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180 Seiten ! DAS MAGAZIN FÜR KLASSISCHE SPIELE
3/2013
Juni/Juli/August 2013
3/2013
180 Seiten spiele-klassiker für Home-Computer, Konsolen & PCs
Deutschland
@ 9,90 Österreich
@ 10,90 Schweiz
sfr 19,80
Luxemburg
@ 11,40
Made in
Germany
Die 1990er Jah
Der Übergang re (Teil 2):
vom Homecomputer zu MS
Windows – erk -DOS und
Winnie Forster lärt von
alles über
infocom
Anatol Locker über die AdventureSchmiede, ihre Glanzzeit und die
Gründe ihres Untergangs
die kultklassiker
Battle
Isle
Hexfeld-Hit: Der deutsche
Klassiker für Rundentaktik-Spiele
30
power-ups
die besten
Mick Schnelle, Heinrich Lenhardt,
Jörg Langer und Anatol Locker
über ihre Spiele-Lieblinge von einst
Retro Gamer und bekannte
Spieledesigner küren die
denkwürdigsten Extrawaffen
der Videospiel-Historie
Planescape
Torment
So entstand das vermutlich
abgedrehteste ComputerRollenspiel aller Zeiten
AMIGA 500
Die besten Spiele, die beste Peripherie
zu Commodores „Spiele-Freundin“
MEGA DRIVE
Diese Games für Segas 16-BitMaschine sind Pflicht für Retro-Fans
PC ENGINE
NECs Wunderkonsole: Technisch
überlegen, aber leider erfolglos
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N
Heinrich
Lenhardt
Winnie
Forster
Anatol
Locker
Mick
Schnelle
Jörg
Langer
och schöner, noch lauter, noch
gewalthaltiger: Wenn ihr nach diesen
Kriterien die Güte von Computer- und
Videospielen bewertet, dann legt
dieses Heft doch bitte ins Regal zurück für jemanden, der die inneren Werte eines Spiels zu
schätzen weiß: Natürlich sind viele alte Games
im Rückblick geradezu herzerweichend schlicht
gestaltet. Umso mehr betonten die guten davon
den Spielwitz. Und wie ich selbst beim Neuspielen von Rogue für diese Ausgabe festgestellt
habe: Je weniger detailliert die Grafik auf dem
Bildschirm, desto detaillierter das Bild vor meinem inneren Auge.
Aktualität ist bei einem Nostalgiemagazin wie dem unseren vielleicht nicht
die allerwichtigste Eigenschaft. Aber nachdem
wir in den ersten beiden Ausgaben jeweils ein
britisches „Jahresheft“ als Vorlage genommen
hatten, können wir für dieses Magazin erstmals
auf drei aktuelle Monatsausgaben zurückgreifen.
Aus über 300 Seiten haben wir die spannendsten 140 ausgewählt, liebevoll lokalisiert und um
viele neu geschriebene Inhalte ergänzt. Ich finde,
man merkt diese Häufung spannender Themen
dem vorliegenden 180-Seiten-Heft an.
Danke für das enorme Feedback auf
unsere Umfrage im letzten Heft! Viele Hundert Fragebögen sind zurückgekommen, als
Text-E-Mail, PDF-Scan oder JPEG-Foto,
in Fax- oder Briefform. Demnach sind unsere Leser überwiegend männlich, gut
verdienend, nicht mehr die Allerjüngsten (sag nur!) und finden unser Heft
richtig gut (Notendurchschnitt 1,6). Das
heißt aber auch, dass wir noch besser
werden können. So haben wir bereits
in diesem Heft die Gewichtung einiger
Rubriken verschoben (z. B. weniger
Interviews) und lassen einen Versuchsballon namens „Retro-Feed“ starten:
eine Doppelseite mit Leserbriefen,
Retro-Terminen und so weiter. Viele Teilnehmer bemängelten, dass in der Umfrage der
Atari 800 fehlte, der ja sicherlich wichtiger
als viele andere der aufgeführten Plattformen sei. Das ist völlig korrekt: Ich bitte die
Atari-Fraktion um Verzeihung!
Meistgerügt aber waren die AutorenPorträts – was man als indirektes Lob oder
„Jammern auf hohem Niveau“ werten könnte.
Zumal wir die Zeichnungen gar nicht schlecht
fanden, sonst hätten wir sie ja nicht ins Heft genommen. Nachdem mir aber ein Leser geraten
hat, doch für den nächsten Retro Gamer einfach
mal den Briten Oliver Frey zu fragen, habe ich
genau das getan. Von Frey stammen die Porträts im Zapp!-Stil für die englische Retro Gamer,
und zufälligerweise ist er auch in diesem Heft
erwähnt, mit einer Karte, die er damals für die
Anleitung des Klassikers Shadowfire zeichnete.
Oliver Frey stimmte zu, und so könnt ihr nun
seine Porträts bewundern.
Viel Spaß beim Lesen!
Jörg Langer
Projektleitung Retro Gamer
03/2013
Juni, Juli, August
INHALT
Das Magazin für Liebhaber
von klassischen Spielen
RETRO-REVIVAL
Schwerpunkte
Retro-Hardware
006Nemesis (Heinrich Lenhardt)
026 Magic Carpet (Mick Schnelle)
050 Frankie Goes to Hollywood
014 Made in Germany, Teil 2
032 Amiga 500
(Anatol Locker)
092 Eye of the Beholder 2 (Darran Jones)
132Rogue (Jörg Langer)
044 Die besten Videospiel-Bosse
008 Battle Isle 1 bis 4
Wie das storylastige Edel-RPG entstand
052 Carrier Command
Mix aus 3D-Simulation und Strategie
058Rampart
Burgen und Kanonen ... plus Tetris
070Warcraft
Blizzards schwieriges RTS-Debüt
118 Star Castle
Der Vektor-Bildschirm-Klassiker
134 Lode Runner
Was geschah 1977/1978 in der Branche?
082 30 denkwürdige Power-ups
Welche Extrawaffen die besten waren
110Konversions-Könige
Gelungene Arcade-Umsetzungen
und ihre Macher
Heinrich Lenhardt über die Hexfeld-Hits
020 Planescape Torment
Retro Gamer kürt die größten Endgegner
064 Der mysteriöse Crash
Making Of
Winnie Forster über die 90er Jahre
Mega-Erfolg von einem Nicht-Spieler
Arcadespiele, die in der Spielhalle blieben
080 F-15 Strike Eagle II
Mick Schnelle mag Sid Meiers Flugsim
142Commodore-16-Spiele
Unser „Minderheiten-Report“ zum C16
177 Back to the Future II
Retro-Schande: Grottige Filmumsetzung
Historie
Die wichtigste unbekannte Videospiel-Firma
4 | RETRO GAMER 3/2013
Evolution des Grafikwunders
von NEC/Hudson
102 Bally Astrocade
Winnie Forster gräbt eine
obskure Konsole aus
122 Sega Mega Drive
Hard- und Software
für Retro-Sammler
172 Steven Kelly
028Infocom
AUF DEM SOFA
Firmen-Archive
156 Imagitec Design
094 PC Engine
042 Die Unkonvertierten
Anatol Locker spürt dem legendären Text-Adventure-Studio nach
Sammler-Check: Spiele,
Peripherie, Kronjuwel
Klassische Spiele
074Civilization-Serie
Erfolgsgründe für Sid Meiers Epos
104Shadowfire
Die Taktik-Adventure-Serie samt Teil 3
148 Micro Machines
Die Sogwirkung der Mini-Rennwagen
164 Der König des Chaos
Julian Gollops Taktikwerke & Chaos Reborn
Die Psion-Jahre des Bitmap
Brothers mit Match Point
und Co.
RUBRIKEN
003Editorial
162Retro-Feed
Leserbriefe,
V
erlosung
und Termine
178Vorschau
& Impressum
RETRO-HARDWARE
ALTE KONSOLEN-SCHÄTZE FRISCH POLIERT
032
094
006
058
070
104
110
134
164
102
122
008
020
026
044
080
092
014
» retro-revival
Nemesis (Gradius)
Extra-Tour
» Publisher: Konami
» Erschienen: 1987 (Arcade-Version: 1985)
» Hardware: C64 (Originalversion: Arcade)
HISTORie
Von Heinrich Lenhardt
Wie ich lernte, die Extrawaffe zu lieben: Konamis
Arcade-Klassiker Gradius erreichte unter dem (passend
zum Schwierigkeitsgrad) feindseligeren Namen Nemesis
meinen C64. Da konnten die Sprites noch so herzhaft
flackern, das taktische Element der Schiffsausrüstung
machte den Shmup-Opa spannend.
Es war nicht die erste, nicht die letzte und auch nicht
die beste Heimversion von Konamis Spielautomaten-Hit. Aber
das MSX-Modul war schwer zu kriegen, die NES-Umsetzung
ließ noch auf sich warten, und deshalb war der Commodore
64 die Plattform, die mich mit den Freuden der ExtrawaffenWahl von Gradius (alias Nemesis) vertraut machte. Es war ein
cooles Innovations-Feature scrollender Ballerspiele Mitte der
Achtziger: Bestimmte Gegner hinterlassen bei ihrem Ableben
eine Kapsel, die wir durch Berührung mit dem eigenen
Schiff einsammeln. Am unteren Bildrand zeigt ein Balken an,
welches Upgrade wir für unser Viper-Raumschiff derzeit per
geschwindem Tastendruck erwerben können.
