Mitteilungen 2015-2 Winter - Friedenspreis des Deutschen
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Mitteilungen 2015-2 Winter - Friedenspreis des Deutschen
Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Herbst 2013 Mitteilungen Winter 2015 Inhalt Seite 2 Thema Friedenspreis 2015 Alles über die Verleihung in der Frankfurter Paulskirche von Stefan Weidner, Norbert Lammert und zahlreichen Pressestimmen Navid Kermani Seite 10 „Nicht mit Kanonen.“ Friedenspreisträger zu den Anschlägen in Paris und zum Krieg in Syrien Seite 13 Dem Unbekanntem eine Stimme geben „Zwischen Zeilen“ auf der Frankfurter Buchmesse – ein Rückblick Seite 14 Klappentexte Neueste Veröffentlichungen von Friedenspreisträgern und anderen Seite 20 Nachruf auf Helmut Schmidt und André Glucksmann Seite 21 Astrid Lindgren Ein Briefwechsel mit Astrid Lindgren. Sara Schwardt im Gespräch mit Niels Beintker Seite 22 „Von einer verlorenen Schlacht“ Nobelpreis-Vorlesung von Swetlana Alexijewitsch Seite 28 Aus den Archiven: „Die Friedenspreis-Karaoke-Box“ Über ein im Papierkorb gelandetes Projekt zum Friedenspreis Impressum Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. Geschäftsstelle Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Schiffbauerdamm 5 10117 Berlin [email protected] Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Thema: Friedenspreis 2015 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Navid Kermani Der deutsche Orientalist, Schriftsteller und Essayist Navid Kermani ist am 18. Oktober 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Die Verleihung fand vor rund 1.000 geladenen Gästen in der Frankfurter Paulskirche statt, unter ihnen Bundestagspräsident Norbert Lammert. Die Laudatio hielt der Literaturwissenschaftler Norbert Miller. ge Kulturdenkmäler der Menschheit von Barbaren in die Luft gesprengt (…) – aber wir versammeln uns und stehen erst auf, wenn eine der Bomben dieses Krieges uns selbst trifft wie am 7. und 8. Januar in Paris, oder wenn die Menschen, die vor diesem Krieg fliehen, an unsere Tore klopfen.“ Der Einsatz für die Flüchtlinge in Europa sei beglückend, aber zu unpolitisch. „Wir führen keine breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewegung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar die Katastrophe befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt. Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten ausgerechnet Saudi-Arabien ist. (…) Nichts ist uns eingefallen, um den Mord zu verhindern, den das syrische Regime seit vier Jahren am eigenen Volk verübt“, so Kermani. Zuvor sprach Kermani über das Miteinander von Christentum und Islam, über die religiöse Kultur des Islams der Geschichte, dessen Originalität, seine geistige Weite, ästhetische Kraft und humane Größe. Er erzählt die Geschichte von Pater Jacques, einem syrischen Christen, der den Islam liebt und ihn stets gerechtfertigt habe. Navid Kermani ist Muslim, er sagt: „Wer als Muslim nicht mit ihm (dem Islam) hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch hinterfragt, der liebt den Islam nicht.“ Urkundenübergabe an Navid Kermani durch Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller (Foto: dpa) Navid Kermani forderte in seiner Dankesrede ein entschlossenes Verhalten von Europa in Bezug auf den Krieg in Syrien: „Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen? Ich rufe nicht zum Krieg auf. Ich weise lediglich darauf hin, dass es einen Krieg gibt – und dass auch wir, als seine nächsten Nachbarn, uns dazu verhalten müssen, womöglich militärisch, ja, aber vor allem sehr viel entschlossener als bisher diplomatisch und ebenso zivilgesellschaftlich. (…) Und erst wenn unsere Gesellschaften den Irrsinn nicht länger akzeptieren, werden sich auch die Regierungen bewegen. Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun. Aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäischen Haustür tun, den des ‘Islamischen Staates‘ und den des Assad-Regimes.“ Der Islam führe keinen Krieg gegen den Westen. „Eher führt der Islam einen Krieg gegen sich selbst, will sagen: wird die Islamische Welt von einer inneren Auseinandersetzung erschüttert, deren Auswirkungen auf die politische und ethnische Kartographie an die Verwerfungen des ersten Weltkrieges heranreichen dürfte“, so Kermani. In seiner Laudatio stellte Norbert Miller die Literatur Kermanis in den Mittelpunkt und spannte den Bogen vom Romanschreiber über den Orientalisten, den Reporter und den Bildbetrachter bis hin zum Berichterstatter. Navid Kermanis Leben ist ein Roman, so die zentrale Aussage Millers. „Dieses Festhalten am Schreibvorgang als Lebensprogramm des Schriftstellers Kermani, der Endlichkeit entgegengehalten, begreift in sich auch alle künftigen Äußerungen. Sie alle sind, bis auf diesen heutigen Tag, Teil eines roman à faire“, so Miller. „Unsere Welt braucht Vorbilder. Menschen, die uns Orientierung geben, die zeigen, dass es sich lohnt, füreinander einzustehen, sich zu engagieren, die beweisen, dass Frieden und Freiheit nur dann gelingen können, (…) wenn man bereit ist, für die Freiheit und gegen ihr inneren wie äußeren Feinde einzutreten. Für den Stiftungsrat des Friedenspreises ist der Mensch Navid Kermani solch ein Vorbild: ein aufgeklärter Bürger, der Hölderlin und die Poesie liebt, der aus der Literatur und aus seiner Religiosität die Anregungen, Erkenntnisse und Kraft schöpft, die wir, angesichts einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, alle brauchen“, sagte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins. Seine Kritik an Europas Verhalten: „Nur drei Flugstunden von Frankfurt entfernt werden ganze Volksgruppen ausgerottet oder vertrieben, Mädchen versklavt, viele wichti- 2 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Thema: Friedenspreis 2015 „Den Islam aus den Klauen der Fanatiker befreien: Navid Kermanis Frankfurter Friedenspreisrede ist eine Wegmarke im Kampf gegen Extremismus“ Zum ersten Mal ging der wichtigste Deutsche Kulturpreis an ein Kind muslimischer Einwanderer, den 1967 geborenen deutschen Muslim, Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani. Seine kämpferische Rede dürfte in die Geschichtsbücher eingehen. Von Stefan Weidner Leidensgeschichte aus Syrien Kermani erzählte in seiner Dankesrede unter anderem die Geschichte des Jesuitenpaters Jacques Mourad aus dem syrischen Städtchen Qaryatain, der von den Verbrechermilizen des islamischen Staates entführt worden war. Dabei muss man wissen, dass Pater Jacques kein Missionar war, sondern einer, der inmitten von Muslimen, für Muslime und in Freundschaft zu ihnen (und sie zum ihm) lebte(n). Er tat viel Gutes in seiner Stadt, wovon sich Kermani bei seinem Besuch in Syrien 2012 selbst überzeugen konnte. Dennoch wurde er vom IS entführt, gefangengenommen, gedemütigt. Zwei Streiter für den Frieden: Juri Andruchowytsch, 2006 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet, und Navid Kermani. (Foto: Isolde Ohlbaum) Am Sonntag, den 18.10.2015, wurden die Besucher, die anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Navid Kermani in der Frankfurter Paulskirche zusammenkamen, Zeugen eines wahrhaft historischen Moments. Nicht, weil zum ersten Mal ein deutscher Muslim mit der wichtigsten Ehrung ausgezeichnet wurde, welche das kulturelle Deutschland gegenwärtig vergibt. Nicht, weil die Preisverleihung in dieser ehemaligen Kirche, welche 1848 der Versammlungsort des ersten freigewählten Parlaments in Deutschland war, mit einem – religiöse und nicht religiöse Menschen gemeinsam mit einbeziehenden – Gebet endete, welches der Ausgezeichnete angeregt hatte und dem er wie ein Vorbeter mit unsagbarer Würde vorstand. Nicht, weil mehr Besuchern die Tränen in den Augen als wohl je an diesem geschichtsträchtigen Ort. Und auch nicht, weil es (wie ein greiser Besucher, der schon viele Friedenspreisreden gehört hatte, danach sagte), die traurigste Rede gewesen sei, die man hier jemals gehört habe. Jo Lendle hört mit. Laudator Norbert Miller im Gespräch mit Rüdiger Safranski. (Foto: Isolde Ohlbaum) Kermani erzählt diese Geschichte und stellt die berechtigte Frage, wie es möglich geworden ist, eine solche und viele andere „Schweinetaten“ (so wörtlich) im Namen einer Religion, des Islams, zu vollbringen und zu rechtfertigen. Die Erklärung findet sich, wie Kermani aufzeigte, einerseits in der Geschichte, nämlich in der schockartigen Begegnung der islamischen Welt mit einer oft gewaltsam aufgezwungenen, aus Europa importierten Moderne; und andererseits in der Gegenwart, wo jeder echte Bezug zur historisch gewachsenen Tradition durch die Behauptung der Rückkehr zu einem vermeintlichen Uranfang ersetzt wird. Und wo der Westen die besten Geschäfte ausgerechnet mit Saudi-Arabien macht, dessen Ideologie, der Wahhabismus, mit der Ideologe des Islamischen Staates fast identisch ist, und das im eigenen Land, sogar in Mekka und Medina, jede echte Tradition zerstört: „Wo bis vor wenigen Jahren noch das Haus stand, in dem Mohammed Sondern weil in einem kollektiven Akt, der sich aus einer bewegenden Rede, aus Aufmerksamkeit, Ergriffenheit und last but not least aus der Anwesenheit wichtiger Politiker und gesellschaftlicher Repräsentanten zusammensetzte, weil in diesem Festakt der Islam, die Muslime und letztlich alle, die mit Muslimen zu tun haben, aus der Geiselhaft befreit wurden, in die die Muslime seit über anderthalb Jahrhunderten, erst durch den westlichen Kolonialismus, dann durch die Antwort auf ihn in Gestalt des religiösen Fundamentalismus, geraten waren. 3 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Thema: Friedenspreis 2015 mit seiner Frau Khadija wohnte, steht heute ein öffentliches Klo.“ Navid Kermani ist dieser Appell gelungen, weil ihm gelungen ist, was einem Schriftsteller gelingen sollte: Das Wort zu gebrauchen, im richtigen Moment, an der richtigen Stelle. Die Befreiung des Islams aus der Geiselhaft des religiösen Faschismus erfolgte an jenem 18.10.2015 in der Paulskirche durch das allen Zuhörern auf sinnlichste Weise erfahrbare Wort, die Parabel. Die Parabel, das Lehrstück, war in diesem Fall die Geschichte von Pater Jacques Mourad selbst. So wie dieser vom IS gefangen wurde, ist auch der Islam vom IS gefangen genommen worden. Kampf, aber für den Frieden Ja, Navid Kermanis Rede war eine Kampfansage. Gott sei Dank. Denn dass dieser Kampf, der Kampf gegen die Geiselnahme der Religion durch den „religiösen Faschismus“ (so Kermani wörtlich), wie er uns in Gestalt SaudiArabiens, des Islamischen Staates, aber auch Irans begegnet, eines Tages geführt werden muss, und zwar von Muslimen und von Nicht-Muslimen gemeinsam, weil nämlich beide darunter leiden – das haben natürlich auch vorher schon einige gedacht. Es ist aber noch nie in solcher Klarheit, an einem solch symbolträchtigen Ort, vor einem solch ausgewählten Publikum, vor laufenden Fernsehkameras und mit solcher Dringlichkeit, moralischer Glaubwürdigkeit und rhetorischer Kraft gesagt worden. Ja, es ist schon gedacht und geschrieben worden, aber es ist doch noch nie so wie hier gesagt worden, nämlich so, dass es alle, wirklich alle begreifen und glauben; dass es alle dem Sprecher abkaufen – dem Sprecher, einem gläubigen Muslim, dem nichts ferner steht, als berechtigte Kritik an den negativen Auswüchsen der Religion für Ressentiments, Fremdenfeindlichkeit oder Gefühle billiger moralischer Überlegenheit zu missbrauchen. „Die Liebe zum Eigenen – zur eigenen Kultur, zum eigenen Land und genauso zur eigenen Person – erweist sich in der Selbstkritik“, lautete einer der wichtigsten Sätze der Rede. Links neben Pater Paolo sitzt Pater Jens, der mit Schwester Friederike und anderen in Nordosten von Irak 2011 ein neues Kloster gegründet hat, in dem sich momentan etwa 200 christliche Flüchtlinge aus Syrien auf-halten. Pater Jens und Schwester Friederike waren Ehren-gäste bei der diesjährigen Friedenspreisverleihung. (Foto: Anna-Sophie Müller-Gugenberger) „Gibt es Hoffnung?“, fragte Navid Kermani mehrmals. „Ja, es gibt bis zum letzten Atemzug Hoffnung“, lautete seine Antwort. Und tatsächlich: Pater Mourad ist befreit worden, befreit worden von Muslimen aus den Fängen des IS. Nicht anders hat Navid Kermani durch seine Rede und mit Hilfe seines wie in einer antiken Tragödie mitleidenden, größtenteils gar nicht einmal muslimischen Publikums den Islam aus der Diskursherrschaft der Fanatiker in Ost und West befreit. In der Paulskirche, die heute gar nicht mehr wie eine Kirche aussieht, sondern eher wie ein Amphitheater, hat Navid Kermani uns und alle, die ein offenes Herz dafür haben, eine Katharsis, eine Läuterung und Waschung der Herzen geschenkt, von der wir erst in dem historischen Moment, in dem wir sie empfangen haben, erkannten, wie furchtbar lange sie uns vorenthalten worden war. Herzlichen Dank an Stefan Weidner für die Erlaubnis, diesen Text, der in Deutsch, Englisch und Arabisch auf www.qantara.de erschienen ist, hier andrucken zu dürfen. Das Kloster Mar Musa al-Habashi in Syrien, das von Pater Paolo Dall’Oglio gegründet wurde. (Foto: Anna-Sophie Müller-Gugenberger) 4 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Thema: Friedenspreis 2015 Pressestimmen Eine wichtige und nachhaltig wirkende Rede hat Navid Kermani gehalten. Dieses Urteil haben fast alle Berichterstatter in der Frankfurter Paulskirche gefällt, wobei einzelne Aspekte aus seiner Friedenspreisrede bis heute – auch aufgrund der aktuellen Situation in Syrien – immer wieder aufgegriffen werden. Wir dokumentieren hier einige Ausschnitte aus den zahlreichen Pressestimmen, auch die kritische Auseinandersetzung über den abschließenden Aufruf zum gemeinsamen Gebet. Christoph Strack (Deutsche Welle 18.10.2015) heit täuscht darüber hinweg, auf welche Weise wir, der Westen, in diese Kriege verstrickt sind. Ob mit dem Israeli David Grossman (2010), dem Algerier Boualem Sansal (2011), dem Chinesen Liao Yiwu (2012), der jetzt auch mit dem Nobelpreis geehrten Weißrussin Swetlana Alexijewitsch (2013) oder dem US-Amerikaner Jaron Lanier (2014) - der Jury gilt mehr als Respekt für die glücklichen Entscheidungen der vergangenen Jahre. Autoren, die mitleiden und daraus mit Kraft, Wut oder auch Zärtlichkeit schreiben. Navid Kermani hat sich mit seiner großen Rede beeindruckend in diese Tradition gestellt. Franziska Augstein (SZ 19.10.2015) Manche Agenturen haben verbreitet, Kermani wünsche einen Krieg gegen den IS. In seiner Rede sagte er: "Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?" Das tue er natürlich nicht. Ihn quält indes, dass der Westen dem Krieg in Syrien und dem Aufstieg des IS tatenlos zusehe. Diplomatische Mittel sollten eingesetzt werden, zur Not militärische Mittel. Kermani weiß vermutlich, dass Waffen, mit denen die USA „gemäßigte“ (wie das im Westen genannt wird) islamistische Gegner des syrischen Präsidenten Assad unterstützen wollten, neulich prompt an den IS weitergegeben wurden. Er weiß, was die Rede eines Friedenspreisträgers verlangt. Sie war kein Aufruf zum Krieg. Sie war ein mit Inbrunst vorgetragener Weckruf. Gerrit Bartels (Der Tagesspiegel 19.10.2015) Es gibt zwar Applaus in der Paulskirche, als Kermani einmal ein Loblied auf Europa singt: auf die europäische Einigung, „dem politisch Wertvollsten, was dieser Kontinent je hervorgebracht hat“, auf ein Europa, dass nicht zuletzt wegen seiner Freiheitsversprechen der Sehnsuchtsort so vieler Flüchtlinge ist. Doch als er das Ausbleiben breiter gesellschaftlichen Debatten hierzulande beklagt, Debatten über den Terror und die Schuld, die auch die westliche Welt daran trägt, als er eine größere Politisierung der Zivilgesellschaft fordert, bleibt es ruhig, was womöglich als zustimmendes Schweigen zu deuten ist. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, und Friedenspreisträger Navid Kermani begegnen Karl-Josef Kuschel, der im Stiftungsrat für den Friedenspreis sitzt. (Foto: Isolde Ohlbaum) Richard Kämmerlings (Die Welt 18.10.2015) Jürgen Kaube (FAZ 19.10.2015) „Gibt es Hoffnung?“ Diese verzweifelte Frage war das andere Leitmotiv. Sie schien sich angesichts der endzeitlich verfinsterten Weltlage von selbst zu beantworten, aber es ist Kennzeichen des religiösen Denkens, gerade in der Apokalypse die Hoffnung auf Erlösung zu erhalten, ja gerade dort. So war es eine Überraschung, fast ein Schock, aber doch zugleich absolut konsequent von Kermani, das Publikum am Ende zum Gebet aufzufordern, „für Pater Paolo und die zweihundert entführten Christen von Qaryatein“. Auch wer nicht religiös sei, solle doch mit seinen Wünschen bei den Entführten sein, und: „Was sind denn Gebete anderes als Wünsche, die an Gott gerichtet sind?