RIAS Berlin 2003-1-157 Kundler, Herbert: RIAS Berlin - H-Soz-Kult

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RIAS Berlin 2003-1-157 Kundler, Herbert: RIAS Berlin - H-Soz-Kult
H. Kundler: RIAS Berlin
Kundler, Herbert: RIAS Berlin. Eine Radiostation in einer geteilten Stadt. Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2002. ISBN: 3-496-02536-0; 423 S.
Rezensiert von: Daniel Patrick Schwane, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Im Februar 1946 zunächst als „DIAS“ (Drahtfunk im amerikanischen Sektor) gegründet,
verdankte der spätere „RIAS“ (Rundfunk im
amerikanischen Sektor) seine Existenz den
Konflikten der Siegermächte über die Vergabe von Sendezeit des ersten Radiosenders der
Nachkriegszeit in Berlin, des „Berliner Rundfunks“. Nach der Kapitulation war es der
Sowjetunion als Besatzungsmacht gelungen,
in kurzer Zeit das Presse- und Informationswesen in Berlin unter ihre Kontrolle zu bringen. Den westlichen Alliierten war es in dieser Situation nicht möglich, ihre Programmvorstellungen zu realisieren, da eine Rundfunkaufsicht unter Vier-Mächte-Status nicht
existierte. Ab Sommer 1945 wurde schließlich durch die amerikanische Militäradministration ein Prozess in Gang gesetzt, der zur
Entstehung des RIAS führte. Diese RadioStation sollte sich nachfolgend, besonders in
der Zeit des eskalierenden Kalten Krieges, zu
einer wichtigen West-Berliner Informationsquelle für die Menschen im Ostteil der Stadt
und der übrigen DDR entwickeln.
Das großformatige, in sechs thematische
Abschnitte und einen Anhang gegliederte
Buch, das von dem Journalisten und ehemaligen RIAS-Programmdirektor Hermann
Kundler unter Zusammenarbeit mit Zeitzeugen und Journalisten wie Lutz von Pufendorf, Siegfried Buschschlüter, Rolf Schindel u.
a. erarbeitet wurde, präsentiert eine Fülle an
Fotos, zeitgenössischen Berichten und Abbildungen von Originaldokumenten. Dezidiertes Ziel dieser Darstellung ist es, angesichts
„der Neigung, die Medienvergangenheit der
DDR zu verharmlosen, durch Hinweise und
Anmerkungen zur stalinistischen Medienpolitik und der Rolle des Rundfunks im Gefüge
des ‚Realen Sozialismus’ zu begegnen“ (S.12).
Die ersten drei Kapitel zeigen die Rundfunkgeschichte der Weimarer Republik hin
zum NS-Funk sowie Vorgeschichte, Anfangszeit und Selbstverständnis des RIAS in der
Zeit des sich entwickelnden Kalten Krieges
2003-1-157
und verfolgen die Entwicklung bis in die frühen neunziger Jahre. Deutlich wird, wie sehr
die politischen Großereignisse, etwa die beginnende Spaltung der Stadt, die Währungsreform und das Chrustschow-Ultimatum sowie der Mauerbau die Programmgestaltung
bestimmten. Überdies wird die zunehmende
Rezeption des RIAS in Ost-Berlin und der übrigen DDR klar, die sich durch die Gegenmaßnahmen des SED-Regimes wie die Einrichtung von Störsendern oder die Durchführung von Propagandakampagnen manifestierte. Trotzdem nahm die Zahl der Hörer
in der SBZ/DDR und Ost-Berlin zu und blieb
bis in die siebziger und achtziger Jahre auf einem hohen Niveau, was sich insbesondere in
der großen Zahl der Zuschriften ausdrückte.
Dass seit der Zeit der ersten Berlin-Krise
der RIAS in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West eine besondere Funktion
inne hatte, zeigte sich besonders in Zusammenhang mit den Geschehnissen des 16./17.
Juni 1953. Für die damaligen Ereignisse gesteht Kundler dem RIAS „als einer Hauptnachrichtenquelle der DDR-Bevölkerung eine politische Mitverantwortung von geradzu
[sic!] schicksalhafter Tragweite“ zu (S. 177).
Wie jüngst Bernd Stöver hinwies, besaß der
RIAS zudem eine zentrale Funktion für die
„Ostpropaganda“ der USA. Dies lag u.a. daran, dass er einen großen Zuhöreranteil in Berlin besaß, und nicht nur in der DDR, sondern
auch in Polen, der CSSR, in Ungarn, in Rumänien und in anderen von der Sowjetunion beherrschten Ländern empfangen werden
konnte1 . Leider erfährt der Leser über die interessante Rolle des Berliner RIAS als Transmitter für die US-„Befreiungspolitik“ in den
fünfziger Jahren in dieser Darstellung kaum
etwas.