Dem dauerscrollenden Shoot-em-up-Genre war somit
eine delikate taktische Würze beschert: Wie lange spare ich
auf ein besseres Upgrade, in welcher Reihenfolge aktiviere ich
die Extras? Bei Nemesis wurden die ersten paar Kapseln auf
jeden Fall in Tempoverbesserungen des in der Grundversion
phlegmatisch trägen Raumschiffs gesteckt. Aber dann? Sparen auf Laser oder mit-ballerndes Beiboot? Aber überlebe ich
die nächsten 30 Sekunden ohne schräg nach unten feuernde
Missiles?
Das Nemesis-Leben ist voller schwerwiegender
Entscheidungen … und währt meist nicht sonderlich lang:
Erschütternd oft steuere ich in ein Hindernis oder ein feindliches Geschoss, weil ich unbedingt eine Power-up-Kapsel in
schwieriger Bildschirm-Randlage noch erhaschen will. Jeder
Tod der allzu wenigen Leben wird durch den Verlust aller
bis dahin ergatterten Upgrades hart bestraft: Da hat man es
endlich mal in den nächsten Level geschafft und muss nach
einem kleinen Fehler mit einer unaufgerüsteten GrundversionGurke weiter machen! Aber ein wenig Masochismus gehört
ja zum Gesamtspielerlebnis klassischer Arcade-Shooter dazu
– also lernte man tapfer Level-Layouts sowie die Formationen
Kapseln hinterlassender Gegner auswendig.
Heute noch ist es ein Hochgefühl, mich mit einer bis
an die Zähne hochgerüsteten Viper durch den Level zu fräsen:
Beiboote, Laser, Raketen, zur Sicherheit ein Schutzschild – so
lässt es sich leben. Jeder Feuerknopfdruck spuckt eine Flut
an Geschossen in den seitlich scrollenden Kosmos. Die Serie
wurde über die Jahre immer wieder fortgesetzt; ein Höhepunkt war sicher Parodius, eine ebenso brillante wie amüsante
Selbstparodie des gesamten Genres. Für den ExtrawaffenAppetit zwischendurch gibt es heutzutage Schätze wie das
NES-Gradius im 3DS-Online-Shop oder die fünf Serienteile
enthaltende Gradius Collection für PSP und Vita.
6 | RETRO GAMER 3/2013
RETRO GAMER 3/2013 | 7
BATTLE
ISLE
Making Of
E
Blaues Wunder made in
Mülheim: 1991 machte eine
deutsche Produktion das
Rundenstrategie-Genre
salonfähig. Battle Isle präsentierte
komplexe Eroberungsplanungen
als komfortabel-geselliges
Vergnügen und verhalf Blue Byte
zum Durchbruch als Publisher.
Heinrich Lenhardt hat mit den
Machern über die Entstehung des
Taktik-Klassikers gesprochen.
inheitensymbole über hexa­
gonale Felder zu schieben
war in den 80er Jahren ein
Fall für ausgesprochene
Geduldsmenschen. Die grafisch
minimalistischen und thematisch
militärisch geprägten Schlachten­
simulationen von Pionieren wie SSI
erschlossen sich nur einem kleinen
Spielerkreis in Deutschland. Sperri­
ge Bedienung, langatmiger Ablauf
und teure Importpreise erschwerten
es, die Freuden der Rundenstrategie
zu entdecken. Dabei hat das Genre
jahrtausendealte Wurzeln: Einheiten
klug auf dem Spielfeld positionie­
ren, um die Truppen des Gegners
zu schlagen, das tat man schon
beim Brettspiel Schach, mit dem
sich Battle Isle in seiner Anleitung
vergleicht.
1991 erlebten Amiga-, ST- und
PC-Spieler einen strategischen Durchbruch: Battle Isle brachte eine ganze
Generation auf den TruppenmanöverGeschmack – mehrere Jahre, bevor
Titel wie X-COM (UFO), Warcraft oder
Command & Conquer Strategiespiele
als Massenmarkt-Genre etablierten. Auf
dem Planeten Chromos dirigierten wir
in der Rolle eines von der fernen Erde
eingeflogenen Meisterstrategen umfangreiche Verbände im Kampf gegen die
Einheiten des Computergegners TitanNet. Am meisten Spaß machten Duelle
mit menschlichen Spielern, was auch
ohne Netzwerke und Online-Spielmöglichkeiten flott und spaßig von der Hand
ging. Eine innovative Teilung sowohl des
Bildschirms als auch der Spielrunden
verlieh dem Hexfeld-Taktikbrocken Battle
Isle gewisse Party-Spiel-Qualitäten.
Die Entstehung des Entwicklerteams von Blue Byte Software
geht wie so vieles in der deutschen
Entwicklerszene der 8- und 16-BitEpochen auf die Firma Rainbow Arts
zurück. Thomas Hertzler hatte 1986
bei dem Düsseldorfer Spieleentwickler
angefangen. Dort kümmerte er sich
um Projekte wie die ST- und AmigaVersionen von Great Giana Sisters
und stieg bis zum Entwicklungsleiter
auf. 1987 lernte er den Programmierer
Lothar Schmitt kennen, als dieser ein
Tron-3D-Spiel zur Evaluierung einreichte.
Das wurde zwar nie veröffentlicht, aber
die Begegnung legte den Grundstein für
Blue Byte: 1988 setzten Hertzler und
Schmitt ihren Plan in die Tat um, sich
mit einer eigenen Firma selbstständig
zu machen.
Reif für die Strategie-Insel
Die Anfänge von Blue Byte – zunächst
unter dem Namen »Hertzler & Schmitt
GbR« – waren bescheiden. Thomas
Hertzler programmierte im Dachgeschoss des Elternhauses, Lothar
Schmitt arbeitete in seiner Düsseldorfer
fakten
» P
ublisher: Blue Byte
» Entwickler: Blue Byte
» Jahr: 1991
8 | RETRO GAMER 3/2013
enre: Runden-Strategiespiel
»G
» Preisprognose: ab 20 Euro
MAKING Of: Battle isle
» Mit Icon-Steuerung per Joystick und getrennten Spielfeld-Ansichten für beide Kontrahenten
betrat das erste Battle Isle 1991 strategisches Neuland.
Wohnung. Als passionierter Sportler
hatte Schmitt die Idee, eine Tennis­
simulation als erstes Spiel der jungen
Firma zu entwickeln. Great Courts fand
mit Ubisoft einen Publisher und mau­
serte sich zum soliden Hit, der mehrere
Nachfolger auslöste.
Unterm Dach der Familie
Hertzler wurde dagegen die Grund­
lage für ein ganz anderes Spiel gelegt.
Thomas war von einem japanischen
Importtitel fasziniert, der bei ihm die
Idee für Battle Isle auslöste: „Dank
Peter Bee und dessen Compy-Shop
in Mülheim bin ich an Nectaris für die
PC-Engine gekommen. Das brachte
Strategie schlicht und einfach auf den
Punkt, das konnte jeder verstehen.“ Die
exotische Import-Konsole hatten nur
wenige Leute in Deutschland, leicht
zugängliche Strategiespiele fehlten
auf gängigen Heimcomputern – beste
Voraussetzungen, mit Battle Isle diese
Lücke zu füllen.
Erste Echtzeit-Versuche
In der Anfangsphase der Entwicklung
gab es zum Vorbild Nectaris einen
gravierenden Unterschied: Battle Isle
war zunächst als Echtzeitstrategiespiel
geplant. Beeinflusst von Herzog Zwei,
einem japanischen Genre-Vorreiter fürs
Sega Mega Drive, ließ Hertzler die Ein­
heiten ohne Rundenphasen über den
Bildschirm marschieren. Das Konzept
klang toll – aber dann kam das böse
Erwachen: „Beim ersten Anspielen
stellte sich heraus, dass es so keinen
Spaß machte. Es passte einfach nicht
zusammen, Einheiten in Echtzeit über
die beiden Bildschirme mit Hexfeldern
zu ziehen“, erinnert sich Programmie­
rer Bernhard Ewers. „Dann bin ich
auf die Idee gekommen und habe
Bewegungen und Angriffe aufgeteilt,
um ein Rundenstrategiespiel daraus zu
machen, also einen Schritt zurück in
Richtung Nectaris. So ist es das Battle
Isle geworden, dass heute alle kennen.
