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Der China-Kracher
Tragweite der Vorgänge in den USA und
China – und gibt sich einsichtig. „Da
sind viele Faktoren unglücklich zusam­
mengekommen“, sagt Hans Peter Inge­
nillem, einer der beiden Geschäftsfüh­
rer. Sein Counterpart Manfred Grund­
ke ergänzt: „Ich verstehe, dass die Leu­
te verärgert sind. Unseren nachgewie­
senen Anteil an den berechtigten Bean­
standungen werden wir regulieren.“
Die Ursprünge des Desasters datie­
ren auf Anfang 2006. Damals stieg in
den USA die Nachfrage nach Gips­
platten sprunghaft an. Die Wirbelstür­
me „Katrina“ und „Rita“ hatten ganze
Knauf. Der Gipskonzern aus Franken wollte beim Bauboom in den USA kräftig mitverdienen.
Doch die Platten, die er aus China lieferte, waren verunreinigt. Nun klagen Tausende
Hausbesitzer auf Schadensersatz. Ein Lehrstück über die Fallstricke der Globalisierung
Richard Kampf erinnert sich genau an
den heißen Herbst vor zwei Jahren.
39 Grad zeigte das Thermometer in
Cape Coral an Floridas Golfküste – und
wieder war die Klimaanlage in seinem
Haus ausgefallen. Zum 14. Mal schon.
Unterm Dach wühlte sich der Techni­
ker durch die Verkabelung.
Seit dem Einzug im Jahr zuvor be­
reitete das neue Heim Ärger. Nicht nur
die Klimaanlage machte Sperenzchen,
Kampfs Hals fühlte sich rau an, der
57­Jährige hatte Hustenanfälle und
Nasenbluten. Seine Frau Pat litt unter
trockenen Augen, sie musste ständig
Tropfen benutzen.
Seine gesamten Ersparnisse hatte
Kampf in das Haus gesteckt, 319 000
Dollar, und niemand konnte ihm er­
klären, was los war. Bis der Techniker
von oben rief: „Ich glaube, ich habe die
Unternehmen: Knauf
78
c 01/2011
Ursache gefunden: Sie haben hier chi­
nesische Knauf­Gipsplatten.“
Richard Kampf ist einer von mehr
als 2500 Amerikanern, die den deut­
schen Baustoffhersteller zur Rechen­
schaft ziehen wollen. Seit dem Ausbau
ihrer Häuser mit Knauf­Platten bekla­
gen sie Probleme mit Schwefelgasen.
Elektrische Leitungen korrodieren, Ar­
maturen und Rohre verfärben sich
schwarz. Viele der Betroffenen berich­
ten von Gesundheitsbeschwerden. Die
Klagen sind in einem Bezirksgericht in
Louisiana zusammengefasst, in einer
der berüchtigten „class actions“.
Knauf befindet sich im Zentrum
eines der größten Produkthaftungsfälle
der vergangenen Jahre. Im Raum ste­
hen Schadensersatzforderungen in
dreistelliger Millionenhöhe. Tausende
Hausbesitzer fordern Kompensation
für erlittene Schäden durch Gipskar­
tonplatten, die zwischen 2005 und
2007 aus China importiert wurden. Ein
Fünftel der Platten stammt von Knauf
Plasterboard Tianjin (KPT), einer chi­
nesischen Tochterfirma des deutschen
Konzerns. Haben die Kläger Erfolg,
wäre das eine Katastrophe für das
Familienunternehmen.
Jahrzehntelang galt Knauf als Mus­
terbeispiel des weltweit erfolgreichen
deutschen Mittelständlers. Das Unter­
nehmen aus Iphofen bei Würzburg ist
in mehr als 40 Ländern vertreten, in
rund 150 Werken stellt es Gipsproduk­
te her, seit Mitte der 90er­Jahre auch
in China. Im laufenden Geschäftsjahr
wird der Umsatz auf rund 5 Mrd. Euro
klettern.
Doch der Erfolg machte die Fran­
ken blind. Lücken bei der Qualitäts­
kontrolle, mangelndes Risikobewusst­
sein, ein miserables Krisenmanage­
ment und der Versuch, Probleme
kleinzureden, führten dazu, dass der
Konzern zum Opfer seiner Globalisie­
rungsstrategie wurde.
