Weitere Informationen zum Objekt des Monats März 2016

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Weitere Informationen zum Objekt des Monats März 2016
Objekt des Monats
März 2016
Jugendstilfliesen
Der März lockt jedermann vor die Tür, denn der Frühling beginnt. Die
Natur erwacht, überall sprießen die Frühblüher und vertreiben mit zarten
Farben das winterliche Alltagsgrau. Diese Farbintensität findet sich bei diesen vier Jugendstilfliesen wieder, die exemplarisch für ein 400 Stück
umfassendes Konvolut stehen, welches das MKK 2014 aus Privatbesitz
erworben hat. Dieser Ankauf ist als Erweiterung und zugleich als
Fortsetzung der Forrerschen Sammlung zu sehen, welche der erste
Museumsdirektor Albert Baum erwarb. Anhand der Fliesen von Forrer lässt
sich ihre Entwicklung vom Mittelalter bis ins 19. Jh. hinein verfolgen.
Der Jugendstil versuchte allumfassend den Lebensraum als ein Gesamtkunstwerk für jede Gesellschaftsschicht zu gestalten, indem er eine Synthese von Kunst und Alltag anstrebte. Die Wurzeln dieser Kunstrichtung
finden sich in Frankreich, wo sie den Namen Art Noveau trägt und sich
besonders durch geschwungene Linienführung und stilisierte Naturdarstellung kennzeichnet. Die Stilrichtung kam in verschiedenen europäischen
Ländern fast zeitgleich auf, trägt jeweils unterschiedliche Namen und regionale Charakteristika in der Gestaltung. In Deutschland war die Zeitschrift
„Jugend“ namensgebend. Die Künstler hatten sich ein hohes Ziel gesteckt,
die Kunst allgegenwärtig zu machen. Diese Prämisse forderte eine
preiswerte Herstellung von Kunstgegenständen, die jedoch einem hohen
ästhetischen und handwerklichen Anspruch gerecht werden mussten.
Wandfliesen, um 1900
Steinzeug, glasiert und
gebrannt, 14,8x14,8 cm
Carl Sigmund Luber
(1868-1934)
Johann von Schwarz Keramikfabrik Nürnberg
Inv.-Nr. 2014/74
Die Wand- bzw. Möbelfliesen konnten diese Kriterien erfüllen, da sie nicht
Wandfliese, um 1900
Steinzeug, glasiert und
mehr nur von Hand, sondern auch maschinell in Fabriken gefertigt
gebrannt, 15,3x15,3 cm
wurden. Diese Fertigungsmethode kam der steigenden Nachfrage entgeHersteller und Designer
unbekannt
gen. Die schnell wachsenden Städte verzeichneten in dieser Zeit eine rege
Inv.-Nr. 2014/221
Bautätigkeit. Fliesen waren ein beliebtes Dekorationsmaterial und Fanden
z. B. in Treppenhäusern, Küchen, Bädern, Wintergärten, als Bodenbelag oder als Versatzstück in
Möbeln Verwendung. Ihr großer Vorzug war, dass sie leicht zu reinigen waren, eine lange Haltbarkeit
vorwiesen und in großer Stückzahl zu geringen Produktionskosten herstellbar waren. Zwischen 1880
und 1920 hielt der Jugendstil Einzug in die Gestaltung alltäglicher Gegenstände. Die Fabriken warben
mit Musterkatalogen, in denen Jugendstilfliesen in vielen Motiv- und Farbvariationen angeboten
wurden. Keramikfabriken stellten Künstler und Handwerker als Designer ein. Selten ist rekonstruierbar, welche Künstler für die Firmen tätig waren. Für die Firma Johann von Schwarz in
Nürnberg entwarf Carl Sigmund Luber (1868-1934), künstlerischer Direktor der Fayenceabteilung ab
1896, die Jugendstilfliesen zumeist mit den typisch abstrahierten Pflanzendarstellungen (siehe Fliese
2014/74).
Unterstützt durch das Kultur Programm der Europäischen Union
Blattwerk und Blütenstiele wurden in der charakteristisch geschwungenen
Linie nach französischem Vorbild aufgefasst, mit kleinen weißen Blüten
bekrönt und auf einen hellblauen Grund gelegt.
