Ein Quantum Glück - Kongress am Park

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Ein Quantum Glück - Kongress am Park
MONTAG, 9. NOVEMBER 2015
13
Feuilleton
NUMMER 258
Ein
Quantum
Glück
Feuilleton kompakt
BERLINER SCHAUBÜHNE
AfD-Sprecher filmt
Theatervorstellung
Mit Videoaufnahmen von einer
Aufführung der Anti-AfD-Collage
„Fear“ an der Berliner Schaubühne
hat der Sprecher der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland für einen Eklat gesorgt. Wie
der Spiegel berichtet, sprang am
vergangenen Dienstag während
der Aufführung des Stückes von
Falk Richter ein Schauspieler von
der Bühne und drohte AfD-Sprecher Christian Lüth, der im Publikum saß, mit Rausschmiss. Die Videoaufnahme habe er inzwischen,
wie vom Theater gefordert, gelöscht, sagte Lüth auf Anfrage.
Das Stück sei „beleidigend und geschmacklos“. Besonders störte er
sich an einer Szene, in der die AfDEuropa-Parlamentarierin Beatrix
von Storch in einer sexuell aufgeladenen Umarmung mit ihrem
Großvater, Hitlers Finanzminister
Lutz Graf Schwerin von Krosigk,
dargestellt wurde. Theatermacher
Falk Richter will mit dem Stück
die neuen Ängste in der Gesellschaft
thematisieren, die vielfach in Hass,
Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus umschlagen. (dpa)
Jan Philipp Zymny
ist neuer Slam-Meister
Augsburg Vielleicht war der spannendste Augenblick der diesjährigen
Meisterschaft im deutschsprachigem Poetry Slam nicht das Finale
der letzten drei Einzel-Wettbewerber, sondern der Moment unmittelbar davor. Als nämlich Jan Philipp
Zymny aus Bochum und die Österreicherin Lisa Eckart nach Punkten
gleichauf lagen. Für diesen Fall sieht
das Reglement den Wurf einer
Münze vor – und die fiel auf Zymny.
Für Lisa Eckart, wie sie hinterher
einräumte, eine große Enttäuschung, für den glücklichen Zymny
eine „leidige Kiste“.
So war für den 22-Jährigen der
weitere Weg frei beim Wettbewerb
in Augsburg. Zymny entschied auch
die Runde der letzten drei für sich,
ist somit neuer Meister der deutschsprachigen Slam-Poeten. Auf den
weiteren Plätzen landeten Lars
Ruppel (2014 Einzel-Gewinner)
und Fabian Navarro. Den TeamWettbewerb entschied das Schweizer Duo „InterroBang“ (Manuel
Diener/Valerio Moser) für sich.
Fünf Tage hatte der Slam 2015
gedauert, rund 160 Poeten waren
aus Deutschland, Österreich, der
Schweiz und aus Luxenburg nach
Augsburg gekommen. Auch für Organisator Horst Thieme war die zum
19. Mal ausgetragene deutschsprachige Meisterschaft ein Erfolg, war
die Kongresshalle nach seinen Angaben doch viermal komplett und
einmal fast ausverkauft – was in der
Summe 10 000 Besucher sind. (AZ)
Grass’ letzter Stein
Ein halbes Jahr nach der Beisetzung
von Günter Grass schmückt seit
dem Wochenende ein schlichter
Grabstein die letzte Ruhestätte des
Literaturnobelpreisträgers auf dem
Friedhof in Behlendorf (SchleswigHolstein). Auf dem grauen felsförmigen Stein stehen nur der Name
und die Lebensdaten: 16.10.1927 –
13.4.2015. Ob der gelernte Steinmetz Grass Vorgaben gemacht hat?
Das Unternehmen, das den Stein erstellte, machte hierüber keine Angaben.
Foto: Markus Scholz, dpa
Jean Paul Gaultier (rechts) schuf auch Filmkostüme, etwa für Victoria Abril (Mitte) in „Kika“, gedreht von Pedro Almodóvar (links).
