Fahrwerksgeometrie eines Formula Student

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Fahrwerksgeometrie eines Formula Student
Maschineningenieurwissenschaften BSc
Sommersemester 2007
Fahrwerksgeometrie eines Formula Student
Rennwagens
Bachelorarbeit von Daniel Landmann
ETH Zürich
Autonomous Systems Lab Prof. Dr. Roland Siegwart
Betreuung: David Remy
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Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
Inhalt
1. Zusammenfassung
2. Einleitung
2.1. Veranlassung
2.2. Problemstellung
2.3. Ziel
3. Theorie
3.1. Einleitung
3.1.1. Radstand
3.1.2. Spur
3.1.3. Sturz, Sturzverlauf (Camber)
3.1.4. Nachlauf (Caster)
3.1.5. King Pin Inclination
3.1.6. Scrub Radius
3.1.7. Vorspur, Nachspur (Toe)
3.1.8. Momentandrehzentrum (Instant Centre)
3.1.9. Rollzentrum (Rollcentre)
3.1.10 Anti-Features
4. Grundsatzentscheidungen
4.1. Notwendigkeit
4.2. Einfluss des Reglements
4.3. Grundsatzentscheide im Detail
4.3.1. Radstand
4.3.2. Spur
4.3.3. Radgrösse
4.3.4. Pullrod
5. Folgen aus den Grundsatzentscheidungen
5.1. Radgrösse
5.2. Spur
5.3. Pullrod
5.4. Radstand
6. Parameterfestlegung
6.1. Einleitung
6.2. Vorgehensmethodik
6.3. Gruppe 1: Sturzverlauf, Momentandrehzentrum, Rollzentrum
6.3.1. Hauptparameter
6.3.2. Sekundärparameter
6.4. Gruppe 2: Naclauf, King Pin Inclination, Scrub Radius
6.4.1. Hauptparameter
6.4.2. Sekundärparameter
6.5. Gruppe 3: Anti-Features
6.6. Loops innerhalb der Gruppen
6.7. Loops ausserhalb der Gruppen
7. Ergebnisse der Simulation
7.1. Verwendetes Modell
7.2. Ergebnisse
7.3. Gruppe 1 :Sturzverlauf, Rollzentrum, Momentandrehzentrum
7.4. Gruppe 2: Vorlauf, King Pin Inclination, Scrub Radius
7.5. Gruppe 3: Anti-Features
8. Diskussion
9. Danksagungen
10. Bibliographie
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1. Zusammenfassung
Die Arbeit beschreibt die Fahrwerksauslegung des Formula Student Rennwagens
„albula“ anhand einer entwickelten Methodik. Zunächst werden die
Auslegungsparameter und deren Einfluss auf die Fahrdynamik theoretisch
beschrieben, um den Einstieg in die Thematik zu vereinfachen. Zur
Effizienzsteigerung des Auslegungsprozesses werden die Parameterentscheidungen
genau dokumentiert. Die angewendete Vorgehensweise stellt einen Weg dar, ein
stark von vernetzen Parametern abhängiges Optimierungsproblem zu lösen. Dabei
liegt die Grundidee in der Aufteilung eines grossen Komplexes in mehrere kleine
Probleme. So können viele sich gegenseitig beeinflussenden Parameter in
überschaubare Einheiten geteilt werden. Die Fahrwerksparameter wurden deshalb in
Gruppen gegliedert und separat bearbeitet. Innerhalb der Gruppe wurden Hauptund Sekundärparameter bestimmt, die mit unterschiedlicher Gewichtung angepasst
wurden und so zu einer Kompromisslösung führten. Die unvermeidbaren
Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Parametergruppen wurden durch
zusätzliche Loops in einer späteren Phase bearbeitet. Besonders die Loops, die zu
anderen Arbeitsgruppen führten, generierten zusätzliche Probleme und machten
Anpassungen der Zielvorgaben unumgänglich. Das Resultat ist ein Fahrwerk mit
folgenden Spezifikationen:
Sturzverlauf
Rollzentrum
Vorlaufwinkel
King Pin Inclination
Scrub Radius
Anti-Dive
Anti-Squat
Vorne
0.6 Grad/10mm
37mm
6.5 Grad
5.3 Grad
37mm
25%
n.a.
Hinten
0.7 Grad/10mm
47mm
0 Grad
0 Grad
0mm
n.a.
5%
Tab. 1. Fahrwerksspezifikationen
Die selbst verfassten Zielvorgaben konnten mit leichten Kompromissen und die
Einschränkungen des Reglements vollumfänglich eingehalten werden. Das
Fahrwerk, das für ein spezielles Fahrzeug ausgelegt und einen speziellen
Einsatzzeck optimiert wurde, liefert gute Voraussetzungen, um im Wettbewerb
bestehen zu können.
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2. Einleitung
2.1. Veranlassung
Die folgende Bachelorarbeit ist im Rahmen des Formula Student Focus Projektes
06/07 entstanden. Die Studie befasst sich mit der Fahrwerksgeometrie eines
Formula Student Rennwagens. Der Aufbau soll zunächst durch Erklärung der
wesendlichen Grundzüge einen schnellen Einstieg in die Thematik ermöglichen.
Danach wird der Leser anhand einer selbst entwickelten Methodik durch die
Entscheidungen und Überlegungen geführt, die am Fahrwerk von „albula“ getroffen
oder angestellt wurden. „albula“ ist der Name des Rennwagens der im August 07 an
der Formula Student Germany teilnehmen und zum ersten Mal eine Schweizerische
Hochschule an diesem Anlass vertreten wird. Formula Student ist ein KonstruktionsWettbewerb, welcher seit 1978 in den Vereinigten Staaten ausgetragen wird. In
erster Linie geht es darum, während des Zeitraums eines Jahres ein renntüchtiges
Auto aus dem Nichts zu entwickeln. Die Studenten und Studentinnen haben dabei
die Chance, ihr angeeignetes theoretisches Wissen in eine faszinierende praktische
Arbeit umzusetzen. Dies eröffnet nicht nur die Möglichkeit, eigenes Wissen zu
vertiefen, sondern auch die Gelegenheit, den Bleistift mit dem Schraubenschlüssel
zu vertauschen. Einen sehr wichtigen Aspekt stellen hierbei auch die vielseitigen
Industriekontakte dar. Die entstandenen persönlichen Bekanntschaften öffneten
schon vielen Studenten interessante Perspektiven und Möglichkeiten für ihre
berufliche Laufbahn. Die Kriterien des Wettbewerbs enthalten statische und
dynamische Disziplinen: Einerseits werden Design, Präsentation, Kosten- und
Fertigungsanalyse überprüft, andererseits muss sich das Fahrzeug auch bei einer
Beschleunigungsprüfung, einer Achterfahrt, einem Autocross und natürlich einem
Rennen behaupten. Hierfür muss der Rennwagen aber zuerst durch eine harte
technische Inspektion, welche die Einhaltung des offiziellen FSAE Reglements
erfordert. Jährlich finden acht verschiedene Wettbewerbe in den USA, England,
Deutschland, Italien, Japan, Australien und Brasilien statt.
2.2. Problemstellung
Meine Aufgabe bestand darin, eine Fahrwerksgeometrie für einen Formula Student
Rennwagen auszulegen. Der wichtigste Aspekt dabei war die optimale Nutzung der
Reifen; dem hatte sich alles andere unterzuordnen. Denn es ist nicht der Motor, der
einen Rennwagen beschleunigt, nicht die Bremsanlage, die ihn verzögert, es sind
die Reifen. Das Fahrwerk ist dafür verantwortlich, dass diese zu jedem Zeitpunkt mit
dem optimalen Anstellwinkel zur Fahrbahn stehen und mit der optimalen Normalkraft
beaufschlagt werden, damit die grösstmögliche Traktion erreicht wird. Die
Komplexität der Radbewegung und die Vielzahl von Abhängigkeiten zwischen den
einzelnen Fahrwerksparametern machen es unumgänglich, die Thematik strukturiert
und nach einem Schema anzugehen. Die Komplexität rührt daher, dass das Rad
mittels mehrerer Streben und Stützen im dreidimensionalen Raum geführt wird. Die
Radbewegung beim Einfedern muss bei der Fahrwerksauslegung genau festgelegt
und in einem gewissen Bereich einstellbar gehalten werden. Die Abhängigkeiten
zwischen den einzelnen Fahrwerksparametern erschweren es zusätzlich, die
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Zielvorgaben zu erfüllen, da sich Änderungen an einem Parameter oft nachteilig auf
einen andern auswirken.
2.3. Ziel
Mein Ziel war es für unseren Rennwagen „albula“ ein Fahrwerk zu entwickeln, dass
die folgenden Zielvorgaben erfüllt. Diese ergaben sich aus dem Reglement und
eigenen Zielformulierungen.
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4 individuelle Aufhängungen für alle 4 Räder
Federung mind. +/-25,4mm (+/- 1 inch)
Radstand: mind.1525mm (60 inch)
Spurweite: die schmälere Achse darf nicht kleiner als 75% der Länge der
längeren Achse sein
Bodenfreiheit: Der Wagen darf zu keinem Zeitpunkt auf dem Boden aufsetzen
Felgen: mind. 8 inch
Bei Zentralverschraubung der Räder: Sicherungssystem nötig
Hohe Zuverlässigkeit aller Komponenten (Sicherheit)
Optimale Fahreigenschaften, Lenkverhalten
Begründung von allen Entscheidungen/ Konstruktionen, Festigkeitsnachweis
erbringen für alle belasteten Teile
Leichte Zugänglichkeit zu Abstimmungspunkten
Möglichst geringes Gewicht
Möglichst geringer Luftwiderstand der Komponenten
Hohe Steifigkeit und Festigkeit
Bereitstellung der gewünschten kinematischen Charakteristiken
Flexible Aufhängungspunkte
Weiter ist es auch mein Ziel, mit dieser Arbeit kommenden Formula Student
Generationen an der ETH eine Starthilfe zur Verfügung zu stellen. Aus diesem
Grund werden in der Arbeit die wesendlichen Parameter anhand einer erarbeiteten
Methodik behandelt und deren Festlegung genau dokumentiert.