In der weitläufigen Zentrale am
Ortsrand von Iphofen weiß man um die
Bei der US­Verbraucherschutzbehörde
CPSC haben sich inzwischen über
3700 Menschen aus 40 Bundesstaaten
gemeldet, die über Baumängel durch
schadhafte Gipskartonplatten von KPT
und anderen Herstellern klagen. Die
investigative Nachrichtenorganisation
Propublica hat alle bekannten Daten
überprüft und zählt mindestens 7200
gemeldete Fälle.
Die Dunkelziffer könnte sogar weit
höher liegen. Die Ratingagentur
Moody’s schreibt in einem Report von
bis zu 100 000 Häusern, in denen seit
2004 chinesische Gipsplatten verbaut
wurden. Die Unternehmensberatung
Towers Watson schätzt, dass sich allein
der Sachschaden insgesamt zwischen 8
und 10 Mrd. Dollar bewegen könnte,
der gesamtwirtschaftliche Schaden so­
gar bei bis zu 25 Mrd. Dollar. Weil vor
allem die südlichen Bundesstaaten Flo­
rida und Louisiana betroffen sind, in
denen jedes Jahr im Spätsommer die
Wirbelstürme wüten, sprechen viele
bereits von einem „stillen Hurrikan“.
Konflikte und Querelen
Laif/Polaris
Text: Christian Salewski,
Mitarbeit: Jens Brambusch
Fotos: Greg Kahn
Landstriche verwüstet. Zugleich steu­
erte der Bauboom auf seinen Höhe­
punkt zu. Der chinesischen Knauf­
Tochter KPT kam die Extranachfrage
recht. Sie verschiffte 4,5 Millionen
Quadratmeter Gipsplatten, rund ein
Viertel der Jahresproduktion aus Tian­
jin, nach Amerika.
„Diese Lieferungen waren kein gu­
tes Geschäft“, sagt Ingenillem zer­
knirscht. Die Bitterkeit ist angebracht,
denn der Kaufmann weiß, dass die Sa­
che eine Dimension annehmen könnte,
die selbst ein Unternehmen von der
Größe Knaufs in Bedrängnis bringt.
Platten, Pech und Pannen: Pat und Richard Kampf ließen ihr Haus in Florida
mit Gipskartonplatten von Knauf ausbauen. Dann begannen die Probleme
Der Vergleich mit der Naturkatastrophe
hinkt. Auch wenn man in Iphofen
den Eindruck erwecken will, unglück­
lich in die Sache hineingeschliddert
zu sein: Das Problem ist größtenteils
selbst verschuldet.
Knauf hat bereits einige Skandale
durchlitten. Im Jahr 2002 verhängte
∂
die EU­Kommission ein Bußgeld
seine Reinheit getestet. Nicht so in China.
Kontrolleure der US-Behörden waren
schockiert, als sie 2009 Minen in Shan­
dong besuchten und feststellten, dass
­Arbeiter die Gesteinsbrocken per Hand
sortierten. „Sie haben keinerlei Tests
durchgeführt, sie haben die Steine nur
angeschaut, das ist lächerlich“, erinnert
sich einer, der dabei war.
Auch bei der Eingangskontrolle in
­Tianjin fiel das kontaminierte Material
nicht auf. Auf Verunreinigungen mit
Schwefel sei der Naturgips bis 2006 nicht
getestet worden, weil es zuvor nie ein
Problem damit gegeben habe, räumt
Knauf-Justiziar Jörg Schanow ein.
Verstolperter Markteinstieg
Weil der Pfusch hierzulande zunächst
keinem auffiel, hegte auch niemand
­Befürchtungen, dass eine Lieferung in
die USA Probleme verursachen könnte.
So stolperte KPT mit den kontaminierten
Gipsplatten ohne ausreichende Absiche­
rung auf den Markt mit dem schärfsten
Produkthaftungsrecht weltweit.