“ Dann bat er noch im Gestus eines Geistlichen darum, sich zu erheben, „damit wir den Snuffvideos der Terroristen ein Bild unserer Brüderlichkeit entgegenhalten“. Spätestens hier mussten viele Zuhörer ihre Tränen verbergen. Doch Kermanis Rede war nicht nur eine über den in sich zerfallenen Islam. Als zweites sichtbares Symbol für den Niedergang seines Geistes nannte er neben den zerstörten Altstädten die größte Shopping Mall der Welt, die in Mekka direkt neben der Kaaba erbaut wurde. Die Moderne selbst, hieß das, enthält Elemente der Zerstörung des Besten an ihr und ihrer Vorgeschichte. Die Tabula rasa, die jener Fundamentalismus macht, den Kermani bei seinen wahhabitischen, salafistischen und saudi-arabischen Namen nannte, ist kein Gegensatz zu modernen Rücksichtslosigkeiten – so wenig wie der „Islamische Staat“ ein Gegensatz zu Assad ist und der Westen ein Gegensatz zum Orient, wenn es um Erdöl, um die Finanzierung und um die Waffen für ihre Kriege geht. Das ungenaue Bild vom Kampf des Fortschritts mit den Mächten der Vergangen5 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Thema: Friedenspreis 2015 Es war ein Moment höchster Ergriffenheit, wie ihn der Friedenspreis in seiner jüngeren Geschichte noch nie erlebt haben dürfte. Zugleich ein Moment tiefer Trauer, aber auch der Hoffnung. Navid Kermani hat uns einen Augenblick der Rührung abverlangt, der uns alle in die Pflicht nimmt. der mildesten Form einer religiösen Geste provoziert fühlt. Gewiss, Kermani hätte auch einfach nur zu einer Minute des stillen Innehaltens aufrufen können. Das Unbehagen ungewohnter Ergriffenheit bei gleichzeitig totaler Ernüchterung über die eigene Ohnmacht wäre erträglicher gewesen. Aber vielleicht lag Kermani gerade an solcher Verstörung. Seine Zuhörer sollten physisch und performativ im Selbstvollzug erfahren, dass unter den Zumutungen, welche die Moderne prägen, diese nicht die geringste ist: Die säkulare Welt fordert den Religiösen auf ähnliche Weise heraus wie dessen Frömmigkeit manchen Ungläubigen. Thierry Chervel (Perlentaucher 19.10.2015) Aber am Schluss hat Kermani der deutschen Geschichte vor allem das Bild einer kollektiv betenden Paulskirche geschenkt. Viele hat es ergriffen. Vielleicht ist es ein sehr deutsches Bild, denn Deutschland hat sich nie ganz von der Idee des Säkularismus überzeugen lassen. Und doch ist die Paulskirche einer der wenigen historischen Orte, in dem sich das Land zaghaft aus dem Bann der Autoritäten löste - auch der religiösen! Ich behaupte, dass mein Mitgefühl für die Opfer des Islamischen Staats genau so tief ist wie das Kermanis, aber ich möchte mich nicht als armer Ungläubiger, dem laut Kermani nur der defiziente Modus des Wünschens bleibt, in ein Bild ökumenischer Frömmigkeit einbauen lassen. Oder, wie Schleiermacher sagte: Der Mensch hebt sich auf, indem er sich setzt. Navid Kermani stellt Pater Jens Petzold einem weiteren Gast vor. (Foto: Isolde Ohlbaum) Johan Schloemann (SZ 20.10.2015) Wer ein solches Gebet veranstaltet, gar für die „Freiheit Syriens und des Iraks“, der droht sich - auch wenn es in der Paulskirche am Sonntag unendlich menschenfreundlicher gemeint war - genau jener Beschwörung einer politischen Theologie anzugleichen, die er dem radikalen Islam als Übergriff vorwirft. Insbesondere wenn er damit, wie Kermani, den Terroristen „ein Bild unserer Brüderlichkeit entgegenhalten“ will, also meint, so im Bilderkrieg mit dem IS bestehen zu können. Ist solche Kritik nicht aggressiv religionsfeindlich? Nein, das Gegenteil ist richtig: Die Religionsfreiheit gebietet, das Gebet den einzelnen Bekenntnissen zu überlassen. Und wenn Navid Kermani dem gottlosen Westen das Christentum erklären will, dann sollte er auch die Bergpredigt beachten: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.“ Michael Jäger (Der Freitag 21.10.2015) Schon vor Jahren sagte Kermani, dass mit der „kompletten Verdrängung des Religiösen“ ein „religiöser Analphabetismus“ einhergehe, der zu einer „grundlegenden Verarmung der Gesellschaft“ führe. Dieses Motiv spielt in seiner Friedenspreis-Rede eine grundlegende Rolle. Würde die Aufforderung zum Wünschen als „Übergriff“ wahrgenommen, wenn Kermani sie nicht mit dem Beten parallelisiert hätte? Wohl kaum. Dabei könnte man wissen, dass es die Parallele wirklich gibt. Ein Friedrich Nietzsche scheute sich nicht, seine Suche nach übergreifenden Zielen als Suche nach einem „Gott“ zu bezeichnen, obwohl er mit jeglicher Religion gebrochen hatte. So hätte Nietzsche auch – umgekehrt wie Kermani – vom Wünschen sagen können, es sei eine Art Beten. Wer zu solchen Brücken bereit ist, ist in der Lage, mit religiösen Menschen zu kommunizieren. Weil er von ihrer Religion etwas weiß. Wie kommt es nur, dass man heute glaubt, Irreligiosität verwirkliche sich am besten, wenn die religiöse Kenntnis vernichtet sei? Und das in einer Welt voller Christen und Muslime? Toleranz kommt so nicht zustande. Eher kommt etwas heraus, was dem IS-Terror nicht unähnlich ist. Das ist Kermanis Botschaft. Der IS vernichtet ja alles, was von seiner Doktrin im Geringsten abweicht. Hätte er Erfolg, würde die Welt nichts mehr kennen als die IS-Religion. Wozu bräuchte man dann noch Toleranz? Viele Muslime flüchten jetzt zu uns aufgeklärten Menschen, die wir religiöse Analphabeten sind. An ihnen Toleranz zu üben, werden wir noch reichlich Gelegenheit haben. Roman Bucheli (NZZ 21.10.2015) Man mag solche Bedenken deutscher Überempfindlichkeit gegenüber allen Formen der kollektiven Erregung zuschreiben. Und dennoch stellen sie ein Armutszeugnis aus. Sie sind die Symptome einer Krise des säkularen Denkens, das sich noch selbst von der Schwundstufe oder 6 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Thema: Friedenspreis 2015 Necla Kelek (Die Welt 22.10.2015) pas, die sich auf den Koran berufen – und am Rednerpult der Frankfurter Paulskirche steht seelenruhig ein Mann, der die Hände zum Gebet ausbreitet – in unverkennbar muslimischer Manier. Man sieht direkt Michel Houellebecq vor sich, wie er triumphierend lächelt: Da seht ihr es, welch eine Allegorie der Unterwerfung! Das christliche Abendland hat abgedankt, beugt sich bereitwillig jedem, der sich zum Imam aufwirft. In Wahrheit hat Navid Kermanis Paulskirchenrede vom 18. Oktober die süffisant-larmoyante Science-FictionKonstruktion Houellebecqs („Unterwerfung“) wie ein Kartenhaus zum Einsturz gebracht. Ein Kölner Intellektueller, dessen Eltern aus dem Iran stammen, ist der derzeit scharfsinnigste und scharfzüngigste Geist der Republik, der mit allem und jedem ins Gericht geht, am gnadenlosesten mit seiner eigenen Religion – diese Eventualität übersteigt das Fassungsvermögen eines Houellebecq. Das masochistisch-lustvolle Sich-hinein-halluzinieren in ein Frankreich der nahen Zukunft, das sich einem Kreide fressenden islamistischen Präsidenten unterwirft und all seine heiligen säkularen Errungenschaften kampflos preisgibt, ist ein Gedankenspiel, das nur funktioniert, wenn man einen Navid Kermani vollständig ausblendet. Oder, anders gesagt: Armes Frankreich, das einem windigen Untergangspropheten huldigt! Glückliches Deutschland, das einem muslimischen Gelehrten und begnadeten Geschichtenerzähler zuhört, der ihm das in Jahrhunderten samt seiner Aufklärung in Ritualen erstarrte christliche Abendland so lebendig erklärt, als wär’s gestern geschaffen worden! (19.11.2015) Und dann diese Rede! Sie war angelegt wie eine Sinfonie. Es begann mit der Ouvertüre des Berichts über ein Kloster von christlichen Mönchen, die den Islam lieben und deren Pater Jacques vom IS entführt worden war. Was sich zunächst wie eine Abschweifung anhörte, instrumentierte sein Thema, die „Nächstenliebe“ über Religionsgrenzen hinweg. Die folgenden sinfonischen Sätze, mal schnell, mal langsam komponiert, steigerten sich zunächst in eine leidenschaftliche Anklage gegen die Schrecken, die der Islamische Staat, aber auch die islamischen Staaten wie Saudi-Arabien der Welt, den Menschen und der Religion antut. Er zählte auf, was im Namen des Islam in aller Welt an Verbrechen verübt wurde und wird. Und bezeichnete dies als "islamischen Faschismus". Martin Gehlen (Südwest Presse 24.10.2015) Im Westen ist das Datum längst vergessen, für die Welt des arabischen Islam aber war der 20.11.1979 eine Zäsur mit katastrophalen Folgen. Mit ihr begann - wie es Navid Kermani bei seiner Friedenspreisrede in Frankfurt formulierte - der Krieg des Islam gegen sich selbst, der fast vollständige Bruch mit seiner Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie. Der multiethnische, multireligiöse und multikulturelle Orient sei untergegangen, diagnostizierte Kermani, „den ich in seinen großartigen literarischen Zeugnissen aus dem Mittelalter studiert und während langer Aufenthalte in Kairo und Beirut, als Kind während der Sommerferien in Isfahan (...) als eine zwar bedrohte, niemals heile, aber doch quicklebendige Wirklichkeit lieben gelernt habe“. Am 20.11.1979 besetzten 500 radikale Gotteskrieger die große Moschee in Mekka. Zwei Wochen dauerten die Kämpfe, hunderte Pilger starben, am Ende lag das zentrale Heiligtum des Islam teilweise in Trümmern. Das saudische Königreich, die Heimat des Propheten Mohammed, war bis in die Grundfesten erschüttert und reagierte mit einem ebenso fundamentalen wie folgenschweren Kurswechsel. Die Gewalttäter exekutieren, ihre geistigen Brandstifter dogmatisch befrieden, lautete die doppelte Marschroute. Und so wurde in punkto sittlicher Strenge und religiöser Eindeutigkeit kräftig nachgearbeitet. Fortan ging ein Drittel der Schul- und Studienzeit mit Koranauslegung und Scharia-Unterricht drauf. Statt Vokabeln zu lernen und sich Formeln einzuprägen, büffelten saudische Schüler heilige Suren und Episoden aus dem Leben des Propheten. Frauen mussten sich verschleiern, Männer ließen sich Bärte wachsen, selbst auf den Dörfern erschienen plötzlich Religionspolizisten. Bald waren die Jungen konservativer als die Alten. Stiftungsratsmitglied Janne Teller im Gespräch mit Elisabeth Ruge. (Foto: Isolde Ohlbaum) Rainald Goetz (Dankesrede Georg-Büchner-Preis) Immer im Oktober ist wieder Deutscher Herbst, jedes Jahr ist wieder Nacht von Stammheim, und alle zwei Jahre schaue ich wieder nach, wie war es noch einmal genau im Oktober mit den Tagen des Todes, der Politik, Wartburgfest und Schlacht von Leipzig, den Tagen der Geburt: 17. Oktober Büchner, 18. Oktober Kleist geboren, und dazwischen, in der Nacht, die Toten von Stammheim, Raspe, Ensslin, Baader. Ein deutsches Datum, fast wie der Florian Sendtner (Mittelbayerische Zeitung) Zum Schluss seiner fast einstündigen Rede, die einem kleinen katholischen Kloster in Syrien gewidmet war, das vom Islamischen Staat terrorisiert wird, bat Kermani die vollbesetzte Paulskirche, sich zum Gebet für dieses syrische Kloster zu erheben. Massenmörder im Herzen Euro7 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Thema: Friedenspreis 2015 9. November. Zehn Jahre hat es gebraucht, von 1977 bis 1987, bis hier an dieser Stelle Erich Fried in seiner Rede auch an die Toten von Stammheim erinnert hat. 1977, bei der Preisvergabe an Reiner Kunze, vier Tage nach der Nacht von Stammheim, kam dazu, zu Stammheim, kein Wort. Leise klingt da ein Vorwurf an, der einem ersten Gefühl auch entspricht, aber in Wirklichkeit ist diese Verspätung, deshalb erzähle ich davon, Hinweis auf eine der besten Qualitäten von Literatur überhaupt, auf ihre Langsamkeit. Sie stellt sich der Welt, aber langsam, das macht den Autor so panisch, unendlich langsam. Navid Kermani beschäftigt sich seit 1988, seit über fünfundzwanzig Jahren mit den Dingen, zu denen er jetzt aktuell in seiner Friedenspreisrede gesprochen hat. Nur deshalb erreicht sein von eigener Erfahrung, von Wissen, von Mitgefühl für das Leben anderer Menschen der Fremde so kompliziert mit Wirklichkeit aufgeladenes Denken über die Gegenwart von Krieg und Frieden, Flucht und Religion, dieses Niveau, das zur öffentlichen Rede berechtigt. In die Freude an der Rückkehr des politischen Schriftstellers, wie sie in den letzten Wochen von vielen geäußert worden ist, kann ich nicht einstimmen. Gerade das Beispiel von Navid Kermani zeigt, wie voraussetzungsreich eine Autorschaft gemacht sein muß, wie vielfach gebrochen, marginalisiert, davon betrübt und zugleich euphorisiert, wie sehr, bei aller Kritik, weltbegeistert sie sein muß, daß sie sich die Rolle des politischen Schriftstellers, die auch besonders schön leuchtet, zutrauen darf. (31.10.2015) Den derzeit überzeugendsten Erklärungsansatz dafür bietet Navid Kermani, der es in seiner Friedenspreisrede in der Frankfurter Paulskirche so formulierte: „Vielleicht ist das Problem des Islams weniger die Tradition als vielmehr der fast schon vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie.“ Genau jener Traditionsbruch, den Kermani beklagte, ist eines der schwerwiegendsten Hindernisse, mit denen sich die islamische Theologie und die muslimische Gemeinschaft in Deutschland auch in Zukunft werden auseinandersetzen müssen. Der Verlust unterschiedlicher gleichberechtigter Zugänge zum Koran und des Vorbilds des Propheten und die damit einhergehende sakrale Tabuisierung im exegetischen Umgang mit den Schriften des Islams führten zur Verfremdung von zentralen islamischen Termini und Konzepten dieser lebensbejahenden Weltanschauung des Islams. Jürgen Kanold (Südwest-Presse, 24.11.2015) Trotzdem: Es war ausgerechnet Friedenspreisträger Navid Kermani, ein Muslim, der zum Handeln aufrüttelte: „Der IS wird den Horror so lange steigern, bis wir in unserem europäischem Alltag sehen, hören und fühlen, dass dieser Horror nicht von selbst aufhören wird.“ Das sagte Kermani noch vor den jüngsten Terror-Anschlägen. Aber nicht zum Krieg wollte er aufrufen: „Ich weise lediglich darauf hin, dass es einen Krieg gibt - und dass auch wir, als seine nächsten Nachbarn, uns dazu verhalten müssen, womöglich militärisch ...“ Kermani meinte den Krieg in Syrien, im Irak, den Massenmord vor der europäischen Haustür, den des IS und den des Assad-Regimes. Und er meinte keine Kriegs-Metaphorik, keine rhetorische Aufrüstung, kein Erdogan Karakaya (F.A.Z. 24.11.2015) mediales Pathos, sondern die besonnene, entschlossene Es fällt allerdings auf, dass die Bedeutungsvielfalt des Tat. Märtyrertums in der muslimischen Gemeinschaft hierzulande und weltweit heute wenig bis gar nicht rezipiert wird. Dafür gibt eine Reihe von Gründen. Friedenspreisrede bislang in sieben Sprachen übersetzt Die Nachfrage nach der Rede von Navid Kermani ist im Ausland wie im Inland immens groß. Das Buch zum Friedenspreis geht mittlerweile in die vierte Auflage Ob auf Arabisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Persisch, Schwedisch, Spanisch oder doch auf Deutsch. Mittlerweile ist die Friedenspreisrede von Navid Kermani in sieben weitere Sprachen übersetzt und in namhaften Zeitschriften veröffentlicht worden. Polnisch, Bulgarisch, Tschechisch und Slowenisch sollen in den nächsten Wochen noch hinzukommen – dies ist in der langen Geschichte des Friedenspreises beispiellos. Nachzulesen oder verlinkt sind diese Versionen unter www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de. Ebenfalls ist es noch nie dagewesen, dass das Buch mit den Reden, die bei der Preisverleihung gehalten wurden, mittlerweile in die vierte Auflage gegangen ist. Wer noch Exemplare haben möchte, der sollte sie möglichst rasch über seine Buchhandlung bei der MVB bestellen: „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015: Navid Kermani“ herausgegeben vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Verlag der MVB, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-7657-3299-7 zweisprachig (deutsch/englisch), 118 Seiten, 14,90 € 8 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Thema: Friedenspreis 2015 „Originell sei diese Preisverleihung nun wirklich nicht.“ Bundestagspräsident Norbert Lammert begegnete in seiner Tischrede beim Friedenspreisessen dem Umstand, dass manches trotz fehlender Originalität doch gut und wichtig sein kann. Sehr geehrte Damen und Herren, gen ist es doppelt beruhigend, dass das rechtzeitig repariert werden konnte. Sie werden verstehen, dass ich überhaupt nur zögerlich das Mikrofon in die Hand nehme, weil Sie vermutlich alle, ähnlich wie ich, den Eindruck haben, dass das, was heute zu sagen ist, schon gesagt wurde, und dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich will allerdings aus der Erfahrung vergleichbarer Situationen wenigsten meine Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, dass es auch im öffentlichrechtlichen Rundfunk- und Fernsehsystem bei seltenen Gelegenheiten offenkundig gelingt, jenseits der Verlängerungen von Fußballspielen zu Programmänderungen in der Lage zu sein und den vorgesehenen Zeitrahmen auszudehnen. Mit Navid Kermani bekommt in diesem Jahr ein Autor den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der als Wissenschaftler, als Reporter, als Publizist und als Dichter jeweils herausragende Beiträge zu diesen ganz unterschiedlichen Aufgabenfeldern geleistet hat. Es wird Sie wiederum nicht besonders überraschen, dass mir, aus der Perspektive der politischen Verfassung dieser Republik, nicht nur der Weltbürger Kermani imponiert, sondern auch und gerade der Staatsbürger Kermani. Er war Mitglied der ersten Islamkonferenz, die die Bundesregierung aus gegebenem Anlass einberufen und kunstvoll zusammengesetzt hatte. Er war Mitglied einer Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten und er hat vor vergleichsweise kurzer Zeit eine denkwürdige Rede im Deutschen Bundestag aus Anlass des 65. Geburtstags unserer Verfassung gehalten, die erwartungsgemäß ähnlich viel Eindruck gemacht wie Empörung verursacht hat, wobei mich hierbei auch wieder nicht überrascht, dass diejenigen, die begeistert waren, sich noch gut daran erinnern können, während kaum noch einer zu den Empörten gehören will. Unter den vielen Büchern, Essays, Aufsätzen und Reden von Navid Kermani, von denen viele, aber nicht alle, heute genannt worden sind, ist eines meiner Lieblingsbücher die vergleichsweise schmale Schrift „Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime“. Sie werden sich daran erinnern, dass es auch noch nicht lange her ist, seit ein Buch mit der dämlichen Behauptung „Deutschland schafft sich ab“ erstaunliche Auflagen erzielt hat. Diese ebenso erschreckende wie unsinnige Behauptung hat Navid Kermani in dieser Schrift – mit einem Zehntel des Umfangs – eindrucksvoll widerlegt. Allein deswegen, weil er in der Zwischenzeit glücklicherweise, aber unter diesem Gesichtspunkten leider viele andere interessante Bücher geschrieben hat, möchte ich diese kleine Schrift noch einmal in ganz besonderer Weise Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen. Bundestagspräsident Lammert im Gespräch mit Alfred Grosser, dem Friedenspreisträger von 1975. (Foto: Isolde Ohlbaum) Als im Juni die Nachricht vom diesjährigen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels die interessierte Öffentlichkeit erreichte, gab es unter der rundum ausnahmslos freundlichen Resonanz - wenn überhaupt - lediglich den kritischen Einwand, originell sei diese Preisverleihung nun wirklich nicht, denn das sei ja geradezu der idealtypische Preisträger für den Friedenspreis, bei dem nur überraschen könne, dass er ihn jetzt erst erhalte. Dein Name, Ihr Name, lieber Navid Kermani, ist inzwischen längst zum Beleg der Möglichkeit der Verbindung ganz unterschiedlicher Existenzen geworden – als Ästhet, als Citoyen, als Kosmopolit oder als okzidentaler Orientalist, der uns immer wieder die jeweils eigenen und die gemeinsamen Ansprüche vor Augen führt. Was mich immer wieder aufs Neue beeindruckt, ist Ihre Begabung, aber auch Ihre Bereitschaft, ebenso feinfühlig wie im wörtlichen Sinne rücksichtslos diese Ansprüche geltend zu machen. Wenn ich jetzt zum Schluss öffentlich erkläre, dass ich ausdrücklich hoffe, dass das noch lange so bleibt, ist das wieder nicht originell. Aber es ist genauso ehrlich gemeint und gut durchdacht wie die Entscheidung der Jury des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der ich hierzu herzlich gratuliere. Das hat mich daran erinnert, dass es vor wenigen Jahren noch ganz anders war, als er den Hessischen Kulturpreis erhalten sollte und am Ende, zusammen mit dem Mainzer Bischof und dem damaligen Präsidenten der Landeskirche Hessen-Nassau, auch tatsächlich erhalten hat – wobei aber zunächst das ungläubige Staunen über die ernsthafte Auseinandersetzung eines Moslems mit christlicher Ikonographie mindestens so ausgeprägt war wie die ungewöhnliche Versuchsanordnung, einen Islamwissenschaftler gemeinsam mit zwei real existierenden christlichen Kirchenfürsten bei der damaligen Preisverleihung aufmarschieren zu sehen. Die Kontroverse hat übrigens nach meiner Erinnerung damals nicht die Reputation der Preisträger in Frage gestellt, wohl aber die Reputation des Preises, und deswe9 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Die Anschläge in Paris und der Krieg in Syrien „Nicht mit Kanonen.