Ant-Man - Joachim B. Schmidt
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Ant-Man - Joachim B. Schmidt
6 KULTUR B ü n d n e r Ta g b l a tt M o n t a g , 3. Au g u s t 2 0 1 5 SCHMIDTS FILMECKE Dick aufgetragen – zügig abserviert ▸ J O AC H I M S C H M I D T über «Ant-Man», «Magic Mike» und «Paper Towns» S eit «Avengers: Age of Ultron», einem überladenen, CGI-getriebenen Superheldenfilm, der zwar dick aufträgt, aber doch irgendwie bedeutungsleer dahinplätschert, stehen mir die Filme aus den Marvel-Studios bis hier. Es reicht langsam, befand ich – und schaute mir verdrossen den neusten Marvel-Streifen an: «Ant-Man». Oh, diese heitere Erleichterung! Für einmal geht es nicht um das Überleben der Menschheit, Dramatik hält sich in Grenzen, Humor hat erste Priorität. Die Pointen sitzen dank dem geschickten Timing der Schauspieler (allen voran Michael Peña). Das Drehbuch liefert Edgar Write; kreativer Humorist, Autor und Regisseur, der hinter Brüllern wie «Shaun of the Dead» oder «Hot Fuzz» steht. Auch Hauptdarsteller Paul Rudd gelingt es schon nach wenigen Minuten, unsere Zweifel zu beseitigen. Er ist ein glaubhafter Superheld, ein lieber Papi und ein sympathischer Kleinkrimineller. Zudem ist «Ant-Man» schön anzusehen. Selbst die 3-DBrille stört kaum (und das sage ich nicht leichtfertig). Es sind die Szenen im Mikrokosmos, die hübsch komponiert sind und dank dem 3-D-Format greifbar werden. Ärgerlicher Makel: Die Rolle der einzigen weiblichen Schauspielerin (Evangeline Lilly) ist unterentwickelt und wirkt gezwungen. Solch männlichen Chauvinismus sollte sich Marvel endlich verkneifen. SCHMIDT MEINT: 7/10 * Derzeit läuft «Magic Mike XXL» in den Kinos heiss. Ich habe mich noch nicht verführen lassen, da ich Nachholbedarf hatte: «Magic Mike» von 2012. Und ich wurde zum zweiten Mal in einer Woche positiv überrascht – was mich eigentlich nicht überraschen hätte sollen, schliesslich sass Oscarpreisträger Steven Soderbergh («Out of Sight», «Solaris») im Regiestuhl. Dieser talentierte Filmschaffende kann aus dem dümmsten Drehbuch einen cleveren Film schaffen. Eine ruhige Kameraführung ist seine Signatur, er benötigt kaum Filmmusik, nimmt sich indes Zeit für lange, ungehobelte Dialoge, was dem Ganzen Authentizität verleiht. Der Zuschauer wähnt sich gelegentlich in einer Reality-Show, die Personen werden real. Dieser Kunstgriff ist ihm in «Magic Mike» besonders gut gelungen, einem Film über einen männlichen Stripper, der aussteigen will. Der Streifen ist ein Augenschmaus, ein Zückerli, und der Zuschauer merkt gar nicht, wie abgelutscht die Story eigentlich ist. Dass «Magic Mike XXL» dasselbe Verführungsspiel gelingt, ist jedoch zu bezweifeln. SCHMIDT MEINT: 7/10 * Quentin ist ein verklemmter Teenager und hoffnungslos in Margo, eine unerschrockene, hübsche und äusserst populäre Aufmüpferin, verknallt. Eines Nachts klettert sie durch sein Zimmerfenster und zerrt ihn auf eine nächtliche Rachetour durch Suburbia. Nichts Arges, es sind harmlose Streiche. Am nächsten Morgen ist Margo verschwunden, doch sie hat Hinweise hinterlassen. Quentin trommelt seine Freunde zusammen, und die Schnitzeljagd kann beginnen. «Paper Towns» hat einige einwandfreie Dialoge mit erbauendem Inhalt. Das Casting überzeugt, man wird sich die Namen dieser talentierten Jungschauspieler merken müssen. «Paper Towns» ist ein fescher Roadmovie mit passender Musik und einer gelungenen Pointe mit bittersüsser Schlussnote. Noch besser wirkt der Film, wenn man 20 Jahre jünger ist als