KPT verzichtete nicht nur auf den Ab­
schluss einer Produkthaftpflichtversiche­
rung, wie sie Experten bei Geschäften in
den USA dringend empfehlen. Die KnaufTochter ließ sich überdies auf einen Im­
porteur ein, der als Ein-Mann-Betrieb
kaum imstande war, einen Teil des Haf­
tungsrisikos zu übernehmen. Anfangs
Hier nahm das Unglück seinen Lauf: Das Knauf-Werk in Tianjin ist eines von dreien in China. Bei der
Eingangskontrolle fiel der minderwertige Gips aus einer Staatsmine nicht auf
Unternehmen: Knauf
80 c 01/2011
Friedensengel: Die Knauf-Geschäftsführer Hans
Peter Ingenillem und Manfred Grundke ­haben
mit 300 Familien Vergleiche geschlossen
hatte Knauf seine Produkte noch über
den amerikanischen Gipsgiganten USG
in den USA vertrieben. Doch „weil USG
uns miserable Preise bot“, wie es in einer
internen E-Mail heißt, wechselte Knauf
im Frühjahr 2006 zum Zwischenhändler
Salomon Abadi, der „erheblich mehr
zahlte als USG“.
Offenbar fühlten sich die Knauf-­
Verantwortlichen ausreichend geschützt.
Als Baufirmen später erstmals mit Klagen
drohten, beschwichtigte Isabel Knauf in
einer E-Mail: „Wir haben lediglich einen
Vertrag mit Salomon, nicht mit einer
­dritten Partei.“ Etwaige Klagen müssten
zudem in Tianjin verhandelt werden.
Ein folgenschwerer Irrtum. „Geschä­
digte in den USA können Ansprüche ge­
gen den Hersteller geltend machen, auch
wenn der in keinem direkten Vertrags­
verhältnis mit ihnen steht“, so Thomas
­Rinne von der Frankfurter Anwaltskanz­
lei v. Einem & Partner, die deutsche Ex­
porteure berät.
Bei der Einschätzung, was nach Be­
kanntwerden der ersten Fälle zu tun sei,
patzte Knauf erneut: Anstatt sämtliche
fehlerhaften Platten unverzüglich aus
dem Verkehr zu ziehen, hielt man lieber
bis auf Weiteres still.
Die ersten Beschwerden von Haus­
besitzern erreichten die Verbraucher­
schutzbehörde CPSC im Dezember 2008.
Knauf war bereits seit November 2006
∂
dar­über informiert, dass es mit den
Wirtschaftswoche/ Klaus Weddig; Imaginechina
von knapp 86 Mio. Euro wegen unzu­
lässiger Preisabsprachen. Der Konzern
wehrte sich dagegen, dass die Knauf Gips
KG für das Verhalten der Gebr. Knauf
Verwaltungsgesellschaft, also der Dach­
holding der Gruppe, verantwortlich sein
soll, und zog bis vor den Europäischen
Gerichtshof (EuGH). Doch im vergange­
nen Sommer bestätigte der EuGH letzt­
instanzlich die Strafzahlung.
Noch während das Verfahren in Brüs­
sel lief, filzte das Bundeskartellamt die
Firmenzentrale. Diesmal ging es um
Preisabsprachen im Mörtelsegment. Wie­
der zahlte Knauf: diesmal 10 Mio. Euro.
Im Juli 2009 sorgte ein Schreiben von
Isabel Knauf, einer Enkelin des Gründers
Alfons Knauf, international für Irritatio­
nen – besonders in den USA. In dem Brief
an die Angestellten einer Tochterfirma im
Iran drohte die Leiterin des Asien­geschäfts
mit Entlassungen, sollten sich Mitarbei­
ter an Demonstrationen gegen die Regie­
rung beteiligen. Knauf räumte später ein,
das Schreiben sei „unglücklich formu­
liert“ gewesen.
„Unglücklich“ bezeichnet auch tref­
fend die Art, wie sich Knauf im Fall der
schadhaften Platten in den USA verhal­
ten hat.
Der Gips, den Knauf für seine Produk­
tion in Tianjin verwendet hat, stammt
aus einer staatlichen Mine in der Provinz
Shandong. In westlichen Gipsminen wird
der Naturstein mit Prüfinstrumenten auf
Platten Probleme gab. Aus internen
E­Mails, vereidigten Zeugenaussagen und
vertraulichen Dokumenten lässt sich re­
konstruieren, dass Knauf um das poten­
zielle Ausmaß der Gipsverunreinigungen
wusste.
