1 Die Gitarre - Peter Baxrainer

Transcription

1 Die Gitarre - Peter Baxrainer
 !
"
&
# $ % % !
' $ ( (
) *+,-.-,/ 0-1
2 3,4 5 -+6 3 +7 2 38 +
9:;
< =>= ? @ AB ?AC;= ?
DE FFG HI J E K L M N L N L MM O
Vorwort
1977 sagte der amerikanische Jazzmusiker Barney Kessel :
„Heute fangen mehr Gitarristen denn je an, sich für Jazz zu interessieren.
Junge Gitarrespieler, die ihre Hintergründe in Rock, Folk, Pop, Disco oder
was auch immer haben, wenden sich dem Jazz zu, um ihre Erziehung, ihre
Bildung zu vertiefen – weil es ihnen Spaß macht, oder weil sie spüren, daß
[sic] da etwas im Jazz steckt, das herausfordernd und lohnenswert ist.“ 1
Diese Aussage trifft sicherlich gleichermaßen heute noch auf viele Gitarristen zu,
unter anderem auf mich. Vom Erstellen dieser Fachbereichsarbeit erwarte ich mir
das Erlangen eines umfangreicheren Gesamtwissens über die Jazzmusik sowie
eine Verbesserung der Fähigkeit zur praktischen und musiktheoretischen
Interpretation von Jazzstücken.
Das Anhören der jeweiligen CD-Tracks beim Durchlesen der Arbeit soll die
Notenbeispiele beziehungsweise Grifftabellen veranschaulichen.
Ich bedanke mich bei meinem Betreuer und Musiklehrer Mag. Gerhard Mayr für
die Unterstützung, die unter anderem das Gelingen der Arbeit möglich machte.
Weiters möchte ich meinem E-Gitarre-Lehrer Mag. Berndt Leopolder und meiner
Gitarre-Lehrerin Mag. Renate Sölva danken.
1
Schmitz, Alexander, Das Gitarrenbuch. Geschichte, Instrumente, Interpreten, Frankfurt
am Main 1983, S.161f.
Inhaltsverzeichnis
1 DIE GITARRE
S.
1
1.1 Die Entstehung der Gitarre
S.
1
1.2 Die Entwicklung der Elektrogitarre
S.
4
1.3 Die Verwendung der Elektrogitarre
S.
6
2 DER JAZZ
S.
6
2.1 Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Jazz
S.
6
2.2 Die Elemente des Jazz
S.
7
2.3 Die Bedeutung der Gitarre in der Jazzentwicklung
S.
8
3 DIE GITARRE IM JAZZ ALS BEGLEITINSTRUMENT
S.
9
3.1 Die Funktionsharmonik des Jazz
S.
9
3.1.1 Diatonische Akkordfolgen
S.
14
3.1.2 Harmoniefolgen mit tonalen Zentren
S.
16
3.1.3 Das Blues-Schema
S.
17
3.2 Die Begleitung in der Praxis
S.
19
4 DIE GITARRE IM JAZZ ALS MELODIEINSTRUMENT
S.
22
4.1 Die Melodik des Jazz
S.
22
4.2 Improvisationstechniken und deren Umsetzung auf der Gitarre
S.
24
4.2.1 Die Anwendung der Pentatonik
S.
25
4.2.2 Die Anwendung der Bluestonleiter
S.
28
4.2.3 Die Anwendung der Modi
S.
33
4.2.4 Andere Improvisationstechniken
S.
40
1
1 Die Gitarre
1.1 Die Entstehung der Gitarre
Die exakte Herkunft der Gitarre ist bis heute ungeklärt.1 Ab dem 15. Jahrhundert
ist auf Bilddokumenten, in Texten und durch in Handschriften und Notendrücken
überlieferte Musik die Gitarre in unterschiedlichen Formen definiert. Die
Geschichte des Instrumentes vor dieser Zeit ist nur durch Bilder und einige
Erwähnungen in literarischen Quellen dokumentiert.2 Leicht ist man geneigt, aus
einzelnen Phänomenen, die man über eine lange Zeit beobachtet hat, eine
zusammenhängende Geschichte abzuleiten.3 Die am weitesten zurückreichenden
Quellen sind hethitischer und babylonischer Abstammung. Das Relief von Höyük,
entstanden wahrscheinlich zwischen 1400 und 1300 vor Christus, stellt für Curt
Sachs eine Spießlaute dar, deren Rumpf gitarrenartig eingezogen ist :4
1
vgl. Schmeck, Martin Heinrich, Musik – Instrumente. Von historischen und klassischen
Instrumenten bis zur Instrumentierung für Volksmusik, Rock, Pop, Jazz und Neue Musik, Weyarn
1998, S.119.
2
vgl. Päffgen, Peter, Die Gitarre. Grundzüge ihrer Entwicklung, Mainz 1988, S.13ff.
3
vgl. Päffgen, Die Gitarre, S.11.
4
vgl. Sachs, Curt, Geist und Werden der Musikinstrumente, Berlin 1928, S.163.
2
Es ist also noch keine Gitarre, denn erst, wenn sich bestimmte bauliche Details
eines Instruments eindeutig von denen eines anderen abheben, kann man von der
Genese eines eigenen Instruments sprechen, und das ist im Fall der Gitarre bis ins
15. Jahrhundert nicht der Fall.
Die scheinbar lapidare Erkenntnis, dass Spanien das Land war, in dem sich die
eigentliche Entwicklung der Gitarre vollzog, ist jedoch eine Reihung von
historischen Zufällen.5 In Spanien konnte bereits im 13. Jahrhundert ein
viersaitiges Instrument, die „Guitarra latina“, nachgewiesen werden.6 Zur selben
Zeit begann in Spanien auch die Entwicklung der Laute aus dem arabischen „Ud“7
der Mauren, die bis zur Rückeroberung Granadas im Jahre 14928 nahezu die
gesamte iberische Halbinsel beherrschten und deren Kultur derjenigen des übrigen
Europas überlegen war,9 nach Spanien gelangt war.10
Im sechzehnten Jahrhundert war die mittlerweile mit fünf Saitenpaaren
ausgestattete Gitarre das volkstümliche Gegenstück zur fünf- bis siebenchörigen11
Vihuela12 (siehe folgende Abbildung), die sich in der spanischen Kunstmusik
etabliert hatte.
