I go wild! - Athenlauf.de

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I go wild! - Athenlauf.de
Themenschwerpunkt
249
I go wild!
Neurobiologie des Extremsports
Sabine Kubesch; Frieder Beck
Schlüsselwörter
Extremer Risikosport, extremer Ausdauersport, Endorphine,
exekutive Funktionen, Thrill und Adventure Seeking, Dopamin
Keywords
Extreme risky sports, extreme endurance sports, endorphins,
executive functions, thrill and adventure seeking, dopamine
Zusammenfassung
Unverhältnismäßig hohe Ausdauerbelastungen wie beispielsweise
Ultralangläufe über Tausende von Kilometern, aber auch Risikosportarten, bei denen die Athleten für ein sportliches Ziel ihre eigene Unversehrtheit riskieren, stellen extreme Formen sportlicher
Tätigkeiten dar. Dabei setzt die Grenzen extremer sportlicher Belastung weniger die körperliche Leistungsfähigkeit als vielmehr
der Geist. In diesem Beitrag wird im Zusammenhang mit extremen
Ausdauerbelastungen und Risikosportarten aufgezeigt, zu welchen
Hochleistungen der menschliche Körper in der Lage ist, wenn
Sportler über eine ausgeprägte emotionale und kognitive Selbstkontrolle verfügen. Gleichzeitig führen im Gehirn der Ausdauerathleten Endorphinanstiege dazu, dass sie bei der Bewältigung extremer Distanzen Hochgefühle erleben und Schmerzen weniger stark
wahrnehmen. Die hohe Risikobereitschaft und die belohnenden
Aspekte bei der Ausübung riskanter Sportarten unterliegen dagegen insbesondere der Beeinflussung durch das mesolimbische Dopaminsystem.
Summary
High level endurance exercise, such as ultramarathon running
races of several thousand kilometres and high risk sports, are extreme forms of sports activities. The limits are set by the mind
rather than by physical performance. This paper focuses on extreme forms of endurance exercise and high risk sports. It is shown
that athletes only reach this level of high performance when they
have pronounced emotional and cognitive self-control. With the
increase of brain endorphins, endurance athletes experience euphoric mood states and perceive pain less intensely. The mesolimbic dopamine system influences athletes’ high readiness to assume a risk. The rewarding aspects of high sports are also influenced by the mesolimbic dopamine system.
S
wellen“ von über 20 Metern Höhe, die sie jeden Moment unkontrollierbar in lebensbedrohliche Tiefen
reißen können, und Extremfallschirmspringer wollen aus 40 Kilometer Höhe im freien Fall mit einer
Geschwindigkeit von über 1 100 km/h die Schallmauer durchbrechen. Bei diesen sportlichen Extremen stellt sich nicht nur die Frage nach den Grenzen
der körperlichen Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, sondern auch nach der mentalen Stärke der
Athletinnen und Athleten und den Beweggründen,
sich solchen Strapazen und Risikosituationen auszusetzen. Dieses Gebiet ist bislang kaum erforscht.
Die moderne Neurobiologie liefert hierzu neue Erkenntnisse.
ie laufen oder fahren mit dem Fahrrad mit einem Minimum an Regenerationsphasen und
Schlaf mehre tausend Kilometer quer durch
Amerika und Europa. Sie durchschwimmen den Ärmelkanal und den Amazonas oder kombinieren in
einem Wettkampf alle drei Sportarten und legen dabei 38 Kilometer schwimmend, 1 800 km radfahrend und 422 km laufend zurück. Extremsportler
tauchen unter Lebensgefahr mit nur einem Atemzug
in eine Tiefe von über 200 Metern ab. Extremskifahrer riskieren bei ihren Abfahrten in unkontrolliertem Gelände, von Lawinen verschüttet zu werden
oder von ungesicherten Felskanten abzustürzen. Extremsurfer reiten mit dem Surfbrett auf „Monster-
I go wild! – Neurobiology of extreme sports
Persönlichkeitsstörungen 2009; 13: 249–257
© 2009 Schattauer GmbH, Stuttgart
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Kubesch; Beck
Extremsport
In der Literatur findet sich keine einheitliche Definition von Extremsport. Eindeutig ist nur, dass der Extremsport nach den vier Hauptkategorien sportlicher Betätigung von Hollmann und Strüder (2009)
weder dem Breitensport noch dem Gesundheitssport zugeordnet werden kann. Aber auch eine Zuordnung zum Leistungssport, in dem die „Teilnahme
an einem bestehenden Wettkampfsystem angestrebt“ wird (Hollmann u. Strüder 2009, S. 8), und
zum Hochleistungs- oder Spitzensport, in dem das
Ziel „praktisch nur noch die Meisterschaft, die Medaille, der Rekord“ (Hollmann u. Strüder 2009,
S. 8) ist, ist nicht bei allen Extremsportarten möglich. Vielen Extremsportlern geht es bei der Ausübung ihrer Sportart, die nicht selten ein „Abenteuer auf Leben und Tod“ darstellt, weniger darum, in
einem Wettkampf einen anderen Athleten, als vielmehr sich selbst zu besiegen und dabei die eigenen
körperlichen und geistigen Grenzen zu überschreiten. Das geschieht oftmals unter schwierigsten Bedingungen (z. B. bei extremer Witterung oder
schlechter gesundheitlicher Verfassung), unter denen im Leistungs- und Hochleistungssport in der Regel Wettkämpfe abgesagt oder die Teilnahme einem
einzelnen Athleten ärztlich untersagt werden würde.
