Agrarrevolte_und_Bom..
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Agrarrevolte_und_Bom..
Eine deutsche Bauernrevolte und ihre Chronisten Nur der Geistesgegenwart des resoluten Hausmädchens des Regierungsvizepräsidenten Grimpe in Schleswig war es zu verdanken, daß kein größerer Schaden entstand. Die Frau warf den von ihr im Flur der Dienstwohnung entdeckten verdächtigen Gegenstand kurzerhand auf die Straße, wo er explodierte. Nahezu zeitgleich detonierten in den frühen Morgenstunden des 29. August 1929 Bomben vor den Kreisämtern in Niebüll und Lüneburg. Damit fand eine Serie von Anschlägen auf Regierungsgebäude ihre Fortsetzung, welche in der Nacht vom 26. auf den 27. November 1928 mit einem Attentat auf das Haus des Amts- und Gemeindevorstehers in Hollenstädt, Kreis Schleswig, und auf das Auto des Amtsvorstehers in Lunden, Kreis Norderdithmarschen, sowie des Bombenattentats auf das Landratsamt von Itzehoe am 23. Mai 1929 seinen Anfang genommen hatte. Und die Serie der Anschläge hatte damit noch kein Ende gefunden. Eine gute Woche später gingen vor Tagesanbruch die Fenster des Finanzamtes in Oldenburg zu Bruch. Am 10. Juni krachte es vor dem Wohnhaus des Landrates von Niebüll. Am 1. und 6. September schließlich detonieren Bomben in Berlin vor dem Reichstag. Bereits nach den ersten Explosionen hatte die aufgeschreckte Presse den Verdacht gestreut, daß die Bombenbastler unter den Anhängern der Landvolkbewegung zu suchen seien. Diese Bewegung hatte sich mit Schwerpunkt in Schleswig-Holstein und Oldenburg der Kontrolle der in Landbund, Bauernverein, Bauernbund und Kleinbauernbund untereinander heillos zerstritten aufgestellten Standesorganisationen entzogen und führte ein der breiten Öffentlichkeit verborgen bleibendes, aber nicht folgenloses Eigenleben. Greifbare organisatorische Anhaltspunkte boten lediglich ihre übers Land verstreuten „Notausschüsse“, „Wachvereinigungen“ und „Jungnordmarkwehren“. Mit deren Hilfe sabotierte sie angesetzte Pfändungen oder Zwangsversteigerungen und forderte auf diese Weise die staatliche Autorität des durch eine Koalition von SPD, Zentrum und Staatspartei regierten Preußens heraus. Seit dem Verfall der Großmarktpreise für Mastvieh stand den Bauern das Wasser bis zum Hals. Sowohl die wohlhabenden Schweine- und Rindermäster in der Marsch als auch die kleineren Bauern auf den kargen Böden der Geest hatten seit Ende des Ersten Weltkriegs kräftig in ihre Veredlungsbetriebe investiert. Fallende Schlachtviehnotierungen hatten die Einnahmen der kapitalintensiven Betriebe rapide sinken lassen und erschwerten ihren Besitzern die Bedienung der aufgenommenen Kredite bzw fälligen Steuern zu zahlen. Über Nacht schlug die Stimmung um. Anstelle der aus Ärger über die Tatenlosigkeit der Standesvertretung und des Staates vor öffentlichen Gebäuden gezündeten harmlosen Feuerwerkskörper explodieren Bomben. Berlin hatte prompt reagiert, aber erst eine gute Woche nach dem Attentat in Schleswig am 9. September 1929 konnte die vom preußischen Innenminister in Schleswig gebildete Sonderkommission der Kriminalpolizei einen ersten Erfolg vermelden. Sie verhaftete einen Mann, dessen Ausweis auf den Namen Hans Nickels ausgestellt war, eines früheren Polizeioffiziers. Bei ihm findet sich eine Bombe. Der Verhaftete beginnt zu reden. Am 10. und 11. September können in Norddeutschland und Berlin 35 Personen verhaftet werden, die in dem dringenden Verdacht stehen, an der Planung und Ausführung der Bombenanschläge vom Mai und Juni beteiligt zu sein. Begonnen hat die Revolte als Protest. Mit Gespür für das Grollen in der Bauernschaft hatten die Führer der in der preußischen Provinz bislang führungs- und meinungsbildenden Standesorganisationen am 21. November 1927 die Bauern nach Rendsburg geladen. 