ich. SCHMIDT MEINT: 7/10 JOACHIM B. SCHMIDT wuchs in Cazis ohne Fernseher auf. Heute lebt der Filmfreak und Schriftsteller in Reykjavik. www.joachimschmidt.ch Ausstellung in der Fundaziun Capauliana in Chur von Erich Erler: «Auf den Spuren Segantinis». Links heisst «Bernina-Pass: Schneeläufer», rechts: «Schneeläufer im Berninagebiet». (FOTO OLIVIA ITEM) Künstlerischer Neubeginn Erich Erlers Über den Sommer präsentiert die an der Rheinfelsstrasse in Chur beheimatete Fundaziun Capauliana Werke des deutschen Malers Erich Erler-Samedan (1870–1946). D ▸ GINIA HOLDENER Der reiche Bestand der Fundaziun Capauliana – leidenschaftlich gesammelt vom Ehepaar Duri und Clara Capaul – beherbergt über 25 000 Kulturgüter aus fünf Jahrhunderten, deren Gemeinsamkeit sich im Bezug zu Graubünden zeigt. Aus diesem kulturhistorischen Fundus zeigt Geschäftsführerin Chantal Störmer mit der Ausstellung «Erich Erler – Auf den Spuren Segantinis» Arbeiten des deutschen Malers, die während seines Aufenthalts im Engadin in Auseinandersetzung mit Segantini entstanden sind. Breslau–Paris–Samedan Kurzweilig nahm der 22-jährige Erich Erler, 1870 in Frankenstein (Schlesien) geboren, Malunterricht an der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau. Stets im Schatten seines älteren Bruders, dem Maler Fritz Erler stehend, beendete er seine Studien der Malerei und schloss schliesslich eine Lehre als Buchdrucker ab. In der Folge betätigte er sich als Journalist und Zeichner für eine deutsche Zeitung, was ihn 1896 als Korrespondent nach Paris führte. Aufgrund einer schwerwiegenden Lungenkrankheit übersiedelte er 1898 zur Genesung nach Samedan, wo er sich bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs aufhielt. Wiederentdeckung der Malerei Die Konfrontation mit der hochalpinen Landschaft und deren Bergbevölkerung wie auch die Begegnung mit Giovanni Segantini eröffneten dem Deutschen eine erneute Annäherung an die Malerei. Er lernte Segantini über den ihn behandelnden Arzt Oskar Bernhard, einen Kunstmäzen und Freund Giovanni Segantinis, kennen. Erler begann in Samedan wieder zu malen und nahm den Künstlernamen Erich Erler-Samedan an, mit dem er seiner Liebe zur Engadiner Hochgebirgslandschaft Ausdruck verleihen wollte. Einfluss Segantinis Die ausgestellten Werke von Erich Erler-Samedan in der Fundaziun Capauliana belegen den prägenden künstlerischen Einfluss Segantinis auf die Malerei des deutschen Künstlers in Technik und Motivwahl. Gleichzeitig suggerieren die Werke, in denen meist dominant in Szene gesetzte Protagonisten vor einem kulissenartig erscheinenden Alpenpanorama eingefügt sind, einen recht pathetisch-romantischen Charakter. Dieser Eindruck verdichtet sich, wenn man die Bilder mit denen Segantinis vergleicht: Während bei Segantini das FigurLandschaftsgefüge untrennbar miteinander verbunden ist respektive als Ganzheit wahrgenommen wird, zerfallen die Werke Erlers in einzelne Teilbereiche. Die mitunter überhöht erscheinenden Idyllen Erlers lassen sich sicherlich auch durch seine tiefe Bewunderung für die Landschaft, die ansässigen Bewohner wie auch den Künstler Giovanni Segantini begründen. So findet bei Erler-Samedan das Heimatliche, des in die gewaltige Natur eingefügten Menschen einen emotionalen wie auch kontrastreichen Ausdruck mit einem ambivalenten Charakter, wie auch Beat Stutzer, Konservator des Segantini-Museums, bemerkt: «Die Werke von Erich Erler-Samedan verhehlen keinesfalls den Einfluss Segantinis (...). Gleichwohl erweisen sich seine