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REPORT REPORT Holztrucking in Kanada Dreißig Tonnen Holz hinter der Hütte war unterwegs. Ich weiß nicht mal, wo die Stämme liegen“, lacht die Truckerin, als sie die Zugmaschine überprüft. Ruth Mueller fährt einen Logging Truck. Im kanadischen Busch, fernab der Zivilisation, karrt sie Baumstämme durch ungezähmte Wildnis. Eigentlich ein Knochenjob für harte Mannsbilder ... A lles Mueller im kanadischen Busch: Ruth Mueller, die Tochter eines deutschen Einwanderers und einer Indianerin aus Bella Coola, steuert einen Truck durch das kanadische Hinterland am abgelegenen Highway 20. Sieben Tage die Woche und zwölf bis fünfzehn Stunden am Tag. Fernab der Zivilisation, im Südwesten British Columbias, fährt sie allein durch die Wälder und transportiert Baumstämme ins Sägewerk ihres Lebensgefährten. Ein harter Männerjob, der eine ganze Frau verlangt. Dabei sieht die Dreißigjährige eher zierlich aus. Mit ihrem frischen Look und ihrem strahlenden Lächeln würde sie auch im fernen Vancouver eine gute Figur machen. Aber von der Großstadt will sie nichts wissen. Sie fühlt sich wohl im Chilcotin Country, vier Autostunden vom nächsten Supermarkt und eine halbe Ewigkeit vom bunten Stadtleben der kanadischen Metropole entfernt. An diesem Sonntag darf sie ausschlafen. Sie erscheint erst um halb neun im Sägewerk und steigt lachend aus ihrem Geländewagen. In ihren festen Schuhen, den Jeans und der leichten Strickjacke über dem T-Shirt sieht sie wie eine Urlauberin aus, die im nahen Tweedsmuir Provincial Park wandern will. Die schneebedeckten Berge und spiegelglat- 38 ten Seen des nahen Naturschutzgebiets glitzern im Sonnenlicht. Sie nimmt die Sonnenbrille ab, umarmt ihren Lebensgefährten und begrüßt die Angestellte, die ihren Truck gewaschen hat. „Der wird jeden Tag gewaschen, obwohl es gleich wieder über staubige Waldwege geht“, erklärt sie uns. Der Western Star steht funkelnd vor dem Verwal- tungsgebäude, eine von drei Zugmaschinen ihrer Firma „West Chilcotin Transport Company“. Ruth Mueller ist selbstständige Unternehmerin und beschäftigt zwei Fahrer, die am Wochenende zu Hause bleiben dürfen. So wie die Holzfäller im vierzig Kilometer entfernten Busch. Am Sonntag arbeiten nur die Chefs. „Ich Sie öffnet den obersten Knopf ihrer Strickjacke und macht sich an die Arbeit. Als Fahrerin eines „Logging Trucks“ braucht sie keine fremde Hilfe. Vom Kommandositz über dem Fahrerhaus bedient sie den eingebauten Kran und zieht die verschiebbaren Laufachsen mit der Greifschaufel auf die vordere Ladefläche. „Ich mache alles allein“, berichtet sie stolz, „ich fahre den Truck, lade auf und lade ab. Alles andere wäre mir zu langweilig!“ Die Arbeit mit dem Ladekran hat sie sich selber beigebracht, das Fahren hat sie in William Lake gelernt, der nächsten größeren Stadt. „Um einen Logging Truck zu fahren, brauche ich den „Airbrakes Class J“-Führerschein.“ Seit fünf Jahren macht sie den Job. „Ich bin hier aufgewachsen, hab’ nach der Schule als Köchin in einem Ferienhotel gearbeitet. Dann hab ich die Männer mit ihren Logging Trucks gesehen und dachte mir, das kannst du auch! Seitdem ich mit Ken zusammenarbeite, läuft es besser als je zuvor.“ Sie blickt ihren Lebensgefährten lachend an. „Obwohl er mir nicht glauben wollte, dass eine Frau diesen Job machen kann! Der geht ziemlich auf die Knochen, besonders im Winter, wenn die Straßen schlecht sind.“ Ruth steigt auf den Bock und fährt los. Der Cat-Diesel grollt unter der Motorhaube, als sie die Gänge wechselt. Bis zu hundert Kilometer muss sie in den Busch fahren, um die gefällten und von Ästen gesäu- Trucker 1 1 / 2 0 0 1 Arbeit. Mit der Greiferschaufel zieht Ruth die Laufachse auf die Ladefläche des Western Star Partner. Bei der Arbeit hat Ruth ihren Lebensgefährten kennen gelernt, einen Sägewerkbesitzer Zeit ist Geld. Mit sechzig Sachen braust die schnelle Ruth über die holprigen Forststraßen Trucker 1 1 / 2 0 0 1 39 REPORT Holztrucking in Kanada berten Stämme zu holen. Drei, vier, manchmal auch fünf Fuhren muss sie schaffen, um einigermaßen auf ihre Kosten zu kommen. Bis zu 350 Dollar bringt eine Ladung. Eine längere Pause ist nur im Frühjahr drin, wenn der Schnee schmilzt und die Forstwege in eine Schlammwüste verwandelt. Dann ist ein Vorwärtskommen unmöglich. „Im Frühjahr fahren wir mit unserem Wohnanhänger in den Urlaub. Letztes Jahr waren wir in Mexiko, das war ein echter Badeurlaub.