schmerztherapie - Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin eV
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SCHMERZTHERAPIE Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. – DGS 23. Jahrgang 2007 3I2007 Ehemals StK Inhalt Editorial Verunsicherung, Einschüchterung, Missbrauch..................................... 2 Zertifizierte Fortbildung Opioide – differenzierte Therapie ist Goldstandard.................................. 4 Fragen zur Zertifizierung.............. 9 Schmerzkonsil Teilbarkeit von oralen Stufe-III-Opioiden......................... 11 Originalie Erstes bundesweites Kopfschmerzbehandlungsnetz.......................... 12 DGS-Veranstaltungen/Interna... 15 Interdisziplinäre Fortbildung Schmerzkonferenzen – Palaver oder Chance?.................. 16 Onkologie Moderne Chemotherapie nach Maß.............................................. 18 Palliativmedizin Optimale Palliativversorgung – Wie ist das möglich?.................... 20 Medizin und Recht Wie wird das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz umgesetzt?...... 22 Schmerz im Krankenhaus Funktion des Akutschmerzdienstes........................................ 24 Internationale Presse ................ 25 Bücherecke................................. 26 Kasuistik Rückenschmerzen........................ 27 Opioide – differenzierte Therapie nach der inneren Uhr www.dgschmerztherapie.de ISSN 1613-9968 Editorial Verunsicherung – Einschüchterung – Missbrauch Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verunsicherung, Einschüchterung und Missbrauch – typische Machtinstrumente einer Diktatur – finden zunehmend Eingang in das bundesdeutsche Gesundheitswesen. Gerade in der schon defizitären schmerztherapeutischen Versorgung hat dies fatale Konsequenzen. Verunsicherung Diejenigen von Ihnen, die eine nennenswerte Zahl oder gar überwiegend Schmerzpatienten betreuen, werden in den letzten Tagen und Wochen „Prüfungen der wirtschaftlichen Verordnungsweise von Arznei- und Verbandsmitteln aufgrund von Überschreitungen ihres individuellen Richtgrößenvolumens für das Jahr 2005“ erhalten haben. Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 106 Abs. 5 a SGB V sowie § 84 Abs. 6 SGB V ist bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens von mehr als 15% eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen. Selbst wenn bei Ihnen Schmerztherapie jahrelang als Praxisbesonderheit anerkannt war, geraten Sie jetzt aufgrund der Gesund- heitsreform in die Mühlen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Zwar werden im Vorfeld bereits – je nach KV – Substanzen wie stark wirksame Opioide (WHO-Stufe III) und Gabapentin als Besonderheit herausgerechnet. Zahlreiche andere Substanzen, die im Rahmen der Schmerztherapie essenziell sind wie beispielsweise Stufe-II-Opioide, Antikonvulsiva wie z.B. Pregabalin, Antidepressiva, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer oder auch antichronifizierende Substanzen wie Flupirtin sowie Lokalanästhetika wie auch Triptane oder Rezepturen zur intrathekalen Opioidtherapie zur Pumpenbefüllung finden zunächst keine Berücksichtigung, obwohl sie seit Jahren unstrittig Bestandteil qualifizierter Schmerztherapie sind. Immer mehr Verunsicherung durch Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Natürlich können Sie jede einzelne dieser Verordnungen begründen und ihre Notwendigkeit in der Summe auch darstellen – dies allerdings auf Kosten Ihrer eigenen Lebens- und Arbeitszeit: Leicht ist hier einmal eine ganze Arbeitswoche mit 50 Arbeitsstunden mit Statistik und Begründungsorgien zugebracht, ohne dass ein einziger Patient besser