1200 Bauern waren dem Aufruf des Provinzialvorsitzenden der schleswig-holsteinischen Bauernvereine, Graf Rantzau-Breitenbach, nach Rendsburg gefolgt. Assistiert von dem volkstümlichen, aber wenig später aus Altersgründen abgelösten Regierungspräsidenten Dr. Johannsen verspricht Rantzau –voreilig, wie sich herausstellen sollte,- Hilfe und ruft zur Besonnenheit auf. Schnell sprach sich unter den Bauern herum, daß eine gute Woche später Rantzau und Johannsen mit leeren Händen aus Berlin zurückgekehrt waren. Ohne Erfolg hatten sie über den Kopf des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) hinweg von dem amtierenden Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum), Chef einer Mitte-RechtsRegierung, und dessen deutschnationalem Landwirtschaftsminister Martin Schiele, einen generellen Schuldenerlaß und die Einstellung von Zwangsvollstreckungen gefordert. Doch die permanent angespannte Haushaltslage des Reiches als Folge der hohen Reparationsforderungen der ehemaligen Kriegsgegner ließen auch der wegen der Regierungsbeteiligung der Deutschnationalen im Prinzip stärker für solche Klagen anfälligen Rechtsregierung keinen finanzpolitischen Spielraum. So nehmen die Bauern die Sache selbst in die Hand. Das neue Jahr beginnt mit einem Paukenschlag. In allen Kreisstädten Schleswig-Holsteins und dem angrenzenden Oldenburg versammeln sich am 28. Januar Bauern zu Protestversammlungen. In Husum, Niebüll, Rendsburg, Neumünster, Plön, Schleswig, Flensburg, Eckernförde, Oldenburg, Ratzeburg Itzehoe und Segeberg sowie acht weiteren Städten bringen die Bauern 140 000 Menschen auf die Beine. So etwas hat es noch nie gegeben. Der deutsche Bauer gilt traditionell als obrigkeitshörig und schwer zu organisieren, davon können die Standesorganisationen ein Lied singen. Vergeblich bemühten sich die Funktionäre seit dem vernehmlicher werdenden Rumoren unter den Landvolk um Bündelung der bäuerlichen Forderungen und Schaffung einer Einheitsorganisation. Die Berliner Presse spricht von einer in der deutsche Agrargeschichte noch nie erlebten machtvollen Bauerndemonstration. Unter bewußter Umgehung ihrer Verbandsfunktionäre wählen die Bauern aus ihrer Mitte die Sprecher der Landvolkbewegung. Einer von ihnen, der Großbauer Claus Heim aus St. Annen/Norderdithmarschen (Jahrgang 1881), in den 20er Jahren aus Paraguay zurückgekehrt, fährt – kaum gewählt - das stärkste Geschütz auf. In einem Leserbrief an die „Heider Zeitung“ erklärt er, daß die Bauern künftig keine Steuern mehr zahlen werden. Der andere, Wilhelm Hamkens aus Tetenbüll/Eiderstett , zweiunddreißijährig, Kleinbauer und als Leutnant aus dem Krieg zurückgekehrt, im Vergleich mit Heim Anhänger des gewaltlosen Widerstandes, richtet im Namen der Vertrauensmänner der Landvolkvereinigung Eiderstedt am 12. November einen „offenen Brief“ an alle Gemeindevorsteher, in dem er den ausgerufenen „Steuerstreik“ begründet. Dieser Kampfruf der schleswig-holsteinischen Bauernrevolte alarmiert Berlin. Hier gedachte vor allem der größte landwirtschaftliche Interessenverband, der stramm deutschnationale ReichsLandbund, die Unruhe unter den Bauern für eine erpresserische Kampagne gegenüber der von der DNVP gestützten Regierung zugunsten umfassender staatlicher Agrarhilfe zu nutzen. Einen Monat nach der Großdemonstration in Schleswig-Holstein übernimmt die