5
vgl. Päffgen, Die Gitarre, S.21.
6
vgl. Schmeck, Musik – Instrumente, S.119.
7
vgl. Schmeck, Musik – Instrumente, S.123.
8
vgl. Achs, Oskar, Scheuch, Manfred, Tesar, Eva, Aus Geschichte lernen 6.Klasse. Vom
Hochmittelalter bis zum Wiener Kongress, Wien² 1997, S.57.
9
vgl. Achs, Scheuch, Tesar, Aus Geschichte lernen 6.Klasse, S.32f.
10
vgl. Schmeck, Musik – Instrumente, S.123.
11
vgl. Schmeck, Musik – Instrumente, S.119.
12
vgl. Schmitz, Alexander, Das Gitarrenbuch. Geschichte, Instrumente, Interpreten, Frankfurt am
Main 1983, S.484.
3
Als „Guitarra española“ gelangte die Gitarre im siebzehnten Jahrhundert nach
Frankreich und Italien und erlebte in diesen Jahren ihre Blütezeit. Die bis heute
übliche sechssaitige Bespannung erhielt sie im achtzehnten Jahrhundert.13
13
vgl. Schmeck, Musik – Instrumente, S.119.
4
1.2 Die Entwicklung der Elektrogitarre
Da die Gitarre ein von Natur aus relativ leises Instrument ist, entstand
insbesondere in der Jazzmusik der Wunsch, die Gitarre bezüglich ihrer
Klangstärke auf ein adäquates Niveau zu bringen, so dass sie im Ensemble mit
Saxophon, Trompete und Posaune klanglich nicht untergeht. 1940 verstärkte der
Amerikaner Charlie Christian14 (* 29.7.1916 in Dallas, Texas, USA,
2.3.1942 in
New York, New York, USA15) seine Gitarre über ein Luftmikrophon und
Lautsprecher. Das hatte jedoch den Nachteil, dass sich der Gitarrist nicht vom
Mikrophon entfernen durfte. Also fixierte man bald am Gitarrenkorpus ein
Kontaktmikrophon, welches die Schwingungen der Saiten über den Umweg des
hölzernen
Resonanzkörpers
abnahm.
Diese
Semiakustikgitarre:
14
vgl. Schmeck, Musik – Instrumente, S.209.
15
vgl. Wölfer, Jürgen, Lexikon des Jazz, München 1993, S.96.
Bauart
nennt
man
heute
5
Die Elektrogitarre verfügt über magnetische Tonabnehmer, die in geringem
Abstand unter den Saiten dort angebracht ist, wo sich bei der akustischen Gitarre
das Schallloch befindet. Die Schwingung einer angeschlagenen Saite verändert
entsprechend ihrer Frequenz das Magnetfeld des Tonabnehmers, welches in eine
elektrische Wechselspannung umgewandelt und über das Verstärkungssystem und
den Lautsprecher hörbar wird. Durch elektronische Filtersysteme kann die
Klangfarbe beliebig verändert werden.
Der Resonanzkörper fällt als Funktionsteil weg, an dessen Stelle tritt ein massiver
Körper (solid body), der eigentlich funktionslos ist und in Länge und Breite dem
traditionellen Korpus angepasst ist. Allerdings weist er zum besseren Greifen in
hohen Lagen Einschnitte auf (cut away), die den Elektrogitarren unter anderem ihr
charakteristisches Äußeres verleihen.16
16
vgl. Schmeck, Musik – Instrumente, S.209f.
6
1.3 Die Verwendung der Elektrogitarre
In den 1960er und 70er Jahren wird die Elektrogitarre von einigen Komponisten
im Orchester verwendet, zum Beispiel von Bernd Alois Zimmermann in dessen
Oper „Die Soldaten“ oder in einigen symphonischen Werken von Hans Werner
Henze. Davon abgesehen ist die Elektrogitarre vor allem ein Instrument der
modernen Unterhaltungsmusik.17 Sie ist aus den heutigen Gruppen der Pop-,
Rock- und Jazzmusik nicht mehr wegzudenken und fungiert dabei sowohl als
Soloinstrument (lead guitar) als auch als Begleitinstrument (rhythm guitar).
2 Der Jazz
2.1 Die Definition des Jazz
Jazz ist eine in den Vereinigten Staaten von Amerika gegen Ende des neunzehnten
Jahrhunderts aus der Begegnung der Schwarzen mit der europäischen Musik
entstandene künstlerische Musizierweise. Quellen des Jazz waren verschiedene
Arten afroamerikanischer Musik, der Blues, Worksongs, Gospels und Spirituals
und die amerikanische Tanz- und Marschmusik, besonders der Ragtime.
18
Der
Jazz hat sich von seinen Ursprüngen rasch weiterentwickelt und verschiedene
Stile hervorgebracht. Obwohl er heute ein hohes Ansehen genießt, ist er eine
Musik der Subkultur geblieben. Er lebt von einem kleinen Publikum, das sich laut
Jazz-Soziologen aus der Intelligenz aller Altersklassen rekrutiert.19
Der Jazz ist ungefähr hundert Jahre nach seiner Entstehung immer noch das, was
er in seiner Entstehung war: Eine Musik des Protests. Er protestiert gegen soziale,
17
vgl. Schmeck, Musik – Instrumente, S.210.
18
vgl. Wölfer, Lexikon des Jazz, S.240-243.
19
vgl. Gruntz, George, Jazz: Improvisation und Kreativiät, St.Gallen 1985, S.3f.