Mir persönlich hat der rundenbasierte
Spielablauf deutlich besser gefallen,
gerade zu zweit hat man so mehr
strategische Tiefe.“
Ewers war Blue Bytes erster
Angestellter. Die Firmengründer Tho­
mas Hertzler und Lothar Schmitt waren
mit Aufgaben wie der Programmierung
von eigenen Entwicklungs-Tools gut
beschäftigt. Darum blieb nicht genug
Zeit, um Battle Isle fertigzustellen, das
immer noch als GFA-Basic-Prototyp
vor sich hin schmorte. Bernhard Ewers
war in der Amiga-Szene bereits als
Programmierer von Tools wie dem
EPROM-Brenner Quickbyte 5 in
Erscheinung getreten. Vor allem aber
kannte er sich mit der Programmier­
sprache C aus, die leichtere Portie­
rungen zwischen den drei Systemen
Amiga, Atari ST und PC versprach. Ein
gemeinsamer Bekannter brachte Ewers
und die Blue-Byte-Gründer zusammen:
Armin Gessert, der bei Rainbow Arts
die C64-Version von Great Giana Sisters
entwickelt hatte.
Bernhard Ewers stellte sich bei
Blue Byte mit seinem Adventure Gene­
rator vor, einem „Mini-Ultima in C“,
wie er es beschreibt. „Zu dem Zeit­
punkt wollte ich eigentlich Informatik
studieren, aber da habe ich gesagt: Ich
geh jetzt zu Blue Byte nach Mülheim
und mach da Games“, erinnert sich
Ewers lachend an die damals aben­
»B
attle Isle 2 bot mehr grafische Abwechslung als der
Erstling und schaffte den Splitscreen ab. Einheiten und
Karten waren wiederum sehr gut balanciert.
teuerlich anmutende Entscheidung:
„Meine Mutter dachte, ich überfalle
in Mülheim Tankstellen oder so was.
Videospiele programmieren und dafür
Geld zu kriegen, das klang so unglaub­
lich unwahrscheinlich.“ Dieser Berufs­
stand war damals in Deutschland so
exotisch, dass Hertzler anfangs seine
Firma gegenüber dem Bürovermieter
als „Werbeagentur“ bezeichnete, um
seriöser zu wirken.
Die Runde wird geteilt
Ein Überbleibsel des ursprünglichen
Echtzeit-Ansatzes von Battle Isle war
der Splitscreen, wodurch zwei Spieler
voneinander unabhängig gleichzeitig
agieren können. Damit dieses Prinzip
auch bei Runden funktioniert, wurden
diese in Zug- und Kampf-Phasen aufge­
teilt: Während ein Spieler Truppenbe­
wegungen plante, gab der andere seine
Angriffskommandos – was jedoch we­
niger lang dauerte als die Bewegungen.
Dieser Ansatz war nicht unumstritten
und wurde ab Battle Isle 2 zugunsten
einer Zusammenfassung von Bewe­
gungs- und Angriffsplanung aufgege­
ben. Doch bei seiner Veröffentlichung
1991 sorgte Battle Isle nicht zuletzt
dank dieser Zwei-Spieler-freundlichen
Innovation für Aufsehen und machte
aus dem staubtrockenen Nischengenre
Strategie ein geselliges Vergnügen
mit straffem Ablauf: „Beide Spieler
hatten etwas zu tun, man musste nicht
aufeinander warten. Spieler 1 konnte
Bewegungen planen, die allerdings
noch nicht ausgeführt wurden. Der
zweite Spieler durfte Einheiten in seiner
Reichweite angreifen. Am Rundenende
wurden diese Eingaben ausgewertet
»D
ie zweite Battle Isle-Zusatzdiskette mit neuen
Schlachtfeldern entführte irdische Strategen auf
den Mond von Chromos.
InselInspirator
Nectaris
Ohne dieses japanische Strategiespiel
wäre die Blue-Byte-Geschichte anders
verlaufen: Nectaris entzündete den Inspirationsfunken für Battle Isle.
Nur gut, dass Thomas Hertzler 1989 öfters
beim Compy-Shop in Mülheim an der Ruhr
vorbeischaute. Sonst wäre ihm womöglich
der Hexfeld-Rundentaktik-Exot aus Japan
entgangen, der ihn auf den Battle Isle-Trip
brachte: „Für die damalige Zeit und Hardware war Nectaris schon ein einmaliges
Spiel“, schwärmt der Blue-Byte-Mitgründer.
2009 veröffentlichte Hudson Entertainment mit Nectaris: Military Madness eine
dezent modernisierte Neuauflage, die als
Download-Titel für PS3, Xbox 360 und Wii
erhältlich ist. Zu den Neuerungen gehört ein
Multiplayer-Modus für bis zu vier Spieler.
2010 erschien unter dem Namen Neo Nectaris auch eine iPhone-Variante.
Battle Isle selbst ist dank der Platinum Edition von GOG.com heute noch auf modernen
PCs spielbar. Das Download-Paket Battle
Isle Platinum bietet für 10 Dollar die drei
Strategie-Teile plus Historyline 1914-1918,
Incubation und diverse Missionsdisketten.
eschichte schreiben wollte
»G
Blue Byte mit der Historyline-Reihe, die auf der Battle Isle-Engine
basierte. Als einzige Episode
erschien eine StrategiespielVersion des 1. Weltkriegs.
RETRO GAMER 3/2013 | 9
Making Of
BATTLE ISLE
ENTWICKLERHIGHLIGHTS
Great Courts 2
System: Amiga, Atari ST, MS-DOS
JAHR: 1991
Battle Isle
System: Amiga, Atari ST, MS-DOS
JAHR: 1991
Die Siedler
(abgebildet)
System: Amiga, MS-DOS
JAHR: 1993
» Die weiteren Aussichten für das rundum verbesserte
Battle Isle 2: Wechselnde Wetterverhältnisse, bildschirmfüllende Karten und noch komplexere Schlachten.
C hronol o
» Schnittige PC-Technik anno 1994: Bei Battle Isle 2
wurden die Kampfszenen erstmals als im Spiel
gerenderte 3D-Sequenzen gezeigt.
g ie
Die Seriengeschichte ist reich an
Experimenten und Innovationen: Vom
Weltkriegsgeschehen in Historyline
bis zur Squad-Taktik mit Incubation.
Battle Isle
(Amiga, Atari ST, MS-DOS – 1991)
Mit Joystick-freundlicher Icon-Bedienung und Zwei-SpielerSimultanmodus sorgte Blue Byte für frischen Wind im
Rundenstrategie-Genre. Die Aufmachung wirkte einladend,
ausgefeilte Karten, Einheiten und herausfordernde künstliche
Intelligenz sorgten für langes Spielvergnügen. Zwei DatenDisketten versorgten die Fans mit zusätzlichen Levels.
Historyline 1914–1918
(Amiga, MS-DOS – 1992)
Bei diesem Serienableger wird erneut das Prinzip der Rundenaufteilung aufgegriffen. Die Hexagon-Felder der umfangreicheren Karten sind hier auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs
angesiedelt. Besonders viel Lob erntet die Präsentation der
geschichtlichen Ereignisse und Zusammenhänge, doch weitere
Historyline-Titel sind nie erschienen.
Battle Isle 2
(MS-DOS – 1994)
Erst nach drei Jahren erschien endlich der offizielle Nachfolger,
deutlich komplexer und mit einigen spielerischen Änderungen.
der Splitscreen und die Trennung von Bewegungs- und Angriffsphasen wurden aufgegeben. Geduldige Feldherren tobten sich
auf riesigen Karten mit wechselnden Wetterverhältnissen aus
und Schlachten wurden erstmals als 3D-Szenen gezeigt.
Battle Isle 3
(Windows – 1995)
Ursprünglich als erweiterte Windows-Version von Battle Isle 2
geplant, wurde der „Schatten des Imperators“ zum eigenständigen Titel befördert. Entsprechend dünn sind spielerische
Neuerungen gesät, dafür gab’s eine Extraportion Multimedia: In
digitalisierten Videos versuchten mittelmäßig begabte Schauspieler, den Verlauf der konfusen Handlung zu vermitteln.
Incubation (Battle Isle Phase vier)
(Windows – 1997)
Die Verwandtschaft zum Rest der Serie beschränkte sich aufs
gemeinsame Story-Universum. Spielerisch wandelte Incubation
mit seiner Rundentaktik eher auf X-COM-Pfaden. Statt riesiger
Armeen steuerte man einen kleinen Trupp Soldaten, die durch
Talentpunkte-Vergabe gestärkt werden. Incubation erntete gute
Kritiken, aber schwache Verkaufszahlen.
Battle Isle: Der Andosia-Konflikt
(Windows – 2000)
Das Spätwerk kombinierte traditionell rundenbasierte Kämpfe mit
einer in Echtzeit ablaufenden Wirtschaftssimulation, dazu gab es
zeitgemäße 3D-Grafik. Die Schlachtplanung war gewohnt komplex,
aber die Spielerresonanz auf den Andosia-Konflikt verhalten. Ab
2001 hatte Ubisoft die Battle Isle-Rechte, gab aber keine weiteren
Nachfolger in Auftrag.
10 | RETRO GAMER 3/2013
und man konnte sehen, was passiert“,
fasst Thomas Hertzler den Ablauf
zusammen.