“ Friedenspreisträger zu den Anschlägen in Paris und zum Krieg in Syrien Alfred Grosser: Fremdenfeindlichkeit als „geistige Gefahr“ Die Anschlagserie in Paris sei eine Katastrophe, sagte Alfred Grosser im Deutschlandradio Kultur. Allerdings sei die enorme Hilfsbereitschaft, die sie bewirke, umso beeindruckender, so der Politologe und Publizist: „Die Solidarität ist fantastisch.“ „Es ist furchtbar, es ist katastrophal“, sagte der Publizist und Politologe Alfred Grosser über die Pariser Anschlagserie. Er hob allerdings auch die ungeheuer große Hilfsbereitschaft hervor, die die Anschläge bewirkt hätten: Die Menschen ständen Schlange, um Blut zu spenden oder hätten in der Nacht der Anschläge umherirrenden Menschen via Twitter angeboten, sie in ihren Wohnungen aufzunehmen: „Die Solidarität ist fantastisch.“ Die möglichen Gründe für die Anschläge seien komplex: „Da kommt vieles zusammen“, so Großer. Im Gegensatz zu Deutschland beteilige sich Frankreich aktiv an der militärischen Bekämpfung des Terrorismus, nicht nur aktuell in Syrien, sondern zum Beispiel auch in Mali. Grosser wies darauf hin, dass in der aktuellen Situation fremdenfeindliche Gruppierungen wie der Front National in Frankreich oder Pegida in Deutschland „triumphieren“ könnten: „Das ist die heutige geistige Gefahr.“ Er gehe auch davon aus, dass als Folge der Terrorserie Grundrechte eingeschränkt werden und Frankreich neue Polizeigesetze bekommen werde: „Das ist in solchen Lagen beinahe unvermeidlich.“ (14.11.2015 Deutschlandradio Kultur) Liao Yiwu: Gemeinsamer Kampf für gemeinsame Werte Der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, der seit einigen Jahren in Berlin im Exil lebt, hat nach den Angriffen in Paris über seinen Übersetzer Martin Winter folgende Stellungnahme abgegeben: „Ab heute ist Frankreich im Kriegszustand, heißt es. Hoffentlich ist damit die französische Appeasement-Politik nach dem Zweiten Weltkrieg endlich vorbei. Hollande und Obama sagen nur dasselbe noch einmal, was sie schon nach den Angriffen auf Charlie Hebdo im Januar gesagt haben. Hoffentlich ist es jetzt endlich damit vorbei, dass der Westen Waffen an Diktatoren liefert! Hoffentlich führt der Terrorismus dazu, dass demokratische Länder zusammenstehen, um den Islamismus bekämpfen und gemeinsame Werte zu verbreiten. Dazu gehört die Verwirklichung von religiöser Gleichberechtigung, nicht aber Abschottung und Vorurteile gegen Flüchtlinge. Ihr Toten, Ihr könnt nichts sagen und könnt nicht mehr weinen. Wir leben, und haben doch keine Worte und keine Tränen. O Gott!“(16.11.2015) Jürgen Habermas: Offene Gesellschaft in Frankreich in Gefahr Der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas zeigt sich besorgt, dass Frankreich unter dem Eindruck der Pariser Terroranschläge seine Liberalität verlieren könnte. „Die Zivilgesellschaft muss sich davor hüten, alle demokratischen Tugenden einer offenen Gesellschaft auf dem Altar der Sicherheit zu opfern“, sagte Habermas in einem am Sonntag veröffentlichten Interview der Tageszeitung „Le Monde“. Dazu gehörten auch die Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen und die Bereitschaft, die Perspektive des Anderen einzunehmen. Mit Blick auf eine verbreitete Islamfeind- lichkeit mahnte Habermas, der dschihadistische, also der auf einen Heiligen Krieg bezogene Fundamentalismus der Terroristen des Islamischen Staats, benutze zwar eine religiöse Sprache, sei aber selbst keine Religion. Während die großen monotheistischen Religionen vor vielen Jahrhunderten entstanden seien, sei der Dschihadismus eine sehr viel jüngere Erscheinung. Der Frankfurter Philosoph und Soziologe sieht darin „eine absolut moderne Form der Reaktion auf Lebensbedingungen, die von Entwurzelung geprägt sind“. Für die barbarischen Taten der Terroristen gebe es keine Entschuldigung, sagte Habermas. Es müsse nun aber auch nach dem „Versagen der Integration in den sozialen Brandherden unserer Großstädte“ gefragt werden. (dpa 22.11.2015) 10 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Die Anschläge in Paris und der Krieg in Syrien Boualem Sansal: „Man bekämpft Ideen nicht mit Kanonen.“ Boualem Sansal zeigte sich in einem Interview von dem Ausmaß der Attentate in Paris nicht überrascht. „Mich wundert es, dass es erst so spät passiert ist. Der internationale Islamismus zieht gegen Europa in den Krieg. Vor allem Frankreich ist seit seinem Einsatz in Syrien im Visier. Jetzt hat der Krieg angefangen und wird auch weitergehen.“ Die westliche Gesellschaft habe das Problem der Integration von Muslimen heruntergespielt, indem sie geglaubt habe, dass dies ein einfacher Prozess sei. Es wurde übersehen, so Sansal weiter, dass man auch den speziellen Bedürfnissen von Muslimen Beachtung schenken müsse, weil mehr Komfort und Demokratie nicht automatisch zu Integration führe. Dass die europäischen Werte selbst in einer Krise stecken, könnte die islamistische Gewalt womöglich sogar noch weiter anheizen: „Meiner Meinung nach ist der Westen mit seiner Philosophie der Aufklärung, die ihn die letzten Jahrhunderte ausmachte, in einen Erschöpfungszustand geraten.“ Das führe dazu, dass der Westen selbst seine eigenen Werte nicht mehr respektiere. Zudem radiere die Globalisierung gerade die Eigenheiten jedes Landes aus. Die allgemeinen Werte des Lebens würden durch die Gesetze des Marktes ersetzt - durch Konsum, Spaß und die Befriedigung dieser rein materiellen Bedürfnisse. Sansal: „Muslime sagen also, bevor wir dem Markt und dem Recht gehorchen, befolgen wir lieber die Befehle der Religion. Denn die Religion verspricht uns das Paradies, das hat etwas Poetisches. Und dann gibt es auch noch das Abenteuer des Dschihads.“ Ob aber Krieg eine gute Reaktion auf die Anschläge in Paris sei, das bezweifelt Boualem Sansal: „Man bekämpft Ideen nicht mit Kanonen. Ganz im Gegenteil. Dadurch verstärkt man sie. Man muss Ideen mit Ideen bekämpfen, mit einer Lebensphilosophie, mit einem neuen Demokratiegedanken, mit neuen Überlegungen zum Laizismus und indem wir den Integrationsprozess der muslimischen Gemeinschaft in die europäischen Gesellschaften gut regeln.“ Voraussetzung hierfür sei aber die Wiederherstellung eines westlichen Lebensgefühls und einer Freiheit, die ihre Wurzeln in der Zeit der Renaissance und der Aufklärung habe. „Um das umzusetzen, müsste man sich aber von den Gesetzen des Marktes und der Globalisierung zu einem gewissen Grad absetzen. Das ist das Problem. Man müsste vielleicht ein föderales Europa schaffen, das die Eigenheiten eines jeden Landes respektiert, und nicht alles standardisieren, nicht alles uniformieren. Diese Arbeit muss gemacht werden. Doch anscheinend macht sie keiner. Einige Intellektuelle und Universitäten setzen sich damit auseinander, aber nicht die Politik. In der muslimischen Welt ist diese Arbeit bereits im Gange. Die Muslime machen sie vielleicht schlecht. Die Dschihadisten machen sie jämmerlich. Aber der Westen schläft und ruht sich auf seinen Lorbeeren aus, auf seinem vergangenen Ruhm. Er müsste sich um die Zukunft kümmern – und zwar jetzt.“ (Deutsche Welle, 18.11.2015) Wolf Lepenies: „Eindrucksvolle Beispiele des Mutes“ Für Wolf Lepenies waren die Anschläge des 13. November Terror in seiner ursprünglichsten Form: „Grausame Taten, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Ein Terror in Europa, wie er regelmäßig in Bagdad und Kabul zu finden ist. Das kann und wird auf Dauer viele Menschen verändern. Und damit auch unsere Gesellschaft.“ Es wird, so Lepenies, vor allem Einschränkungen der individuellen Freiheiten geben, wie man es schon jetzt erlebe: mehr Überwachungskameras, Vorratsdatenspeicherung, Kontrollen in öffentlichen Gebäuden– so wie es in den USA nach 9/11 Alltag geworden sei. Dabei wird es „darauf ankommen, hier das rechte Maß zu finden – einzusehen, dass Einschränkungen, die uns individuell treffen, hingenommen werden können, wenn sie letztlich allen nutzen“. Der Wille der Franzosen, offen zu demonstrieren, sich in der eigenen Lebensweise nicht verändern lassen zu wollen, habe ihn beeindruckt, so Lepenies weiter, „gerade jetzt, in diesen Tagen, an diesen Abenden, sich ganz bewusst in der Öffentlichkeit aufzuhalten. Dazu gehört Cou- rage.“ Bemerkenswert sei aber vor allem die Haltung der Muslime, die letztlich weltweit die größte Opfergruppe des islamistischen Terrors sind. „Nach den Anschlägen auf ‚Charlie Hebdo‘ haben viele Muslime in Frankreich zurückhaltend reagiert. Jetzt haben die muslimischen Verbände sich klar positioniert – weil jeder zu den Opfern gehören konnte, egal ob Muslim oder Karikaturist. Die ISTerroristen sind hier einen Schritt weiter gegangen.“ Dass durch die dezentral operierenden Islamisten ein Flächenbrand entstehen könnte und die Angst vor Terror in Europa dieselbe werden könnte wie die in Beirut, Bagdad oder Jerusalem, ist für Lepenies besonders beunruhigend: „Ich habe eine spannende Analyse in Frankreich gelesen: Die Al-Qaida-Terroristen haben oft probiert, nach den Attentaten zu fliehen. Vielleicht, weil es nicht so viele von ihnen gab, Al-Qaida ist daran interessiert, die eigenen "Truppen" möglichst intakt zu halten. Dem IS ist das egal. Es gibt genügend Zulauf, Tag für Tag. Wie kann man sich vor Attentätern schützen, denen es egal ist zu sterben? Diese Frage ist hoch brisant. Und niemand hat eine Antwort darauf […] und gerade deswegen müssen wir weiter versuchen, dennoch eine Antwort zu finden.“ (Die Welt 7.12.2015) 11 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Zwischen Zeilen – eine Stunde Schönheit Dem Unbekannten eine Stimme geben Bei der diesjährigen, den Friedenspreis begleitenden Veranstaltungsreihe „Zwischen Zeilen – eine Stunde Schönheit“ während der Frankfurter Buchmesse in der Katharinenkirche trat das Schöne in den Hintergrund. Angesichts von Krieg und Vertreibung suchten sich die vorlesenden Schriftsteller*innen vornehmlich Texte von Autor*innen aus, die Gewalt und ihre Auswirkung thematisierten. Unter den gelesenen Autor*innen befanden sich der syrische Dichter Monzer Masri, der trotz Krieg in seinem Land dort geblieben ist und dessen Gedichte (übersetzt von Mahmoud Tawfik und Leila Chammaa) auf www.lyrikline.org nachzulesen und zu hören sind, sowie der irakische Lyriker Talib Abdulaziz, dessen Gedicht „Meines Bruders Krieg“ für die „Zwischen Zeilen“ von Nicola Abbas ins Deutsche übersetzt und von Najem, Wali vorgetragen wurde. Den mitwirkenden Autoren Nora Bossong, Oscar Guardiola-Rivera, Hasnain Kazim, Navid Kermani, Ursula Krechel, Nele Neuhaus, Ulrich Peltzer, Karl Schlögel, Werner Schneider-Quindeau, Janne Teller, Ilija Trojanow und Najem Wali sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt. Monzer Masri Er zog in den Krieg und kehrte unversehrt heim Er zog in den Krieg und kehrte unversehrt heim. So einfach aber sind die Dinge nicht. Denn Feuer teilt mit ihm seither das Bett, und Rauch vernebelt seine Träume Talib Abdulaziz Meines Bruders Krieg Erheb dich, mein Bruder, der Krieg ist vorüber. Deinen Panzer hat man längst eingeschmolzen. Nur dein Gewehr ist auf dem Berg geblieben und deinen Heldenmut überdeckt endlich der Sand. Der Bauer bestellt das Feld, auf dem du gefallen bist, denn die Bäume, die du gepflanzt hast, sind dir gleich gestorben. Und den Berg, dem du geschworen hast, nicht lebend zu verlassen, erstürmten die Feinde scharenweise bis zum Gipfel, um aus seinem Schnee herab zu holen dein standhaftes Banner. Jedes Mal vor deinem letzten Fall raubten die Feinde deine Uniform, dein Bajonett, deine Pracht. Wie tot du schon gewesen sein magst, mein Bruder, sie zerschossen doch deinen toten Leib. Selbst bei deinem letzten Sterben, als dir schon Würmer aus den Augenhöhlen und der großen Öffnung des Herzens quollen dachten sie noch, du lügst und wärst noch ihr ewiger Albtraum. Erheb dich, mein Bruder, der Krieg ist vorüber. Schon haben die Kinder den Garten erklommen. Die Kugeln, die du sahst, aus Feuer und Stahl, sind erkaltet, sie kicken sie sich zu mit den Füßen bis auf die Kugel, in deren Nähe du fielst, die deinen Körper in fruchtbaren Kompost verwandelte. Wir sind hier im Dorf, kein Krieg, keine Feinde. Ein Horizont aus Nachtigallen und Tauben bildet sich neu unter unseren Kissen. Manche unserer Wunden haben wir vergessen und manche unserer Dolche lassen wir vielleicht noch unseren alten Hass kosten. Alles, was wir wollen, ist, dass unsere Hunde freundlich bellen. Mutter liegt immer noch in ihrem Bett. Ich erzähle ihr von deiner stattlichen Größe und deinen starken Armen. Es amüsiert sie sehr, dass man keinen passenden Schuh für dich gefunden hat. Sie fragt mich stets, auf welcher Seite du denn geschlafen hast. Beklommen teile ich ihr mit, dass du schon sieben Jahre nicht schläfst. Und dass der Splitter, der deine Rippen zertrümmerte, aus einem großen, starken Geschütz kam und dich aufrieb. Ich lasse die Sonne untergehen über deine Namen und über deine Träume. Ich missgönne meinem Körper die verstreuten Teilchen, zu denen du geworden bist. Zwischen deinem Leben und deinem Sterben liegen sechs Kinder Monzer Masri Er legte sich einen Kiesel in die Tasche Er legte sich einen Kiesel in die Tasche, um sich zu erinnern. Er band sich einen Faden um den Finger, um den Weg zurück zu finden. Bis ihm aus allen Taschen Kiesel quollen und die Finger sich in den Fäden verhedderten. ... Da ging er verloren. 12 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Klappentexte Neueste Veröffentlichungen Für die Auflistung der Neuerscheinungen von Friedenspreisträgern, Laudatoren und weiteren Personen aus dem Umfeld des Friedenspreises waren ursprünglich nur zwei Seiten eingeplant. Letztlich sind es sechs Seiten geworden. Wie hätten wir auch voraussehen können, dass die Friedenspreis’ler im Winter 2015 und Frühjahr 2016 so produktiv sein würden … Fritz Stern Navid Kermani Zu Hause in der Ferne: Historische Essays Reden für die Freiheit Verlag C.H. Beck, München 16.10.2015 Parlando Verlag, Berlin 7. Dezember 2015 Fritz Stern ist nicht nur einer der großen Historiker unserer Zeit, er ist auch eine moralische und politische Instanz. Vor allem in Deutschland ist sein Urteil gefragt, wenn es um die jüngere Geschichte, das deutschamerikanische Verhältnis oder die Deutung des weltpolitischen Geschehens geht. „Zu Hause in der Fremde“ versammelt neue Essays und greift ein Lebensthema von Fritz Stern auf, der mit zwölf Jahren auf der Flucht vor den Nazis nach New York kam, Amerikaner wurde und trotz Verfolgung den Deutschen eng verbunden blieb. Zu den klassischen Themen des Historikers Fritz Stern gehören der Widerstand gegen Hitler, Deutschland im 20. Jahrhundert, das entzauberte Amerika, aber auch einige Gestalten, die ihn ein Leben lang fasziniert haben, wie Fritz Haber und Albert Einstein. Doch auch zwei Beiträge über die Geschichte Polens, ein Text über den großen Seelenverwandten Heinrich Heine sowie liebevoll funkelnde Portraits von Ralf Dahrendorf und Bronislaw Geremek machen dieses kluge und von gelebter Humanität zeugende Buch zu einer lohnenden Lektüre. Navid Kermani wurde für seine Arbeit und sein Engagement 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: „Der deutsche Schriftsteller, Orientalist und Essayist ist eine der wichtigsten Stimmen in unserer Gesellschaft, die sich mehr denn je den Erfahrungswelten von Menschen unterschiedlichster nationaler und religiöser Herkunft stellen muss, um ein friedliches, an den Menschenrechten orientiertes Zusammenleben zu ermöglichen.“ Das Hörbuch beinhaltet drei zentrale Reden, die Navid Kermani in den letzten zwei Jahren zu offiziellen Ereignissen gehalten hat: Rede zum 65. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes am 23.5.2014 im Deutschen Bundestag Rede bei der Trauerkundgebung für die Opfer der Pariser Anschläge auf dem Appellhofplatz (Köln, 14.1.2015) Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises am 18.10.2015 in der Paulskirche Swetlana Alexijewitsch Martin Walser Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus Schreiben und Leben: Tagebücher 1979-1981 Hörbuch Hamburg, 7. Dezember 2015 „Der Mensch ist ein Dichter. Und wenn er kein Dichter mehr ist, dann ist er auch kein Mensch mehr“, schreibt Martin Walser im April 1979 in sein Tagebuch. Leben und Schreiben? So waren seine Tagebücher bisher überschrieben, aber nun, in diesem vierten Band, ist die Gewichtung eine andere. „Schreiben und Leben“ heißt es jetzt: Das Schreiben erst gibt dem Leben seinen Sinn. Und es bringt Schönheiten hervor, die genauso Wahrheiten sind – dafür liefert dieses Tagebuch hinreißende Beweise. Der vierte Band von Martin Walsers Tagebüchern: Einblick in Schreiben und Leben der frühen 80er Jahre. Rowohlt, Reinbek 18. Dezember 2015 Der Kalte Krieg ist seit über zwanzig Jahren vorbei, doch das postsowjetische Russland sucht noch immer nach einer neuen Identität. Während man im Westen nach wie vor von der Gorbatschow-Zeit schwärmt, will man sie in Russland am liebsten vergessen. Inzwischen gilt Stalin dort vielen, auch unter den Jüngeren, wieder als großer Staatsmann, wie überhaupt die sozialistische Vergangenheit immer öfter nostalgisch verklärt wird. Für Swetlana Alexijewitsch leben die Russen gleichsam in einer Zeit des „secondhand“, der gebrauchten Ideen und Worte. Wie ein vielstimmiger Chor erzählen die Menschen von der radikalen gesellschaftlichen Umwälzung in den zurückliegenden Jahren. 13 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Klappentexte Karl-Josef Kuschel Keine Religion ist eine Insel: Vordenker des interreligiösen Dialogs Navid Kermani Einbruch der Wirklichkeit Auf dem Flüchtlingstreck durch Europa Topos Verlag, Kevelaer 1. Januar 2016 C.H. Beck Verlag, München 21. Januar 2016 Die Verständigung zwischen den Religionen ist heute zu einer Überlebensfrage der Menschheit geworden. Es waren herausragende Persönlichkeiten, die die entscheidenden Brücken bauten. KarlJosef Kuschel stellt uns in diesem Band vier dieser großen Gestalten vor: den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber, den katholischen Theologen Hans Küng, den Rabbiner Abraham Joshua Heschel und Louis Massignon, dessen Gotteserfahrung tief von der islamischen Mystik geprägt ist. Nicht diplomatische Bemühungen, sondern leidenschaftliche Gottsucher haben den Dialog der Religionen vorangebracht! Zu Fuß, in Bussen, Gefängniswagen oder Sonderzügen zieht ein langer Flüchtlingstreck von der griechischen Insel Lesbos in Richtung Deutschland. Navid Kermani war im Herbst 2015 auf dieser „Balkanroute“ unterwegs. In seiner Reportage berichtet er davon, warum die Welt der Krisen und Konflikte, die wir weit vor den Toren Europas wähnten, plötzlich auch unsere Welt ist. Navid Kermani beschreibt die Lage an der türkischen Westküste, wo Tausende Flüchtlinge in erbärmlichsten Verhältnissen auf eine unsichere Überfahrt warten. Er hat auf Lesbos die Ankunft derer beobachtet, die es geschafft haben und nun einen Kulturschock erleben. Er hat mit Helfern und Politikern gesprochen, vor allem aber mit den Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern: Was treibt sie fort, und warum wollen sie alle nach Deutschland? Auf meisterhafte Weise macht er an unscheinbaren Details deutlich, welche kulturellen und politischen Konflikte die Menschen buchstäblich in Bewegung setzen – und wie Europa auf die Flüchtlinge reagiert. Martin Walser Ein sterbender Mann Rowohlt, Reinbek 8. Januar 2016 Theo Schadt, 72, Firmenchef und auch als „Nebenherschreiber“ erfolgreich, wird verraten. Verraten ausgerechnet von dem Menschen, der ihn nie hätte verraten dürfen: Carlos Kroll, seinem engsten und einzigen Freund seit 19 Jahren, einem Dichter. Beruflich ruiniert, sitzt Theo Schadt jetzt an der Kasse des Tangoladens seiner Ehefrau, in der Schellingstraße in München. Und weil er glaubt, er könne nicht mehr leben, wenn das, was ihm passiert ist, menschenmöglich ist, hat er sich in einem Online-Suizid-Forum angemeldet. Da schreibt man hin, was einem geschehen ist, und kriegt von Menschen Antwort, die Ähnliches erfahren haben. Das gemeinsame Thema: der Freitod. Eines Tages, er wieder an der Kasse, löst eine Kundin bei ihm eine Lichtexplosion aus. Seine Ehefrau glaubt, es sei ein Schlaganfall, aber es waren die Augen dieser Kundin, ihr Blick. Sobald er seine Augen schließt, starrt er in eine Lichtflut, darin sie. Ihre Adresse ist in der Kartei, also schreibt er ihr – jede E-Mail der Hauch einer Weiterlebensillusion. Und nach achtunddreißig Ehejahren zieht er zu Hause aus. Sitte, Anstand, Moral, das gilt ihm nun nichts mehr. Doch dann muss er erfahren, dass sie mit dem, der ihn verraten hat, in einer offenen Beziehung lebt. Ist sein Leben „eine verlorene, nicht zu gewinnende Partie“? Susan Sontag: Die frühen New Yorker Jahre Taschenbuch von Stephan Isernhagen Mohr Siebeck, Tübingen 1. Februar 2016 Susan Sontag gilt als Ikone, als streitbare Intellektuelle in der Tradition Zolas und Voltaires, die immer wieder in der Politik intervenierte. Doch wie wurde sie, als Susan Lee Rosenblatt im Januar 1933 geboren, zur schillernden Figur des New Yorker Kulturbetriebs? Wie schaffte sie es als Frau, die Frauen liebte und mit ihrem Sohn fast mittellos Ende der 1950er Jahre nach New York gekommen war, sich in der von größtenteils heterosexuellen Männern dominierten literarischen Welt der 1960er Jahre durchzusetzen? Stephan Isernhagen verortet Sontag im kulturellen Feld New Yorks und argumentiert, dass Themen, die sie besetzte, Haltungen, die sie sich aneignete und Kategorien, an denen entlang sie ihre Kunstkritik ausrichtete, den Kulturbetrieb New Yorks lange vor ihrer Etablierung in der Ostküstenmetropole prägten. Er arbeitet den Zusammenhang zwischen Sontags Selbstwahrnehmung als Homosexuelle und ihrer Kunstkritik heraus und zeigt, wie stark die von gesellschaftlichen Autoritäten immer wieder festgestellte Minderwertigkeit der homosexuellen Erfahrung die Kunstkritik einer Frau, die als eine der wichtigsten weiblichen Intellektuellen in die Geschichte eingegangen ist, prägte. 14 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Klappentexte David Grossman Kommt ein Pferd in die Bar. 'Fotografie. Eine kleine Summa'. Hinzu kommen zwei explizit politische Texte: 'Das Foltern anderer betrachten' und vor allem 'Der 11.9.01', ein hellsichtiger Angriff gegen die irrationale Politikerrhetorik unmittelbar nach 9/11, für den sie in heftiger Weise attackiert wurde. Übersetzt von Anne Birkenhauer Carl Hanser Verlag, München 1. Februar 2016 Für eine gute Pointe gab Dovele schon immer alles. Als Kind lief er oft auf den Händen. Er tat das, um seine Mutter zum Lachen zu bringen und damit ihm keiner ins Gesicht schlug. Heute steht er ein letztes Mal in einer Kleinstadt in Israel auf der Bühne. Er hat seinen Jugendfreund, einen pensionierten Richter, eingeladen. Im Laufe des Abends erzählt der Comedian zwischen vielen Witzen eine tragische Geschichte aus seiner Jugend. Es geht um Freundschaft und Familie, Liebe, Verrat und eine sehr persönliche Abrechnung auf dem Weg zu einer Beerdigung. Dem Kleinstadtpublikum ist das Lachen vergangen. Den Leser hält Grossman mit diesem grandiosen Roman bis zur letzten Zeile gefangen. Joachim Sartorius Für nichts und wieder alles: Gedichte Kiepenheuer & Witsch, Köln 18. Februar 2016 Der Lyriker Joachim Sartorius wird 70 und schenkt uns neue Gedichte! Joachim Sartorius bewohnt das zwielichtige und fruchtbare Territorium, wo Orient und Okzident sich begegnen. In seinem neuen, lange erwarteten Gedichtband finden wir seine halb imaginierten, halb realen Städte wieder: Alexandria, Nikosia, Syrakus und Istanbul. Das Geheimnis des Reisens und das Geheimnis des Staunens werden im Schreiben eins. Sartorius sucht nach den Erzählungen des östlichen Mittelmeers und nach den Leerstellen der Kulturen der Levante. Den Orten und Mythen, die am Weißen Meer angesiedelt sind, stellt er einen langen Zyklus über ein Dorf in Brandenburg und Gedichte über Schönheit und Vergänglichkeit gegenüber. Das Paradox, dass gerade die Sinnlosigkeit unseres täglichen Tuns durch die Poesie zum Leuchten gebracht wird und so ins Sinnvolle umschlagen kann, durchzieht das gesamte Buch. Orhan Pamuk Diese Fremdheit in mir Übersetzt von Gerhard Meier Carl Hanser Verlag, München 1. Februar 2016 Kann man die falsche Frau heiraten und trotzdem die große Liebe finden? Mevlut ist Straßenverkäufer in Istanbul, als er sich Ende der 60er Jahre auf der Hochzeit seines Cousins in die jüngere Schwester der Braut verliebt. Drei Jahre lang schreibt er ihr Liebesbriefe nach Anatolien. Doch dann schickt man ihm die ältere Schwester. Pflichtbewusst heiratet Mevlut Rayiha, und ausgerechnet ein Jugendfreund nimmt seine Angebetete zur Frau. Die beiden Familien leben drei Jahrzehnte in enger Verbundenheit, doch dann nimmt ihr Schicksal eine dramatische Wende. Istanbul aus der Sicht kleiner Leute: Ein großartiger Schelmenroman und ein Familienepos – vor allem aber erzählt der Nobelpreisträger Pamuk eine erstaunliche Liebesgeschichte. Wolf Lepenies Die Macht am Mittelmeer: Französische Träume von einem anderen Europa Carl Hanser Verlag, München 22. Februar 2016 Der Plan schien perfekt: Präsident Sarkozy wollte seine südlichen Nachbarn für eine Mittelmeerunion gewinnen, um ein Gegengewicht zur deutschen Dominanz in Europa zu etablieren. Angela Merkel wusste das zu verhindern. Für Wolf Lepenies ist dies keine zeitgeschichtliche Fußnote. Der französische Traum von der Macht am Mittelmeer führt in die unbewussten Regionen der europäischen Geschichte. Die Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich greift Ideen und Stereotypen auf, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen und heute wieder politischen Diskussionsstoff liefern. Man muss sie kennen, wenn man verstehen will, wie sich in Europa Koalitionen und Frontlinien bilden Dienst zu stellen, ist daS Buch das notwendige Unterfangen, Alternativen zu beschreiben. Susan Sontag Standpunkt beziehen: Fünf Essays (Was bedeutet das alles?) Reclam Verlag, Stuttgart 10. Februar 2016 Susan Sontag (1933–2004) war die vielleicht wichtigste Stimme des intellektuellen Amerika. Besonders beeindruckend ist ihr Mut, sich gegen eingefahrene Sichtweisen zu stemmen, immer einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Der Band versammelt wichtige kulturtheoretische Essays: 'Gegen Interpretation', 'Über Schönheit' sowie 15 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Klappentexte Anselm Kiefer flüchtigen Loyalitäten. Schriftstellerkollegen, deren Autonomie den Autor Konrád beeindruckte, und solche, die sich an die Macht verrieten. Aktuelle und ehemalige Geliebte. Und immer wieder die Familie, die in der Shoah ermordeten jüdischen Freunde und Verwandten, denen das »Gästebuch« ein eindrucksvolles Denkmal setzt. Die Holzschnitte von Antonia Hoerschelmann (Herausgeber), Peter Sloterdijk (Autor), Werner Spies (Autor) und Klaus Albrecht Schröder (Vorwort) Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 1. März 2016 Wie kaum ein anderer deutscher Gegenwartskünstler hat Anselm Kiefer die Schrecken der Zeitgeschichte visualisiert und im Kontext mit mythologischen, religiösen und philosophischen Themen vieldeutige Kunstwerke geschaffen. Subtile Schichtungen, die abwechselnd überdecken wie auch aufdecken; die das Wissen über die unabdingbare Verwandlung und Auflösung aller Materie in sich tragen – monumental wie materialbezogen zugleich. Alles grundlegende Elemente, die auch seine Holzschnitte prägen. Der Katalog zur gleichnamigen Retrospektive der Albertina setzt sich nun erstmals umfassend mit diesen auseinander. Über fünfunddreißig Hauptwerke bilden die wichtigsten Bildzyklen und Themengruppen und veranschaulichen die Vielfalt, die es zu entdecken gilt: von den ersten Werken in traditionellem Buchformat, über die faszinierenden großformatigen Arbeiten zum Thema Brunhilde: Grane, zu den Wegen der Weltweisheit: Die Hermannsschlacht und bis hin zum Werkblock der RheinBilder. Ausstellung: Albertina, Wien 18.3.–19.6.2016 Mario Vargas Llosa Sonntag Mit Illustrationen von Katz Menschik Übersetzt von Thomas Brovot Insel Verlag, Berlin 7. März 2016 Es sind die späten fünfziger Jahre in Lima, Miguel liebt Flora, aber er fürchtet, dass sein Kumpel Rubén sie ihm ausspannen wird. Als die Clique, „die Raubvögel“, beisammensitzt, fordert Miguel den Rivalen zum Wetttrinken heraus, und im Überschwang lassen die beiden sich auf eine Mutprobe ein, bei der es schon bald um Leben und Tod geht ... Sonntag ist eine der frühesten Erzählungen Mario Vargas Llosas, ein kompaktes Meisterwerk aus psychologischer Einfühlung und ungestüm kraftvoller Sprache. Kongenial illustriert von Kat Menschik. Jan Philipp Reemtsma György Konrád Was heißt: Einen literarischen Text interpretieren? Gästebuch: Nachsinnen über die Freiheit Verlag C.H. Beck, München 9. März 2016 Übersetzt von Hans-Henning Paetzke Suhrkamp Verlag, Berlin 7. März 2016 Was heißt das eigentlich: einen literarischen Text interpretieren? Was ist das Reden über Literatur überhaupt für eine Tätigkeit? Womit hat man es zu tun, wenn man es mit literarischer Qualität zu tun bekommt? Hat das Gerede von „Tod des Autors“ irgendeinen Sinn – und geht es bei Literatur um anderes als um Schönheit? Jan Philipp Reemtsma entwirft in diesem Buch eine radikale Theorie der Lesekompetenz. Lange gab es keine derart virtuose Einführung in die Grundlagen der Literaturwissenschaft. Wer den Literaturwissenschaftler und public intellectual Reemtsma kennt, der weiß, dass seine Urteile über Texte – ob sie von Heinrich von Kleist stammen oder von Stephen King – vor allem eines sind: nie langweilig. Sie zeigen nicht nur by the way, was, wie und warum man lesen sollte. Sie verknüpfen auch mühelos Theorie und hermeneutische Praxis, E und U, Germanistik, Philosophie und Polemik. Reemtsmas Grundkurs im Gebrauch von Skalpell und Tupfer im Literatur-OP hat den bestmöglichen Effekt: Man will danach lesen. Besser lesen. „Was ist dieses Buch?“, fragt sich der Autor zu Beginn augenzwinkernd selbst. Textpatience, Bericht, Vorwort zu einem Roman oder der Roman selbst? Bald stoisch, bald engagiert bis enragiert kritisch gibt er die Antwort, folgt dem Bogen reicher Erfahrung mit nazistischer, kommunistischer, reformkommunistischer, nachwendezeitlicher und orbánistischer Herrschaft in Ungarn und den Verwerfungen Europas in dieser, seiner Zeit. Erzählerische Sequenzen und historische Diagnosen wechseln mit Meditationen und Maximen. Im Zentrum von Konráds »Nachsinnen« aber stehen die Porträts einzelner Menschen und ihrer Handlungen. Als ein Zug positiver wie negativer Hauptfiguren erscheinen sie uns im »Gästebuch« seines Lebens: Es sind die maßgeblichen Politiker der wechselnden Herrschafts- und Unterdrückungssysteme ebenso wie die kleinen Handlanger mit ihren windig16 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Klappentexte Péter Esterházy E. M. Forster / Jaron Lanier Die Maschine steht still Mit einem Vorwort von Jaron Lanier Die Markus-Version: Einfache Geschichte Komma hundert Seiten Übersetzt von Gregor Runge Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg, 10. März 2016 Übersetzt von Heike Flemming Hanser Berlin, Berlin 14. März 2016 In E. M. Forsters Dystopie leben die Menschen in einer unterirdischen, abgekapselten Welt mit allem Komfort: Das ganze Leben ist durch die Dienstleistungen der »Maschine« perfekt geregelt. Die Menschen haben kein Bedürfnis mehr nach persönlichen Begegnungen, man kommuniziert nur über die Maschine, die über allem wacht. Ihr Handbuch ist zu einer Art Bibel geworden, die Menschen sind gefangen in ihrer absoluten Abhängigkeit von der Technik, die sie nicht mehr kontrollieren können. Doch nach und nach geht das Wissen, das hinter der Maschine steckt, verloren und das System wird anfällig für Pannen ... E. M. Forsters visionäres Werk wirft Fragen auf, die von großer Aktualität sind: Wie kann der Mensch seine Selbstbestimmung wahren gegenüber Maschinen, die immer stärker unser Leben bestimmen? Der Erzähler dieses MarkusEvangeliums à la Esterházy macht sich nichts aus Worten. Er lässt seine Familie – Vater, Mutter, Stiefbruder, zwei Großmütter – in dem Glauben, er sei taubstumm. Und doch ist er der Chronist ihrer Geschichte. Als Volksfeinde gebrandmarkt, leben sie nach der Aussiedlung zusammengepfercht in einem einzigen Raum, aber Nähe gibt es nicht in dieser Enge. Alle sind sie einsam, sogar Gott. Der kann noch nicht einmal beten, zu wem sollte er? Eine Familiengeschichte mit allem, was dazugehört, auf jeden Fall Mord und Totschlag. Geschieht dies alles, auf dass die Schrift erfüllet werde? Aber welche? Nach diesen 100 Seiten Esterházy-Evangelium ahnen wir: Gott kommt aus Ungarn. Friedrich Schorlemmer und Gregor Gysi Was bleiben wird: Ein Gespräch über Herkunft und Zukunft Siegfried Lenz Der Überläufer Herausgegeben von Hans-Dieter Schütt Aufbau Verlag, Berlin 14. März 2016 Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 10. März 2016 Es ist der letzte Kriegssommer, die Nachrichten von der Ostfront sind schlecht. Der junge Soldat Walter Proska aus dem masurischen Lyck wird einer kleinen Einheit zugeteilt, die eine Zuglinie sichern soll und sich in einer Waldfestung verschanzt hat und. Bei sengender Hitze und zermürbt durch stetige Angriffe von Mückenschwärmen und Partisanen, aufgegeben von den eigenen Truppen, werden die Befehle des kommandierenden Unteroffiziers zunehmend menschenverachtend und sinnlos. Die Soldaten versuchen sich abzukapseln: Einer führt einen aussichtslosen Kampf gegen einen riesigen Hecht, andere verlieren sich in Todessehnsucht und Wahnsinn. Und Proska stellen sich immer mehr dringliche Fragen: Was ist wichtiger, Pflicht oder Gewissen? Wer ist der wahre Feind? Kann man handeln, ohne schuldig zu werden? Und: Wo ist Wanda, das polnische Partisanenmädchen, das ihm nicht mehr aus dem Kopf geht? Was von den Träumen blieb Vor der Wende standen sie auf verschiedenen Seiten: Gregor Gysi, Sohn des DDRKulturministers Klaus Gysi und Anwalt, und Friedrich Schorlemmer, Pfarrerssohn und Oppositioneller. In diesem sehr persönlichen Gespräch mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt erinnern sich beide an ein verschwundenes Land und wie sie es erlebten. Sie sprechen über das, was Bestand haben wird, aber auch das, was auf den Müll der Geschichte gehört. Gregor Gysi, Sohn des Widerstandskämpfers und späteren Kulturministers der DDR Klaus Gysi, gehörte zu den eher systemnahen, wenn auch von der