7
rassistische und geistige Diskriminierung, gegen Klischees der bürgerlichen
Schubladen-Moral, dass sie dort, wo ihnen nicht entsprochen wird, verurteilen.20
2.2 Die Elemente des Jazz
Die Melodik, die Harmonik und das Instrumentarium des Jazz entstammen zum
größten
Teil
der
abendländischen
Musiktradition.
Die
Rhythmik,
die
Phrasierungsweise und Tonbildung sowie Elemente der Blues-Harmonik
entstammen der afrikanischen Musik und dem Musiziergefühl der AfroAmerikaner.21
Die Melodik basiert auf Tonleitern, die sich aus der Ableitung von Akkorden und
Akkordverbindungen ergeben, zum Beispiel auf Kirchentonleitern, Bluestonleiter
usw. Die Harmonik besteht grundsätzlich aus Vierklängen, Erweiterungen durch
Hinzufügen von Optionstönen und Alterationen sind möglich.
Der Rhythmus lebt vom Gegeneinander eines durchgehenden Impulses (beat) und
kleinen Vorwegnahmen oder Verzögerungen von rhythmischen Akzenten in der
Melodiestimme (off-beat). Die oft verwendete ternäre Phrasierung von
Achtelnoten wird swing-Rhythmik genannt.
Der Instrumentalist ahmt den Gesangsstil der afrikanischen Musik nach, zum
Beispiel
durch
Glissandi,
absichtlich
unsauber
intonierte
Töne
und
Tonhöhenveränderungen zwischen den Halbtönen. Dadurch entstehen nicht exakt
notierbare Effekte (hot intonation).
Die Besetzung kann zwischen Solo, kleinem Ensemble (Combo) und großer
Besetzung (Big-Band) schwanken.
20
vgl. Berendt, Joachim-Ernst, Das Jazzbuch, Frankfurt am Main 1989, S.294.
21
vgl. Wölfer, Lexikon des Jazz, S.240-244.
8
Hauptmerkmal ist die Improvisation, ein aus dem Augenblick geborenes
unvorhergesehenes Musizieren, das meist an eine Harmoniefolge und ein Thema
gebunden ist.22 Improvisationen sind weder Bearbeitungen noch Interpretationen,
der improvisierende Jazzmusiker schafft ein neues, selbständiges Werk23 und wird
durch ein Akkordschema begleitet. Eine Kollektivimprovisation ist dann gegeben,
wenn mehrere Melodieinstrumente in annähernd gleicher Lautstärke zur selben
Zeit improvisieren, zum Beispiel im Dixieland-Jazz.24
2.3 Die Bedeutung der Gitarre in der Jazzentwicklung
Neben dem Banjo war die Gitarre im New Orleans Jazz als Begleitinstrument von
Anfang an präsent. Die Begleitkonzepte des four-beat-Rhythmus, bei dem alle
vier Zählzeiten des Vier-Vierteltaktes in etwa gleich betont werden, und des
gemischten Stils, bei dem Basstöne und Akkordklänge einander gegenübergestellt
werden, wurden für kurze solistische Passagen verfeinert. Im Blues wurde die
Gitarre hingegen als reines Melodieinstrument verwendet. Oft wurden die
Melodien ausschließlich einstimmig gespielt (single-note-Spiel). Schließlich
setzte sich die Gitarre gegenüber dem Banjo aufgrund ihrem überlegenen
harmonischen und melodischen Vokabular durch.25
Mit Django Reinhardts Spielweise (Reinhard, Jean Babtiste, * 27.1.1910 in
Liverchies, Belgien,
6.5.1953 in Fontainebleau, Frankreich
26
) hat sich die
Gitarre als gleichberechtigtes Soloinstrument im Jazz etabliert. Reinhardt
übernahm außer Soli auch unbegleitete Einleitungen und spielte sich in der
Begleitung immer wieder in den Vordergrund. Es gibt kaum einen Jazzgitarristen,
22
vgl. Knapp, Walter, Peschl, Wolf, Wege zur Musik. Arbeitsbuch für Musikerziehung in der 9.
und 10. Schulstufe, 1, Innsbruck 1989, S.224-229.
23
vgl. Viera, Joe, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, Wien 1971, S.13.
24
vgl. Knapp, Peschl, Wege zur Musik, S.226.
25
vgl. Schwab, Die Gitarre im Jazz, S.19-55.
26
vgl. Brockhaus Enzyklopädie. in 24 Bänden, Band 5, Mannheim19 1988, S.171.
9
der nicht von Reinhardt indirekt beeinflusst wäre. Er war nicht nur der erste
musikalisch souverän und technisch virtuos improvisierende Jazzgitarrist der
Geschichte, sondern er erweiterte in großem Umfang die Ausdrucksmöglichkeiten
des Instruments.27
Die
verbreitete
Einschätzung,
Gitarristen
seinen
der
Jazzentwicklung
hinterhergehinkt, erwies sich als haltlos. Manche waren sogar mit gewissen
Konzepten ihrer Zeit voraus, selten oder nie waren sie aber diejenigen, die diese
Konzepte auch durchsetzten. Eine Ursache liegt auch in der Gitarre selbst, die
beim Melodiespiel zwar über mehr Artikulationsmittel als ein Piano verfügt, den
Blasinstrumenten aber unterlegen ist. Denen hat sie dafür die harmonischen
Möglichkeiten voraus, welche jedoch wiederum an die eines Tasteninstruments
nicht heranreichen können.28
3 Die Gitarre im Jazz als Begleitinstrument
3.1 Die Funktionsharmonik des Jazz
Für die Begleitung sind vor allem Septimen-Akkorde von Wichtigkeit. Fügt man
den Dreiklängen einer Dur-Tonleiter eine weitere Terz hinzu, so ergeben sich
folgende Akkordtypen:
CD Track 01
27
vgl. Schwab, Die Gitarre im Jazz, S.96f.
28
vgl. Schwab, Die Gitarre im Jazz, S.264f.
10
Diese Akkordtypen finden zwei-, drei- oder vierstimmig ihre Anwendung:
2-stimmig
(Terz, Septime)
CD Track 02
3-stimmig
(Grundton, Terz, Septime)
CD Track 03
11
4-stimmig
(Grundton, Terz, Quinte, Septime)
CD Track 04
Auch fünf- und sechsstimmige Akkordschichtungen sind möglich.
