Elisabeth Mann Borgese und das Drama der Meere
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Elisabeth Mann Borgese und das Drama der Meere
Slow Food 06_2012 Foto © Buddenbrookhaus 70 Aktuell Elisabeth Mann Borgese und das Drama der Meere Dass es in Zukunft zu einer sehr ernsten Bedrohung der Meere durch die Umwelt kommen würde, war der jüngsten Tochter des Schriftstellers Thomas Mann bereits in den Fünfzigerjahren klar. Jutta Kürtz stellt die „Botschafterin der Meere“ vor, der jetzt eine Ausstellung gewidmet ist. „Ihr Kampf für die Meere war ein Kampf für die Menschen“ – so war es im Nachruf ihrer Familie zu lesen. Und Alexander Proelß, Professor für öffentliches Recht in Trier, schrieb 2012: „Es ging ihr um nichts weniger als um einen grundlegenden Wandel – weg von der Eindimensionalität der vielzitierten Wegwerfgesellschaft, hin zu wirklicher Nachhaltigkeit, zu Solidarität, zu dauerhaftem Frieden und Gerechtigkeit.“ Elisabeth Mann Borgese setzte Signale. Sie, ihr Werk, ihre Ziele sind unvergessen und zeitlos. Das Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum im Buddenbrookhaus in der Hansestadt Lübeck hat der jüngsten Tochter des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Thomas Mann in diesem Sommer eine große Ausstellung gewidmet. Bis Ende Oktober war sie zu sehen, danach wird die Ausstellung in Kiel und in Berlin präsentiert. Im Jahr des zehnten Todestages wurde damit in Zusammenarbeit mit dem GEOMAR, HelmholtzZentrum für Ozeanforschung Kiel, zum ersten Mal das Lebenswerk der einzigartigen Persönlichkeit Elisabeth Mann Borgese umfassend dargestellt. Dabei wird auch erstmalig der in Kanada verwahrte Nachlass in eine Ausstellung einbezogen. Leben und Wirken der 1918 geborenen Politologin und Meeresschützerin sind von einzigartiger Vielseitigkeit und Nachhaltigkeit. Das Meer wurde zu ihrem Lebensinhalt. Schon die Lebensstationen Elisabeth Mann Borgeses sind ein Thema für sich: Die Kindheit in München im großbürgerlichen Haus und prominent-intellektuellen Lebensumfeld der Eltern Thomas und Katia Mann prägten sicher die als „Lieblingstochter“, als geliebtes „Kindchen“ und als „Medi“ in die Literaturgeschichte einge- Ganz nah am Meer Elisabeth Mann Borgeses letzter Wohnort in Sambro Head, Nova Scotia, Kanada, aufgenommen 2012. gangene Jüngste der großen Familie. 1933 emigrierte sie mit den Eltern in die Schweiz, später in die USA. Mit Willensstärke und hoher Intelligenz baute sie sich ihr eigenständiges Leben, unabhängig von dem weltberühmten Vater und den in der Öffentlichkeit agierenden Geschwistern auf. Sie wurde früh ausgebildete Konzertpianistin und heiratete 1939 in den USA den 36 Jahre älteren antifaschistischen Historiker Giuseppe Antonio Borgese, einen Sizilianer, dessen Publikationen sie schon faszinierten, bevor sie ihn persönlich kennenlernte. Das junge Ehepaar bekam zwei Töchter, aber Borgese arbeitete weiter hochpolitisch und entwickelte schließlich an der Universität von Chicago seine Vision einer Weltverfassung. Als internationales Gremium mit weltberühmten Persönlichkeiten wurde das „Komitee für die Weltverfassung“ gegründet – und schon hier war die noch junge Elisabeth Mann Borgese eine starke Mitarbeiterin. Sie schrieb dann auch für die Zeitschrift der so aktiven Idealisten „Common Cause“. Eine Weltregierung schwebte dem Komitee vor und schon damals forderte auch Elisabeth Mann Borgese, dass, um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, Erde, Wasser, Luft und Energie, also sämtliche Ressourcen, zum Gemeinschaftseigentum der Menschheit erklärt werden sollten. Aktiv mischte sich die junge Frau ein, warb welt- Foto © Gaudlitz, Wolf weit Prominente wie Albert Einstein an und wurde schließlich 1950 zur Präsidentin der „International Organisation of World Federalists“ gewählt. Eine 32-Jährige ohne Lehrstuhl, ohne akademischen Titel, wie eine Chronistin vermerkt. Aber eben eine überzeugte, überzeugende Politologin und Weltverbesserin, die in der Folgezeit einiges bewirkte. Bis sich das Leben radikal veränderte. Denn nur zwei Jahre später wurde die