Verbandsführung die Forderungen der Landvolkbewegung. In einem internen Rundschreiben fordert sie die regionalen Landbünde zum Steuerstreik auf. Doch nach einer energischen Reaktion des amtierenden Reichsfinanzministers, des Zentrumspolitikers Heinrich Köhler, sieht sich der Bund gezwungen, den Aufruf am 21. März 1928 zurückzunehmen. Das Einknicken der Funktionäre aus Gründen der Staatsräson und das Zurückweichen vor der Drohung mit den „Republikschutzgesetzen“ aus dem Krisenjahr 1923 schafft Verwirrung bei den Koalitionspartnern, die Bauern in Schleswig-Holstein beeindruckt es nicht. Was die Landvolkbewegung mit Steuerstreik meint, exekutieren ihre Anhänger anschaulich im Fall einer wegen ausstehender Gemeindesteuern angesetzten Pfändung von zwei Ochsen im Dorf Beidenfleth. Eine Ansammlung von 200 Bauern verhindert die Vollstreckung. Brennende Strohballen zwingen die Vollstreckungsbeamten zur Flucht. Fotos randalierender Bauern werden der Presse zugespielt. Die Wirkung dieser und weiterer Selbsthilfeaktionen sowie ihr publizistisches Echo bleiben nicht aus. Ende des Jahres erklären die Hamburger und Altonaer Viehkommissionäre, daß sie die Übernahme von wegen Steuerrückständen gepfändeten Viehs ablehnen. Was bisher in Wirtshäusern von Mund zu Mund weitergegeben, durch ein geheimes erst im Laufe der polizeilichen Ermittlungen offen gelegtes Netzwerk organisiert worden oder durch einige wenige Flugschriften wie die des Anonymus „Jürgen Schimmelreiter“ an die Öffentlichkeit gedrungen war, erhält mit dem Erscheinen gleich zweier Zeitungen eine öffentliche Stimme. Die „Landvolkzeitung“, gegründet im Frühjahr 1929, verdankt ihre Entstehung einem Akt bäuerlicher Selbsthilfe. Auf der Basis von Kleinaktien in der Stückelung von 50,- 100,- und 200,- Mark wird das notwendige Geld beschafft. Sie konkurriert mit der seit September 1928 erscheinenden „SchleswigHolsteinischen Tageszeitung“, neben dem „Völkischen Beobachter“ die einzige regelmäßig erscheinende Zeitung der Hitlerbewegung. Hauptschriftleiter ist der mit der Landvolkbewegung sympatisierende, noch nicht dreißigjährige Journalist Bodo Uhse. Er kommt vom linken Flügel der NSDAP und ist eng mit den Brüdern Gregor und Otto Strasser verbandelt. Nach dem Ende der Bauernrevolte und dem Ausschluss von Otto Strasser aus der Partei 1930 wird Uhse sich den Kommunisten anschließen. Zusammen mit Bruno von Salomon schmiedet er Pläne, Heim aus dem Altonaer Gefängnis zu befreien. Im Abstand von fünf Jahren wird er sich im Pariser Exil in seinem schriftstellerischen Erstling „Söldner und Soldat“ an die Bauernrevolte erinnern. Nach seiner Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg und Rückkehr aus der amerikanischen Emigration wird Uhse in der DDR zu hohen Ehren kommen. Die Rebellion der schleswig-holsteinischen Bauern ist die Stunde aller derjenigen, die seit dem Scheitern des Kapp-Putsches auf eine neue Gelegenheit warten, mit dem ungeliebten Weimarer Staat abzurechnen. Die zu Beginn tief in der Bauernschaft verankerte Landvolkbewegung scheint alle Voraussetzungen für eine „Revolution von rechts“ ( so die griffige Formel des konservativen Soziologen Hans Freyer ) zu bieten. Prominente rechte Gegner der Republik werden an den Brennpunkten des „Bauernkrieges“ in Husum, Nibüll und Itzehoe gesichtet. So Ernst von Salomon, 1928 nach fünf Jahren Zuchthaus wegen seiner Mitwirkung am Attentat auf den Außenminister Walter Rathenau gerade entlassen. Er wird seinen Weg in die Bauernrevolte 1932 in dem Roman „Die Stadt“ beschreiben. Sein alter ego, der „Fahnenjunkerunteroffizier“ (sic!) Hans Karl August Iversen, „ein politischer Romantiker“ ( von Salomon), findet nach dem Ende der Rebellion der Bauern den Tod an der Seite kommunistischer Straßenkämpfer. Noch einmal, 1961, sollte der gleiche Salomon in dem Bestseller „Der Fragebogen“ im Abstand von mehr als dreißig Jahren ausgiebig, wenn auch literarisch weniger ambitioniert, über seinen Anteil an dem Bauernaufstand schwadronieren. Salomon verdankt nach eigener Aussage den Tip, sich mit Agrarproblemen zu beschäftigen, einem Dr. Erwin Topf, Wirtschaftsredakteur des „Berliner Tageblatt“. Topf, Mitglied rechter Berliner Zirkel, ist gelernter Nationalökonom und ebenso scharfsichtiger wie wortgewandter Beobachter sowohl der Landvolkbewegung als auch der deutschen Agrarwirtschaft. Noch 1933 werden seine gesammelten jounalistischen Beiträge unter dem Titel „ Die Grüne Front – Kampf um den deutschen Acker“ erscheinen. Wenn man sich das ganze Ausmaß des Unheils, welche die durch amerikanische Kredite in Deutschland erzeugte Scheinkonjunktur angerichtet habe, vor Augen führen wolle, so Topf gegenüber Salomon, müsse man sich nur die Landwirtschaft dort ansehen, wo sie besonders kapitalintensiv betrieben werde, in Schleswig-Holsteins Veredlungswirtschaft. Mit Eifer stürzt sich der in Wirtschaftsproblemen ahnungslose ehemalige Zögling einer kaiserlichen Kadettenanstalt auf das Thema, wird von dem Fachmann Topf mit den entsprechenden Zahlen munitioniert und wird – nach eigenen Aussagen- von Heim wegen seiner scharfen Artikel in rechts stehenden Zeitschriften als Propagandist der Landvolkbewegung mit dem Gehalt eines Redakteurs der „Landvolkzeitung“ angeworben. Sein später zur KPD wechselnder Bruder Bruno ist der erste einer ganzen Reihe von Hauptschriftleitern der chaotisch organisierten und durch ständige Verbote bedrohten Bauernzeitung. Als die Brüder Salomon nach Husum kommen, ist bereits ein anderer nicht weniger profilierter Protagonist der rechten Szene in der Stadt, der aus dem Baltikum stammende Schriftsteller Herbert Volck. Er sammelte ehemalige Freikorpssoldaten und Kapp-Putschisten um sich und stellte Heim diese Leute und ihre Verbindungen zur Verfügung. Aus dem Gefängnis heraus, wohin ihn die Beteiligung an der Agrarrevolte bringen wird, verfaßt Volck 1931 mit einer Mischung von Hohn und Larmoyanz seine Chronik der Bauernrebellion in Schleswig-Holstein. Er gehört, so wird die Staatsanwaltschaft vor einem Altonaer Schwurgericht am 31. Oktober 1930 darlegen, zusammen mit weiteren 21 Angeklagten ( davon 10 Landwirte) zu dem harten Kern der Landvolkbewegung, den Bombenbastlern. In Altona findet der vorerst letzte Akt der Agrarrevolte in der preußischen Provinz statt. Die Angeklagten – unter ihnen Heim -werden zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Hamkens, der sich während der Untersuchung deutlich von der „Terrorgruppe Volck- Heim“ distanziert, kommt dank seines rührigen Verteidigers Luetgebrune mit einer Geldstrafe davon. Ein bunter Reigen politischer Aktivisten und Intellektueller wie Otto Strasser und Walther Stennes sowie Ernst Jünger, Ernst Niekisch und Frank Thieß wird sich in einem ClausHeim-Kommitee vergeblich um Freilassung des in Celle einsitzenden einstigen Führers der Landvolkbewegung und seine Gewinnung als Gallionsfigur gegen die NSDAP gerichteten Reichstagswahllisten bemühen. Die Ursachen für das Scheitern der Landvolkbewegung liegen- so zeigen die polizeiliche Untersuchung und die Darlegungen des Staatswanwalts- in der Aufsplitterung in friedlich Revoltierende und