Programmheft - Musikhochschule Stuttgart

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Programmheft - Musikhochschule Stuttgart
 Frauenliebe Ein Lied‐Projekt mit Szene und Figurentheater Sonntag, 5. Januar 2014, 17 Uhr, Kammermusiksaal Dienstag, 7. Januar 2014, 19 Uhr, Kammermusiksaal Donnerstag, 23. Januar 2014, 20 Uhr, Kulturzentrum Dieselstrasse Esslingen Die Ausgangsposition dieses Abends bildet der Zyklus Frauenliebe und Leben von Robert Schumann, in dem eine junge Frau nicht nur Verliebt‐
Sein, Heirat, Schwangerschaft und Mutterschaft, sondern auch den Tod des geliebten Mannes erlebt. Adelbert von Chamisso — den französischen Revolutionswirren nach Deutschland entflohen — schrieb den Text 1830. Junge Künstlerinnen und Künstler aus zwei Kontinenten, die an den Musikhochschulen Luzern, Salzburg, Köln und Stuttgart Komposition studieren, entwickeln aus dem Kern des Projektes heraus neue musikalische und inhaltliche Gedanken, die sich dem Stoff annähern, ihn kontrastieren und neu beleuchten. Wir werden dabei erleben, wie junge internationale Künstlerinnen und Künstler von heute einem Frauenbild von 1830 aus Europa begegnen. Das Kunstlied mit seiner Besetzung von Stimme und Klavier stellt dabei für zeitgenössische Komponisten sicher eine besondere Herausforderung dar. Ist es möglich, in den Grenzen von Besetzung und Tradition wirklich Neues zu schaffen? In der Intimität des Raumes und der Darstellung scheinen Möglichkeiten verborgen. Denn noch mehr als in Oper und Konzert ist es hier möglich, sich als Sänger mit allen Facetten vokalen Reichtums — auch jenseits des Belcanto‐Tones — auszudrücken. Aber auch der sogenannte »Liedbegleiter« verlässt gewohntes Terrain. Neben der traditionellen Spielweise entlocken die Pianistin und der Pianist des Abends auch perkussiv, streichend oder zupfend dem mit unterschiedlichsten Materialien präparierten Flügel‐
Inneren neue Klänge. Studierende des 1. Jahrgangs im Studiengang Figurentheater an der Musikhochschule Stuttgart entwickeln aus Text und Musik eine weitere bildhafte Ebene, in der über die Fragmentierung und Rekonstruktion von Körpern und Objekten das immer wiederkehrende Thema menschlicher Beziehungen seinen Ausdruck findet. In der Verschränkung mit den szenisch agierenden Sängerinnen und Sängern und den Pianisten aus der Liedklasse unserer Hochschule entstehen musiktheatralische Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Realität und Surrealität. Prof. Angelika Luz 2 Programm OLE HÜBNER (*1993) 3 neue love pop‐songs (»dann aber wieder du«) (Erich Fried) show für gesangsquartett (sopran, alt, tenor, bass) mit instrument und pianisten mit kassettenrekorder (2012) song nr. 1 (»aber wieder«) Roman Melish Tenor, Viktoriia Vitrenko Melodika Roland Hagemann Klavier ROBERT SCHUMANN (1810‐1856) Frauenliebe und Leben op. 42 (Adelbert von Chamisso) Acht Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte (1840/1843) 1. Seit ich ihn gesehen (Fassung des Autographs, Juli/August 1840) Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier MARIUS SCHÖTZ (*1989) Briefe an… I. Zwischen den Kaffeehaustischen (Franz Kafka) für präpariertes Klavier und Bariton (2013) Pascal Zurek Bariton, Roland Hagemann Klavier ROBERT SCHUMANN Frauenliebe und Leben op. 42 (Adelbert von Chamisso) 2. Er, der Herrlichste von allen Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier 3
ALEXANDER L. BAUER (*1993) lunacy and its consequences für vier Frauenstimmen (2013) Teil I Semi Kim, Olga Polyakova, Viktoriia Vitrenko Sopran Armine Ghukasyan Mezzosopran DANIELA ACHERMANN (*1972) Zu gut, um wahr zu sein (Adelbert von Chamisso / Claudia Schumacher) für Frauenstimme und Klavier (2013) Viktoriia Vitrenko Sopran, Roland Hagemann Klavier MICHELE LEISIBACH (*1990) Gleich den Göttern (Sappho, Deutsch von Theodor Kock) für Mezzosopran und präpariertes Klavier (2013) Armine Ghukasyan Mezzosopran, Bohyun Kim Klavier ROBERT SCHUMANN Frauenliebe und Leben op. 42 (Adelbert von Chamisso) 3. Ich kann’s nicht fassen, nicht glauben Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier ASIJA AHMETŽANOVA (*1992) Donec gratus eram tibi (Horaz) für tiefe Frauenstimme und Klavier (2013) Armine Ghukasyan Mezzosopran, Bohyun Kim Klavier SARA WÜEST (*1977) Männerliebe für Klavier (2013) Roland Hagemann Klavier 4 STEFANIE ERNI (*1990) Frauenleben und ‐hass (Franz Kafka) für Klavier, Bariton, Frauenstimme und Musikdose (2013) Marius Schötz Bariton, Viktoriia Vitrenko Sopran und Musikdose Bohyun Kim Klavier ROBERT SCHUMANN Frauenliebe und Leben op. 42 (Adelbert von Chamisso) 4. Du Ring an meinem Finger 5. Helft mir, ihr Schwestern Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier VALENTIN OBERSON (*1986) Le senti… ment! (Valentin Oberson) für Sopran, Tenor, Bariton, Triangel und 3 Stimmgabeln (2013) Viktoriia Vitrenko Sopran, Roman Melish Tenor, Marius Schötz Bariton OLE HÜBNER 3 neue love pop‐songs (»dann aber wieder du«) (Erich Fried) song nr. 2 (»du«) song nr. 3 (»dann«) Karlīne Cīrule Sopran, Viktoriia Vitrenko Sopran und Melodika Roman Melish Tenor, Pascal Zurek Bariton Roland Hagemann Klavier ROBERT SCHUMANN Frauenliebe und Leben op. 42 (Adelbert von Chamisso) 6. Süßer Freund, du blickest mich verwundert an Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier 5
YEN‐NING CHIU (*1988) In tiefer Nacht (Yan‐Tsen‐Tsai, Deutsch von Hans Heilmann) für Tenor und Klavier (2013) Yosuke Asano Tenor, Bohyun Kim Klavier ROBERT SCHUMANN Frauenliebe und Leben op. 42 (Adelbert von Chamisso) 7. An meinem Herzen, an meiner Brust Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier ALEXANDER L. BAUER lunacy and its consequences für vier Frauenstimmen (2013) Teil II Semi Kim, Olga Polyakova, Viktoriia Vitrenko Sopran Armine Ghukasyan Mezzosopran VICTOR ALEXANDRU COLȚEA (*1986) Zori (Morgendämmerung) für 2 Soprane und 2 Klaviere (2013) Semi Kim, Olga Polyakova Sopran Roland Hagemann, Bohyun Kim Klavier Cornelis Witthoefft musikalische Leitung ROBERT SCHUMANN Frauenliebe und Leben op. 42 (Adelbert von Chamisso) 8. Nun hast du mir den ersten Schmerz getan (Fassung des Autographs, Juli/August 1840) Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier Alle Werke mit Kompositionsjahr 2013 sind Auftragskompositionen für dieses Programm und gelangen bei der Premiere am 5. Januar 2014 zur Uraufführung. 6 Komponistinnen und Komponisten: Daniela Achermann, Asija Ahmetžanova, Victor Alexandru Colțea, Stefanie Erni, Michele Leisibach, Valentin Oberson, Sara Wüest (alle: Klasse Prof. Dieter Ammann, Hochschule Luzern — Musik), Alexander L. Bauer (Klasse Univ.Prof. Mag. Christian Ofenbauer, Universität Mozarteum Salzburg) Yen‐Ning Chiu (Klasse Univ.Prof. Reinhard Febel, Universität Mozarteum Salzburg), Ole Hübner (Klasse Prof. Johannes Schöllhorn und Prof. Michael Beil, Hochschule für Musik und Tanz Köln) Marius Schötz (Klasse Michael Reudenbach, Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart) Mitwirkende: Karlīne Cīrule Sopran (Klasse Prof. Frank Wörner) Semi Kim Sopran (Klasse Prof. Turid Karlsen) Olga Polyakova Sopran (ehemals Klasse Prof. Francisco Araiza) Viktoriia Vitrenko Sopran und Einstudierung (Bauer) (Klasse Yasuko Kozaki) Armine Ghukasyan Mezzosopran (Klasse Prof. Bernhard Jaeger‐Böhm) Yosuke Asano Tenor (Klasse Master Lied Prof. Cornelis Witthoefft / Prof. Turid Karlsen) Roman Melish Tenor (als Gast) Marius Schötz Bariton (Klasse Prof. Frank Wörner) Pascal Zurek Bariton (Klasse Prof. Frank Wörner) Bohyun Kim und Roland Hagemann Klavier (Klasse Master Lied Prof. Cornelis Witthoefft) Robert Buschbacher, Anika Herzberg, Tanja Höhne, Carmen Jung, Julia Jung, Sarah Wissner Studierende des 1. Jahrgangs Figurentheater Betreuung Figurengestaltung: Sylvia Wanke Licht: Chris Beckett Künstlerische Mitarbeit: Petra Stransky Dramaturgie und musikalische Einstudierung: Prof. Angelika Luz und Prof. Cornelis Witthoefft Regie: Prof. Angelika Luz und Prof. Stephanie Rinke 7
Frauenliebe und Leben. Zur Text‐, Kompositions‐ und Aufführungsgeschichte Cornelis Witthoefft Der Begriff »Frauenliebe« ist wohl von Martin Luther in die deutsche Sprache eingeführt worden. In seiner Bibelübersetzung lässt er in 2. Sam. 1, 26 David zu Jonathan sprechen: »Deine liebe ist mir sonderlicher gewesen denn Frawenliebe ist« (Ausgabe 1545), und zu der Stelle Spr. 10, 31 (»Wem ein tugentsam weib bescheret ist, die ist viel edler, denn die köstlichsten perlen«) dichtete er als Randglosse die Verse: »Nichts liebers ist auf erden, / denn frauenlieb, wems kan werden« 1 . In der Folge scheint sich der Begriff jedoch nicht recht eingebürgert zu haben. Der für seine Zeit maßgebliche »Adelung« bezeichnet ihn Ende des 18. Jahrhunderts als »ein veraltetes Wort […], welches noch einige Mahl in der Deutschen Bibel vorkommt« und kennt ihn nun in beiden Bedeutungen, als »die Liebe gegen das weibliche Geschlecht, oder die Liebe des weiblichen gegen das männliche« 2 . Ausschließlich in letzterer Bedeutung, nun aber an prominenter Stelle als Romantitel, wurde diese Wortprägung erst Anfang des 19. Jahrhunderts wieder in der Literatur verwendet. »Ich habe mich nicht in das Gewebe trüber Widersprüche eingesponnen, die Fäden schlossen über mir zusammen; kann ich dafür, dass die Sonne hineinfiel? Soll ich sagen, das Licht sey nicht Licht, weil ich es früher nicht kannte?