Extremsportler suchen in den Grenzbereichen
sportlicher Handlungsfelder das kalkulierte Risiko.
Im Folgenden konzentrieren wir uns bei der Beschreibung von neurobiologischen Aspekten des Extremsports bzw. Hochleistungs- und Spitzensports
auf extreme Risiko- und Ausdauersportarten.
Extremer Ausdauersport
Die Grenzen der menschlichen Ausdauerfähigkeit
Die wohl höchste Ausdauerleistung vollbrachten Robert Falcon Scott, Edward Wilson und Henry Bowers
1911/12 bei ihrer Expedition zum Südpol (Noakes
2006)1. An 159 aufeinander folgenden Tagen, an denen sie ihre Schlitten täglich zehn Stunden selbst zo-
1
Sowie 1914–16 die Gruppe um Ernest Shackleton bei der
Durchquerung des Antarktischen Kontinents (Noakes 2006).
gen, legten sie 2 500 Kilometer zurück. Dabei verbrauchten sie jeweils etwa eine Million Kilokalorien
(kcal). Im Vergleich dazu verbrennen die Teilnehmer der Tour de France etwa 168 000 kcal, die Fahrer beim „Bike Across America“ 180 000 kcal und
die Läufer beim „Run Across America“ 340 000 kcal
(Noakes 2006). Obwohl die Briten bei ihrer Antarktisexpedition 300 Kilometer vor dem Ziel zu Tode kamen, gilt ihre Ausdauerleistung als Beleg dafür, dass
sich im Bereich der extremen sportlichen Ausdauerbelastungen die modernen Ausdauerathleten nicht
am Limit bewegen (Noakes 2006).
Neben idealen physiologischen Eigenschaften
und der hohen Fähigkeit des menschlichen Körpers
zur Wärmeabgabe durch Schwitzen ermöglichen
zahlreiche anatomische Merkmale (z. B. das für das
Laufen günstige Verhältnis von Beinlänge und Körpergewicht) solche hohen Ausdauerleistungen
(Noakes 2007). Dennoch sind es vergleichsweise
wenige Sportler, die sich zum einen das Ziel setzen,
extreme Ausdauerleistungen zu bewältigen und die
zum anderen diesen hohen Belastungen tatsächlich
standhalten können. Wenn nicht der Körper den Athleten die Grenzen des Möglichen aufzeigt, setzt vielmehr der Geist das Limit der individuellen Leistungsfähigkeit.
Wildor Hollmann und Theodor Hettinger diskutierten bereits 1976 die Rolle des Gehirns als leistungslimitierenden Faktor (Hollmann et al. 2006;
Hollmann u. Hettinger 1976). Dafür sprechen u. a.
sportmedizinische Studien zu Ausdauerbelastungen
unter Bedingungen der Hypoxie und Hyperoxie, bei
denen der Abbruch der körperlichen Beanspruchung trotz bestehender Kapazitäten des kardiopulmonalen und metabolischen Systems erfolgte (Hollmann et al. 2006). Gleichzeitig können motivationale Prozesse, das individuelle Gefühl sowie eine zusätzliche Willensanstrengung der Athleten zur Bereitstellung von physiologischen Leistungsreserven
beitragen (Hollmann et al. 2006). Dabei kommt
dem exekutiven System, das Verhalten und emotionale Prozesse steuert, eine Schlüsselrolle zu. Die
exekutiven Funktionen werden insbesondere dem
präfrontalen Kortex zugeordnet, der sensorischen
Input in Verbindung mit dem limbischen System verarbeitet und zielgerichtetes Bewegungsverhalten ermöglicht (Hollmann et al. 2006).
I go wild!
Für seine Antarktisdurchquerung suchte Ernest
Shackleton seine Teammitglieder nach fünf Kriterien
aus: Optimismus, Geduld, körperliche Ausdauer,
Idealismus und Mut. Vier von fünf Kriterien umfassen geistige Leistungen, lediglich ein Kriterium bezieht sich auf den Körper (Noakes 2006). Diese
Schwerpunktsetzung bei extremen Ausdauerbelastungen wird von Cherry-Garrad, einem weiteren Mitglied von Scotts letzter Expedition, folgendermaßen
beschrieben: “If you want a good Polar traveller, get
a man with not too much muscle, with good physical
tone, and let his mind be on wires – of steel. And if
you can’t get both, sacrifice physique and bank on
will” (Noakes 2006, S. 416). Wenn der Wille jedoch
versagt, dann lauert der Tod! Vielleicht hat ihre Niederlage, erst nach dem Norweger Roald Amundsen
den Südpol erreicht zu haben, dazu beigetragen,
dass die drei letzen Mitglieder aus Scotts Team den
Rückweg ihrer Expedition nicht überlebt haben. Die
beiden Unverletzten Wilson und Bowers hatten beschlossen, mit Scott in den Tod zu gehen, nachdem
dieser aufgrund eines Kälteeinbruchs und Erfrierungen an den Beinen nicht mehr in der Lage war, die
Expedition fortzusetzen (Noakes 2006). Mit einem
Erfolgserlebnis hätten sie die notwendige Motivation
für den verbleibenden Rückweg möglicherweise
aufgebracht. Es scheint in erster Linie der menschliche Geist zu sein und nicht dessen Körper, der bestimmt, wer sich einer extremen Ausdauerbelastung
stellt und bei dieser als Sieger hervorgeht. Dabei –
und diese Zusammenhänge werden in den nachfolgenden Abschnitten beschrieben – unterstützen
neurobiologische Anpassungen die Athleten bei der
Bewältigung der Ausdauerbelastungen.