3. Theorie
3.1. Einleitung
Die theoretischen Grundlagen sollen eine Einführung in die wichtigsten Parameter
zur Auslegung eines Fahrwerks und deren Fachterminologie geben. Die folgenden
Abschnitte behandeln die 10 ausschlaggebenden Parameter gesondert. Da die
Schwierigkeit der Fahrwerksauslegung in der Komposition und Kompromissfindung
dieser Parameter liegt, sollen ebenfalls erste Abhängigkeiten erläutert werden.
Ferner beinhaltet dieses Kapitel kinematische und fahrdynamische Aspekte.
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3.1.1. Radstand
Definition:
Der Radstand ist die Distanz zwischen
der Vorder- und Hinterachse. Dieses
Mass wird vom Zentrum der Kontaktfläche
der Reifen am Boden gemessen.
Auswirkungen auf die Fahrdynamik:
Ein langer Radstand führt zu einem
stabilen Geradeauslauf, aber gleichzeitig
auch
zu
einem
unhandlicheren
Kurvenverhalten, da der Drehpunkt des
gesamten Fahrzeuges weiter in Richtung
ungelenkter Hinterachse wandert. Ein
kurzer Radstand bewirkt genau das
Gegenteil und verringert den Wendekreis
bei gleichem Radeinschlag. Nachteilig
wirkt sich jedoch die geringere Spurtreue
während des Geradeauslaufes aus.
Fig. 1. Definition Radstand, Spur, [nach 11]
3.1.2. Spur
Definition:
Die Spur beschreibt den Abstand
zwischen der Mittellinie der Reifen einer
Achse’
von
der
einen
zu
der
gegenüberliegenden
Seite
des
Fahrzeuges.
Auswirkungen auf die Fahrdynamik:
Eine breite Spur führt in Kurven zu
erhöhtem Grip, da sich der vertikale Anteil
der Jacking-Kraft verringert (siehe
Abschnitt Einfluss des Rollzentrums auf
die Fahrdynamik).
3.1.3 Sturz, Sturzverlauf (Camber)
Definition:
Der Sturz beschreibt den Winkel der
Radebene zu einer im Aufstandspunkt
des Rades errichteten Senkrechten quer
zur
Fahrzeugslängsachse.
Der
Sturzverlauf beschreibt diesen Winkel
bezüglich des Federweges.
Auswirkungen auf die Fahrdynamik:
Der Sturz erlaubt es dem Reifen, sich
Fig. 2. Definition Sturz [nach 7]
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trotz Verformung durch Lateralkräfte mit der gesamten Lauffläche auf der
Fahrbahnoberfläche abzustützen. Dadurch wird das grösstmögliche Gripniveau
erreicht. Zu beachten ist, dass der Sturz an der Antriebsachse bei Geradeausfahrt
unerwünscht ist, da er die Aufstandsfläche der antreibenden Räder verringert und
somit die Bodenhaftung herabsetzt.
3.1.4. Nachlauf (Caster)
Definition:
Der Nachlauf entsteht durch eine Schrägstellung der Lenkdrehachse bzw. des
Achsschenkelbolzens in Richtung der Fahrzeuglängsachse gegenüber einer
Senkrechten zu Fahrbahn.
Einfluss auf die Fahrdynamik:
Der Nachlauf bestimmt zusammen mit dem Scrub Radius die Lenkkräfte, die
während der Fahrt wirken. Dieser Parameter ist somit ausgesprochen wichtig für das
Feedback-Empfinden des Fahrers. Weiter wird durch den Nachlauf der Sturzgewinn
beim Einlenken bestimmt. Der Sturz bei Kurvenfahrt kann somit durch den
statischen Sturz, den Sturzverlauf, der King Pin Inclination (siehe unten) und dem
Nachlauf bestimmt werden.
3.1.5. King Pin Inclination
Definition:
Die King Pin Achse beschreibt im Gegensatz zum Nachlauf die seitliche Auslenkung
der Lenkachse.
Einfluss auf die Fahrdynamik:
Die King Pin Inclination bestimmt den Scrub Radius und hat damit Einfluss auf die
Lenkkräfte und das Fahrer-Feedback. Weiter beeinflusst dieser Parameter ebenfalls
den Sturzgewinn beim Einlenken.
3.1.6. Scrub Radius
Definition:
Der Scrub Radius beschreibt den Abstand zwischen Reifenmittelachse und dem
Schnittpunkt der King Pin Achse mit der Fahrbahnoberfläche.
Einfluss auf die Fahrdynamik:
Ein zunehmender Scrub Radius erhöht die Lenkkräfte, da der Hebelarm der am Rad
angreifenden Kraft zunimmt. Nachlauf, King Pin Inclination und Scrub Radius ist
gemeinsam, dass sie sich allesamt gegenseitig stark beeinflussen und
Auswirkungen auf Lenkkräfte, Fahrer-Feedback und Sturzgewinn beim Einlenken
haben.
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Fig. 3. Definition Nachlauf, King Pin Inclination, Scrub Radius [nach 7]
3.1.7. Vorspur, Nachspur (Toe)
Definition:
Die Vorspur beschreibt die Drehung der Räder aus der Parallelen nach innen.
Die Nachspur das entsprechende Gegenteil (Drehung aus der Parallelen nach
aussen).
Einfluss auf die Fahrdynamik:
Durch diese Spureinstellungen kann das Eigenlenkverhalten des Fahrzeuges
beeinflusst werden. Es ist somit möglich starkes Unter- oder Übersteuern
wirkungsvoll zu bekämpfen. So begünstigt eine Nachspur an der Hinterachse ein
Uebersteuern. Weiter wird durch leichte Vorspur an der gelenkten Vorderachse der
Geradeauslauf stabilisiert.
3.1.8. Momentandrehzentrum (Instant Centre)
Definition:
Das Momentandrehzentrum ist der Punkt, um den sich das Rad mit seiner
Aufhängung zu einem gegebenen Zeitpunkt bewegt. Die Position dieses Punktes
beeinflusst einerseits den Sturzverlauf, andererseits die Lage des Rollzentrums.
Fig. 4. Konstruktion des Monentandrehzentrums, Frontansicht [7]
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Einfluss auf die Fahrdynamik:
Die Lage des Momentandrehzentrums beeinflusst das Fahrverhalten indirekt über
den Sturzverlauf, da beide Parameter durch die Lage der Querlenker zueinander
bestimmt werden.
3.1.9. Rollzentrum(Rollcentre)
Fig. 5. Konstruktion des Rollzentrums [nach 7]
Definition:
Das Rollzentrum beschreibt den momentanen Drehpunkt des Chassis
gegenüber dem Boden um die Lägsachse des Fahrzeugs. Seine Lage ändert
sich beim Ein- und Ausfedern des Fahrwerks. Dieser Punkt wird durch den
Schnittpunkt der Geraden Radaufstandsmittelpunkt - Momentandrehzentrum
und der Fahrzeugmittelsenkrechten definiert.
Einfluss auf die Fahrdynamik:
Die Lage des Rollzentrums definiert Grösse und Vorzeichen der an der gefederten
Masse des Fahrzeugs angreifenden Vertikalkräfte. Diese resultieren direkt aus den
einwirkenden Lateralkräften. Das Rollzentrum beeinflusst dadurch das Fahrverhalten
des gesamten Fahrzeugs entscheidend. Ein unter der Fahrbahnoberfläche liegendes
Rollzentrum drückt die gefederte Masse nach unten, weil zwischen
Momentandrehzentrum und Lateralkraft ein Moment auftritt (s. Abb.). Liegt das
Rollzentrum über der Fahrbahn, drückt das Moment die gefederte Masse nach oben.
Dieser Effekt wird „Jacking“ genannt.
Fig. 6. Entstehen von „Jacking“ [7]
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3.1.10 Anti Features
Definition:
Anti-Features beschreiben Parameter, die in einer vordefinierten Art und Weise
Nickkräften entgegenwirken. Sie werden in % angegeben und definieren die Kraft,
welche der entsprechenden Nickkraft entgegenwirkt.
Es wird zwischen Anti-dive, Anti-lift und Anti-squat unterschieden. Anti-dive wird
verwendet, um das Eintauchen des Fahrzeugs unter starker Bremsverzögerung zu
vermindern und somit den Gewichtstransfer zur Vorderachse zu verringern. An der
Hinterachse wirkt Anti-lift einem Aufstellen bei starkem Verzögern entgegen. Bei
vorderradgetriebenen Fahrzeugen kann es verwendet werden, um das Ausfedern
beim Beschleunigen zu vermindern. Anti-Squat dient der Reduzierung des
Aufstellmoments beim Beschleunigen von hinterradgetriebenen Fahrzeugen.
Einfluss auf die Fahrdynamik:
Auch Anti-Features haben grossen Einfluss auf die Fahrdynamik. Durch Anti-Dive
kann verhindert werden, dass ein starker Gewichtstransfer auf die Vorderachse
stattfindet. Ein kleiner Anti-dive kann zu einem nervösen Anbremsverhalten führen,
da die Hinterachse stark entlastet wird. Weiter kann durch die starke
Gewichtsverlagerung keine Bremskraft von der Hinterachse auf den Boden
übertragen werden. Bei der Auslegung des Anti-Squat ist darauf zu achten, dass der
Gewichtstransfer beim Beschleunigen auf gerader Strecke durchaus erwünscht ist,
da er dem Fahrzeug zu mehr Grip verhilft. Beim Herausbeschleunigen aus einer
Kurve ist dieser Transfer aber hinderlich, da er die Normalkraft auf die Vorderräder
verringert und somit zu Untersteuern führt. Die folgende Grafik zeigt wie sich die
Anti-Features mit Hilfe des Nickzentrums berechnen lassen.