Da Battle Isle speziell für zeitgenössische 16-Bit-Computer entwickelt
wurde, konnte man im Vergleich zum
Vorbild Nectaris auf stärkere Hardware
zurückgreifen. Dank größerer RAMReserven verwaltete Battle Isle mehr
Variablen im Speicher, wodurch die
Einheiten mit mehr Eigenschaften möglich wurden. Die Karten fielen detailreicher aus und waren mit strategisch
wichtigen Gebäuden wie Fabriken und
Lagerhäusern bestückt. Zum Kompilieren des C-Programmcodes wurden
„Höllenmaschinen“ wie ein 386-PC mit
33 MHz verwendet, Kostenpunkt damals rund 9.000 Mark. „Da stand quasi
ein halbes Auto im Raum“, schmunzelt
Bernhard Ewers. „Damit bekamen wir
die Kompilierungszeit von 20 auf elf
Minuten runter, ein Wahnsinn!“
Für eine Handvoll
KI-KByte
Nach heutigen Maßstäben wirkt der zur
Verfügung stehende Arbeitsspeicher
bescheiden: Ewers, der heute noch
stolz auf die Qualität der künstlichen
Intelligenz ist, musste mit 11 KByte
für die KI auskommen: „Dafür spielt
die ziemlich gut. Einer der Gründe,
warum die Spieler Battle Isle so sehr
gemocht haben, war doch, dass sie
dort einen echten Gegner hatten. Bei
der ausgefeilten KI konntest du nicht
einfach pennen, sondern musstest
schon aufpassen – sonst hat dich
der Computergegner plattgemacht.“
Dreieinhalb Monate arbeitete Ewers
ausschließlich an der künstlichen Intelligenz: „Die meisten Konkurrenzspiele
damals hatten nur eine Formel, die sich
im wesentlichen auf ,If in range, then
attack‘ beschränkte“, ergänzt er trocken.
Viel Mühe gaben sich die
Entwickler auch bei der Kartenauswahl:
Nur etwa jede dritte Map, die für Battle
Isle designt wurde, schaffte es auch
ins fertige Programm. „Wir haben uns
beim Testen zu Tode gespielt und nur
die besten Karten übernommen“, erinnert sich Ewers. Map-Designer Janos
Toth war bei den Team-internen Duellen
der nahezu unschlagbare Meister. Zu
den technischen Finessen gehörte auch
ein von Programmierer Thomas Häuser
geschriebenes Diskettensystem, um
Speicher und Ladezeit zu sparen.
Weitere Mitglieder des Entwicklungsteams waren Thorsten Knop
(Grafik), Ralf-Jürgen Kraft (Programmierung) und Haiko Ruttman (Sound). Bei
der Musik hatte Chris Hülsbeck seine
Finger mit im Spiel. Bernhard Ewers
hält Hingabe und Kompetenz der damaligen Blue-Byte-Mannschaft für den
wichtigsten Erfolgsgrund: „Ohne jetzt
arrogant wirken zu wollen: Wir waren
damals ein Team von wirklich absoluten
Top-Leuten, die an dem Spiel mit so
viel Herzblut gearbeitet hatten – das
merkt man Battle Isle richtig an. Es hatte für damalige Verhältnisse eine lange
Entwicklungszeit. Und es hat einfach
Spaß gemacht, daran zu arbeiten.“
Kampfinsel ohne Publisher
Blue Byte war bisher nur ein Entwicklungsstudio gewesen und wurde erst
wegen Battle Isle auch zum Publisher.
Denn niemand wollte das merkwürdig
anmutende Strategiespiel veröffentlichen, selbst Great Courts-Partner
Ubisoft lehnte dankend ab: „Das ist
nun mal so, dass ein Publisher nur die
Titel haben will, die gerade in seinen
Katalog passen. Aber wir als Entwickler
hatten gewisse Überzeugungen, was
unsere Produkte angeht“, erinnert sich
Thomas Hertzler. „Mittlerweile waren
Kontakte zu Vertriebsfirmen aufgebaut, zum Beispiel Jürgen Goeldner
bei Rushware oder Ronald Schäfer
bei ­Leisuresoft. Die haben uns Mut
gemacht und gesagt: Wenn ihr das
Produkt rausbringt, dann machen wir
für euch die Distribution.“
Die Risikobereitschaft zahlte
sich aus, Battle Isle war ein kommerzieller Hit – wenn auch nicht so
erfolgreich wie die Great Courts-Serie,
was Hertzler nicht überrascht: „Great
Courts war von der Thematik her mehr
für den Massenmarkt geeignet, jeder
MAKING Of: Battle isle
» Windows und CDROM wurden von
Battle Isle 3 weidlich
ausgenutzt, spielerisch gab es aber
keine dramatischen
Unterschiede zum
2. Teil der Serie.
hatte schon mal ein Tennismatch im
Fernsehen gesehen. Aber ein rundenbasiertes Strategiespiel mit futuristischen Einheiten ist einfach schwerer zu
verkaufen. Battle Isle hat sich aber auf
jeden Fall finanziell gelohnt, wir haben
ja auch noch zwei Datendisketten
nachgeliefert.“
Historische Tragweite
Bevor sich Blue Byte Battle Isle 2
zuwandte, wurde 1993 Historyline
1914–1918 veröffentlicht. Auch wenn
der Name auf eine eigenständige
Spielserie hindeutet, handelt es sich
bei diesem Titel um den direkten Battle
Isle-Nachfolger, bei dem das Prinzip der
Unterteilung in Bewegungs- und Angriffsphasen auf zwei Bildschirm­hälften
beibehalten wurde.
Erster Weltkrieg statt Science
Fiction – Anfang der 90er Jahre ein
heißes Eisen, vor allem für einen
deutschen Entwickler. „Damals war die
Sensibilität noch viel größer. Heute würde ich keine Bange mehr haben, auch
ein Spiel über den Zweiten Weltkrieg zu
machen. Komischerweise hat man das
in Deutschland den Amerikanern nicht
übel genommen, siehe Panzer General
von SSI. Das war eben ein Doppelstandard: Als deutsches Entwicklungshaus
durfte man das nicht“, analysiert
Thomas Hertzler die Weltkriegs-Berührungsängste dieser Zeit.
Das Szenario von History­
line 1914–1918 hatte einen weiteren
Nachteil: Der Erste Weltkrieg wurde
vor allem durch Infanterieschlachten
entschieden, das Karten- und Einheitendesign geriet dadurch weniger vielfältig.
„Historyline war spielerisch nicht so gut
wie ein Battle Isle, weil wir auch den
Stellungskrieg darstellen wollten“, gibt
Bernhard Ewers zu. „Wir hatten versucht, das mit ein paar Panzern zu kompensieren, aber im Ersten Weltkrieg
bestand der Großteil der Armeen aus
Infanterie und Artillerie. Deshalb konnten wir nicht Einheitentypen wie zum
Beispiel Transportflugzeuge einbauen.“
In anderer Hinsicht sieht er das Spiel als
großen Schritt nach vorn: Die Präsentation war so gut, dass einige Lehrer das
Intro im Geschichtsunterricht einsetzten,
wie sich Ewers erinnert.
Durchwachsene Verkaufszahlen
besiegelten das vorzeitige Ende der
Historyline-Reihe, obwohl es bei Blue
Byte Ideen für weitere Ausgaben gab.
„Wir hätten besser mit dem Zweiten
Weltkrieg beginnen und vielleicht dann
erst den Ersten Weltkrieg behandeln
sollen. Es war auch einmal in der
Überlegung, ein Historyline-Spiel zum
Koreakrieg oder einem fiktiven Szenario
zu machen“, erinnert sich Thomas
Hertzler.
Komplexitäts-Offensive
Zurück auf fiktive Schlachtfelder der Zukunft ging es bei Battle Isle 2. Die 1994
veröffentlichte Fortsetzung kombinierte
Planungs- und Angriffsphasen, womit
auch die charakteristische Bildschirm­
teilung verschwand. Der Ausgang von
Kämpfen wurde nun in kurzen 3D-Sequenzen gezeigt. Wetter, Versorgung
und Aufklärung mussten bei der Kriegsführung berücksichtigt werden. Bei
aller Komplexität enthielt Battle Isle 2
„nur 60 Prozent des Spiels, das ich
eigentlich machen wollte“, lacht Bernhard Ewers. Für den Programmierer ist
dieser Teil der persönliche Höhepunkt
der Seriengeschichte: „Für mich war
es ein Riesentitel, weil ich da für alles
verantwortlich war. Das Team wurde
viel größer, erstmals haben wir 3DSequenzen gemacht. Battle Isle 2 halte
ich heute noch für ein sehr komplexes
Strategiespiel. Auf einer Karte mit allen
Einheiten kannst du da echt Stunden für
einen Zug verwenden.“
Battle Isle 3 hielt sich ein Jahr
später mit spielerischen Innovationen
zurück, lag dafür voll im MultimediaTrend: Immer mehr PCs waren mit
CD-ROM-Laufwerken ausgestattet,
wodurch Computerspiele ihre Geschichte durch digitalisierte Videoclips erzählen konnten. Populäre Beispiele dieser
Epoche waren Wing Commander 3 und
das erste Command & Conquer von
Westwood. Doch die Filmszenen von
Battle Isle 3 sind (wie so viele Mitte der
90er Jahre entstandene Spiele-Videoproduktionen) wenig vorteilhaft gealtert.
