Zu Hause im Zoo Ein Koala zum Kuscheln
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Zu Hause im Zoo Ein Koala zum Kuscheln
Zu Hause im Zoo Ein Koala zum Kuscheln DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 1 08.07.2015 10:26:31 In der Zu Hause im Zoo-Serie von Tatjana Geßler ebenfalls erschienen: Zu Hause im Zoo – Gorillababy ganz groß Zu Hause im Zoo – Trubel im Elefantenhaus Zu Hause im Zoo – Kleiner Pinguin vermisst Tatjana Geßler war schon als Kind ein großer Tierfreund. Kein Wunder, stammt sie doch aus einer richtigen Tierarztfamilie. Nach ihrem Studium arbeitete die diplomierte Wirtschaftsingenieurin als Werbetexterin und ist seit 1998 TVJournalistin, Filmemacherin und Moderatorin beim SWR in Stuttgart. Hier moderierte sie u.a. »Landesschau – aktuell«. Innerhalb der Landesschau Baden-Württemberg hat sie ihre eigene Serie »Tatjanas Tiergeschichten«, in der sie Tiere besucht und ihre spannenden Geschichten erzählt. Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren auf: www.planet-girl-verlag.de DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 2 08.07.2015 10:26:31 Tatjana Geß ler Zu Hause im ZOO Ein Koala zum Kuscheln Planet Girl DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 3 08.07.2015 10:26:32 Für Maike und Ralph DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 4 08.07.2015 10:26:33 Personenverzeichnis Lea Frank, hat ein Herz für alle Tiere Franziska Frank, Leas kleine Schwester Maria Frank, Leas Mama und die Zoodirektorin Günter Ganter, genannt Günni, Leas Hausgans Melanie Jungmann, genannt Melli, Leas beste Freundin Max Berger, Tierpfleger in Ausbildung Tobias Wentz, Tierpfleger in Ausbildung Ralph Birsching, Revierleiter der Großsäuger Bernd Rowalsky, Revierleiter der Kleinsäuger Klaus Schröder, genannt der staubige Keks, Pressesprecher Herr Schröder, Mops des Zoopressesprechers Dr. Armin Kroy, Zootierarzt Michael Kost, Chef der Fluglinie Rondor DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 5 08.07.2015 10:26:33 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 6 08.07.2015 10:26:34 Ínhaltsverzeichnis Ein fast perfekter Morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Franzi und Günni drehen auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Eukalyptus-Teddy in Not . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Date mit Hindernissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Wunderbare Wirri Wirri ............................ 50 Böse Überraschung im Elefantenhaus . . . . . . . . . 60 Die allerbeste Mama der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Ein unerwartetes Geschenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Werbenattern und Lackaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Die letzte Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Ein Wunder im Zoo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Kinderkram und affige Koalas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Die Sache mit dem Heu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Wirri Wirris großer Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 7 08.07.2015 10:26:34 Ein fast perfekter Morgen Mit kaltem Atem blies der Herbstwind erschöpfte Blätter von den Platanen und trieb sie durch den Tierpark Schönhagen wie buntes Spielzeug. Die getupften Stare, die gewöhnlich laut zeternd am Koiteich bunten Zierenten, schwarzen Schwänen und rosafarbenen Flamingos ihr Futter streitig machten, waren bereits gen Süden geflogen. Und die Przewalski-Pferde und Poitou-Esel präsentierten sich den Zoobesuchern bereits im kuschelweichen Strubbel-Teddypelz. Eine immer schwächer werdende Sonne tauchte die noch müde vor sich hin dösenden