Die zu so einem Basisklang eventuell hinzugefügten Töne (Nonen, Undezimen
und Tredezimen) nennt man Akkorderweiterungstöne.29
Beim Greifen der vierstimmigen Akkorde auf der Gitarre werden leere Saiten
durch eine flache Hand- und Fingerstellung abgedämpft.
Zur Erklärung der Griffbilder:
Die horizontalen Linien stellen die sechs Saiten dar, die vertikalen Linien die
Bünde. Die Ziffern stehen für die Finger der linken Hand, wobei der vom
Zeigefinger (1) bis zum kleinen Finger (4) numeriert wird.
29
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.20.
12
Vierstimmige Griffe
Grundton auf sechster Saite
Grundton auf fünfter Saite
III. Bund
III. Bund
Gmaj7
Cmaj7
G7
C7
Gm7
Cm7
Gm7b5
Cm7b5
13
Sechsstimmige Barréegriffe
Grundton auf sechster Saite
Grundton auf fünfter Saite
V. Bund
V. Bund
Amaj7
Dmaj7
A7
D7
Am7
Dm7
Am7b5
Dm7b5
14
3.1.1
Diatonische Akkordfolgen
Der Großteil aller Jazzstücke basiert harmonisch auf Kadenzen. Die nachstehende
Tabelle zeigt die gebräuchlichsten Akkordfolgen.
V–I
G7 – Cmaj7
II – V – I
Dm7 – G7 – Cmaj7
II – V – I
Dm7 – G7 – Cmaj7
VI – II – V – I
Am7 – Dm7 – G7 – Cmaj7
III – VI – II – V – I
Em7 – Am7 – Dm7 – G7 – Cmaj7
Die dritte Akkordverbindung tritt im Jazz sehr häufig auf - Sie beginnt mit der
Subdominantparallele, geht über zur Dominante und endet in der Tonika.30
CD Track 05
Die musikalische Umsetzung von Akkordsymbolen kann verschiedenartig
dargestellt werden. Die vertikale Anordnung der Töne (voicing)31 und das
Hinzufügen von Erweiterungstönen bleibt meistens dem Musiker überlassen. Es
gibt keine expliziten Stimmführungsregeln, so sind zum Beispiel Quintparallelen
30
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.27.
31
vgl. Schwab, Die Gitarre im Jazz, S.316.
15
erlaubt.32 Die folgenden drei Beispiele zeigen Möglichkeiten der Realisierung der
obigen Kadenz:
CD Track 06
CD Track 07
CD Track 08
32
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.29.
16
3.1.2
Harmoniefolgen mit tonalen Zentren
Ende der fünfziger Jahre entstand der modale Jazz. Anstatt die Harmonien in
Skalen zu übersetzen und darüber zu improvisieren, wurden gleich Skalen als
Ausgangsmaterial gewählt.33 Die sogenannte Modale Spielweise wurde von Miles
Davis (* 25.5.1926 in Alton, Illinois, USA,
28.8.1991 in Los Angeles,
California, USA34) als erster konsequent angewandt.35 In seinem Stück „So What“
in der AABA-Form basiert der A-Teil auf d-dorisch und der B-Teil auf esdorisch.36
Die harmonische Begleitung ist nicht vorgegeben, der Gitarrist kann grundsätzlich
zu jeder Zeit jeden aus der Skala zu bildenden Akkord spielen. Es ist möglich, die
gesamte Skala mit zwei nebeneinanderliegenden Dreiklängen und einem dritten
Dreiklang zu harmonisieren, wie in diesem Beispiel c-äolisch.
Ebenfalls von großer Bedeutung für das modale Spiel sind Quartenakkorde und
wie in „So What“ verwendete Mischungen aus Quarten und einer großen Terz.37
33
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.133.
34
vgl. Crowson, Don, Miles Davis – A Life Story (5.11.1995), Online im WWW unter URL:
http://www.nettally.com/dbird/MDBio.htm [Stand: 31.12.2000].
35
vgl. Gruntz, Jazz: Improvisation und Kreativiät, S.12.
36
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.133.
37
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.135-138.
17
Das sind alle reinen Quartendreiklänge im Modus d-dorisch:
CD Track 09
Diese Quartenakkorde sind mit sus4-Akkorden verwandt:38
3.1.3
Das Blues-Schema
Der Blues ist eine Quelle der Jazzmusik39 und besteht primär aus einer kurzen
harmonischen
Folge
unter
Beschränkung
auf
die
Hauptstufen
unseres
Tonsystems40, des Blues-Schemas.41 Es gibt Blues-Schemas von acht, zehn,
38
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.138.
39
vgl. Der Neue Reader´s Digest Brockhaus. in zwei Bänden, Band 1, Stuttgart/Zürich/Wien²
1974, S.157.
40
vgl. Dauer, Alfons M., Der Jazz. Seine Ursprünge und seine Entwicklung, Kassel³ 1977, S.70.
41
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.36.
18
zwölf, sechzehn und zwanzig Takten, welche mehrmals wiederholt werden. Das
gebräuchlichste zwölftaktige Blues-Schema hat folgenden Ablauf:
I
I
I
I
IV
IV
I
I
V
V
I
I
Der inhaltliche und melodische Aufbau des Blues ist charakteristisch.
Die ersten zwei Abschnitte stellen Fragen oder Anrufungen dar, welche im dritten
Abschnitt beantwortet werden.42
In einer anderen Möglichkeit trifft der erste Abschnitt eine Aussage, die im
zweiten Abschnitt wiederholt wird, aber durch die andere Harmonisierung einen
ausdrucksintensiveren Charakter bekommt, und deren Lösung oder Konsequenz
schließlich der dritte Abschnitt bringt.43
Die dritte Möglichkeit gliedert die Abschnitte in je zwei Hälften. Dabei werden in
den ersten beiden Takten vokale oder instrumentale Fragen gestellt, die im dritten
und vierten Takt beantwortet werden. In den Takten fünf bis sechs wird eine
weitere Frage gestellt, die im siebten und achten Takt ihre Antwort findet. Die
letzten Frage- und Antwort-Phrasen werden in Takt neun bis zwölf gestellt.