In der Tat bestreitet in Iphofen nie­
mand, von den Vorgängen gewusst zu
haben. Sie werden aber heruntergespielt:
Ende 2006 habe es „nur wenige Haus­
eigentümer“ gegeben, die über Schwefel­
geruch in ihren Häusern klagten, wiegelt
Justiziar Schanow ab. Niemand alarmier­
te die übrigen Hausbesitzer, niemand
entfernte die kontaminierten Baustoffe
aus den Gebäuden.
„Es wird jeden Tag schlimmer“
Patient null trägt den sperrigen Namen
Alhambra Pod 15, Lot 24, Block H. Von
dieser Baustelle in Florida aus nahm das
Unheil im Jahr 2006 seinen Lauf. Mit­
arbeiter der Baufirma WCI Communities
Wo gibt's Gips?
Wo
Wo gibt's
gibt's Gips?
Gips?
Gipskartonplattenproduktion
2008, Anteile in Prozent
Gipskartonplattenproduktion
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Quelle (2): „Global Gypsum
Magazine“
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Angeknackst
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Umsätze der Knauf-Gruppe in Mrd. Euro
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Knauf
Quelle:
Quelle: Knauf
Knauf
Laborversuch: Bausachverständige
haben Proben von Knauf-Gipskartonplatten getestet. Das Ergebnis:
Schwefelverbindungen im Material
lassen Kabel und andere Metallteile korrodieren. Als Folge spielt
die Hauselektrik verrückt
bemerkten einen Ölgeruch an den
Wänden eines Neubaus.
WCI beschwerte sich beim
Lieferanten der Knauf­Platten, der
Firma Banner Supply aus Miami.
Banner wiederum wandte sich an
den Zwischenhändler Salomon
Abadi, der den Import der Knauf­
Platten aus China vermittelt hatte.
„Salomon, bitte benachrichtigen Sie
Knauf darüber, dass wir ein Problem
mit einem schlechten Geruch ha­
ben, der aus ihren Platten kommt“,
schrieb ein Banner­Mitarbeiter am
27. Oktober 2006. Vier Stunden spä­
ter schrieb Abadi zurück, er benö­
tige „mehr Details“, um sich mit
Knauf auszutauschen.
Die Details schickte ihm Ban­
ner­Chef Donald Coblentz höchst­
persönlich. „Ich habe ein Riesen­
problem“, schrieb der. Zwei der
„größten Bauunternehmer“, denen
er die Knauf­Platten geliefert hatte,
würden „Panik schieben“ und da­
mit drohen, die Wände aus allen
Häusern herauszureißen. „Es wird
jeden Tag schlimmer.“
Etwas mehr als eine Woche dau­
erte es, bis sich Knauf der Tragweite
des Problems bewusst wurde. „Die
Situation in Miami ist außer Kont­
rolle“, schrieb eine Assistentin an
Mark Norris, den Geschäftsführer
von Knauf Tianjin. „Das wird ein
großes Problem, nicht nur in Miami,
sondern auf dem gesamten US­
Markt. Es betrifft vielleicht Tau­
sende Häuser.“
Perspektive
Gefahr im Verzug
Norris leitete die E­Mail umgehend
an Frederick Knauf, Chef von Knauf
Trading Shanghai, und an Isabel
Knauf weiter. „Irgendwelche Ideen,
wie ich das lösen kann? Ich bekom­
me nur sehr zögerliche Reaktionen
aus Deutschland“, schrieb er. „Es
sieht so aus, als ob das sehr hässlich
und teuer wird.“
Eine Stunde später machte er
noch einmal Druck in Iphofen.
„Anwälte gehen wegen der ‚stinken­
den Platten‘ mit Klagen gegen
Knauf in den USA vor.“ Er brauche
eine Anweisung, was er „ihnen
erzählen“ solle, um „dieses poten­
zielle Problem abzuwenden“.
Jetzt erst dämmerte den Deut­
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Unternehmen: Knauf
82
c 01/2011
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Knauf-Clan Die Gipsdynastie
Fast acht Jahrzehnte lang steuerten Familienmitglieder das deutsche
Baustoffimperium. Nicht immer zum Besten des Unternehmens
»Wir müssen unser
Gesicht zeigen,
weil das ausufert
«
Isabel Knauf in einer E-Mail
an einen Mitarbeiter
Die Knaufs agieren im Stillen. Außerhalb
ihrer Heimat hört man wenig von ihnen,
sie geben sich geradezu bieder. Dabei
zählt die Gips­dynastie aus dem unterfränkischen Iphofen zu den erfolgreichsten Unternehmerfamilien des Landes.