Fig. 7. Auslegung der Anti-Features [7]
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4. Grundsatzentscheidungen
4.1. Notwendigkeit
Zu Beginn des Formula Student Projektes war es notwendig, einige
Grundabmessungen und konstruktive Lösungen festzulegen. Solange die
ungefähren Platzverhältnisse und Masse nicht bekannt waren, konnten Ergonomieund Bauraum-Probleme nicht erkannt werden. Auch die Gruppe Chassis konnte
nicht mit der Entwickung eines Rohrrahmens beginnen. Es musste somit ein
Konzept oder eine Grundidee gefunden werden, nach der das gesamte Fahrzeug
konstruiert werden konnte. Wegleitend für die Grundgedanken war die
Rahmenbedingung, dass bei den Formula Student Events alle dynamischen
Disziplinen auf sehr engen und verwinkelten Kursen gefahren werden. Aus dieser
Gegebenheit entstand die Idee, die Abmasse klein und kompakt zu halten, um eine
hohe Agilität und ein geringes Gewicht zu gewährleisten. Dabei war dem
Projektteam sehr wohl bewusst, dass geringe Abmasse zu wenig Bauraum führen
und dass somit das Packaging überaus komplex würde. Als notwendige
Grundsatzentscheidungen wurden Abmessungen wie Radstand, Spur und
Radgrösse festgelegt. Diese Parameter wurden ausgewählt, weil sie das Konzept
des gesamten Fahrzeuges am besten beschreiben. So nützt es vergleichsweise
wenig, die Gesamtlänge eines Fahrzeuges zu bestimmen, da diese einen weit
geringeren Einfluss auf die Fahrdynamik hat als der Radstand. Die Radgrösse
bestimmt weitere wichtige Abmessungen wie Bodenfreiheit und die Lage von
Aufnahmepunkten am Rahmen.
Ferner wurden konstruktive Entscheidungen
getroffen, wie die Anlenkung der Feder/Dämpfer Elemente mittels Pullrods oder die
Position des Lenkgetriebes vorne unter den Beinen des Fahrers. Mit diesen ersten,
groben Konstruktionsrichtlinien konnte jede Gruppe die Arbeit aufnehmen.
4.2. Einfluss des Reglements
Bei diesen ersten Grundsatzentscheidungen musste auch darauf geachtet werden,
dass das Reglement nicht verletzt wird. Besonders wichtig war, dass die zu Beginn
getroffenen Entscheide auch in einer späteren Phase nicht zu Regelverstössen
führen würden. So musste beispielsweise darauf geachtet werden, dass trotz
Pullrods und der kleinen Räder ein reglementskonformer Federweg von zwei Zoll mit
dem gewünschten Umlenkverhältnis realisiert werden konnte. Dieses Problem ergab
sich daraus, dass durch die geringen Abmessungen des Fahrzeugs die
Gegenkathete im Verhältnis zur Hypothenuse, die den Pullrod darstellt, in einem
sehr grossen Verhältnis steht (Fig. 12.).
4.3. Grundsatzentscheide im Detail
Da die zu Beginn zu fällenden Grundsatzentscheidungen sehr schnell getroffen
werden mussten, wurde den eigenen Ideen ein Konzeptvergleich der erfolgreichen
Formula Student Teams gegenüber gestellt. Um einen Überblick der einzelnen
Konzepte zu erhalten, wurde eine Konkurrenzanalyse erstellt, welche die Kerndaten
und Geometrien der verschiedenen Fahrwerke miteinander vergleicht und zeigt,
welche Konzepte sich bewährt haben. Basierend auf diesen Daten wurden die
Grundsatzentscheidungen gefällt.
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Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
Kriterium
TU Graz
Helsinki
Albula
Rod vorne
Pull
Pull
Pull
Rod hinten
Push
Pull
Pull
Stabi vorne
eher nein
ja
ja
Stabi hinten
ja
eher ja
ja
Winkel untere QL vorne
nach oben
waagrecht
nach unten
Winkel obere QL vorne
nach oben
nach oben
nach oben
Winkel untere QL hinten
waagrecht
waagrecht
waagrecht
Winkel obere QL hinten
nach oben
Fast waagrecht
nach oben
Lenkung oben/unten
unten
unten
unten
Lenkstange vor oder hinter Radnabenträger
vor
vor
vor
Befestigung Rod vorne am Radnabenträger
am oberen QL
am oberen QL
am oberen QL
Befestigung Rod hinten am
n.a
am oberen QL
am oberen QL
Befestigung Querlenker am Rahmen vo
am Monocoque
verstellbar am Rahmen
verstellbar am Rahmen
Befestigung Querlenker am Rahmen hi
am Gussgetriebe
ev. Verstellbar
verstellbar am Rahmen
Längenverhältnis oben unten vorne
obere kürzer
obere kürzer
obere kürzer
Längenverhältnis oben unten hinten
obere kürzer
obere etwas kürzer
obere kürzer
Montage Dämpfer vorne
Ausserhalb Monocoque
am Rand des Rahmens
Montage Dämpfer hinten
innerhalb Rahmen
Materialien Querlenker
Parallel am
Gussgetriebe
wahrscheinlich CFK
quer zur Fahrtrichtung,
waagrecht
am Rand des Rahmens
hochfestes Al
Stahlovalprofil
Spurstange oben/unten
unten
oben
unten
Spurstange Befestigung am Chassis
am unteren Querlenker
am oberen QL
zwischen oberen, unteren QL
Spur Vorne
1200mm
1250mm
1200mm
Spur Hinten
1200mm
1200mm
1150mm
Radstand
1575mm
1550mm
1625mm
Radgrösse
13"
10"
10"
Sonstiges
hi u QL verstellbar
vo o verstellbar
QL vorne und hinten o
verstellbar
"
Tab. 2. Fahrwerksdaten anderer Teams [1] und eigene Abklärungen in Hockenheim 06.
Die Tabelle zeigt die massgebenden Fahrwerkspezifikationen von zwei
Konkurrenzteams, die ebenfalls kompakte Abmasse wählten. Auffallend ist, dass alle
Teams auf 13“ Räder setzten. Die Ausnahmen waren Helsinki (hier aufgelistet) und
Delft mit 10“ Rädern. Daraus kann geschlossen werden, dass die PackagingProbleme innerhalb der Felge nicht zu vernachlässigen sind. Die Überlegungen,
welche zu den einzelnen Abmassen und Konstruktionslösungen führten, sind im
Folgenden aufgeführt.
4.3.1. Radstand
Der Radstand beeinflusst wesentlich den Geradeauslauf, den Nachlaufversatz und
somit die Handlichkeit des Fahrzeuges. Bei einem Radstand von 1750mm und
einem Radeinschlagwinkel von 30 Grad ergibt sich ein Nachlaufversatz von
1010mm. Der Nachlaufversatz spielt nur bei Kurvenfahrt eine Rolle und ist definiert
als die Differenz zwischen den Radien, auf deren Kreisen die Vorder- und
Hinterräder abrollen. Bei einem Radstand von 1625mm erreicht der Versatz nur
noch 938mm. Der geringere Nachlaufversatz erleichtert es dem Fahrer, das
touchieren der kurveninneren Pylonen zu vermeiden. Diese Hilfe ist ein lohnendes
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
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Detail, da jeder umgefahrene Pylon in den dynamischen Formula Student
Disziplinen einen Zeitpenalty zur Folge hat. Die Spanne der Radstände am
Deutschland-Event 2006 reichte von 1525mm, der vom Reglement
vorgeschriebenen Mindestänge, bis 2200mm. Die konkurrenzfähigen Teams, die
nicht auf Kompaktheit setzten, fuhren mit Radständen um 1750mm.
Kurzer Radstand:
Pro:
- Bei gleichem Lenkeinschlag können kleinere Wendekreise gefahren werden
- Erhöhte Agilität
- Kompakte Bauweise möglich
Kontra:
- Fahrverhalten wird instabil (Hebelarm zwischen Rädern wird verkürzt)
- Grösserer longitudinaler Gewichtstransfer
- Kleinere Platzverhältnisse zur Unterbringung aller Fahrzeugkomponenten
Langer Radstand:
Pro:
- Ruhigeres (stabiles) Fahrverhalten (Hebelarm der Reifen ist gross)
- Grösszügigere Platzverhältnisse
Kontra:
- Erhöhter Wendekreis
- Träge Fahrdynamik
- Grössere Fahrzeugabmessungen
Da „albula“ kompakt sein sollte und da Packaging-Probleme bei einer
Neukonstruktion nicht zu vernachlässigen sind, wurde der Radstand auf 1625mm
festgelegt. Diese Länge ist eher kompakt, bietet jedoch beim Packaging einen
gewissen Spielraum. Die Tatsache, dass andere Einsteigerteams mit Radständen
von über 1700 mm planen, unterstreicht die Bedeutung dieses Punktes. Ferner war
der Mittelwert beim Radstand ein Kompromiss aus Stabilität beim Anbremsen,
Herausbeschleunigen aus der Kurve und der bei Wechselkurvenfahrt gewünschten
Agilität.
4.3.2 Spur
Die Spur legt die Breite des gesamten Fahrzeuges fest. Eine breite Spur resultiert in
höherem Grip bei Kurvenfahrt, jedoch auch zu verringerter Handlichkeit. Bei den
dynamischen Formula Student Disziplinen beträgt die minimale Streckenbreite 3m
im Skid-Pad (Kreisfahrt) und 3.5m im Autocross (mit Pylonen ausgesteckte
Rennstrecke). Weiter ist zu bemerken, dass im Autocross mit Radius 4.5m die
engeren Kurvenradien gefahren werden als im Skid-Pad. Somit ergibt sich bei einem
Radstand von 1625mm und einem Radeinschlagwinkel von 30 Grad eine theoretisch
maximale Spurbreite von 2562mm. Ein innerer und äusserer Freiraum von 0.5m0.75m trägt der Tatsache Rechnung, dass der Fahrer die Kurven nicht immer perfekt
durchfährt. Daraus ergibt sich eine mögliche Spurweite von 1m-1.56m. Die
Konkurrenz bewegt sich in Spurweiten zwischen 1050mm und 1650mm und
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
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verwendet oft unterschiedliche Spurweiten an Vorder- und Hinterachse, um den
Nachlaufversatz bei Kurvenfahrt zu verringern.
Kleine Spurweite:
Pro:
- Kompaktes Wagendesign
Kontra:
- Grösserer transversaler Gewichtstransfer Æ grosse Radlastdifferenz
- Kippen wird begünstigt
- Weniger Arbeitsraum um Fahrwerksgeometrie auszulegen
Grosse Spurweite:
Pro:
- Gute Radlastverteilung
- Mehr Spielraum für die Fahrwerksgeometrie
Kontra:
- Grosse Fahrzeugabmessungen Æ Auf enger Strecke unhandlich
- Grössere Gefahr, Pylonen umzufahren
Bei Albula fiel der Entscheid auf eine Spurweite von 1200mm an der Vorder- und
1150mm an der Hinterachse. Mit diesen Massen situiert sich Albula im Feld der
Fahrzeuge mit kompakten Abmessungen. Die unterschiedlichen Spurweiten an
Vorder- und Hinterachse sollen den Fahrer entlasten.