Beim Jazz-Blues wird die Harmonik des authentischen Blues mit jazzmäßigen
Kadenzen angereichert. Des Weiteren wird im zweiten Takt oft die Subdominante
statt der Tonika verwendet oder der Schluss anders gestaltet. Zum Beispiel
werden manchmal im letzten Abschnitt die Akkordfolgen V – IV – I oder
II – V – I zum Einsatz gebracht.44
42
vgl. Dauer, Der Jazz, S.71-75.
43
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.36.
44
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.36f.
19
3.2 Die Begleitung in der Praxis
Heute hat die Gitarre in den meisten Jazzgruppen neben dem Solospiel die
wichtige Aufgabe des Begleitens. Gemeinsam mit Schlagzeug, Bass und Klavier
schafft sie eine sichere rhythmische, harmonische und stilistische Grundlage, die
Impulse für die Solisten liefert. Die Begleitung sollte ausgeglichen wirken und die
Musik im Fluss halten.
Im Zusammenspiel mit einem Klavier empfiehlt es sich, eine ergänzende
Begleitung (comping) anzuwenden. Überdies werden häufig Substitutakkorde in
die vorgegebenen Harmonien eingebaut.45 Der ursprüngliche Akkord wird bei der
diatonischen Substitution durch eine terzverwandte Harmonie ersetzt.
CD Track 10
45
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.45-48.
20
CD Track 11
Für den Dominantseptimen-Akkord ist die Voranstellung des MollseptimenAkkords der II. Stufe geeignet.
CD Track 12
21
Die
Tritonussubstitution
stellt
die
Möglichkeit
einer
chromatischen
Akkordverbindung dar.
CD Track 13
Da die meisten Jazz-Stücke variable Strukturen haben, ist es möglich, mit den
Formaufteilungen zu improvisieren. Improvisierte Intros, breaks, die Reihenfolge
und Dauer der Soli und die Gestaltung des Schlusses werden oft während des
Spielens entschieden.
Ein Jazzgitarrist muss daher ein entwickeltes Gehör, gründliche Kenntnisse der
Jazzharmonielehre und ein großes Akkordrepertoire besitzen. Darüber hinaus ist
ein
guter
Blickkontakt
zwischen
den
Musikern
Reaktionsvermögen unerlässlich.46
46
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.45-48.
sowie
ein
schnelles
22
4 Die Gitarre im Jazz als Melodieinstrument
4.1 Die Melodik des Jazz
Die Melodik des Jazz ist stark von den klanglichen Vorstellungen des
Jazzmusikers geprägt. Die Tonbildung wird von den Möglichkeiten des
Instruments und von der Suche nach einem persönlichen Ausdruck (Personalstil)
bestimmt.47 Auch stark geräuschhafte Klänge können einen melodischen
Charakter besitzen.48 Das afrikanische Musikverständnis, das im Gegensatz zum
europäischen Musikverständnis die Tonhöhe und Tondauer nicht eindeutig
festlegt,
sondern
Mikrobereiche
dafür
vorgibt,
und
damit
verbundene
Artikulationen wie off-pitches, kurzzeitige Veränderungen der Tonhöhe, macht
für den Jazz den gesamten Tonraum auch zwischen den Tönen unseres
Tonsystems musikalisch bedeutungsvoll.49
Spieltechnische Möglichkeiten zur Melodiegestaltung auf der Gitarre sind zum
Beispiel der false-fingering-Effekt, der entsteht, wenn auf zwei benachbarten
Saiten der gleiche Ton angeschlagen wird, der Gebrauch der Leersaite als
Pedalton abwechselnd mit gegriffenen Tönen in höheren Lagen50, künstliche
Flageoletts durch Berühren der schwingenden Saite in ihrem Mittelpunkt und
Zupfen mit der rechten Hand51 oder verschiedene Arten des bendings, des
Veränderns der Tonhöhe durch Ziehen der Saite52.
47
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.19.
48
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.24.
49
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.20f.
50
vgl. Schwab, Die Gitarre im Jazz, S.96f.
51
vgl. Schwab, Die Gitarre im Jazz, S.182.
52
vgl. Schwab, Die Gitarre im Jazz, S.311.
23
CD Track 14
bis MUTED
24
4.2 Improvisationstechniken und deren Umsetzung auf der
Gitarre
Die zentrale Frage für den Improvisator ist: „Wie kann man Melodien bilden, die
zu einem vorgegebenen Harmonieschema passen?“ Die einfachste sowie zugleich
anfangs weit verbreitete Methode ist die Melodiebildung aus den akkordeigenen
Tönen. Der Versuch, die akkordeigenen Töne leiterartig miteinander zu
verbinden, ist eingängig. Die Auswahl der akkordfremden Töne mag während der
Improvisation gänzlich intuitiv erscheinen53, doch heutzutage vergegenwärtigen
sich die meisten Jazzmusiker das zur Verfügung stehende Tonmaterial in der
Form von Skalen. 54
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Möglichkeiten zur Improvisation
über Akkordfolgen (changes). Das Verfahren, nur eine Skala über wechselnden
Akkorden zu benutzen, nennt man horizontale Improvisation. 55 Um entscheiden
zu können, welche Skala man benutzt, muss die vorgegebene Harmoniefolge
analysiert und die Tonika gefunden werden.
56
Im Gegensatz dazu wechseln bei
der vertikalen Improvisation die verwendeten Skalen im allgemeinen mit den
Akkorden.57 Für den Anfänger ist eine horizontale Orientierung sinnvoller, da sie
eher ein Gespür für Melodisches weckt und zudem ein ökonomisches Spiel
fördert,58 jedoch war schon die Melodiebildung der New-Orleans-Gitarristen eher
vertikal bestimmt.59 Nach der Auswahl des Tonmaterials kommt es bei der
Improvisation auf die melodische und rhythmische Phantasie und Erfahrung an.60
53
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.11.