Aus heutiger Sicht beschmunzelt man
den Laien-Charme der in schlichten
Computergrafik-Umgebungen agierenden Schauspieler. Thomas Hertzler über
die Fortsetzungen der Battle Isle-Serie:
„Die Nachfolger waren natürlich sukzessive besser und umfangreicher. Später
liefen sie auch auf Windows und dann
» Wir waren damals ein Team
von absoluten
Topleuten .«
Bernhard Ewers
noch mit furchtbaren Videos verballhornt, was man Mitte der 90er Jahre
einfach machen musste. Auch wenn
es Zutaten waren, die zum Spiel nichts
beigetragen haben.“
Taktischer Kult-Flop
Umso innovativer war ein 1997
veröffentlichter Serienableger, der sich
im Untertitel zwar Battle Isle Phase 4
nannte, spielerisch aber in eine andere
Richtung hing: Incubation. Statt ganze
Armeen über Landkarten zu kommandieren, befehligte man einen kleinen
Zukunfts-Soldatentrupp mit unterschiedlichen Charakteren. Mittels Aktionspunkten ging es in einer 3D-Umgebung
gegen gefährliche, sehr grob Aliensinspirierte Monstren. Das Geschehen
erinnerte eher an X-COM und Jagged
Alliance als an die Serienvorgänger,
auch wenn spätere Levels weniger
Taktik- als vielmehr Denkspiel-Charakter
hatten, weil man sie fast wie ein Logikpuzzle lösen musste.
Incubation wurde ein kommerzieller Flop, wird aber von seiner
Fanbasis bis zum heutigen Tag kultig
verehrt. Geschaffen wurde es quasi im
Alleingang von Blue-Byte-Mitarbeiter
Andreas Nitsche, dem Hertzler grünes
Licht gegeben hatte, um seine
Taktikspiel-Idee zu verwirklichen. „Ich
sagte: Dann mach das, du hast hier
komplette Freiheit. Mir hat Incubation
auch sehr gut gefallen, nur war es
eben etwas ganz anderes, als es der
Battle Isle-Spieler erwartet hätte.“ Die
Verantwortung für die nicht optimale
Vermarktung des Spiels nimmt Hertzler,
der Blue Byte nach dem Ausstieg von
Mitgründer Lothar Schmitt inzwischen
alleine führte, auf seine Kappe: „Das
war damals noch in der Lernphase. Ich
habe keinen Marketing-Abschluss und
man tat in der Hinsicht eben das, was
man für richtig hielt.“
Die Glanzzeit der Serie war ohnehin zu Ende. Es gab 2000 zwar noch
die mit Echtzeit-Elementen angereicherte Fortsetzung Der Andosia-Konflikt,
bei der das ganze Spielgeschehen in
3D-Grafik dargestellt wurde. Dabei
handelte es sich um eine Auftragsarbeit
des slowakischen Programmierteams
Cauldron. Blue Byte hatte inzwischen
mit der Siedler-Serie ein weiteres heißes Eisen im Feuer. Dennoch verkaufte
Thomas Hertzler 2001 seine Firma an
Ubisoft und zog sich ein Jahrzehnt lang
aus der Spielebranche zurück.
Blauer Börsen-Crash
» Der große Stratege von der Erde als braver Schwiegersohn-Typ: Das Intro von Battle Isle 2 hatte
noch handgezeichneten Charme. Der Multimedia-Gaul ging dann bei Battle Isle 3 durch: Die
digitalisierten Story-Videos bleiben als bizarres Kuriosum in Erinnerung.
Ausschlaggebend für das Ende als
unabhängige Firma war der gescheiterte
Börsengang von Blue Byte: „In den
späten 90ern war das total verrückt,
da wollte jeder an die Börse – und so
ziemlich jeder konnte auch“, erinnert
sich Hertzler. Die Moorhuhn-Macher
RETRO GAMER 3/2013 | 11
Making Of
BATTLE ISLE
Der Traum
vom OnlineWeltraum
Der Raumschiffsimulator DarkSpace wäre 2001 beinahe als Battle
Isle-Titel veröffentlicht worden. Nach dem Taktikexperiment Incubation
sollte die Battle Isle-Serie den Weltraum erobern: Im Juli 2000 kündigte Blue Byte das MMO Battle Isle: DarkSpace an, das eine Mischung
aus Echtzeitstrategie und 3D-Raumschiff-Action werden sollte. Es wäre
Blue Bytes erstes reines Online-Spiel gewesen. Doch aus der geplanten Veröffentlichung im
1. Quartal 2001 wurde nichts: Der neue Eigentümer Ubisoft kündigte die Verträge mit Dark­
Space-Entwickler Palestar, weil man eine Verwässerung der Battle Isle-Markenidentität
befürchtete. Trotz dieser Enttäuschung hat sich DarkSpace wacker gehalten: Das MMO
wurde 2002 veröffentlicht und kann dank des Einsatzes ehrenamtlicher Helfer heute
noch kostenlos gespielt werden (www.darkspace.net).
QA
&
Thomas Hertzler
gründete Blue Byte
1988 zusammen mit
Lothar Schmitt und
ist der Erfinder der
Battle Isle-Serie.
■ Bedauerst du es, dass die Battle IsleReihe so lange nicht fortgesetzt wurde?
Wenn ich Blue Byte weiter geführt hätte,
wäre Battle Isle nie aufgegeben worden.
Aber es war Ubisofts Entscheidung, nach
meinem Verkauf zu sagen: „Mit Battle Isle
machen wir nichts mehr.“ Wir hatten früher
damit viel experimentiert und das ist auch
teilweise in die Hose gegangen. Wenn man
eine solche Marke weiter entwickelt, dann
änderst du entweder nicht genug oder du
änderst zu viel.
■ Wie würde ein neues Battle Isle heutzutage aussehen, wäre der Spielablauf immer
noch rundenbasiert?
Ich denke schon – rundenbasiert müsste
sein, sonst wäre es kein Battle Isle mehr. Da
gäbe es viele Methoden, es interessant zu
machen und der heutigen Zeit anzupassen.
12 | RETRO GAMER 3/2013
■ Was hat das erste Battle Isle
besser gemacht als dessen
Inspirationsquelle Nectaris?
Nectaris lief auf der Spielkonsole
PC-Engine, die extreme Beschränkungen beim RAM hatte. Mit 8
KByte konnte man nur sehr wenig
Variablen im Speicher halten. Die
Nectaris-Entwickler mussten gewisse
Kompromisse eingehen, während wir
uns auf Amiga und Atari ST nicht so viele Gedanken machen mussten – ein paar
KByte mehr für Datenstrukturen waren
da kein Thema. Dadurch konnten wir den
Einheiten mehr Eigenschaften verleihen
und die Karten großzügiger gestalten.
■ Die Aufteilung der Runden bei
Battle Isle 1 und Historyline war
umstritten. War sie zu unrealistisch?
Das war eher eine Sache der Kommunikation. Bei einer Simulation der Bundeswehr
weiß der General oder Gruppenleiter ja
auch nicht genau, was seine Einheiten
in jedem Moment gerade machen. Wenn
der sagt „2. Panzerdivision, ihr fahrt jetzt
mal da rüber“, dann kommt vielleicht nur
die Hälfte an, weil die Division zwischendurch von Tieffliegern angegriffen wurde.
Wenn man das entsprechend verpackt
hätte, wäre das Spielprinzip vielleicht
noch deutlicher rübergekommen. Aber du
hast recht, viele Spieler mochten dieses
Prinzip nicht, und in Battle Isle 2 haben
wir es deshalb anders gemacht.
■ 2012 hast du die neue Spielefirma Strato­
tainment gegründet, nachdem du eine lange
Branchen-Auszeit genommen hattest?
Richtig, nach dem Verkauf von Blue
Byte an Ubisoft war’s erst einmal genug
für mich. Die zwei Jahre davor mit dem
Aufwand für den geplanten Börsengang
waren sehr stressreich und die ganze Sache verlief sehr enttäuschend. Die Ideen
sind mir nie ausgegangen; es gibt noch
ein paar Dinge, die ich irgendwann gerne
machen möchte. Aber 2001 hatte ich von
der Spielebranche erst einmal genug.
Ubisoft hat seit dem Blue-Byte-Erwerb
zwar die Siedler-Serie weitergeführt,
aber Battle Isle nicht mehr angefasst.
Thomas Hertzler nahm sich eine
längere Spiele-Auszeit und betrieb eine
Luftfahrt-Dienstleistungsfirma im USBundesstaat Arizona: „Als Tango One
Aviation haben wir uns um Wartung,
Avionik und Betankung gekümmert.
Das ging vom kleinen Sportflieger bis
zum interkontinentalen Privat-Jet, wir
hatten auch das Militär als Kunden.
