vergleiCh - Neander Shark

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vergleiCh - Neander Shark
1
2015
H 4862 Deutschland 5,00
€
Österreich € 5,60 • Schweiz sfr 9,30
Europas grösstes Motorboot-Magazin
Fahrbericht
N
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Italo-Trawler
Absolute Navetta 58
Z u b fü r r ew
&C
benÉtÉau MC4/MC5
DieselAussenborder
01
Friesland
im porträt
01
Niederlande
4 1 9 0 48 6 2 0 50 0 9
Lohnt der Aufpreis für einen
Meter mehr Bootslänge?
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Neander Shark
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B o ot
Ziel in
sichtweite
Fotos und Zeichnungen: Neander/Oliver Franke
Der weltweit erste Zweizylinder-Turbodiesel-Außenborder
dreht seine Testrunden
Motortechnik
A
m Heck einer Selva Smartliner 19
dreht der Neander Shark seit Mitte
des Jahres (2014) seine ersten Runden auf dem Lago di Como. Zur Erklärung: Der Shark ist der weltweit erste
Diesel-Außenborder mit zwei Kurbelwellen. Nach jahrelanger Entwicklung und
Probeläufen auf Prüfständen und in Testbecken ist die Serienreife fast erreicht.
BOOTE begleitete die Entstehung des Motors und durfte exklusiv bei den Testfahrten des Neander Shark teilnehmen. Wir
zeigen den Werdegang der Konstruktion
und die Menschen, ohne die das Projekt
sicher so nicht realisiert worden wäre.
Von der Straße ins Wasser
Schon lange vor der Gründung der Neander Shark GmbH im Jahre 2009 begann
die Geschichte des Zweizylinder-Turbodieselmotors mit dem Doppelkurbelwellenprinzip. 2003 gründete Lutz W. Lester
in Kiel die Mutterfirma Neander Motorfahrzeug GmbH mit dem Ziel ein Kleinserien-Turbodieselmotorrad mit doppelter
Kurbelwelle zu entwickeln. Bereits zwei
Jahre später folgte die Einzelzulassung des
weltweit ersten Turbodieselmotorrades.
Der luftgekühlte Motor leistet im Kraftrad
aus 1430 ccm Hubraum, der auf zwei in
Reihe angeordnete Zylinder aufgeteilt ist,
ganze 112 PS und 214 Nm bei 2600 U/min.
Nach einer Umformierung der GmbH in
eine AG und dem Bau von zwei weiteren
Motorrädern begann man 2007 mit der
Marktanalyse zur Sichtung eines breiteren
Einsatzgebietes der doppelten Kurbelwellentechnologie. Es folgte 2008 die Entwicklung eines ölfrei laufenden Bremskompressors für Nutzfahrzeuge mit Luftdruckbremse. Zeitgleich mit dem Erhalt
des Schmidt-Römhild Technologiepreises
des schleswig-holsteinischen Ministers für
Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr für
das Neander Motorrad im Jahr 2009 wurde die Neander Shark GmbH gegründet.
Kurz darauf wurde mit der Entwicklungsarbeit zum Bau des ersten Turbodieselaußenborders mit doppelter Kurbelwelle be-
gonnen. Im Jahr 2012 konnte die Neander
Shark GmbH den ersten Motor, anfangs
noch ohne Unterwasserteil, vorweisen,
der auf einem Prüfstand erste Tests durchlaufen musste. Mit Fördermitteln der
Deutschen Bundesstiftung Umwelt wurde
an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München weiter an der
Brennverfahrenoptimierung gearbeitet.
