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Der China-Kracher Tragweite der Vorgänge in den USA und China – und gibt sich einsichtig. „Da sind viele Faktoren unglücklich zusam mengekommen“, sagt Hans Peter Inge nillem, einer der beiden Geschäftsfüh rer. Sein Counterpart Manfred Grund ke ergänzt: „Ich verstehe, dass die Leu te verärgert sind. Unseren nachgewie senen Anteil an den berechtigten Bean standungen werden wir regulieren.“ Die Ursprünge des Desasters datie ren auf Anfang 2006. Damals stieg in den USA die Nachfrage nach Gips platten sprunghaft an. Die Wirbelstür me „Katrina“ und „Rita“ hatten ganze Knauf. Der Gipskonzern aus Franken wollte beim Bauboom in den USA kräftig mitverdienen. Doch die Platten, die er aus China lieferte, waren verunreinigt. Nun klagen Tausende Hausbesitzer auf Schadensersatz. Ein Lehrstück über die Fallstricke der Globalisierung Richard Kampf erinnert sich genau an den heißen Herbst vor zwei Jahren. 39 Grad zeigte das Thermometer in Cape Coral an Floridas Golfküste – und wieder war die Klimaanlage in seinem Haus ausgefallen. Zum 14. Mal schon. Unterm Dach wühlte sich der Techni ker durch die Verkabelung. Seit dem Einzug im Jahr zuvor be reitete das neue Heim Ärger. Nicht nur die Klimaanlage machte Sperenzchen, Kampfs Hals fühlte sich rau an, der 57Jährige hatte Hustenanfälle und Nasenbluten. Seine Frau Pat litt unter trockenen Augen, sie musste ständig Tropfen benutzen. Seine gesamten Ersparnisse hatte Kampf in das Haus gesteckt, 319 000 Dollar, und niemand konnte ihm er klären, was los war. Bis der Techniker von oben rief: „Ich glaube, ich habe die Unternehmen: Knauf 78 c 01/2011 Ursache gefunden: Sie haben hier chi nesische KnaufGipsplatten.“ Richard Kampf ist einer von mehr als 2500 Amerikanern, die den deut schen Baustoffhersteller zur Rechen schaft ziehen wollen. Seit dem Ausbau ihrer Häuser mit KnaufPlatten bekla gen sie Probleme mit Schwefelgasen. Elektrische Leitungen korrodieren, Ar maturen und Rohre verfärben sich schwarz. Viele der Betroffenen berich ten von Gesundheitsbeschwerden. Die Klagen sind in einem Bezirksgericht in Louisiana zusammengefasst, in einer der berüchtigten „class actions“. Knauf befindet sich im Zentrum eines der größten Produkthaftungsfälle der vergangenen Jahre. Im Raum ste hen Schadensersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe. Tausende Hausbesitzer fordern Kompensation für erlittene Schäden durch Gipskar tonplatten, die zwischen 2005 und 2007 aus China importiert wurden. Ein Fünftel der Platten stammt von Knauf Plasterboard Tianjin (KPT), einer chi nesischen Tochterfirma des deutschen Konzerns. Haben die Kläger Erfolg, wäre das eine Katastrophe für das Familienunternehmen. Jahrzehntelang galt Knauf als Mus terbeispiel des weltweit erfolgreichen deutschen Mittelständlers. Das Unter nehmen aus Iphofen bei Würzburg ist in mehr als 40 Ländern vertreten, in rund 150 Werken stellt es Gipsproduk te her, seit Mitte der 90erJahre auch in China. Im laufenden Geschäftsjahr wird der Umsatz auf rund 5 Mrd. Euro klettern. Doch der Erfolg machte die Fran ken blind. Lücken bei der Qualitäts kontrolle, mangelndes Risikobewusst sein, ein miserables Krisenmanage ment und der Versuch, Probleme kleinzureden, führten dazu, dass der Konzern zum Opfer seiner Globalisie rungsstrategie wurde. In der weitläufigen Zentrale am Ortsrand von Iphofen weiß man um die Bei der USVerbraucherschutzbehörde CPSC haben sich inzwischen über 3700 Menschen aus 40 Bundesstaaten gemeldet, die über Baumängel durch schadhafte