4.3.3. Radgrösse
Wie kaum ein anderer Grundsatzentscheid hat die Radgrösse Einfluss auf das
Konzept eines Fahrzeuges. Obwohl kleine Räder den Spielraum bei Parametern wie
Gesamtgewicht und Fahrwerksgeometrie einschränken, haben Anfragen bei
Konkurrenzteams gezeigt, dass nahezu alle Fahrzeuge Schwierigkeiten hatten, eine
optimale Reifenbetriebstemperatur zu erreichen.
Kleine Radgrösse
Pro:
- Geringeres Gewicht der Reifen
- Geringeres Gewicht der Felgen
- Geringerer Preis
- Schnelleres Erreichen der Betriebstemperatur
- Geringere Momente auf Radträger
- Harmonischeres Aussehen
Kontra:
- Weniger Platz innerhalb der Felge (Kleinere Bremsen)
- Kürzere Lebensdauer
- Geringere Auswahl an Reifenherstellern und Mischungen
- Verpflichtet zu einem kompakten Fahrzeugdesign
- Verpflichtet zu einem geringen Fahrzeuggewicht (max 250 kg ohne Fahrer,
Erfahrungswert)
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
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Unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile wurde die Radgrösse auf 10 Zoll
festgelegt. Die Nachteile wurden vom Team als Herausforderung aufgefasst und
verpflichten zu einem kompakten und effizienten Wagendesign. Werden die
gesetzten Ziele erreicht, überwiegen die Vorteile. Durch den Verbau von 10 Zoll
Reifen/Felgen Kombinationen und den kleineren Radnabenträgern, können pro Rad
ca. 4 kg eingespart werden. Da diese Masse ungefedert ist, wird die Dynamik des
Fahrwerks direkt verbessert.
4.3.4. Pullrod
Im Gegensatz zum Pushrod, der als Schubstange fungiert, ist der Pullrod eine
Zugstange. Diese Stange leitet die vertikalen Kräfte vom Rad auf den Umlenkhebel
und somit auf das Feder/Dämpfer-Element.
.
Fig. 8. Unterschied Push-,Pullrod [11]
Pullrod (Feder/Dämpfer-Elemente unten liegend):
Pro:
- Schwerpunkt tiefer
- Unterbringung des Stabilisators vorne leichter, dieser kann leicht unterhalb des
Autos verlaufen
- Vom Design her schönere Lösung möglich (schlanke Oberseite der Verkleidung)
Kontra:
- Platzprobleme im Heck möglich
- Dynamik muss genau betrachtet werden, da Pullrod auch durch Druck
Dämpfungkräfte übertragen muss. Desdhalb darf der Pullrod nicht als reine
Zugstange dimensioniert werden.
Die Entscheidung bevorzugte den Pullrod hinten und vorne. Die Platzprobleme
können
zwar
zu
einer
Herausforderung
werden
(Schnittstellen
Fahrwerk/Chassis/Antrieb), sollten aber – wie von Team Helsinki gezeigt - lösbar
sein. Als Backuplösung musste die platztechnisch umproblematische Variante
Pushrod allerdings weiter verfolgt werden.
16
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
5. Folgen aus den Grundsatzentscheidungen
5.1. Radgrösse
Die kleine Radgrösse verursachte die meisten
Einschränkungen für die Fahrwerksgeometrie.
Denn durch diese wird der Abstand zwischen
den Querlenkern am Rad verringert. Da das
Fahrzeug mit zunehmendem Einfedern den
Sturz verringern soll, wird der Abstand der
Querlenker am Rahmen zusätzlich reduziert.
Fig. 9. Sturzverlaufrealisation
Die nebenstehende Grafik zeigt die zwei grundsätzlichen Möglichkeiten, einen
abnehmenden Sturzverlauf zu realisieren. Die erste Möglichkeit (ausgezogene Linie)
besteht darin, den oberen Querlenker abfallend in Richtung Chassis anzuordnen.
Durch diese Anordnung beschreibt der obere Querlenker einen grösseren
horizontalen Weg, wodurch das Rad beim Eifedern nach Innen wegklappt. Die
zweite Möglichkeit (gestrichelte Linie) besteht darin, den unteren Querlenker
anzuwinkeln, so dass dieser wie bei der vorigen Lösung einen grösseren
horizontalen Weg beschreibt. Beiden Möglichkeiten gemeinsam ist, dass sie den
vertikalen Abstand am Chassis zwischen den Querlenkern im Verhältnis zum
Radträger zusätzlich verringern.
Durch diese geringen Abstände wird die Kräftebelastung auf das Chassis grösser,
da die axiale Kraft auf das Rad konstant bleibt und somit unabhängig von der
Radgrösse ist. Das folgende Momentengleichgewicht verdeutlicht diesen
Zusammenhang.
Momentengleichgewicht:
a · Fax + L · Fb · cos(α) = 0 (1)
Kräftegleichgewicht:
Fax = Fa + Fb · cos(α)
α
(2)
Auswertung:
(a · Fax) / (L · cos(α)) = - Fb (3)
Fax
L
Fb
a
Fa
Æ Fa = Fax – (Fb · cos(α))
= Fax - ( - a · Fax) / L
(4)
Fig.10. Momentengleichgewicht am Rad
Aus Gleichung (3), (4) erkennt man leicht, dass ein längerer Abstand der Querlenker
innerhalb der Felge zu kleineren Kräften am Rahmen führt (Fa, Fb).
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
17
5.2. Spur
Die
Spur
beeinflusst
die
Fahrwerksgeometrie durch die
Länge der Querlenker. So wird
bei langen Querlenkern ein
Einfedern am Rad eine kleinere
horizontale Verschiebung zur
Folge haben, als bei kürzeren
Querlenkern. Die Skizze zeigt
den Vergleich zwischen einem
kurzen und einem langen
Querlenkerpaar,
das
um
dieselbe Strecke einfedert.
Durch diese Gegebenheit muss
das kürzere Querlenkerpaar
weniger einfedern als der
längere,
um
den
selben
Radsturz zu erreichen.
Fig. 11. Vergleich Querlenker
5.3. Pullrod
Der Pullrod hat keinen
direkten Einfluss auf die
Fahrwerksgeometrie, da er
Pullrod (Hypothenuse)
die
Art
und
Weise
beschreibt,
wie
die
Radträger
vertikalen Kräfte auf das
Feder/Dämpfer- Element
geleitet werden. Indirekt
spielt er jedoch eine Rolle,
da er die Lage der unteren
Unterer Querlenker (Ankathete)
Querlenkeraufnahmen
durch die Position der
Feder/Dämpfer-Elemente
bestimmt. Weiter ist zu
Fig. 12. Dreieck Querlenker, Radträger, Pullrod
beachten, dass durch den
relativ flachen Verlauf der Zugstrebe die Gegenkathete im Dreieck Radträger,
Pullrod und unterer Querlenker relativ kurz ausfällt. Dadurch verlängert sich die
Zugstrebe (Hypothenuse) beim Einfedern weniger, als dies bei einer längeren
Gegenkathete der Fall wäre. Die Gegenkathete kann im Gegensatz zur PushrodLösung nicht beliebig verlängert werden, da die Boderfreiheit stets verringert wird.
Die Pullrod-Lösung bietet mehr Flexibilität, da der Bauraum in die Höhe weniger
beschränkt ist.
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
18
5.4. Radstand
Der Radstand beeinflusst die Fahrwerksgeometrie durch den verfügbaren Bauraum.
Es ist offensichtlich, dass das Raumvolumen mit zunehmender Länge ansteigt. Beim
kurzen Radstand muss die Fahrwerksgeometrie platzsparender ausgelegt werden.
6. Parameterfestlegung
6.1. Einleitung
Im folgenden Kapitel sollen die bei „albula“ getroffenen Entscheidungen bezüglich
der Fahrwerksgeometrie genau beschrieben und die grundlegenden Überlegungen,
die zu den entsprechenden Fahrwerkparametern angestellt wurden, dargelegt
werden. Des weiteren soll gezeigt werden, mit welcher Vorgehensmethodik auf die
Problematik eingetreten worden ist. Die Frage nach einer adäquaten Methode stellt
sich rasch, da die einzelnen Parameter sich gegenseitig stark beeinflussen und im
Zusammenhang nur schwer zu überblicken sind. Bei der Formulierung der
Auslegungsziele ist es nicht möglich, ein allgemeingültiges Hauptziel festzulegen, da
ein effektives Fahrwerk nicht mit nur einem aussagekräftigen Charakteristikum zu
beschreiben ist, d.h. die Leistungsfähigkeit auf nur einen Parameter beschränkt
werden kann. Die Festlegung der Teilziele erfordert eine gewisse Verfeinerung der
Methodik, da sich einzelne Anforderungen widersprechen. So ist bei Kurvenfahrt ein
negativer Sturzverlauf von 1.66 Grad/10mm Federweg erwünscht, beim
Beschleunigen auf gerader Strecke ist er jedoch von Nachteil, da er die
Aufstandsfläche der Reifen verringert und somit für weniger Traktion sorgt.
Zusätzliche Loops in der Vorgehensweise sollen zur Optimierung und Verknüpfung
der einzelnen Parametergruppen miteinander beitragen und Widersprüchlichkeiten
in Kompromisse umwandeln. Es geht also darum, Lösungen für Teilziele zu
erarbeiten und bei sich widersprechenden Parametern einen Kompromiss zu finden.