54
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.13.
55
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.38.
56
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.24.
57
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.38.
58
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.28.
59
vgl. Schwab, Die Gitarre im Jazz, S.38.
60
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.35.
25
4.2.1
Die Anwendung der Pentatonik
Viele Jazzmusiker verwenden beim Spiel über changes pentatonische Skalen.61
Diese sind in allen Musikkulturen der Welt zu finden62 und resultieren aus vier
übereinanderliegenden Quinten, die tonleitermäßig aneinandergereiht werden.63
Mit dieser Skala lassen sich interessante Improvisationen über Akkordfolgen
gestalten.64 Die Dur-Pentatonik wird vor allem bei Toniken in Dur angewandt.
Die vierte Umkehrung davon ist die ebenso häufig verwendete Moll-Pentatonik,
welche unter anderem bei Toniken in Moll Verwendung findet. Die dritte
Umkehrung wird wegen des Fehlens einer Terz neutrale Pentatonik genannt. Sie
kann daher sowohl über Dur- als auch über Mollakkorde gespielt werden.65
CD Track 15
Quinten
CD Track 16
Dur-Pentatonik
CD Track 17
neutrale Pentatonik
CD Track 18
Moll-Pentatonik
61
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.152.
62
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.15.
63
vgl. Knapp, Peschl, Wege zur Musik, S.36.
64
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.36.
65
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.15f.
26
Pentatonische Skalen wirken wie verkürzte Tonleitern, sind fast schon eine Art
Zwischenform zwischen Tonleiter und Akkord. Das sparsame Tonmaterial kommt
dem Anfänger entgegen66, auf der Gitarre ist auch das Griffbild sehr einfach. Bei
der Moll-Pentatonik ist der Grundton der erste Finger auf der sechsten Saite, in
diesem Fall a, bei der Dur-Pentatonik der vierte Finger, in diesem Fall c.
CD Track 19
V. Bund
Um den Improvisationsablauf mit der Pentatonik interessanter darzustellen,
empfiehlt es sich, sogenannte Farbtöne miteinzubeziehen. Das Hinzufügen der
großen Sexte bewirkt einen fröhlichen, frechen Klang.
CD Track 20
66
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.36.
27
Die große Septe schafft eine dissonante, spannungsvolle Atmosphäre.
CD Track 21
Die None erzeugt einen weichen, melancholischen Klang.
CD Track 22
28
4.2.2
Die Anwendung der Bluestonleiter
Unter dem Namen Bluestonleiter oder Blues-Skala sind heute verschiedene
Leitern geläufig67, es gibt auch verschiedene Auffassungen über deren
Entstehung. George Gruntz meint, die Blues-Tonleiter sei eine „Leiter aus den
Anfängen des Jazz, die aus der in vielen aussereuropäischen [sic] Musiken
üblichen Schichtung von physikalisch reinen Quinten entstanden“
68
ist. Sie
besteht folglich aus sieben Tönen.
Auf der Gitarre gibt es zwei Möglichkeiten, die um einen Viertelton erniedrigte
große Terz zu spielen. Entweder greift man die kleine Terz und zieht die Saite
horizontal, oder man greift die große Terz und verringert die Saitenspannung mit
Hilfe des Tremolohebels, sofern einer vorhanden ist.
Nach Alfons Dauer besteht die Bluestonleiter als die überlieferte afroamerikanische Tonalität aus der Durtonleiter mit den verflachten, also um weniger
als einen Halbton erniedrigten Intervallen der Terz und Septe, welche für ihn die
blue notes darstellen.69
Diese Tonleiter unterscheidet sich nur wenig vom dorischen Modus (siehe S. 34):
67
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.38.
68
Gruntz, Jazz: Improvisation und Kreativiät, S.13.
69
vgl. Dauer, Der Jazz, S.78.
29
Wolf Burbat hingegen ist der Ansicht, die Blues-Skala entsteht bei der
Zusammenfassung der Grundtöne der drei Hauptfunktionen mit den drei blue
notes, der kleinen Terz, der kleinen Septe sowie des Tritonus, welche aus dem
Blues-Gesang entstanden sind.70 Aber auch durch das Hinzufügen des Tritonus
zur Moll-Pentatonik erhält man die Blues-Skala.71 Demnach enthält sie sechs
Töne.
Diese Definition der Bluestonleiter und der blue notes ist die üblichste sowie für
all jene Instrumentalisten die zweckmäßigste, deren Instrument nur reine Halbtöne
hervorbringen kann, wie zum Beispiel für Pianisten. Obwohl das für Gitarristen
nur bedingt zutrifft, wird die Bluestonleiter von ihnen gewöhnlich in Form des
folgenden Griffbildes vergegenwärtigt, dessen Töne sich mit Wolf Burbats
Definition decken.
CD Track 23
70
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.38.
71
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.115.
30
Wie bei den pentatonischen Skalen ist der Grundton der Dur-Bluestonleiter der
vierte Finger auf der sechsten Saite und der Grundton der Moll-Bluestonleiter
oder Bluestonleiter der erste Finger auf der sechsten Saite.
Die Umkehrungen der Griffbilder ermöglichen es, das ganze Griffbrett zu
benutzen und die tonliche Einschränkung aufzuheben.
1.Umkehrung der
Mollbluestonleiter
2.Umkehrung der
Mollbluestonleiter
3.Umkehrung der
Mollbluestonleiter
4.Umkehrung der
Mollbluestonleiter
31
Beispiel:
„Watermelon Man“
von Herbie Hancock
CD Track 24
Das Stück verwendet ein um vier Takte erweitertes Bluesschema.
eingefügte Takte
32
Für die Improvisation zu „Watermelon Man“ von Herbie Hancock verwendete ich
die horizontale Improvisationstechnik mit der Mollbluestonleiter in F, in den
Takten elf bis vierzehn zusätzliche Erweiterungstöne.