Nomenklatura beäugten Persönlichkeiten der DDR. Schorlemmer, Pfarrer, Oppositioneller, Mitinitiator der Bürgerrechtsbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“, stand der DDR und ihren Oberen immer kritisch gegenüber. Beide erinnern sich an ein schwieriges Land, das sie geprägt hat wie 17 Millionen andere auch. 17 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Klappentexte Martin Schult Wohlergehen auf erschreckende Weise zunutze und zum Motor der Gemeinschaft macht. Flokati oder mein Sommer mit Schmidt Ullstein Verlag, Berlin 14. März 2016 Chinua Achebe Als das mit Frau Schellack passiert ist, waren mir Mädchen zwar nicht egal, aber sie gehörten der gleichen Gruppe von Menschen an wie meine Schwester. Und wenn ich schon das zwischen David Cassidy und meiner Schwester nicht verstehen konnte, wie sollte ich dann überhaupt den Rest begreifen? Es ist der WM-Sommer 1974. Der 12jährige Paul lebt in behüteten Verhältnissen: Der Vater ist ein fußballverrückter Friseur, der sich durch Zettels Traum kämpft, die Mutter eine emanzipierte Linke, die mit dem taxifahrenden RAF-Sympathisanten Bruder Kolja lange, ominöse Ausfahrten unternimmt. Seine Schwester redet nur in Abkürzungen. Mit seinem besten Freund Boris träumt sich Paul ins Weltall und stromert durch die Nachbarschaft. Dort führt der seltsame Emil Bartoldy seine Schildkröte spazieren. Als am Ende des Sommers die Ehe der Eltern zerbricht und seiner Freundin, der alten Nachbarin Frau Schellack, etwas Schreckliches passiert, flüchtet Paul, um sich final der Welt zu stellen. Martin Schult erzählt einfühlsam und mit Liebe zum Detail eine Geschichte über Freundschaft, Schuld und einen unvergesslichen Sommer. Einer von uns: Roman Übersetzt von Uda Strätling S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 25. August 2016 Chinua Achebes prophetischer Afrikaroman. Mit ›Einer von uns‹ nimmt Chinua Achebe den Militärputsch vorweg, der Nigeria 1966, nur Tage nach der Veröffentlichung des Romans, in einen blutigen Bürgerkrieg stürzte. Der junge, idealistische Odili besucht seinen ehemaligen Lehrer Chief Naga, der nun Kulturminister ist und sich - vordergründig ein Mann des Volkes - listig an seinem Land bereichert. Die moralische Kluft zwischen den beiden Männern erscheint zunächst riesig. Doch in der „Fressen-und-gefressenwerden“-Atmosphäre kollidiert Odilis Idealismus bald mit seinen persönlichen Begierden – und die private und politische Rivalität des Jungen und des Alten droht das ganze Land in Chaos zu stürzen. „Einer von uns“ ist Chinua Achebes vierter Roman und zählt zu den wichtigsten seines Werkes. Nun liegt er endlich in deutscher Übersetzung vor. „Chinua Achebe ist ein magischer Schriftsteller – einer der besten des zwanzigsten Jahrhunderts“ Margaret Atwood Boualem Sansal 2084. Das Ende der Welt Übersetzt von Vincent von Wroblewsky Merlin Verlag, Vastorf Mai 2016 In Abistan, einem riesiges Reich der fernen Zukunft, bestimmen die Verehrung eines einzigen Gottes und das Leugnen der Vergangenheit das Herrschaftssystem. Jegliches individuelles Denken ist abgeschafft; das Eingeschworensein auf ein allgegenwärtiges Überwachungssystem steuert die Id een und verhindert abweichendes Handeln. Offiziell heißt es, die Bevölkerung lebt einvernehmlich und im guten Glauben. Doch Ati, der Protagonist dieses Romans, der ausdrücklich anknüpft an Orwells Klassiker „1984“, hinterfragt die vorgegebenen Direktiven: Er macht sich auf die Suche nach einem Volk von Abtrünnigen, das in einem Ghetto lebt, ohne in der Religion Halt zu suchen ... Während George Orwell in seinem Zukunftsroman das totalitäre Regime Stalins vor Augen hatte, entwirft Sansal in seinem Roman das Szenario eines Regimes, das auf der religiösen Überhöhung einer Ideologie beruht. Es ist ein Regime, das sich die gegenwärtige Vereinzelung des Individuums auf der Suche nach persönlichem Glück und 18 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Frühling 2015 Nachruf Helmut Schmidt und André Glucksmann Zwei dem Friedenspreis nahestehende Persönlichkeiten sind verstorben „Offen gesagt, ich habe meine Laudatio umgeschrieben. Die erste Fassung war akademischer, zeitunabhängiger. Vielleicht hätten Sie sie für philosophischer gehalten. Das würde ich aber nicht sagen. Mit Václav Havel bin ich der Auffassung, daß das Denken im allgemeinen und die Philosophie im besonderen nicht Türen und Fenster schließen soll, um sich ausschließlich ewigen Wahrheiten zuzuwenden. Ganz im Gegenteil: Denken heißt sich dazu zwingen, die Fernsehnachrichten einzuschalten, die schlechten Nachrichten zur Kenntnis zu nehmen, Augen und Hirn angesichts der Realität - so hart sie auch sei anzustrengen. Helmut Schmidt, 1985 eingerahmt von Loki Schmidt und dem Ehepaar Raissa und Lew Kopelew (Foto: Werner Gabriel) 1977 wäre Helmut Schmidt fast gekommen, hat er einmal in einem Fernsehinterview erzählt. als erster Bundeskanzler überhaupt, der offiziell die Verleihung des Friedenspreises besucht hätte. Es hätte ein Zeichen werden sollen, um angesichts der Entführung von Hanns Martin Schleyer der verunsicherten Gesellschaft zu zeigen, dass man zusammenstehe. Doch am 13. Oktober 1977, drei Tage vor der Verleihung des Friedenspreises an Leszek Kołakowski, wurde die Lufthansa-Maschine Landshut entführt. Aufgrund der mehrtägigen Odyssee des Flugzeugs hatte kein hochrangiger Politiker den Weg von Bonn nach Frankfurt antreten können. André Glucksmann 1989 im Gespräch mit Bundespräsident Weizsäcker und Bundeskanzler Kohl. (Foto: Werner Gabriel) Derzeit macht der nicht nachlassende Strom der Menschen, die den Osten verlassen, Schlagzeilen. Kann man einen im politischen Alltag stehenden Schriftsteller und Zeugen einer für Europa so entscheidenden Krise besser ehren? Jedem Fernsehzuschauer in der Bundesrepublik möchte ich sagen: Sie sind bewegt, überrascht, betroffen Sie fragen sich, was in denen vorgeht, die alles aufgeben, ohne doch im Elend zu stecken oder Illusionen aufzusitzen. Vom Westfernsehen wissen die Bürger auf der anderen Seite der Mauer gut genug um die Schwierigkeiten, die sie erwarten. Sie sind nicht dem Eldorado auf der Spur. Wollen Sie wirklich wissen, warum sie weggehen? Wollen Sie wissen, was den Schritt der Flüchtlinge lenkt? Dann lesen Sie Havel. Er berichtet ganz genau, was jeder Neuankömmling unmissverständlich zu erkennen gibt: „Ich will nicht als Trottel sterben.“ Helmut Schmidt kam dann Jahre später – als Privatmann – zur Verleihung des Friedenspreises 1985 an Teddy Kollek, mit dem ihm eine enge Freundschaft verbunden hat, wie auch mit anderen Friedenspreisträgern, unter ihnen Fritz Stern und Siegfried Lenz. * Somit war Helmut Kohl der erste Bundeskanzler, der offiziell an einer Verleihung des Friedenspreises teilgenommen hat. Im Jahr 1989 wurde Preis in Abwesenheit an Václav Havel verliehen, der nicht nach Frankfurt kommen konnte. Laudator war der französische Philosoph André Glucksmann, der seine Laudatio mit einem Blick auf den damals großen und unvermindert anhaltenden Strom von Flüchtlingen begann, die es geschafft hatten, den Eisernen Vorhang zu überwinden – ein Text, der sich heute wie eine Reise zurück in jenes Jahr des Umbruchs mit der nur scheinbar überraschenden Erkenntnis liest, wie häufig in Deutschland und ganz Europa die Themen Flüchtlinge und Zuwanderung auf der Tagesordnung gestanden haben. * Helmut Schmidt und André Glucksmann verstarben beide am 10. November 2015, der eine im Alter von 92 Jahren in Hamburg, der andere in Paris im Alter von 78 Jahren. 19 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Astrid Lindgren Ein Briefwechsel mit Astrid Lindgren. Astrid Lindgren, Friedenspreisträgerin von 1978, hat die Post ihrer vielen jungen Leser stets gewissenhaft beantwortet. Briefwechsel entstanden dabei allerdings nicht, mit einer Ausnahme: 1971 begann eine jahrelange Korrespondenz zwischen einem Mädchen und der Schriftstellerin. Sara Ljungecrantz – heute heißt sie Sara Schwardt – schrieb damals einen Brief, in dem sie sich über die Verfilmungen von Pippi Langstrumpf und Karlsson vom Dach bitterlich beschwerte. Der Briefwechsel – ein Zwiegespräch über eine unglückliche Kindheit – ist nun in deutscher Übersetzung erschienen (Astrid Lindgren & Sara Schwardt: Deine Briefe lege ich unter meine Matratze. Aus dem Schwedischen von Brigitta Kicherer). Nach dem Kriegstagebuch ein weiteres besonderes Dokument über Leben und Werk Astrid Lindgrens. Niels Beintker sprach mit Sara Schwardt – das Gespräch ist am 16. Januar 2016 im Büchermagazin Diwan auf Bayern 2 zu hören. mit ihr habe ich über diese sehr persönlichen Themen gesprochen. NB: Und warum waren Sie sich so sicher, dass Sie Astrid Lindgren alles anvertrauen konnten? War das eine Folge dieser Korrespondenz? Ich weiß nicht. Entweder war ich naiv. Oder man hatte einfach ein so großes Vertrauen zu Astrid. NB: Hat sich dieses Vertrauen durch die Briefe verstärkt? Ist es zurückgekommen? Ich hatte absolutes Vertrauen zu Astrid Lindgren. Zwei Neuerscheinungen von und mit Astrid Lindgren: Der Briefwechsel mit Sara Schwardt (Oetinger Verlag) und die Tagebücher 1939-1945 (Ullstein Verlag). NB: Frau Schwardt, Ihr erster Brief an Astrid Lindgren ist mehr als selbstbewusst. Sie haben sich als großes Schauspieltalent ins Spiel gebracht und sie um die Vermittlung einer Filmrolle gebeten. Haben Sie überhaupt damit gerechnet, eine Antwort zu bekommen? NB: Das spannende ist, wie doch mehr und mehr ein gleichberechtigtes Gespräch entstanden ist: Die Briefe von Astrid Lindgren erzählen von einer so großen Zuwendung zu Ihnen: Wieder und wieder schrieb sie etwa, Sie seien doch – entgegen Ihren eigenen Beteuerungen – ein schönes und kluges Mädchen. Astrid Lindgren machte Ihnen Mut – und Sie bat Sie, die Schule nicht zu verlassen, einen Abschluss zu machen – und das ohne den Eindruck entstehen zu lassen, da halte eine alte Tante eine Moralpredigt. Wie wichtig war dieses schreibende Gespräch für Sie selbst, in dieser Zeit? Astrid hatte die Funktion einer Rettungsleine für mich. Ich habe ja teilweise in dieser Zeit auf Grund ihrer Briefe überNB: Und warum waren Sie so sicher, dass Sie eine Antwort lebt. Da war jemand, mit dem ich einen Gedankenaustausch hatte. bekommen? Ja, das habe ich. Ich war mir ganz sicher. Es war ja Astrid Lindgren. Sie war NB: Und war auch jemand, der Sie immer wieder ermuntert hat, alles zu schreiben, was Sie bewegt. fair. Und wer möchte nicht meine Briefe beantworten? NB: Sie waren 12 Jahre als, Sie den ersten Brief an Astrid Ja. Ich hatte die Idee, ein Buch zu schreiben. Ich wollte von Lindgren schickten, im April 1971. Viele weitere folgten – einem Jungen erzählen, der mit ärztlicher Hilfe zu einem und die Briefe von Ihnen erzählen von einer recht schwe- Mädchen wird. Astrid schrieb mir, das sei keine so gute ren Lebensphase: Sie haben die Schule geschwänzt, wur- Idee. Ich sollte lieber über mich selbst schreiben. den von Ihren Mitschülern gemobbt, sind zu Hause wegge- NB: Dann haben Sie viel über sich selbst geschrieben. Wir laufen, waren in einer psychiatrischen Klinik. War Astrid erfahren in den Briefen, die Astrid Lindgren an Sie geLindgren am Ende der einzige Mensch, dem Sie all das schrieben hat, auch viel über ihren Blick auf die Welt. Die erzählen konnten, was Sie damals bewegt hat? große Verzweiflung, mit der Sie auf Ihr Eingeständnis der Ja. Sie war tatsächlich die einzige, mit der ich über diese Gewalt Ihres Vaters gegen Sie antwortet, die Freude über Themen sprechen konnte. Ich hatte eine Tante, die ich sehr das Gefühl des Verliebtseins, auch wenn das in Ihrem Fall, mochte – sie hat mir auch Nachhilfe in Deutsch gegeben, Sara Schwardt, unglücklich war. Und dann diese große weil ich oft die Schule geschwänzt habe. Aber nicht mal Geduld mit Blick auf das, was das Leben aus einem 20 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Astrid Lindgren Mädchen wie Ihnen macht – ein so großer Optimismus, eine so große Anteilnahme. „Gehe behutsam mit der Welt um“, schrieb Sie Ihnen einmal. Ist das vielleicht ein Zentrum dieser Korrespondenz? von Astrids Briefen. Ich dachte, das hält doch kein Mensch aus – das alles zu lesen, was wir geschrieben haben. Und als begriffen habe, dass der Verlag den gesamten Briefwechsel veröffentlichen wollte, da geriet ich in eine schwere Krise. Ich fragte mich: Was hätte Astrid Lindgren dabei Das könnte man so sagen. Ich habe nie selbst darüber empfunden? Und was meine Eltern? Darf ich sie dem ausnachgedacht, aber das übernehme ich sofort. Genau so war liefern? Und mich selbst auch. Was würden die Menschen es. über Sara Schwardt denken? Ich habe mir nächtelang den Kopf darüber zerbrochen. Und ich schrieb zwei Listen mit NB: Inwiefern hat Sie das für Ihr weiteres Leben geprägt? Argumenten, einmal für und einmal gegen eine VeröffentJa, daran habe ich oft gedacht. Und, es ist schwer für mich lichung. zu sagen. Astrid hat mich natürlich sehr viel in meinem Inneren beeinflusst. Es passieren viele Dinge im Leben, die Schließlich habe ich eingesehen, dass ich trotz allem wolleinen beeinflussen, aber Astrid vermittelte mir etwas, was te, dass es ein Buch werden würde und ich sehe jetzt, dass sich in mein Allerinnerstes gesetzt hat , mitten in mein das goldrichtig war. Es wurde ein Buch, das keinem andeHerz. Ich war nicht so wertlos, wie ich dachte, weil Astrid ren Buch gleicht. ja mit mir kommunizieren wollte . NB: Und es ist sehr schön, dass dieses Buch da ist, dass NB: Es gibt diesen schönen und wichtigen Satz von Astrid wir es entdecken können, nun eben auch in Deutschland. Lindgren: „Life is not as rotten as ist seems“ - darüber Interessant ist, dass Sie sich beide – Sie und Astrid Lindgschrieb Sie Ihnen auch. Und eigentlich durchzieht dieser ren – niemals während dieser ganzen Korrespondenz Gedanke ganz viele der Briefe, die Sie von Astrid Lindgren begegnet sind. War das eine Frage, die sich Ihnen damals bekommen haben. Sie haben – auch darum dreht sich der überhaupt gestellt hat: Astrid Lindgren persönlich zu beBriefwechsel wieder und wieder – viele Bücher von ihr gegnen? gelesen, etwa „Die Brüder Löwenherz“, der Roman, der Darüber habe ich tatsächlich nie nachgedacht. Ich wollte während der intensivsten Phase Ihres Briefwechsels erAstrid Lindgren nicht treffen. Und ich glaube, Astrid wollte schien. Wenn Sie heute – im Abstand von einigen Jahrmich auch nicht treffen. In den Briefen konnte ich ich zehnten – auf dieses Korrespondenz blicken: Was haben selbst sein – und mich öffnen. Wenn wir uns begegnet Sie von Astrid Lindgren gelernt, für Ihr eigenes Leben? wären, dann wäre wohl etwas von der Magie in unseren Ja, Astrid ist ja nicht dem Bösen ausgewichen. Sie schrieb Briefen verloren gegangen. Und vielleicht hätte ich ihr sogar für Kinder über schreckliche und schwierige The- imponieren wollen. Außerdem fühlte ich, da gibt es eine men. Aber sie ließ immer die Tür offen für eine Hoffnung. Grenze. Und ich wollte diese nicht überschreiten. Ich habe Auch wenn sie sich zu keinem speziellen Glauben bekann- den absolut besten Teil von Astrid bekommen! te, so wollte sie der Menschheit eine Hoffnung in dem NB: Es gibt viele schöne Episoden in diesem Briefwechsel. Elend vermitteln. Es war als ob sie der Welt eine Hoffnung Wunderbar ist die mit den 1.000 Kronen für das Nichtangeben wollte. Dass sie in ihren Büchern ein glückliches fangen mit dem Rauchen. Erzählen Sie uns diese noch zum Ende hinterlassen wollte. Das empfinde ich als eine fanSchluß? tastische Lebenseinstellung und die möchte ich auch für mich bewahren. Astrid Lindgren hat mir 1000 Kronen versprochen – und das war damals sehr viel Geld. Als Gegenleistung verlangNB: Haben Sie denn die Bücher von Astrid Lindgren an te sie, dass ich vor meinem 20. Geburtstag nicht mit dem Ihre eigenen Kinder weiter gegeben, auch mit diesen GeRauchen anfange. Als ich 20 wurde, hatten wir nicht mehr danken? einen so intensiven Briefverkehr wie einige Jahre früher. Ich würde gerne mit Ja antworten. Aber ich will ehrlich Und deswegen habe ich sie erst einige Jahre später daran sein. Ich habe Astrids Bücher nicht auf diese Art und Wei- erinnert. Ich schrieb an Astrid und bat sie um die 1000 se mit meinen Kindern geteilt. Vielleicht wollte ich Astrid Kronen. Und dann habe ich mich total geschämt. Lindgren für mich allein behalten. Jetzt, da meine Kinder NB: Und Sie haben trotzdem, das ist die Pointe, diese 1000 erwachsen sind, ermuntere ich sie, die Bücher zu lesen. Kronen bekommen. Astrid Lindgren ist gut für alle Menschen, für die Kinder und die Erwachsenen. Sie ist gut für das Kind in uns. Ich bekam das Geld. Wenn Astrid etwas versprochen hat, dann hielt sie sich auch daran. NB: Ich finde, es gehört viel Mut dazu, diesen sehr persönlichen Briefwechsel zu veröffentlichen. Sie, aber ebenso auch Astrid Lindgren, öffnen sich sehr, sehr weit – Sie Übersetzung: Berit Zwanzger, Kiel. geben viel Intimes preis. Sie haben lange überlegt, ob Sie dem Wunsch von Archiv und Verlag zur Veröffentlichung Das Gespräch wird am 16.1.2016 im Büchermagazin Dizustimmen. Was hat Sie dann bewogen, das Ja-Wort zu wan auf Bayern 2 ausgestrahlt, um 14.05 Uhr und 21.05 dieser Edition zu geben? Uhr (in der Wiederholung). Ich bin davon ausgegangen, dass 50 bis 70 Prozent meiner Briefe gar nicht veröffentlicht werden. Und auch ein Teil 21 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Swetlana Alexijewitsch „Von einer verlorenen Schlacht“ Vorlesung zum Nobelpreis für Literatur 2015 von Swetlana Alexijewitsch Swetlana Alexijewitsch (Foto: Margarita Kabakova) Ich stehe auf diesem Podium nicht allein … Ich bin umgeben von Stimmen, von Hunderten Stimmen, sie sind immer bei mir. Seit meiner Kindheit. Ich lebte auf dem Land. Wir Kinder spielten gern draußen, doch abends wurden wir magnetisch angezogen von den Bänken, auf denen sich vor ihren Häusern oder Katen, wie man bei uns sagt, die müden Frauen versammelten. Keine von ihnen hatte noch einen Ehemann, Vater oder Bruder, ich erinnere mich an keine Männer in unserem Dorf nach dem Krieg – während des Zweiten Weltkriegs ist jeder vierte Weißrusse an der Front oder als Partisan gefallen. Die Welt unserer Kindheit nach dem Krieg war eine Welt der Frauen. Am stärksten blieb mir in Erinnerung, dass die Frauen nicht vom Tod sprachen, sondern von der Liebe. Sie erzählten, wie sie sich am letzten Tag von ihrem Liebsten verabschiedet hatten, wie sie auf ihn gewartet hatten und noch immer warteten. Es waren bereits Jahre vergangen, doch sie warteten noch immer. „Mag er ohne Arme zurückkehren, ohne Beine, dann trage ich ihn eben auf dem Arm.