versorgt wäre. Schlimmer noch wiegt, dass viele Kollegen verunsichert sind und nicht nur ihr Verordnungsverhalten ändern, sondern auch keine Neigung mehr verspüren, sich der Probleme chronisch schmerzkranker Patienten anzunehmen, bei denen auch die ärztliche Arbeit ohnedies dem Rasiermesser der Leistungsbegrenzung zum Opfer fällt. Einschüchterung Einschüchterung ist auch das Prinzip, wenn die Bundesregierung im Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz DDDs (Defined Daily Doses = angenommene tägliche Dosierung) als Steuerungsgröße zur Verordnung von Medikamenten und insbesondere auch von stark wirksamen Schmerzmitteln einsetzt. Auf seiner Homepage definiert das Bundesgesundheitsministerium in seinem „Glossar zur Gesundheitsreform“ (www.diegesundheitsreform.de/glossar/durchschnittskosten_tagesdosis.html): „Für den Preisvergleich bieten die Angaben zur ‚Defined Daily Dose’ (DDD, deutsch: durchschnittliche Tagesdosis) dem Arzt eine konkrete Orientierung. Die DDD ist eine Tablette mit normierter Wirkstärke oder Wirkstoffmenge. Sie entspricht der Dosis, die bei einer bestimmten Indikation im Durchschnitt und pro Tag erforderlich ist.“ Und weiter: „Die Regelung ist Teil des Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG). Es ist die Aufgabe der Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen, die Durchschnittskosten vertraglich festzulegen.“ Hier wird suggeriert, DDDs eigneten sich zum Vergleich verschiedener SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Editorial Substanzen und verschiedener Arzneigruppen und ermöglichten es, die günstigste wirksame Therapie auszusuchen. DDDs beschreiben Mangelversorgung und nicht Therapienotwendigkeit Um hier den Gesundheitsstrategen nicht erneut auf den Leim zu gehen, ist es wichtig, Definitionen und Inhalte exakt zu kennen. DDDs wurden explizit zum Vergleich des Verordnungsverhaltens in verschiedenen Ländern und Populationen definiert, um in Studien Versorgungsrealität vergleichbar abbilden zu können. In Anbetracht der bestehenden Mangelversorgung von Schmerzpatienten sowohl was die ärztliche Versorgung als auch was die pharmakotherapeutische Versorgung angeht, wird verständlich, dass DDDs die die aktuelle oder zurückliegende Verordnungsrealität widerspiegeln, immer eine Mangelversorgung beschreiben. DDDs: keine Verordnungsrichtlinie Die DDDs werden im Rahmen der anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikation von Medikamenten (sog. ATC-Klassifikation, in der Wirkstoffe entsprechend dem Organ oder Organsystem, auf das sie einwirken, und nach ihren chemischen, pharmakologischen und therapeutischen Eigenschaften in verschiedene Gruppen eingeteilt werden) vom WHO-Zentrum für die Erarbeitung der Methodik der Arzneimittelstatistik (WHO Collaborative Centre for Drug Statistics Methodology) in Oslo jährlich neu beschrieben. Ausdrücklich weist diese Arbeitsgruppe darauf hin, dass DDDs (Defined Daily Doses) und PDD (Prescribed Daily Dose = verordnete tägliche Dosierung) weit voneinander abweichen können und mithin DDDs auf keinen Fall als Richtlinien für Verordnungsnotwendigkeiten herangezogen werden können. Insbesondere im Bereich der stark wirksamen Schmerzmittel vom Opioidtyp würde eine derartige Berechnung die bestehende Mangelversorgung festschreiben, was dem erklärten Ziel der WHO explizit entgegenlaufen würde. Darüber hinaus schreibt die für die Festlegung verantwortliche Arbeitsgruppe explizit vor, dass DDDs nach Möglichkeit nicht verändert werden sollten, selbst wenn das Verordnungsverhalten in einem betroffenen Land oder einer betroffenen Population sich massiv verändert hat, da diese Größe