Bombenbastler sowie dem energischen Zugriff sowohl der preußischen Polizei unter Innenminister Albert Grzesinski (SPD) -,von dem sich Salomon rühmt, in jeder Ausgabe des „Landvolk“ eine neue Schreibweise erfunden zu haben, - als auch der seit Mitte des Jahres 1928 im Reich amtierenden Linksregierung unter Hermann Müller (SPD). Die erste wissenschaftliche Darstellung der Bauernrevolte der Jahre 1928/29 stammt von dem gelernten Historiker, CDU-Politiker, zeitweiligen Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und Bundesminister Gerhard Stoltenberg. Seine nüchterne Darstellung widerlegt alle nach 1945 unternommenen Versuche, durch Verwendung der sowohl von links als auch von rechts bemühten zeitgenössischen Stereotype der Bauernrebellion als „revolutionäre Bewegung“ zu deuten. Zur Versachlichung des Themas hatte der Zufall eine Rolle gespielt. Auf der Suche nach Quellen über die Bauernrebellion war Stoltenberg auf die bis dahin unveröffentlichte wahlsoziologische Untersuchung über das Landvolk in Schleswig-Holstein des Anfang der 30er Jahre emigrierten Kieler Soziologen Rudolf Heberle gestoßen. Das Institut für Zeitgeschichte in München wird 1962 diese mit Einverständnis des in den USA lehrenden Autors veröffentlichen. Stoltenberg, Schüler von Karl-Dietrich Erdmann, eine der Leuchten der deutschen Zeitgeschichtsschreibung der Nachkriegszeit, bemühte sich in deutlicher Abgrenzung von Heberles Studie über das schichtenspezifische, sozialökonomisch bedingte Wahlverhalten des Landvolkes um Einordnung der Bauernrevolte in die deutsche Geistes- und Sozialgeschichte eines von der Hitlerpartei unabhängigen nationalen Konservatismus. Es bleibt Stoltenbergs Verdienst, mit Hilfe der im Kieler Staatsarchiv liegenden Akten der polizeilichen Untersuchung den durch die zahlreichen Chronisten der norddeutschen Bauernrevolte erzeugten Nebel gelichtet zu haben. Wie Stoltenberg zeigt, bilden fiskalische Repression, polizeiliche Untersuchung, Kriminalisierung und juristische Ahndung die Treibsätze, welche innerhalb der Bauernschaft beträchtliches Solidaritätspotential freisetzen. Den Berliner Kriminalisten war im September 29 ein großer Fisch an die Angel gegangen. Der verhaftete Nickels gehört nicht nur zum engsten Kreis von Heim, sondern hatte Verbindungen zu Männern, die Ende Januar 1929 aus einem Steinbruch in Süddeutschland 50kg Ammonium und 700 Sprengkapseln entwendet hatten. Quer durch die Republik transportiert wird die Beute in einem entlegenen Hof an der dänischen Grenze gelagert, um dann bei den von einem Altonaer Elektriker und einem Kunstmaler in der Hamburger Friedensstraße gebastelten Bomben Verwendung zu finden. Dunkel bleiben bei diesem Coup die Verbindungen der Sprengstoffbeschaffer und Bombenbauer zu der geheimnisvollen Berliner Organisation Consul, nach den Erkenntnissen des republikanischen Staatsschutzes, Zentrale des militanten Widerstandes gegen die erste deutsche Republik. Volck und von Salomon, bei aller Radikalität ihrer Ablehnung der Republik nicht ohne Realitätssinn, erkennen spät doch noch rechtzeitig, daß die Landvolkbewegung sich mit ihrem Bombenterror in eine Sackgasse manövriert hat. Diese Erkenntnis teilen sie mit der seit dem Ulmer Reichswehrprozeß und Hitlers Legalitätseid auf strammen Legalitätskurs steuernden NSDAP. Von höchster Stelle war im Sommer 1929 allen Parteimitgliedern jede Unterstützung der rebellischen Bauern untersagt worden: „Ausdrücklich betone ich“, hatte Hitler von München aus erklärt, „daß auch das sogenannte „Landvolk“ unter die für Parteigenossen verbotene Organisation fällt.