“ Ohne Arme … ohne Beine … Ich glaube, ich wusste schon als Kind, was Liebe ist … Hier einige traurige Melodien aus dem Chor, den ich höre … Erste Stimme: „Warum willst du das wissen? Das ist so traurig. Ich habe meinen Mann im Krieg kennengelernt. Ich war Panzersoldatin. Bin bis Berlin gekommen. Ich weiß noch, wir standen vorm Reichstag, damals war er noch nicht mein Mann, und er sagt: ‚Lass uns heiraten. Ich liebe dich.‘ Da fühlte ich mich auf einmal so gekränkt – wir steckten den ganzen Krieg über im Dreck, in Blut, hörten nichts als Flüche. Ich antwortete: ‚Mach erst mal eine Frau aus mir: Schenk mir Blumen, sag mir schöne Worte, und wenn ich demobilisiert bin, dann nähe ich mir ein Kleid.‘ Ich hätte ihn am liebsten geschlagen, so gekränkt war ich. Er hat das alles gespürt, seine eine Wange war verbrannt, sie war voller Narben, und auf diesen Narben sah ich Tränen. ‚Gut, ich heirate dich.‘ Das sagte ich … und konnte selbst nicht glauben, dass ich das gesagt hatte … Um uns herum Ruß, Trümmerbrocken, mit einem Wort – Krieg …‘“ Zweite Stimme: „Wir wohnten in der Nähe des Atomkraftwerks Tschernobyl. Ich hab als Konditorin gearbeitet, Süßes gebacken. Mein Mann war bei der Feuerwehr. Wir hatten gerade geheiratet, gingen sogar zum Einkaufen Hand in Hand. An dem Tag, als der Reaktor explodierte, hatte mein Mann Dienst bei der Feuerwehr. Sie fuhren in ihren Hemden zum Einsatz, in ihren Alltagssachen; da war eine Explosion im Atomkraftwerk, und sie bekamen nicht mal Schutzkleidung. So haben wir gelebt … Das wissen Sie ja … Die ganze Nacht löschten sie das Feuer und kriegten tödliche Strahlendosen ab. Am nächsten Morgen wurden sie nach Moskau geflogen. Akute Strahlenkrankheit … damit überlebt man nur wenige Wochen … Mein Mann war stark, er war Sportler, er starb als Letzter. Als ich kam, hieß es, er liege in einer Schutzbox, da dürfe niemand rein. ‚Ich liebe ihn‘, bat ich. ‚Sie werden von Soldaten versorgt. Was willst du da?‘ ‚Ich liebe ihn.‘ Sie redeten auf mich ein: ‚Das 22 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Swetlana Alexijewitsch ist nicht mehr der Mensch, den du liebst, das ist ein Objekt, das dekontaminiert werden muss. Verstehst du?‘ Doch ich sagte mir immer wieder nur: Ich liebe ihn, ich liebe ihn … In der Nacht stieg ich die Feuertreppe hoch zu ihm … Oder überredete die Nachtwächter, gab ihnen Geld, damit sie mich reinließen … Ich habe ihn nicht alleingelassen, ich war bis zum Ende bei ihm … Nach seinem Tod … einige Monate nach seinem Tod brachte ich ein Mädchen zur Welt, sie lebte nur ein paar Tage. Sie … Wir hatten uns so auf sie gefreut, und ich habe sie getötet … Sie hat mich gerettet, sie hat die gesamte Strahlendosis aufgefangen. Sie war so winzig … So ein Krümelchen … Aber ich liebte sie alle beide. Kann denn Liebe töten? Warum ist das so eng beieinander – Liebe und Tod? Die liegen immer beisammen. Wer kann mir das erklären? Ich knie am Grab …‘ Dritte Stimme: „Als ich das erste Mal einen Deutschen tötete … Ich war zehn Jahre alt, die Partisanen nahmen mich schon mit zu Einsätzen. Der Deutsche lag auf dem Boden, verwundet … Ich sollte ihm die Pistole abnehmen, ich lief hin, doch der Deutsche hatte die Pistole mit beiden Händen gepackt und fuchtelte damit vor meinem Gesicht herum. Aber er schaffte es nicht, als Erster zu schießen, ich war schneller … Ich war nicht erschrocken, weil ich jemanden getötet hatte ... Und im Krieg dachte ich nie an ihn. Es gab zu viele Tote ringsum, wir waren umgeben von Toten. Ich wunderte mich, als ich viele Jahre später plötzlich anfing, von diesem Deutschen zu träumen. Das war überraschend … Der Traum kam immer wieder … Ich fliege, und er hält mich fest. Ich steige auf … Fliege … fliege … Er holt mich ein, und ich falle, zusammen mit ihm. Ich falle in eine Grube. Ich will aufstehen, mich aufrichten … Aber er lässt mich nicht … Seinetwegen kann ich nicht wegfliegen … Ein und derselbe Traum … Er verfolgte mich Jahrzehnte … Meinem Sohn kann ich von diesem Traum nicht erzählen. Als mein Sohn noch klein war, konnte ich es nicht, da las ich ihm Märchen vor. Nun ist mein Sohn erwachsen – aber ich kann es trotzdem nicht …“ * Flaubert nannte sich einen Mann der Feder, ich kann von mir sagen, ich bin ein Mensch des Ohres. Wenn ich die Straße entlang gehe und Worte, Sätze, Ausrufe aufschnappe, denke ich immer: Wie viele Romane doch spurlos in der Zeit untergehen. Im Dunkel. Einen Teil des menschlichen Lebens, den mündlichen, konnten wir nicht für die Literatur erobern. Wir haben ihn bisher nicht geschätzt, nicht bestaunt, nicht bewundert. Mich aber hat er in seinen Bann geschlagen und gefangengenommen. Ich liebe es, wie Menschen sprechen … Ich liebe die einzelne menschliche Stimme. Das ist meine größte Liebe und Leidenschaft. vom Menschen, begeistert und angewidert, wollte das Gehörte vergessen, zurückkehren in die Zeit, da ich noch unwissend war. Auch weinen vor Freude, dass ich den Menschen als schön erlebt hatte, wollte ich oft. Ich habe in einem Land gelebt, in dem wir von Kindheit an mit dem Sterben vertraut gemacht wurden. Mit dem Tod. Man sagte uns, der Mensch lebe, um sich hinzugeben, zu verbrennen, sich zu opfern. Wir wurden dazu erzogen, den Mann mit dem Gewehr zu lieben. Wäre ich in einem anderen Land aufgewachsen, hätte ich diesen Weg nicht gehen können. Das Böse ist schonungslos, man muss dagegen geimpft sein. Doch wir sind unter Tätern und Opfern aufgewachsen. Auch wenn unsere Eltern uns nicht alles, ja, oft sogar gar nichts erzählten, war doch die ganze Atmosphäre unseres Landes damit infiziert. Das Böse lag die ganze Zeit auf der Lauer. Ich habe fünf Bücher geschrieben, doch sie erscheinen mir wie ein einziges Buch. Ein Buch über die Geschichte einer Utopie … Warlam Schalamow schrieb einmal: „Ich war Teilnehmer einer gewaltigen verlorenen Schlacht um eine wahrhaftige Erneuerung der Menschheit.“ Ich rekonstruiere die Geschichte dieser Schlacht, ihrer Siege und ihrer Niederlagen. Den Versuch, das Himmelreich auf Erden zu errichten. Das Paradies! Die Sonnenstadt! Doch am Ende blieben ein Meer von Blut und Millionen vernichteter Menschenleben. Aber es gab eine Zeit, da konnte sich keine politische Idee des 20. Jahrhunderts mit dem Kommunismus (und der Oktoberrevolution als ihrem Symbol) messen, da besaß keine andere Idee eine so starke und strahlende Anziehungskraft auf westliche Intellektuelle und Menschen in der ganzen Welt. Raymond Aron nannte die russische Revolution „das Opium für die Intellektuellen“. Die Idee des Kommunismus ist mindestens zweitausend Jahre alt. Wir finden sie bei Platon in seiner Lehre vom idealen und gerechten Staat, bei Aristophanes im Traum von einer Zeit, in der alles „Gemeingut“ sein wird … Bei Thomas More und bei Tommaso Campanella … Später bei SaintSimon, bei Fourier und Owen. Irgendetwas in der russischen Mentalität führte zu dem Versuch, diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Vor zwanzig Jahren nahmen wir mit Flüchen und Tränen Abschied vom „roten“ Imperium. Heute können wir ruhiger auf die jüngste Geschichte zurückblicken, sie als eine historische Erfahrung betrachten. Das ist wichtig, denn die Debatten über den Sozialismus sind bis heute nicht verstummt. Eine neue Generation mit einem anderen Weltbild ist herangewachsen, doch viele junge Menschen lesen wieder Marx und Lenin. In russischen Städten werden Stalin-Museen eröffnet, Stalin-Denkmäler aufgestellt. Das „rote“ Imperium existiert nicht mehr, der „rote“ Mensch aber ist noch da. Er lebt weiter. Mein Vater, er ist vor kurzem gestorben, war bis zum Mein Weg auf dieses Podium dauerte fast vierzig Jahre, von Mensch zu Mensch, von Stimme zu Stimme. Ich kann Schluss ein gläubiger Kommunist, hütete seinen Parteinicht sagen, dass ich diesem Weg immer gewachsen ge- ausweis. Ich konnte nie das abfällige Wort Sowok benutwesen wäre – viele Male war ich erschüttert und entsetzt zen, denn dann hätte ich meinen Vater so nennen müssen, 23 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Swetlana Alexijewitsch Menschen, die mir nahestehen, Bekannte und Freunde. Sie alle stammen von dort, aus dem Sozialismus. Unter ihnen gibt es viele Idealisten. Romantiker. Heute werden sie anders genannt: Romantiker der Sklaverei. Sklaven einer Utopie. Ich glaube, sie alle hätten auch ein anderes Leben führen können, aber sie führten ein sowjetisches Leben. Warum? Nach der Antwort auf diese Frage habe ich lange gesucht, ich bin durch das riesige Land gereist, das bis vor kurzem UdSSR hieß, habe Tausende Tonbandaufnahmen gemacht. Es war Sozialismus, und es war einfach unser Leben. Stück für Stück, Krume für Krume habe ich die Geschichte des „privaten“, des „inneren“ Sozialismus gesammelt. Habe erforscht, wie er in der menschlichen Seele wirkte. Mich interessierte dieser kleine Raum – der Mensch … der einzelne Mensch. Denn da geschieht im Grunde alles. Schatow zu Stawrogin zu Beginn ihres Gesprächs: „Wir sind hier zwei Wesen und begegnen uns in der Unendlichkeit … zum letzten Mal auf der Welt. Lassen Sie von Ihrem Ton ab und nehmen Sie einen menschlichen Ton an! Reden Sie wenigstens ein Mal mit menschlicher Stimme.“ Ungefähr so beginnen meine Gespräche mit meinen Protagonisten. Natürlich erzählt jeder Mensch aus seiner Zeit heraus, er kann nicht aus dem Nichts erzählen! Aber zur menschlichen Seele durchzudringen ist schwer, sie ist zugemüllt mit dem Aberglauben des Jahrhunderts, mit seinen Lügen und Vorurteilen. Mit Fernsehen und Zeitungen. Ich möchte einige Seiten aus meinen Notizbüchern zitieren, um zu zeigen, wie die Zeit voranschritt … wie die Idee langsam starb … Wie ich ihren Spuren folgte … Nach dem Krieg schrieb Theodor W. Adorno erschüttert: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch.“ Mein Lehrer Ales Adamowitsch, den ich heute voller Dankbarkeit erwähnen möchte, betrachtete auch das Schreiben von Prosa nach den Ungeheuerlichkeiten des 20. Jahrhunderts als Frevel. Hier dürfe man nichts erfinden. Die Wahrheit müsse so dargestellt werden, wie sie sei. Nötig sei eine „Überliteratur“. Zu Wort kommen müsse der Zeitzeuge. Das erinnert an Nietzsches Aussage, ein Künstler halte keine Wirklichkeit aus. Er blicke weg. Mich hat stets gequält, dass die Wahrheit nicht in ein einziges Herz, in einen einzigen Verstand passt. Dass sie zersplittert ist, vielfältig, unterschiedlich, in der Welt zerstreut. Bei Dostojewski findet sich der Gedanke, dass die Menschheit mehr über sich wisse, viel mehr, als sie in der Literatur festhalten konnte. Was tue ich? Ich sammle den Alltag von Gefühlen, Gedanken, Worten. Ich sammle das Leben meiner Zeit. Mich interessiert die Geschichte der Seele. Das Leben der Seele. Das, was die große Geschichtsschreibung gewöhnlich auslässt, was sie hochmütig übersieht. Ich beschäftige mich mit der ausgelassenen Geschichte. Oft genug habe ich gehört und höre noch heute, das sei keine Literatur, sondern Dokumentation. Doch was ist heute Literatur? Wer hat eine Antwort auf diese Frage? Unser Leben ist heute schneller als früher. Der Inhalt sprengt die Form. Bricht und verändert sie. Alles sprengt seinen Rahmen: die Musik, die Malerei, und auch im Dokument sprengt das Wort die Grenzen des Dokumentarischen. Es gibt keine Grenze zwischen Tatsache und Erfindung, sie gehen ineinander über. Auch ein Zeitzeuge ist nicht unparteiisch. Wenn der Mensch erzählt, ist er kreativ, er ringt mit der Zeit wie der Bildhauer mit dem Marmor. Er ist Schauspieler und Schöpfer. Mich interessiert der kleine Mensch. Der große kleine Mensch, so würde ich es nennen, denn sein Leiden macht ihn groß. In meinen Büchern erzählt er seine eigene kleine Geschichte und damit zugleich auch die große Geschichte. Was mit uns geschehen ist und mit uns geschieht, ist noch nicht verarbeitet, es muss ausgesprochen werden. Für den Anfang wenigstens ausgesprochen werden. Wir scheuen uns davor, solange wir nicht in der Lage sind, unsere Vergangenheit zu bewältigen. In Dostojewskis Dämonen sagt Swetlana Alexijewitsch nimmt aus den Händen des schwedischen Königs die Nobelpreisurkunde entgegen. (Foto: Pi Frisk, © Nobel Media AB 2015) 1980–1985 Ich schreibe ein Buch über den Krieg … Warum über den Krieg? Weil wir Menschen des Krieges sind - wir haben immer gekämpft oder uns auf einen Krieg vorbereitet. Wenn wir es genau betrachten, denken wir alle wie im Krieg. Zu Hause, auf der Straße. Darum ist ein Menschenleben bei uns so wenig wert. Alles ist wie im Krieg. Anfangs hatte ich Zweifel. Noch ein Buch über den Krieg … Wozu? Auf einer meiner Reisen als Journalistin traf ich eine Frau, die im Krieg Sanitäterin gewesen war. Sie erzählte: Sie liefen im Winter über den Ladogasee, der Feind entdeckte sie und begann mit dem Beschuss. Pferde und Menschen versanken unterm Eis. Es war Nacht, und sie packte einen Verwundeten und schleppte ihn ans Ufer. „Ich hab ihn geschleppt, er war nass und nackt, ich dachte, es hätte ihm die Kleider von Leib gerissen“, erzählte sie. „Doch am Ufer sah ich, dass ich einen riesigen verwundeten Fisch rausgeschleppt hatte, einen Beluga. Ich schrie einen dreistöckigen Fluch – die Menschen leiden, aber die Tiere, die Vögel, die Fische – wofür? Auf einer anderen 24 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Swetlana Alexijewitsch Reise hörte ich die Geschichte einer Sanitäterin einer Kavallerieschwadron, die während eines Gefechts einen verwundeten Deutschen in einen Bombentrichter geschleppt hatte und erst da entdeckte, dass es ein Deutscher war, sein Bein war zertrümmert, er blutete. Aber er war doch ein Feind! Was tun? Dort oben starben die eigenen Jungs! Doch sie verband den Deutschen und kroch weiter. Schleppte einen russischen Soldaten an, er war bewusstlos, und als er zu sich kommt, will er den Deutschen töten, und als der zu sich kommt, greift er zur Maschinenpistole und will den Russen töten. „Ich hab ihnen in die Fresse gehauen, beiden. Unsere Beine“, erinnerte sie sich, „waren voller Blut. Das Blut hat sich vermischt.“ Unser größtes Kapital ist das Leiden. Nicht Öl und nicht Gas, nein, das Leiden. Das ist das Einzige, das wir stetig fördern. Ich suche ständig nach einer Antwort auf die Frage: Warum lässt sich unser Leiden nicht in Freiheit konvertieren? Ist es etwa ganz umsonst? Tschaadajew hatte Recht: Russland ist ein Land ohne Gedächtnis, ein Raum totaler Amnesie, ein jungfräuliches Bewusstsein für Kritik und Reflexion. Große Bücher liegen auf der Straße … 1989 Ich bin in Kabul. Ich wollte nicht mehr über den Krieg schreiben. Doch nun bin ich in einem richtigen Krieg. In Das war ein Krieg, den ich nicht kannte. Der Krieg der der Zeitung Prawda steht: „Wir helfen dem brüderlichen Frauen. Da ging es nicht um Helden. Nicht darum, wie die afghanischen Volk beim Aufbau des Sozialismus.“ Überall einen heldenhaft die anderen töteten. Ich erinnere mich an Menschen des Krieges, Kriegsgegenstände. Kriegszeit. die Worte einer Frau: „Nach dem Gefecht gehst du übers Schlachtfeld. Da liegen sie … Alle jung und so schön. Sie Gestern durfte ich nicht mit zum Gefecht: „Bleiben Sie liegen da und schauen zum Himmel. Sie tun dir leid, die im Hotel, junge Frau. Sonst muss ich mich nachher für Sie einen wie die anderen.“ Dieses „die einen wie die ande- verantworten.“ Ich sitze im Hotel und denke: Es liegt etren“ sagte mir, worum es in meinem Buch gehen würde. was Unmoralisches im Beobachten fremden Mutes und Darum, dass Krieg Mord ist. So haben es die Frauen in fremden Risikos. Ich bin schon über eine Woche hier und Erinnerung. Eben noch hat der Mensch gelächelt, geraucht werde das Gefühl nicht los, dass der Krieg eine Schöpfung – und nun ist er nicht mehr da. Am häufigsten sprechen der männlichen Natur ist, mir unbegreiflich. Aber die die Frauen über das Verschwinden, darüber, wie schnell Alltäglichkeit des Krieges ist gewaltig. Ich entdeckte, dass im Krieg alles zum Nichts wird. Der Mensch wie die Waffen schön sind: Maschinenpistolen, Minen, Panzer. Der menschliche Zeit. Ja, sie haben sich aus freien Stücken an Mensch hat viel darüber nachgedacht, wie man einen die Front gemeldet, mit 17, 18 Jahren, aber sie wollten anderen Menschen am besten tötet. Der ewige Streit zwinicht töten. Doch sie waren bereit zu sterben. Zu sterben schen Wahrheit und Schönheit. Mir wurde eine neue italifür die Heimat. Und, ja – aus der Geschichte lässt sich enische Mine gezeigt, und meine „weibliche“ Reaktion: kein Wort streichen –, auch für Stalin. „Sie ist schön. Warum ist sie schön?“ Militärisch exakt wurde mir erläutert, wenn man auf diese Mine fahre oder Das Buch wurde zwei Jahre lang nicht gedruckt, es so drauftrete … in diesem Winkel … dann bleibe von einem konnte vor der Perestroika nicht erscheinen. Vor GorMenschen nur noch ein Eimer voll Fleisch übrig. Über batschow. „Nach Ihrem Buch geht doch niemand mehr Unnormales wird hier geredet wie über etwas ganz Norkämpfen“, belehrte mich der Zensor. „Ihr Krieg ist graumales, Selbstverständliches. Es sei eben Krieg … Niemand sam. Warum gibt es bei Ihnen keine Helden?