und Gesundheitsforschung gemeinnützige GmbH (IFT-Nord)

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und Gesundheitsforschung gemeinnützige GmbH (IFT-Nord)
Stellungnahme
zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Herstellung, die Aufmachung und der Verkauf von
Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen
2012/0366 (COD)
Prof. Dr. Reiner Hanewinkel
Institut für Therapie- und
Gesundheitsforschung
gemeinnützige GmbH
Harmsstraße 2
24114 Kiel
Telefon: +49 (0)431 570 29 0
Telefax: +49 (0)431 570 29 29
Web: www.ift-nord.de
Kiel, 15. Februar 2013
Die erheblichen negativen gesundheitlichen Folgen, die durch das Rauchen verursacht
werden können, sind hinlänglich belegt und in der Wissenschaft unstrittig. Rauchen zählt zu
den wesentlichen beeinflussbaren Risikofaktoren, die das Auftreten einer Reihe von lebensbedrohlichen Krankheiten begünstigen, darunter verschiedene Krebs-, Herz-Kreislauf- und
Lungenerkrankungen.1
Beginn des Rauchens im Kindes- und Jugendalter
Zwar kommen die primären körperlichen Schädigungen durch das Rauchen, insbesondere
Krebs- und Herz-Kreislauferkrankungen, in der Regel erst im mittleren und höheren Erwachsenenalter zum Tragen. Eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion, das Auftreten bzw. die
Verstärkung von Asthma und auch eine Abhängigkeitsentwicklung, die zu einer Verhaltensstabilisierung führt, sind dagegen auch für Jugendliche relevante Konsequenzen. So konnten
US-amerikanische Studien zeigen, dass selbst wenige gerauchte Zigaretten bei Jugendlichen bereits innerhalb weniger Wochen Symptome der Abhängigkeit wie starkes Verlangen, erfolglose Rauchstoppversuche oder Entzugssymptome wie Konzentrationsprobleme
bei Abstinenz nach sich ziehen können.2;3
Das Jugendalter ist der Lebensabschnitt, in dem das Risiko für den Beginn des Rauchens
und damit die Grundsteinlegung für eine Abhängigkeitsentwicklung besonders hoch ist.4 So
wird die die Nikotinabhängigkeit im anglo-amerikanischen Raum auch als „pediatric disease”
bezeichnet.5
Seit über 20 Jahren werden am Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord)
medizin-psychologische Studien zu Beginn und Aufrechterhaltung des Rauchens im Kindesund Jugendalter durchgeführt. Aufgrund dieser Expertise soll nun in der Folge der Vorschlag
für eine neue Tabakproduktrichtlinie insbesondere aus der Perspektive kommentiert werden,
ob die in der Richtlinie vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet sein können, zu einer verringerten Inzidenz des Rauchens im Kindes- und Jugendalter beizutragen.
Bildliche Warnhinweise auf Zigarettenverpackungen
Die Wirkung von Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln kann als gut untersucht bezeichnet werden. Eine systematische Überblicksarbeit aus dem Jahr 2011 listet insgesamt
94 Originalarbeiten auf, die aufzeigen, dass Raucher die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln wahrnehmen, deren Botschaft registrieren und durch sie zum Nachdenken über
ihr eigenes Rauchverhalten sowie zur Verhaltensänderung motiviert werden.6
Zudem gibt in bevölkerungsrepräsentativen Erhebungen ein signifikanter Anteil der untersuchten nicht-rauchenden Jugendlichen an, dass Warnhinweise sie davon abgehalten
haben, mit dem Rauchen zu beginnen. Zwischen einem Fünftel und zwei Drittel der nichtrauchenden Jugendlichen Kanadas und Australiens geben an, dass die Warnhinweise ihnen
dabei geholfen haben, nicht mit dem Rauchen zu beginnen.6 Über 90% einer repräsentativen
Stichprobe nichtrauchender Jugendlicher aus Großbritannien geben an, dass Warnhinweise
die Wahrscheinlichkeit des Rauchens bei ihnen verringert hätte.7
IFT-Nord, Stellungnahme zur Tabakproduktrichtlinie
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Verschiedene Untersuchungen haben die Gestaltung von Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln untersucht. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass größere Warnhinweise