Brillenpinguine in dieses besonders warme Goldlicht, als trügen sie alle winzige Heiligenscheine. Dieses sanft-weiche Zauberlicht, das sich nur in dieser Jahreszeit entfaltet, dann, wenn der Sommer sich längst verabschiedet hat. Konzentriert studierte ich meine zwei besonderen Lieblinge, um sie auf Papier zu bannen. Wie niedlich sie miteinander umgingen! Pünktchen und Fritzi saßen selbstvergessen, zärtlich schnäbelnd vor ihrer Bruthöhle – bis über beide 8 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 8 08.07.2015 10:26:36 Ohren verliebt, auch wenn man die beim Pinguin eigentlich gar nicht sieht. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde Pünktchen Eier legen und sie würden sie gemeinsam ausbrüten. Hin und wieder warf ich Tierpfleger Max verstohlene Blicke zu, der mit einem Wasserschlauch geschäftig die Pinguin-Anlage abspritzte. Wenn meine beste Freundin Melli gerade nicht von ihrer Zeichnung aufblickte, schenkte er mir heimlich ein süßes Lächeln oder ein freches Augenzwinkern. So süß, dass ich mich kaum noch auf mein Werk konzentrieren konnte. Max war ein paar Jahre älter als ich und arbeitete, seit er seinen Schulabschluss in der Tasche hatte, im Tierpark Schönhagen als Tierpfleger. Und er war einfach umwerfend, zum-Verrücktwerdenmegamässig-süß. Ich seufzte tief. Wie ich Pünktchen und Fritzi um ihre kleine, glückliche Pinguin-Liebe beneidete. Nicht dass ich auch Eier legen wollte oder gar brüten, aber so ein bisschen zärtlich mit Max schnäbeln hätte mir schon gefallen. Ich schaute auf meine Uhr und seufzte abermals tief. Mir blieb nur noch eine Viertelstunde für unsere Zeichenstunde, bevor ich unser Gorillamädchen Banja versorgen musste. Sie hatte sicher schon mächtig Kohldampf. Ich konnte nur hoffen, dass Max bald bei den watschelnden Frackträgern fertig war, um mich dann dabei zu unterstützen. Bei dem Gedanken, dass wir zwei ungestört in der Affen-Kinderstube Banja füttern würden, wurde mir ganz warm im Bauch. Günter Ganter riss mich unsanft aus meinen Tagträume9 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 9 08.07.2015 10:26:36 reien. Plump und neugierig, wie er nun mal war, drückte er seinen weißen Gänseleib auf seine unnachahmliche Art zwischen uns Mädchen und beäugte kritisch Mellis Zeichnung. Sein blauäugiger Blick wanderte zwischen ihrem einsa-Pinguin und meinem, sagen wir, etwas unförmig geratenen Vogel hin und her, als wolle er sie vergleichen. Etwas ungehalten kommentierte er mein Bild mit einem kehligen »nag, nag, nag«. »Scheint so, als ob dein Gänserich meine Kunst deiner vorzieht!«, zog mich Melli auf und wir mussten lachen. »Kein Wunder«, entgegnete ich, »bei deinem unverschämten Talent. Damit wirst du eines Tages eine hochangesagte, megaschicke Starmodedesignerin. Das schwöre ich dir. Da kann ich als mittelprächtig begabte Zeichnerin nie mithalten. Hey, aber dafür bin ich eine echt gute Mistgabelschwingende Hobbytierpflegerin.« Melli lächelte. »Du bist die allerbeste Mistgabel-schwingende Hobbytierpflegerin auf diesem Planeten! Und die beste Freundin, die man sich vorstellen kann.« Ich grinste glücklich. Es hätte ein perfekter HerbstferienMorgen sein können. Wenn da nicht mal wieder eine ganz bestimmte Person im Anmarsch gewesen wäre: meine ›ganz besondere Freundin‹, Sarah! Seit die preisgekrönte Nachwuchsjournalistin vom TV-Sender Weitblick den Auftrag bekommen hatte, eine Film-Reihe über unseren Zoo zu drehen, lungerte sie von früh bis spät mit ihrer Kamera am Seehundbecken, im Elefantenhaus oder bei den Vogelvolieren 10 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 10 08.07.2015 10:26:36 rum. Wobei es sicher kein Zufall war, dass sie immer die Tiere filmte, bei denen Max gerade arbeitete. »Haaalllooooo, Max, guten Moooorgen!