“ Ich habe verliert den Verstand bei diesen Bildern, darüber, dass da nicht nach Helden gesucht. Ich habe Geschichte festgehalein Mensch auf der Erde liegt, getötet nicht von einer ten, durch die Berichte ihrer unbeachtet gebliebenen ZeuNaturgewalt, nicht durch das Schicksal, sondern von eigen und Beteiligten. Sie wurden nie befragt. Was die Mennem anderen Menschen. schen über die großen Ideen denken, einfache Menschen, wissen wir nicht. Gleich nach dem Krieg hätte ein BeteiligIch habe gesehen, wie eine „schwarze Tulpe“ beladen ter ihn anders erzählt als zehn Jahre später, natürlich, in wurde, ein Flugzeug, mit dem die Zinksärge mit Getöteten ihm verändert sich etwas, denn er legt sein ganzes Leben in die Heimat gebracht werden. Den Toten werden oft alte in seine Erinnerungen. Sein ganzes Ich. Wie er in diesen Uniformen aus den vierziger Jahren angezogen, mit Jahren gelebt, was er gelesen und gesehen hat, wem er Stiefelhosen, manchmal reichen auch diese Uniformen begegnet ist. Woran er glaubt. Und nicht zuletzt, ob er nicht. Soldaten unterhalten sich: „Ins Kühlhaus wurden glücklich ist oder nicht. Dokumente sind lebendige Wesen, neue Tote gebracht. Das stinkt wie vergammeltes Wildsie verändern sich mit uns … schwein ...“ Darüber werde ich schreiben. Ich fürchte, zu Hause wird man mir nicht glauben. Unsere Zeitungen Aber ich bin absolut sicher, dass es solche Mädchen berichten über Alleen der Freundschaft, die von sowjetiwir die Kriegsmädchen von 1941 nie wieder geben wird. schen Soldaten gepflanzt werden. Es war die Blütezeit der „roten“ Idee, mehr noch als die Revolution und Lenin. Ihr Sieg verdrängt für sie bis heute Ich rede mit jungen Soldaten, viele sind freiwillig hier. den Gulag. Ich liebe diese Mädchen sehr. Aber ich konnte Haben sich selbst gemeldet. Mir fiel auf, dass die meisten mit ihnen nicht über Stalin reden, darüber, dass nach dem aus der Intelligenz stammen – Kinder von Lehrern, Ärzten, Krieg Züge voller Sieger nach Sibirien gebracht wurden, Bibliothekaren … kurz, von Büchermenschen. Sie träumten mit Menschen, die mutiger waren als andere. Die Übrigen aufrichtig davon, dem afghanischen Volk beim Aufbau des kamen zurück und schwiegen. Einmal habe ich gehört: Sozialismus zu helfen. Jetzt lachen sie über sich. Sie zeig„Frei waren wir nur im Krieg. An der vordersten Front.“ ten mir eine Stelle auf dem Flugplatz, wo Hunderte 25 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Swetlana Alexijewitsch Zinksärge lagen, geheimnisvoll glänzten sie in der Sonne. Der Offizier, der mich begleitete, sagte spontan: „Vielleicht liegt hier auch mein Sarg … In den sie mich dann legen … Wofür kämpfe ich hier eigentlich?“ Sofort erschrak er über seine Worte. „Schreiben Sie das nicht auf.“ In der Nacht träumte ich von Gefallenen, alle hatten erstaunte Gesichter: Wieso bin ich tot? Bin ich wirklich tot? Ich begleitete Krankenschwestern in ein Hospital für afghanische Zivilisten, wir brachten den Kindern Geschenke. Spielzeug, Gebäck, Bonbons. Ich sollte fünf Plüschteddys verteilen. Wir kamen an – eine lange Baracke, an Bettzeug hatten alle nur eine Decke. Eine junge Afghanin mit einem Kind auf dem Arm trat zu mir, sie wollte etwas sagen, in den zehn Jahren haben hier alle etwas Russisch gelernt, ich gab dem Kind den Teddy, und er nahm ihn mit den Zähnen. „Warum nimmt er ihn mit den Zähnen?“, fragte ich erstaunt. Die Afghanin riss die Decke von dem kleinen Körper, dem Jungen fehlten beide Arme. „Das waren deine russischen Bomben.“ Irgendwer hielt mich, ich sackte zusammen … Ich habe mich gefragt, was für ein Buch über den Krieg ich gern schreiben möchte. Ich würde gern über einen Menschen schreiben, der nicht schießt, der nicht auf einen anderen Menschen schießen kann, den allein der Gedanke an Krieg leiden lässt. Wo ist dieser Mensch? Ich bin ihm nicht begegnet. 1990–1997 Die russische Literatur ist deshalb interessant, weil nur sie von der einzigartigen Erfahrung erzählen kann, die das einst riesige Land durchgemacht hat. Ich werde oft gefragt: Warum schreiben Sie ständig über Tragisches? Weil wir so leben. Wir leben zwar heute in verschiedenen Ländern, doch überall ist der „rote“ Mensch noch da. Der Mensch aus jenem Leben, mit diesen Erinnerungen. Über Tschernobyl wollte ich lange nicht schreiben. Ich wusste nicht, wie, mit welchem Instrumentarium, wo ansetzen. Der Name meines kleinen, unscheinbaren Landes in Europa, von dem die Welt zuvor fast nichts gehört hatte, ertönte plötzlich in allen Sprachen, und wir Weißrussen wurden zum Tschernobyl-Volk. Wir hatten als Erste Berührung mit dem Unbekannten. Nun wurde klar: Neben den kommunistischen, nationalen und neuen religiösen Herausforderungen erwarten uns noch weitere, viel schlimmere, totale, die uns bislang verborgen sind. Einiges trat durch Tschernobyl zutage … Ich habe gesehen, wie unsere Grad-Raketen Kischlaks in einen umgepflügten Acker verwandeln. Ich war auf einem afghanischen Friedhof, so lang wie ein Kischlak. Irgendwo in der Mitte des Friedhofs schrie eine Frau. Ich erinnerte mich, wie in einem Dorf bei Minsk ein Zinksarg in ein Haus gebracht wurde und wie die Mutter heulte. Das war kein menschlicher Schrei und nicht der Schrei eines Tieres … Genau so ein Schrei wie der auf dem afghaIch erinnere mich, wie ein Taxifahrer wild fluchte, als nischen Friedhof … eine Taube gegen die Windschutzscheibe flog: „Jeden Tag sterben so zwei, drei Vögel. Aber in der Zeitung heißt es, Ich gestehe, ich war nicht sofort frei. Ich war aufrichtig die Situation sei unter Kontrolle.“ zu meinen Protagonisten, und sie vertrauten mir. Jeder von uns hatte seinen eigenen Weg zur Freiheit. Bis Afgha- In den Stadtparks wurde das Laub zusammengekehrt, aus nistan glaubte ich an einen Sozialismus mit menschlichem der Stadt gebracht und begraben. Von verseuchten Orten Gesicht. Von dort kehrte ich ohne alle Illusionen zurück. wurde die Erde abgetragen und ebenfalls begraben – Erde „Verzeih mir, Vater“, sagte ich, als ich ihn besuchte, „du wurde in Erde begraben. Gras wurde begraben und Brennhast mich mit dem Glauben an die kommunistischen Idea- holz. Die Menschen wirkten wie nicht ganz bei Sinnen. Ein le erzogen, aber ich musste nur einmal sehen, wie junge alter Imker erzählte: „Ich komme früh in den Garten, und Menschen, eben noch sowjetische Schüler, wie du und da fehlt etwas, ein vertrautes Geräusch. Keine einzige Mama sie unterrichten (meine Eltern waren Lehrer auf Biene … Ich höre keine einzige Biene. Keine einzige! Was dem Land), wie diese jungen Menschen auf fremdem Bo- ist los? Was? Auch am zweiten Tag flogen sie nicht aus den andere Menschen töten, als ich das sah, zerfielen alle und auch nicht am dritten … Dann wurden wir informiert, deine Worte zu Staub. Wir sind Mörder, Papa, verstehst dass es im Atomkraftwerk einen Unfall gab, und das ist du?!“ Mein Vater fing an zu weinen. ganz in der Nähe. Aber lange wussten wir gar nichts. Die Bienen wussten Bescheid, aber wir nicht.“ Die ZeitungsbeAus Afghanistan kehrten viele als freie Menschen zurichte über Tschernobyl waren voller Kriegsbegriffe: Exrück. Aber ich kenne auch ein anderes Beispiel. Dort in plosion, Helden, Soldaten, Evakuierung … Im Kraftwerk Afghanistan hatte ein junger Mann mich angeschrien: selbst ermittelte das KGB. Sie suchten nach Spionen und „Was verstehst du als Frau schon vom Krieg? Meinst du, Saboteuren, es gingen Gerüchte um, der Unfall sei eine die Menschen sterben im Krieg so wie in den Büchern und geplante Aktion westlicher Geheimdienste, um das soziaFilmen? Da sterben sie schön, aber gestern wurde mein listische Lager zu schwächen. Militärtechnik und Soldaten Freund getötet, eine Kugel hat ihn am Kopf getroffen. Er wurden nach Tschernobyl geschickt. Das System handelte ist noch zehn Meter gelaufen, wollte sein Gehirn festhalten wie gewohnt, militärisch, doch der Soldat mit der nagel…“ Doch zehn Jahre später erzählt derselbe junge Mann, neuen Maschinenpistole war in dieser neuen Welt eine inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann, gern von tragische Figur. Er konnte nur eines: eine enorme StrahAfghanistan. Er rief mich an: „Was sollen deine Bücher? lendosis abbekommen und sterben, wenn wieder zu Hause Sie sind zu grausam.“ Er war nun ein anderer Mensch, war. nicht mehr der, den ich inmitten von lauter Tod getroffen hatte und der nicht mit zwanzig Jahren sterben wollte … 26 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Winter 2015 Swetlana Alexijewitsch Vor meinen Augen wurde der Vor-Tschernobyl-Mensch „Der Russe will anscheinend gar nicht reich sein, er zum Tschernobyl-Menschen. hat sogar Angst davor. Was will er dann? Er will immer nur eins: Dass ein anderer nicht reich wird. Reicher als er Radioaktivität kann man nicht sehen, nicht anfassen, selbst.“ nicht riechen … Die Welt um uns herum war so vertraut und zugleich so fremd. Als ich in die Zone fuhr, wurde ich „Einen ehrlichen Menschen findest du bei uns nicht, rasch belehrt: Keine Blumen pflücken, nicht ins Gras set- aber Heilige schon.“ zen, kein Brunnenwasser trinken … Der Tod lauerte über„Auf eine Generation, die nicht geprügelt wurde, könall, aber es war ein irgendwie anderer Tod. Er trug neue nen wir lange warten; der Russe versteht die Freiheit Masken. Ein fremdes Gewand. Alte Menschen, die den nicht, er braucht Kosaken und die Peitsche.“ Krieg erlebt hatten, wurden erneut evakuiert – sie blickten zum Himmel: „Die Sonne scheint … Kein Rauch, kein Gas. „Die beiden wichtigsten russischen Wörter sind Krieg Keine Schüsse. Das ist doch kein Krieg? Trotzdem sind wir und Gefängnis. Was geklaut, gefeiert, eingefahren … rausnun Flüchtlinge.“ gekommen und wieder eingefahren …“ Morgens griffen alle gierig nach den Zeitungen und „Das russische Leben muss schlimm sein und erbärmlegten sie gleich enttäuscht wieder weg – es waren keine lich, dann erhebt sich die Seele und begreift, dass sie nicht Spione gefasst worden. Kein Wort über Volksfeinde. Eine dieser Welt gehört … Je schmutziger und blutiger, desto Welt ohne Spione und Volksfeinde war auch fremd. Etwas mehr Raum für die Seele …“ Neues begann. Nach Afghanistan machte uns Tschernobyl „Für eine neue Revolution fehlt die Kraft und eine gezu freien Menschen. wisse Verrücktheit. Der Mumm. Der Russe braucht eine Für mich hat sich die Welt geweitet. In der Zone fühlte Idee, die ihm ein Gänsehaut macht ...“ ich mich nicht als Weißrussin, nicht als Russin und nicht „So schwankt unser Leben hin und her, zwischen Chaals Ukrainerin, sondern als Vertreterin einer biologischen os und Knast. Der Kommunismus ist nicht tot, der LeichArt, der womöglich die Vernichtung droht. Zwei Katastronam ist lebendig.“ phen trafen zusammen: eine soziale – das sozialistische Atlantis ging unter, und eine weltumspannende – Ich bin so kühn zu sagen, dass wir die Chance verpasst Tschernobyl. Der Untergang des Imperiums beschäftigte haben, die wir in den 90er Jahren hatten. Die Frage, was alle: Die Sorgen der Menschen galten dem Heute und für ein Land wir wollen, ein starkes oder ein menschenihrem Alltag, wie überleben, wovon etwas kaufen? Woran würdiges, in dem jeder gut leben kann, wurde zugunsten glauben? Unter welche Fahne sich nun scharen? Oder der ersten Antwort entschieden: Ein starkes Land. Es sollten sie lernen, ohne große Idee zu leben? Letzteres war herrscht wieder eine Zeit der Stärke. Russen kämpfen fremd, denn so haben wir nie gelebt. Der „rote“ Mensch gegen Ukrainer. Gegen Brüder. Mein Vater ist Weißrusse, stand vor Hunderten Fragen, und er stellte sie sich ganz meine Mutter Ukrainerin. Und so ist es bei vielen. Russiallein. Noch nie war er so allein gewesen wie in den ersten sche Flugzeuge bombardieren Syrien … Tagen der Freiheit. Ich war umgeben von erschütterten Auf die Zeit der Hoffnung folgte eine Zeit der Angst. Menschen. Ich hörte ihnen zu … Die Zeit dreht sich zurück … Eine Secondhand-Zeit … Ich schließe mein Notizbuch … Heute bin ich nicht mehr sicher, ob ich die Geschichte Was geschah mit uns, als das Imperium unterging? des „roten“ Menschen zu Ende geschrieben habe … Früher war die Welt klar gegliedert: Täter und Opfer – das Ich habe drei Zuhause: Meine weißrussische Heimat, war der Gulag, Brüder und Schwestern – das war im Krieg, das Land meines Vaters, wo ich mein ganzes Leben verElektorat – das war die Zeit der Technologie, die moderne bracht habe, die Ukraine, die Heimat meiner Mutter, wo Welt. Früher zerfiel die Welt noch in jene, die saßen, und ich geboren bin, und die große russische Kultur, ohne die jene, die einsperrten, heute zerfällt sie in Slawophile und ich mir mich nicht vorstellen kann. Sie sind mir alle lieb Westler, in National-Verräter und Patrioten. Und in die, die und teuer. Aber in unserer Zeit ist es schwer, von Liebe zu sich etwas kaufen können, und die, die sich nichts kaufen können. Letzteres, würde ich sagen, ist die grausamste sprechen. Prüfung nach dem Sozialismus, denn noch vor kurzem Übersetzung: Ganna-Maria Braungardt waren alle gleich. Der „rote“ Mensch hat es nicht geschafft in das Reich der Freiheit, von dem er in der Küche ge- Copyright © The Nobel Foundation 2015 träumt hatte. Russland wurde ohne ihn aufgeteilt, er stand „Svetlana Alexievich - Nobel Lecture” vor dem Nichts. Gedemütigt und ausgeplündert. Aggressiv Nobelprize.org. Nobel Media AB 2015. Web. 7 Dec 2015. und gefährlich. Herzlichen Dank an die Nobelstiftung für die Erlaubnis, die Vorlesung von Swetlana Alexijewitsch hier abdrucken Was ich auf meinen Reisen durch Russland hörte … zu dürfen. Der deutsche Text sowie weitere Übersetzungen „Modernisierung geht bei uns nur mit Knast und Er- sind hier veröffentlicht: schießungen.“ http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureat es/2015/alexievich-lecture.html 27 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Aus den Archiven „Die Friedenspreis-Karaoke-Box“ Über ein im Papierkorb gelandetes Projekt zum Friedenspreis von Martin Schult Im Archiv des Friedenspreises befinden sich Unterlagen zu zahlreichen Projekten und Ideen, die die Vergabe des Preises begleitet haben oder hätten begleiten sollen. Manche wurden realisiert, wie der Aufsatzwettbewerb im Jahr 1969, mit dem der Börsenverein versuchte herauszufinden, wie die Meinung der Jugend über den damals 20 Jahre alten Preis sei, oder die Ausstellung zum 60jährigen Jubiläum des Friedenspreises im Jahr 2009, die anschließend in knapp 40 Städten im In- und Ausland gezeigt wurde. Andere Projekte hingegen, wie ein Friedensfest auf dem Platz neben der Paulskirche oder auch die Friedenspreis-Karaoke-Installation, wurden nie realisiert – zu teuer, nicht durchdacht genug, zu banal oder gar zu ambitioniert? Schauen wir uns eines dieser Projekte einmal genauer an … Die Friedenspreis-Karaoke Box Knapp anderthalb Jahre vor der Weltausstellung 2015 in Mailand wurde der Börsenverein gebeten, Projekte zum Thema Buch oder Lesen vorzuschlagen, die Bestandteil des deutschen Pavillons werden könnten. Unter den eingereichten Vorschlägen befand sich auch eine Installation, bei der der Besucher selbst zum Friedenspreisträger wird und eine Dankesrede vorträgt, die sich aus Teilen aller bisher gehaltenen Friedenspreisreden zusammensetzt – je nachdem, was für ein Thema sich der Nutzer aussucht. Am Anfang der Installation befindet sich ein Bildschirm (A). Hier wird die Rede zusammengestellt, die anschließend hinter einer Wand und mithilfe von Telepromptern (B) vor einer Publikumskulisse (C) vorgetragen wird. Eine Kamera (D) nimmt dabei den Nutzer auf und spuckt am Ende eine CD mit der Filmaufnahme zum Mitnehmen aus (E). Der kniffligste Teil der Installation ist dabei natürlich die Zusammenstellung der Rede. Am Bildschirm Die erste Entwurfszeichnung zur „Friedenskann der Nutzer in zwei Suchfeldern preis-Karaoke-Box“. Die Originalzeichnung Begriffe eingeben, mit deren Hilfe befindet sich im Archiv des Friedenspreises. das Programm die Absätze aus den Reden zusammenstellt, in denen sich die Preisträger mit diesen Themen beschäftigt haben. Erstes Suchfeld: „Problem“ Im ersten Suchfeld gibt der Nutzer das Thema ein, mit dem er sich in seiner Rede beschäftigen will. Mit dem Begriff TERROR bzw. TERRORIST und TERRORISMUS findet das Programm zum Beispiel die folgenden Absätze, wobei kurioserweise der Musiker Yehudi Menuhin im Jahr 1979 der erste Friedenspreisträger gewesen ist, der in seiner Rede den Begriff TERROR verwendet hat … Dies also ist unser Kampf, unsere Schlacht für den Frieden. Friede nicht als ein passiver Begriff, der die Verzichterklärung des Willens bezeichnen würde vor einem solchen Übermaß an missbrauchten Werten, verkehrten Loyalitäten, an Rache, die als moralisches Kämpfertum paradiert, von TERROR als Fratze des Mutes. Wir alle müssen unser Äußerstes tun, um dieses furchtbare Schreckbild eines zum Helden gewordenen Ungeheuers aufzuhalten. 