Zeitweilig hatten wir 16 AH-64 und
UH-64 Longbows auf der Rampe“,
erinnert sich Hertzler. Heutzutage
tummelt er sich im texanischen Austin,
wo seine neue Firma Stratotainment im
Mobilspiele-Bereich tätig ist. Da Ubisoft
die Battle Isle-Trademarks nicht erneuerte, hat Hertzler sich diese Marke
inzwischen gesichert. Wer aber wann
und wie ein neues Battle Isle-Spiel
entwickeln könnte, war zu Redaktionsschluss noch unklar.
Programmierer Bernhard
Ewers hatte Blue Byte nach Battle Isle
2 verlassen und war in verschiedene
Spieleprojekte eingebunden. So wollte
er schon 1996 ein Cyberpunk-MMO
programmieren: „Damals kam ISDN
gerade mal auf, wir ritten noch auf 48KModems rum – und ich wollte Massively Multiplayer!“ Er entwickelte zum
Beispiel auch das Strategiespiel Dunkle
Manöver, programmierte den Multiplayer-Modus von Sacred und beschäftigt
sich derzeit mit neuen Mobilspielen.
Es gibt noch viele Strategieschlachten zu schlagen, aber die
Erinnerungen an die Entwicklung von
Battle Isle haben für Ewers einen ganz
besonderen Stellenwert: „Bis 1994 war
Blue Byte für mich der schönste Platz
auf dem Planeten, es war für mich die
Erfüllung eines Traums. Ich hatte Leute
um mich herum, die genauso bescheuert waren wie ich: Den ganzen Tag nur
am Computer sitzen und nichts anderes
wollen, als Spiele zu programmieren
oder zu spielen.“
» Zeitgemäße 3D-Grafik und Echtzeit-Elemente waren die Merkmale des AndosiaKonflikts. Das bislang letzte offizielle
Battle Isle-Spiel erschien 2000.
» I ncubation wird thematisch zwar zur
Battle Isle-Serie gezählt, spielt sich aber
gänzlich anders: Minigruppen-Taktik und
dezente Rollenspielelemente.
von Phenomedia hatten diesen Schritt
1999 vollzogen. In jahrelanger Arbeit
bereitete nun Hertzler zusammen mit
einer Frankfurter Bank die Blue Byte AG
vor. Dazu mussten die Bilanzbücher der
Firmen umgeschrieben und potenzielle
Anleger beeindruckt werden – zum
Beispiel mit einem teuren Stand auf der
E3-Messe in den USA, der alleine eine
halbe Million Mark kostete.
Doch dann implodierte der
Dot-Com-Boom und die Bank blies den
Börsengang ab. „Die ganze Umstellung
war sehr, sehr kostspielig gewesen und
nun fragten wir uns: Was machen wir
jetzt? Kämpfen wir uns weiter durch?“,
resümiert Hertzler. „Wir hatten einige
innovative Ideen, was den OnlineBereich anging, aber das war teilweise
noch zu früh. Der Einzelhandel war [in
den USA] sehr teuer und dominierend,
man konnte noch nicht so einfach auf
Online setzen wie heute mit Steam.“
Blue Byte plante die Veröffentlichung
des Weltraum-Onlinespiels Battle Isle:
DarkSpace, aber 2001 nahm Hertzler
schließlich ein Kaufangebot seines alten
Geschäftspartners Ubisoft an.
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zweite Dekad
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Eutin
Software 2000
1987 – 2001
Hamburg
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990
Die 1
Gütersloh
Gütersloh
Ascaron
Magic Byte
1989 – 2009
1987 – 1999
Mülheim a.d.Ruhr
Blue Byte
1988 (2001 übernommen)
Düsseldorf
Rainbow Arts
1985 – 1995
Aachen
Ikarion
1993 – 2001
Köln
Leben in
der Nische
Jenseits der Konsolen-Prominenz und des PC-Mainstreams wursteln im Nach-Wende-Deutschland kreative Individualisten und MiniTeams, die sich in keine Schublade und keine Vermarktungsschiene
pressen lassen. Ein Unikat ist die Murmel-Rollerei Oxyd, die der
Heidelberger Meinolf Schneider Ende der 80er Jahre auf dem Atari
ST erfindet, siehe Bild unten. Mit der Maus löst man Memory- und
Meditationsaufgaben: Oxyd ist grafisch ungewöhnlich (schwarz und
weiß, damit alle ST-Besitzer ihre Freude daran haben), spielerisch
ein „Casual Game“ (lange bevor es diesen Begriff gibt) und bleibt
trotz Windows- und Mac-Ports über 15 Jahre fast unverändert. Erst
2002 gibt die Minifirma Dongleware das Spiel auf.
Was für Meinolf Schneider der Atari ST, ist für Rüdiger Rinscheid
und seine „German Design Group“ der C64, dem GDG bis in die
90er Jahre die Treue hält. GDG ist der letzte Profi-Entwickler für
den 8-Bit-Computer und mit stark von Brett- und Tabletop-Simulationen beeinflussten RPG-Strategie-Hybriden auch kreativ eine eigenwillige Erscheinung. Die GDG-Geschichte endet mit dem erstem
fremdvermarkteten Spiel, Magic of Endoria für Sunflowers. Ein
CoSim-Liebhaber ist auch der langjährige Rainbow-Arts-Produzent
Teut Weidemann, der 1998 das Studio Wings zur Realisierung von
Software gründet, von der
andere Deutsche die Finger
lassen: Zusammen mit ExAmiga-Programmierer Heiko
Schröder produziert der Sohn
eines Bundeswehroffiziers
militärische Simulationen,
Kriegsspiele mit Anspruch an
Authentizität und Realismus.
Wings entwickelt Panzer Elite
für Psygnosis, dann verscherbelt Weidemann die GmbH
an Jowood und inszeniert
mit dem verbuggten Söldner:
Secret Wars 3D-Krieg zu Fuß.
14 | RETRO GAMER 3/2013
Frankfurt
Heusenstamm
CDV
Sunflowers
1994 – 2010
1993 – 2007
Frankfurt
Neon Studios
1993 – 205
Frankfurt
Mannheim
Topware AG
1995 – 2001
Albstadt
Attic
1989 – 2001
München
Ravensburger
Interactive
1993 – 2005
München
Made in germany, Teil 2
» Geschichte wird gemacht: Wiedervereinigung
und Nachwende-Zeit feiern Hersteller mit
nationaler Aufbaustrategie oder persiflieren den
Politbetrieb: Rechts Ralph Stocks WahlkampfManager Hurra Deutschland.
Während Sega, Nintendo und Sony den Videospielmarkt reformieren, verdrängen DOS und Windows die Commodore-Computer.
Für deutsche Produzenten wird der PC zur bevorzugten Plattform;
den Sprung in die Konsolenzukunft schaffen dagegen nur wenige.
Im 2. Teil der Retro Gamer-Serie berichtet Winnie Forster aus
dem Jahrzehnt, in dem sich deutsche Hersteller auf den Weltmarkt wagen – dem IPO folgt nicht selten ein Absturz.
Berlin
A
» Nach hochgelobten DSA-Rollenspielen gibt Guido Henkel sein
schwäbisches Studio auf und zieht
nach Kalifornien. In Interplays
RPG-Abteilung arbeitet er an
Planescape: Torment mit.
nfang der 90er Jahre
haben 16-Bit-Computer
und -Konsolen die 8-BitGeneration abgelöst. Der PC
ist bei Computer-Spielern groß im
Kommen, auf dem Konsolensektor
gelten Mega Drive und Super NES
als State of the Art. Als Speichermedium der Zukunft wird die CD-ROM
gehandelt. Man munkelt vom baldigen Markteintritt des ElektronikRiesen Sony.
Nach rund 200 Originalspie­
len bis Ende 1990 geht die deutsche
Szene selbstbewusst ins neue
Jahrzehnt und zeigt sich internatio­
nal gut vernetzt: 3D-Profi Jürgen
Friedrichs arbeitet für den englischen
Atari-Partner Domark, Guido Henkel
beliefert die kanadischen RPG-Profis
Sir-Tech. Blue Byte hat mit Ubi­
soft einen starken Partner für den
Weltmarkt, Rainbow Arts finanziert
Spiele aus Frankreich und England.
Erstmals investieren auch
japanische Majors in die deutsche
Development-Branche: Unter der
Leitung der ehemaligen SharpPartner Axel Bialke und Andreas von
Gliszczynski eröffnet Traditionsher­
steller Hudson eine Niederlassung
in Hamburg, die nicht vermarkten,
sondern lokal entwickeln soll. So
entsteht 1992 ein Vier-SpielerBomberman für den Amiga, dem
King­soft – nach guter alter Sitte
– einen Klon namens Bug Bomber
hinterherschickt, akustisch gepimpt
von Chris Hülsbeck.
Kölner Könner im Exil
Am erfolgreichsten bewegt sich
ein kleines Team aus Köln auf
dem internationalen Parkett – wir
begegneten ihm bereits in der
» Peter Thierolf, Frank
Matzke und Chris
Hülsbeck starten
optimistisch in die 90er
Jahre. Auch wenn Kaiko
rasch zerfällt, macht
jeder der drei Karriere
in der Spielebranche.