« Mit dieser leidenschaftlichen, selbstbewussten Rede reagiert die Protagonistin Klara in dem Roman FrauenLiebe (1818) von Caroline de la Motte Fouqué (1773‐1831) auf Widerstände gegen ihre Entscheidung, aus der Verlobung mit dem biederen Lothar zugunsten des unsteten Richard auszubrechen. Sie rechtfertigt dabei ihre Haltung mit dem Verweis auf für Frauen geltende, quasi naturgesetzliche Grundsätze: »Ehe es Menschen gab, ehe die Welt war«, argumentiert sie, »herrschte Liebe, sie bauete sich ihren stillen Heerd in der Brust der Frauen, sie sollen die heilige Flamme hüten, dahin darf die Welt nicht dringen wollen.« 3 Ihre Mutter belehrt sie darauf warnend, wohl zu unterscheiden zwischen der Liebe der Frauen und der Liebe der Männer: »Die große Hauptsache unsers Lebens, Klara, was wir so ernst und wichtig nehmen, was uns den Weg zur Seeligkeit öffnet, es ist nicht der Weg, den die Männer gehen; in ihnen gestalten sich die schönsten Gefühle anders, sie dringen nach Außen, da wollen, da sollen sie etwas, das tiefere Geheimnis des Daseyns entgehet ihnen entweder ganz, oder sie geben es frühe auf, daran viel zu rühren, weil sie alles dunkel Abziehende in der einmal erfassten Thätigkeit so leicht stöhrt.« 4 Schon zuvor, als Klara davon geschwärmt hat, »so ganz in einem in dem geliebtesten Wesen zu leben«, hat ihre »erfahrne« Freundin Wanda sie vor der Illusion bewahren wollen, ihre Sichtweise als Frau ohne Weiteres auf den Mann zu projizieren, denn »die Lebenselemente beider Geschlechter sind sehr verschieden! was für uns Gesetz wie Bedingung des Daseyns ist, ist bei den Männern nichts als fabelhafte Erinnerung eines Feenreichs, dem sie entwachsen sind. Manch einer liebkoset diese Erinnerungen und tändelt sich in ihnen bis zum spätesten Alter hinauf. Andere schließen sie wie das Stekkenpferd in die Polterkammer wüster Jünglingsspiele ein, dem Besten werden sie eine angenehme Zugabe, keinem Einzigen Quell und Zwek des Lebens!« 5 1
Karl Goedeke (Hg.), Dichtungen von D. Martin Luther, Leipzig: Brockhaus 1883, S. 145, m. Anm. 15. — Alle Zitate sind in der originalen Rechtschreibung gesetzt. 2
Johann Christoph Adelung, Grammatisch‐kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Zweyter Theil, von F‐
L, Leipzig: Breitkopf 21796, Sp. 273. 3
Caroline Baronin de la Motte Fouqué, FrauenLiebe. Ein Roman, Nürnberg: Schrag 1818, Bd. 1, S. 154. 4
ebd. S. 154f. 5
ebd., S. 76. Der Erstdruck enthält den Druckfehler »Manch eines« statt »Manch einer«. 8 Stets aufs Neue wird in diesem Roman die Handlung anhand einer zu der Zeit für naturgegeben erachteten Geschlechterdifferenz 6 reflektiert, mit der sich die Autorin bereits in der Schrift Briefe über Zweck und Richtung weiblicher Bildung (1811) theoretisch auseinandergesetzt hatte. Bedeutsam für die heute erklingenden Lieder Robert Schumanns auf Gedichte Adelbert von Chamissos wird die zitierte Charakterisierung der »Frauenliebe« durch den Umstand, dass Caroline de la Motte Fouqué, zusammen mit ihrem Ehemann Friedrich, zum engsten Freundeskreis Adelbert von Chamissos gehörte, in dem die bestimmenden Themen der Epoche lebhaft diskutiert wurden. Aufgrund der persönlichen Beziehung zwischen dem Schriftsteller und der Schriftstellerin kann es als wahrscheinlich gelten, dass Chamisso Titel und Leitidee des Romans für seinen 12 Jahre später entstandenen Gedichtzyklus Frauenliebe und Leben von Fouqué übernommen hat, möglicherweise sogar in der Absicht, gleichsam eine komprimierte lyrische Entsprechung zu ihrem annähernd 500‐
seitigen Roman zu schaffen. Während Fouqués FrauenLiebe als ein literarischer Anknüpfungspunkt für Chamissos Texte gedient haben wird, ist die Entscheidung des Dichters, in seinem neunteiligen Gedichtzyklus, nach den erwartbaren und gesellschaftlich konventionellen Stationen der ersten Begegnung, Erwählung, Verlobung, Heirat und des ersten Kindes, im achten Gedicht den Tod des Ehemanns in das Leben der jungen Frau einbrechen zu lassen, dichterischer Reflex eigenen Erlebens. In einem insgesamt von depressiven Zuständen gekennzeichneten Brief aus dem Frühjahr 1814, der resümiert »Ich welke hin Blatt für Blatt und habe keine Frucht angesetzt und treibe kein frisches Reis mehr«, berichtet der damals 33‐jährige Dichter: »Ein Freund ist mir hier vor kurzem gestorben, der mein Leben sehr erheiterte und verschönte, ein wackerer lieber Mann, an den ich späte gekommen, ein gewisser Kaufmann Müller, der mit einer schönen lieben Frau in der schönsten Ehe lebte, die […] ich je gesehen, — nun lebt auch diese junge Wittwe nach anderthalb Jahre Glück, selbst weltlich von den Worten zu dem Thun belehrt.« In einem Notizheft aus der Zeit vermerkte Chamisso dazu das Zitat »Das ist der erste Schmerz, den Du mir gemacht hast, aber der trifft« als »Viduae Caroli Mülleri ipsissima verba post illius obitum« 7 , zu Deutsch »authentische Worte der Witwe Karl Müllers nach dessen Tod« 8 . Bis in den Wortlaut der ersten Zeilen hinein hat Chamisso also 16 Jahre später in Frauenliebe und Leben die jähe Wende seines Zyklus nach einer wahren, selbst erlebten Begebenheit gestaltet. Auch bei Robert Schumann Entschluss, diesen Zyklus in Musik zu setzen, griffen unmittelbares Erleben und Schaffensprozess ineinander 9 : Skizzen und erste Niederschrift dieser Lieder gehen parallel mit den Vorbereitungen der Hochzeit mit Clara Wieck, die nach langer, nun gewonnener juristischer Auseinandersetzung am 12. September 1840, einen Tag vor Claras 21. Geburtstag, endlich vollzogen werden konnte. Wie durch die Datierung im Notentext und die Eintragung im Haushaltbuch dokumentiert, begann Schumann am 11. Juli 1840 mit der Komposition; am Tag 6
vgl. hierzu ausführlich den folgenden Artikel »Frauenliebe und Leben«. Zum Frauenbild des Biedermeier von Lea Roller, S. 17‐20. 7
Adelbert von Chamisso, Brief an Louis de La Foye vom Frühjahr 1814, in: Julius Eduard Hitzig (Hg.), Leben und Briefe von Adelbert von Chamisso, erster Teil, Berlin: Weidmann 51864 [Adelbert von Chamisso’s Werke, 5. vermehrte Auflage, Bd. 5], S. 388. 8
Adelbert von Chamisso, Sämtliche Werke in zwei Bänden, München: Winkler 1975, Bd. 1, S. 799. 9
»Es ist bei Schumann nicht oft der Fall, daß das Schaffen eines Kunstwerkes direkt durch äußere Lebensumstände veranlaßt wird. Der Liederzyklus Frauenliebe und Leben op. 42 aber scheint unmittelbare Resonanz der Gemütsbewegung des Komponisten zu sein.« (Kazuko Ozawa, Frauenliebe und Leben. Acht Lieder nach Adelbert von Chamisso für eine Singstimme und Klavier op. 42, in: Helmut Loos (Hg.), Robert Schumann. Interpretationen seiner Werke, Bd. 1, Laaber: Laaber 2005, S. 274‐280; 274). 9
zuvor hatte das junge Paar damit begonnen, sich »sehr fröhlich u. guter Dinge« 10 eine gemeinsame Wohnung zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt war Chamissos Frauenliebe und Leben in Deutschland schon lange literarisches und auch komponiertes Allgemeingut; viel zitiert ist die bereits 1832 geäußerte, enthusiastische Einschätzung des Dichters selbst: »Das Volk singt meine Lieder, man singt sie in den Salons, die Componisten reißen sich danach, die Jungen deklamieren sie in den Schulen, mein Portrait erscheint nach Goethe, Tieck und Schlegel, als das vierte in der Reihe der gleichzeitigen deutschen Dichter, und schöne junge Damen drücken mir fromm die Hand, oder schneiden mir Haarlocken ab.« 11 Im selben Jahr prophezeite ein ungenannter Rezensent, dass »jeder Jünger Eratos 12 , hat er die Gedichte erst einmal zur Hand, sogleich damit beginnen wird, diesen poetischen Kranz mit seinen musikalischen Blüten zu zieren.« 13 Und bereits sechs Jahre später stellte ein Rezensent, der die Gedichte gleichfalls für »wohl geeignet« hielt, »zur musikalischen Bearbeitung anzuregen«, bei der Besprechung der Vertonung von Carl Loewe (1796‐1869) fest: »Uns sind bereits fünf oder sechs Compositionen dieses herrlichen Liederkranzes bekannt« 14 . Während im heutigen Programm elf neue Kompositionen im Wechsel mit Schumanns Liedern diese neu beleuchten werden, mögen im Folgenden, quasi spiegelbildlich, kurzgefasste Bemerkungen zu zwei ausgewählten Vertonungen des Zyklus vor Schumann im historischen Rückblick die Eigenart von dessen Auffassung erhellen. Chamissos Frauenliebe und Leben umfasst neun Gedichte. Obwohl Loewe im September 1836 sämtliche Gedichte komponierte, entschied er sich bei der Veröffentlichung, die Reihe mit dem gekürzten Titel Frauenliebe und der Gattungsbezeichnung »Liederkranz« mit dem siebten Lied, dem Mutterglück, abzuschließen und damit bewusst eine Harmonisierung des narrativen Verlaufs und des Gesamtbilds vorzunehmen. Eine Sonderstellung nimmt seine Vertonung auch durch die Komposition für die Altstimme ein. Schumann hat Loewes Version mit Sicherheit gekannt; sie wurde im November 1837 in der von ihm herausgegebenen Neuen Zeitschrift für Musik von Oswald Lorenz, dem späteren Widmungsträger seiner eigenen Vertonung op. 42, positiv im Hinblick auf die »tiefpoetisch[e] Auffassung und vollendet[e] Ausführung« besprochen 15 . Es ist gut denkbar, dass Schumann seine eigene dramaturgische Konzeption derjenigen des seinerzeit berühmteren, älteren Kollegen ausdrücklich entgegensetzen wollte; eine anonyme Notiz in seiner Zeitung anlässlich der Trauerfeier für den am 21. August 1838 verstorbenen Chamisso enthält, trotz Lorenz’ anerkennender Loewe‐Rezension, geradezu eine Aufforderung zur Neukomposition: »Chamissos herrlicher Liederkranz ›Frauenliebe und Leben‹ bietet immer noch eine schöne Aufgabe für einen Gesangscomponisten, da diese Gedichte unsers Wissens noch nie recht erschöpfend in Musik gesetzt worden sind.« 16 10
Gerd Nauhaus (Hg.), Robert Schumann, Tagebücher, Bd. III: Haushaltbücher. Teil 1, 1837‐1847, Frankfurt a. M.: Stroemfeld / Roter Stern 1982, S. 155 (Eintragungen vom 10. und 11. Juli 1840). 11