besonders gut wahrgenommen werden und auffällige Warnhinweise bestehend aus Bild- und
Textelementen rein textlichen Warnhinweisen überlegen sind, da sie besser wahrgenommen
und häufiger rezipiert werden.8;9 Jugendliche und Erwachsene unterscheiden sich diesbezüglich nicht, wenn überhaupt sind die Wirkungen bei Jugendlichen größer als bei Erwachsenen.10 Erste Untersuchungen zu Einheitspackungen („plain packaging“) weisen darauf hin,
dass eine Einheitspackung die Wirkungen der bildgestützten Warnhinweise bei Jugendlichen
noch erhöhen kann.11
Tabakzusatzstoffe
Tabakzusatzstoffe können verschiedene pharmakologische und subjektive Wirkungen
entfalten. So können Zusatzstoffe den Geruch und den Geschmack des Tabakrauchs
modifizieren, den Rauchvorgang erleichtern und die Nikotinaufnahme beschleunigen.12
Rauchen ist ein gelerntes Verhalten. Unmittelbare Reaktionen auf das Rauchen der ersten
Zigaretten im Kindes- und Jugendalter sind in aller Regel negativ, nicht wenige Jugendliche
berichten Schwindel- und Übelkeitsgefühle.13
Diese ersten negativen Erfahrungen mit dem Rauchen können durch Zusatzstoffe abgemildert werden. Dazu gehören u.a. Zucker, Fruchtextrakte und alle Aromastoffe, die in ihrem
Gemisch den Tabak milder und schmackhafter machen sowie den Inhalationsvorgang
erleichtern und deshalb das Rauchen attraktiver für Kinder und Jugendliche machen.14
Die Tabakindustrie nutzt dieses Wissen seit langem. In einem internen Dokument der Firma
RJ Reynolds aus dem Jahr 1973 heißt es beispielsweise: „Jemand, der zum ersten Mal zur
Zigarette greift und den Rauch inhaliert, hat eine geringe Toleranz gegenüber Tabakrauchreizungen, weshalb der Rauch so schonend wie nur möglich sein sollte“ (zitiert nach15).
Der Zusatzstoff Menthol besitzt beispielsweise eine kühlende, z.T. auch schmerzlindernde,
leicht betäubende Wirkung, was das Inhalieren des Rauchs erleichtert. Längsschnittstudien
aus den USA weisen darauf hin, dass Jugendliche, die mit Menthol-Zigaretten beginnen, im
Vergleich zu Jugendlichen, die mit „regulären“ Zigaretten experimentieren, ein deutlich
höheres Risiko haben, im weiteren Lebenslauf regelmäßig zu rauchen und eine
Nikotinabhängigkeit zu entwickeln.16
Verkaufsverbot für rauchlose Tabakprodukte
Epidemiologische Studien aus Norwegen und Finnland weisen darauf hin, dass rauchlose
Tabakprodukte (SNUS) und Zigaretten von jungen Erwachsenen häufig gleichzeitig konsumiert werden.17;18 Longitudinale Studien zeigen, dass Jugendliche, die in relativ kurzer Zeit
mit beiden Produkten experimentieren, einem besonders hohem Risiko unterliegen, auch
im weiteren Lebenslauf Tabakprodukte zu konsumieren.19
IFT-Nord, Stellungnahme zur Tabakproduktrichtlinie
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Nikotinhaltige Erzeugnisse
Neuartige nikotinhaltige Produkte wie z.B. E-Zigaretten können die Neugierde Jugendlicher
wecken. Verschiedene Untersuchungen haben ergeben, dass die meisten Jugendliche EZigaretten kennen und eine Minderheit durchaus bereit ist, diese zu testen.20-22
Bewertung der Tabakproduktrichtlinie
Das IFT-Nord begrüßt den Vorschlag einer neuen Tabakproduktrichtlinie. Insbesondere die
Einführung bildgestützter Warnhinweise und der Verbot von Tabakzusatzstoffen sind geeignet, einen Beitrag zu einer verringerten Inzidenz des Rauchens im Kindes- und Jugendalter
zu leisten.
Die Aufrechterhaltung des Verkaufsverbots für rauchlose Tabakprodukte sowie die Regulierung neuartiger nikotinhaltiger Erzeugnisse erscheinen aus Sicht des Kinder- und Jugendschutzes sinnvoll.
Prof. Dr. Reiner Hanewinkel
Geschäftsführer IFT-Nord
Professor für Medizinische Psychologie und Soziologie am Institut für Medizinische Psychologie
und Soziologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
IFT-Nord, Stellungnahme zur Tabakproduktrichtlinie
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