Born to be wild?
Endorphine, „Runner’s High“ und Sportsucht
Bereits seit vielen Jahren nimmt man an, dass ein Anstieg körpereigener Opioide im Gehirn der Athleten
dazu führt, dass sie trotz aller Strapazen während der
Ausdauerbelastung Glücksgefühle, das so genannte
„Runner’s High“, erleben und Schmerzen weniger
wahrnehmen. Im Jahr 2008 wurde mit der Positronen-Emissionstomographie an Langstreckenläufern
zum ersten Mal nachgewiesen, dass im menschlichen Gehirn bereits nach einem zweistündigen Lauf
Endorphine ausgeschüttet werden. Die verstärkte
251
Endorphinausschüttung zeigte sich in einer signifikant verminderten Bindung der verabreichten
6-O-(2-[18F]fluoroethyl)-6-O-desmethyldiprenorphine, die mit der erhöhten Konzentration an Endorphinen um die Besetzung von Opiat-Rezeptoren konkurrieren (Boecker et al. 2008). Die gesteigerte Endorphinfreisetzung konnte vor allem im frontolimbischen System (präfrontaler, orbitofrontaler und anteriorer cingulärer Kortex sowie Inselrinde und parainsulärer Kortex) nachgewiesen werden, das an
der Verarbeitung emotionaler Prozesse beteiligt ist
(Boecker et al. 2008). Bis dahin wurden gesteigerte
Endorphinkonzentrationen nach Ausdauerbelastungen ausschließlich im peripheren Blut und in der
Rückenmarksflüssigkeit festgestellt.
Die Arbeitsgruppe um Henning Boecker und
Thomas Tolle an den Universitäten Bonn und München konnte zudem zeigen, dass die erhöhte Endorphinfreisetzung mit einem gesteigerten Hochgefühl
der Läufer korreliert, wodurch das „Runner’s High“
seine Bestätigung findet. Da der Endorphinanstieg
auch in Gehirnregionen nachgewiesen wurde, die an
der Schmerzunterdrückung beteiligt sind (Insel und
anteriorer cingulärer Kortex), bleibt nachzuweisen,
ob ein Anstieg von Endorphinen im Gehirn, induziert
durch eine längere Ausdauerbelastung, ebenfalls direkt zu einer veränderten Schmerzverarbeitung
führt (Ärzte Woche Online 2008). In einer Studie,
die an der Deutschen Sporthochschule Köln durchgeführt wurde, konnte bereits nachgewiesen werden, dass ein Endorphinanstieg im peripheren Blut
der Probanden, in Folge einer erschöpfenden Fahrradergometerbelastung, zu einer reduzierten
Schmerzempfindung der Athleten beiträgt (Hollmann et al. 2005). Die Schmerzempfindung wurde
über eine Zahnkrone mit elektrischem Kontakt zur
Zahnpulpa gemessen. Nach der Fahrradergometerbelastung erhielten die Probanden elektrische
Stromstöße auf die Pulpa. Dabei musste die Stromstärke bis zu 75 Prozent über den Ruhe-Ausgangswert gesteigert werden, damit die Probanden einen
Stromeinfluss bemerkten. In einer anschließenden
Doppelblindstudie mit einem Opiumblocker wurde
sichergestellt, dass es tatsächlich der Endorphinanstieg war, der nach der Ausdauerbelastung die
Schmerzempfindung reduzierte (Hollmann et al.
2005).
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Kubesch; Beck
Jedoch fehlt bislang die Bestätigung der Endorphin-Hypothese im Zusammenhang mit Ausdauertraining und sportlichem Suchtverhalten. Bei der Endorphin-Hypothese geht man davon aus, dass ein regelmäßiges Ausdauertraining eine reduzierte Sensitivität von Opioiden bewirkt; vergleichbar mit dem
Rückgang an Katecholaminen in Folge eines überdauernden Ausdauertrainings (Kubesch 2008). Dies
führt dazu, so die weitere Annahme, dass eine zunehmend höhere Dosis an Ausdauerbelastungen benötigt wird, um den selben belohnenden Effekt zu erzielen, wodurch ein süchtiges Verhalten im Zusammenhang mit Ausdauerbelastungen gefördert wird
(Hamer u. Krageorgis 2007). Dadurch ließe sich erklären, weshalb manche Athleten ihr Training trotz
Verletzung oder Erkrankung fortführen und dabei
weitere gesundheitliche Schäden in Kauf nehmen.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch von
„Sportsucht“ als einer stoffungebundenen Sucht und
damit von einer Verhaltenssucht, bei der keine psychotropen Substanzen von außen zugeführt, sondern körpereigene biochemische Veränderungen
durch exzessives Ausdauertraining ausgelöst werden
(Grüsser et al. 2007).