Anfand des Jahres 2014 kam es dann zur
Erstinbetriebnahme des kompletten Außenborders. Seit Mai werden nun Erfahrungswerte aus dem Betrieb am Bootsheck
gesammelt. Diese Prototypenphase soll bis
Ende 2014 abgeschlossen sein. Darauf
folgt eine Feldtesterprobung der ersten in
Innovativ und
Zukunftsweisend
Doppelte Kurbelwelle zur Verhinderung von
unrundem Motorlauf. Die gegenläufigen
Wellen sind mittels Zahnräder miteinander
verbunden. Um Fertigungstoleranzen
auszugleichen, wurde der Space Ball entwickelt. Er verbindet die Pleuelstangen mit dem
Kolben und erweist sich gleichzeitig als
Geniestreich. Durch seinen Einsatz läuft der
Kolben quasi seitenkraftfrei im Zylinder.
Zudem können die Kurbelwellen gegeneinander verschränkt werden, was bedeutet, dass
sie vom Drehwinkel nicht synchron laufen, um
den Ansaug- und Arbeitstakt zu verlängern.
Langlebig und effizient Dass Dieselmotoren sich im Vergleich mit Benzinern erst
über hohe Laufzeiten rechnen, weiß wohl
jeder Skipper. Um die Folgekosten für Service und Wartung gering zu halten, besitzt
der Neander eine Steuerkette, welche den
Kurbel- und Nockenwellenantrieb verbindet. Beim kleineren Benziner erledigt dies
meist ein Zahnriemen, der aufwendig
gewechselt werden muss. Für eine möglichst hohe Effizienz verpassten die
Ingenieure dem Zweizylinder eine
Vierventiltechnik mit zwei oben liegenden
Nockenwellen, um den Gaswechsel im
Brennraum zu verbessern und gleichzeitig
den Kraftstoffverbrauch zu senken.
boote 1 . 2015 53
Fotos und Zeichnungen: Neander/Oliver Franke
Motortechnik
Bei dem von uns getesteten Motor handelte es sich um einen von nur drei seriennahen Prototypen. Alle Testfahrten dienen der
Datenermittlung und Langzeiterprobung. Entsprechend besitzt der Motor unzählige Messsonden und Prototypenteile.
Serienproduktion hergestellten Motoren.
Fällt die so genannte Validierungsphase
positiv aus, startet 2016 wie geplant die Serienproduktion und der Verkauf des Neander Shark. Von Seiten des Herstellers
erfuhren wir, dass bereits erste Bestellungen für den Neander Shark vorliegen.
Kluge Köpfe sind gefragt
Dass die Entwicklung eines serienreifen
Außenborders mit einer Mindestlaufleistung von einigen tausend Stunden länger
dauern kann, als die Produktion eines
Prototypenmotors, musste der gelernte
Betriebswirt und Geschäftsführer der Ne-
Kurze Wege sind wichtig
Selva mit Sitz in Tirano/Italien ist der einzige Außenborder-Hersteller mit eigener Produktion in Europa und verfügt somit nicht nur über das notwendige Know-how, sondern auch über einen entsprechenden Maschinenpark für die Herstellung
von Außenbordern. So ist es nicht verwunderlich,
dass man sich bei dem Projekt Neander Shark für
die Herstellung des Unterwasserteils und die Endmontage die Selva Crew an Bord geholt hat. Denn
die Abstimmung der verschiedenen Bereiche wie
Konstruktion, Produktion und Zusammenbau, ist
wichtig, um schnell auf Probleme reagieren zu können und eine Lösung zu finden.
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ander Motors AG Lutz W. Lester erst lernen. Auch wenn man das Prinzip der doppelten Kurbelwelle von dem Neander Motorrad übernehmen kann, sind die
Anforderungen an einen Außenbordmotor doch vollkommen andere. Entsprechend brauchte man Leute, die sich mit
der Materie auskennen. Ohne Zweifel gehört Claus Brüstle zu diesen Personen. In
der Vergangenheit war er erst für die Motorenentwicklung bei Porsche und später
bei Mercury verantwortlich. Bei letzterer
Firma war er federführend bei den Verado
Motoren. Mit Rick Davis konnte man einen nicht weniger klugen Kopf für das
Projekt verpflichten. Der Amerikaner war
im Zeitraum von 1995 bis 2010 Vice President von Mercury und besitzt unbestritten
die meiste Erfahrung hinsichtlich der
Außenborderentwicklung. Last but not
least gehört Ulrich Wittwer zu den Besten
in seinem Bereich. Als ehemaliger Direktor von Mahle weiß der Ingenieur alles
über Kolben, Pleuel und andere Motorinnereien.