Auf der Liste der reichsten Deutschen
rangieren die Knaufs auf Platz 14. Ihr
­geschätztes Vermögen: 4,3 Mrd. Euro.
Die Geschichte der Familie Knauf ist die
eines Wirtschaftswunders. 1932 gründeten die Brüder Alfons und Karl Knauf
im saarländischen Perl an der Mosel
­eine Firma. Die Gebr. Knauf Rheinische
Gipsindustrie war die Keimzelle der heute weltweit agierenden Knauf Gips KG.
Nach dem Krieg siedelte die Familie
samt Werk nach Iphofen bei Würzburg
um – und wuchs und wuchs, schnell und
­unübersichtlich. Allein in dem 5000-Seelen-Ort beschäftigt Knauf 2000 Mitarbeiter. Weltweit sind es über 22 000 in
150 Werken in über 40 Ländern – darunter Staaten wie Afghanistan, Syrien, Iran
oder Algerien. Mit Baustoffen aus Gips,
Dämm- und Isolierstoffen, bauchemischen Produkten, Formteilen und Ver­
packungen erwirtschaftet Knauf einen
Jahresumsatz von 5 Mrd. Euro. Bei Gipskartonplatten ist das Familienunter­
nehmen die Nummer drei hinter den
Konzernen Saint-Gobain und USG.
In kaum einer anderen deutschen Firma
sind die Mitglieder der Familie so stark
Unternehmen: Knauf
84 c 01/2011
eingebunden wie bei Knauf. Ein Dutzend Knaufs arbeiten in dem weltweit
verzweigten Firmennetz in ­leitenden
Positionen. 25 Mitglieder hat die Familiengesellschaft, die bis 2008 wechselweise von Nikolaus Knauf, 74, dreifacher
Familienvater und Hobbygolfer, und
­seinem Vetter Baldwin, 72, geleitet wurde. Die beiden Söhne der Gründer übernahmen Ende der 60er das Ruder und
sind maßgeblich verantwortlich für den
rasanten Aufstieg der Firma.
In Iphofen, das seinen Wohlstand zum
Großteil den Knaufs verdankt, sind sie
wer. 30 Jahre lang waren sie als CSUKommunalpolitiker aktiv und machen
auf volksverbunden. Nehmen am
­Königsschießen und Festumzügen teil,
und Nikolaus lädt jedes Jahr die Historische Burschenschaft zur Vesper in seinen Schlosshof. Er kurvt im gipsfarbenen Cadillac durch die Gegend, wahlweise im Bentley. Im Nebenjob ist er
Russlands Honorarkonsul in Franken.
Vor drei Jahren legten sie die Geschicke
des Unternehmens erstmals in die Hände von Fremdmanagern: Hans Peter Ingenillem, der sich seit knapp 20 Jahren
um die ­Finanzen des Konzerns kümmert,
und Manfred Grundke, der zuvor Vorstandschef des Hydraulikanlagenbauers
Bosch Rexroth war. Von ihren Vorgängern erbten sie viele Probleme, allen voran die Kartellverfahren.
Drei Analysen und ein Vergleich
In Florida angekommen, traf Hummel
Zwischenhändler Salomon Abadi und
Banner-Chef Donald Coblentz. Gemein­
sam inspizierten sie Häuser, in denen
Knauf-Platten verbaut worden waren.
Hummel „nahm Proben in einem Koffer
mit“, sagte Coblentz später in einer Ver­
nehmung.
Die Proben wurden sowohl vom
Fraunhofer-Institut als auch intern bei
Knauf analysiert. Als Ursache für den Ge­
ruch wurde ein erhöhter Schwefelgehalt
in den Platten festgestellt. Zusätzlich ließ
die chinesische Konzerntochter KPT auf
Anraten amerikanischer Anwälte im No­
∂
vember 2006 eine Untersuchung
Wirtschaftswoche/ Klaus Weddig
Vetternwirtschaft: Nikolaus (l.) und Baldwin Knauf haben das Sagen in der Familie
war. Knauf alarmierte den Chef der Ent­
wicklungsabteilung, Hans-Ulrich Hum­
mel, der gerade zufällig auf Geschäfts­
reise in den USA war. In Chicago kontrol­
lierte er Proben der fraglichen Platten.
