martin honert

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martin honert
MARTIN
HONERT
FATA MORGANA, 1996
Martin Honert studierte zusammen
mit Katharina Fritsch an der Staatlichen
Kunstakademie in Düsseldorf bei Professor Fritz Schwegler.
Der Künstler vertrat 1995 auf der
Biennale in Venedig sein Heimatland im
Deutschen Pavillon mit dem vielbeachteten Werk zu Erich Kästners ‚fliegendem
Stadtmauern ein märchenhafter Palast
wie aus 1001 Nacht mit vielgestaltigen
Zwiebeltürmen und Minaretten mit gol-
denen Dachhauben. Das zentrale Stadttor
führt den Blick des Betrachters ins Innere.
Flankiert wird das ‚Luftschloß‘ von kleineren Gruppen von Dattelpalmen, die dem
Ganzen eine perspektivische Tiefe geben.
Klassenzimmer‘. In den meisten Werken
Ein Junge, der hinter dem Bauwerk auf
Kindes aus der Sicht des erwachsenen
Palast. Er wirkt im Verhältnis zur Archi-
Erinnerung, indem er den Standpunkt
sich eine Spiegelung. Wie auf der gleißen-
Honerts geht es um die Erinnerung des
Künstlers. Martin Honert konstruiert
der Gegenwart einschließt.
In der Sammlung des Museums für
Moderne Kunst befinden sich bereits
dem Boden hockt, beugt sich über den
tektur wie ein Riese. Darunter erstreckt
den Oberfläche eines Sees, von überblendendem Licht erfüllt, erscheint sie in
einer helleren, diffusen Farbigkeit. Das
sechs Hauptwerke des Künstlers aus den
vom Künstler gewählte transparente Ma-
dem Titel Fata Morgana von 1996 bildet
Honert hatte seine Vorstellung von Fata
Schaffens. Es besteht aus zwei Teilen, ei-
Bild gemalt. Diese Vorlage wurde fotogra-
Jahren 1988 bis 1993. Die Erwerbung mit
eine Art Quintessenz seines bisherigen
nem bildnerischen und einem plastischen.
Auf dem wie frei im Raum schwe-
benden ‚Bild’ erhebt sich hinter hohen
terial steigert diese Wirkung noch. Martin
Morgana zunächst als großformatiges
fiert, um ca. 20% vergrößert und zu einem
riesigen Diapositiv entwickelt. Schließlich wurde dieses hauchdünne Film-
material in streifenförmige Lamellen
legendenumwobenen ‚Spiegel der Luft‘,
geschnitten und die einzelnen Bildstrei-
die uns flirrend am Horizont grüne Oa-
gossen. Gleichzeitig mit eingegossene
glutheißer Wüste erscheinen lassen. Von
fen in durchsichtiges Epoxyd-Harz ge-
sen und bizarre Schlösser in trockener,
Kanülen aus Metall dienten anschließend
Marco Polo und Lawrence von Arabien
eine Art Perlenvorhang aufzureihen.
ranken sich die Berichte und Abenteuer
Werk nicht nur rein optisch, sondern tat-
Kinderherzen höher schlagen lassen.
dazu, das ganze ‚Bild‘ an Schnüren wie
Durch diese Fertigungsmethode ist das
sächlich sehr fragil.
„Die lamellenartige Struktur der
bis hin zu Karl Mays Kara Ben Nemsi
um Zauberspiegelungen, die nicht nur
Und wer erinnert sich nicht an Aladin
und die Wunderlampe oder Ali Baba und
Streifen der Fata Morgana ist z.B. eine
die 40 Räuber, der sich mit den Zauber-
schen Flimmerns von verschieden hei-
einer Schatzhöhle verschaffte. „Nach
die Bedingung für Luftspiegelungen
gane die zauberkundige Stiefschwester
stehenden Festbild geworden, optisch al-
Tiefen des Meeres vor Siziliens Küste in
Honert, Katalog Zuspiel, Stuttgart 1996,
aber verließ sie ihn mit ihren Begleiter-
sehr stilisierte Übertragung des opti-
ßen Luftschichten in der Wüste, die ja
sind. Das Flimmern ist zwar zu einem
lerdings geht es um Auflösung.“ (Martin
o.S.) Naturwissenschaftlich betrachtet
sind solche Luftspiegelungen atmosphä-
worten ‚Sesam, öffne dich‘ Zutritt zu
einer bretonischen Sage war die Fee Mor-
des König Arthus und herrschte in den
einem Kristallpalast. An manchen Tagen
innen, um in hundertfachen Spiegelge-
stalten über den Wellen ihre Macht und
rische Erscheinungen. Ursache dafür ist
Magie zu entfalten und den Menschen
der Grenzfläche zwischen Luftschichten
Ruhm, Katalogtext zur Ausstellung luftec
eine Totalreflexion von Lichtstrahlen an
unterschiedlicher Temperatur und damit
unterschiedlicher optischer Dichte. Die
Luftspiegelung nach unten entsteht,
die Sinne zu verwirren.“ (Constanze
von Markus Bader)
Vor den vibrierenden Schichten
wenn die bodennahen Luftschichten
des schwebenden ‚Bildes’ Fata Morgana
Eigentlich ist das Naturphänomen nur
gebettet eine ‚Sandburg‘ auf dem Boden.