“ Bereits 1928 hatte Hitler aus Sorge vor Provokateuren in der eigenen Partei vor den „sich radikal gebärdenden bäuerlichen Bünden“ gewarnt. Einen letzten Höhepunkt erlebte die durch wiederholte Verhaftung ihrer Führer zwar kopflos, doch noch nicht völlig kraftlos gewordene Revolte. Am 1. August 1929 versammeln sich in Neumünster 1000 Bauern. Sie wollen den an diesem Tag entlassenen Hamkens in einem Triumphzug vom Gefängnis abholen. In der Mitte des Demonstrationszuges der Bauern schwankt die auf einer gerade geschmiedeten Sense befestigte Fahne: Auf schwarzem Feld prangt ein silberner Pflug und ein rotes Schwert. Da die Bauern der Aufforderung der Polizei, die Fahne herauszugeben, nicht Folge leisten, dringen Uniformierte in den Zug, schaffen sich unter Einsatz ihrer Gummiknüppel Platz und teilen, als Stöcke gegen sie geschwungen werden, Säbelhiebe aus. Im Handgemenge gibt es Verletzte auf beiden Seiten. Zwar gelingt es der Polizei, sich in den Besitz der Fahne zu setzen und einige Bauern zu verhaften, doch die in einer angemieteten Viehauktionshalle abgehaltene Protestversammlung kann sie nicht verhindern. Beim Verlassen der Halle werden die Bauern von den durch herbeigerufene Schutzpolizei verstärkten Ordnungshütern „entwaffnet“: Sie müssen ihre Stöcke abgeben. Die Landvolkbewegung verkündet feierlich einen Kauf-Boykott der Stadt. Sie wird diesen erst beenden, als sie im November 1930 feierlich ihre Fahne zurückerhält. Zur Verteidigung der wegen der Vorgänge in Neumünster angeklagten Bauern reist aus Göttingen Dr. Walter Luetgebrune an. Der Staranwalt sympathisiert mit rechten Gedanken, was ihn nicht hindert nach Auffassung der Betroffenen exorbitante Honorarforderung zu stellen. Man spricht von 120.000 RM . Zwar kann er auch dieses Mal die Verurteilung seines Mandanten nicht verhindern, doch versteht er es mit seinem 1931 erscheinenden Buch, „Neu-Preußens Bauernkrieg“, seine juristischen Bemühungen öffentlichkeitswirksam systemkritisch zu vermarkten. Als von Salomon diesen letzten Schub der Bewegung ausnutzend den Versuch unternimmt, den im Berliner Arbeiterviertel an der Warschauer Brücke lebenden Ernst Jünger, Träger des Pour le mérite und in nationalen Kreisen geschätzter Kriegsschriftsteller, für die Sache der Bauern zu gewinnen, holt er sich eine deutliche Abfuhr. Zwar stellt Jünger seinem Besucher Platz in der von ihm herausgegebenen Kampfzeitschrift „Vormarsch“ in Aussicht, äußert sich aber spöttisch über die „nächtliche Feuerwerkerei“ der Bauern. Zwei Monate später jedoch wird er sich dann doch selbst zu Wort melden und in einen deutlichen Gegensatz zu Hitler setzen: „...auch wenn man nicht das mindeste mit ihnen ( den Bombenbastlern D.G.) zu tun haben will“, schreibt Jünger, „wünschen wir der Landvolkbewegung eine möglichst weite Ausdehnung“, weil sie in der Lage ist „Substanzen aufzuschließen“, die für den Nationalismus bisher unerreichbar waren. Doch da ist die Chance bereits vertan. Auf dem von Hamkens am 10. November 1929 nach Rendsburg einberufenen Landthing dominieren nach der Verhaftung von Heim Angehörige rechter Gruppierungen wie des Tannenbergbundes und des Werwolfs. Hauptredner ist neben Hamkens der ehemalige kaiserliche General Ludendorff. Heinrich Lohse, höchster regionaler Führer der NSDAP, ist anwesend, hält sich aber auffällig zurück. Die Zeit arbeitet in Schleswig –Holstein für seine Partei. Wie ein Blick auf die Veränderungen der Wahlergebnisse bis zu den verhängnisvollen Septemberwahlen des Jahres 1930 deutlich macht, sollte