Allerdings wird die Verhaltenssucht, der die
„Sportsucht“ zugeordnet wird, weder in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen
(ICD-10) noch in dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-IV-TR) als
eigenständiges Störungsbild aufgeführt (Grüsser et al.
2007). Eine Schwierigkeit besteht darin, die Verhaltenssucht von nichtsüchtigem aber exzessivem und
normabweichendem Verhalten abzugrenzen (Grüsser
et al. 2007). Genetische Analysen könnten in naher Zukunft Erklärungen dafür liefern, weshalb manche
Sportler extreme Ausdauersportarten betreiben oder
sportsüchtiges Verhalten entwickeln. Thomas Tolle
von der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München untersucht gegenwärtig Zusammenhänge von genetischer Disposition und Opiatrezeptorverteilung und bezeichnet es als eine „gespenstische
Vorstellung, wenn wir liefen, weil unsere Gene das so
wollen“ (Ärzte Woche Online 2008).
Exekutive Funktionen führen zum Ziel
„Das Training durchzuhalten war viel schwieriger als
der eigentliche Lauf. Es gab über zwei Jahre nur
noch Beruf und Sport“. So berichtet Ultralangläuferin Elke Streicher2, die 2009 beim TranseuropeFootrace nach 4 500 Kilometern vom italienischen
Bari bis zum norwegischen Nordkap nach 536 Stunden als zweite Frau ins Ziel kam. In kritischen Situationen während ihres Ultralanglaufs, insbesondere
bei der landschaftlich sehr monotonen Passage
durch die schwedischen Wälder, half ihr starker Wille trotz aller aufkommenden Zweifel der extremen
Ausdauerbelastung standzuhalten. Ausdauerathleten
im Bereich des Extremsports müssen über eine hohe
Selbstdisziplin verfügen, nur dadurch ist es möglich,
das große Trainingspensum jahrelang zu absolvieren, das die Grundlage für die Bewältigung extremer
Ausdauerbelastungen darstellt. Zudem bedarf es einer ausgeprägten Selbstregulationsfähigkeit, die
selbstdiszipliniertes Verhalten unterstützt, damit der
Sportler trotz Blasen an der Haut, Krämpfen in der
Muskulatur, dem verlorenen Zweikampf oder der totalen Erschöpfung den Wettkampf nicht aufgibt, sondern bis zum Ende im Rennen bleibt. Die Selbstregulation, die motivationale und emotionale Prozesse
einschließt, und die inhibitorische, vorwiegend kognitive Kontrolle des Verhaltens sind zentrale exekutive Funktionen. Aufmerksamkeitsprozesse und
das Verhalten können durch eine gut funktionierende inhibitorische Kontrolle besser gesteuert werden
und sind dadurch weniger von äußeren Bedingungen und den eigenen Emotionen beeinflussbar (Kubesch u. Walk, im Druck). Durch eine gesteigerte
Fähigkeit, Verhalten zu hemmen, gelingt es den Athleten, diejenigen Aktivitäten oder Handlungen zu vermeiden, die dem angestrebten sportlichen Ziel oder
der aktuellen Situation entgegenstehen. Mit einer guten Inhibition fällt es den Extremsportlern also leichter, das hohe Trainingspensum zu absolvieren und
trotz aller Widrigkeiten im Wettkampf nicht aufzugeben, sondern über sich selbst hinauszuwachsen.
Gleichzeitig werden exekutive Funktionen durch
akute körperliche Belastungen (Hillman et al. 2005;
Hillman et al. 2006) und vor allem durch eine hohe
körperliche Fitness gefördert (Stroth et al. 2009;
Buck et al. 2008; Themanson u. Hillman 2006; Hillman et al. 2005), die insbesondere Ausdauersport-
2
In einem Interview mit Frieder Beck
I go wild!
ler auszeichnet. In einer EEG(Elektroenzephalogramm)-Studie am Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) der Universität Ulm
konnte nachgewiesen werden, dass Personen mit einer höheren körperlichen Fitness bei der Ausführung eines GoNogo-Flanker-Paradigmas3 zum einen
eine signifikant größere CNV(Contingent Negative
Variation)-Amplitude aufweisen als weniger leistungsstarke Personen, was für erhöhte vorbereitende Aufmerksamkeitsprozesse spricht. Zum anderen
zeigen die körperlich leistungsstärkeren im Vergleich zu weniger leistungsstarken Probanden eine
reduzierte N24-Amplitude (Stroth et al. 2009). Die
N2 stellt die Komponente ereigniskorrelierter Potenziale dar, die mit der Antwortüberwachung und der
Inhibition von Reaktionen assoziiert wird. Anhand
der N2-Kurve lässt sich folglich die exekutive Kontrolle bzw. die Inhibition von Antworttendenzen messen. Die Studienergebnisse des ZNL deuten darauf
hin, dass die körperliche Fitness die Leistung des
exekutiven Systems verbessert, indem die geistige
Anstrengung bei Prozessen der Handlungsüberwachung reduziert wird. Eine reduzierte N2-Amplitude spiegelt damit eine effizientere kognitive Kontrolle wider (Kubesch u. Walk, im Druck).