Eigene Improvisation zu „Watermelon Man“ von Herbie Hancock
CD Track 25
33
4.2.3
Die Anwendung der Modi
Die Modi beziehungsweise Kirchentonleitern sind das wahrscheinlich häufigst
angewandte Improvisationsmaterial. Jeder einzelnen Tonstufe einer Durtonleiter
kann eine Skala zugeordnet werden. Diese Skalen bestehen aus den sieben Tönen
der Durtonleiter, beginnen aber mit dem Grundton der jeweiligen Stufe.
Die Stufenskalen besitzen Namen wie Ionisch, Dorisch oder Phrygisch, die das
Mittelalter
nach
griechischem
Muster
übernahm
und
bis
heute
als
Kirchentonleitern beziehungsweise Modi in Verwendung geblieben sind.
Jeder Modus lässt sich von allen Tönen der chromatischen Tonleiter bilden.72
Man teilt die sieben Modi in zwei Klassen ein, in die Dur-Gruppe und in die
Mollgruppe, je nachdem, ob die Terz groß oder klein ist, und unterscheidet die
Modi innerhalb der Gruppen durch charakteristische Intervalle. Zur Dur-Gruppe
gehören der ionische Modus (= Dur), der lydische Modus (= Dur mit übermäßiger
Quart) und der mixolydische Modus (= Dur mit kleiner Septe). Die Moll-Gruppe
beinhaltet demnach den äolischen Modus (= natürliche Moll), den dorischen
Modus (= natürliche Moll mit großer Sexte), den phrygischen Modus
(= natürliche Moll mit kleiner Sekunde) und den lokrischen Modus (= natürliche
Moll mit kleiner Sekunde und verminderter Quinte). Die erste, dritte und fünfte
Stufe des lokrischen Modus bilden einen verminderten Dreiklang, diese Tonleiter
tritt daher als selbständiger Modus äußerst selten auf.73
72
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.13.
73
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.14.
34
CD Track 26
ionisch
dorisch
phrygisch
lydisch
mixolydisch
äolisch
lokrisch
35
36
Die Modi werden vorwiegend bei vertikalen Improvisationen über diatonische
Akkordfolgen verwendet. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit ist die Verwendung des mit dem Basston des erklingenden
Akkordes beginnenden Modus der dem Stück zugrundeliegenden Durtonart. Bei
einem Stück in C-Dur wird also über Dm7 der Modus d-dorisch, über G7 der
Modus g-mixolydisch und über Am7 der Modus a-äolisch gespielt. Das
Tonmaterial bleibt zwar bei allen Akkorden mit Tonika-Bezug derselbe, aber die
Gewichtung der einzelnen Töne ändert sich mit den Akkorden. Mit Vorrang
werden die akkordeigenen Töne eines Modi verwendet, also der Grundton, die
Terz, die Quint und die Septe.1
Auf der Gitarre lässt sich diese Methode verschieden realisieren. Die Gewichtung
der akkordeigenen Töne ist am leichtesten, wenn man für jeden Modus dessen
Griffbild benutzt, jedoch wird damit ein ständiges Verschieben der linken Hand
notwendig. Fortgeschrittene spielen über alle Akkorde mit Tonika-Bezug
denselben Modus, wobei sich jedoch die Gewichtung der akkordeigenen Töne
erheblich schwieriger gestaltet.
Die zweite Möglichkeit wird öfters benutzt und benötigt keine diatonischen
Akkordfolgen. Jeder Akkord ist voneinander unabhängig und verlangt seinen
dazugehörigen Modus, welcher mit dem gleichen Basston beginnt. Es können
auch zwei Modi für einen Akkord zur Auswahl stehen. Bei einem
Dominantseptakkord wird grundsätzlich der mixolydische Modus verwendet, bei
einem Durseptakkord der ionische oder der lydische Modus und bei einem
Mollseptakkord der dorische, der phrygische oder der äolische Modus. Es finden
1
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.29f.
37
also im Gegensatz zur ersten Möglichkeit auch Tonwechsel statt, die man sich vor
dem Improvisieren klarmachen sollte.2
Auf der Gitarre kann man bei dieser Methode problemlos die Modi transponieren,
sodass man mit der linken Hand so wenig wie möglich rutschen muss, da nun
zusätzlich zu den akkordeigenen Tönen auch die Tonwechsel die Modi
voneinander unterscheiden. Wenn zum Beispiel die Modi a-mixolydisch und dmixolydisch aufeinander folgen, spielt man statt d-mixolydisch in der zehnten
Lage den Modus a-dorisch und kann somit beim Wechsel in der selben Lage
bleiben.
2
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.40f.
38
Beispiel:
„Blue Train“
von John Coltrane
CD Track 27
39
Eigene Improvisation zu „Blue Train“ von John Coltrane
CD Track 28
Ich verwendete bei diesem Moll-Blues jeweils die äolischen Modi.
40
Ein melodisches Mittel zur Erweiterung des tonalen Rahmens ist das side-slipping
oder outside-Spiel, ein kurzfristiges, oft sequenzartiges Ausweichen in die gleiche
Skala einen Halbton höher oder tiefer.3 Die Phrase beginnt in der gegebenen
Tonalität, verlässt diese und kehrt nach dem Prinzip von Spannung und
Entspannung zum Ursprung zurück.4 Eine besondere Rolle spielen beim outsideSpiel parallelverschobene patterns5 wie im folgenden Beispiel:
CD Track 29
1.1.1
Die
Andere Improvisationstechniken
bereits
beschriebenen
Improvisationstechniken
sind
die
im
Jazz
gebräuchlichsten, aber nicht die einzigen Möglichkeiten zur Melodiebildung über
gegebene Akkorde.