Gipskartonplatten von KPT und anderen Herstellern klagen. Die investigative Nachrichtenorganisation Propublica hat alle bekannten Daten überprüft und zählt mindestens 7200 gemeldete Fälle. Die Dunkelziffer könnte sogar weit höher liegen. Die Ratingagentur Moody’s schreibt in einem Report von bis zu 100 000 Häusern, in denen seit 2004 chinesische Gipsplatten verbaut wurden. Die Unternehmensberatung Towers Watson schätzt, dass sich allein der Sachschaden insgesamt zwischen 8 und 10 Mrd. Dollar bewegen könnte, der gesamtwirtschaftliche Schaden so gar bei bis zu 25 Mrd. Dollar. Weil vor allem die südlichen Bundesstaaten Flo rida und Louisiana betroffen sind, in denen jedes Jahr im Spätsommer die Wirbelstürme wüten, sprechen viele bereits von einem „stillen Hurrikan“. Konflikte und Querelen Laif/Polaris Text: Christian Salewski, Mitarbeit: Jens Brambusch Fotos: Greg Kahn Landstriche verwüstet. Zugleich steu erte der Bauboom auf seinen Höhe punkt zu. Der chinesischen Knauf Tochter KPT kam die Extranachfrage recht. Sie verschiffte 4,5 Millionen Quadratmeter Gipsplatten, rund ein Viertel der Jahresproduktion aus Tian jin, nach Amerika. „Diese Lieferungen waren kein gu tes Geschäft“, sagt Ingenillem zer knirscht. Die Bitterkeit ist angebracht, denn der Kaufmann weiß, dass die Sa che eine Dimension annehmen könnte, die selbst ein Unternehmen von der Größe Knaufs in Bedrängnis bringt. Platten, Pech und Pannen: Pat und Richard Kampf ließen ihr Haus in Florida mit Gipskartonplatten von Knauf ausbauen. Dann begannen die Probleme Der Vergleich mit der Naturkatastrophe hinkt. Auch wenn man in Iphofen den Eindruck erwecken will, unglück lich in die Sache hineingeschliddert zu sein: Das Problem ist größtenteils selbst verschuldet. Knauf hat bereits einige Skandale durchlitten. Im Jahr 2002 verhängte ∂ die EUKommission ein Bußgeld seine Reinheit getestet. Nicht so in China. Kontrolleure der US-Behörden waren schockiert, als sie 2009 Minen in Shan dong besuchten und feststellten, dass Arbeiter die Gesteinsbrocken per Hand sortierten. „Sie haben keinerlei Tests durchgeführt, sie haben die Steine nur angeschaut, das ist lächerlich“, erinnert sich einer, der dabei war. Auch bei der Eingangskontrolle in Tianjin fiel das kontaminierte Material nicht auf. Auf Verunreinigungen mit Schwefel sei der Naturgips bis 2006 nicht getestet worden, weil es zuvor nie ein Problem damit gegeben habe, räumt Knauf-Justiziar Jörg Schanow ein. Verstolperter Markteinstieg Weil der Pfusch hierzulande zunächst keinem auffiel, hegte auch niemand Befürchtungen, dass eine Lieferung in die USA Probleme verursachen könnte. So stolperte KPT mit den kontaminierten Gipsplatten ohne ausreichende Absiche rung auf den Markt mit dem schärfsten Produkthaftungsrecht weltweit. KPT verzichtete nicht nur auf den Ab schluss einer Produkthaftpflichtversiche rung, wie sie Experten bei Geschäften in den USA dringend empfehlen. Die KnaufTochter ließ sich überdies auf einen Im porteur ein, der als Ein-Mann-Betrieb kaum imstande war, einen Teil des Haf tungsrisikos zu übernehmen. Anfangs Hier nahm das Unglück seinen Lauf: Das Knauf-Werk in Tianjin ist eines von dreien in China. Bei der Eingangskontrolle fiel der minderwertige Gips aus einer Staatsmine nicht auf Unternehmen: Knauf 80 c 01/2011 Friedensengel: Die Knauf-Geschäftsführer Hans Peter Ingenillem und Manfred Grundke haben mit 300 Familien Vergleiche geschlossen hatte Knauf seine Produkte noch über den amerikanischen Gipsgiganten USG in den USA vertrieben. Doch „weil USG uns miserable Preise bot“, wie es in einer internen E-Mail heißt, wechselte Knauf im Frühjahr 2006 zum Zwischenhändler Salomon Abadi, der „erheblich mehr zahlte als USG“. Offenbar fühlten sich die Knauf- Verantwortlichen ausreichend geschützt. Als Baufirmen später erstmals mit Klagen drohten, beschwichtigte Isabel Knauf in einer E-Mail: „Wir haben lediglich einen Vertrag mit Salomon, nicht mit einer dritten Partei.