politische Situation im Amerika der McCarthy-Ära „bedrückend und besorgniserregend“, wie Thomas Mann schrieb. Der Kalte Krieg herrschte zwischen den USA und der Sowjetunion und sorgte für eine politische Intoleranz, die besonders die deutschen Emigranten schwer traf. 1952 kehrten daher die Manns nach Europa zurück, die Borgeses verließen Amerika im Herbst und gingen nach Florenz. Borgese erhielt eine Professur an der Universität von Mailand. Sein plötzlicher Tod im Dezember desselben Jahres machte Elisabeth Mann Borgese dann leider mit nur 34 Jahren zur Witwe. Mit zwei kleinen Kindern. Elisabeth Mann Borgese übernahm die Chefredaktion internationaler KulturMagazine, auch der UNESCO. Sie begann Novellen und Kurzgeschichten zu veröffentlichen, auch ein Tierbuch (da sie sich intensiv um Hunde und ihre Dressur kümmerte). Dann setzte sie sich in „Ascent of Woman“ (Der Aufstieg der Frau) mit dem Frauenthema auseinander und entwickelte in dem in mehreren Sprachen erschienenen Buch die Utopie einer für Frauen gerechteren Weltund Gesellschaftsordnung. Allerdings in einer für die Sechzigerjahre durchaus strittigen Form. Die Feministinnen konnten das aus dem ja sehr besonderen Leben entwickelte Weltbild kaum teilen, es liest sich auch heute noch eher wie eine autobiographische Befreiungsgeschichte. Aber dann wurde Elisabeth Mann Borgese zur „Botschafterin der Meere“ – ihre Leidenschaft seit Kindertagen wurde ihr Lebensthema. Schon in den Ferien mit ihren Eltern am Mittelmeer, an Nord- und Ostsee hatte die kleine Elisabeth sich von der Zauberwelt im und am Wasser faszinie- 71 ren lassen. In ihren Erinnerungen berichtete sie, dass ihr Vater das Meer zum Leben und Arbeiten gebraucht habe. Er habe ein „Liebesverhältnis“ zum Wasser gehabt, eine große „Ehrfurcht“ vor dessen Weite und Wildheit und sei angesichts der Darstellung frühesten organischen Lebens in unendlicher Meerestiefe im Naturwissenschaftlichen Museum Chicago geradezu in einen „biologischen Rausch“ gefallen. „Dort fing alles an“, erinnerte sich Elisabeth Mann Borgese. Dort in Chicago habe sie die Bedeutung und die Bedrohung der Weltmeere verstanden und sich damals schon aufgerufen gefühlt, sich dem 100% Qualität 100% Darjeeling 100% Bio 100% Transparenz 100% Günstiger Preis Eine Auswahl feiner Darjeelingtees: First Flush, Second Flush, First Flush Gartentee und Grüner Darjeeling, verpackt in einem dunkelgrünen Karton, der das Siegel des Tea Board of India trägt. 4 x 250g für 28 Euro (inkl. Umsatzsteuer, zzgl. 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Globale Entwicklungen, Analysen und Friedensstudien wurden dort erstellt, internationale Konferenzen abgehalten, wie es einst das Weltverfassungs-Komitee vorgemacht hatte. Man holte Elisabeth Mann Borgese, die mit ihrer Kompetenz, ihren Erfahrungen und ihrer Fähigkeit zu interdisziplinärem Denken schnell eine Führungsposition übernahm. 1967 ging ein Ruck durch die Welt. Zwei Seerechtskonferenzen der Vereinten Natio nen hatten die aktuellen weltweiten Ozean probleme zwar diskutiert, waren aber zu keiner Lösung gekommen. Nun hielt Arvid Pardo, UN-Botschafter der Mittelmeerinsel Malta, vor der Generalversammlung eine flammende Rede. Endlich müsse die Bedeutung der Weltmeere für die Menschheit ernst genommen werden. Das traditionelle Seerecht sei überholt. Die Ozeane und ihre Bodenschätze müssten zu ihrem eigenen Schutz und auch im langfristigen Interesse Ausstellung „Elisabeth Mann Borgese und das Drama der Meere“ www.elisabeth-mann-borgese.de der Staaten zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit“ erklärt werden. Alle Ressourcen müssten zum Wohl aller Staaten, auch dem der Entwicklungsländer, bewirtschaftet werden. Elisabeth Mann Borgese sah ihre jahrzehntelangen Forderungen bestätigt: „Es ging für mich von Anfang an um mehr als die Meere. Es war die Chance, unsere Vision und graue Theorie endlich praktisch anzuwenden.