«, flötete sie, fuchtelte winkend mit einem Arm in der Luft herum und stieg, ohne zu fragen, mit ihrer Kamera über die Absperrung zu ihm auf die Pinguin-Anlage. Melli und mich schien sie in ihrem Max-Wahn gar nicht zu registrieren. Es war zum Mäusemelken! Jedes weibliche Wesen unter Gottes Sonne schien auf den süßen, blonden, sommersprossigen Max zu stehen. Einschließlich dieser nervigen KorkenzieherlockenSchönheit Sarah. Was mich ja nicht weiter gestört hätte, wenn ich eben nicht dummerweise auch mein Herz an ihn verloren hätte. Es machte mich ganz fuchsig, wenn sie ständig um ihn herumscharwenzelte, ihm unverhohlen seine Zeit stahl, ihn mit ihren rehbraunen, dicht bewimperten Bambiaugen fast verschlang und dabei geziert mit ihren unverschämt glänzenden Locken spielte. Wie ich das alles hasste! Ihr nicht enden wollender Schwall an Fragen! Diese penetrante Art, mit der sie pausenlos die Kamera auf ihn hielt! Dieses Gesäusel, mit dem sie ihm zentnerweise klebrigen Honig ums Maul schmierte: »Tatsächlich? Männliche Brillenpinguine sammeln für ihre Liebste Steine als Brautgeschenk … das ist ja interessant … und sooo süß von ihnen … Nein, also das habe ich vorher noch nie gehört. Woher weißt du das alles nur? … Du bist so klug … Erzähl mir mehr 11 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 11 08.07.2015 10:26:36 über die Pinguine … keiner kann so schön über Tiere erzählen wie du …« Würg. Kotz. Schleim. Sie war unerträglich hartnäckig und klebte an Max wie eine unersättliche Schmeißfliege auf einem Nutellabrot. Einfach nicht abzuschütteln. Doch damit nicht genug. Sie wollte sich nicht nur Max unter ihre perfekt manikürten Fingernägel reißen. Nein, sie wollte mit allen hier im Zoo gut Freund sein. Was ja im Grunde nicht verwerflich ist, wenn sie eine nette Person gewesen wäre. In meinen Augen war sie das aber nicht. Sie verteilte geheuchelte Komplimente, wo sie nur konnte. Bei wirklich jedem schleimte sie sich ein: Bei mir, Melli, meiner Mutter der Zoodirektorin, bei meiner kleinen Schwester Franzi, unserem Zootierarzt Dr. Kroy, dem Freund meiner Mutter, Bernd Rowalsky, bei Revierleiter Ralph Birsching, und ganz besonders bei unserem Pressesprecher Schröder, den wir wegen seines fehlenden Humors den »staubigen Keks« nannten. Schließlich wusste sie, dass sie ihn für ihre Arbeit brauchte. Ihm fehlte aber nicht nur der Humor, sondern ganz offensichtlich auch die Menschenkenntnis. Jedenfalls fiel er voll auf ihre Schleim-lieb-guck-Masche rein. Unser Keks hatte derart einen Narren an der »kleinen, forschen Journalistin«, wie er sie anerkennend nannte, gefressen, dass er sie natürlich mit den brandheißesten Neuigkeiten aus dem Zoo versorgte. So hatte sie, beziehungsweise TV Weitblick, die Geburt unseres Ameisenbär-Babys vor allen anderen Medien gezeigt – ganz exklusiv. Um nur ein Beispiel zu nennen. 12 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 12 08.07.2015 10:26:36 Sie konnte sich noch so viel Mühe geben. Ich wollte nicht mit diesem berechnenden Biest befreundet sein! Keine Frage, sie machte großartige Filme, hatte gute Ideen, wusste ihren Interviewpartnern die richtigen Fragen zu stellen und sie hatte uns bei der Sache mit dem vermissten Pünktchen sehr geholfen. Aber trotzdem konnte ich sie leiden wie Bauchweh. Eben nicht nur, weil sie mit Max so unverhohlen flirtete. Ich wusste nicht, wie ich es erklären sollte, aber irgendwie war sie nicht echt. Sie war bildhübsch, alles an ihr schien auf merkwürdige Art zu glitzern, zu strahlen und zu leuchten. Wie geschliffene Brillanten in der Sonne. Aber wenn man ganz genau hinsah, bemerkte man, dass es nur billiger Modeschmuck war