Ponton Evolution I Der schnellste Ponton der Welt! - Motor-Talk

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Ponton Evolution I Der schnellste Ponton der Welt! - Motor-Talk
SPEZIAL MERCEDES-BENZ 180 (W120) / 190 E 2.5-16V EVO I (W201)
Text und Fotos: Sebastian Brühl
Ponton Evolution I
Der schnellste Ponton der Welt!
Eines der grundlegenden und
interessantesten Merkmale der Mercedes-Benz-TuningSzene ist ihr Facettenreichtum: Da gibt es die bekannten, professionellen
Tuner, die die neuesten Stuttgarter Modelle optisch und technisch veredeln. Es gibt daneben die
Hobby-Schrauber, die in den heimischen Garagen an ihren Privatwagen, die häufig schon ein paar Jahre auf dem
Buckel haben, basteln. Nicht zu vergessen wären die lebendigen Oldtimer- und Youngtimer-Gemeinden, die wir als
„Randgruppen“ ebenfalls zur Tuningszene mit dazu zählen. Und dann gibt es da noch die Exoten. Jene Zeitgenossen,
deren Fahrzeuge einfach jeden Mercedes-Freund in ihren Bann ziehen, weil sie so unvergleichlich sind.
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MERCEDES TUNING
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Auch von diesen seltenen Exemplaren
waren im „Mercedes Tuner“ bereits
einige zu sehen.
Man denke beispielsweise an den zum
Hot Rod umgebauten Nachkriegs-170S
oder an den durch die Generationen
vererbten und umfangreich modifizierten „Erstand“-250S der Baureihe W108.
Der hier gezeigte Ponton-Mercedes
nimmt sich dagegen auf den ersten Blick
vergleichsweise langweilig aus. Ein
Ponton mit AMG-Rädern, na toll…
Undercover
Doch dieser Ersteindruck wurde von
seinem Besitzer durchaus beabsichtigt.
Was Egon aus Emden da in Wahrheit auf
die Räder gestellt hat, zählt mit
Sicherheit zum Verrücktesten, Kreativsten und Aufwändigsten, was im
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„Mercedes Tuner“ jemals zu sehen war.
Machen wir es kurz: Unter der Karosse
eines 1954er Mercedes Typ 180 steckt die
komplette Technik eines 190 E 2.5-16V
Evolution I, Baujahr 1986. Pause. Das
muss
man
sich
erst
einmal
vor Augen führen und auf der Zunge
zergehen lassen!
Für den Umbau des Fahrzeugs ist Egon
komplett selbst verantwortlich. Kein
Wunder, ist der Tüftler doch von Beruf
nicht nur KraftfahrzeugmechnikerMeister und KraftfahrzeugelektronikerMeister, sondern auch noch staatlich
geprüfter Kraftfahrzeug-Techniker und
diplomierter Ingenieur der Kraftfahrzeug-Technik. Somit verfügte Egon also
über die besten Voraussetzungen, einen
solchen Umbau nicht nur zu planen,
sondern auch fachmännisch umzusetzen.
16V-Technik im Oldie-Anzug
Seinen Spitznamen Ponton-Mercedes
erhielt der W120 I, weil er der erste Benz
war, der ohne Vollrahmen und separates
Chassis auskam, sondern stattdessen
über einen Aufbau mit selbsttragender
Karosserie, voll integrierte Kotflügeln
und einen rechteckigen Grundriss verfügte. Unter der Motorhaube des von 1953
bis 1957 gefertigten 180ers rumorte ein
Reihen-Vierzylinder mit 1,8 LiternHubraum und 52 PS.