“ Die Ozeane konnten das Laboratorium für eine neue Weltordnung werden, aus Utopie wurde Realität. So entwickelte sie die große Konferenz „Pacem in Maribus“ (Friede auf den Meeren). Mit weltweit bedeutenden Experten aller Fakultäten übernahm sie die revolutionäre Aufgabe, eine neue, zukunftsorientierte Seerechtsverfassung zu erarbeiten. Sie wurde 1970 das einzige weibliche GründungsMitglied des „Club of Rome“, der die Welt aufrüttelte mit seinem Buch „Grenzen des Wachstums“. Mit Hilfe der Vereinten Nationen gründete sie das „International Ocean Institute“ auf Malta, wurde deren Direktorin. Sie schaffte es, die Idee des „gemeinsamen Menschheitserbes“ auf die Meere und ihre Bodenschätze zu übertragen – eine interdisziplinäre Denkfabrik für alle Neuansätze innerhalb der Meeresforschung war damit gegründet. Seit 1968 schließlich kämpfte Elisabeth Mann Borgese für die Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen – 1973 fand die Eröffnung statt, ein Jahr später die erste Arbeitssitzung in Caracas/Venezuela. Jährlich fanden sich dann die knapp 160 beteiligten Staaten zu Konferenzen zusammen, 1974 auf Malta. Die „Botschafterin der Meere“ war nicht immer persönlich und in Verantwortung anwesend, diplomatische und organisatorische Strukturen führten dazu – aber ihr Geist, ihre Initiative schufen das Fundament. Unterstützt bei allem wurde sie dabei von dem maltesischen Diplomaten Arvid Pardo, der als „Vater der Seerechtskonvention“ gilt. 1982 endlich wurde die dritte „Seerechtskonvention der Vereinten Nationen“ verabschiedet. 159 Staaten unterzeichneten die Verfassung. Es dauerte allerdings bis 1994, bis alle Staaten das Abkommen ratifizierten. Die Widerstände der betrof- Buddenbrookhaus Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum Mengstr. 4, 23552 Lübeck, Tel 0451. 122 42 40, www.buddenbrookhaus.de fenen Industriestaaten waren einfach zu groß. Elisabeth Mann Borgese schrieb „Mit den Meeren leben“ und „Das Drama der Meere“ und andere Sachbücher und machte so weltweit die Menschen auf die fern scheinenden Probleme aufmerksam. Zumal es ihr nicht einzig um die Meere ging. Ihr ging es um Nachhaltigkeit, um ihre seit der Jugend und seit Beginn ihrer Ehe gewachsene politische und philosophische Vision einer gerechteren Weltordnung. Ihr ging es um die gemeinsame Verantwortung aller, auch jedes Einzelnen gegenüber der jetzt lebenden Menschen in aller Welt und unserer künftigen Generationen. Elisabeth Mann Borgese bezeichnete sich stets auch als „Anwältin der Entwicklungsländer“. Auf der ganzen Welt gründete sie Dependancen ihres maltesischen Ozean-Institutes und nahm so weltweit unüberhörbar den Kampf auf für eine gerechtere Welt und für einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen unserer Welt. Nach ihrem Motto: „Das Meer zwingt, anders zu denken. Wie wir unsere Umwelt zerstören, so zerstören wir unsere Seele.“ In ihren letzten Lebensjahrzehnten schließlich wurde die energiegeladene alte Dame, die niemals studiert hatte, noch Professorin in Santa Barbara in Halifax an der kanadischen Atlantikküste. Sie siedelte sich in einem einsamen Haus hoch über einem Fjord an und übernahm mit 62 Jahren eine Professur für Internationales Seerecht an der Politischen Fakultät der Dalhousie University. Halifax, die neue Heimat, erklärte sie, sei „der beste Platz, den man finden kann, um an Meeresangelegenheiten zu arbeiten. Alles schaut aufs Meer.“ So vermittelte sie ihre sozial-philosophischen Anliegen und ihre beachtlichen Sachkenntnisse Studenten aus aller Welt. Auch einen Ehrendoktor verlieh man ihr, schließlich wurden es fünf. Drei kanadische, ein japanischer, ein rumänischer. Kurz vor ihrem Tod wurde Erika Mann Borgese der breiten Öffentlichkeit bekannt durch das Doku-Drama „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“. Aber ihr Leben, ihr Werk, ihr Wirken ist es, was Elisabeth Mann Borgese über ihren Tod hinaus weltweit wirksam macht. GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Wischhofstr. 1 – 3, 24148 Kiel, Tel 0431. 600-0, www.geomar.de 06.11.2012 – 15.03.2013 Landesvertretung Schleswig-Holstein beim Bund In den Ministergärten 8, 10117 Berlin, Tel 030. 74 68 47-0, www.schleswigholstein.de/LVB/DE/LVB_node.html 04.07. – 16.08.2013