Fotos und Zeichnungen: Neander/Oliver Franke
Motortechnik
Datenschutz mal anders: Vor und nach jeder Fahrt werden die Motordaten via Laptop und Spezialsoftware aus dem Hause 2D-Data
eingehend kontrolliert, um die Motorabstimmung beim Starten, im Kaltlauf und Betrieb zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Unterstützung aus der Wirtschaft
Neben Köpfchen braucht es bei einem solchen Projekt aber auch Unterstützung seitens großer Firmen wie Bosch Indien, die
die Komponenten für die Common-RailDirekt-Einspritzung liefern. Ebenfalls auf
der Lieferantenliste finden sich Namen
wie BorgWarner, die beispielsweise den
Turbolader für den Neander bereitstellen.
Die Firma FEV steuerte geistige Arbeit in
Sachen Konstruktion und Effizienzsteigerung bei.
Fakten und Pläne
Die Eckdaten des Neander lauten: zwei
Zylinder, 800 ccm, etwa 155 kg, 55 PS und
120 Nm. Die Viertakt-Benziner in der
Leistungsklasse 50–60 PS haben drei oder
vier Zylinder, 808–996 ccm und 95–112 kg.
Trotz des höheren Gewichts ist der Neander besonders wegen seines Drehmoments, Verbrauchs und der Betriebssicherheit den Benzinern überlegen, wenn
da nicht der Preis wäre. Doch die Entwicklungs- und Pionierarbeit muss bezahlt
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werden, und so kommt ein Verkaufspreis
von rund 26 000 € zustande.
Kennt man Diesel Motoren noch als
raue Genossen, muss man spätestens beim
Neander umdenken. Der Zweizylinder
läuft bei Leerlaufdrehzahl (500 U/min) so
ruhig, wie man es sich bei einigen Benzinern wünschen würde. Hinsichtlich der
Geräuschkulisse denkt man in keinem
Moment daran, dass man mit einem Zwei-
Messergebnisse
Drehz.
U/min
Geschw.
Verbrauch
km/h
kn
l/km
l/sm
1640
10,5
5,7
0,16
0,30
2200
13,0
7,0
0,28
0,53
2500
16,5
8,9
0,32
0,58
3000
20,0
10,8
0,35
0,64
3850
45,5
24,6
0,26
0,49
zylinder und schon gar nicht mit einem
Diesel unterwegs ist. Kein Rauchen, Nageln oder Stinken ließ sich feststellen.
Nach unserer Probefahrt kam beim Thema Fahrgeräusche der Vergleich mit einem Dreizylinder-Benziner ins Gespräch.
Weitsicht bewiesen die Ingenieure hinsichtlich des Abgasausstoßes und Ausbaus
der Modellpalette. So ist bereits jetzt eine
Abgasnachbehandlung via Partikelfilter
vorgesehen. Zudem sind noch zwei weitere Hubraumvarianten mit 885 ccm und
965 ccm und entsprechend mehr Leistung
angedacht. Realisiert wird der Hubraumzuwachs der geplanten Modelle durch eine
Erhöhung des Kurbelwellenhubs. Die
Bohrung bleibt bei 80 mm. Entsprechend
wird aus dem Quadrathuber (Bohrung=
Hub) in beiden Abwandlungen ein Langhuber, da der Hub mit 88 mm und 96 mm
größer ist als die Zylinderbohrung. Die
BOOTE-Redaktion verfolgt weiterhin das
Projekt Neander Shark mit großem Interesse. Info unter: www.neander-shark.com Sebastian Gollasch