und kein kostbares Geschmeide. Am liebsten hätte ich sie dorthin gewünscht, wo der Pfeffer wächst. Zu allem Übel fielen nicht nur der staubige Keks, sondern auch viele unserer Zoomitarbeiter und Tierpfleger auf sie rein und fanden sie auch noch »total nett«. Selbst meine eigene Mutter, mein eigen Fleisch und Blut, war von ihr begeistert!!! Das machte die eh schon unerträgliche Situation für mich nicht gerade leichter: »Lea, Schatz, möchtest du nicht auch etwas Zeit mit Sarah verbringen? Sie ist in deinem Alter und doch so sympathisch! Eine wirklich aufgeweckte, freundliche Person.« Nein, war sie nicht! Nein, wollte ich nicht! Ich glaube, die Einzigen, die ihre falsche Freundlichkeit durchschauten, waren Melli, ich und Revierleiter Ralph Birsching. Er nannte sie immer nur abschätzig »den falschen Fuffziger!« 13 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 13 08.07.2015 10:26:36 und machte schnell die Biege, wenn sie ihn für ihre Filme verhaften wollte. Aber ihre Schönhagen-Filme, die in regelmäßigen Abständen bei TV Weitblick ausgestrahlt wurden, lockten Besucher in den Zoo. Und die hatte der Tierpark leider immer noch bitter nötig. Meine Mutter hatte den Tierpark übernommen, da war er fast pleite, weil ihr Vorgänger Schwender mit dem Geld nur so um sich geworfen hatte. Seitdem kämpfte sie wie eine Löwin um das Überleben unseres Zoos. Melli hielt für einen Moment mit dem Zeichnen inne und musterte mich mit ihrem typischen Melli-sieht-alles-auchwenn-es-ganz-tief-in-mir-drin-verborgen-scheint-Blick. »Du machst ein Gesicht, als hätte eure Tigerdame Kimmi gerade Günni gefrühstückt.« Aber noch bevor sie fragte, was los sei, fiel ihr Blick auf Sarah, die ihrem Angebeteten Max auf Schritt und Tritt folgte, so wie Günni mir. Und ebenso wie Günni schnatterte sie auch unentwegt – hielt nicht eine Sekunde ihren Schnabel. Melli nickte wissend: »Verstehe! Frau Oberbagger hat mal wieder ihre scharfen Schaufeln ausgefahren! Tut mir echt leid. Wenn sie das mit meinem Tobi machen würde, ich schwör dir, ich würde ihr ihre schmachtenden Rehaugen auskratzen. Ich versteh das nicht. In Liebesdingen irre ich mich eigentlich nie. Ich war mir so sicher, Mr. Unwiderstehlich steht auf dich und startet bald einen Angriff.« Kopfschüttelnd wendete sie sich wieder ihrer Zeichnung zu. »Ich glaube, das hat er schon!«, sagte ich zaghaft. 14 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 14 08.07.2015 10:26:36 Mellis Kopf schnellte nach oben wie unsere Mähnenrobben aus dem Wasser, wenn es frischen Fisch gab. »Er hat was?«, fragte Melli und riss wissensdurstig ihre wunderschönen Jungs-betör-Augen auf. Ich streichelte versonnen Günnis weiches Gefieder. »Er hat einen Angriff gestartet. Glaube ich zumindest.« Dann machte ich eine feierliche Pause und sog tief die Luft ein, bevor ich weiterredete. »Max höchstpersönlich hat mich, Lea Frank, ins Kino eingeladen!« Melli ließ ihren Bleistift fallen und klatschte begeistert in die Hände. »Ha, ich wusste es. Auch wenn du es die ganze Zeit geleugnet hast, du bist in Max verliebt. Und er in dich! Ich sag doch, in Liebesdingen macht mir so schnell keiner was vor.« Dann schlang sie mir ihre feenweißen Arme so fest um den Hals, dass ich kaum noch Luft bekam: »Oh Lea, ich freue mich so für dich! Meine beste Freundin und der hübsche Max! Und ich und Tobi. Mein Gott, das wird spitze. Die beiden sind eh schon unzertrennlich und wir vier könnten dann ganz viel …« Nach Luft japsend machte ich mich von ihr frei und stoppte ihren Redeschwall. »Melli, jetzt mach mal ’nen Punkt. Er hat mich nur ins Kino eingeladen, vielleicht ist es das aber auch schon. Wer sagt denn, dass er mit mir gehen will …« Melli sah mich an, als hätte ich nicht alle Strohballen in der Scheune. »Papperlapapp. Natürlich will er das, er ist schließlich bis über beide Ohren in dich verknallt. Das sieht ein blinder Maulwurf mit Krückstock. Vertrau mir, ich sehe so 15 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 15 08.07.2015 10:26:36 was gleich. Bei deiner Mama und Bernd hatte ich auch den richtigen Riecher. Ich habe dir damals gleich gesagt, zwischen den beiden knistert es. Und heute sind sie ein glückliches Paar!