Adelbert von Chamisso, Brief an Louis de La Foye vom 2. Juni 1832, in: Julius Eduard Hitzig (Hg.), Leben und Briefe von Adelbert von Chamisso, zweiter Teil, Berlin: Weidmann 51864 [Adelbert von Chamisso’s Werke, 5. vermehrte Auflage, Bd. 6], S. 231. 12
Erato ist eine der neun Musen der griechischen Mythologie, der Liebeslyrik und dem Gesang zugeordnet. 13
Blätter für Haus und Salon 2 (1832), S. 67, zit. n.: Heinrich W. Schwab, Carl Loewes Vertonung von Adelbert von Chamissos Gedichtzyklus »Frauenliebe und Leben«.[…], in: Konstanze Musketa (Hg.), Carl Loewe 1796‐1869: Bericht über die wissenschaftliche Konferenz anläßlich seines 200. Geburtstages […], Halle a. d. S. 1997, S. 15‐51; 15. 14
H—*, Erschienene Compositionen und Werke über Musik [Rezension zu Carl Loewe, Frauenliebe op. 60], in: Hamburger Musikalische Zeitung 3 (1838), Nr. 3 vom 17. Januar 1838, Sp. 23. 15
Neue Zeitschrift für Musik 4 (1837), Nr. 36 vom 3. November 1837, S. 142. 16
Neue Zeitschrift für Musik 5 (1838), Nr. 22 vom 14. September 1838, S. 90. 10 Besonders bemerkenswert ist für die musikalische Rezeptionsgeschichte dieses Zyklus, dass dessen Erstveröffentlichung in Buchform zuerst im Rahmen einer Vertonung im Notendruck erschien, nämlich als »Musikalischer Anhang« des 1830 veröffentlichten Skizzenbuchs von Franz Kugler 17 (s. Abb. 1 u. 2). Kugler (1808‐1858), ein Zeitgenosse Robert Schumanns, Kunstgeschichtler, Maler, Dichter und Komponist in einer Person, und als Dichter u. a. von Carl Loewe18 und Johannes Brahms vertont, war mit dem fast 30 Jahre älteren Adelbert von Chamisso (1781‐1838) persönlich befreundet und erhielt von diesem die kurz zuvor entstandenen Gedichte offensichtlich persönlich und noch handschriftlich zur Vertonung. Kugler, der sämtliche neun Gedichte in Musik setzte, vergalt es dem Dichter, indem er ihm sein Skizzenbuch, ein Gesamtkunstwerk aus Gedichten, Illustrationen und Liedern, zueignete und ihn in dem Widmungsgedicht mit Zeilen pries wie »Du bist mit den verborgnen Falten / Des Menschenherzens wohl vertraut« und »In Deinen Liedern spricht lebendig / Der Mensch in seiner Menschlichkeit« 19 . Abb. 2: Franz Kugler, Skizzenbuch, Berlin: Reimer 1830, Zwischentitel nach S. 168, Ausschnitt. Abb. 1: Franz Kugler, Skizzenbuch, Berlin: Reimer 1830, Titelblatt 17
Franz Kugler, Skizzenbuch, Berlin: Reimer 1830. Kuglers Skizzenbuch erschien im selben Jahr wie die Veröffentlichung von Frauenliebe und Leben im Musenalmanach auf das Jahr 1831 (August 1830). 18
Als dessen ehemaliger Kompositionsschüler machte Kugler Loewe womöglich auf diesen Stoff aufmerksam. 19
wie Anm. 17, S. 3f. 11
Die Lieder Kuglers zeichnen sich »durch ungemeine Einfachheit und Schlichtheit in Melodie und Harmonie aus und gewinnen dadurch den Charakter des Volkstümlichen« 20 , orientieren sich also stilistisch an den ästhetischen Vorgaben der sog. Berliner Liederschule, die bis auf das Jahr 1753 zurückgeht, im dem Christian Gottfried Krause in der Schrift Von der musikalischen Poesie erstmals die für das Lied seither von konservativer Seite für elementar erachteten Eigenschaften der schlichten Sangbarkeit, Popularität und Strophigkeit forderte, und stellen von daher ein Beispiel für den Umstand dar, dass auch um 1830 noch für den Typus des Liedes ›beym Clavier zu singen‹ komponiert wurde. »Man hört sie nicht in den Salons«, heißt es in einer Würdigung von Kuglers Liedern aus dem Jahr 1867, »aber wer Hausmusik liebt, der singt sie.«21 Kuglers Strophenlieder nehmen, so schlicht sie auch strukturiert sind, in ihrem eindeutig zugeordneten Affektgehalt zum Teil schon die zehn Jahre späteren Vertonungen Schumanns voraus. Ob Schumann Kuglers Lieder kannte, lässt sich nicht mehr feststellen; auffallend ist aber etwa, dass beide Komponisten für das Verlobungslied »Du Ring an meinem Finger« denselben, im Klavier unisono mit der Singstimme geführten Liedtypus wählen 22 und mit einem identischen Melodieverlauf zu den Worten »Du Ring« anheben lassen. Ein Vergleich beider Vertonungen kann beispielhaft den hohen Reflexionsgrad der Komposition Schumanns zeigen. Während Kugler sich auf eine nur stützende Begleitformel in den Grundharmonien I und V beschränkt und die zweite Zeile zur Tonika zurückführt (s. Notenbeispiel 1), Notenbeispiel 1: Franz Kugler, Frauen Liebe und Leben (1830), Beginn von Nr. 4 sind Schumanns kompositorische Mittel, bei aller Ähnlichkeit der Lieder, avancierter, und zwar im Dienste der Textdeutung: er führt eine kontrapunktische Mittelstimme ein, moduliert schon im dritten Takt in die dritte Stufe nach Moll und führt dort in Singstimme und Bass ein chromatisch fallendes Lamento‐Motiv ein, in dem, wie öfters in dem Zyklus, zugleich die unruhvolle Zeit des Wartens der jungen Frau auf diesen Augenblick noch nach‐ und das schmerzliche Ende bereits anklingt (s. Notenbeispiel 2). 20
Leopold Hirschberg, Franz Kugler als Liedkomponist, in: Die Musik 2 (1903), H. 8, S. 106‐116; 107. Friedrich Eggers, Franz Theodor Kugler. Eine Lebensskizze, in: Franz Kugler’s Handbuch der Geschichte der Malerei, […], Bd. 1, Leipzig: Duncker & Humblot 31867, S. 3‐34; 24. — 1853 erschien in dem Stuttgarter Verlag Ebner und Seubert diese erste Vertonung von Frauenliebe und Leben erneut innerhalb der fünfbändigen Ausgabe der Liederhefte Kuglers mit Porträts des Dichters aus der Feder des Komponisten. 22
Louis Ehlert spricht im Vorwort einer 1862 erschienenen »Pracht‐Ausgabe« von Frauenliebe und Leben bei Schumann von einem »Anflug altdeutschen Colorits« (Frauenliebe und Leben. Dichtung von A. von Chamisso. Musik von Rob. Schumann. Mit einem Vorwort von L. Ehlert, Leipzig: Gustav Heinze 1862, S. V). 21
12 Notenbeispiel 2: Robert Schumann, Frauenliebe und Leben (1840/43), Beginn von Nr. 4 Bemerkenswert ist Kuglers Strategie für die zyklische Rundung seines Liederkreises. Im neunten, abschließenden Gedicht (»Traum der eignen Tage, / Die nun ferne sind«) blickt die Protagonistin als gealterte Frau auf ihr Leben zurück und erteilt ihrer Enkeltochter in deren Brautzeit schließlich den »Segensspruch«: »Muß das Herz dir brechen, / Bleibe fest dein Muth, / Sei der Schmerz der Liebe / Dann dein höchstes Gut.« Den Rückblick der Witwe verwirklicht Kugler musikalisch, indem das letzte Lied als Variation des ersten auf dieses zurückverweist (s. Notenbeispiele 3 u. 4). Notenbeispiel 3: Franz Kugler, Frauen Liebe und Leben (1830), Beginn von Nr. 1, Singstimme Notenbeispiel 4: Franz Kugler, Frauen Liebe und Leben (1830), Beginn von Nr. 9, Singstimme Schumann verfährt analog, jedoch ästhetisch sublimer: Anstelle der Vertonung des neunten Gedichts, in dem Erinnerung sprachlich artikuliert ist (»Bin wie du, gewesen / Jung und wonnereich, / Liebte, wie du liebest, / Ward, wie du, auch Braut«) lässt er zum Beschluss des achten Lieds, nach einer entrückenden Modulation von A‐ nach B‐Dur, der Tonart des Beginns, das eröffnende Lied nochmals erklingen, jedoch nur vom Klavier vorgetragen. Chamissos »Schmerz der Liebe« wird so zu wortloser Musik; diese »fungiert als letzte Rettung angesichts der Sprachlosigkeit des Schmerzes« (Susanne Kogler). Jedoch: »Da nun auch das Fehlen der gleichsam in der Abwesenheit anwesenden Stimme Klang geworden ist, ist die Musik nicht mehr dieselbe wie zu Beginn. An die Stelle von Ungewissheit und Schrecken tritt nun das Bewußtsein der Verlorenheit des damaligen Augenblicks. […] Die ehemalige Sprachlosigkeit angesichts eines überwältigenden Ereignisses ist zur Stummheit angesichts des Todes geworden. Geblieben ist das Klangbild des Tastens, der ziellosen Anfangs‐ und Schlussformeln, das Schweben der Klänge […].« 23 (s. Notenbeispiele 5 u. 6) 23
Susanne Kogler, Momente der Sprachlosigkeit. Zu Robert Schumanns Chamisso‐Zyklus »Frauenliebe und Leben« op. 42 und Wolfgang Rihms Günderrode‐Liedern »Das Rot« (1990), in: Otto Kolleritsch (Hg.), »O Wort, du Wort, das mir fehlt!“. Zur Verwobenheit von Klang und Denken in der Musik, Wien / Graz: Universal Edition 1999 [Studien zur Wertungsforschung; Bd. 36], S. 230‐251; 237. 13
Notenbeispiel 5: Robert Schumann, Frauenliebe und Leben, Beginn von Nr. 1 (Fassung des Autographs) Notenbeispiel 6: Robert Schumann, Frauenliebe und Leben, Nr. 8, Beginn des Klaviernachspiels (Fassung des Autographs) Bei diesen zyklischen Formkonzeptionen erscheint eine direkte Beeinflussung Schumanns durch Kugler unwahrscheinlich; vielmehr folgten beide Komponisten, je auf ihre Art, jenem Verfahren, das seit Beethovens An die ferne Geliebte op. 98 (1816) gebot, »gegen das Ende, eben wie beym Dichter«, das »erste Lied selbst wieder anklingen« zu lassen, um »das Ganze, als einen wahrhaften Lieder‐Kreis, vollkommen befriedigend« abzuschließen, wie es der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung als hervorragendes Merkmal dieses epochemachenden Liederzyklus hervorgehoben hatte 24 . Eigenartigerweise und aus unbekannten Gründen hat Schumann bei der Veröffentlichung von Frauenliebe und Leben, drei Jahre nach der Komposition, die Gattung des Zyklus, die sich durch die an Beethovens op. 98 anschließende Reprisenform so überdeutlich ausprägt, nicht eigens im Titel hervorgehoben. Während das Werk dort lediglich als »Acht Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte« bezeichnet wird (s. Abb. 3), 24
Allgemeine musikalische Zeitung 19 (1817), Nr. 4 vom 22. Januar 1817, Sp. 75; Hervorhebung original. 14 Abb. 4: Robert Schumann, Frauenliebe und Leben, Titel in der autographen Niederschrift, Staatsbibliothek zu Berlin, Sign. Mus. ms. autogr. R. Schumann 16, 2; S. 112.