6.2. Vorgehensmethodik
Durch die starke Abhängigkeit der einzelnen Parameter voneinander ist es
unerlässlich, eine gewisse Struktur in die Problemstellung zu bringen. Der
Grundgedanke beim Erarbeiten der Methodik war, dass alle Parameter in Gruppen
gegliedert werden sollen, damit diese Gruppen als Ganzes abgehandelt werden
können. In den einzelnen Gruppen beeinflussen sich die Parameter gegenseitig
allesamt stark untereinander. Über die Gruppengrenzen hinaus sind die
Abhängigkeiten deutlich schwächer, so dass die Gruppen unabhängig voneinander
bearbeitet werden können. In einer ersten Phase muss somit die Gliederung von
Parametergruppen, die weitgehend unabhängig voneinander sind, vorgenommen
werden. In einer zweiten Phase wird in diesen Gruppen der Parameter mit den
meisten Abhängigkeiten und dem grössten Einfluss auf die Fahrdynamik festgelegt
und als Hauptparameter bezeichnet. Dies ist nicht für jede Parametergruppe
möglich. Der Hauptparameter bestimmt und fokussiert die Arbeit innerhalb der
Gruppe. Sobald in einer Gruppe ein Hauptparameter festgelegt worden ist, ergeben
sich die ihm untergeordneten Sekundärparameter. Diese stellen die
Randbedingungen dar, mit denen die Hauptparameter moduliert werden kann. Die
Sekundärparameter sind zwar ebenfalls ausschlaggebend für Fahrdynamik und
Erfüllung des Anforderungsprofils, bieten aber im Gegensatz zum Hauptparameter
einen grösseren Spielraum. Nach der Festlegung der Sekundärparameter folgt eine
19
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
erste Evaluation innerhalb einer Parametergruppe. Diese Bewertung vergleicht die
auf den Hauptparameter abgestimmten Sekundärparameter mit dem
Anforderungsprofil. Fällt eine Diskrepanz auf, so wird zunächst geprüft, wie stark
sich diese negativ auf die Fahrdynamik auswirkt. Muss ein Sekundärparameter
angepasst werden, beginnt ein iterativer Prozess, bis das gewünschte Resultat
erreicht ist. Erfüllt die Parametergruppe als ganzes das Anforderungsprofil, kann die
nächste Gruppe bearbeitet werden. Da Abhängigkeiten zwischen den
Parametergruppen nicht zu vermeiden sind, müssen zwischen den Gruppen weitere
Evaluationen folgen. Widersprechen sich zwei Hauptparameter, so müssen
wiederum die Sekundärparameter angepasst und der Spielraum der
Hauptparameter ausgenutzt werden.
Das folgende Diagramm zeigt schematisch die grundsätzlichen Vorgehensschritte
innerhalb der Parametergruppe sowie die Beeinflussung von aussen durch andere
Gruppen.
Parametergruppe
1. Bestimmung des
Hauptparameters in
der Gruppe
2. Festlegung der
Abhängingkeiten
zwischen Hauptund Sekundärparameter
3. Bearbeitung der
Sekundär Parameter
5. Gruppe erfüllt
Anforderungsprofil
Loop zu anderen
Gruppen
4. Möglicher Loop
zu Punkt zwei
Fig. 13. Schematische Darstellung der Vorgehensmethodik
Bei „albula“ wurden die Fahrwerksparameter in drei Gruppen gegliedert. Die erste
Gruppe umfasst den Sturzverlauf sowie die Lage des Roll- und
Momentandrehzentrums. Die konkrete Gliederung der Parameter in der Gruppe
gestaltete sich wie oben beschrieben. Die zweite Gruppe umfasst die
Lenkungsparameter Nachlauf, King Pin Inclination und Scrub Radius. Die letzte
Gruppe beinhaltet die Anti-features, die den auftretenden Nickmomenten
entgegenwirken. Die Parameterentscheidungen und deren Begründung werden im
Folgenden anhand dieser Gruppengliederung dargestellt.
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
20
6.3. Gruppe 1: Sturzverlauf, Momentandrehzentrum, Rollzentrum
6.3.1. Hauptparameter
In der ersten Parametergruppe wurde der Sturzverlauf als Hauptparameter gewählt,
da er die Fahrdynamik am stärksten beeinflusst. Der Sturzverlauf sollte aus den
folgenden Gründen 1.5-2.5 Grad/10mm Federweg betragen.
1. Bei Kurvenfahrt mit grösstmöglicher Querbeschleunigung von 1.5g sollte der
Sturz 3.5 Grad betragen. Dieser Wert ist die Summe von 1 Grad statischen
Sturz und 2.5 Grad Sturzverlauf beim Einfedern und hängt stark von
Reifentyp und Fahrzeugspezifikationen ab. Bei 1.5g Querbeschleunigung soll
das Fahrzeug um 1.5 Grad rollen. Dieser Rollwinkel führt zu einem Einfedern
am kurvenäusseren Rad um 15.71mm vorne bzw. um 15.05mm hinten. Dies
lässt sich leicht aus Pythagoras ableiten:
Rollwinkel
(Tf /2)·tan(1.5o) = (600 [mm] / 2)·tan (1.5o) = 15.71 [mm]
(Th /2)·tan(1.5o) = (575 [mm] / 2)·tan (1.5o) = 15.05 [mm]
Tf/h
Fig. 14. Rollwinkel
Durch dieses Einfedern wird mit dem getroffenen Ansatz ein Sturz von 2.253.75 Grad realisiert. Somit lässt sich mit einem Sturzverlauf von 1.66
Grad/10mm der erwünschte Sturzwert bei Kurvenfahrt ohne Probleme
realisieren. Weiter bleibt mit der Einstellung des statischen Sturzes genügend
Einstellspielraum. Betrachtet man die Kräfte in diesem dynamischen
Fahrzustand, ergeben sich vertikale Kräfte (Fz_va, Fz_ha) an den
kurvenäusseren Rädern von 1107.8 N vorne und 1693 N hinten. Diese Werte
ergeben sich bei der Momentenbetrachtung eines vereinfachten
Fahrzeugmodells.
Die
Fliehkraft
berechnet
sich
aus
dem
Haftreibkoeffizienten, der wirkenden Querbeschleunigung und der am
Schwerpunkt angreifenden Masse.
Ff = μ · m · g
Ff
h
h
Lv
Fz
Tf
Fig. 15. Abmasse Frontansicht.
Lh
L
Fig. 16. Abmasse Seitenansicht
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
21
Die vertikale Kraft, die auf das kurvenäussere Vorder- bzw. Hinterrad wirkt,
wird durch ein Momentengleichgewicht bestimmt.
Gesamtgewicht des Fahrzeuges: m=340kg
Gravitationskonstante: g=9.81m/s2
Distanz bis zum Schwerpunkt Hinten: Lh=0.65m
Distanz bis zum Schwerpunkt Vorne: Lv=0.975m
Statische Radnormallast Hinten: Fnh = 87kg
Statische Radnormallast Vorne: Fnv = 60kg
Radstand: L=1.625m
Höhe des Schwerpunkts: h=0.3m
Spurweite hinten: Th=1.15m
Spurweite vorne: Tv=1.2m
Fz_va = Lh / L (m·g / 2 + Ff · h / Tf)
Fz_ha = Lv / L (m·g / 2 + Ff · h / Tf)
Werden die Federkonstanten und die Stabilisatoren an der Vorder- und
Hinterachse entsprechend dimensioniert, so kann dieser Wert realisiert
werden. Das Fahrzeug rollt bei dieser Querkraft mit dem entsprechenden
Einfederweg die gewünschten 1.5 Grad um die Fahrzeuglängsachse und
erreicht einen Sturz von 3.5 Grad.
2. Bei maximaler Verzögerung von 1.2g ergibt sich eine vertikale Kraft (Frv) von
1037N pro Rad. Dieser Wert stammt wiederum aus der Betrachtung des
vereinfachten Fahrzeugmodells. Bei Teilung der Gesamtmasse (m) auf
Vorder- und Hinterachse wird eine Gewichtsverteilung von 40:60
berücksichtigt, die sich durch die Längenverhältnisse von Lh zu L ergeben.
Frv = (m·0.5)·g (Lh+μ·h)/L
Dies führt zu einer Kraft (Ff) von 322N, die ein Einfedern von 15.3mm bewirkt.
Berechnet werden diese Werte indem die Kraft am Rad (Frv) auf den Pullrod
projiziert und das Momentengleichgewicht am Umlenkhebel betrachtet wird.
Weiter
führen
die
Federkonstante
von
21N/mm
und
das
Übersetzungsverhältnis des Umlenkhebels von 1.8 zu diesem Wert.
Frv
cos(56o) · 1037 [N] = 580 [N] (Projection)
Ff
Fpr
Fpr/1.8 = Ff = 322 [N] (Momentenggw.)
Ff /21 [N/mm] = 15.3 [mm]
Fig. 17. Vereinfachte Darstellung Kräftefluss vordere Aufhängung
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
22
Mit dem Einfedern um 15.3mm ergibt sich ein Sturz von 2.54 Grad. Dies
erlaubt es einem 6“ breiten Reifen, sich mit genügend grosser Fläche auf der
Fahrbahn abzustützen. Die gefundene Lösung bietet somit einen guten
Kompromiss zwischen Traktion bei Kurvenfahrt und beim Bremsen.
3. Bei grösstmöglicher Beschleunigung entsteht ein Wert von 1.2g, da hier
ähnlich wie beim Bremsen der Reifen an der Traktionsgrenze arbeitet. Die
Horizontalkraft, die bei diesem Fahrzustand an einem Rad angreift, wird durch
das folgende Momentengleichgewicht vereinfacht beschrieben.
Frh = (m·0.5)·g (Lh+μ·h)/L
Das Fahrzeug taucht bei der Beschleunigung um 15mm ein, da die
Federkonstante
25N/mm
beträgt
und
der
Umlenkhebel
ein
Übersetzungsverhältnis von 2.2 aufweist.
Frh
cos(53o) · 1037 [N] = 624 [N]
Ff
Fpr
Fpr /2.2 = Ff = 284 [N]
Ff /19 [N/mm] = 15 [mm]
Fig. 18. Vereinfachte Darstellung Kräftefluss hintere Aufhängung
Durch das Einfedern beim Beschleunigen entsteht ein zusätzlicher Sturz von
2.5 Grad. Dies erlaubt es dem Reifen, sich ähnlich wie beim Bremsen mit
genügend grosser Fläche auf dem Boden abzustützen. Der Kompromiss für
Traktion bei Kurvenfahrt und Beschleunigung ist wiederum gegeben.