Die kognitive Kontrolle wird insbesondere in
schwierigen und gefährlichen Situationen benötigt
(Fan et al. 2009). Sie ist damit in kritischen Risikosituationen wichtig, in denen Extremsportler in der
Lage sein müssen, ihre emotionalen Zustände zu
kontrollieren. Die Fähigkeit, unter Stress selbstreguliertes Verhalten zu zeigen, hängt dabei u. a. von der
genetisch gesteuerten Dopaminverfügbarkeit im
präfrontalen Kortex der Sportler ab. Zu etwa 60 Prozent bestimmt das Catechol-O-Methyltransferase
(COMT)-Enzym, wie lange Dopamin in und um den
synaptischen Spalt verfügbar und damit im präfrontalen Kortex aktiv ist. Dieses Gen liegt in drei verschiedenen Polymorphismen vor, wobei der Methio-
3
4
Bei der Durchführung des GoNogo-Paradigmas, das mit einer
Eriksen-Flanker-Aufgabe kombiniert wurde, müssen irrelevante Flankierreize ignoriert (Inhibition der Aufmerksamkeit) und
bei der Hälfte der Aufgaben die motorische Antwort unterdrückt
(Inhibition des Verhaltens) werden
Die N2 bzw. N200 erreicht ihren (im negativen [N] Bereich gelegenen) Höhepunkt zwischen 150 und 300 msec nach Präsentation eines Stimulus
253
nin(Met)-Polymorphismus in einem langsameren
Dopaminkatabolismus und damit in einer größeren
Dopaminverfügbarkeit resultiert als der Valin(Val)und der Val-Met-Polymorphismus. Der Met-Met-Polymorphismus wird generell im Vergleich zum ValVal-Polymorphismus mit besseren exekutiven Funktionen in Verbindung gebracht (Diamond et al.
2004) und sollte sich daher günstig auf die Selbstregulationsfähigkeit der Sportler auswirken.
Eine größere Dopaminverfügbarkeit im präfrontalen Kortex fördert aber nicht in jedem Fall exekutive Funktionen, sondern macht gleichzeitig sensibler für Stress. Bei Frauen ist die COMT Enzymaktivität aufgrund ihres höheren Östrogenspiegels um
ca. 30 Prozent reduziert, was in einem langsameren
Dopaminabbau resultiert (Diamond 2007). Aus diesem Grund führt eine weitere Erhöhung der Dopaminkonzentration in Form von Stress bei Frauen mit
Met-Met-Polymorphismus zu schlechteren exekutiven Funktionen als bei Männern, die homozygot für
Methionin sind (Diamond 2007). Es wird also genetisch beeinflusst, wie leicht oder schwer es einem
Extremsportler bzw. einer Extremsportlerin fällt, die
eigenen Emotionen in risikoreichen Situationen unter Kontrolle zu halten.
Des Weiteren vermutetet man, dass die Selbstregulation vor allem dann gelingt, wenn zwischen
dem Netzwerk für die kognitive Kontrolle, in das insbesondere der laterale Teil des präfrontalen Kortex
und der dorsale Anteil des anterioren cingulären
Kortex eingebunden sind, und dem emotional reaktiven Netzwerk, das u. a. den ventromedialen präfrontalen Kortex und den ventralen Teil des anterioren cingulären Kortex umfasst, ein Gleichgewicht besteht (Blair u. Diamond 2008). Ein Freitaucher im
Bereich des No-Limit-Tauchens kann den Aufstieg
aus der Tiefe nur dann unbeschadet überstehen,
wenn er in der Lage ist, trotz größter Atemnot kurz
vor der Wasseroberfläche eine Dekompressionspause einzulegen, damit in Blut und Gewebe aufgrund des Druckabfalls keine Gasblasen entstehen,
die neurologische Ausfälle, Bewusstlosigkeit und dadurch Tod durch Ertrinken zu Folge haben können
(Hollmann u. Strüder 2009). „214 Meter hinunter
in ein schwarzes Nichts, über 200 Meter wieder hinauf in Richtung Leben und dann, kurz vor dem Ziel,
die lebensrettende Luft schon im Blick, fast 60 Se-
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Kubesch; Beck
kunden verharren. Sich auf der Stelle treiben lassen,
keine Energie verbrauchen. Nur nicht den lockenden Lichtstrahlen nachgeben, sich absolut im Griff