Meist ziert die Fliese ein Zentralmotiv (wie bei 2014/221), die dann
beliebig oft an der Wand wiederholt oder von anderen Fliesen umgeben
werden kann. Mithilfe von Schablonen oder Pressen wurden die Motive
auf die Fliesen übertragen. Am geläufigsten war das Fadenreliefdekor, da
die Linie gleichzeitig als erhabene Begrenzung diente, wodurch die verschiedenfarbigen Glasuren nicht ineinander verlaufen konnten.
Die stilisierten Tulpen auf hellblauen Grund (2014/55) wurden von
Margarethe von Brauchitsch (1865-1957) entworfen, eine der bekanntesten
Künstlerinnen des Jugendstils, die als Innenausstatterin und im Bereich des
Textildesigns großen Erfolg hatte. Sie war Mitbegründerin der „Vereinigten
Werkstätten für Kunst und Handwerk in München“ und führte ein eigenes
„Damenatelier für ornamentales Entwerfen“. So fertigte sie Vorhänge für
das Münchner Schauspielhaus, förderte die Reformkleidung für die Frau
und lieferte Vorlagen für die Glasmalerei.
Hans Christiansen (1866-1945) entwarf vermutlich die Darstellung des
abstrahierten Rosenstocks (2014/225). Er ist einer der Hauptvertreter des
deutschen Jugendstils, der die Synthese von Kunst und Alltag in seinem
breit gefächerten Oeuvre vollzog. Besonders durch die Titelblattgestaltung
der Zeitschrift „Jugend“ wurde er bekannt. Die sehr geometrische Auffassung der Rosen verdeutlicht die fortschreitende Entwicklung weg von der
sehr verspielten, ornamentalen Linienführung. Die aus dem Rahmen herausführenden Rosenstiele erlauben eine Motivfortführung auf einer anschließenden Fliese. Teilweise ergab erst die Summe mehrer Wandplatten eine
Darstellung, welche etwa. eine ganze Hausfassade zieren konnte.
Wandfliese, 1899
Steinzeug, glasiert und
gebrannt, 15x15 cm
Margarethe von Brauchitsch
(1865-1957)
Sächsische Ofen- und Schamottewarenfabrik,
vorm. E. Teichert Meißen
Inv.-Nr. 2014/55.1-3
Wandfliese, um 1905
Steinzeug, glasiert und
gebrannt, 14,8x14,8 cm
Vermutlich Hans Christiansen
(1866-1945)
Hersteller unbekannt
Inv.-Nr. 2014/225
Maschinell hergestellte Fliesen wurden erstmals 1978 umfassend in einer Ausstellung des Rheinischen
Landesmuseums für Volkskunde in Kommern in Kooperation mit der Wandplattenfabrik Wessel’s aus
Bonn behandelt. Die dazugehörige Publikation stieß die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem
Thema an. Heute sind diese ehemaligen Massenprodukte begehrte Sammelobjekte und meist nur noch
als Einzelstücke vorhanden. Als Zeugnis der bürgerlichen Wohnkultur vom Anfang des 20. Jahrhunderts entfalten sie immer noch ihre hohe dekorative Wirkung. Von diesem Flair können Sie sich in
unserer Jugendstilausstellung im Jahr 2018 überzeugen, in der weitere der rund 400 angekauften
Fliesen zu sehen sein werden.
Cathleen Tasler M.A.
// Zum Weiterlesen:
// Sie wollten schon immer mal…
… ein Objekt einer bestimmten Kunstepoche oder Thema näher
betrachten, aber es wird in unserer Dauerausstellung nicht präsentiert?
Nennen Sie uns Ihr Wunschobjekt
([email protected], 0231 5025514)
und wir gehen in unseren Depots auf die Suche!
Unterstützt durch das Kultur Programm der Europäischen Union
Weisser, Michael: Wessel’s Wandplatten-Fabrik Bonn. Katalog 1 zur
Ausstellung Volkskunst im Wandel, Köln 1978.
Weichselbaum, Wolfgang König-Rudolf: Carl Sigmund Luber, Einbeck
2006.
Margret-Zimmermann-Degen: Hans Christiansen – Leben und Werk
eines Jugendstilkünstlers, Königstein/Taunus 1981.