Wien
Neo
1993 – 2001
Schladming
Max Design
1991 – 2004
Rottenmann
Jowood
1995 – 2011
Wien
Unsere nördlichste Spielefirma ist ein Kind der 80er Jahre und startet mit Puzzles und Adventures für C64-,
Amiga- und ST-Heimcomputer (teils unter dem Label Magic Soft). In den 90ern wird Software 2000 zum reinen
PC-Publisher, der sich auf Wirtschafts- und Sport-Simulationen spezialisiert und mit dem Bundesliga Manager
eine lang laufende Serie etabliert. Zunehmende Konkurrenz auf dem Sim- und Manager-Sektor (den Software
2000 auch mit einem F1 Manager sowie der Pizza Connection bedient) und die vielen Bugs des Bundesliga
Manager 97 bringen das Familienunternehmen ins Schlingern, schaden dem Ruf und vergraulen viele Fans.
Mit den Big-Budget-Produktionen der angloamerikanischen Industrie kann Software 2000 nie mithalten,
sondern liefert 15 Jahre lang sparsame Kost. Dazu gehören ab 1998 Windows-Umsetzungen der TV-Serie
GZSZ sowie das Denkspiel Swing, das – eine Ausnahme im Software-2000-Programm – auf Playstation und
Game Boy portiert wird. Während die Mitarbeiter W. Krahe, J. Onnen und A. Niedermeier die Bundesliga-Serie
zu anderen Firmen entführen, meldet Software 2000 Anfang 2002 Konkurs an – Game over in Eutin.
RETRO GAMER 3/2013 | 15
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90er
Die 19 e
Jahr
ie Speerspitze deutscher Konsolenentwicklung bleibt Factor Five: Rogue Squa»D
dron nutzt als erstes Spiel die RAM-Erweiterung des N64, die Fortsetzung Rogue
Leader ist der erste N64-Titel, der rundum in 5.1.-Kanal-ProLogic-II tönt.
Der Computerspielverlag wird 1991 von
Thalion-Veteran Holger Flöttmann als Ascon
gegründet und spezialisiert sich – wie fast alle
deutschen Publisher der 90er – auf Handelssimulationen (Der Patrizier, Elisabeth). Ascaron ist mit dem Anstoss-Fußballmanager
erfolgreich und übernimmt 2001 die Reste des
Aachener Entwicklers Ikarion, um in die Produktion von Fantasy-RPGs
einzusteigen: Sacred erscheint 2004, begründet eine der erfolgreichsten
deutschen Marken und wird sogar international gelobt und ausgezeichnet. Die PS3- und Xbox-360-Versionen des verspäteten Sacred-Sequels
sind Ascarons erste Konsolenspiele, gleichzeitig auch das Letzte, was
die fast 100 Mitarbeiter starke Firma hervorbringt: Nach erster Insolvenz
2001 geht Ascaron im April 2009 endgültig die Luft aus. Das Unternehmen wird zerschlagen, die Sacred-Reihe wandert zu Deep Silver,
andere Rechte schluckt die Medienfirma Kalypso, die auch die Gründung
der Gaming Minds Studios durch Ex-Ascaron-Kreative finanziert – die
Entwicklungstradition in Gütersloh lebt fort.
» Mit historischen Handelssimulationen setzt Ascaron die Segel; hier Port Royale 2 von 2004
ersten „Made in Germany“-Episode:
Noch vor anderen deutschen
Kollegen lässt Factor Five den
Amiga-Computer fallen, um sich auf
Sega- und Nintendo-Konsolen zu
konzentrieren. Die Programmierer
Holger Schmidt und Thomas Engel
und ihr Produzent Julian Eggebrecht
emanzipieren sich von Rainbow Arts
mit Auftragsarbeiten für Hudson
und – mit einer Contra-Umsetzung
auf Game Boy – für Konami. 1996
siedeln sie, der besseren Arbeitsbedingungen wegen, nach Kalifornien
über. Amiga-Maestro Hülsbeck folgt
ihnen ein paar Jahre später.
Mitte der 90er Jahre sind die
Factor-Five-Profis das einzige deutsche Team mit Konsolen-Erfahrung
und japanischen Referenzen, und
sie erfüllen sich ihren Traum einer
engen Partnerschaft mit dem wohl
besten US-Entwickler: Für Lucasarts bringt Factor Five 1994 Indiana
Jones aufs SNES, konvertiert dann
Rebel Assault 2 auf die Ur-Playsta­
tion und darf 1997 den Atari-Klassiker Ballblazer für die Sony-Hardware
­renovieren. Dank Lucasarts kommt
das Exil-Team (das weitere CodeGenies aus Europa nachzieht sowie
US-Kreative rekrutiert) schließlich
mit der wichtigsten aller GameFirmen ins Geschäft: Nintendo.
Das N64-Star Wars: Rogue
Squadron (1998), dem Nintendo
in den USA eine millionenschwere
TV-Kampagne spendiert, und der
Gamecube-Starttitel Rogue Leader
(2001) katapultieren Factor Five
auf den Höhepunkt ihrer weltweiten Bekanntheit. Dabei erregt das
Team weniger durch ausgefeiltes
Gamedesign als vielmehr durch
Hardware-Tricks und brillante
Technik den Beifall von Spielern und
Insidern. Factor Five entwickelt neue
Kompressionsverfahren und liefert
Nintendo die MuSyx-RaumklangTechnik. Die enge Kooperation mit
Nintendo endet erst 2005, als Factor
Five zum Sony-Partner wird – das
gehört bereits in den abschließenden dritten Teil dieser Artikelserie.
Die Factor-Five-Epigonen
Jenseits von Factor Five lassen sich
deutsche Nintendo- und PlaystationSpiele an einer Hand aufzählen.
Einen frühen Versuch macht Kaiko,
bestehend aus Hülsbeck, Programmierer Peter Thierolf und Grafiker
Frank Matzke. Nach dem AmigaBallerspiel Apydia für Blue Byte
arbeitet das Trio für Factor Five an
späten Turrican-Abenteuern wie
dem FX-Feuerwerk Mega Turrican
(alias Turrican III), das 1993 das erste
Sega-Modul aus Deutschland ist.
Da Hülsbeck zum Partner wechselt
und Matzke die Pixel aufgibt (um als
Sierra-Manager Karriere zu machen),
gründet Thierolf 1994 die Nachfolgefirma Neon.
» Neon im Jahr 1994: Programmierer
Thierolf (langhaarig/Mitte) ist
mittlerweile Technikchef bei Keen,
sein damaliger Kollege Michael
Büttner (mit erhobener Rechten)
codet heute für IO in Dänemark.
»M
anfred Trenz liefert mit einem
Super Turrican-Medley das einzige
deutsche NES-Spiel und 1995 eine
SNES-Rarität: Rendering Ranger
wird nur in Japan ausgeliefert.
16 | RETRO GAMER 3/2013
Made in germany, Teil 2
» Ab 1993 verkauft Blue Byte zig Millionen PC-Spiele der Die Siedler-Reihe.
Ersonnen wird die Wuselstrategie
von Kingsoft-Veteran Volker Wertich
auf dem Amiga.
» Friedlicher als Die Siedler sind die Handwerker und Händler in Anno 1602. Auch aus dieser deutsch-österreichischen Koproduktion wird eine erfolgreiche Aufbauserie.
» Code-Talente fürs nächste Jahrtausend:
Während sich die kommenden NintendoProfis Shin'en noch auf Amiga-Partys
tummeln (1997, oben), startet Florian
Knappe (FEB/VCC, unten) in Hamburg die
Playstation-Entwicklung.
Das Start-up versammelt im
Raum Frankfurt viele junge Talente,
ist dabei aber weit weniger straff
und zielstrebig geleitet als Factor
Five oder Blue Byte. Neons Debüt ist
das Amiga-Jump’n’Run Mr. Nutz, das
die englische Firma Ocean international vermarktet. Technisches Knowhow blitzt 1996 im Playstation-Shooter Tunnel B1 auf und wird auch in
England bejubelt, doch dann zerfällt
das ehrgeizige Team schon wieder.
Ein zweites Playstation-Spiel, Viper,
beendet Neon-Deserteur Michael
Büttner bereits im Exil in Manchester
und gerät dabei vom Regen in die
Traufe, denn Ocean bricht just zu
dieser Zeit auseinander.
Büttner wird vom neuen
Ocean-Inhaber Infogrames mit
der Playstation-Umsetzung des
Agenten-Thrillers Mission Impossible
beauftragt, während der deutsche
Neon-Stamm – Thierolf, Designer
Boris Triebel, Produzent Jan Joeckel
» Knapp 200.000 verkaufte Einheiten sind zu
wenig: Nach der Fertigstellung von Technomage für Windows und Playstation löst
Sunflowers sein Entwicklungs-Team auf.