mungen und einer besonders kompli-
diesem Zusammenhang erkennt man,
wärmer sind als die darüber liegenden.
ein physikalisches Spiel von Luftströ-
zierten Strahlenbrechung mit Aus- und
Einfallswinkeln.
Vielmehr als mit solche wissen-
schaftlichen Erklärungen, sind mit einer
Fata Morgana Vorstellungen von Trug-
bildern und Sinnestäuschungen verbun-
den, die unsere Phantasie beflügeln. Es
sind Bilder bar jeder Vernunft, bei denen
wir unseren Augen nicht trauen. Diese
liegt wie in eine Miniaturlandschaft ein-
Sie lässt an Ferien am Meer denken. In
dass der eingangs erwähnte Junge eigentlich vor einer Sandburg sitzt und ganz im
Spiel versunken ist. Das Kind erträumt
sich in seiner Phantasie einen solchen
prächtigen Palast beim Sandburgenbau.
Ein ursprünglich wohl treppenförmig
abgestufter Hauptbau wird durch zwei
kleine Kuppeln gekrönt, die deutlich
den Abdruck von zwei Sandförmchen
hinterlassen. Bei diesem Objekt handelt
und Realität seiner eigenen Erinnerung.
es sich um eine bis ins kleinste Detail
Martin Honert hat es für sich selbst so
Sand. Diese ‚reale‘ Sandburg zeigt nun
gen da hereingebracht habe, macht den
vielmehr den Eindruck als hätten Mee-
erinnerten Bild. Der Junge geht auf ein
konstruierte Plastik aus Polyester und
aber nicht einen Palast, sondern man hat
formuliert: „Dass ich den spielenden JunGesamtanblick vielleicht auch zu einem
reswellen die Konturen des Gebäudes
Foto zurück, auf dem ich als Kind am
Kinderfußspuren im Sand sind bereits
lerisch interessiert mich am Thema Er-
weggeschwemmt und verwischt und
über das Werk vom Vortag hinweggegan-
Strand eine Sandburg baue. (…) Künstinnerung nicht das Bewältigen meiner
gen. Dieser Teil des Gesamtwerkes stellt
eigenen Kindheit. Das Thema Erinne-
dar.
Bilder zu kommen. Erinnerungen hat
eigentlich den zerstörten Kindheitstraum
Wie in fast all seinen Arbeiten, so ist
Martin Honert auch hier daran interessiert Dinge materiell darzustellen, die
rung ist aber sehr gut geeignet, um auf
man schemenhaft vor Augen. Das Flüch-
tige weckt in mir das Bedürfnis, es festzu-
halten, d.h. ein Bild davon zu machen. Als
eigentlich nicht materiell darzustellen
mir das Fata Morgana-Motiv im Kopf he-
Widerspruch in sich. Die Desillusion ist
später zur Bildidee hinzu. Von Anfang an
sind. Das festgehaltene Trugbild ist ein
rumging, kam der spielende Junge erst
miteinbezogen. Die bewusst eingesetzte
wollte ich bewusst auf die allgemeine Kli-
nur die Simulation. Er selbst spricht von:
von einer Fata Morgana hat (…) Aber die-
mer Bilder interessiert, die mit Mühe,
der Wüste war mir noch zu dünn als Mo-
gestellt worden sind.“ (Martin Honert,
‚Luftschloss’ gekommen. Und in dem Mo-
Künstlichkeit des Materials unterstreicht
„Lexikonillustrationen! Mich haben im-
Geschick und ohne Kunstanspruch her-
Katalog Zuspiel, Stuttgart 1996, o.S.) Wie
schon der Kinderkreuzzug (1985/87) als
scheevorstellung zurückgreifen, die jeder
se Populärvorstellung vom Trugbild in
tiv. Dann bin ich auf die Assoziation
ment hatte ich plötzlich eine Verbindung
zu einer eigenen Erfahrung, nämlich das
auch das szenische Bild zu Erich Kästners
Sandburgbauen als Kind. Das war für
Fata Morgana etwas von einem Bühnen-
aus einer netten Idee für eine mögliche
Das fliegende Klassenzimmer (1995) hat die
prospekt.