Mediengeschichtlich, so Kundler, vollzogen
sich in den fünfziger und sechziger Jahren
neue Entwicklungen wie die Schaffung von
Magazinprogrammen mit ihrer Mischung aus
Informationen, Reportagen, Nachrichten und
Musik (wie z. B. „Rundschau am Morgen“)
oder Live-Schaltungen zum Interviewpartner oder Reporter vor Ort und anderes
1 Vgl.
Stöver, Bernd: Die Befreiung vom Kommunismus,
Köln 2002, S. 426. Stöver beschreibt in seinem Buch u.a.
die Rolle der Rundfunkstationen wie Voice of America und RIAS in der amerikanischen „Befreiungspolitik“
gegenüber den kommunistischen Staaten.
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mehr. Kindersendungen wie „Onkel Tobias
vom Rias“, oder Programme wie die „RIASFunkuniversität“, aber vor allem Unterhaltungssendungen wie „Schlager der Woche“
und die Konzerte des „RIAS-Tanzorchesters“
erfreuten sich bei den Hörern in Ost wie West
großer Beliebtheit.
Das vierte und fünfte Kapitel widmen
sich den amerikanisch-deutschen Beziehungen und stellen eine Zusammenstellung von
Materialien unter dem Titel „Themen, Daten, Dokumente“ vor. Kundler stellt hier
noch einmal die enge Verbundenheit des Senders mit den USA heraus. Die Mehrheit seiner Belegschaft setzte sich zwar aus Deutschen zusammen, doch existierte stets ein USAufsichtsgremium, dem die Kontrolle über
den RIAS oblag. Das folgende chronologisch
geordnete Kapitel erinnert an Rundfunkbeiträge des ehemaligen Berliner Bürgermeisters
Ernst Reuter; es berichtet über Hörspiele, präsentiert Hörerbriefe von DDR-Jugendlichen
aus den achtziger Jahren und stellt die Diskussionen über die Entwicklung der Berliner
Medienlandschaft der frühen neunziger Jahre vor. Ähnlich gestaltet sich das sechste Kapitel, das mit zahlreichen biografischen Notizen, Berichten und Fotos fast vergessener Entertainer, Moderatoren und Journalisten wie
Hans Rosenthal, Günter Neumann und seine
Insulaner oder Friedrich Luft u. a. aufwartet.
Der mitunter enzyklopädische Charakter
dieses Buches ist zweifellos seine Stärke. Doch
liegt darin auch das Problem begründet, dass
der Leser in einigen Kapiteln in der Masse der präsentierten Fakten die Orientierung
verliert. Angesichts der ungeheuren Materialmenge eines flüchtigen Alltagsmediums wie
das Radio sieht sich Kundler einer methodisch schwierig zu lösenden Aufgabe gegenüber, da das Buch sich offensichtlich weniger an den Fachwissenschaftler als an den
historisch interessierten Laien richtet, es daher keine „trockene Datensammlung“ sein
möchte und „auch auf jüngere Leser hofft,
die von vielen Ereignissen und Persönlichkeiten kaum eine Vorstellung haben“ (S.12).
Er wählt einen konzeptionellen Mittelweg. Im
ersten Kapitel halten sich Quellenpräsentation und Interpretation die Waage, in weiteren Abschnitten pendelt die Darstellung
zwischen historischer Monografie und Doku-
mentensammlung und nimmt einen zunehmend additiven Charakter an. Besonders gegen Ende gewinnt das Referieren von Details
und Aufzählen der Ereignisse, Personen und
Veranstaltungen jedoch einen etwas zu breiten Raum; es verdrängt dadurch die auch bei
Sachbüchern notwendige Analyse und Kommentierung des vorgestellten Materials und
vermag nicht immer zu überzeugen, wie etwa der Abdruck von Auszügen des „RIASTV-Statuts vom 10. 10. 1986“ demonstriert.
Dennoch ist es ein Kompendium, das interessante Informationen zur Berliner Rundfunkgeschichte, vor allem zur Zeit des Kalten Krieges enthält.
HistLit 2003-1-157 / Daniel Schwane über
Kundler, Herbert: RIAS Berlin. Eine Radiostation in einer geteilten Stadt. Berlin 2002, in: HSoz-Kult 21.03.2003.
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