» Als Originalspiel-Erfinder bleiben
Factor Five und Neon AusnahmeErscheinungen in Deutschland. «
und Art Director Antony Christou­
lakis – die nächsten Jahre mit Auftragsarbeiten für Infogrames und
Acclaim überleben oder mit dem
bayrischen Pumuckl und den Tieren
von Janosch lokale Größen auf den
Game Boy bringen. Den technisch
genügsamen Handheld nutzen Ende
der 90er Jahre auch andere deutsche
Unternehmen für den NintendoEinstieg und setzen beispielsweise
ihre Puzzles Spherical und Logical
(Rainbow Arts) sowie Swing (Software 2000) auf Game Boy um.
Als Originalspiel-Erfinder
bleiben Factor Five und die NeonClique Ausnahmeerscheinungen in
Deutschland. Erst ganz am Ende des
Jahrtausends schafft es ein drittes
Team, schnell zoomende Action auf
die Playstation zu zaubern: Hinter den
Start-ups FEB und VCC in Hamburg
stehen Techniker, die teilweise Neon
zuarbeiteten, vor allem aber viel Talent
einer neuen Generation. 2000 kommt
FEBs Killer Loop als Mag Force Racing
auf Dreamcast, als einziges deutsches
Spiel für die letzte Sega-Konsole.
Big Business mit dem PC
In den vorangegangenen Absätzen
war nur von Studios und Teams die
Rede, die sich in den Nintendo- und
Playstation-Zirkus wagten, nicht jedoch von deutschen Publishern. Das
hat einen triftigen Grund: Während
verstreute Grüppchen begabter und
ehrgeiziger Techniker auf Konsolen
setzen (und internationalen Partnern
zuarbeiten), konzentrieren sich die
hiesigen Herstellerfirmen ganz auf
den PC. Im Gegensatz zu ihren englischen und französischen Mitbewerbern wollen die deutschen Verlage
nach dem Ende von C64, Atari ST
und Amiga nicht in teure KonsolenTechnik und -Lizenzen investieren,
sondern auf dem offenen, freien und
sparsamen DOS- sowie WindowsMarkt agieren.
Mit zivilen Simulationen
machten sich deutsche PublishingFirmen Ende 80er Jahren einen
Namen und schufen eine Nische, die
sie über die 90er Jahre erweiterten,
professionalisierten und für den
internationalen Erfolg flott machten.
» Der japanische Major
Hudson lässt Umsetzungen von deutschen Profis
programmieren und produziert mit Sunflowers
1995 das DOS-Nectaris.
Anfang der 90er Jahre ist die Handelsfirma Bomico der wichtigste Distributor
internationaler Spiele in Deutschland. Der Vertriebsmacht stellt Firmenchef
Adi Boiko 1993 eine eigene Inhouse-Entwicklung zur Seite: Sunflowers soll
PC-Spiele speziell für deutschen Geschmack und mit nationalen Themen
produzieren. Das Label debütiert 1994, vier Jahre nach der Wiedervereinigung,
mit der Wirtschaftssimulation Aufschwung Ost und wächst mit weiteren zivilen
Strategiespielen auf 50 Mitarbeiter. Sunflowers bleibt unabhängig, als Bomico
von Infogrames übernommen wird, setzt 1996 das 80er-Jahre-Spiel Die Fugger
fort und feiert mit Holiday Island den ersten internationalen Titel. Sunflowers’
größter Erfolg ist die Anno-Serie, eine Koproduktion mit dem österreichischen
Studio Max Design. Der Auftakt Anno 1602 verkauft sich über zwei Millionen Mal,
bis heute folgen Fort- und Umsetzungen. 2003 setzt Sunflowers mit Related Designs ein neues Team auf die Serie an, deren Anno 1701 erst 2006 fertiggestellt
und – als letzte Sunflowers-Produktion – geliefert wird. Sunflowers investiert
in Max, Related und SEK Berlin und ist damit ein Major Player der deutschen
Szene, bis Ubisoft die Firma Anfang 2007 schluckt.
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90er
Die 19 e
Jahr
» Fast so schnell wie eine Verkehrsgigant-Stadt wächst ab 2000 die Jowood AG, die
Strategie- und Aufbauspiele aus Österreich und Deutschland vermarktet.
» Mit dem Bundesliga Manager
feiert Software
2000 bis 2001
viele Erfolge
Interessant und lukrativ erscheint
deutschen Machern die Mischung
aus Finanz-Management und dem
Lieblingskind der hiesigen TVZuschauer, dem Fußball. Nachdem
Software 2000 mit ihrem Bundesliga
Manager in die 90er startet, bauen
Ascaron und die Ariolasoft-Veteranen von Independent Arts ab 1993
mit Anstoss eine Konkurrenz-Liga
auf. Beide Serien werden erst für
Amiga, später europaweit für den PC
vermarktet, haben aber vor allem in
Deutschland eine treue Fan-Basis.
1996 simuliert Independent Arts mit
Greenwood (Macher der LogistikSimulation Der Planer) und Sat.1 die
Ökonomie der Bundesliga ebenso
wie die Taktik auf dem Spielfeld: Im
ran Trainer 2 kommentieren Johannes B. Kerner und Werner Hansch
die Pixel-Partien.
Der Aufbau-Aufschwung
… ist keine deutsche Firma, sondern wird 1995 in Wien gegründet und
steht hier stellvertretend für die Development-Stärke unserer südlichen
Nachbarn und deren Verknüpfung mit der hiesige Szene. Wie auch die
österreichischen Studios Max und Neo spezialisiert sich Jowood auf das
Lieblingsthema deutscher Entwickler – Handel und Wirtschaft. Mit Titeln
wie Industriegigant und Verkehrsgigant wird sie eine europaweite Macht.
Mit Gothic (ab 2002) und Spellforce (ab 2003) nimmt Jowood die neben
Ascarons Sacred stärksten deutschen RPG-Marken ins Programm.
Die internationale Belegschaft steigt sprunghaft: In schneller Folge
werden die deutschen Studios Massive (Aquanox), Neon und Wings
übernommen. 2002 arbeiten fast 300 Frauen und Männer für das börsennotierte Unternehmen. Danach schrumpft Jowood schnell, schließt sich
mit der kanadischen Firma Dreamcatcher zusammen, zerstreitet sich
mit dem deutschen Gothic-Entwickler Piranha Bytes und verwandelt sich
schließlich in die Wien-Niederlassung von Nordic Games – ab 2011 haben
die Schweden das Sagen.
» Die letzten Atari-Genies sind Michael Bittner und Marc
Rosocha, die mit der Mech-Schlacht Iron Soldier 1995 ein
3D-Meisterwerk für die Jaguar-Konsole liefern.
18 | RETRO GAMER 3/2013
Während in den USA das neue
Genre der Echtzeitschlachten (RTS
genannt) nach und nach alle anderen Strategiespiele zurückdrängt,
bleiben deutsche Hersteller ihren
historischen und zeitgenössischen
Simulationen treu und mehr Handel
und Erwerb als Zerstörung und
Eroberung verpflichtet. So kümmert
sich 1993 Aufschwung Ost, das erste
Spiel von Sunflowers, um die Folgen
der Wiedervereinigung, behandelt
Finanz-, Umwelt- und Infrastrukturprobleme. Auch wenn das Debüt
kein Superhit wird, hat Sunflower die
Zeichen der Zeit und die Vorlieben
der deutschen PC-User gut erkannt.
Unter der Leitung von Ex-Intel-Mann
Arne Peters laden die Aufschwung
Ost-Macher drei Jahre später auf
die Holiday Island, einem ManagerSpielplatz in der Südsee.
Einen grenzüberschreitenden
Hit landet Sunflowers schließlich
1998 mit Anno 1602, das Max Design
in Österreich erfindet. Die Welt der
Renaissance in bis zu 1024 x 768 Pixeln
macht Max Design und Sunflowers
zu Abonnenten der 1998 eingeführten
Verkaufs-Auszeichnungen des „Verbands der Unterhaltungssoftware
Deutschland“. Auch die Fortsetzung
Anno 1503 (2002) verkauft sich in
Deutschland, Schweiz und Österreich bis Ende 2004 über eine halbe
Million mal und ist damit das einzige
deutsche Spiel, das einen „SpezialAward“ des VUD einheimen kann.
Anno zeigt das Computerspiel-Talent unserer Nachbarn
jenseits der Alpen: Wer von den
spezifischen Stärken und Schwächen
der deutschen Game-Entwicklung
spricht, darf von der Szene in
Österreich nicht schweigen. Auch
die Max-Design-Deserteure um
Hans Schilcher starten mit einer
isometrischen Wirtschaftssimulation
– jedoch modern, nicht historisch,
und mit starkem Anklang an SimCity
und das japanische A-Train. Mit
Industriegigant (1997) und Verkehrsgigant (2000) bringen Schilcher &
Co. ihr Unternehmen Jowood an die
Wiener Börse. Der Shooting Star der
Branche nimmt mit dem wuseligen
Die Völker 1999 auch einen direkten
Konkurrenten zu Blue Bytes Siedler
(1993) ins Programm; Letzteres die –
da bis heute fort- und umgesetzt –
langlebigste und erfolgreichste deutsche Echtzeit-Aufbau-Serie.