ausschließlich zur Anwendung in Vergleichsstudien kreiert wurde und deshalb bei einer Veränderung der Definition Langzeit- und Querschnittsuntersuchungen in Studien nicht mehr möglich sind. Deshalb werden DDDs auch nicht den tatsächlichen Verordnungsrealitäten angepasst, SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Tabelle 1: DDDs verändern sich im Lauf der Zeit, Beispiele aus den USA Hydromorphon 4 mg oral Y20 mg oral (2004) Morphin30 mg oral Y 100 mg oral (1987) Oxycodon30 mg oral Y 75 mg oral (2004) oder wenn, dann allenfalls in großen Zeitabständen. Im Bereich der stark wirksamen Opioide wurden zwischen 1982 und 2007 Veränderungen der DDDs bei folgenden Substanzen in den folgenden Größenordnungen vorgenommen, basierend auf Verbrauchsdaten aus den USA (Tab. 1). Diese wenigen Beispiele zeigen bereits, dass DDDs keine festgeschriebenen Größen sind. Missbrauch Darüber hinaus stellt die WHO-Arbeitsgruppe fest, dass auf ATC- und DDD-Zuordnung basierende Erstattungsregelungen, Preisvergleiche therapeutischer Gruppen oder Preisentscheidungen einen Missbrauch des Systems darstellen. Weiterhin stellt sie fest: „DDDs spiegeln nicht notwendigerweise therapeutisch gleichwertige Dosen verschiedener Medikamente wider, und deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie Tagesdosen darstellen, die gleiche Behandlungsergebnisse für alle Produkte innerhalb einer ATC-Kategorie bringen … Es ist deshalb nicht zulässig, dieses Maß zum Vergleich verschiedener Medikamente oder Medikamentengruppen zu verwenden.“ Opioide sind nicht beliebig austauschbar Die Aufforderung mancher Gesundheitspolitiker, Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigungen, Patienten, die stark wirksame Schmerzmittel vom Opioidtyp benötigen, seien mit einer bestimmten Mindestquote auf das billigste generische Morphin umzustellen, entbehrt damit jeder Grundlage, der Hinweis im AVWG auf DDDs stellt eindeutig einen Missbrauch dar. Bereits in früheren Ausgaben von SCHMERZTHERAPIE wurde ausführlich auf die unterschiedliche Wirkweise wie auch Metabolisierung und Kinetik der verschiedenen Opioide hingewiesen. Das Märchen vom Arzt als Arzneimittelverschwender Wie der neu erschienene Arzneimittel-Atlas des IGES-Institutes (http://www.iges.de/) aufzeigt, geht der 2006 nominal um 2% gestiege- ne Arzneiverbrauch auf die zusätzliche Neueinstellung von rund 2,5 Millionen mehr Patienten mit Antihypertensiva (+ 1,18 Mio. Patienten), Lipidsenkern (+ 0,88 Mio. Patienten), Säurehemmern (+ 0,4 Mio. Patienten) sowie Antidiabetika (+ 0,14 Mio. Patienten) zurück und nicht auf eine ausufernde Verordnung sinnloser Analgetika. Demotivation Demotivation ist für viele Kollegen die Konsequenz aus dieser anhaltenden Verunsicherung, Einschüchterung und missbräuchlichen Anwendung von Definitionen mit der Androhung wirtschaftlicher Konsequenzen in einem System, das ohnedies nur durch die permanente Selbstausbeutung von Ärzten vor dem Kollaps bewahrt wird. Von paritätischen Entscheidungen oder Sachverstand ist hier nur wenig zu spüren. „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt …“ war das Motto der 68iger-Generation. Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist es wieder an der Zeit, sich zu wehren und nicht unhinterfragt jeden Unfug, egal ob er in Gesetzen oder Missinterpretationen festgelegt ist, über sich ergehen zu lassen. Kein Mensch kann vernünftigerweise erwarten, dass Ärzte die Verordnung der Medikamente ihrer Patienten aus der eigenen Tasche bezahlen, nachdem sie ohnedies schon ihre eigene Arbeit oft zu mehr als der Hälfte kostenlos zur Verfügung stellen. Die Definitionen und rechtlichen Grundlagen sind klar und eindeutig. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns wieder gemeinsam wehren und sinnlosen Begründungsorgien wie auch dem bewussten Missbrauch von Begriffen Einhalt gebieten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass Sie in Ihrem Urlaub viel Erholung und Energie tanken, um sich gegen unsinnige Einschränkungen und Verdächtigungen effektiv wehren zu können und grüße Sie herzlich. ❏ Ihr Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. Zertifizierte Fortbildung Opioide – differenzierte Therapie ist Goldstandard DGS Aufgrund fehlender spezifischer organtoxischer Wirkungen spielen Opioide im Rahmen schmerztherapeutischer Konzepte heute sowohl bei tumorals auch bei nicht tumorbedingten Schmerzen eine zentrale Rolle. Inzwischen steht eine große Palette moderner Retardopioide zur Verfügung. Die folgende Arbeit von Dr. med. Uwe Junker, DGS-Vizepräsident, und Hanna Ludwig, beide Sanaklinikum Remscheid, versucht, auf der Grundlage der bis heute vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse Möglichkeiten und Grenzen der Schmerztherapie mit Opioiden im allgemeinen ebenso zusammenzufassen wie deren mögliche patientenbezogene Differenzialindikation bei chronischen Schmerzen. Indikationen für Opioide Nicht retardierte und retardierte Opioide werden bei sehr unterschiedlichen Schmerzsyndromen eingesetzt. Gut dokumentiert ist der Nutzen einer Opioidtherapie bei Tumorschmerzen, aber auch bei nicht tumorbedingten Schmerzen können Opioide wirksam sein. Opioidsensitive Schmerzen lassen sich mit Opioiden ausreichend lindern, ohne dass limitierende unerwünschte Wirkungen auftreten. Opioidpflichtige Schmerzen sind jene opioidsensitiven Schmerzen, bei denen Nichtopioide wegen ihren Nebenwirkungen unzumutbar sind, allein unzureichend wirken oder für die eine Kontraindikation besteht [1]. Tumorschmerzen Wie häufig behandlungsbedürftige Schmerzen im Rahmen von Krebserkrankungen auftreten, hängt von der Lokalisation und Pathophysiologie des Tumors ab. Tumoren, die ins Skelett metastasieren, führen bei mehr als 85% der Patienten zu Schmerzen. Dagegen geben nur 25–45% der Patienten mit Lymphomen und Leukämien Schmerzen an. Tumorschmerzen sind heutzutage zu 90% durch medikamentöse Konzepte mit Opioiden, Koanalgetika und Adjuvanzien beherrschbar [2]. Nicht tumorbedingte Schmerzen Im Hinblick auf nicht tumorbedingte Schmerzen ist die Wirksamkeit von Opioiden nur für einige chronische Schmerzsyndrome in placebokontrollierten Studien nachgewiesen worden, die sich außerdem nur auf wenige Wochen erstreckten und teilweise beträchtliche Abbruchquoten nach der Titrationsphase aufwiesen. Zwar kann eine klare Indikation zur Langzeittherapie aus den bisherigen klinischen Daten nicht abgeleitet werden, doch lassen klinische Anwendungsberichte vermuten, Abbildung 1: Wer ist opioidsensitiv? Fall 1: Sensitiv, zweite Dosis zu spät Fraglich sensitiv, evtl. Dosis erhöhen Körperliche Folge einer längeren Zufuhr Abhängigkeit einer Substanz Nicht sensitiv Schmerzintensität 8 6 4 Nach Junker 2 dass Opioide auch langfristig chronische nicht tumorbedingte Schmerzen lindern können. Eine Befragung von 121 Patienten mit chronischen, nicht durch eine maligne Erkrankung verursachten Schmerzen und einer mindestens über drei Jahre andauernden Therapie zeigte eine gleichbleibend gute Wirksamkeit der Opioide bei initialen Therapierespondern ohne Hinweise auf Toleranzentwicklung und belegte darüber hinaus die Vorteile regelmäßiger Kontrolle in qualifizierten schmerztherapeutischen Einrichtungen [3, 4]. Für die Wirksamkeit von Opioiden ist dabei der Pathomechanismus nicht primär