Gemälde als höchst eigenwillig. Im Gegensatz zu Segantini, der die Figuren unauflöslich in die Landschaften integrierte, treten sie beim Deutschen ziemlich dominant, fast scherenschnittartig im Vordergrund so auf, dass der Landschaftsprospekt im Hintergrund als folienhafte Szenerie aufzieht.» «Erich Erler – Auf den Spuren Segantinis» bis 24. August, Fundaziun Capauliana, Rheinfelsstrasse 1, 7000 Chur. Weitere Informationen unter www.capauliana.ch «Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit» Nachdem die in Zürich lebende Rumänin Dana Grigorcea am Klagenfurter Wettlesen Dritte wurde, ist jetzt ihr Roman «Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit» erschienen: fabulierfreudig und erhellend, vergnüglich und herausfordernd zugleich. Nach einem Überfall, bei dem ein Wachmann ums Leben kommt, wird die Augenzeugin Victoria zwecks Erholung von der Bank beurlaubt. Erst vor Kurzem aus Zürich zurückgekehrt, streift sie, skurrile Erinnerungen ausbrütend, durch Bukarest – genauer durchs noble Regierungsviertel, in dem ihre Sippe seit Generationen ansässig ist. Die Flaneurin erinnert sich unter anderem an Michael Jacksons Besuch in Bukarest 1992. Drei Jahre nach Ceausescus Tod stand das PopIdol auf demselben Balkon, von dem einst der verhasste Diktator winkte – ein symbolträchtiger Moment. Die von Aufbruchstimmung aufgepeitschte Menge tobt. Aber Jackos «Hello, Budapest!» kühlt sie abrupt ab – ein Fehlstart in die Frei- heit. Doch mittlerweile ist das Land in der Gegenwart angekommen. Paradebeispiel dafür ist ein Schulfreund der Protagonistin, der ein Vermögen gemacht hat im Silicon Valley. Fast wäre es nicht dazu gekommen: Einzig, weil er mit Nagellackentferner die Zeichen von der Tastatur des Schul-PCs löschte, kam er im Computer-Raum auch mal dran: Kein anderer konnte wie er die Tastenbelegung auswendig. Gegenwart und Vorvergangenheit «Mondän» war man im Regierungsviertel schon immer, namentlich Victorias Vorfahren. Die Urgrosseltern wohnten sogar genau auf dem Hügel, wo nun Ceausescus grössenwahnsinniger Palast des Volkes steht. Aber jetzt herrscht zusätzlich auch wieder Wohlstand. Victorias Freund Flavian etwa, dessen Familie in ihrem weitläufigen Haus auch den Thron von König Carol I stehen hat, fährt einen Aston Martin. Und der Computer-Nerd aus dem Silicon-Valley heiratet im noblen Mogosoaia-Palast, in dem in vorkommunistischer Zeit auch Victorias Grossmuter, die Mémé, zu Gast war. Und so verschwimmen die Grenzen zwischen der fernen Vergangenheit, in der Rumänien gewaltig prosperierte, mit dem Heute: Den Dauerstau in Bukarest, den gab es schon 1836, bei 3000 Eigentumskutschen und 200 Pferdetrams. In die Schilderungen von einstigem und modernem Reichtum mischen sich wie hässliche Schlieren Erinnerungen an die Ceausescu- Diktatur: etwa als der Vater morgens um fünf im Pyjama in die Einkaufsfiliale schlurfte, um Milch zu ergattern und dann doch ohne heimkam. Oder als die kranke Mutter der kleinen Victoria ins Ohr flüsterte «Missgeburt», nur weil das Kind dafür sorgte, dass die Mutter ins Spital kam; die Anti-Kommunistin musste fürchten, aufzufliegen. Daraus leitet sich wohl auch der Titel des Buchs her: «Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit» verschwand irgendwann aus der Kindheit Victorias, als unter dem Druck drohender Denunziation die Familie kurzzeitig auseinanderbrach. So kann es gemeint sein, oder auch anders: Die Autorin lässt einige Fäden unvernäht, damit der Leser etwas zu tun bekommt. (SDA)