Ohne Instrumente konnte Hummel nur
einen „süßen Geruch“ ausmachen, also
schickte er die Proben nach Iphofen, „wo
wir sehr schnell die Beschaffenheit des
Geruchs durch Gaschromatographie un­
tersuchen werden“, berichtete er in einer
E-Mail.
Einen Tag später, Hummel war inzwi­
schen nach San Diego weitergereist,
wandte sich Isabel Knauf mit einem
­Hilferuf an ihn: „Wir müssen unser Ge­
sicht zeigen, weil das ausufert.“ Chemie­
professor Hummel war sich „der großen
Probleme mit Knauf-Platten aus China
bewusst“, wie er später in einer E-Mail
schrieb, wollte sich aber nur ungern ein­
spannen lassen, ohne das Problem gründ­
lich untersucht zu haben. Isabel Knauf
bekniete ihn: „Bitte, großes Bitte mit
­Zucker obendrauf, machen Sie diesen
Besuch!“
Widerwillig erklärte Hummel sich
­bereit, am folgenden Tag nach Miami zu
fliegen. „Bitte bedenken Sie aber, dass ich
dort eigentlich nur als Verlierer auftreten
kann“, ließ er Isabel Knauf um elf Uhr
abends noch wissen.
Umsonst motiviert: In den USA stießen die
­dynamischen Franken an ihre Grenzen
Unternehmen: Knauf
86 c 01/2011
Amerikahandel
­Abenteuer Wildwest
Was deutsche Unternehmen bei
Geschäften in den USA beachten
müssen
ƒ Haftung begrenzen „Der wich­
tigste Schritt ist die Gründung einer
US-Tochtergesellschaft mit begrenzter Haftung“, sagt Henry Roske von
der Kanzlei H. Roske & Associates LLP,
die deutsche Unternehmen auf dem
US-Markt berät. Dafür biete sich der
Bundesstaat Delaware an, der sei
kostengünstig und flexibel. Die Tochter schließt die Verträge in den USA
ab. „Somit bleibt die Vertragshaftung
schon mal auf die USA begrenzt.“
ƒ Restrisiko bedenken „Produkt­
haftung ist in den USA aber immer
Herstellerhaftung“, warnt Roske.
Wenn das Produkt in Deutschland
hergestellt wurde, nütze auch die USTochter nicht als Puffer. Im Klagefall
ist dann der deutsche Hersteller dran.
ƒ Anleitungen anpassen Bei Schadensersatzklagen geht es meist um
eine mangelhafte Anleitung, die zu
Unfällen führt. „99,9 Prozent der
deutschen Bedienanleitungen würden dem US-Markt nicht gerecht“,
sagt Roske. Kommt es zu Verletzungen beim Aufbau, der Bedienung
oder der Wartung und die Anleitung
hat auf diese Gefahren nicht hingewiesen, „dann ist stets die deutsche
Zentrale dran“. Anleitungen müssen
auch auf Spanisch verfasst sein.
ƒ Klagefreude einkalkulieren „Das
ganze System der Sammelklagen ist
pervertiert“, sagt Roske. „Es ist ein betrügerisches Erpressungselement.“
Da dem Kläger keine Kosten entstehen, sind die Amerikaner sehr klagefreudig und die Laienjurys dem
­Kläger oft wohlgesinnt. Gerade wenn
es gegen ausländische Firmen gehe,
sagt Roske. Deshalb muss die Produktbeschreibung so gut sein, dass
es im besten Fall gar nicht zu Un­
fällen kommt. Oder im Schadenfall
kein Anwalt das Mandat übernimmt,
weil er keine Chance auf Erfolg
sieht – denn nur dann verdient er.
lichen Auseinandersetzung stellt – anders
als die chinesischen Staatsbetriebe, die
laut Grundke „gut verdient haben und
nun verschwunden sind“.
Auf die Lösung der ersten Fälle hat
sich KPT kürzlich mit der Klägerseite
­verständigt. In einem Pilotprojekt sollen
300 Häuser renoviert werden. Allerdings
werden nur Gebäude berücksichtigt, bei
denen zu mindestens 95 Prozent KnaufPlatten zum Einsatz kamen. Wer weniger
Material vorweist, hat Pech. Zudem un­
terschreibt der Bauherr, der das Angebot
annimmt, keine weiteren Schadens­
ersatzansprüche an Knauf zu stellen.