Abb. 3: Robert Schumann, Frauenliebe und Leben, Erstdruck Leipzig: Whistling 1843 25 lautet der Untertitel in der ersten Niederschrift 26 unmissverständlich »Cÿclus in acht Liedern« (s. Abb. 4) 27 . Diese, mit etlichen eigenhändigen Korrekturen versehene erste Niederschrift enthält eine Vielzahl von musikalischen Formulierungen, harmonischen Wendungen, textlichen Deklamationen sowie formale Konzepte, die jenen in der veröffentlichten, in diesen Hinsichten geglätteten Version überlegen scheinen. Das erste und das letzte Lied von Frauenliebe und Leben in ihrer Gesamtheit sowie ausgewählte Einzelstellen in den übrigen Liedern werden daher, entgegen (vielleicht allzu) vertrauten Hörwartungen, an dem heutigen Abend der Uraufführungen in der Fassung dieses Autographs zu hören sein. 25
Der Erstdruck enthält, wie öfters damals und heute, beim Vornamen des Dichters die Fehlschreibung »Adalbert« statt »Adelbert«. 26
Staatsbibliothek zu Berlin, Sign. Mus. ms. autogr. R. Schumann 16, 2; S. 112‐130. 27
Offensichtlich stand also für Schumann von vorn herein auch die Auslassung des neunten Gedichts fest. Noch anlässlich der Revision von Frauenliebe und Leben 1843 spricht Schumann im Haushaltbuch von »Liederkreis« (»den Chamisso’schen Liederkreis in Ordnung gebracht«) (Robert Schumann, Tagebücher, Bd. III (wie Anm. 10), S. 250, Eintragung vom 7. Mai 1843). 15
Der Rückblick auf Franz Kuglers Kompositionen hat gezeigt, dass der soziale Ort dieser vertonten Chamisso‐Gedichte zunächst der intime, nicht öffentliche Bereich des Hauses war. Doch auch noch nach Schumanns Tod, 1856, wurden auch dessen Vertonungen der Hausmusik zugewiesen. 1861 riet der 17‐jährige Friedrich Nietzsche, der sich zu dieser Zeit der Komposition seiner ersten Klavierlieder zuwandte, seiner Schwester Elisabeth, sich doch eine Ausgabe dieses Zyklus von den Eltern zu Weihnachten schenken zu lassen, denn Frauenliebe und Leben hielt er für Schumanns »schönst[e] Lieder überhaupt« und für seine 15‐jährige Schwester »sehr passend« 28 . Offensichtlich wurde das Klavierlied von dem Mädchen damals noch singend und Klavier spielend zugleich gepflegt, denn Nietzsche spricht nicht davon, dass er seine Schwester zu den Liedern ›begleiten‹ wolle. Als ein Jahr später eine »Pracht‐Ausgabe« des Zyklus erschien 29 , meinte ein Kritiker, sie dürfte wegen der »glänzenden Ausstattung« und des »bequemen […] Formates […] besonders Sängerinnen beim Liedervortrage in engeren und weiteren Kreisen willkommen sein«, und empfahl sie als »geschmackvolles Damengeschenk«. 30 Dass noch Mitte des 19. Jahrhunderts das häusliche Singen ›beym Clavier‹ gängige Praxis war, bestätigt auch eine Bemerkung im Vorwort dieser Neuausgabe. Louis Ehlert sieht sich dort bei der pianistisch anspruchsvollen Nr. 5 des Zyklus zu dem Rat veranlasst: »Der Sänger spiele es nicht selbst. Wie viele unserer schönsten Lieder würden zu ewigem Schweigen verurtheilt sein, kämen den Sängern nicht solche Klavierspieler zu Hülfe, welche an andere Aufgaben als die selig entschlafenen Guitarrenpassagen gewöhnt sind.« 31 Die Frage, ob Frauenliebe und Leben lieber in »engeren« oder »weiteren Kreisen« vorgetragen werden sollte, erregte noch lange die Gemüter. Ein Rezensent formulierte 1879, anlässlich einer Leipziger Aufführung, das Dilemma so: »Diese Lieder […] sind fast zu schön für den Concertvortrag, und doch möchte man andererseits wieder, dass die ganze Welt zuhöre und Theil habe an diesem seelischen Hochgenusse.« 32 Ein anderer Kritiker wollte, bei einer Hamburger Aufführung, zumindest die Stationen Schwangerschaft, Stillen des Kindes und Tod des Ehemannes (Nr. 6 bis 8) von der Bühne verbannt sehen; er hielt entschieden dafür, »dass nur Nr. 1 bis 5 dieser Lieder für den Concertsaal sich eignen, und dass, wenn der Rest der Hausmusik überlassen wird, die Sängerin im Concert ihren Zuhörern einen noch größeren Reichthum musikalischer Ausdrucksweisen vorführen kann. Serien und Reihenfolgen mag man componiren, nur nicht im Concert vortragen.« 33 Und bereits 1869 fragte ein Leipziger Rezensent: »Sind diese Lieder für den Konzertsaal? kann eine Künstlerin diese innigsten und heiligsten Mysterien der Frauenliebe zu Gatten und Kind vor einem grossen Publikum mit vollem Vertrauen singen? wird sie nicht immer die Empfindung haben, dass sich selbst die künstlerisch vollendetste Schilderung des innersten weiblichen Gemüthslebens in seiner Jungfräulichkeit entweder, dramatisch, auf der Bühne nur darstellen lässt, wo die selbständige gesonderte Erscheinungswelt und die Situation das rechtfertigt, oder aber in die engen und verschwiegenen Räume des Hauses sich flüchten muss?« 34 Die musiktheatralische Darbietung von Liedern, wie sie in diesem Programm mit Schumanns Frauenliebe und Leben im Kontext zeitgenössischer Lieder erprobt werden soll, lag damals noch jenseits der Vorstellungskraft. 28
Friedrich Nietzsche, Brief an Elisabeth Nietzsche von Ende November 1861, in: Giorgio Colli und Mazzino Montinari (Hg.), Friedrich Nietzsche, Briefe, Kritische Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 1, Berlin und New York 1974, S. 187. Nietzsche fügte hinzu: »Der Text ist gleichfalls wunderschön.« (ebd.) 29
wie Anm. 22; Anzeige in: Signale für die musikalische Welt 23 (1865), Nr. 23 vom 8. Dezember 1865, S. 955. 30
Neue Zeitschrift für Musik 29 (1862), Nr. 9 vom 29. August 1862, S. 80. 31
wie Anm. 22, S. V. 32
Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 14 (1879), Nr. 6 vom 5. Februar 1879, Sp. 93. 33
Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 13 (1878), Nr. 2 vom 9. Januar 1878, Sp. 29. 34
Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 4 (1869), Nr. 12 vom 24. März 1869, S. 93. 16 Frauenliebe und Leben. Zum Frauenbild des Biedermeier Lea Roller »Wer schreibt einen neuen Text zu Schumanns op. 42?« Diese provokative Frage stellt Marius Flothuis 1975 in der Maiausgabe der Zeitschrift Musica 1 . Aber warum eigentlich? Sind es nicht ehrliche Liebesbekundungen, die die weibliche Protagonistin ihrem Geliebten singt? Ist das nicht wahre romantische Liebe, wenn die Liebende erst im Geliebten ihre Erfüllung findet? Dieser Standpunkt wird bezüglich des Zyklus Frauenliebe und Leben auf die Lyrik von Adelbert von Chamisso von 1830 nur noch selten bezogen, eine Entwicklung, die vor allem in der Reflexion des Frauenbildes des 19. Jahrhunderts begründet ist — einer Zeit, in der Frauen des Bürgertums nichts anderes übrig blieb, als ihre Erfüllung in der Ehe zu finden. Dieses Frauenbild war zunächst von einer Entwicklung geprägt, die, anstatt von nur einem Geschlecht auszugehen – dem Mann und einem unvollständigen Mann —, nun zwei Geschlechter anerkannte — den Mann und die Frau. Mit dieser Entwicklung einher gingen vor allem auch biologische Erkenntnisse bezüglich der Geschlechter, die sich aber schnell in geschlechtsspezifische Eigenschaften und Bereiche verkehrten. Dabei entstand die Idee zweier getrennter, komplementärer Sphären, die den naturbedingten unterschiedlichen Charaktereigenschaften, Bedürfnissen und Fähigkeiten von Männern und Frauen — für beide einschränkend und unterdrückend — gerecht werden sollten. Kurz: »Dem Mann der Staat, der Frau die Familie.« 2 Dem Manne also, der für Stärke, Rationalität, Entscheidungskraft, aber auch Triebhaftigkeit stand, kam der öffentliche Bereich zu, der schwächeren, irrationalen, unselbstständigen, emotionaleren und reinen Frau hingegen die private, häusliche Sphäre. Denn sie ist »mehr geeignet für das innere Leben, das Leben des Gefühls und des Herzens, als für das äußere, mehr für die stillen und sanften Tugenden, die Andere beglücken, als für glänzende und heroische Thaten, die die Welt in Erstaunen setzen, mehr zum Gefallen als zum Beherrschen, mehr für die Gewalt des Herzens als für die des Verstandes; durch alles dieses aber vorzüglich empfänglich für die Himmelstugenden: Liebe, Glaube, Hoffnung und Treue.« 3 Die Frau wurde zum reinen, häuslichen Engel stilisiert, der mit Herzenswärme und dem Talent der selbstlosen Fürsorge gesegnet ist — ein Wesen, das seine Erfüllung nur über andere erreichen kann: durch die Sorge für Ehemann, Haushalt und Kind. In diesem Sinne erreicht auch die Protagonistin in Adelbert von Chamissos Texten, die Robert Schumann 1840 in op. 42 vertonte, nicht nur Erfüllung durch Ehe und Fürsorge, vielmehr noch — und das ist wohl der wirklich kritische Punkt — beginnt nicht nur die »Frauenliebe«, sondern das »Frauenleben« mit dem Auftritt des künftigen Ehemanns, verstärkt durch die endgültige Verabschiedung der kindlichen Freundinnen, und endet mit dessen Tod. Zu bedenken ist hier, dass der Titel des Zyklus eigentlich Frauenliebe und Leben (nicht Frauenliebe und ‐leben) hieß und somit nicht zwangsläufig die einzig relevanten Stationen eines gesamten »Frauenlebens« dokumentieren will, sondern möglicherweise die unterschiedlichen Zustände von Liebe. Eine Deutung, die sicherlich auch in Bezug auf den emotionalen Ausdrucksgehalt von Schumanns Kompositionen in Betracht gezogen werden kann. Trotz allem bleibt in Anbetracht des passiv‐devoten Frauenbildes 1