entscheidend. Opioide können also sowohl bei Nozizeptorschmerzen als auch bei neuropathischen Schmerzen wirksam sein. Wirksamkeit muss individuell mittels Verlaufsdokumentation, z. B. in Form eines Schmerztagebuches, ermittelt werden (Abb. 1). Der früher propagierte „i.v.Morphintest“ gilt heute als obsolet [1]. Tabelle 1: Kriterien [5] 10 0 Hanna Ludwig und Uwe Junker, Remscheid 7 10 14 18 Uhrzeit 22 7 10 14 18 22 7 10 14 18 22 Retardopioid Entzugssymptomatik nach Absetzen oder nach Applikation eines Antagonisten (sehr variabel) Substanz kann daher nicht abrupt abgesetzt werden Psychische Verlangen nach angenehmen Abhängigkeit oder Vermeidung unange nehmer psychotroper Wir kungen stehen für den Pati enten im Vordergrund Tendenz zur Selbstschädigung/zum sozialen Rückzug in Einzelfällen SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Zertifizierte Fortbildung Keine Indikationen [1, 2] Nach dem derzeitigen Wissensstand ist von einer Langzeitanwendung von Opioiden bei folgenden Schmerzsyndromen und Störungen dringend abzuraten: ■ primäre Kopfschmerzen, ■ funktionelle kardiale, gastrointestinale, urologische oder gynäkologische Störungen, ■ somatoforme und andere psychisch mitbedingte Schmerzformen, ■ Schmerzattacken mit schmerzfreien Intervallen, z. B. bei Trigeminusneuralgie. Bei unklarer Indikation und/oder Hinweisen auf psychische Begleit- oder Grunderkrankungen oder auf eine ungünstige Krankheitsverarbeitung sollten die Patienten vor einem Therapieversuch mit Opioiden in einer interdisziplinären Schmerzkonferenz oder Schmerzklinik vorgestellt werden (siehe dazu Beitrag S. 16–17). Abhängigkeit [5, 6] Als Abhängigkeit ist ein Zustand definiert, der durch die Entwicklung einer psychischen (seelischen) und/oder physischen (körperlichen) Abhängigkeit und/oder durch die Entwicklung einer Toleranz gekennzeichnet ist (Tab. 1). Dabei besteht der Zwang, ein Arzneimittel immer wieder einzunehmen und die Dosis zu erhöhen. Das Abhängigkeitsrisiko wird von der Substanz, der Dosis, der Applikationsart, der Dauer der Anwendung und der Persönlichkeit des Anwenders mitbestimmt. Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft ist bei korrekter Anwendung und Indikation die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit durch moderne Retardopioide sehr gering [6]. Dennoch ist die prinzipielle Gefahr nicht von der Hand zu weisen. Nach einer aktuellen Übersichtsarbeit stellen Verhaltensauffälligkeiten im Sinne psychischer Abhängigkeit durch Opioideinnahme bei nicht tumorbedingten Rückenschmerzen mit einer Häufigkeit von 24% keine Seltenheit dar [7]. Eine iatrogene Opioidabhängigkeit tritt am ehesten bei chronischen Schmerzen auf, die unzureichend auf ihre Opioidsensitivität geprüft wurden oder wenn Begleiterkrankungen in ihrer Bedeutung für die spätere Therapie unterschätzt wurden. Opioide nehmen unter den psychotropen Substanzen jedoch keine Sonderstellung ein. Die psychische Abhängigkeit ist beispielsweise bei Benzodiazepinen sehr viel häufiger. Die nachfolgend genannten wichtigsten Prinzipien einer rationalen Therapie mit Opioiden sind unbedingt zu beachten: SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Tabelle 2: Basisanalgetikum Opioid und sinnvolle Kombinationen Schmerzform Mittel der 1. Wahl Alternativen Knochen- und Gelenkschmerz Cox-2-Hemmer, NSAR z.B. Bisphosphonate Muskelschmerz Flupirtin Metamizol Viszeraler Schmerz Metamizol Butylscopolamin Phantomschmerz Gabapentin, Pregabalin Trizyklische Antidepressiva Calcitonin Sonstige neuropathische Schmerzen Gabapentin, Pregabalin Trizyklische Antidepressiva Carbamazepin + invasive/nicht invasive Therapieoptionen ■ Vor Beginn