“ Etwaige Klagen müssten zudem in Tianjin verhandelt werden. Ein folgenschwerer Irrtum. „Geschä digte in den USA können Ansprüche ge gen den Hersteller geltend machen, auch wenn der in keinem direkten Vertrags verhältnis mit ihnen steht“, so Thomas Rinne von der Frankfurter Anwaltskanz lei v. Einem & Partner, die deutsche Ex porteure berät. Bei der Einschätzung, was nach Be kanntwerden der ersten Fälle zu tun sei, patzte Knauf erneut: Anstatt sämtliche fehlerhaften Platten unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen, hielt man lieber bis auf Weiteres still. Die ersten Beschwerden von Haus besitzern erreichten die Verbraucher schutzbehörde CPSC im Dezember 2008. Knauf war bereits seit November 2006 ∂ darüber informiert, dass es mit den Wirtschaftswoche/ Klaus Weddig; Imaginechina von knapp 86 Mio. Euro wegen unzu lässiger Preisabsprachen. Der Konzern wehrte sich dagegen, dass die Knauf Gips KG für das Verhalten der Gebr. Knauf Verwaltungsgesellschaft, also der Dach holding der Gruppe, verantwortlich sein soll, und zog bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Doch im vergange nen Sommer bestätigte der EuGH letzt instanzlich die Strafzahlung. Noch während das Verfahren in Brüs sel lief, filzte das Bundeskartellamt die Firmenzentrale. Diesmal ging es um Preisabsprachen im Mörtelsegment. Wie der zahlte Knauf: diesmal 10 Mio. Euro. Im Juli 2009 sorgte ein Schreiben von Isabel Knauf, einer Enkelin des Gründers Alfons Knauf, international für Irritatio nen – besonders in den USA. In dem Brief an die Angestellten einer Tochterfirma im Iran drohte die Leiterin des Asiengeschäfts mit Entlassungen, sollten sich Mitarbei ter an Demonstrationen gegen die Regie rung beteiligen. Knauf räumte später ein, das Schreiben sei „unglücklich formu liert“ gewesen. „Unglücklich“ bezeichnet auch tref fend die Art, wie sich Knauf im Fall der schadhaften Platten in den USA verhal ten hat. Der Gips, den Knauf für seine Produk tion in Tianjin verwendet hat, stammt aus einer staatlichen Mine in der Provinz Shandong. In westlichen Gipsminen wird der Naturstein mit Prüfinstrumenten auf Platten Probleme gab. Aus internen EMails, vereidigten Zeugenaussagen und vertraulichen Dokumenten lässt sich re konstruieren, dass Knauf um das poten zielle Ausmaß der Gipsverunreinigungen wusste. In der Tat bestreitet in Iphofen nie mand, von den Vorgängen gewusst zu haben. Sie werden aber heruntergespielt: Ende 2006 habe es „nur wenige Haus eigentümer“ gegeben, die über Schwefel geruch in ihren Häusern klagten, wiegelt Justiziar Schanow ab. Niemand alarmier te die übrigen Hausbesitzer, niemand entfernte die kontaminierten Baustoffe aus den Gebäuden. „Es wird jeden Tag schlimmer“ Patient null trägt den sperrigen Namen Alhambra Pod 15, Lot 24, Block H. Von dieser Baustelle in Florida aus nahm das Unheil im Jahr 2006 seinen Lauf. Mit arbeiter der Baufirma WCI Communities Wo gibt's Gips? Wo Wo gibt's gibt's Gips? Gips? Gipskartonplattenproduktion 2008, Anteile in Prozent Gipskartonplattenproduktion Gipskartonplattenproduktion 2008, 2008, Anteile Anteile in in Prozent Prozent �� �� �� �� sonstige USA �� �� sonstige USA sonstige USA Gesamt Gesamt �,�� Mio Gesamt 2 �,�� Mio mMio �,�� � Russland m22 � m � Russland Russland � Großbritannien � � Großbritannien Großbritannien � Deutschland �� � Deutschland �� China � Deutschland �� � Japan China China � Japan Japan � Unter Riesen Unter Unter Riesen Riesen Gipskartonplattenhersteller nach Produktionsmenge Gipskartonplattenhersteller nach Produktionsmenge Produktionsmenge 2008 weltweit in Prozent nach Gipskartonplattenhersteller 2008 weltweit weltweit in in Prozent Prozent 2008 �� �� �� �� sonstige Saint�� �� sonstige SaintGobain (F) sonstige SaintGobain (F) (F) Gobain � � National Gypsum (USA) � National National Gypsum Gypsum (USA) (USA) �� �� Knauf (D) �� Knauf (D) (D) Knauf �� �� USG �� USG (USA) USG (USA) (USA) �� Lafarge �� (F) �� Lafarge (F) Lafarge (F) Quelle (2): „Global Gypsum Magazine“ Quelle Quelle (2): (2): „Global „Global Gypsum Gypsum Magazine“ Magazine“ Angeknackst Angeknackst Angeknackst Umsätze der Knauf-Gruppe in Mrd. Euro Umsätze Umsätze der der Knauf-Gruppe Knauf-Gruppe in in Mrd. Mrd. Euro Euro �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� �,� � 04 05 06 07 � � 03 03 04 05 06 07 03 04 05 06 07 08 08 08 09 09 Quelle:09 Knauf Quelle: Quelle: Knauf Knauf Laborversuch: Bausachverständige haben Proben von Knauf-Gipskartonplatten getestet. Das Ergebnis: Schwefelverbindungen im Material lassen Kabel und andere Metallteile korrodieren. Als Folge spielt die Hauselektrik verrückt bemerkten einen Ölgeruch an den Wänden eines Neubaus. WCI beschwerte sich beim Lieferanten der KnaufPlatten, der Firma Banner Supply aus Miami. Banner wiederum wandte sich an den Zwischenhändler Salomon Abadi, der den Import der Knauf Platten aus China vermittelt hatte. „Salomon, bitte benachrichtigen Sie Knauf darüber, dass wir ein Problem mit einem schlechten Geruch ha ben, der aus ihren Platten kommt“, schrieb ein BannerMitarbeiter am 27. Oktober 2006. Vier Stunden spä ter schrieb Abadi zurück, er benö tige „mehr Details“, um sich mit Knauf auszutauschen. Die Details schickte ihm Ban nerChef Donald Coblentz höchst persönlich. „Ich habe ein Riesen problem“, schrieb der. Zwei der „größten Bauunternehmer“, denen er die KnaufPlatten geliefert hatte, würden „Panik schieben“ und da mit drohen, die Wände aus allen Häusern herauszureißen. „Es wird jeden Tag schlimmer.“ Etwas mehr als eine Woche dau erte es, bis sich Knauf der Tragweite des Problems bewusst wurde. „Die Situation in Miami ist außer Kont rolle“, schrieb eine Assistentin an Mark Norris, den Geschäftsführer von Knauf Tianjin. „Das wird ein großes Problem, nicht nur in Miami, sondern auf dem gesamten US Markt. Es betrifft vielleicht Tau sende Häuser.“ Perspektive Gefahr im Verzug Norris leitete die EMail umgehend an Frederick Knauf, Chef von Knauf Trading Shanghai, und an Isabel Knauf weiter. „Irgendwelche Ideen, wie ich das lösen kann? Ich bekom me nur sehr zögerliche Reaktionen aus Deutschland“, schrieb er. „Es sieht so aus, als ob das sehr hässlich und teuer wird.“ Eine Stunde später machte er noch einmal Druck in Iphofen. „Anwälte gehen wegen der ‚stinken den Platten‘ mit Klagen gegen Knauf in den USA vor.“ Er brauche eine Anweisung, was er „ihnen erzählen“ solle, um „dieses poten zielle Problem abzuwenden“. Jetzt erst dämmerte den Deut ∂ schen, dass Gefahr im Verzug Beste Aussichten für Ihr Unternehmen: Ihre Ideen und unsere Expertise bilden zusammen die Grundlage für Ihren Erfolg. Denn wir sind die Bank für den Mittelstand – kompetent, partnerschaftlich, zuverlässig. · www.postbank.de/firmenkunden · 0180 3040636 (9 Cent/Min.)