Einerseits formuliert Martin Ho-
nert mit dem ‚Bild‘ Fata Morgana eine
Art Wunschbild andererseits handelt es
sich um ein Trugbild. Dieses Wunschbild,
das sich jeglichem Festhalten entzieht,
erhält mit der davorliegenden Sandburg
eine Art Gegenbild. Es kommt zu einer
Enttäuschung. Der Betrachter gerät in
ein ernstes Spiel zwischen Phantasie
mich ein ganz wichtiger Punkt. Da wurde
Arbeit ein Motiv, von dem ich die subjektive Erlebnisseite kannte.“ (Martin
Honert, Katalog Zuspiel, Stuttgart 1996,
o.S.)
Mario Kramer
MARTIN HONERT
(*1953, Bottrop — lebt in Düsseldorf
und Dresden)
FATA MORGANA, 1996
Großdia, Epoxydharz, Polyester, Sand
Museum für Moderne Kunst,
Frankfurt am Main
Inv. Nr. 1997/121.1-2
MARTIN HONERT
FATA MORGANA, 1996
Martin Honert studied alongside
Katharina Fritsch at the State Art Academy in Düsseldorf under Prof. Fritz
Schwegler.
In 1995, Honert represented Ger-
many at the Venice Biennial, where he
attracted great attention in the German
Pavilion with his sculpture on Erich
Kästner’s book “The Flying Classroom”.
In most of his works, he focuses on the
memories of a child from the viewpoint
of an adult artist. Martin Honert constructs memory by building the viewpoint of the present into the works.
The collection of the Museum für
Moderne Kunst already contains six
fairytale-like palace behind high city
walls — it resembles something from the
Arabian Nights with its onion turrets and
minarets with golden window caps. The
central town gate guides our gaze into the
inside of the town. This “castle in the air”
is flanked by a smaller group of date
palms which serve to give the picture
depth and perspective. A boy, crouching
on the ground behind the building, is
bending over the palace. Compared with
the architecture, he seems to be a giant.
Beneath this we see a reflection. As if on
the glittering surface of a lake, flooded by
the light that is thus faded in, the reflec-
tion is brighter and more diffuse in terms
major Honert works dating from 1988
of color. In this context, the transparent
Morgana and was produced in 1996; in
the effect. Martin Honert initially painted
to 1993. Our acquisition is entitled Fata
a way, it captures the quintessence of his
oeuvre to date. It consists of two parts,
the one pictorial, the other sculptural.
The “picture” which seems to
float freely above the floor, shows a
material Honert has chosen intensifies
his notion of a Fata Morgana, that is to
say a mirage, as a large-sized picture. He
then photographed the result, had the ne-
gative blown up by about 20 percent, and
created an enormous color slide. Finally,
this wafer-thin film material was cut into
strips that resemble those of a blind, and
each of them molded in transparent epo-
green oases and bizarre castles beckoning
on the horizon in the middle of dry, in-
tensely hot deserts. From Marco Polo and
xy resin. The metal eyelets included in
Lawrence of Arabia through to Karl May’s
‘picture’ to be suspended on strings as if it
Honert’s native Germany, reports and
the molds serve solely to enable the entire
were a bead curtain. This method ensures
that the work not only seems fragile optically speaking but is factually highly
fragile.
“By resembling slats in a blind, the
strips in Fata Morgana offer a highly styl-
ized way of depicting the flickering of dif-
ferent layers of hot air in the desert — and
it is these which cause such reflections in
the air. Here, the flicker has frozen to a
fixed image, but in visual terms the focus
is on the dissolution of such rigidity.”
stories of “Kara Ben Nemsi” so popular in
adventures come to our ears of magical
reflections, causing all our hearts to beat
faster. And who among us does not re-
member Aladdin and his lamp, or Ali Baba
and the 40 thieves, who made their way
into the cave housing the treasure by ut-
tering the magical words “Open Sesame”.