Marius Flothuis, Musik und Realität oder Wer schreibt einen neuen Text zu Schumanns op. 42?, in: Musica 29 (1975), H. 3, S. 213‐215. 2
Artikel »Frauenfrage«, in: Meyers Konversations‐Lexikon, 5. Auflage, Bd. 6, Leipzig / Wien: Bibliographisches Institut 1894, S. 822. 3
Friedrich August von Ammon (Hg.), Darwin’s und Hufeland’s Anleitung zur physischen und moralischen Erziehung des weiblichen Geschlechtes, zweite deutsche neu bearbeitete Auflage, Leipzig: Brockhaus 1852, S. 2. 17 der Zeit, das sich eben auch im Text widerspiegelt, die Beschränkung der Frau auf Ehemann und Ehe bestehen. Vielmehr scheint der eigentliche Protagonist des Zyklus nicht die Ich‐Erzählerin, sondern der Ehemann zu sein, an dessen Auftreten, Verhalten und Ableben diese sich orientiert. So ist unter diesem Gesichtspunkt die Bekundung, dem Geliebten zu dienen, die »niedre Magd« 4 des »Herrlichsten« 5 , des »hohen Sternes« 6 , der »Sonne« 7 zu sein, schwerlich einzig im Sinne einer romantischen Liebeserklärung zu werten. »Ich will ihm dienen, ihm leben, Ihm angehören ganz, Hin selber mich geben und finden Verklärt mich in seinem Glanz.«8 In der Lyrik Chamissos stecken kaum die Emotionen einer Frau, sondern vielmehr die Ideen eines Mannes von den Emotionen einer Frau und ihrem Leben, ganz im Sinne des Frauenbildes der Zeit. Dadurch wird das Bild der Unterordnung in Fürsorge und selbstloser Hingabe für die Ehe bekräftigt. Die Texte des Zyklus bestärken somit die klar und vermeintlich naturgegebenen Tugenden einer Frau, denn jedes abweichende Verhalten wurde als potenziell krankhaft und pathologisch angesehen — ein Vorbote der sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts noch etablierenden, vornehmlich weiblichen Nervenkrankheit der Hysterie, unter deren Deckmäntelchen untugendhaftes Verhalten, schöpferische Fantasie und Kreativität sowie der Wunsch nach sexueller Befriedigung genauso erdrückt wie kuriert werden sollte. Denn insbesondere weibliche Sexualität war stark tabuisiert: die tugendhafte Frau war engelsgleich rein, eine liebende Bürgersfrau, die mit Triebhaftigkeit rein gar nichts gemein hat. Weibliche Sexualität war, wenn überhaupt, dann passiv (und falls doch nicht, dann pathologisch), wobei als einziger natürlicher Beruf der Frau die Fortpflanzung angesehen wurde. Diese Erfüllung weiblicher Pflichten, die kaum mit einer sexuellen Handlung konnotiert ist, spiegelt sich auch in den Texten der beiden Lieder »Süßer Freund, du blickest« und »An meinem Herzen, an meiner Brust« wider, in denen die Protagonistin durch Schwangerschaft und Geburt erst die wahre Höhe der weiblichen Erfüllung erreicht. Diese Idealvorstellung von Ehe und Familie als eigentlich einzig akzeptiertem weiblichem Lebensentwurf verdeutlicht sich besonders in zwei Gegenkonzepten und den Reaktionen darauf: zum einen die unverheiratete und somit unglückliche Frau, die ihrer Berufung der fürsorglichen Mutter und Ehefrau zum eigenen Leidwesen nicht nachkommen kann, und zum anderen die verruchte, selbstdarstellerische, möglicherweise gar erotische, potenzielle femme fatale, häufig in Form einer sich unschicklicherweise selbst ausdrückenden und somit in die eigentlich Männern vorbehaltene öffentliche Sphäre vordringenden Künstlerin. Als Beispiel für ersteres lässt sich die Göttinger Bürgerstochter Julie Pott (1802‐1840) wählen, die unverheiratet und kinderlos blieb und ihre mitunter auf diesen Sachverhalt bezogene Melancholie in zahlreichen Briefen an Familienmitglieder belegte. Ihr Leben, das eben nicht durch die gesellschaftlich vorgesehene Rolle der Ehefrau und Mutter erfüllt war, galt als Problemsituation, die Julie Pott erkennt, aber als Vorwurf gegen die Gesellschaft richtet. Pott stellt somit nicht — wie damals üblich — sich selbst, die unerfüllte »alte« Jungfer, sondern die Gesellschaft als krank dar, 4
Nr. 2, »Er, der Herrlichste von allen«, in: Adelbert von Chamisso, Sämtliche Werke in zwei Bänden, München: Winkler 1975, Bd. 1, S. 150. 5
ebd., S. 149, Rechtschreibung des Originals: »der herrlichste«. 6
ebd., S. 150. 7
Nr. 5, »Helft mir, ihr Schwestern«, ebd., S. 152. 8
Nr. 4, »Du Ring an meinem Finger«, ebd., S. 151. Die Originallesart bei Chamisso lautet: »Ich werd ihm dienen«. 18 doch eben diese scharfzüngige Kritik sowie ihre melancholisch verdrossene Flucht in Isolation und häusliche Arbeit gelten als Symptome für und bestätigen somit ihre krankhafte Unerfülltheit 9 . Julie Potts Fall zeigt, dass ihr untypischer Lebenswandel, unabhängig von ihrer eigenen Haltung, zwangsläufig als krankhaft ausgelegt wurde. Somit wird auch Pott, die dem Frauenbild nicht entspricht, in exakt dieses Frauenbild gezwängt und ihre Kritik sowie sie selbst als traurige Konsequenz des Abweichens gedeutet. Als Beispiel für die untugendhafte öffentliche Frau, wie beispielsweise die Künstlerin, kann die Sängerin Wilhelmine Schröder‐Devrient (1804‐1860) gesehen werden. Schröder‐Devrient gilt als eine der größten und vor allem leidenschaftlich dramatischen Sängerinnen ihrer Zeit. Unter den Verehrern ihrer Kunst finden sich nicht nur Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber und Richard Wagner, der sie als Prototyp für seinen deutschen dramatischen Gesang wählte, sondern auch Robert Schumann, der ihr seinen Zyklus Dichterliebe op. 48 widmete. Interessant hierbei ist, dass dieser heute meist von einem Mann interpretierte Zyklus nicht die einzige männlich konnotierte Partie für Schröder‐Devrient ist. Sie verkörperte die Rolle des Romeo in Bellinis I Capuleti e i Montecchi, für die Schröder‐Devrient nach eigener Aussage in eine für eine Frau durchaus unschickliche Haltung schlüpfen musste: »die Künstlerin hat daher die ungeheuere Aufgabe, ihr Geschlecht vergessen zu machen und in Haltung, Bewegung, Stellung einen feurigen, von der ersten Liebesglut durchdrungenen Jüngling darzustellen. Nichts darf ihr Geschlecht verrathen« 10 . Wagner schrieb nicht nur die Hosenrolle des Adriano in Rienzi für sie, sondern auch die Venus in Tannhäuser, die Verkörperung von Sinnlichkeit und Erotik. So spricht Wagner von der »dämonische[n] Wärme«, die Schröder‐Devrients »menschlich‐ekstatische Leistung« ausströme11 . In diesem Sinne wurde Schröder‐Devrient nicht nur für ihre Kunst verehrt: sie war drei Mal verheiratet, zwei Ehen wurden geschieden, eine davon wegen Schröder‐Devrients Ehebruch, sie führte mehrere illegitime Beziehungen und mit der posthumen, allerdings fälschlichen Zuschreibung der Autorschaft des erotisch‐pornographischen Romans Aus den Memoiren einer Sängerin dürfte das bisherige Frauenbild vollkommen ad absurdum geführt wirken. Doch im Grunde bestätigt Schröder‐Devrients Reputation dieses Frauenbild erneut, denn die hemmungslose, egoistische, verantwortungslose und »dämonische« Schröder‐Devrient bewegt sich gänzlich abseits moralisch‐bürgerlicher Werte und gefährdet und verführt dadurch zugleich das Patriarchat, ist aber gesellschaftlich auch ohne weiteres als ehrlos abzutun. Schließlich, so lässt sich aus diversen zeitgenössischen Darstellungen ablesen, wollte sie nicht nur nicht auf sexuelle Erfüllung verzichten, sondern zeigte auch die Bereitschaft, ihre Bedürfnisse in für damalige Verhältnisse unverhohlener Weise auszuleben. So wird ihr nicht ganz konventioneller privater Lebenswandel in nur kurz nach ihrem Tod erschienenen Biographien als von Enttäuschungen, Einsamkeit und Verlusten überschattet dargestellt. Dieser für Bühnendarstellerinnen grundsätzlich als nicht untypisch erachtete pathologische und untugendhafte Lebenswandel ist durch männliche Charaktereigenschaften wie berufliche Zielstrebigkeit, materielle Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und sexuelle Erfüllung geprägt. Wie zu erwarten, kann eine Frau auf diesem Wege daher nicht die echte weibliche Erfüllung finden — erneut traurige Konsequenz des Abweichens. 9
vgl. Birgit Panke‐Kochinke, Die anständige Frau. Konzeption und Umsetzung bürgerlicher Moral im 18. und 19. Jahrhundert, Pfaffenweiler: Centaurus‐Verlagsgesellschaft 1991, S. 68‐73. 10
Alfred Freiherr von Wolzogen, Wilhelmine Schröder‐Devrient. Ein Beitrag zur Geschichte des musikalischen Dramas, Leipzig: Brockhaus 1863, S. 227. 11
Martin Gregor‐Dellin (Hg.), Richard Wagner, Mein Leben, München: List 1963, S. 49. 19