Die naheliegendste und einfachste Methode ist die Verwendung der Töne des
klingenden Akkords. Sie lässt sich am besten bei Stücken mit vielen
Akkordwechseln benutzen, doch selbst dann bietet sie wenig musikalische
Spannung und Kreativität. Oft werden einfach Akkordzerlegungen gespielt,
welche eher eine improvisierte Begleitung darstellen.
Innerhalb
einer
Improvisation
kann
auch
zwischen
verschiedenen
Improvisationstechniken gewechselt werden, zum Beispiel zwischen der
Verwendung von Modi und Akkordzerlegungen.
3
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.141.
4
vgl. Burbat, Die Harmonik des Jazz, S.143.
5
vgl. Viera, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, S.41.
41
Die folgendem Stück nachstehende Improvisation zeigt eine Möglichkeit, Modi
und Akkordzerlegungen miteinander zu verbinden. Alteration wie die kleine None
schaffen hierbei zusätzliche Spannungszustände.
Beispiel:
„Tune Up“
von Miles Davis
CD Track 30
42
Eigene Improvisation zu „Tune Up“ von Miles Davis
CD Track 31
Literaturverzeichnis
Achs, Oskar, Scheuch, Manfred, Tesar, Eva, Aus Geschichte lernen 6.Klasse. Vom
Hochmittelalter bis zum Wiener Kongress, Wien² 1997.
Berendt, Joachim-Ernst, Das Jazzbuch, Frankfurt am Main 1989.
Berendt, Joachim-Ernst, Ein Fenster aus Jazz. Essays Portraits Reflexionen,
Frankfurt am Main 1977.
Brockhaus Enzyklopädie. in 24 Bänden, Band 5, Mannheim19 1988.
Burbat, Wolf, Die Harmonik des Jazz, Kassel/München² 1989.
Crowson, Don, Miles Davis – A Life Story (5.11.1995), Online im WWW unter
URL: http://www.nettally.com/dbird/MDBio.htm [Stand: 31.12.2000].
Dauer, Alfons M., Der Jazz. Seine Ursprünge und seine Entwicklung, Kassel³
1977.
Dausend, Gerd-Michael, Die Gitarre im 16. bis 18. Jahrhundert, Düsseldorf 1992.
Der Neue Reader´s Digest Brockhaus. in zwei Bänden, Band 1,
Stuttgart/Zürich/Wien² 1974.
Gruntz, George, Jazz: Improvisation und Kreativiät, St.Gallen 1985.
Kaiser, Rolf, Gitarrenlexikon, Reinbek bei Hamburg, 1987.
Knapp, Walter, Peschl, Wolf, Wege zur Musik. Arbeitsbuch für Musikerziehung in
der 9. und 10. Schulstufe, Band 1, Innsbruck 1989.
Päffgen, Peter, Die Gitarre. Grundzüge ihrer Entwicklung, Mainz 1988.
Ragossnig, Konrad, Handbuch der Gitarre und Laute. mit 70 Abbildungen, Mainz
1978.
Sachs, Curt, Geist und Werden der Musikinstrumente, Berlin 1928.
Schmeck, Martin Heinrich, Musik - Instrumente. Von historischen und klassischen
Instrumenten bis zur Instrumentierung für Volksmusik, Rock, Pop, Jazz und Neue
Musik, Weyarn 1998.
Schmitz, Alexander, Das Gitarrenbuch. Geschichte, Instrumente, Interpreten,
Frankfurt am Main 1983.
Schwab, Jürgen, Die Gitarre im Jazz. Zur stilistischen Entwicklung von den
Anfängen bis 1960, Regensburg 1998.
Viera, Joe, Reihe Jazz 3. Arrangement und Improvisation, Wien 1971.
Wölfer, Jürgen, Lexikon des Jazz, München 1993.
Anhang
Tracks der beiliegenden Compact Disc
PQ
PR
Vierklänge
s.S. 9
PS
Vierklänge zweistimmig
s.S. 10
PT
Vierklänge dreistimmig
s.S. 10
PU
Vierklänge vierstimmig
s.S. 11
PV
II-V-I – Kadenz
s.S. 14
PW
Beispiel 1 für eine Umsetzung der II-V-I – Kadenz
s.S. 15
PX
Beispiel 2 für eine Umsetzung der II-V-I – Kadenz
s.S. 15
PY
Beispiel 3 für eine Umsetzung der II-V-I – Kadenz
s.S. 15
QP
Quartenakkorde
s.S. 17
QQ
Beispiel 1 für eine diatonische Substitution
s.S. 19
QR
Beispiel 2 für eine diatonische Substitution
s.S. 20
QS
Beispiel 3 für eine diatonische Substitution
s.S. 20
QT
Tritonussubstitution
s.S. 21
QU
Spieltechnische Möglichkeiten auf der Gitarre
s.S. 23
QV
Vier übereinanderliegende Quinten
s.S. 25
QW
Dur-Pentatonik
s.S. 25
QX
Neutrale Pentatonik
s.S. 25
QY
Moll-Pentatonik
s.S. 25
RP
Moll-Pentatonik (Griffbild)
s.S. 26
RQ
Moll-Pentatonik mit großer Sexte (Griffbild)
s.S. 26
RR
Moll-Pentatonik mit großer Septe (Griffbild)
s.S. 27
RS
Moll-Pentatonik mit großer None (Griffbild)
s.S. 27
RT
Bluestonleiter (Griffbild)
s.S. 29
RU
„Watermelon Man“ von Herbie Hancock
s.S. 31
RV
Eigene Improvisation zu „Watermelon Man“
s.S. 32
RW
Modi, jeweils mit a als Grundton
s.S. 35
RX
„Blue Train“ von John Coltrane
s.S. 38
RY
Eigene Improvisation zu „Blue Train“
s.S. 39
SP
Beispiel für outside-Spiel
s.S. 40
SQ
„Tune Up“ von Miles Davis
s.S. 41
Eigene Improvisation zu „Tune Up“
s.S. 42
Ehrenwörtliche Erklärung
Ich erkläre hiermit, die vorliegende Fachbereichsarbeit selbst angefertigt und
keine anderen als die im Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel
benützt zu haben.