* · Firmenkundenbetreuung PB Firmenkunden AG, 53113 Bonn Ihre Pläne. Unsere Lösungen. Unternehmen: Knauf 82 c 01/2011 * Der Preis bezieht sich auf Anrufe aus dem deutschen Festnetz; Mobilfunktarif maximal 42 Cent/Minute. Knauf-Clan Die Gipsdynastie Fast acht Jahrzehnte lang steuerten Familienmitglieder das deutsche Baustoffimperium. Nicht immer zum Besten des Unternehmens »Wir müssen unser Gesicht zeigen, weil das ausufert « Isabel Knauf in einer E-Mail an einen Mitarbeiter Die Knaufs agieren im Stillen. Außerhalb ihrer Heimat hört man wenig von ihnen, sie geben sich geradezu bieder. Dabei zählt die Gipsdynastie aus dem unterfränkischen Iphofen zu den erfolgreichsten Unternehmerfamilien des Landes. Auf der Liste der reichsten Deutschen rangieren die Knaufs auf Platz 14. Ihr geschätztes Vermögen: 4,3 Mrd. Euro. Die Geschichte der Familie Knauf ist die eines Wirtschaftswunders. 1932 gründeten die Brüder Alfons und Karl Knauf im saarländischen Perl an der Mosel eine Firma. Die Gebr. Knauf Rheinische Gipsindustrie war die Keimzelle der heute weltweit agierenden Knauf Gips KG. Nach dem Krieg siedelte die Familie samt Werk nach Iphofen bei Würzburg um – und wuchs und wuchs, schnell und unübersichtlich. Allein in dem 5000-Seelen-Ort beschäftigt Knauf 2000 Mitarbeiter. Weltweit sind es über 22 000 in 150 Werken in über 40 Ländern – darunter Staaten wie Afghanistan, Syrien, Iran oder Algerien. Mit Baustoffen aus Gips, Dämm- und Isolierstoffen, bauchemischen Produkten, Formteilen und Ver packungen erwirtschaftet Knauf einen Jahresumsatz von 5 Mrd. Euro. Bei Gipskartonplatten ist das Familienunter nehmen die Nummer drei hinter den Konzernen Saint-Gobain und USG. In kaum einer anderen deutschen Firma sind die Mitglieder der Familie so stark Unternehmen: Knauf 84 c 01/2011 eingebunden wie bei Knauf. Ein Dutzend Knaufs arbeiten in dem weltweit verzweigten Firmennetz in leitenden Positionen. 25 Mitglieder hat die Familiengesellschaft, die bis 2008 wechselweise von Nikolaus Knauf, 74, dreifacher Familienvater und Hobbygolfer, und seinem Vetter Baldwin, 72, geleitet wurde. Die beiden Söhne der Gründer übernahmen Ende der 60er das Ruder und sind maßgeblich verantwortlich für den rasanten Aufstieg der Firma. In Iphofen, das seinen Wohlstand zum Großteil den Knaufs verdankt, sind sie wer. 30 Jahre lang waren sie als CSUKommunalpolitiker aktiv und machen auf volksverbunden. Nehmen am Königsschießen und Festumzügen teil, und Nikolaus lädt jedes Jahr die Historische Burschenschaft zur Vesper in seinen Schlosshof. Er kurvt im gipsfarbenen Cadillac durch die Gegend, wahlweise im Bentley. Im Nebenjob ist er Russlands Honorarkonsul in Franken. Vor drei Jahren legten sie die Geschicke des Unternehmens erstmals in die Hände von Fremdmanagern: Hans Peter Ingenillem, der sich seit knapp 20 Jahren um die Finanzen des Konzerns kümmert, und Manfred Grundke, der zuvor Vorstandschef des Hydraulikanlagenbauers Bosch Rexroth war. Von ihren Vorgängern erbten sie viele Probleme, allen voran die Kartellverfahren. Drei Analysen und ein Vergleich In Florida angekommen, traf Hummel Zwischenhändler Salomon Abadi und Banner-Chef Donald Coblentz. Gemein sam inspizierten sie Häuser, in denen Knauf-Platten verbaut worden waren. Hummel „nahm Proben in einem Koffer mit“, sagte Coblentz später in einer Ver nehmung. Die Proben wurden sowohl vom Fraunhofer-Institut als auch intern bei Knauf analysiert. Als Ursache für den Ge ruch wurde