Foto: Nacho Pinedo/Hypo-Kunsthalle
Der Popstar unter den Modedesignern
Jean Paul Gaultier Eine faszinierende Münchner Schau, mitsamt Wäsche einer berühmten Sängerin
VON BARBARA REITTER
München Die erste Kollektion entwarf er im zarten Alter von sechs
Jahren, Kleider für Teddydame
„Nana“. Ein paar Jahre später kreierte er für sein Kuscheltier sogar
eine Corsage mit konischen Spitzbrüsten, die sich nach Madonnas
sensationeller Welttournee 1990 ins
kollektive Gedächtnis einprägten.
Beides ist in der spektakulären
Schau zum Oeuvre des Modedesigners Jean Paul Gaultier im Original
zu sehen: der Teddy als Ikone unterm Glassturz, das getragene Korsett der Sängerin in einer Vitrine.
Sie stehen am Beginn der ersten
Modepräsentation in der HypoKunsthalle überhaupt. Mit ihr feiert
das Ausstellungshaus nicht nur sein
30-jähriges Jubiläum, es signalisiert
damit auch die Bedeutung dieses
Genres zwischen Handwerk und
Kunst. Denn ein künstlerisch-kreativer Querdenker ist der 1952 in Paris geborene Jean Paul Gaultier allemal, bewegen sich seine Kreationen
für Popstars und Promis wie Madonna, Kylie Minogue, Amanda
Lear, ja sogar Conchita Wurst doch
in einem exzentrischen Raum voll
selbstironischer Anspielungen.
Atemberaubend, was in den
dunklen Räumen auf Schwarz inszeniert wurde. Nicht nur Haute Couture (im mittleren Segment mit
45 000 Euro pro Stück), sondern
auch Modelle des Pret à Porter.
Fantastisch, wie originell der Entwerfer die Materialien mixt: ein
Abendkleid in grauem Strick mit
Zopfmuster auf Tüll; oder das
Brautkleid, vorne im Stil der Pompadour, am Rücken mit Winnetous
Federschmuck. Da sind nicht nur
edle Stoffe handwerklich perfekt
verarbeitet, sondern auch Tierhäute, Dosen, Plastikmüll, Blätter, Federn oder Kristalle neben Schottenstoffen, Brokaten und Spitzen, Plastikschläuchen und Metallscheiben.
Gängige Schönheitsklischees hat
Gaultier stets lustvoll konterkariert.
Auch bei seinen Models, denn als er
zum ersten Mal Dicke und Alte über
den Laufsteg flanieren ließ, ging ein
Aufschrei durch die hyperästheti-
sche Modewelt. Auch festgeschriebene Geschlechterrollen unterläuft
er: steckte Männer als erster in Röcke, verwandelte Frauen in androgyne Mischwesen oder machte sie
per Outfit gleich zu Machotypen.
Dass seine Inspirationen nicht nur
aus der Londoner Punk-Szene oder
dem Pariser Straßenleben kommen,
sondern sich aus der Begegnung mit
indigenen Ethnien speisen, kann
man bei zahllosen Modellen erkennen. Da erscheint eine Geisha vor
dem Betrachter, erkennt man den
Samurai, bildet eine afrikanische
Maske in Stoff übertragen die Vorlage für ein Kleid, erinnert der lange
Mantel an einen Rabbi, das Bolero
an einen Flamencotänzer. Seinen
Geschlechtsgenossen gilt nur 20
Prozent der Entwurfsarbeit. Ein
Mann steckt in einem Catsuit, ein
anderer scheint einem ScienceFiction-Film entsprungen, ein dritter wirkt wie der Rocker aus Soho,
und eine ganze Reihe hübscher
Knaben tragen den blau-weiß-geringelten Marine-Look, den Gaultier wieder salonfähig gemacht hat.