haben, jetzt auf keinen Fall schwach werden – nur
das garantiert das Überleben“ (Mohr 2007,
S. 126)5.
Extremer Risikosport
Auf der Suche nach dem Thrill
Was reizt Sportler an der Ausübung extremer Risikosportarten? Weshalb wagt beispielsweise der SkiFreestyler Benedikt Mayr nach mehreren Kreuzband-, Innenband- und Menisci-Verletzungen immer wieder den Sprung über die Schanze, um nach
geschraubten und aus der Achse gedrehten Doppelrückwärtssaltos aus über zwölf Meter Höhe den Lauf
in hoher Geschwindigkeit fortzusetzen? „Es ist die
Faszination, die eigenen Grenzen der Leistungsfähigkeit immer wieder ein bisschen weiter zu verschieben“ meint der zwanzigjährige Mayr, der in den Alpen zu den besten Akrobaten auf Ski zählt6. Differenzierter beschreibt Rheinberg (2008) die psychologische Befundlage von Sportlern hinsichtlich ihrer
Motivation, riskante Sportarten auszuüben. Dafür
entwickelte er eine Anreiztrias, die drei Komponenten umfasst. Ein erster Anreiz stellt die Erlebnisintensivierung durch eine erregende Bedrohungswahrnehmung dar, was als Sensation Seeking bezeichnet
wird. Nach Zuckerman (2007) stellt Sensation Seeking eine Verhaltensdisposition dar, die gekennzeichnet ist durch das Bedürfnis nach abwechslungsreichen, neuen, komplexen Reizen und intensiven Sinneseindrücken und Erfahrungen sowie der
damit einhergehenden Bereitschaft, physische und
soziale Risiken einzugehen. Die Sensation Seeking
Skala umfasst wiederum vier Subskalen, wobei in
Bezug auf den extremen Risikosport das Thrill und
Adventure Seeking von zentraler Bedeutung sind.
Thrill und Adventure Seeking beschreiben die Tendenz zu risikoreichen Aktivitäten im Sport und in der
Freizeit mit hohem Erlebniswert. Als zweite Anreiz5
6
Bericht über den Österreicher Herbert Nitsch, Weltrekordhalter
(214 m, 14.06.2007) im Apnoetauchen mit variablem Gewicht
In einem Interview mit Frieder Beck
komponente wirkt die Erfahrung der eigenen Kompetenz in vitalen Anforderungssituationen. Der Risikosportler sucht keineswegs das Risiko per se, sondern das Risiko in seiner fähigkeitsabhängigen Version (Rheinberg 2008). Ein Mountainbike-Downhiller prüft seine Ausrüstung und sichert sich mit Helm
und Protektoren, bevor er seine Unversehrtheit in
der steilen Abfahrt zwischen den Felsen in eine Unsicherheitsposition bringt. Die höhere Risikobereitschaft beispielsweise von Skirennläufern drückt sich
ausschließlich in einer größeren Bereitschaft zum
kompetenzabhängigen Risiko aus. Die dritte Anreizkomponente stellt der Genuss ungewöhnlicher Bewegungszustände dar, wie das Drehen und Fliegen,
die hohe Geschwindigkeit oder die Beschleunigung.
Dopamin und belohnende Bewegungsereignisse
Neurowissenschaftliche Befunde legen nahe, dass
bei der Entstehung des Verlangens, sich sportlich mit
verletzungsträchtigen Risikosituationen auseinanderzusetzen, das mesolimbische Dopaminsystem eine Schlüsselrolle spielt. Diese Gruppe von Nervenzellen sendet Axone von der Area tegmentalis ventralis im Mittelhirn zu Zielregionen im Vorderhirn, insbesondere zum Nucleus accumbens, wo sie Dopamin freisetzen können. In Tier- und Humanstudien
konnte beobachtet werden, dass die dopaminerge
Aktivität unverändert bleibt, wenn eine Belohnung
wie erwartet eintritt und unterdrückt wird, wenn eine Belohnung ausbleibt oder schlechter als erwartet
ausfällt. Dagegen findet sich eine gesteigerte Feuerrate in dopaminergen Kernregionen, wenn eine Belohnung eintrifft, die nicht erwartet wurde oder besser als erwartet ist (Schultz 1998; Zink et al. 2004;
Bayer u. Glimcher 2005; Abler et al. 2006). Die Dopaminaktivierungen reflektieren somit einen Belohnungsvorhersagefehler , der sich aus der Differenz
zwischen erwarteter und tatsächlich erfolgter Belohnung ergibt (Waelti et al. 2001; Bayer u. Glimcher
2005).
Nach längeren Trainingsphasen tritt die dopaminerge Aktivitätssteigerung bereits dann auf, wenn Stimuli die Belohnung ankündigen. In einer Einzelfallstudie mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT), die an der Technischen Universität
München durchgeführt wurde, rief bereits die Betrachtung sportmotorischer Fertigkeiten wie dem
I go wild!