die Abgrenzungsstrategie seitens der Hitlerpartei gegenüber dem Terrorismus der Bauern Früchte tragen. Von dem nach der Niederlage der Landvolkbewegung entstehenden Vakuum profitiert allein die NSDAP. Die ländlichen Wähler in der Marsch und auf dem Geest vollziehen in kurzer Zeit einen radikalen Schwenk. Im ehemaligen Kernland der gemäßigten Konservativen und Liberalen, in dem 1919 sogar vorübergehend die Deutsche Demokratische Partei Wahlerfolge feiern konnte, räumt 1930 die NSDAP mit Schwerpunkt bei den Marschbauern den Hauptteil der abgegebenen Stimmen ab. Das Ende der Landvolkbewegung aber bedeutet auch für die Deutschnationale Volkspartei, konservatives Sammelbecken zumeist ländlicher Wähler, das Aus. 1930 wird sie mit 6 % zur Splitterpartei. Mit ihren fünf Spitzenkandidaten, Durchschnittsalter 33 Jahre, erringt die Hitler-Partei bei diesen Wahlen im Reichsdurchschnitt 18,3 % der Stimmen und steigert in Schleswig-Holstein, was Heberle akribisch durch seine Mikroanalysen nachweist, diesen Anteil in städtischen Wahlbezirken auf 23 %, in ländlichen sogar auf 35% der Stimmen. Der Fall der Bomben bastelnden Agraranarchisten der Jahre 1928/29, Teil der chronique scandaleuse der ersten deutschen Republik, wäre – trotz der Teilhabe von prominenten oder weniger prominenten Zeitgenossen wie Salomon, Jünger, Volck, Luetgebrune, Topf und Uhse - nach siebzig Jahre längst dem Vergessen anheimgefallen, wenn diese Ereignisse nicht die Vorlage für den wohl bekanntesten Zeitroman der neueren Literatur, des 1931 bei Rowohlt erscheinenden Romans „Bauern, Bonzen, Bomben“ von Hans Fallada bilden würden. Der bis dahin notorisch erfolglose expressionistische Schriftsteller Rudolf Ditzen alias Hans Fallada erhält im Herbst 1929 als schlecht bezahlter Lokalreporter für den „General-Anzeiger für Neumünster“ Gelegenheit, über die Bauernrevolte aus nächster Nähe zu berichten. Er montiert in seinem Roman die ihm im Gerichtsaal bekannt werdenden Details mit den aus eigener Anschauung gewonnenen Bildern wie die von dem Handgemenge um das anarchistische Symbol der schwarzen Fahne in Neumünster und dem „Ochsenkrieg“ von Beidenfleth. Wegen der zeitlichen Nähe zu dem spektakulären Prozeß gegen die bäuerlichen „Bomber“ in Altona verlegt Fallada auf Anraten seines Verlegers das Romangeschehen nach Pommern: Aus Neumünster wird Altholm, eine pommersche Kleinstadt. Und mit einem feinem Gespür für die seitens der Zeitgenossen vorherrschende ambivalente Wahrnehmung der Bauernrevolte spiegelt sich Fallada im Roman gleich doppelt, einmal in Person des mit den Bauern sympathisierenden Journalisten Stuff, der im Hintergrund die Fäden zieht, das andere Mal in Gestalt des intriganten Anzeigenvertreters und Bauernverräters Tretrup. Einige Personen der Ereignisse in Itzehoe und Neumünster decken sich mit Romanfiguren. So wird aus Wilhelm Hamkens der Henning im Roman und aus Bruno von Salomon wird Padberg, eine weitere Romangestalt. Mit ihrer Veröffentlichung sollten Fallada und sein Verleger Rowohlt der norddeutschen Bauernrevolte zu einer bis heute anhaltenden Publizität verhelfen. Ob Romanautoren und engagierte Chronisten oder kühl rechnende Wahlforscher und um ein ausgewogenes historisches Urteil bemühte Historiker – alle erliegen mehr oder weniger der Faszination des bäuerlichen Anarchismus, der zu einem Menetekel des Untergangs der Republik von Weimar wird. Genial wird dies durch die von Olaf Gulbransson entworfene beunruhigend monströse Bauerngestalt auf dem Einband der Erstausgabe von „Bauern, Bonzen, Bomben“ ins Bild gesetzt.