Das Restrisiko ist immens
Knauf kalkuliert im Schnitt mit 100 000
Dollar Reparaturaufwand pro Haus –
macht 30 Mio. Dollar Gesamtkosten. „Die
zahlen wir nicht aus der Portokasse“, sagt
Grundke und beeilt sich hinterherzuschie­
ben: „Aber wir müssen deswegen keine
geplanten Investitionen hintanstellen.“
Bei den 30 Mio. Dollar wird es jedoch
kaum bleiben. Tausende Kläger warten
noch darauf, einen Vergleich herauszu­
handeln. Hinzu kommen neben den hor­
renden Anwaltskosten die Forderungen,
die Bauunternehmer an Knauf richten,
weil auch sie von ihren Kunden haftbar
gemacht werden.
Beazer Homes hat 26 Mio. Dollar zu­
rückgestellt, um Forderungen zu bedie­
nen, die etwa 30 Häuser betreffen, in
denen das Unternehmen chinesische
Gipsplatten verschiedener Hersteller ins­
talliert hatte. Knapp 140 Mio. Dollar hält
der Baukonzern Lennar für etwa 890
Häuser vor.
Mit den beiden habe Knauf sich be­
reits geeinigt, sagt Schanow, will aber
nicht beziffern, wie viel gezahlt wurde.
An den Lieferanten L&W Supply, eine
Tochter des Gipsriesen USG, hatte Knauf
2009 bereits 532 000 Dollar überwiesen,
als erste Anzahlung. „Wir werden auch
weiterhin für alle Kosten, die wir erleiden,
von den Herstellern Entschädigung for­
dern“, heißt es von USG.
Bei Knauf beten sie, dass die Sache
einigermaßen glimpflich ausgeht. Ge­
schäftsführer Grundke räumt ein, dass
sein Unternehmen auf die Spielregeln in
den USA schlecht vorbereitet war. Eines
habe er aus der Sache gelernt: „Sie kön­
nen nicht mit der Einstellung eines euro­
päischen Fußballers auf ein AmericanFootball-Feld gehen und erwarten, dass
√
Sie gewinnen.“
Laif/ Theodor Barth
erstellen, die zu dem Ergebnis kam, dass
die Platten zwar schwefelhaltige Ver­
bindungen verströmen können. Diese
erreichten angeblich aber keine Konzen­
trationen, die als „besorgnis­erregend für
die öffentliche Gesundheit“ einzuschät­
zen seien. Bis heute vertritt Knauf die
Position, dass die Platten aus Tianjin kei­
ne Gesundheitsprobleme verursachen.
Kurz darauf, im Januar 2007, einigte
sich KPT mit Banner Supply auf einen
Vergleich, der von der Zentrale in Iphofen
abgesegnet wurde. „Knauf Tianjin ist zu
dem Schluss gekommen, dass es in sei­
nem besten Interesse ist, jede langwierige,
zeitraubende und kostspielige Auseinan­
dersetzung zu vermeiden“, heißt es in
dem vertraulichen Dokument. Knauf er­
klärte sich bereit, die von Banner noch
nicht ausgelieferte Ware durch amerika­
nische Produkte zu ersetzen, Kosten:
557 000 Dollar.
Die angeblich harmlosen Platten wur­
den in einem Lager in Florida wegge­
schlossen. Im Gegenzug verpflichtete sich
Banner, sich zu „wahrgenommenem oder
tatsächlichem Geruch oder Gesundheits­
risiko im Zusammenhang mit Knauf-­
Tianjin-Gipsplatten“ nicht zu äußern. Für
Knauf schien die Sache damit erledigt.
Vier Jahre und einige Tausend Klagen
später sagt Knauf-Geschäftsführer
Grundke: „Wir wollen uns nicht aus der
Affäre ziehen.“ Wenn die chinesische
Tochtergesellschaft den Schadensersatz
allein nicht stemmen könne, „werden
wir KPT finanziell so ausstatten, dass die
Firma diese Fälle lösen kann“. Tatsächlich
ist die chinesische Knauf-Gesellschaft der
einzige Hersteller verschmutzter chine­
sischer Gipsplatten, der sich der recht­