japanische A-Train. Mit Industriegigant (1997) und Verkehrsgigant (2000) bringen Schilcher & Co. ihr Unternehmen Jowood an die Wiener Börse. Der Shooting Star der Branche nimmt mit dem wuseligen Die Völker 1999 auch einen direkten Konkurrenten zu Blue Bytes Siedler (1993) ins Programm; Letzteres die – da bis heute fort- und umgesetzt – langlebigste und erfolgreichste deutsche Echtzeit-Aufbau-Serie.