In diesem Kontext muss wohl Clara Schumann (1819‐1896) beleuchtet werden, der es erstaunlicherweise gelang, Tugend und Moral mit männlich konnotierten Charaktereigenschaften zu verknüpfen: sie war eine öffentliche Person, die selbstständig agierte, materiell unabhängig war und trotzdem auf moralischer Ebene nie ins Abseits geriet, wenngleich durchaus Anstoß an ihrer forschen, selbstbestimmten Art genommen wurde. Möglicherweise konnte dies gelingen, da ihr privater Lebenswandel durch Ehe und Geburt von acht Kindern als tugendhaft gelten konnte. Sie entsprach Roberts und den gesellschaftlichen Vorstellungen einer Ehefrau und stellte zumindest für die Zeit der Ehe ihre künstlerische Karriere hintan. So fordert Robert trotz künstlerischer Zugeständnisse das klassische Frauenideal durchaus ein: »Das erste Jahr unsrer Ehe sollst Du die Künstlerin vergeßen, sollst nichts als Dir u. Deinem Haus und Deinem Mann leben, und warte Du nur, wie ich Dir die Künstlerin vergeßen machen will — nein das Weib steht doch noch höher als die Künstlerin, und erreichte ich nur das, daß Du gar nichts mehr mit der Oeffentlichkeit zu thun hättest, so wäre mein innigster Wunsch erreicht. Deshalb bleibst Du doch immer die Künstlerin, die Du bist.« 12 Auch wenn Clara Schumann ihre künstlerischen Tätigkeiten nie aufgab, auch nicht während ihrer Ehe, willigte sie quasi in die bestehende Konvention der Frau als Unterstützerin des Ehemannes ein. Eine Unterstützerin, die ihre weiblich fürsorglichen Pflichten als treue Ehefrau und Mutter nicht vernachlässigte. Dadurch konnte sie sich eine unbefleckte Reputation sichern, anders als ihre gute Bekannte Wilhelmine Schröder‐Devrient, die zwar ebenfalls große künstlerische Anerkennung genoss, aber privat als ehrlos galt. All diese Frauenleben zeigen — wenn auch auf vollkommen unterschiedliche Weise —, dass das im 19. Jahrhundert favorisierte Idealbild der an Haus, Mann und Kind gebundenen Frau eine große Bedeutung hatte und weibliche Lebensgestaltung konkret beeinflusste. Dieses auf vermeintlich geschlechtergebundene Charaktereigenschaften beruhende Idealbild kann als glücklicherweise nicht mehr gültige, wenngleich noch immer nicht gänzlich verschwundene Restriktion für Frauen wie für Männer gewertet werden und spiegelt sich, wie erläutert, in den Texten des Zyklus Frauenliebe und Leben wider. Brauchen wir nun einen neuen Text für op.42? Wohl kaum. Was wir aber brauchen, ist ein Bewusstsein für die erläuterte Problematik. Ein Bewusstsein, das, wie im heutigen Programm, durch das Kontrastieren und Konterkarieren des Zyklus mit anderen, mit neuen Stücken, Texten und musikalischen wie inhaltlichen Gedanken sowie mit darstellerischen Mitteln erreicht werden kann. Lea Roller, geboren 1987 in Stuttgart, 2008‐2013 Studium der Schulmusik an der Musikhochschule Stuttgart mit Hauptfach Querflöte (Antje Langkafel) und Leistungsfach Gesang (Sylvia Koncza), seit 2012 Studium der Anglistik an der Universität Stuttgart, seit 2013 Studium Master Musikwissenschaft an der Musikhochschule Stuttgart; Mitwirkung bei diversen musikalischen Projekten wie den Ludwigsburger Schlossfestspielen, Mitglied im Württembergischen Kammerchor unter Leitung von Dieter Kurz, Tätigkeit als Instrumentalpädagogin. 12
Robert Schumann, Brief an Clara Wieck vom 13. Juni 1839, in: Anja Mühlenweg (Hg.), Briefwechsel von Clara und Robert Schumann, Bd. II: September 1838 bis Juni 1839 [Schumann Briefedition, Serie I, Bd. 5], Köln: Dohr 2013, S. 544. 20 Zu den neuen Kompositionen dieses Programms Ole Hübner, 3 neue love pop‐songs (»dann aber wieder du«) In einem meiner neueren Stücke, 3 neue love pop‐songs (»dann aber wieder du«) für Gesangsquartett, Klavier und Kassettenrekorder, habe ich der neuen Musik quasi einen reinen, kritiklosen »Beobachterstatus« verliehen […]. In den drei Songs von jeweils etwa vier Minuten Länge arbeite ich jeweils in einer Art »Bausteinsystem« mit Formen, Floskeln und Klanglichkeiten aus der Popmusik. Auch die Art und Weise, wie die Gesangsstimmen geführt werden — etwa in Background‐
Vocals oder verschiedenen Sprechgesangsarten — ist entfernt an die Einsatzmöglichkeiten der Stimme in der Popmusik angelehnt. Ich bediene mich also all dieser Parameter und Eigenschaften der Popmusik (das heißt: der »gesellschaftskonstituierendsten« aller Musiken), in diesem Fall aber, ohne sie mitsamt dem hinter ihr stehenden und an ihr verdienenden Apparat zu kritisieren. Diese Musik ist also weder moralisierend noch umfassend reflektierend, sondern sie betrachtet — auf eine gewissermaßen »naive« Weise — eine kleine Auswahl von Eigenschaften einer kleinen Auswahl von Popmusikstilen und setzt sie neu zu einer stark abstrahierten »Meta‐Popmusik« zusammen. Die Trilogie der drei Songs betrachte ich als eine Art »Show«; nach dem zweiten Song, der nach einem langen, an ein Fadeout erinnernden Loop plötzlich abbricht, ist ein mit »showpause (gläschen flüssigkeit trinken)« überschriebenes Intermezzo für Kassettenrekorder solo eingefügt, das nahtlos in den dritten Song überleitet — ebenso, wie bei einem Popkonzert die Band zwischen zwei Songs einfache Patterns oder Akkordflächen spielt, um die Pause zu überbrücken und Erwartungen an den nächsten Song aufzubauen. Andere meiner Stücke verhalten sich deutlich kritischer, mitunter satirisch. 1 Ole Hübner Marius Schötz, Briefe an…, I. Zwischen den Kaffeehaustischen »Ein Pfeil bedeutet einen Wechsel zwischen zwei Zuständen, in diesem Fall zwischen ü und ö.« So beginnt die Erklärung für den Sänger und den Pianisten in der Legende zu Zwischen den Kaffeehaustischen. »Es fällt mir ein, dass ich mich an Ihr Gesicht in keiner bestimmten Einzelnheit erinnern kann« — so der Beginn des Textes nach Briefen von Franz Kafka. Im Dazwischen von vager Erinnerung und klarer Vorstellung bewegt sich die Komposition von Marius Schötz mit ihren verhauchten, gepfiffenen oder verknarrten Klängen des Sängers, die sich im gemeinsamen Flüster‐
Wort‐Feld von Pianist und Sänger verlieren und wieder finden. Eine Alu‐Folie, ein Kamm sowie ein Fingerhut auf den Wirbeln der Saiten des Flügels verunklaren die Tonhöhen und führen mit Hör‐
Ergebnissen zwischen Klang und Geräusch zum situativen Kern der Komposition. AL Alexander L. Bauer, lunacy and its consequences Der Zusammenklang solistischer Frauenstimmen hat eine lange Tradition. Von den drei Damen aus W. A. Mozarts Zauberflöte bis zum berühmten Terzett in Richard Strauss’ Rosenkavalier, in dem sich die Stimmen der Marschallin, der Sophie und des Oktavian in überschwänglichen Kantilenen vereinigen, reicht der Bogen. In seinem Werk ¿Donde estas, hermano? für vier Frauenstimmen von 1982 eröffnet Luigi Nono eine neue Perspektive. Die Vertonung eines Textes hindert den Komponisten nicht daran, die Stimmen in stehenden Klängen ganz und gar instrumental zu behandeln. Alexander L. Bauer scheint diesen Weg fortzusetzen. Der Text ist abhanden gekommen. Vibratolos auf dem Vokal I haben sich die Akkorde ins Zentrum der Tonhöhe d2 verdichtet. In mikrotonalen Spannungen dehnt sich der Klang aus, zieht sich zusammen und zerbricht. AL 1
aus: Ole Hübner, Meine Unsicherheiten — »Statement« in sieben Kapiteln, in: MusikTexte. Zeitschrift für neue Musik 138, August 2013. 21
Daniela Achermann, Zu gut, um wahr zu sein Als »ironisch postmodern« könnte die ästhetische Position von Daniela Achermanns Szene für Frauenstimme und Klavier beschrieben werden. Die Collage — auf textlicher Ebene von zwei Frauen‐
Monologen des Verliebt‐Seins aus den Jahren 1830 und 2013 — wird auch zum stilistischen Prinzip der Komposition erhoben: Rhythmisch erinnerte gestische Fragmente aus Schumann/Chamissos Frauenliebe und Leben stehen, in entsprechend überzeichneter Klanggebung in Stimme und Klavier, nahtlos neben akustischen Fetzen aus der heutigen Unterhaltungs‐ und Technikwelt: ein funkelnd‐
witziges Kaleidoskop aus »Romantik« und »Moderne«. CW Michele Leisibach, Gleich den Göttern Dieses Lied für Mezzosopran und präpariertes Klavier nach einem Text der Sappho stellt die Eifersucht und die Frustration einer Frau dar, die ihre Liebe zu einem jungen Mädchen nicht äußern darf. Das Stück ist dreiteilig. Im ersten Teil beobachtet die Frau das Mädchen zusammen mit dem Mann aus der Ferne. Sie darf nicht zu laut sprechen und versucht daher, ihre Stimme mit der Hand zu dämpfen. Der zweite Teil lässt uns die unterdrückten Gefühle der Frau erleben, wir hören sie quasi aus ihrem Inneren. Der dritte Teil zeigt die fatalistische Resignation der liebenden Frau. Das musikalische Material kann als Klang‐Geräusch‐Modulation verstanden werden. Die gesungene Stimme der Frau verwandelt sich langsam in Geräusche und unbestimmte Tonhöhen. Im Zentrum des Lieds werden wir, quasi in ihrem Kopf, von den harten, geräuschhaften Klängen des mit Knetgummi präparierten Klaviers und der Stimme wie gestochen. Am Schluss beruhigt sich die Atmosphäre wieder. Kompositorisch ist das Lied einerseits auf einer Zwölftonreihe aufgebaut, die im ersten Teil in der Stimme und letzten Teil in der Stimme und im Klavier vollständig erklingt, und andererseits auf einer Schichtung von Quintklängen. Zu Beginn werden parallele Quinten eingesetzt, um die im Text ausgedrückte Distanz zu erzeugen, im