Wer glaubt, eine klassische Moderetrospektive mit 160 chronologisch geordneten Kleidungsstücken
zu besuchen, sollte sich auf eine unglaubliche Installation gefasst machen, die in jedem Ausstellungsraum innovativ als MultimediaEvent mit Projektionen, Filmen und
Musikeinblendungen inszeniert ist.
Mal als veritable Modeschau mit einem beweglichen Laufsteg, an dessen Seite Zuschauerpuppen in Gaultier-Kostümen sitzen, dann wieder
kombiniert mit Bildern seiner
Künstlerfreude Cindy Sherman,
Pierre et Gilles oder dem Fotografen
Lindbergh. Und das Verrückteste:
Viele Modepuppen scheinen mit
dem Betrachter Kontakt aufzunehmen, sie bewegen Augen, Mund und
Kopf, sie rufen „Hallo, Madam“
und erzählen zum Beispiel „Je suis
Jean Paul Gaultier ...“
O
Früh übt sich: An Teddydame „Nana“ probierte der junge Jean Paul bereits den Corsagetypus, den er später Madonna auf den Leib schneiderte. Fotos: Emil Larsson/HK
Jean Paul Gaultier Bis 14. Februar
2016 in der Hypo-Kunsthalle in München, Theatinerstraße 8, täglich von 10
bis 20 Uhr. Der Katalog (Knesebeck
Verlag) kostet in der Ausstellung 35 ¤.
Krieg der Schatten
Modernisierung In Malaysia wird mithilfe von „Star Wars“ versucht, die Tradition des Figurentheaters zu erhalten
Kuala Lumpur Das Publikum ist außer Rand und Band, als Darth Vader
herabschießt, um das Raumschiff
unter seine Kontrolle zu bringen. Er
trägt den typischen schwarzen
Helm, spricht mit der charakteristischen blechernen Stimme – und
doch ist es keine Kinoleinwand, auf
der sich die Szene abspielt. Hier in
Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur ist Darth Vader eine Figur im
Puppentheater.
„Star Wars“ als Schattenspiel:
Mit dieser Idee wollen malaysische
Künstler ein junges Publikum wieder für die traditionelle Kunstform,
genannt Wayang Kulit, begeistern.
Alles begann damit, dass Chuo Yuan
Ping,
Designer
und
„Star
Wars“-Fan, die Filmhelden für eine
Kunstausstellung als Schattenfiguren aus Büffelhaut nachbaute. „Am
Anfang ging es mir nur um ,Star
Wars‘, aber dann wurde mir klar,
dass Wayang Kulit eine aussterbende Kunst ist“, sagt der 43-Jährige.
„Ich fühlte mich verantwortlich,
mehr für diesen Teil der malaysischen Kultur zu tun.“ Zusammen
mit Freunden erarbeitete er eine
Schattentheater-Adaption des ersten „Star Wars“-Films von 1977.
Seit dem 15. Jahrhundert gibt es
Schattentheater in Indonesien und
Malaysia. Die Puppenspieler bewegen die reich verzierten Lederfiguren mit Stöcken, leihen ihnen ihre
Stimme und werden von traditionellen
Gamelan-Orchestern
mit
Schlaginstrumenten begleitet. Die
Unesco stufte diese Form des Theaters als eines der Meisterwerke des
mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit ein. Doch das
Fernsehen und die digitale Unterhaltung verdrängen Wayang Kulit
zunehmend und lassen es zum Touristenspektakel verkommen. In
Solch einen Helm trägt nur einer: Darth Vader (dunkle Figur, rechts). Szene aus dem
„Star Wars“-Schattenspiel in Kuala Lumpur.
Foto: Manan Vatsyayana, afp
konservativen Gegenden Malaysias
versuchen Islamisten, das Schattentheater wegen seiner hinduistischen
Tradition zu verbieten.