6.3.2. Sekundärparameter
Rollzentrum
Bei der Positionierung des Rollzentrums wurde darauf geachtet, dass die horizontale
Lage nie unter die Fahrbahnoberfläche fällt. Des Weiteren wurde seine laterale
Bewegung berücksichtigt. Dabei sollte sich das Rollzentrum lateral nicht über die
Mitte der Reifenaufstandsfläche bewegen. Diese Anforderungen beruhen auf
folgenden Überlegungen:
1. Durch die Lage des Rollzentrums über oder unter der Reifenaufstandsfläche
entsteht
durch
die
Querkraft
ein
Moment
bezüglich
des
Momentandrehzentrums, wodurch die ungefederte Masse nach oben (wenn
das Rollzentrum über dem Boden liegt) oder nach unten (wenn es unter dem
Boden liegt) gedrückt wird. Um die Reifen nicht zusätzlich zu entlasten, wurde
darauf geachtet, dass sich das Rollzentrum über den gesamten Federweg
stets über dem Boden befindet. Um trotzdem einen negativ verlaufenden
Sturz zu garantieren und gleichzeitig die Jacking-Kräfte nicht zu gross werden
zu lassen, wurde das Rollzentrum nach der Faustregel von Staniforth unter
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
23
die Höhe von 50.8mm (2“) in Neutrallage gelegt. Weiter wurde das Hintere
Rollzentrum 10mm über das vordere positioniert, um „albula“, der ein
Hecktriebler ist, beim Herausbeschleunigen aus Kurven eine bessere Traktion
zu gewährleisten. Durch diese Massnahme wird das Heck zusätzlich mit 2030N belastet. Das Rollzentrum an der Hinterachse liegt in Neutrallage 45mm
über dem Boden und wandert mit zunehmendem Federweg auf 5mm. An der
Vorderachse liegt das Rollzentrum in Neutrallage auf 35mm und bewegt sich
bis auf 2mm über den Boden.
2. Durch die Fahrwerksgeometrie mit Doppelquerlenkern und negativem
Sturzverlauf, bewegt sich das Rollzentrum bei Kurvenfahrt nach lateral. In der
Fachliteratur ist dieses Phänomen weit weniger klar beschrieben als die
Rollzentrumhöhe. Recherchen bei anderen Teams und Gespräche mit
Fachpersonen haben gezeigt, dass darauf geachtet werden sollte, dass das
Rollzentrum nicht über die Mitte der Reifen wandert.
Momentandrehzentrum:
Wie im Kapitel Theorie beschrieben, legt das Momentandrehzentrum den Punkt fest,
um den sich die gesamte Fahrwerksaufhängung zu einem bestimmten Zeitpunkt
dreht. Somit hat das Momentandrehzentrum nur indirekt Einfluss auf die anderen
Parameter dieser Gruppe. Sind die anderen Parameter bestimmt, so ist auch das
Momentandrehzentrum definiert.
6.4. Gruppe 2: Nachlauf, King Pin Inclination, Scrub Radius
6.4.1. Hauptparameter
Die zweite Gruppe umfasst die Lenkungsparameter, die allesamt Einfluss auf die
Lenkkräfte, Fahrerfeedback und Sturzgewinn beim Einlenken haben. Der Nachlauf
hat den grössten Einfluss auf die Fahrdynamik, da er den Sturzgewinn beim
Einlenken am stärksten beeinflusst. Dieser Parameter wurde auf einen Wert von 6.4
Grad festgelegt und lässt sich durch Verschieben der Querlenker in Längsachse um
+/- 2.5 Grad verstellen.
Diesen Werten liegen folgende Überlegungen zu Grunde:
1. In der dynamischen Formula Student Disziplin „Skidpad“ wird eine Kurve mit
konstantem Radius möglichst schnell durchfahren. Der Durchmesser dieser
Kurve beträgt 15.25m. Bei „albula“ entspricht dies einem äusseren
Radeinschlag (α) von 12.3 Grad.
Radstand (L) = 1.625 [m]
Radius der Kurve (R) = 7.625 [m]
L
R
ÆR/L = sin/(α)
Æα = 12.3o
Fig. 19. Konstruktion des Wendekreises
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
24
Bei diesem Lenkwinkel wird ein Sturzgewinn von 0.9 Grad vom Caster
generiert. Dieser Wert leitet sich von der Überlegung ab, dass bei einem
Einlenken von 90 Grad der gesamte Caster in Sturz umgewandelt wird.
Unter der Annahme einer linearen Abhängigkeit lässt sich der Sturzgewinn
bei 12.4 Grad ermitteln. Auffallend ist, dass zu dem statischen Sturz von 1
Grad, dem Sturzverlauf bei Kurvenfahrt mit maximaler Querbeschleunigung
von 2.5 Grad zusätzlich weitere 0.9 Grad durch das Lenken entstehen. In
der Summe ergibt das 4.4 Grad Sturz beim Durchfahren einer Kurve mit
Radius 7.625m und einer Querbeschleunigung von 1.5g. Dieser Wert liegt
deutlich über den vorgesehenen 3.5 Grad, konnte aber durch Veränderung
des statischen Sturzes auf den Zielwert korrigiert werden.
2. Lenkkräfte
Kein anderer Parameter bestimmt die Lenkkräfte so stark wie der Caster.
Dies geschieht dadurch, dass beim Lenken, das kurvenäussere Rad
angehoben und das kurveninnere Rad auf die Fahrbahnoberfläche gedrückt
wird. Durch diesen Effekt wird das Fahrzeug angehoben und leicht zur Seite
geneigt. Es entsteht eine Kraft, die sich als Widerstand beim Einlenken
bemerkbar macht. Weiter ist der Caster auch für die Rückstellkräfte der
Lenkung verantwortlich. Man kann sich dieses Phänomen leicht
veranschaulichen, indem man einen Bürostuhl betrachtet, dessen Räder
sich bei Fahrt immer parallel zueinander ausrichten. Diese ausgerichtete
Position entspricht der Nulllage einer Lenkung. Will man die Räder nun
aktiv aus dieser Nulllage bewegen, muss eine Kraft aufgewendet werden.
Wird die Kraft weggelassen, stellt sich das oben beschriebene
Gleichgewicht wieder ein.
6.4.2. Sekundärparameter
King Pin Inclination
Bei der Festlegung der King Pin Inclination musste darauf geachtet werden, dass
dieser Parameter gleichzeitig auch den Wert des Scrub Radius bestimmt. Um dem
Fahrer otimale Lenk- und Feedbackkräfte zur Verfügung zu stellen, wurde bei der
King Pin Inclination auf einen Erfahrungswert von 5.5 Grad zurückgegriffen.
Die Frage, wieso die King Pin Inclination vor dem Scrub Radius festgelegt wurde, ist
berechtigt. Die Antwort ist einfach und folgt aus der Tatsache, dass vor allem in der
angelsächsischen Literatur weit mehr Information zur King Pin Inclination als zum
Scrub Radius zu finden sind. Weiter haben Gespräche mit Fachpersonen gezeigt,
dass dieser Parameter häufiger bei der Fahrwerksauslegung verwendet wird, da er
zusätzlich zum Caster ebenfalls den Sturzgewinn beim Einlenken beeiflusst. Der
Effekt der King Pin Inclination ist dem des Casters entgegengesetzt, hat jedoch
einen geringeren Einfluss auf den Sturzgewinn.
Scrub Radius
Wie bereits oben erwähnt wird der Scrub Radius durch die King Pin Inclination
bestimmt. An diesem Parameter lassen sich leicht die Einflüsse auf die Lenkkräfte
zeigen. Durch die direkte Abhängigkeit zur King Pin Inclination ist der Scrub Radius
ein typischer Sekundärparameter.
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
25
6.5. Gruppe 3: Anti-Features
Anti Dive
Anti-Squat und Anti-Dive können unabhängig voneinender betrachtet werden, da sie
lediglich eine der beiden Radaufängungen beeinflussen. Den Anti-Features
gemeisam ist, dass sie die auftretenden Nickkräfte und den somit entstehenden
Gewichtstransfer verringern. Wichtig ist, dass die Antriebskraft nur von den
Hinterrädern übertragen wird und deshalb der Gewichtstransfer die Traktion
begünstigt und hier erwünscht ist. Die Verzögerungskräfte werden aber durch vier
Räder auf den Boden übertragen. Aus diesem Grund ist beim Bremsen der
Gewichtstransfer unerwünscht. Die vordere Radaufhängung wurde aus folgenden
Gründen mit einem Anti-Dive von 25% versehen:
1. Das vereinfachte Fahrzeugmodell zeigt, dass beim Lastfall Bremsen die
Normalkraft, die an einem Rad angreift, 1037N beträgt. Nun kann die
statische Radlast subtrahiert werden, um die Nickkraft pro Rad zu bestimmen.
Frv – Fnv = Fnick = 1037 [N] – 588 [N] = 449 [N]
Die gesamte Nickkraft, die beim Lastfall Bremsen auftritt, beträgt folglich
898N. Die restliche Belastung pro Rad am Heck beträgt noch 631[N].
(m·0.5)·g (Lv–μ·h)/L = 631 [N]
Um bei einer Vollbremsung möglichst stark Verzögern zu können, d.h. um die
Bremskräfte optimal auf den Boden zu übertragen sollte die
Gewichtsverteilung zwischen Hinter- und Vorderachse 2:3 oder 0.66
betragen. Der Wert der Bremsverteilung kann sich durch die
Fahrbahnbeschaffenheit verändern, wird jedoch mit 2:3 den meisten
Verhältnissen gerecht. Ohne Anti-Dive beträgt die Verteilung in diesem
dynamischen Fahrzustand 631:1037 oder 0.6. Mit 25% Anti-Dive verringert
sich die Nickkraft um ¼ und beträgt so noch 673.5N. Betrachtet man das
Momentengleichgewicht zwischen der am Schwerpunkt angreifenden
Nickkraft und der Normalkraft auf ein Hinterrad, so erkennt man, dass ein
Hinterrad mit 698N belastet wird. Dies berechnet sich aus der durch die
Nickkraft entstehenden Radentlastung, die von der statischen Radbelastung
subtrahiert wird.
Fnick
Fnh
h
Fnick · h = Fnh · Lh
Fnick · h / Lh = Fnh = 311 [N]
Æ 853.5 [N] – 311/2 [N] = 698 [N]
Lv
Lh
Fig 20. Hinterradentlastung durch Nickkraft
Durch den Anti-Dive an der Vorderachse wird folglich bei voller Verzögerung
eine Gewichtsverteilung von 698:1037 oder 0.67 erreicht. Dieser Wert
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
26
entspricht dem festgelegten Optimum und ermöglicht es dem Fahrzeug, seine
Bremsleistung optimal auf den Boden zu übertragen.