Schraubensalto auf Ski, der jahrelang trainiert wurde, eine BOLD(Blood Oxygen Level Dependent)-Antwort in dopaminergen Kerngruppen hervor. Bei der
Betrachtung von Bewegungsabläufen mit vergleichbarem Schwierigkeitsgrad aus einer anderen Sportart, die nicht trainiert wurden, blieb die BOLD-Antwort dagegen aus (Beck 2008). Diese dopaminerge
Reflexion trainierter sportmotorischer Fertigkeiten
und die hohe Abstraktheit der Belohnungen, die in
Humanstudien gesteigerte Feuerraten in dopaminergen Kern- und Zielregionen provozieren (wie z. B.
der Erhalt von Geld), verweisen darauf, dass im
sportlichen Fertigkeitstraining Bewegungserfolge
von einer dopaminergen RPE(Reward Prediction Error)-Aktivierung begleitet werden (Beck u. Beckmann 2009); insbesondere dann, wenn der Bewegungserfolg unerwartet auftritt. Das erstmalige Landen eines geschraubten Rückwärtssalto nach mehren missglückten, unter Umständen schmerzhaften
Übungswiederholungen würde demnach zu einer erhöhten dopaminergen Aktivität im Belohnungssystem von Extremskifahrern führen.
Bemerkenswert ist, dass die belohnungsvorhersagende Komponente dopaminerger Aktivität dabei
ein Verlangen vermittelt, diese Belohnungen zu erhalten (Robinson u. Berridge 1993; Berridge 2007).
Man geht davon aus, dass sekundäre Verstärker wie
die sportliche Herausforderung und die damit einhergehende Anerkennung, die ursprünglich keinen
Belohnungswert an sich haben, über die enge Verbindung zwischen Nucleus accumbens und frontalen Kortexbereichen und den dort auftretenden
Lernvorgängen zu unkonditionierten Verstärkern
werden, die das Dopaminsystem ohne Vorhandensein primärer Verstärker aktivieren (Abler et al.
2005). So kann selbst der Geruch der Sonnencreme,
die sich bei vielen belohnenden Manövern auf den
Skiern im Gesicht befand, oder der Anblick der steilen Rinne aus der Gondel eine deutliche Steigerung
des Verlangens des Extremskifahrers hervorrufen,
die hiermit assoziierten risikoreichen Erlebnisse zu
wiederholen.
Anreizpotenzierung in bedrohlichen Situationen
Jedoch ermöglichen auch nicht risikoreiche Sportarten wie Golf oder Tennis viele belohnende Bewegungsereignisse. Wieso setzen extreme Risikosport-
255
ler also noch die eigene Unversehrtheit aufs Spiel?
Eine Erklärung dafür ist, dass in bedrohlichen
Stress-Situationen Gedächtnisleistungen für emotionale Inhalte verbessert werden. Verantwortlich hierfür ist vermutlich die durch Stresshormone modulierte Kommunikation zwischen präfrontalem Kortex
und Hippocampus durch die Amygdala (Beck
2006). Bedrohliche Situationen setzen Stresshormone frei und führen zur Aktivierung der Amygdala,
einer Gehirnstruktur, die in die Furchtkonditionierung eingebunden ist. Hierdurch werden situationsbezogene Inhalte bevorzugt einer überdauernden
Gedächtnisspeicherung zugeführt. Wird eine bedrohliche sportliche Situation erfolgreich bewältigt,
kommt es zudem zu einer erhöhten Feuerrate dopaminerger Neurone, da der Handlungsausgang zuvor
unsicher war bzw. die Bewältigung der sportlichen
Aufgabe unerwartet geschah. Auf diese Weise werden insbesondere erfolgreich bewältigte gefahrenreiche Situationen im Sport im episodischen Gedächtnis gespeichert und erhalten damit eine große
biographische Bedeutung. Wird unter den Extremsportlern wiederholt von dieser sportlichen Bewährung gesprochen, insbesondere, wenn diese gemeinsam erlebt wurde, bleibt das sportliche Erlebnis mit positivem Ausgang länger und besser im Gedächtnis der Sportler haften und motiviert zu weiteren gefährlichen sportlichen Aktionen.
Darüber hinaus wird ein Aktivitätsanstieg im Nucleus accumbens nach Beendigung gesteigerter
Amygdala-Aktivierung beobachtet (Jackson u. Moghaddam 2001). Somit kann eine erfolgreich bewältigte, Angst induzierende sportliche Situation durch
die plötzliche Aktivitätsverminderung der Amygdala
zu additiven Effekten und damit zu einer verstärkten
dopaminergen Anreizzuschreibung führen. Zudem
besitzt ein von der Amygdala kommender Reiz eine
stärkere Wirkung und führt zu gesteigertem Annäherungsverhalten, wenn dieser auf einen erhöhten Dopaminspiegel im Nucleus accumbens trifft (Davis u.
Whalen 2001). Steht also der Skifahrer nach erfolgreichem Cliffdrop mit weichen Knien auf dem nächsten verschneiten Felsüberhang, wird die belohnungsvorhersagende Aktivierung des Dopaminsystems und die zeitgleich auftretende Angst reflektierende Aktivität der Amygdala eine möglicherweise so
stark gesteigerte Motivation hervorrufen, dass mit
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Kubesch; Beck
dem Sprung ein erhebliches Verletzungsrisiko in
Kauf genommen wird. Erst die Erhöhung der Anforderungen der Bewegungsaufgaben eröffnet bei steigendem Leistungsniveau weiterhin unerwartete Bewegungserfolge und führt damit zu Dopaminausschüttungen. Die Cliffs werden zunehmend höher
und aus einem einfachen Vorwärtssalto wird ein Spin
mit Griff an den Ski.
Wer braucht das Risiko im Sport?