Mittelteil bilden Töne G‐D‐A die Fixpunkte inmitten der geräuschhaften Umgebung, am Ende wird im Klavier die Zwölftonreihe mit einer Quintschichtung von Kontra‐Es bis as4 verbunden. Michele Leisibach Asija Ahmetžanova, Donec gratus eram tibi Archaische Wucht prägt diese musikalische Studie des Begehrens nach einem lateinischen Text aus den Oden des Horaz. Ein wiederkehrendes Glockenmotiv im Klavier verleiht der Komposition beschwörenden Charakter und strukturiert den frei deklamierten, psalmodierenden Vortrag der Sängerin. Der zwei Jahrtausende alte Text wird dabei als Affekt‐Material bedingungsloser Liebe benutzt, indem er aus seiner wohlgesetzten Form gelöst und, bis in einzelne Silben hinein, fragmentiert und so in neue Unmittelbarkeit überführt wird. Ursprünglich als Liebesduett in Strophe des Mannes und Gegenstrophe der Frau angelegt, wird der Text allein aus der erinnernden Perspektive der Frau erlebt, bis er ihr, nach einer emphatischen Kadenz, auf den Lippen erstirbt. CW Sara Wüest, Männerliebe Mixturartig geschärfte Klänge, parallele, jedoch ungleichzeitig wellenförmig geführte Intervallketten, improvisierender Gestus und die Kontrastierung von Passagen in höchster Lage (»sweet, light«) mit der Kraft tiefster Bassregionen (»getting darker«, »heavy, harsh«) sind die vorherrschenden kompositorischen Mittel des einzigen Instrumentalstücks dieses Programms. Das latente tonale Zentrum D wird erst am Schluss der Komposition offenbar, der den Beginn des letzten Liedes, in d‐
Moll, von Schumanns Frauenliebe und Leben zitiert. CW Stefanie Erni, Frauenleben und ‐hass Im Mittelpunkt von Franz Kafkas Erzählung Der Heizer, dem ersten Kapitel seines unvollendeten Romans Der Verschollene, steht »der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm 22 bekommen hatte«. Diese Verführung erweist sich jedoch aus der Perspektive Karls, der »keine Gefühle für jenes Mädchen« hatte, als Vergewaltigung: sie »führte ihn«, heißt es unmittelbar bevor der Text dieser Szene einsetzt, »unter Grimassen seufzend in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte.« Erni verteilt den Erzähltext auf einen Sänger (Karl) und eine erzählende Sängerin, der eine, von der Komponistin selbst hergestellte Musikdose als sirenenhaftes, Unschuld vortäuschendes Instrument der Verlockung beigesellt ist. Das in der Musikdose enthaltene und nach und nach abgespielte musikalische Material wird zuerst im Klavierpart exponiert, im Verlauf der Szene durchführungsartig verarbeitet und einem ostinat wiederholten, rhythmisch‐aggressiven Motiv entgegengesetzt. CW Valentin Oberson, Le senti… ment! Ein Triangel ist Zentrum und gleichzeitig Symbol dieser tragikomisch klassischen Dreiecksgeschichte zwischen Ehefrau, Ehemann und Liebhaber. Mit Stimmgabeln bewaffnet bewegen sich die drei Akteure im Gefängnis ihres Dreiecks und versuchen die Fäden zu ziehen. Doch Marionetten gleich entgehen sie nicht der Strafe für böses Tun: ein Röcheln beendet den hübschen Gesang in diesem buffonesken Intermezzo à trois. AL Yen‐Ning Chiu, In tiefer Nacht Franz Kafka war, wie viele Literaten, auch ein passionierter Briefschreiber. Zu Beginn seiner schließlich scheiternden Beziehung mit Felice Bauer schrieb er ihr in einem Brief, »zum Beweis dessen, dass die Nachtarbeit überall, auch in China[,] den Männern gehört«, »ein kleines chinesisches Gedicht« ab: Ein Mann verbringt die Nacht lieber mit seinem Buch als mit seiner Freundin, die ihm schließlich zornig die Leselampe entreißt. So spielerisch dieses Gedicht auch im Brief eingeführt wird: Kafka benutzt es in der weiteren Korrespondenz als archetypisches Symbol nicht nur seiner selbst als Schriftsteller, sondern der Unvereinbarkeit der Geschlechter überhaupt und interpretiert schließlich die Schlusswendung des Gedichts nicht als Sieg, sondern als »Selbsttäuschung der Frau«. In ihrer Vertonung konzentriert sich Yen‐Ning Chiu mit rotierenden Figuren und impressionistischen Akkordschichtungen ganz auf die magische Anziehungskraft, die das Buch auf den Mann ausübt. CW Victor Alexandru Colțea, Zori (Morgendämmerung) Das Lied von der Pinie und das Lied der Morgendämmerung sind zwei der ältesten Begräbnisgesänge aus Rumänien. Sie haben ihren Ursprung in vorchristlicher Zeit; das Lied der Morgendämmerung stammt aus dem Volk der Daker, wobei die Morgendämmerung als die »Schwestern der Sonne« verstanden wird. Das Lied der Morgendämmerung hat als Begräbnisgesang die Funktion, die Verstorbenen ins Jenseits zu geleiten. Die Sänger riefen die Verstorbenen bei ihrem Namen und bereiteten sie auf ihr Dasein im Jenseits vor. Vor dem Begräbnis, in der Morgendämmerung, pflegten einige alte Frauen zu den Toten von draußen durch das Fenster, danach aus dem Inneren des Hauses zu singen, wobei sie sich gen Osten wandten. Bei Begräbnissen von jungen und unverheirateten Männern oder Frauen war es Brauch, eine Pinie zu schmücken, die den imaginären Ehepartner darstellen sollte. Junge Männer suchten im Wald nach der Pinie des Verstorbenen. Es herrschte der Glaube, dass jeder Mensch seine eigene Pinie habe, die irgendwo im Wald verborgen sei, die erkannt und zu dem Grab des Jungverstorbenen gebracht werden müsse, da dieser sonst nicht in Frieden ruhen könne. Sobald die Pinie in den Hof des Verstorbenen gebracht war, begannen die Frauen das Lied von der Pinie zu singen und schmückten den Baum mit Süßigkeiten, Früchten, Bändern, Tüchern und anderen Utensilien. Danach wurde die Pinie zum Friedhof getragen und, in der Nähe des Kreuzes, auf das Grab gepflanzt zum Zeichen, dass der Jungverstorbene in das Jenseits eingegangen ist. Victor Alexandru Colțea
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Kurzbiographien der Komponistinnen und Komponisten Daniela Achermann Daniela Achermann, geboren 1972, absolviert zurzeit, nach einer pianistischen Ausbildung an der Musikhochschule Basel und einem umfassenden Studium der klassischen indischen Musik in Basel und den USA, ein Studium in Orgel‐Performance und Komposition an der Hochschule Luzern — Musik. Asija Ahmetžanova Asija Ahmetžanova wurde 1992 in Riga geboren. Im Jahr 2010 absolvierte sie die E. Dārziņš Spezialmusikschule bei I. Treija und L. Paula (Klavier) und I. Zemzaris (Komposition). Von 2010 bis 2012 studierte sie in Estland Klavier bei Prof. Aleksandra Juozapénaité‐Eesmaa. Seit 2012 studiert sie an der Hochschule Luzern — Musik Klavier bei Prof. Konstantin Lifschitz und Komposition bei Prof. Dieter Ammann. Alexander L. Bauer Alexander L. Bauer wurde 1993 in München geboren. Er erhielt ab seinem fünften Lebensjahr Klavier‐ und Orgelunterricht. 2003 begann er ein Frühstudium an der Universität Mozarteum Salzburg im Fach Orgel bei Prof. Hannfried Lucke, seit 2012 studiert er Komposition bei Prof. Christian Ofenbauer. Er ist Preisträger mehrerer Orgelwettbewerbe. Yen‐Ning Chiu Yen‐Ning Chiu wurde 1988 in Taiwan geboren. Sie erwarb 2011 den Bachelor in Komposition an der National Taiwan Normal University bei Prof. Mao‐Shuen Chen und Prof. Ching‐Yu Hsiao und 2013 den Master in Komposition an der Universität Mozarteum Salzburg bei Prof. Reinhard Febel. Derzeit setzt sie ihr Studium an der Universität Mozarteum Salzburg im Studiengang Postgraduate / Komposition bei Prof. Reinhard Febel fort. Victor Alexandru Colțea Victor Alexandru Colțea, geboren 1986 in Rumänien, erhielt seinen ersten Musikunterricht im Alter von drei Jahren bei seinem Vater, Vasile Colțea, einem Gitarristen. 2009 beendete er sein Musikstudium an der Musikuniversität in Bukarest in der Klasse von Dan Dediu, und im 2011 sein Masterstudium an der Hochschule für Musik Hamburg in der Klasse von Prof. Fredrik Schwenk. Zurzeit studiert er in der Klasse von Prof. Dieter Ammann an der Hochschule für Musik in Luzern. Bereits 2008 gewann er den Ersten Preis beim Nationalen Kompositionswettbewerb Stefan Niculescu und 2009 den Sonderpreis des George Enescu Museums beim International Composition Contest George Enescu mit seinem Klavierkonzert. Anfang 2012 erhielt er ein Stipendium an der Cité Internationale des Artes, Paris. Colțeas Werke wurden bereits bei bedeutenden Festspielen in Rumänien aufgeführt (Internationale Woche für Neue Musik; George Enescu International Festival; Innersound International Festival; ISCM – Rumänien) sowie in Deutschland (Komponieren Heute — KLANG!) und Österreich und in verschiedenen Konzertsälen u.a. in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz. Stefanie Erni Die 1990 geborene Sopranistin studiert zurzeit bei Barbara Locher an der Hochschule Luzern — Musik Master of Arts in Musikpädagogik und Komposition. Neben Erfahrungen im Musiktheater (Luzerner Theater) singt und komponiert sie für die Musikgruppe »Maulwurf«. 