2. Durch den verringerten Gewichtstransfer zu der Vorderachse erhält die
Hinterachse eine erhöhte Normalbelastung bei starker Verzögerung. Dies
führt zusätzlich dazu, dass die Hinterräder mehr laterale Führungskräfte
aufnehmen können und dass sich das Fahrzeug stabiler abbremsen lässt. So
betragen die maximal aufnehmbaren Lasteralkräfte 757N ohne und 838N mit
Anti-Dive.
μ·Fnh = 1.2 · 631 [N] = 757 [N]
(ohne Anti-Dive)
μ·Fnh_ad = 1.2 · 698 [N] = 838 [N]
(mit Anti Dive)
Anti-Squat
Die hintere Radaufhängung wurde aufgrund folgender Überlegungen mit 5% AntiSquat versehen:
1. Bei starker Beschleunigung auf gerader Strecke ist ein möglichst grosser
Gewichtstransfer zur Hinterachse erwünscht, da er die Traktion der Reifen
erhöht. So beträgt die Normalkraft bei maximaler Beschleunigung ohne AntiSquat 1037N pro Hinterrad. Mit diesem Anti-Feature beträgt die Normalkraft
985N.
1037 [N] · 0.95 = Fnh_as = 985 [N]
2. Diese Entscheidung fällt weit stärker ins Gewicht, wenn man das
Beschleunigen aus einer Kurve heraus betrachtet. Die Idee war, dem
Fahrzeug beim Beschleunigen mehr Traktion auf der Vorderachse zu
Verfügung zu stellen, um dem Untersteuern am Kurvenausgang
entgegenzuwirken. So beträgt die Normalkraft auf ein Vorderrad bei 1.2g
Beschleunigung 427N. Mit Anti-Squat beträgt diese Kraft 435N. Die Reifen
können so mehr laterale Kräfte aufnehmen.
Fnick_nv
h
Fnick
Fnick(@ 1.2g) = 449 [N]
Fnick · h = Fnick_nv · Lv
Fnick · h / Lv = Fnick_nv = 142 [N]
Lv
Lh
Fnv_abs = Fnv – Fnick_nv = 569 [N] – 142 [N] = 427 [N]
Fnv_abs_as = Fnv – (Fnick_nv · 0.95) = 435 [N]
Fig. 21. Vorderradentlastung Nickkraft
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
27
6.6. Loops innerhalb der Gruppen
In Gruppe 1 ergaben sich die ersten Probleme bei der Betrachtung der
Sekundärparameter. Bei der Platzierung des Rollzentrums war es nicht möglich,
die festgelegte Höhe von 50.8mm einzuhalten oder einen Nulldurchgang zu
vermeiden. Mit Nulldurchgang wird das Eintauchen des Rollzentrums unter die
Fahrbahnoberfläche aufgrund zunehmenden Einfederns bezeichnet. Aus diesem
Grund wurde der Sturzverlauf vorne und hinten auf einen Wert von 0.6 bzw. 0.7
Grad/10mm angepasst.
Die Lenkungsparameter liessen sich relativ problemlos bearbeiten und machten
Loops innerhalb der Gruppe nicht nötig. Durch die Unabhängigkeit des Casters
mit der King Pin Inclination konnten diese Parameter gemäss Zielvorgaben
festgelegt werden. Die direkte Abhängigkeit zwischen King Pin Inclination und
Scrub Radius vereinfachte die Bearbeitung zusätzlich, da hier keine separate
Betrachtung nötig war.
In der 3. Gruppe konnten die Anti-Features getrennt voneinander betrachtet
werden, da sie die einzelnen Achsen unabhängig beeinflussen. Die Zielvorgaben
waren somit innerhalb dieser Gruppe leicht zu erreichen.
6.7. Loops ausserhalb der Gruppen
Die gruppenübergreifenden Loops stellten eine weit grössere Herausforderung
dar, als die innerhalb der Gruppen. Der Grund dafür lag in der Vielzahl von
Abhängigkeiten zwischen den Parametern. Bei der Fahrwerksauslegung von
„albula“ trat der einzige gruppenübergreifende Loop zwischen der 1. und der 3.
Gruppe auf. Nachdem der Sturzverlauf und das Rollzentrum festgelegt worden
waren, mussten die Anti-Features in das bestehende System integriert werden.
Da die Anti-Features durch die Anwinklung der Querlenker einen starken Einfluss
auf die Rollzentrumhöhe haben, war ein iterativer Anpassungsprozess zwischen
diesen beiden Gruppen nötig. Dabei mussten der Sturzverlauf, die
Rollzentrumlage und der Wert der Anti-Features stets berücksichtigt werden. Im
Prinzip konnte das Problem mit der gleichzeitigen Absenkung der oberen
Aufhängungspunkte und dem Anwinkeln der Querlenker gelöst werden. Durch
das Absenken der oberen Querlenkeraufnahmen am Chassis wurde der
Erhöhung des Rollzentrums entgegengewirkt und durch das Anwinkeln der
Querlenker das Anti-Feature realisiert. Diese Korrektur musste in Einklang mit
der Veränderung des Sturzverlaufes gebracht werden. Nach mehreren iterativen
Schritten konnten die Parameter bis auf den Sturzverlauf ohne grössere
Kompromisse erreicht werden.
7. Ergebnisse der Simulation
7.1. Verwendetes Model
Bei der Simulation der Fahrwerkskinematik von „albula“ wurde das
Mehrkörpersimulationsprogramm Adams r2 Car verwendet. Die Gründe für die
Verwendung dieses Programms lagen vor allem in der leichten Verfügbarkeit und in
der möglichen Verwendung eines Formula Student Templates. Die Lizenzen wurden
durch das ASL (Autonomous Systems Laboratories) erworben und zur Verfügung
gestellt. Die Templates mit vorkonfigurierten Formula Student Fahrzeugen konnten
von der website der MSC Sofware (www.mscsoftware.com) bezogen werden. Die
Daniel Landmann: Fahrwerksgeometrie eines Formula Student Rennwagens
28
Verwendung dieser Templates war von Vorteil, da eine Neumodellierung eines
Fahrzeugs viel Zeit in Anspruch genommen hätte.
Fig. 22. Adams r2 Car Formula Student Template
Das
Modell
verfügt
über
eine
Doppelquerlenkeraufhängung,
deren
Befestigungspunkte an Rahmen und Rad mittels Koordinaten frei im Raum
positioniert werden können. Weiter verfügt das Template auch über einen
modellierbaren Stabilisator, mit dem Einflüsse auf die Rollbewegungen simuliert
werden
können.
Des
weiteren
macht
die
integrierte
Lenkung
Lenkgeometriebetrachtungen
möglich.
Auch
können
Federraten
der
Dämpferelemente und Reifen simuliert werden, um die originalgetreue Betrachtung
der dynamischen Fahrzustände zu ermöglichen.
7.2. Ergebnisse
Im folgenden Kapitel werden die berechneten Geometrien und Parameter anhand
von Simulationen in Adams r2 Car validiert und überprüft. Die Geometrie wurde mit
den entsprechenden Abmessungen in das Adams Koordinatensystem integriert und
so das Template an die Abmessungen von „albula“ angepasst. Im Folgenden
möchte ich die Resultate anhand der Parametergruppen betrachten und
kommentieren.
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Fig. 23. Eingabe der Fahrwerksabmessungen und Simulation mit Adams r2 Car
7.3. Gruppe 1: Sturzverlauf, Rollzentrum, Momentandrehzentrum
Beim Sturzverlauf lässt sich deutlich die erfolgte Korrektur erkennen. Die
ursprünglich vorgesehenen 1.66 Grad/10mm mussten aufgrund der Lage des
Rollzentrums und des Anti-Dive auf 0.6 Grad/10mm angepasst werden. Die
verschiedenen Kurven zeigen die Einstellmöglichkeiten der Querlenkeraufnahmen
am Chassis. Die durchgezogene rote Kurve zeigt die Standardeinstellung. Die
Kurven in schwarz (gepunktet) und blau (gestrichelt) stellen die obere bzw. untere
Einstellgrenze am Chassis dar. Die oberste Einstellung liefert einen Sturzverlauf von
0.5 Grad/10mm, die unterste einen von 0.7 Grad/10mm.
Fig. 24. Der Sturzverlauf vorne mit den entsprechenden Einstellmöglichkeiten,
Ordinate: Sturz [Grad], Abszisse: Federweg [mm]
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Bei der Betrachtung des Rollzentrums der vorderen Radaufhängung sieht man, dass
die Einstellung mit dem kleinsten Sturzverlauf das höchste Rollzentrum in
Neutrallage ergibt (Fig. 26). Seine Höhe ist mit 46mm noch nicht über dem
festgelegten Maximum. Da das hintere Rollzentrum jedoch stets höher liegen soll als
das vordere, befindet sich dieser Wert nahe der obersten Grenze. Die rote
(ausgezogene) Linie markiert die Standardlösung mit einem Rollzentrum auf 37mm
Höhe. Die blaue, gestrichelte Kurve zeigt die Einstellung, mit welcher der stärkste
Sturzverlauf erreicht wird. Auffallend bei dieser Lösung ist der Nulldurchgang bei
25mm Einfederweg, der durch Anschlagpuffer im Feder/Dämpfer-Element verhindert
werden kann. Fig. 25 zeigt die Höhe des Rollzentrums bei 1.66 Grad/10mm
Sturzverlauf. Die Höhe von 74mm liegt deutlich über dem Zielwert von 50.8mm.
Fig. 25. Rollzentrumhöhe bei einem Sturzverlauf 1.66 Grad/10mm,
Ordinate: Rollzentrumhöhe [mm], Abszisse: Federweg [mm]
Fig. 26. Verlauf der Rollzentren Vorderradaufhängung,
Ordinate: Rollzentrumhöhe [mm], Abszisse: Federweg [mm]
Auch an der hinteren Aufhängung musste der Sturzverlauf zu Gunsten der
Rollzentrumshöhe nach unter korrigiert werden. Die Standardeinstellung des
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Sturzverlaufes beträgt somit 0.7 Grad/10mm. Dieser an der Hinterachse leicht
grössere Wert konnte durch das im Verhältnis zur Vorderachse schwächere AntiFeature erreicht werden. Die übrigen Einstellungen, die sich wie an der Vorderachse
durch vertikal verschiebbare obere Querlenker am Chassis realisieren lassen,
betragen 0.8 Grad/mm für die unterste und 0.6 Grad/10mm für die oberste
Einstellung.