Gekleidet in einen Sarong sitzt
der 63 Jahre alte Puppenspieler Muhammad Dain im Schneidersitz hinter der Leinwand, die auf einem
Platz in Kuala Lumpur aufgebaut
ist. Ihm zur Seite steht ein junger
Bühnentechniker mit seinem Laptop, der für Lichteffekte sorgt und
die Stimme des Puppenspielers nach
Darth Vader klingen lässt. „Das Publikum ist glücklich und seine
Wahrnehmung von Wayang Kulit
verändert sich“, sagt Chuo, der zusammen mit seinen Kollegen umgerechnet mehr als 9000 Euro privaten
Geldes in das Projekt investiert hat.
„Indem wir Altes und Neues zusammenbringen, machen wir Wayang
Kulit attraktiver.“ Wenn es nach
dem Designer geht, soll es nicht bei
„Star Wars“ bleiben. Er hat schon
Batman, Superman und andere moderne Helden als Schattentheaterfiguren entworfen, die er in Ausstellungen zeigt und auch für Aufführungen vorsieht. „Das ist mein kleiner Beitrag für die malaysische Kultur“, sagt Chuo. (afp)
SCHAUSPIELER HORST KEITEL TOT
Er war der Rechtsanwalt
in „Percy Stuart“
Der Schauspieler Horst Keitel, 88,
bekannt aus der Fernsehserie
„Percy Stuart“, ist zusammen mit
seiner Frau Herta Kravina, 92, tot
in seiner Berliner Wohnung gefunden worden. Offenbar starb das
Paar durch Suizid. Keitel war in den
60er Jahren durch Fernsehserien
bekannt geworden, vor allem
als kauziger
Rechtsanwalt
Reginald
Prewster in der
Abenteuerserie
„Percy Stuart“.
Dort wirkte teilHorst Keitel
weise auch Herta Kravina mit, die als Synchronsprecherin unter anderem Zsa Zsa
Gabor und Anita Ekberg ihre Stimme lieh. Keitel spielte bis in die
90er Jahre in TV-Produktionen,
etwa kleinere Rollen in „Großstadtrevier“ und „Die Schwarzwaldklinik“. Er war zuweilen die
Synchronstimme des britischen
Schauspielers Desmond Llewelyn,
des Technikexperten „Q“ in zahlreichen Bond-Filmen. (dpa)
MONIQUE SCHWITTER
Schweizer Buchpreis
für „Eins im Andern“
Die deutsch-schweizerische Autorin
Monique Schwitter hat den
Schweizer Buchpreis 2015 gewonnen. Die mit 30 000 Franken
(knapp 28 000) dotierte Auszeichnung wurde ihr für den Roman
„Eins im Andern“ in Basel überreicht. Die Jury würdigte das
Werk als „facettenreiche Darstellung einer Liebesbiografie – kräftig, humorvoll und nachdenklich“.
Schwitter war in diesem Jahr bereits für den Deutschen Buchpreis
nominiert, ihr Roman stand dort
auf der Shortlist. Zudem war sie im
Sommer beim Wettlesen des Ingeborg-Bachmann-Preises im österreichischen Klagenfurt angetreten,
dort jedoch leer ausgegangen. Die
ehemalige Schauspielerin wurde
1972 in Zürich geboren und lebt
mittlerweile in Hamburg. (dpa)
EUROPÄISCHER FILMPREIS
Echtzeit-Thriller „Victoria“
ist dreifach nominiert
Sebastian Schippers Echtzeit-Thriller „Victoria“ ist in gleich drei
Hauptkategorien für den Europäischen Filmpreis nominiert. Der
Berlin-Krimi geht in der Kategorie
bester Spielfilm ins Rennen.
„Victoria“-Darstellerin Laia Costa
ist zudem als beste Schauspielerin
nominiert, Schipper als bester Regisseur. Als bester Schauspieler ist
Christian Friedel, Titeldarsteller in
Oliver Hirschbiegels „Elser“, dabei. Der Europäische Filmpreis
wird am 12. Dezember in Berlin
verliehen. (dpa)