ein erhöhter Schwefelgehalt in den Platten festgestellt. Zusätzlich ließ die chinesische Konzerntochter KPT auf Anraten amerikanischer Anwälte im No ∂ vember 2006 eine Untersuchung Wirtschaftswoche/ Klaus Weddig Vetternwirtschaft: Nikolaus (l.) und Baldwin Knauf haben das Sagen in der Familie war. Knauf alarmierte den Chef der Ent wicklungsabteilung, Hans-Ulrich Hum mel, der gerade zufällig auf Geschäfts reise in den USA war. In Chicago kontrol lierte er Proben der fraglichen Platten. Ohne Instrumente konnte Hummel nur einen „süßen Geruch“ ausmachen, also schickte er die Proben nach Iphofen, „wo wir sehr schnell die Beschaffenheit des Geruchs durch Gaschromatographie un tersuchen werden“, berichtete er in einer E-Mail. Einen Tag später, Hummel war inzwi schen nach San Diego weitergereist, wandte sich Isabel Knauf mit einem Hilferuf an ihn: „Wir müssen unser Ge sicht zeigen, weil das ausufert.“ Chemie professor Hummel war sich „der großen Probleme mit Knauf-Platten aus China bewusst“, wie er später in einer E-Mail schrieb, wollte sich aber nur ungern ein spannen lassen, ohne das Problem gründ lich untersucht zu haben. Isabel Knauf bekniete ihn: „Bitte, großes Bitte mit Zucker obendrauf, machen Sie diesen Besuch!“ Widerwillig erklärte Hummel sich bereit, am folgenden Tag nach Miami zu fliegen. „Bitte bedenken Sie aber, dass ich dort eigentlich nur als Verlierer auftreten kann“, ließ er Isabel Knauf um elf Uhr abends noch wissen. Umsonst motiviert: In den USA stießen die dynamischen Franken an ihre Grenzen Unternehmen: Knauf 86 c 01/2011 Amerikahandel Abenteuer Wildwest Was deutsche Unternehmen bei Geschäften in den USA beachten müssen ƒ Haftung begrenzen „Der wich tigste Schritt ist die Gründung einer US-Tochtergesellschaft mit begrenzter Haftung“, sagt Henry Roske von der Kanzlei H. Roske & Associates LLP, die deutsche Unternehmen auf dem US-Markt berät. Dafür biete sich der Bundesstaat Delaware an, der sei kostengünstig und flexibel. Die Tochter schließt die Verträge in den USA ab. „Somit bleibt die Vertragshaftung schon mal auf die USA begrenzt.“ ƒ Restrisiko bedenken „Produkt haftung ist in den USA aber immer Herstellerhaftung“, warnt Roske. Wenn das Produkt in Deutschland hergestellt wurde, nütze auch die USTochter nicht als Puffer. Im Klagefall ist dann der deutsche Hersteller dran. ƒ Anleitungen anpassen Bei Schadensersatzklagen geht es meist um eine mangelhafte Anleitung, die zu Unfällen führt. „99,9 Prozent der deutschen Bedienanleitungen würden dem US-Markt nicht gerecht“, sagt Roske. Kommt es zu Verletzungen beim Aufbau, der Bedienung oder der Wartung und die Anleitung hat auf diese Gefahren nicht hingewiesen, „dann ist stets die deutsche Zentrale dran“. Anleitungen müssen auch auf Spanisch verfasst sein. ƒ Klagefreude einkalkulieren „Das ganze System der Sammelklagen ist pervertiert“, sagt Roske. „Es ist ein betrügerisches Erpressungselement.“ Da dem Kläger keine Kosten entstehen, sind die Amerikaner sehr klagefreudig und die Laienjurys dem Kläger oft wohlgesinnt. Gerade wenn es gegen ausländische Firmen gehe, sagt Roske. Deshalb muss die Produktbeschreibung so gut sein, dass es im besten Fall gar nicht zu Un fällen kommt. Oder im Schadenfall kein Anwalt das Mandat übernimmt, weil er keine Chance auf Erfolg sieht – denn nur dann verdient er. lichen Auseinandersetzung stellt – anders als die chinesischen Staatsbetriebe, die laut Grundke „gut verdient haben und nun verschwunden sind“. Auf die Lösung der ersten Fälle hat sich KPT kürzlich mit der Klägerseite