28 Kermani 2015 Lanier 2014 Alexijewitsch 2013 Liao 2012 Sansal 2011 Grossman 2010 Magris 2009 Kiefer 2008 Friedländer 2007 Lepenies 2006 Pamuk 2005 Esterházy 2004 Sontag 2003 Achebe 2002 Habermas 2001 Djebar 2000 Stern 1999 Walser 1998 Kemal 1997 Vargas Llosa 1996 Schimmel 1995 Semprún 1994 Schorlemmer 1993 Oz 1992 Konrád 1991 Dedecius 1990 Havel 1989 Lenz 1988 Jonas 1987 Bartoszewski 1986 Kollek 1985 Paz 1984 Sperber 1983 Kennan 1982 Kopelew 1981 Cardenal 1980 Menuhin 1979 Lindgren 1978 Kołakowski 1977 Frisch 1976 Grosser 1975 Frère Roger 1974 The Club of Rome 1973 Korczak 1972 Dönhoff 1971 Myrdal 1970 Mitscherlich 1969 Senghor 1968 Bloch 1967 Bea/Visser 't Hooft 1966 Sachs 1965 Marcel 1964 Weizsäcker 1963 Tillich 1962 Radhakrishnan 1961 Gollancz 1960 Heuss 1959 Jaspers 1958 Wilder 1957 Schneider 1956 Hesse 1955 Burckhardt 1954 Buber 1953 Guardini 1952 Schweitzer 1951 Tau 1950 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Aus den Archiven Denn das ist es. Von einem TERRORISTENLAGER zum andern wird das menschliche Wesen unwissentlich missbraucht, werden seine Loyalität, seine Visionskraft, seine Hingabefähigkeit und Stärke mit klinischer Kälte und teuflischer List in den Dienst irgendeines machthungrigen Herrn gepresst; dabei wird seine Sehnsucht zu dienen und alles, was rein und treu ist in seiner Natur, zur Erfüllung zu bringen, vergiftet durch die Anstachelung und Aufreizung durch einen eigensüchtigen Führer, dessen wirkliche Macht in seinen hypnotisierten Jüngern liegt und in jenen zynischen Mächten, die ihn mit den Waffen unterstützen, ohne die sie so belanglos wären wie eine wütende Hausfrau, die eine andere über die Mauer hinweg schrill beschimpft. … seitdem tauchen Terror, Terrorist oder Terrorismus in zahlreichen Friedenspreisreden auf, sei es 1990 bei Karl Dedecius … So ist das, würde Humboldt bedauern, mit dem gedankenlosen Gebrauch der Sprache und mit dessen Folgen in unserer Kultur. Kultur? Diese genügt uns als Wort und Begriff an Rhein und Main schon lange nicht mehr. Wir machen aus ihr die KulturSzene (Musik-Szene, Literatur-Szene), werfen diesen ganzen Kultur-Brei noch mit der Pop- und Rock-Szene, mit der TERRORISTEN- und Drogenszene in einen Topf, als ob alles, was Kultur (oder Unkultur) den arg strapazierten Sinnen heute zu bieten oder zuzumuten hätte, nur noch Szene, Spektakel, Schaustellerei, Mummenschanz und Kulissenzauber wäre. Und die Kultur selbst? Sie verkümmert dabei zum Streitobjekt und zum Hort permanenten Unfriedens. … bei Annemarie Schimmel im Jahr 1995 … Ich jedenfalls habe weder im Koran noch in der Tradition irgendetwas gefunden, was TERRORISMUS oder Geiselnahme befehle oder auch nur gestatte. Die Goldene Regel ist ein wichtiger Bestandteil islamischer Ethik. Kein denkender Mensch wird TERRORISTISCHE Akte, in welchem Winkel der Erde und aus welcher Weltanschauung sie geschehen, gutheißen. Und niemand - so glaube ich - wäre glücklicher als wir Orientalisten, wenn Todesurteile oder Gefängnisstrafen für Personen abweichender Meinung, für Kritiker abgeschafft würden, damit wir endlich wieder zu einem Dialog kommen könnten. Viele der radikalen Fundamentalisten scheinen zu vergessen, dass der Koran mahnt „la ikraha fi'd-din“, „Kein Zwang im Glauben“ (Sura 2,257) und dass der Prophet davor warnte, jemanden zum kafir, zum „Ungläubigen“, zu erklären. Sie versuchen, in der entwurzelten, unter Arbeitslosigkeit leidenden Jugend Anhänger zu finden, die, mit wenigen schlagwortartigen Formeln ausgerüstet, allzu leicht manipuliert werden können. Aber solch ein politisch missbrauchter Islam ist etwas ganz anderes als gelebter Islam: Er ist, wie Taher Ben Jalloun schreibt, eine Karikatur des echten Islam, „denn er steht für eine politische Doktrin, die es in der arabisch-islamischen Welt bisher nicht gab“. … oder natürlich auch bei Jürgen Habermas (2001) … Verhärtete Orthodoxien gibt es im Westen ebenso wie im Nahen und im Ferneren Osten, unter Christen und Juden ebenso wie unter Moslems. Wer einen Krieg der Kulturen vermeiden will, muss sich die unabgeschlossene Dialektik des eigenen, abendländischen Säkularisierungsprozesses in Erinnerung rufen. Der „Krieg gegen den TERRORISMUS“ ist kein Krieg, und im TERRORISMUS äußert sich auch der verhängnisvoll-sprachlose Zusammenstoß von Welten, die jenseits der stummen Gewalt der TERRORISTEN wie der Raketen eine gemeinsame Sprache entwickeln müssen. Angesichts einer Globalisierung, die sich über entgrenzte Märkte durchsetzt, erhofften sich viele von uns eine Rückkehr des Politischen in anderer Gestalt nicht in der Hobbistischen Ursprungsgestalt des globalisierten Sicherheitsstaates, also in den Dimensionen von Polizei, Geheimdienst und Militär, sondern als weltweit zivilisierende Gestaltungsmacht. Im Augenblick bleibt uns nicht viel mehr als die fahle Hoffnung auf eine List der Vernunft - und ein wenig Selbstbesinnung. Denn jener Riss der Sprachlosigkeit entzweit auch das eigene Haus. Den Risiken einer andernorts entgleisenden Säkularisierung werden wir nur mit Augenmaß begegnen, wenn wir uns darüber klar 29 Kermani 2015 Lanier 2014 Alexijewitsch 2013 Liao 2012 Sansal 2011 Grossman 2010 Magris 2009 Kiefer 2008 Friedländer 2007 Lepenies 2006 Pamuk 2005 Esterházy 2004 Sontag 2003 Achebe 2002 Habermas 2001 Djebar 2000 Stern 1999 Walser 1998 Kemal 1997 Vargas Llosa 1996 Schimmel 1995 Semprún 1994 Schorlemmer 1993 Oz 1992 Konrád 1991 Dedecius 1990 Havel 1989 Lenz 1988 Jonas 1987 Bartoszewski 1986 Kollek 1985 Paz 1984 Sperber 1983 Kennan 1982 Kopelew 1981 Cardenal 1980 Menuhin 1979 Lindgren 1978 Kołakowski 1977 Frisch 1976 Grosser 1975 Frère Roger 1974 The Club of Rome 1973 Korczak 1972 Dönhoff 1971 Myrdal 1970 Mitscherlich 1969 Senghor 1968 Bloch 1967 Bea/Visser 't Hooft 1966 Sachs 1965 Marcel 1964 Weizsäcker 1963 Tillich 1962 Radhakrishnan 1961 Gollancz 1960 Heuss 1959 Jaspers 1958 Wilder 1957 Schneider 1956 Hesse 1955 Burckhardt 1954 Buber 1953 Guardini 1952 Schweitzer 1951 Tau 1950 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Aus den Archiven werden, was Säkularisierung in unseren postsäkularen Gesellschaften bedeutet. In dieser Absicht nehme ich das alte Thema »Glauben und Wissen« wieder auf. Sie dürfen also keine »Sonntagsrede« erwarten, die polarisiert, die die einen aufspringen und die anderen sitzen bleiben lässt. … und schließlich noch ein wenig Jaron Lanier aus dem Jahr 2014 … Abgesehen von Büchern geht es bei einem „Friedenspreis“ offensichtlich um Frieden, aber was meinen wir mit Frieden? Ganz sicher muss Frieden bedeuten, dass keine Gewalt und kein TERROR benutzt werden, um Macht oder Einfluss zu gewinnen. Aber dem Frieden müssen außerdem schöpferische Eigenschaften innewohnen. Die meisten von uns wollen keine statische oder stumpfsinnige Existenz akzeptieren, selbst wenn sie frei von jeder Gewalt wäre. Wir wollen nicht die friedliche Ordnung akzeptieren, die uns autoritäre oder aufgezwungene Lösungen vermeintlich bieten, seien sie digital oder altmodisch. Genauso wenig dürfen wir erwarten, dass zukünftige Generationen für immer unsere Version einer nachhaltigen Gesellschaft akzeptieren, ganz gleich wie klug wir sind und wie gut unsere Intentionen. Frieden ist also ein Puzzle. Wie können wir frei sein, ohne die Freiheit zu missbrauchen? Wie kann Frieden gleichzeitig abwechslungsreich und stabil sein? Fehlen tut bei dieser Auswahl jedoch der erste Preisträger, der über den Hass in totalitären Systemen und Bewegungen gesprochen, den Terrorismus aber nicht beim Namen genannt hat: Leszek Kołakowski im Jahr 1977, genau an dem Tag, an dem, während er seine Rede in der Paulskirche hielt, Hanns-Martin Schleyer entführt war und die Lufthansa-Maschine Richtung Mogadischu flog. Totalitäre Systeme und Bewegungen jeder Prägung brauchen den Hass weniger gegen äußere Feinde und Bedrohungen als vielmehr gegen die eigene Gesellschaft; weniger, um die Kampfbereitschaft zu wahren, sondern mehr um diejenigen, die sie zum Hass erziehen und aufrufen, innerlich zu entleeren, geistig kraftlos und dadurch widerstandsunfähig zu machen. Die unaufhörliche, lautlose, aber klare Botschaft des Totalitarismus sagt: „Ihr seid perfekt, jene sind vollkommen verdorben. Ihr würdet schon längst im Paradies leben, hätte die Bosheit eurer Feinde euch nicht daran gehindert.“ So ist die Aufgabe dieser Erziehung weniger, eine Solidarität im Hassen zu schaffen, als vielmehr eine Selbstgefälligkeit in den Zöglingen zu erzeugen und sie moralisch und intellektuell ohnmächtig zu machen. Die Selbstgefälligkeit im Hassen soll mir das Gefühl geben, dass ich ein glücklicher Besitzer absoluter Werte bin. So gipfelt der Hass schließlich in einer grotesken Selbstvergöttlichung, die wie bei den gefallenen Engeln nur die Rückseite der Verzweiflung darstellt. Zweites Suchfeld: „Lösung“ Die bislang gefundenen Absätze ergeben zusammen natürlich noch keine vollständige Friedenspreisrede, sondern erst einen Teil davon, in dem das Problem benannt wird. Mit einem Eintrag im zweiten Suchfeld „Lösung“ sucht das Programm nun weitere Stellen aus. Bedienen wir uns – angesichts der bevorstehenden Weihnachtszeit – der Schloemann’schen Kritik an Navid Kermanis Friedenspreisrede und geben hier GEBET ein. Es beginnt mit Max Tau aus dem Jahr 1950 … „Ich kann nicht mehr.“ „Ich kann nicht mehr.“ Täglich dringt der Hilfeschrei zu uns. Es ist nicht die Arbeitslast, die die Menschen drückt, es ist die Sinnlosigkeit, die sie oft zur Verzweiflung treibt. Alle Konfessionen haben das gleiche GEBET. Sie bitten, dass der Geist des Friedens die Menschen segnen möge. Oft haben die Menschen dieses GEBET mechanisch nachgesprochen. Nur in den Augenblicken der Not hat sie der Sinn dieses GEBETES erleuchtet. Sie suchten nach Frieden für sich selbst. Aber der Friede ist unteilbar. Keiner kann ihn allein erreichen. Alle müssen versuchen ihn zusammen zu finden. Der Krieg ist sinnlos. Keine Macht kann den Frieden diktieren. Nur die geistigen Kräfte vermögen ihn zu sichern. 30 Kermani 2015 Lanier 2014 Alexijewitsch 2013 Liao 2012 Sansal 2011 Grossman 2010 Magris 2009 Kiefer 2008 Friedländer 2007 Lepenies 2006 Pamuk 2005 Esterházy 2004 Sontag 2003 Achebe 2002 Habermas 2001 Djebar 2000 Stern 1999 Walser 1998 Kemal 1997 Vargas Llosa 1996 Schimmel 1995 Semprún 1994 Schorlemmer 1993 Oz 1992 Konrád 1991 Dedecius 1990 Havel 1989 Lenz 1988 Jonas 1987 Bartoszewski 1986 Kollek 1985 Paz 1984 Sperber 1983 Kennan 1982 Kopelew 1981 Cardenal 1980 Menuhin 1979 Lindgren 1978 Kołakowski 1977 Frisch 1976 Grosser 1975 Frère Roger 1974 The Club of Rome 1973 Korczak 1972 Dönhoff 1971 Myrdal 1970 Mitscherlich 1969 Senghor 1968 Bloch 1967 Bea/Visser 't Hooft 1966 Sachs 1965 Marcel 1964 Weizsäcker 1963 Tillich 1962 Radhakrishnan 1961 Gollancz 1960 Heuss 1959 Jaspers 1958 Wilder 1957 Schneider 1956 Hesse 1955 Burckhardt 1954 Buber 1953 Guardini 1952 Schweitzer 1951 Tau 1950 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Aus den Archiven … es folgt Gabriel Marcel im Jahr 1964, dessen Preisrede mit einem Gebet endet … Wenn es in meinem Werk einen Begriff gibt, der alle anderen überragt, so ist es zweifellos der der Hoffnung, verstanden als Mysterium. Ein Begriff, habe ich gesagt, wie belebt von innen her durch eine inbrünstige Antizipation. „Ich hoffe für uns auf Dich“ habe ich geschrieben, und das ist auch heute noch die einzige Formulierung, die mich befriedigt. Wir können noch deutlicher sagen: Ich hoffe auf Dich, der Du der lebendige Friede bist, für uns, die wir noch im Kampfe liegen mit uns selbst und gegeneinander, damit es uns eines Tages gewährt werde, in Dich einzugehen und an Deiner Fülle teilzuhaben. Und mit diesem Wunsch, mit diesem GEBET, glaube ich diese Betrachtung schließen zu dürfen. … mit einem Gedicht von Nelly Sachs (1965) geht es weiter … IN DER FLUCHT welch großer Empfang unterwegs Eingehüllt in der Winde Tuch Füße im GEBET des Sandes der niemals Amen sagen kann denn er muß von der Flosse in den Flügel und weiter Der kranke Schmetterling weiß bald wieder vom Meer dieser Stein mit der Inschrift der Fliege hat sich mir in die Hand gegeben An Stelle von Heimat halte ich die Verwandlungen der Welt – Der Prototyp der Friedenspreis-KaraokeBox als Bestandteil der Friedenspreisausstellung zum 60jährigen Jubiläum … und dass auch Frère Roger (1974) vom Gebet gesprochen hat, ist sehr naheliegend … Es gibt Menschen, die fast nie den Widerhall der Anwesenheit Gottes in sich spüren. Dies alles macht uns bewusst, dass es weder im GEBET noch im Glauben Bevorzugte und Privilegierte gibt. Es ist wahr, zwischen Zweifel und Glaube, zwischen Leere und Fülle, zwischen Angst und Liebe lässt sich keine klare Grenzlinie ziehen. … selbst Max Frisch hat 1976 das Thema aufgegriffen … Ob der Überlebenswille der Gattung ausreichen wird zum Umbau unsrer Gesellschaften in eine friedensfähige, weiß ich nicht. Wir hoffen. Es ist dringlich. Das GEBET entbindet nicht von der Frage nach unserem politischen Umgang mit dieser Hoffnung, die eine radikale ist. Der Glaube an eine Möglichkeit des Friedens (und also des Überlebens der Menschen) ist ein revolutionärer Glaube. … wir würzen es ein wenig mit Jaron Lanier (2014) und seinen Gedanken zum Glauben… Der neue Humanismus behauptet, es sei richtig, zu glauben, dass Menschen etwas Besonderes sind, nämlich dass Menschen mehr sind als Maschinen und Algorithmen. Es ist eine Behauptung, die in Tech-Kreisen zu rüdem Spott führen kann, und es gibt auch keinen Beweis, dass sie stimmt. Wir glauben an uns selbst und aneinander, aber es ist eben nur Glaube. Es ist ein pragmatischerer Glaube als der traditionelle Glaube an Gott. Er führt zum Beispiel zu einer faireren und nachhaltigeren Wirtschaft und zu besseren, zurechnungsfähigeren Technologien. Für manche Techies mag der Glaube an die Besonderheit des Menschen sentimental oder religiös klingen, und so etwas können sie nicht leiden. Aber wenn wir nicht an die menschliche Besonderheit glauben würden, wie könnten wir dann nach einer humanistischen Gesellschaft streben? Darf ich vorschlagen, dass die Technologen 31 Kermani 2015 Lanier 2014 Alexijewitsch 2013 Liao 2012 Sansal 2011 Grossman 2010 Magris 2009 Kiefer 2008 Friedländer 2007 Lepenies 2006 Pamuk 2005 Esterházy 2004 Sontag 2003 Achebe 2002 Habermas 2001 Djebar 2000 Stern 1999 Walser 1998 Kemal 1997 Vargas Llosa 1996 Schimmel 1995 Semprún 1994 Schorlemmer 1993 Oz 1992 Konrád 1991 Dedecius 1990 Havel 1989 Lenz 1988 Jonas 1987 Bartoszewski 1986 Kollek 1985 Paz 1984 Sperber 1983 Kennan 1982 Kopelew 1981 Cardenal 1980 Menuhin 1979 Lindgren 1978 Kołakowski 1977 Frisch 1976 Grosser 1975 Frère Roger 1974 The Club of Rome 1973 Korczak 1972 Dönhoff 1971 Myrdal 1970 Mitscherlich 1969 Senghor 1968 Bloch 1967 Bea/Visser 't Hooft 1966 Sachs 1965 Marcel 1964 Weizsäcker 1963 Tillich 1962 Radhakrishnan 1961 Gollancz 1960 Heuss 1959 Jaspers 1958 Wilder 1957 Schneider 1956 Hesse 1955 Burckhardt 1954 Buber 1953 Guardini 1952 Schweitzer 1951 Tau 1950 Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Winter 2015 Aus den Archiven wenigstens versuchen so zu tun, als würden sie an die menschliche Besonderheit glauben, nur um zu sehen, wie es sich anfühlt? … und natürlich darf das Ende der diesjährigen Rede von Navid Kermani nicht fehlen … Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum GEBET aufrufen. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie um etwas Ungewöhnliches bitten – obwohl es so ungewöhnlich in einer Kirche dann auch wieder nicht ist. Ich möchte Sie bitten, zum Schluss meiner Rede nicht zu applaudieren, sondern für Pater Paolo und die zweihundert entführten Christen von Qaryatein zu beten, den Kindern, die Pater Jacques getauft, die Liebenden, die er miteinander vermählt, den Alten, denen er die Letzte Ölung versprochen hat. Und wenn Sie nicht religiös sind, dann seien Sie doch mit Ihren Wünschen bei den Entführten und auch bei Pater Jacques, der mit sich hadert, weil nur er befreit worden ist. Was sind denn GEBETE anderes als Wünsche, die an Gott gerichtet sind? Ich glaube an Wünsche und dass sie mit oder ohne Gott in unserer Welt wirken. Ohne Wünsche hätte die Menschheit keinen der Steine auf den anderen gelegt, die sie in Kriegen so leichtfertig zertrümmert. Und so bitte ich Sie, meine Damen und Herren, beten Sie für Jacques Mourad, beten Sie für Paolo Dall'Oglio, BETEN Sie für die Christen von Qaryatein, beten Sie oder wünschen Sie sich die Befreiung aller Geiseln und die Freiheit Syriens und des Iraks. Gern können Sie sich dafür auch erheben, damit wir den Snuffvideos der Terroristen ein Bild unserer Brüderlichkeit entgegenhalten. Die Zusammenstellung Nachdem nun alle relevanten Absätze zu TERROR und GEBET gefunden wurden, beginnt das Herzstück des Programms seine Arbeit. Denn bevor die Absätze geordnet werden können, wird der Nutzer mittels eines Fragenbogens zu seiner eigenen, einem Friedenspreisträger würdigen Haltung befragt. Hieraus ergeben sich die Logarithmen für die anschließende Anordnung der Absätze, die mit Einführungen wie „… wie mein Kollege Jürgen Habermas seinerzeit sagte, ist …“, „… ich möchte Jaron Lanier zitieren, der …“ oder „… halten wir es doch wie Navid Kermani, indem wir …“ ergänzt werden. Abschließend werden noch eine Begrüßungsformel und ein finaler Dank eingefügt und fertig ist eine zehnminütige Friedenspreisrede, die der Nutzer nun vortragen kann. Er wird dabei gefilmt und kann anschließend nicht nur den Film auf CD mit nach Hause nehmen, sondern ist zudem in der Lage, in der Diskussion mit Freunden und Bekannten das ein oder andere Zitat eines Friedenspreisträgers einzuwerfen – denn was man einmal in so einer Situation vor laufender Kamera vorgetragen hat, das vergisst man so schnell nicht mehr. Es ist rätselhaft, warum das Komitee diese Installation nicht mit nach Mailand genommen hat. Aber vielleicht lag es ja daran, dass das Konzept vorgesehen hatte, die Friedenspreisreden in zahlreiche weitere Sprache übersetzen zu lassen, damit möglichst viele Nutzer aus aller Welt in den Genuss dieser den Friedensgedanken verbreitenden Maschine hätten kommen können. Es hätte wahrscheinlich das Budget gesprengt … Frohe Festtage! Oder nach John Lennon: „So this is Christmas and what have you done?“ Die „Mitteilungen zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ erscheinen mehrmals im Jahr. Weitere Meldungen und Termine sowie vieles mehr finden Sie auch unter www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de. Artikel, Terminhinweise und Anregungen sind herzlich willkommen! Mit einer Email an [email protected] können Sie sich für diese Mitteilungen an- oder abmelden. Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. Geschäftsstelle Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – Martin Schult Schiffbauerdamm 5, 10117 Berlin Tel. 030/2800 783-44, Fax 030/2800 783-50 Mail: [email protected] / Internet: www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de 32 Kermani 2015 Lanier 2014 Alexijewitsch 2013 Liao 2012 Sansal 2011 Grossman 2010 Magris 2009 Kiefer 2008 Friedländer 2007 Lepenies 2006 Pamuk 2005 Esterházy 2004 Sontag 2003 Achebe 2002 Habermas 2001 Djebar 2000 Stern 1999 Walser 1998 Kemal 1997 Vargas Llosa 1996 Schimmel 1995 Semprún 1994 Schorlemmer 1993 Oz 1992 Konrád 1991 Dedecius 1990 Havel 1989 Lenz 1988 Jonas 1987 Bartoszewski 1986 Kollek 1985 Paz 1984 Sperber 1983 Kennan 1982 Kopelew 1981 Cardenal 1980 Menuhin 1979 Lindgren 1978 Kołakowski 1977 Frisch 1976 Grosser 1975 Frère Roger 1974 The Club of Rome 1973 Korczak 1972 Dönhoff 1971 Myrdal 1970 Mitscherlich 1969 Senghor 1968 Bloch 1967 Bea/Visser 't Hooft 1966 Sachs 1965 Marcel 1964 Weizsäcker 1963 Tillich 1962 Radhakrishnan 1961 Gollancz 1960 Heuss 1959 Jaspers 1958 Wilder 1957 Schneider 1956 Hesse 1955 Burckhardt 1954 Buber 1953 Guardini 1952 Schweitzer 1951 Tau 1950