24 Ole Hübner Ole Hübner, geboren 1993, studierte als Frühstudent bei Benjamin Lang und Joachim Heintz an der HMTM Hannover und seit 2011 bei Prof. Johannes Schöllhorn und Prof. Michael Beil an der HfMT Köln. Er arbeitet(e) u.a. mit dem Theater Aachen, dem Studio für Stimmkunst und neues Musiktheater Stuttgart, mam.manufaktur für aktuelle musik, Xenon‐Saxophonquartett und Ensemble Garage zusammen. Er war von 2011 bis 2013 Stipendiat des Landes Nordrhein‐Westfalen und bloggt mit weiteren KomponistInnen auf »couldn’t find a bomb«. www.olehuebner.wordpress.com | www.couldntfindabomb.net Michele Leisibach Michele Leisibach wurde 1990 in Balerna (Kanton Tessin / Schweiz) geboren. Schon bald erkannte er seine große Leidenschaft für die Musik, sodass er bereits im Jahr 2005 das »Conservatorio della Svizzera italiana« in Lugano besuchte. Dort erhielt er Saxophon‐, Klavier‐, Theorie‐ und Harmonieunterricht. Nach der erfolgreich abgelegten Matura im Jahre 2009 studierte er klassisches Saxophon an der Hochschule Luzern — Musik bei Beat Hofstetter und Sascha Armbruster. Im Sommer 2012 erwarb er den »Bachelor in Arts of Music« mit Auszeichnung und befindet sich zurzeit in Luzern im Studiengang »Master of pedagogy«. Das Komponieren ist für Michele eine sehr wichtige Tätigkeit, die für ihn vom Anfang an eine bedeutende Rolle gespielt hat. Seit 2012 besucht er zusätzlich den Kompositionsunterricht bei Josef Kost. Valentin Oberson Valentin Oberson, geboren 1986, kam schon als kleiner Junge mit Musik in Kontakt. In der Musikschule seines Dorfes erlernte er im Alter von 6 Jahren das Flötenspiel. Dann ging er bei Michel Weber, einem Jazzer, in den ersten Saxophonunterricht und später bei Philippe Savoy — beide Lehrer am Conservatoire de Fribourg —, welcher ihm das klassische Saxophonspiel näher brachte. 2009 wurde Valentin Oberson in die Saxophonklasse von Prof. Beat Hofstetter und Sascha Armbruster an der Hochschule Luzern — Musik aufgenommen. Seit 2011 studiert er Komposition bei Prof. Dieter Ammann. Marius Schötz Marius Schötz studierte von 2010 bis 2012 Schulmusik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt. Er wechselte 2012 an die Musikhochschule Stuttgart und begann dort seinen Bachelor in Komposition mit dem Hauptfach Gesang. Zu seinen Lehrern gehörten unter anderem Claus Kühnl, Prof. Caspar Johannes Walter und Michael Reudenbach sowie Prof. Henriette Meyer‐Ravenstein und Prof. Frank Wörner in Gesang. Zusätzlich nimmt er an Aufführungen und Produktionen des Studios für Stimmkunst und Neues Musiktheater teil. Sara Wüest Sara Wüest wurde 1977 geboren. Sie spielt E‐Bass, E‐Gitarre und klassische Gitarre. Nach dem Bachelorstudium Jazz an der Hochschule Luzern — Musik studiert sie dort seit 2012 Komposition. Sie spielte in diversen Jazz‐, Pop‐ und Rockformationen mit und konzentriert sich jetzt auf das Komponieren, vor allem im Bereich Contemporary Music. 25
Studio für Stimmkunst und Neues Musiktheater an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart Die Stadt, in der wir leben und arbeiten, ist wie kein anderer Ort prädestiniert für eine Institution Neuen Musiktheaters mit dem Schwerpunkt: der Mensch mit seiner Stimme im theatralischen Raum. Denn Stuttgart weist in seiner Geschichte nach 1945 eine außerordentliche Vielfalt an Entwicklungen Neuer Musik mit dem Schwerpunkt Stimme auf. Aufgrund der Ausstattung der Hochschule mit der einzigartigen Kombination des Lehrangebots von Neuer Vokalmusik, Gesang, Liedklasse, Institut für Sprechkunst, Schauspiel, Opernschule und Figurentheater neben anderen Studiengängen wie den Instrumentalfächern, dem Studio für Neue Musik, dem Elektronischen Studio oder auch dem Studio für Alte Musik können sich hier Künstlerinnen und Künstler quer durch die Fakultäten, Studierende und Dozenten jenseits aller Hierarchien gemeinsam an kreativen Prozessen beteiligen. Eine solche interaktive Entwicklung von Musik, Theater und Raum ist spannend, voller Energie und immer wieder überraschend. Mit dem Ziel Ausführende heranzubilden, die den komplexen Anforderungen Neuen Musiktheaters gewachsen sind, betreuen die Leiterin des Studios, Prof. Angelika Luz, und Prof. Frank Wörner die Studiengänge Master und Konzertexamen Neue Musik/Gesang. Bernd Schmitt ergänzt das Team in den Bereichen Dramaturgie und Szene. Seit der Gründung des Studios für Stimmkunst und Neues Musiktheater 2011 entstanden in der Zusammenarbeit mit Galerien, mit Bibliotheken, mit Kirchen und Veranstaltern in Stuttgart und in der Region zahlreiche Programme vom szenischen Lied über Musiktheater bis zur Performance. Nach der Musiktheaterproduktion 2012 Die drei Tode des Narziss mit fünf Uraufführungen im Wilhelmspalais und der zweiten Musiktheaterproduktion mit der Uraufführung die fette seele beim Kirchenmusikfestival in Schwäbisch Gmünd 2013 folgt nun das Lied‐Projekt mit Szene und Figurentheater Frauenliebe mit Musik von Robert Schumann und Uraufführungen von Kompositionsstudierenden aus den kooperierenden Hochschulen Luzern, Salzburg und Stuttgart. Die Produktion Aventures I Spiel I Nouvelles Aventures von G. Ligeti und S. Beckett in Kooperation mit der Musikhochschule Saarbrücken und tonArt Esslingen findet am 13. Februar 2014 in der Dieselstrasse in Esslingen statt. Die szenische Leitung übernimmt Prof. Frank Wörner. Die Anmeldungen von Teilnehmern aus allen Kontinenten für die jährlich stattfindenden Meisterkurse für Stimmkunst und Neues Musiktheater — in diesem Jahr vom 17. bis 21. Februar — bestätigen das außergewöhnliche Profil dieser Studio‐Einrichtung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Prof. Angelika Luz 26 Studiengang Figurentheater MISSION STATEMENT BRÜCHIGE KÖRPER Verkörperungen, Entkörperungen im zeitgenössischen Kontext Wir spielen als Figurenspieler mit Konstruktionen und Dekonstruktionen von Körperbildern: Fremdkörper, Kunstkörper, Objektkörper. Puppenkörper sind Körperabbildungen, Körperbilder. Neben der handwerklichen Fähigkeit, durch Animation eine Illusion zu erwecken, wollen wir in der Ausbildung den Aspekt der Körperverhandlungen im Puppen‐ und Figurenspiel herausstellen. Eine der Herausforderungen für das Figurentheater heute ist, sich auf das weite Feld der Körperdiskurse zu beziehen. Reaktionen auf die zeitgenössische Erfahrung einer brüchigen Körperlichkeit, wie sie bereits seit den 1990er Jahren in verschiedenen Körperdiskursen thematisiert wurde, rühren an den Wesenskern dieser Kunstform. Diese Voraussetzungen stellen dem Figurentheater neue Fragen und fordern auf, Position zu beziehen. Wir möchten Figurentheater nicht mehr nur als Synthese von Bildender und Darstellender Kunst verstehen, sondern versuchen, es neu zu verorten innerhalb der Spannbreite zwischen der Theatralisierung der Bildenden Kunst und der Performance Kunst. Dass junge Figurenspieler sich vor diesem Hintergrund neu behaupten, ist eine wesentliche Zielsetzung unserer Ausbildung. Prof. Stephanie Rinke — Prof. Julika Mayer — Prof. Florian Feisel Master Lied für Sänger und Pianisten Der viersemestrige Studiengang Master Lied an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart ist für Studierende der Fächer Gesang und Klavier gleichermaßen bzw. für Liedduos konzipiert und wird von Prof. Cornelis Witthoefft geleitet. Im Verlauf ihres Studiums erwerben Studierende beider Disziplinen, über die Beherrschung ihres jeweiligen Instruments hinaus, neben Kenntnissen in der Einordnung und Aneignung des sehr großen, zur Verfügung stehenden und vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik stilistisch äußerst vielgestaltigen Repertoires in verschiedenen Sprachen, Fähigkeiten im Verständnis des gesungenen Textes und im Erkennen des Verhältnisses von Text und Musik, in der Erarbeitung grundlegender Interpretationshaltungen, in der Bühnenpräsentation und im kammermusikalischen Zusammenspiel, mit dem Ziel der Herausbildung einer künstlerischen Persönlichkeit auf der Grundlage von handwerklicher Beherrschung und des Bewusstseins für das historisch gewordene Kunstwerk und die eigene Individualität. Spezifische Beachtung erfährt für Gesangsstudierende die Verbindung von Gesang und Sprache im Vortrag, für Pianistinnen und Pianisten die Ausbildung der Klangqualität und die Textinterpretation im Klavierpart. Die so erworbenen Kompetenzen können in den Disziplinen Gesang und Klavier wiederum auf andere Bereiche übertragen werden. Über turnusmäßige Vortragsabende hinaus entstehen für die Studierenden durch Kooperationen mit verschiedenen Veranstaltern außerhalb und Nachbareinrichtungen innerhalb der Hochschule, wie dem Institut für Sprechkunst und dem Studio für Stimmkunst und Neues Musiktheater, vielfältige Auftritts‐ und Erfahrungsmöglichkeiten zur Erweiterung ihres künstlerischen Spektrums. Aus der Klasse sind im Laufe von fast zehn Jahren in den Fächern Gesang und Klavier zahlreiche Preisträger und Erste Preisträger internationaler Wettbewerbe hervorgegangen. Prof. Cornelis Witthoefft Redaktion des Programmhefts: Cornelis Witthoefft 27