Jetzt kann ich den Kindern etwas zu essen kaufen

Transcription

Jetzt kann ich den Kindern etwas zu essen kaufen
einblick
«Jetzt kann ich den Kindern
etwas zu essen kaufen»
Cindy Walker ist als Fachpersonen der
Bethlehem Mission Immensee/COMUNDO in Kenia
im Einsatz. Sie unterstützt Frauen dabei,
mit einem eigenen Einkommen ein
selbstbestimmtes Leben zu führen.
Text: Cindy Walker
S
» Für viele Frauen ist das
Crafts Center die einzige
Möglichkeit, in Gilgil
Geld zu verdienen.
32
wendekreis 10_2014
eit August 2013 bin ich für
«Sanata Charitable Trust»
(Sanchat), eine Partnerorganisation der Bethlehem Mission
Immensee (BMI) | COMUNDO in der
kenianischen Kleinstadt Gilgil tätig.
Sanchat wurde 2008 gegründet und
betreut zurzeit fünf verschiedene
Projekte, unter anderem ein Waisenhaus sowie das Crafts Center, für
das ich tätig bin. Dort stellen zeitweise bis zu hundert Frauen in
Handarbeit Accessoires wie Taschen
und Schmuck her. Durch diese Arbeit verfügen sie über ein eigenes
Einkommen, das in vielen Fällen das
Überleben ganzer Familien sichert.
Viele der Frauen leben von ihren
Männern getrennt und müssen selber für sich und ihre Kinder sorgen.
Leider können wir bis jetzt nur fünf
Frauen eine Festanstellung bieten;
die restlichen beschäftigen wir je
nach Auftragslage tage- oder wochenweise und bezahlen sie pro
Stück. Normalerweise sind täglich
rund dreissig Frauen beschäftigt.
Nächstes Jahr können wir jedoch
ein neues Gebäude mit grösseren
Räumlichkeiten beziehen und damit unsere Kapazitäten vergrössern.
Unter anderem ist dort auch ein
Shop geplant, in dem wir unsere Produkte direkt an Lauf kunden verkaufen können. Bisher sind die meisten unserer Kunden Grossabnehmer
wie zum Beispiel Supermarktketten,
für die wir etwa umweltfreundliche
Einkaufstaschen bedrucken.
Frauen zu unterstützen und ihnen
eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu geben, ist mir ein sehr
wichtiges Anliegen und war auch
meine grösste Motivation für diesen
Einsatz. Hier in Kenia haben Frauen
mit verschiedenen Schwierigkeiten
zu kämpfen. Viele haben keinen Zugang zu Schulbildung und müssen
schon in jungen Jahren Verantwortung im Haushalt übernehmen.
Zwangsheiraten sind leider bis heute keine Seltenheit. Die oft minderjährigen Bräute verbringen ihr Leben nach der Hochzeit vor allem mit
Hausarbeit und Kindererziehung. Im
Gegensatz zu den Männern haben
sie nur wenige Rechte. Nach aktueller Gesetzgebung müssen sie nicht
einmal ihr Einverständnis geben,
wenn ihr Mann zusätzlich andere
Frauen heiraten will.
Alice Maitai, eine unserer Mitarbeiterinnen, erzählte mir kürzlich ihre
Lebensgeschichte. Noch bevor sie 18
Jahre alt war, hatten sie ihre Eltern
gegen einen Brautpreis mit einem
Massai-Mann verheiratet. Nachdem
sie sechs Kinder zur Welt gebracht
hatte, hat er die Familie verlassen.
«Nur durch die Arbeit im Crafts Center bin ich in der Lage, meinen Kindern etwas zu essen zu kaufen», sagte sie. «Ich bin sehr dankbar dafür
und wüsste gar nicht, was ich sonst
machen würde.» Für viele Frauen ist
das Crafts Center von Sanchat
tatsächlich die einzige Möglichkeit,
in Gilgil Geld zu verdienen. Dies
führt mir immer wieder vor Augen,
wie wichtig und bedeutend es ist, unsere Arbeit fortzuführen und nachhaltig zu sichern.
Gemeinsam arbeiten_Während
meines dreijährigen Einsatzes möchte ich das Crafts Center weiterentwickeln. Im Mai haben wir eine neue
Kollektion auf den Markt gebracht.
Statt des traditionellen MassaiSchmucks stellen wir beispielsweise
Accessoires mit Perlen her – unsere
Produkte sollen sich klar vom Mainstream abheben. Tatsächlich haben
wir im Juli bereits zwei Läden in
Nairobi gefunden, die unsere Sachen
verkaufen werden.
Doch meine Aufgabe besteht nicht
nur darin, inhaltliche Neuerungen
zu erarbeiten, sondern auch, die Projektleiterin vor Ort so einzuarbeiten,
dass sie das Crafts Center nach meinem dreijährigen Einsatz selbstständig führen kann. Unter anderem
bringe ich ihr den Umgang mit dem
Computer bei – sie wird Bestellungen verarbeiten, Berichte schreiben
und Kundenkontakte pflegen. Ausserdem obliegt ihr die Qualitätskontrolle – ein wichtiges Thema, da
Sanchat seine Produkte vermehrt
auch international verkaufen möchte. Auch diesbezüglich sind wir auf einem guten Weg – in England gibt es
bereits verschiedene Läden, die unsere Produkte verkaufen wollen.
Seit 2009 arbeitet das Crafts Center
mit der Organisation Ethical Fashion
Africa zusammen. Über Ethical
Fashion können wir die Aufträge von
international bekannten Designern
wie Vivienne Westwood, Stella McCartney, Sass & Bide und Chan Luu
ausführen. Für den Tag der Unabhängigkeit, der sich 2013 zum fünfzigsten Mal jährte, haben wir ausserdem 650 Meter Stoff verarbeitet,
um in den kenianischen Nationalfarben Fähnchen zu nähen.
Gemeinsam lachen_Ich merke,
dass sich das Crafts Center und seine
Mitarbeiterinnen jeden Tag ein bisschen mehr weiterentwickeln. An
unserem Weihnachtsverkauf beispielsweise konnten wir letztes Jahr
mehr als doppelt so viel verkaufen
wie im Vorjahr. Die glücklichen Gesichter der Frauen in so einem Moment zu sehen, ist für mich der
schönste Antrieb. Überhaupt lerne
ich viel von meinen Mitarbeiterinnen – nicht nur ihre Lebensfreude
ist ansteckend, sondern auch die
Fähigkeit, die Dinge mit Humor zu
nehmen. Aufeinander achtzugeben
und einander zu helfen. Sich Zeit
füreinander zu nehmen. Ich erinnere mich an die Zeit, in der ich in
Zürich gelebt habe: Der Bahnhof war
morgens immer voll und die Leute
gestresst. Im Zug suchte sich jeder
ein freies Abteil und las die Zeitung
oder hörte Musik. Niemand sprach
miteinander – das ist hier ganz anders. Man sieht die Dinge gelassener
und nimmt sich Zeit für Gespräche.
Ein ganz spezielles Erfolgserlebnis ist, dass im Crafts
Center Frauen aus
zehn unterschiedlichen Stämmen friedlich und motiviert zusammenarbeiten. Das
ist nicht selbstverständlich,
denn Konflikte zwischen verschiedenen Stämmen sind in
Kenia sehr häufig. In diesem Sinn
leisten wir hier auch ein Stück Friedensarbeit.
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