Ein Reihen-Vierzylinder – das ist dann
wohl auch schon die einzige Gemeinsamkeit, die die 180er-Technik mit der
heute unter der klassischen Karosse
steckenden Antriebseinheit hat. Satte
185 PS leistet nämlich das kurzhubige
Triebwerk des ersten „Sechzehnventiler“-
190ers (190E 2.3-16V) und der Rest der
Technik stammt wie bereits erwähnt von
dessen Nachfolger Evolution I. Der Rest
der Technik, das bedeutet: Das FünfgangSportgetriebe (1. Gang links unten), die
gesamte Bodengruppe inklusive Fahrwerk, die Bremsanlage mit ABS, das
komplette Cockpit einschließlich der
Sportsitze sowie die Elektronik, die
beispielsweise auch ein – zugegebenermaßen nicht ganz modernes – Navigationssystem beinhaltet. In den Radkästen
rotieren 7,5x16-zöllige AMG-Felgen mit
Bridgestone-Sportbereifung der ganz
und har nicht 50er Jahre-typischen
Dimensionen 225/45ZR16. Hinten kommen zudem zehn Millimeter starke
Distanzscheiben zum Einsatz.
Alt sind hingegen sämtliche von außen
sichtbaren Karosserieteile sowie die
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Türinnenverkleidungen. Wobei „alt“
hier relativ ist, denn bereits in den Fifties
unterwegs waren lediglich die Dachpartie
und ein kleines, in der Frontpartie eingesetztes, Blech, für die besagter 54er Typ
180 als Teilespender diente. Alle anderen
W120-Parts sind zwar Mercedes-BenzOriginalteile, wurden aber dennoch in
nagelneuem Zustand verbaut.
Perfekte Verschmelzung
Zwei Fragen drängen sich an dieser
Stelle geradezu auf. Die erste: Das passte
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alles einfach so zusammen? Natürlich
nicht! Nichts passte „einfach so“ zusammen.
Tausende Arbeitsstunden verbrachte
Egon mit der Anpassung der beiden
völlig unterschiedlichen Fahrzeuge
aneinander und nahm es dabei ganz
genau. Das Ergebnis seiner akribischen
Exaktheit versetzt selbst einen langjährigen Tuning-Redakteur in blankes
Erstaunen: Ponton und Evolution sind
so säuberlich miteinander verschmolzen,
dass Egon schon die Verbindungsstellen
aufzeigen muss, damit man sie erkennt.
Die breiten Einstiegsleisten beispielweise
oder die hohe Blende über dem Armaturenbrett.
Das Fahrerlebnis
Die zweite sich aufdrängende Frage: Wie
fährt sich der Renn-Oldie? Davon, dass
es sich beim Ponton-Evo nicht um ein
nur in der Garage stehendes Anschauungsobjekt handelt, konnten wir uns
beim Fototermin selbst überzeugen.
Nach einer kurzen Warmlaufphase fegt
Egon mit seinem generationenüber-
greifenden Benz durch Ostfriesland, als
gebe es kein Morgen. Untermalt von
kernigem Röhren aus dem Doppelendrohr der Edelstahl-Auspuffanlage, die
Egon von der Firma Gomolzig aus
Wuppertal – eigentlich spezialisiert auf
die Herstellung von Flugzeugbauteilen
sowie die Instandsetzung von Fluggeräten – anfertigen ließ, pfeilt der
Mercedes über die Landstraßen, sorgt
dabei für Verzückung bei Oldie- und
Tuning-Freunden gleichermaßen.
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Die Leistungswerte des Ponton-Evo
können wir nur schätzen. Das Fahrzeug
dürfte in rund acht Sekunden auf 100
km/h beschleunigen und etwa 230 km/h
schnell rennen. Für verwirrte Gesichter
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auf Landstraßen und Autobahnen ist das
allemal genug, denn wenn ein 1954er
Ponton weit jenseits von 200 km/h im
Rückspiegel immer größer wird oder auf
kurvigen Landstraßen einem Golf GTI
die Schranken weist, dann kann man
schon mal glauben, zu träumen. Mit Fug
und Recht kann Egon jedenfalls behaupten,
den schnellsten straßenzugelassenen
Ponton der Welt zu fahren.