“According to a Breton legend, Morgan La
Fee, the step-sister of King Arthur, was
fully cognizant with magic and ruled in
the depths of the sea off the coast of Sicily
in a crystal palace. Some days, together
(Martin Honert, in the catalog Zuspiel,
with her female companions she left the
fic terms, the reflections in the air are an
over the waves — in the form of hundreds
Stuttgart 1996, no pagination). In scienti-
atmospheric phenomenon. The cause: a
complete reflection of light rays at the
point where different layers of air of diffe-
ring temperatures meet as they thus have
different optical densities. The reflection
of air above the earth occurs if the layers
of air above the ground are warmer than
palace to unleash her magic and power
of different reflected images, robbing humans of their senses.” (Constanze Ruhm,
catalog essay on the luftec exhibition by
Markus Bader) Hence the German word
for mirage, the “Fata Morgana”.
Honert has positioned a “sand
those higher up. As a point of fact, this
castle” on the floor in front of the vibrant
interplay of air currents that leads to the
rage such that it seems to be embedded in
natural phenomenon is only the physical
light rays which enter and leave the layers
at a particular angle, fracturing in a parti-
cularly complicated manner.
The notions of deceived senses and
misleading images which we so imagina-
layers of the floating ‘picture’ of the mi-
a miniature landscape. We are reminded
of a holiday at the seaside. Here, we re-
cognize that the boy mentioned above is
actually sitting in front of the sand castle
and is quite immersed in playing with it.
tively associate with a mirage have little
In his imagination, while building it, the
For these images are not based on com-
such a marvelous palace. What was origi-
we cannot trust our own eyes. Such legen-
upwards in staggered layers is crowned by
to do with these scientific explanations.
mon sense and although seeing them
dary ‘mirrors in the air’ cause us to see
boy is dreaming that the sand castle is
nally probably a main building that rises
two small domes which clearly reveal the
impression of the little buckets used to
viewers become ensnared in the serious
made of polyester and sand which he has
our own memories. With regard to his
smallest detail. This ‘real’ sand castle is,
ed this as follows: “The fact that I have
mold them. Honert’s object is a sculpture
carefully constructed down to the very
however, no palace; instead, we have the
interaction of imagination and reality in
own memories, Martin Honert describincorporated the boy playing with the
impression that waves have washed away
castle into the work perhaps turns the
ces of little children’s feet in the sand
boy derived from a photo of me as a boy
the contours of the building and the tra-
show that the day before someone must
have crossed it. This part of the overall
work actually presents a destroyed childhood dream.
As in almost all his art, here Martin
Honert is again interested in presenting
things in material form which cannot
really be described in a tangible way. The
deceptive image he offers is self-contra-
dictory and disillusion is innate to it. The
overall vista into a mnemonic image. The
building a sand castle on a beach. (…) In
artistic terms, I am not interested in the
topic of memory in order to come to
terms with my own childhood. But mem-
ory as a theme is ideal as a source of
images and pictures. Memories are some-
thing you have as outlines before your
mind’s eye. In me, these fleeting images
kindle a need to freeze them, i.e. to turn
them into a picture. The idea for the Fata
deliberately artificial nature of the mate-
Morgana was buzzing around my head
character of the whole. Honert himself
boy playing at the seaside. From the very
rial serves to underscore the simulated
says: “Encyclopedia illustrations! I have
always been fascinated by pictures that
well before I hit upon the picture of the
beginning, I consciously wished to make
use of that cliched image of mirages we
are the product of much effort and skill
all tend to have (…) However, the popular
(Martin Honert, catalog Zuspiel, Stutt-
desert somehow did not have enough
Children’s Crusade (1985-7) and the stag-
with the idea of a ‘castle in the air’. And
Classroom (1995), Fata Morgana in a cer-
my own experience, namely to the sand
but do not claim in any way to be art.”
gart 1996, not paginated) As with his
ed portrayal of Erich Kästner’s Flying
tain sense resembles a theatrical back-
drop.
On the one hand, with his Fata Mor-
gana ‘picture’, Martin Honert offers us a
sort of wishful image; on the other, the
image is deceptive. The wishful image
cannot in any way be given tangible form
— and the sand castle functions as a sort of
diametrical opposite to it, pin-pointing
the disappointment that will come. We
notion of the deceptive image in the
flesh to it as a motif. Then I associated it
that very moment I suddenly linked it to
castles I had built as a child. That was a
really important point for me: a nice idea
for a piece of art suddenly became a motif
which had a subjective side to it rooted in
my own experience.” (Martin Honert,
catalog Zuspiel, Stuttgart 1996, not paginated)
Mario Kramer
Translation: Jeremy Gaines
MARTIN HONERT
(*1953, Bottrop — lives in Düsseldorf
and Dresden)
FATA MORGANA, 1996
Large-size slide, epoxy resin, sand castle,
polyester, sand
Museum für Moderne Kunst,
Frankfurt/Main
Inv. no. 1997/121.1-2