“ Laden. Auch beim Laden der schweren Baumstämme ist Ruth Mueller auf sich allein gestellt. Mit dem Greifer bugsiert sie die Stämme auf die Ladefläche des Western Star. Stahlseilen und Ketten sichern die gefährliche Ladung für den langen Rückweg Der Highway 20 von Williams Lake nach Bella Coola an der Pazifikküste ist nur zu einem Teil asphaltiert. Auf dem berüchtigten „Hill“ zwischen Anahim Lake und Bella Coola schraubt sich die Schotterstraße in engen Serpentinen über die Berge. „He, Leute! Irgendjemand im Wald?“ Über Funk versucht Ruth einen Holzfäller zu erreichen. Sie will wissen, wo die Stämme liegen. Aber die Männer haben alle frei. Also folgt sie den Reifenspuren, die tief in den Busch hineinführen. Die Stämme stapeln sich auf einer Lichtung, ungefähr vierzig Kilometer vom Highway entfernt. Ruth fährt dicht heran, löst die Verriegelung der Laufachsen und zieht den Anhänger mit der Zugmaschine auseinander. Jeder Handgriff sitzt. Sie stülpt sich den roten Keine zwei Meilen hinter Anahim Lake, einer verschlafenen Siedlung am Highway, geht es auf einen staubigen Forstweg. Holzfäller haben ihn vor wenigen Wochen durch den Busch gehauen und mit einem Caterpillar notdürftig begradigt. Mit einer Straße hat diese „Marson Meadow Road“ nichts zu tun. Der Staub wallt in einer dichten Wolke unter den Rädern auf – das Fahrerhaus schaukelt wie die Brücke eines Fischkutters. In der Ferne ist die schneebedeckte Kuppe eines Berges zu sehen. „Bären und Elche seh’ ich hier jeden Tag“, erzählt Ruth. Die Chilcotins gehören zu den wildesten Gebieten Kanadas, wurden erst vor wenigen Jahrzehnten erschlossen. „Gefällt wird nur das Holz, das vom Borkenkäfer befallen ist“, erklärt sie, „es wird gemahlen und nach Vancouver und Japan verschifft.“ Umweltschützer beklagen die hässlichen „Clear Cuts, die ganze Fahren in Kanada? D ie vielen Briefe, Faxe und Emails, die in der TRUCKER-Redaktion eingehen, beweisen es: Viele Fahrer träumen davon, nach Kanada auszuwandern, um dort ihren Job zu verrichten und das große Abenteuer im kanadischen Busch zu erleben. Wer in Kanada arbeiten möchte, wendet sich an folgende Adresse: Canadian Embassy, Immigration Section, Friedrichstraße 95, 10117 Berlin (Bitte frankierten Rückumschlag beilegen!) oder im Internet unter www.kanada.de Vollgas. Bis zu hundert Kilometer muss Ruth bis zur Ladestelle im Busch fahren. Drei bis fünf Fuhren schafft sie an einem Arbeitstag. Bremsen gilt nicht – im Busch haben Logging Trucks immer Vorfahrt 40 Schutzhelm auf den Kopf, zieht die festen Handschuhe an und klettert auf den Kommandositz. Routiniert bedient sie die Hebel des Ladekrans. Wie das Maul eines Riesen verbeißt sich die Greifschaufel in das Holz und befördert es auf den Auflieger. Es liegt an Ruth, die Stämme genau an der richtigen Stelle zu erwischen, damit sie nicht kippen, und möglichst viel Holz auf ihren Truck passt. Ungefähr dreißig Tonnen ist eine Ladung schwer, und sie braucht keine Stunde, um die Stämme aufzuladen und mit Ketten und Stahlkabeln zu sichern. Trucker 1 1 / 2 0 0 1 Trucker 1 1 / 2 0 0 1 Berghänge verschandeln.“ „Aber die Bäume wachsen nach, und an vielen Stellen pflanzen wir neue", sagt Ruth. Sie klettert auf den Bock und fährt auf den holprigen Trail zurück. Auch mit der schweren Ladung im Kreuz bleibt sie cool. Mit sechzig Sachen jagt Ruth Mueller durch den Busch. „Heute wird ein langer Tag“, meint sie, „ich will mindestens noch drei Fuhren schaffen!“ Sie blickt lachend in den Staub. „He, ist das nicht besser, als immer in einem langweiligen Büro zu sitzen?" TJ