verständigt. In einem Pilotprojekt sollen 300 Häuser renoviert werden. Allerdings werden nur Gebäude berücksichtigt, bei denen zu mindestens 95 Prozent KnaufPlatten zum Einsatz kamen. Wer weniger Material vorweist, hat Pech. Zudem un terschreibt der Bauherr, der das Angebot annimmt, keine weiteren Schadens ersatzansprüche an Knauf zu stellen. Das Restrisiko ist immens Knauf kalkuliert im Schnitt mit 100 000 Dollar Reparaturaufwand pro Haus – macht 30 Mio. Dollar Gesamtkosten. „Die zahlen wir nicht aus der Portokasse“, sagt Grundke und beeilt sich hinterherzuschie ben: „Aber wir müssen deswegen keine geplanten Investitionen hintanstellen.“ Bei den 30 Mio. Dollar wird es jedoch kaum bleiben. Tausende Kläger warten noch darauf, einen Vergleich herauszu handeln. Hinzu kommen neben den hor renden Anwaltskosten die Forderungen, die Bauunternehmer an Knauf richten, weil auch sie von ihren Kunden haftbar gemacht werden. Beazer Homes hat 26 Mio. Dollar zu rückgestellt, um Forderungen zu bedie nen, die etwa 30 Häuser betreffen, in denen das Unternehmen chinesische Gipsplatten verschiedener Hersteller ins talliert hatte. Knapp 140 Mio. Dollar hält der Baukonzern Lennar für etwa 890 Häuser vor. Mit den beiden habe Knauf sich be reits geeinigt, sagt Schanow, will aber nicht beziffern, wie viel gezahlt wurde. An den Lieferanten L&W Supply, eine Tochter des Gipsriesen USG, hatte Knauf 2009 bereits 532 000 Dollar überwiesen, als erste Anzahlung. „Wir werden auch weiterhin für alle Kosten, die wir erleiden, von den Herstellern Entschädigung for dern“, heißt es von USG. Bei Knauf beten sie, dass die Sache einigermaßen glimpflich ausgeht. Ge schäftsführer Grundke räumt ein, dass sein Unternehmen auf die Spielregeln in den USA schlecht vorbereitet war. Eines habe er aus der Sache gelernt: „Sie kön nen nicht mit der Einstellung eines euro päischen Fußballers auf ein AmericanFootball-Feld gehen und erwarten, dass √ Sie gewinnen.“ Laif/ Theodor Barth erstellen, die zu dem Ergebnis kam, dass die Platten zwar schwefelhaltige Ver bindungen verströmen können. Diese erreichten angeblich aber keine Konzen trationen, die als „besorgniserregend für die öffentliche Gesundheit“ einzuschät zen seien. Bis heute vertritt Knauf die Position, dass die Platten aus Tianjin kei ne Gesundheitsprobleme verursachen. Kurz darauf, im Januar 2007, einigte sich KPT mit Banner Supply auf einen Vergleich, der von der Zentrale in Iphofen abgesegnet wurde. „Knauf Tianjin ist zu dem Schluss gekommen, dass es in sei nem besten Interesse ist, jede langwierige, zeitraubende und kostspielige Auseinan dersetzung zu vermeiden“, heißt es in dem vertraulichen Dokument. Knauf er klärte sich bereit, die von Banner noch nicht ausgelieferte Ware durch amerika nische Produkte zu ersetzen, Kosten: 557 000 Dollar. Die angeblich harmlosen Platten wur den in einem Lager in Florida wegge schlossen. Im Gegenzug verpflichtete sich Banner, sich zu „wahrgenommenem oder tatsächlichem Geruch oder Gesundheits risiko im Zusammenhang mit Knauf- Tianjin-Gipsplatten“ nicht zu äußern. Für Knauf schien die Sache damit erledigt. Vier Jahre und einige Tausend Klagen später sagt Knauf-Geschäftsführer Grundke: „Wir wollen uns nicht aus der Affäre ziehen.“ Wenn die chinesische Tochtergesellschaft den Schadensersatz allein nicht stemmen könne, „werden wir KPT finanziell so ausstatten, dass die Firma diese Fälle lösen kann“. Tatsächlich ist die chinesische Knauf-Gesellschaft der einzige Hersteller verschmutzter chine sischer Gipsplatten, der sich der recht