« Melli warf mir einen triumphierenden Blick zu. Ich schüttelte unsicher den Kopf. »Aber was, wenn er mich einfach nur so einlädt, weil er mich nett findet … und außerdem …« Melli war jetzt nicht mehr zu bremsen. Das hier war ein klarer Fall, bei dem sie mal wieder als energischer Hilfsamor gefordert war. Lea Frank stellte sich in Herzensangelegenheiten wieder an wie der erste Mensch und Melli Jungmann musste sie sanft auf den rechten Liebespfad schubsen. »Lea, du bist jetzt dreizehn Jahre alt. Es wird Zeit, dass du etwas selbstbewusster wirst. Du bist echt das tollste Mädchen, das ich kenne. Und selbstverständlich steht der tollste Junge im Zoo auf dich. Weil du es so was von verdient hast. Die Damenwelt wird sich jetzt weinend in Trauerflor schmeißen, weil der schöne Max vom Markt ist«, zog mich Melli auf. Dann warf sie einen verächtlichen Blick rüber zu Sarah, die Max immer noch keinen Zentimeter von der Pelle rückte. »Und ich kenne eine ganz spezielle Dame, die sich wie Rumpelstilzchen in Stücke zerreißen wird, wenn sie es erfährt.« Melli kicherte ihr zartes Elfenkichern und warf sich anmutig ihre rotleuchtende Mähne über ihre zierlichen Schultern. Melli hatte so was von recht. Es waren Herbstferien, wir konnten viel Zeit miteinander im Zoo verbringen, unserem Hobby, dem Malen, frönen und uns um meine geliebten 16 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 16 08.07.2015 10:26:36 Tiere kümmern. Und ich hatte ein Date. Nicht Sarah. Ich sollte mir von dieser Kuh einfach nicht die Laune vermiesen lassen. Es war albern, auf Sarah eifersüchtig zu sein. Aber manchmal ist man albern, auch wenn man es nicht will. »Weißt du schon, was du anziehst? Wir müssen dich für deinen großen Abend aufbrezeln. Ich werde dich schminken! Das wird super …« Mich durchfuhr es heiß und kalt. Daran hatte ich bis jetzt überhaupt keinen Gedanken verschwendet. »Keine Ahnung …«, stammelte ich. Während Melli immer die neuesten und angesagtesten Klamotten trug und aussah, als sei sie gerade einer ModeWerbekampagne entsprungen, hingen in meinem Kleiderschrank nur ein paar mehr oder weniger intakte Jeans, ein paar ausgebleichte Pullover und T-Shirts und eine echt praktische Latzhose. Ich hasste es, Klamotten einzukaufen. Es langweilte mich zu Tode, von Geschäft zu Geschäft zu ziehen und mich in engen Umkleidekabinen in grellem, unvorteilhaftem Neonlicht in schlecht sitzende Kleider zu zwängen. Für Melli hingegen gab es nichts Schöneres auf der Welt, als Tausende von Kleiderständern nach einem einzigen Top zu durchforsten. Für mich war und blieb das Zeitverschwendung. In der Zeit konnte ich Ställe ausmisten, hungrige Mäuler füttern, mit Zookindern schmusen und sie aufpäppeln. Dinge, die meiner Meinung nach viel sinnvoller waren und vor allem viel mehr Spaß machten. »Schau nicht so bedröppelt!«, ermahnte mich Melli und 17 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 17 08.07.2015 10:26:36 stupste mich aufmunternd in die Seite. »Gleich heute Mittag, wenn du mit der Arbeit bei Zwatzel und Banja fertig bist, ziehen wir durch die Läden.« Ich seufzte. Es hätte so ein perfekter Tag werden können. 18 DO_9783522504652_A01_Gessler_Zuhause-im-Zoo_Koala_Inh.indd 18 08.07.2015 10:26:37