Fig. 27. Sturzverläufe an der Hinterachse,
Ordinate: Sturz [Grad], Abszisse: Federweg [mm]
Die Rollzentumhöhe für den Standardsturzverlauf liegt in Neutrallage bei 47mm und
somit wie gewünscht 10mm höher als an der Vorderachse. Dieses Rollzentrum
wandert mit zunehmendem Einfederweg auf einen Wert von 3mm über Boden. Der
schwächere Sturzverlauf ergibt eine Höhe von 50mm und ist somit an der gesetzten
Grenze von 50.8mm.
Fig. 28. Verlauf der Rollzentren Hinterradaufhängung,
Ordinate: Rollzentrumhöhe [mm], Abszisse: Federweg [mm]
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7.4. Gruppe 2: Vorlauf, King Pin Inclination, Scrub Radius
Bei den Lenkungsparametern gab es im Gegensatz zu Gruppe 1 kaum
Anpassungsbedarf. Der Vorlauf konnte in der Standardeinstellung auf nahezu
konstante 6.5 Grad festgelegt werden. Die obere und untere Kurve begrenzen die
grösstmögliche
Verstellung,
die
durch
horizontal
verschiebbare
Querlenkeraufnahmen am Chassis realisiert wurde.
Fig. 29. Vorlaufwinkel mit entsprechendem Verstellbereich,
Ordinate: Caster [Grad], Abszisse: Federwg [mm]
Die King Pin Inclination konnte problemlos in Neutrallage auf 5.3 Grad festgelegt
werden. Die Zunahme dieses Winkels bei fortschreitendem Einfedern resultiert aus
dem Sturzverlauf, der sich um 0.6 Grad/10mm erhöht. Die Einstellbarkeit wurde
wegen ihres geringen Einflusses auf die Lenkkräfte und wegen der Komplexität der
Realisierung verworfen.
Fig. 30. King Pin Inclination,
Ordinate: King Pin Inclination [Grad], Abszisse: Federweg [mm]
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Der Scrub Radius, der sich direkt aus der King Pin Inclination ergibt, war
erwartungsgemäss leicht zunehmend. Die Zunahme ergibt sich wie bei der King Pin
Inclination durch den sich erhöhenden Sturzverlauf.
Fig. 31. Scrub Radius, Ordinate: Scrub Radius [mm], Abszisse: Federweg [mm]
7.5. Gruppe 3: Anti-Features
Der an der Vorderradaufhängung verwendete Anti-Dive musste über viele
Iterationsschritte in das bereits bestehende Fahrwerk integriert werden. Dabei
ergaben sich die Probleme weniger bei der Realisierung des gewünschten Wertes
von 25%, schwerwiegender waren die Kompromisse, die eingegangen werden
mussten. Die Problematik lag vor allem bei den Rollzentrumshöhen, die durch
entsprechende Anwinklung der Querlenker verändert wurden. Die Standardlösung
sieht nun einen Anti-Dive von 22-25% vor. Durch vertikale Verschiebung des
vorderen Aufnahmepunktes nach unten und des hinteren nach oben können die
Werte der blauen (gestrichelten) Kurve erreicht werden. Wird der obere Querlenker
in die andere Richtung geneigt, so entsteht die schwarze (gepunktete) Kurve. Somit
besteht die Möglichkeit, diesen Parameter weiterhin zu verändern und
gegebenenfalls zu korrigieren.
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Fig. 32. Anti-Dive, Ordinate: Anti-Dive [%], Abszisse: Federweg [mm]
Der Anti-Squat an der Hinterachse konnte leichter auf die anderen Parameter
angepasst werden, da aufgrund der kleineren Anwinklung der Querlenker die
Rollzentrumshöhen weniger variierten. Die Grundeinstellung sieht in Neutrallage
einen Anti-Squat von 5% vor (rote, ausgezogene Kurve). Werden die vorderen
Querlenkeraufnahmen angehoben und die hinteren abgesenkt, verändert sich der
Parameter nach der schwarzen (gepunkteten) Kurve. Die blaue (gestrichelte) Kurve
beschreibt den Anti-Squat bei Anwinklung der Querlenker in entgegengesetzte
Richtung. Dadurch lässt sich der Gewichtstransfer bei Beschleunigung wirkungsvoll
beeinflussen.
Fig. 33. Anti-Squat, Ordinate: Anti-Squat [%], Abszisse: Federweg [mm]
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8. Diskussion
Die entwickelte Methodik und die davon abgeleitete Problemaufteilung waren gut
geeigneit, die gestellte Aufgabe zu lösen. Es konnte ein Fahrwerk ohne grosse
Kompromisse ausgelegt und auf die Bedürfnisse eines Formula Student Fahrzeugs
angepasst werden. Es besteht jedoch Potential für Verbesserungen.
Die auffälligste Korrektur, die in der 1. Parametergruppe durchgeführt werden
musste, war die Anpassung des Stutzverlaufs von den ursprünglich vorgesehenen
1.66 Grad/10mm, auf 0.6 Grad/10mmm. Die Gründe hierfür waren die Lage des
Rollzentrums und in die Integrierung der Anti-Features. Mit einem ursprünglichen
Sturzverlauf von 1.66 Grad/10mm wäre die Neutrallage des Rollzentrums auf über
74mm über Boden zu liegen gekommen. Die Lage ist somit etwa 1.5 mal höher als
das mit 50.8mmm gesetzte Maximum und stellt deshalb keine Kompromisslösung
dar. Trotz der Wahl des Sturzverlaufes als Hauptparameter in Gruppe 1 musste
dieser stark angepasst werden. Deshalb stellt sich die Frage, ob der richtige
Hauptparameter gewählt wurde. Geplante praktische Tests müssen zeigen, welcher
dieser beiden Parameter den grösseren Einfluss auf die Fahrdynamik hat. Ein
möglicher Ansatz wäre die Wahl der Rollzentrumhöhe als Hauptparameter. Dann
müsste der Sturzverlauf eine untergeordnete Rolle spielen. Weiter bleibt abzuklären,
welchen Einfluss Nulldurchgänge des Rollzentrums in der Praxis haben. Denn es ist
nicht klar, ob der Vorzeichenwechsel der vertikalen Kräfte einen grossen Einfluss auf
das Fahrempfinden und Fahrverhalten haben. Ebenfalls zu prüfen ist die
Fahrdynamik mit zu hohem Rollzentrum und die daraus folgenden Auswirkungen auf
Empfinden und Verhalten des Fahrzeugs. Erst nach Überprüfung dieser Parameter
im realen Einsatz können die gewonnen Erkenntnisse neue Rahmenbedingungen
schaffen und die Zielvorgaben modifizieren. Die in Gruppe 2 getroffenen Entscheide
stellen keinerlei Kompromisse dar. Hier konnten die Zielwerte der Parameter
praktisch „straight forward“ eingesetzt werden. Auch lassen die Einstellmöglichkeiten
viel Spielraum, um mögliche Auslegungsfehler korrigieren zu können. Die
Parametergruppe 3 mit ihrer starken Vernetztung zu Gruppe 1 hat am die grösste
Aufmerksamkeit erfordert. Die Abhängigkeiten zwischen Anti-Feature, Lage des
Rollzentrums und Sturzverlauf stellten grosse Integrationsprobleme. Bei der
Fahrwerksauslegung müssen diese Wechselbeziehungen von Anfang an beachtet
werden. Mit 2 bis maximal 8% ist der Wert des Anti-Squat im Rahmen der
Zielvorgaben. Der Wert des des Anti-Dive ist mit 22-27% zufriedenstellend, sein
Verlauf steigt jedoch nicht linear oder mit leichter Progression an, sondern fällt mit
zunehmendem Federweg ab. Diese Nickbewegung beim Bremsen ist aber von
sekundärer Bedeutung.
Generell kann festgehalten werden, dass die selbst verfassten Zielvorgaben mit
leichten Kompromissen und die Einschränkungen des Reglements vollumfänglich
eingehalten werden konnten. Das Fahrwerk liefert dem Fahrzeug somit gute
Voraussetzungen um im Wettbewerb zu bestehen.
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9. Danksagungen
Ich möchte mich bei folgenden Personen bedanken, die das Projekt Formula
Student und somit meine Bachelorarbeit ermöglichten. Herr Professor Siegwart, der
als Leiter des ASL (Autonomous Systems Laboratories) Hauptverantwortlicher
dieser Lehrveranstaltung war, Dr. Roland Haas, dem Lehrbeauftragten des
Focusprojekts, Herr Erich Schwaller, Schwaller Movement Engineering AG, der mich
besonders in der Startphase unterstützte, und meinem Betreuer David Rémy.
10. Bibliographie
[1] 2007 Formula SAE® Rules.
(http://students.sae.org/competitions/formulaseries/rules/rules.pdf)
[2] Europa Lehrmittel - Fachkunde Kraftfahrzeugtechnik, 28. Auflage 2004.
[3] John H. Glimmerveen, Hands-On Race Car Engineer, SAE International, 2004
[4] Kraftfahrzeugtechnik, Kieser Verlag Neusäss, 1. Auflage, 1999.
[5] Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, Bosch, 25. Auflage, Oktober 2003.
[6] Lewerenz F., Röhrl W., Sportlich und sicher Auto fahren, Motorbuch Verlag, 1.
Auflage 2004.
[7] Milliken W.F., Milliken D.L., Race Car Vehicle Dynamics, 1995.
[8] Reimpell J., Fahrwerktechnik: Grundlagen, Vogel-Fachbuch: Technik:
Kraftfahrzeugwesen, 2. Auflage, 1988.
[9] Reimpell J., Fahrwerktechnik: Fahrverhalten, Vogel-Fachbuch: Technik:
Kraftfahrzeugwesen, 2. Auflage, 1991.
[10] Reimpell J., Fahrwerktechnik: Fahrwerktechnik, Vogel-Fachbuch: Technik:
Kraftfahrzeugwesen, 2. Auflage, 1988.
[11] Staniforth Allan, Competition Car Design, 1. Auflage 1998.