Nun sucht nicht jeder Sportler nach solchen Risikosituationen. Was macht den individuellen Unterschied aus? Tier- und Humanstudien verweisen darauf, dass hohe Werte im Sensation Seeking im Vergleich zu einer niederen Ausprägung des Sensation
Seekings mit einem überaktiven mesolimbischen
Dopaminsystem einhergehen (Bardo et al. 2007). Es
besteht die Vermutung, dass hierbei eine veränderte
Dopaminrezeptorfunktion und -expression eine
zentrale Rolle spielen und diese genetischen Einflüssen unterliegen (vgl. Bardo et al. 2007). Das Antwortverhalten des Nucleus accumbens und des präfrontalen Kortex auf den Erhalt und die Antizipation
von Belohnungen wird, ähnlich wie bei den exekutiven Funktionen, von vererbbaren Variationen in der
Dopamintransmission beeinflusst, die mit Polymorphismen des Dopamintransporters und des Catechol-O-Methyltransferase-Enzyms assoziiert sind
(Dreher et al. 2009). Die geschlechtsspezifischen
Unterschiede in den Dopaminspiegeln und im dopaminerg gesteuerten Verhalten unter Stress (Diamond 2007) stellen eine mögliche Erklärung für die
Beobachtung dar, dass vermehrt Männer sich extremen Risikosportarten zuwenden.
Birgit Abler und Kollegen (2006) von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie III der Universität Ulm konnten in einer fMRT-Studie darüber
hinaus zeigen, dass individuelle Unterschiede in der
Ausprägung von Thrill und Adventure Seeking mit
der Steigerung neuronaler RPE-Aktivität im menschlichen Nucleus accumbens korreliert. Gemäß den
dargestellten Zusammenhängen sollten solche überdurchschnittlich gesteigerten, dopaminergen Aktivierungen zu einer unverhältnismäßigen Erhöhung
des Anreizes von Risikosituationen führen. Ob ein
dopaminerg überaktivierter Sportler hierbei beim
Fallschirmspringen, Extremskifahren, Klettern oder
No-Limit-Tauchen landet, wird vom persönlichen
Umfeld des Einzelnen bestimmt. So sind die umgangssprachlich als „Adrenalinjunkies“ bezeichneten Sportler eigentlich „Dopaminjunkies“.
Fazit
Extremsportlern scheint keine Distanz zu weit, keine
Gefahr zu groß. Sportler im Bereich extremer Ausdauer- und Risikosportarten leisten nahezu Unmenschliches. Die Voraussetzungen ihrer extremen Leistungsfähigkeit liegen jedoch gerade zum einen in der
menschlichen Veranlagung, extreme Ausdauerbelastungen absolvieren zu können und zum anderen im
menschlichen Gehirn begründet. Neurobiologische
Erkenntnisse können deshalb Erklärungen dafür liefern, was Extremsportler antreibt, ihre Sportarten
auszuüben und weshalb sie in der Lage sind, diese zu
bewältigen. Zum einen müssen diese Extremsportler
über eine ausgeprägte emotionale und kognitive
Selbstkontrolle verfügen. Bei längeren Ausdauerbelastungen führen insbesondere belastungsinduzierte
Endorphinanstiege im Gehirn der Ausdauerathleten
dazu, dass sie trotz aller Anstrengung Hochgefühle erleben und Schmerzen weniger wahrnehmen. Der
Neurotransmitter Dopamin beeinflusst darüber hinaus die Risikobereitschaft von Extremsportlern und
trägt dazu bei, dass sie die Bewältigung gefährlicher
sportlicher Aktionen lustvoll erleben. Die Bewegungsneurowissenschaft (Hollmann et al. 2005) ist ein
noch sehr junges Forschungsfeld. Insbesondere für
den Bereich des Extremsports liegen bislang kaum
neurobiologische Befunde vor. Die rasante Weiterentwicklung neurowissenschaftlicher und molekulargenetischer Untersuchungsmethoden lässt jedoch darauf hoffen, in den nächsten Jahren tiefer gehende
Einblicke in die Neurobiologie des Extremsports gewinnen zu können.
Schlussbemerkung
Für eine zusätzliche Ausrichtung auf Persönlichkeitsstörungen bei Extremsportlern liegen unseres Wissens nach keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor.
Auf Grundlage der vorliegenden Literatur ist der Extremsport als ein Bereich anzusehen, bei dem die
Grenze zu dem, was als „normal“ einzustufen ist,
I go wild!
sehr schwer zu ziehen ist. Aus sportmedizinischer
Sicht ist der menschliche Körper in der Lage, Leistungen zu vollbringen, die sich aus der Perspektive
des Breitensportlers als „extrem“ darstellen. Wir
hoffen, dass unsere Diskussion zur „Neurobiologie
des Extremsports“ dadurch einen Beitrag leisten
kann, indem gezeigt wird, dass extreme sportliche
Leistungen bzw. extremes sportliches Verhalten
nicht notwendigerweise Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung sind.
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Korrespondenzadresse
Frieder Beck
Technische Universität München
Fakultät für Sportwissenschaft
Connollystraße 32, 80809 München
E-Mail: [email protected]