einer Opioidtherapie müssen eine exakte Schmerzanamnese durchgeführt, die Indikation möglichst interdisziplinär überprüft und die Therapie individuell geplant werden. ■ Wichtig ist eine gewissenhafte Aufklärung des Patienten, die eine realistische Zielsetzung beinhaltet, d. h. vor allem keine Schmerzfreiheit verspricht. ■ Bei der Langzeitanwendung von Opioiden sind von Anfang an Präparate mit retardierter Galenik oder langer Wirkungsdauer zu bevorzugen. Schnelle Anflutung fördert die Entwicklung von psychischer Abhängigkeit. ■ Immer die niedrigstmögliche, wirksame Opioiddosis anstreben, keine Opioidmonotherapie durchführen, sondern orientiert am Schmerzmechanismus passende Nichtopioid- und/oder Koanalgetika kombinieren (Tab. 2) ■ Dosisanpassung, Schmerzprophylaxe und regelmäßige Dosierung entsprechend der Wirkdauer des Opioids müssen individuell erfolgen. Arzt und Patient kontrollieren den Erfolg der Behandlung. ■ Bei Unwirksamkeit eines Opioids oder Dosiseskalation muss die Indikation erneut geprüft und evtl. ein Opioidwechsel erwogen werden. ■ Bei Erfolg der Therapie mit Opioid: Patientenaktivierung durch multimodale Therapiekonzepte. Was heißt „Erfolg”? Eine erfolgreiche Therapie muss keine Schmerzfreiheit erzielen wollen, sondern vor allem ein erträgliches Schmerzniveau (VAS 3–5). Zudem soll der Nachtschlaf sichergestellt und ggf. die Zeit bis zum Beginn einer Kausaltherapie überbrückt werden. Für Patienten mit chronischen Schmerzen stehen oft die Wiederherstellung bzw. Erhaltung der Mobilität und weitere funktionelle Aspekte des alltäglichen Lebens im Vor- dergrund. Nicht zuletzt ist im Rahmen einer Langzeittherapie die nachhaltige Verträglichkeit ein wichtiger Faktor. Das WHO-Stufenschema und aktuelle Empfehlungen [8–10] 1986 verabschiedete die WHO in Genf ein Stufenschema zur Schmerztherapie bei Tumorpatienten, um der seinerzeit dramatischen Unterversorgung dieser Patienten mit potenten Analgetika entgegenzuwirken. In den folgenden Jahrzehnten wurde dieses Konzept als didaktisches Leitgerüst auch für die Therapie von Nicht-Tumorschmerzen mehr und mehr akzeptiert. Im Jahr 2005 hat die internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (IASP) das Stufenschema hinsichtlich seiner Effizienz retrospektiv evaluiert und daraus Konsequenzen hinsichtlich zukünftiger Empfehlungen für die Behandlung von Tumorschmerzpatienten abgeleitet. Diese Erkenntnisse sind auch in die aktuellen Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Behandlung von Tumorschmerzen eingeflossen. Diese befürworten, das traditionelle Stufenschema nicht dogmatisch-starr zu befolgen, sondern individuell für jeden Patienten zu interpretieren und am zu erwartenden Analgetikabedarf zu orientieren. So macht es beispielsweise auch beim opioidnaiven Tumorpatienten Sinn, bei zu erwartender Progredienz des Leidens gleich mit einem starken Opioid der WHO-Stufe III in niedriger Dosis zu beginnen, um dem Patienten unangenehme Situationen wie z. B. Schmerzdurchbrüche oder Überdosierung mit zentralen Nebenwirkungen im Rahmen eines Opioidwechsels zu ersparen. Abbildung 2 zeigt, wie das WHO-Stufenschema der Zukunft aussehen könnte. Ebenso wie das ursprüngliche Stufenkonzept, gelten auch diese Empfehlungen primär für die Indikation „Tumorschmerz“. Zertifizierte Fortbildung Abbildung 2: Stufenschema der Zukunft? Mod. n. Pain, Clinical Updates, Vol. XIII, 5, 2005 WHO III Stark wirksame Opioide in mittlerer und hoher Dosierung WHO II Stark wirksame Opioide in niedriger Dosierung WHO I Peripher wirksame Analgetika Ausgewählte Opioidanalgetika und ihre möglichen Differenzialindikationen [11, 12, 13] Tramadol und Tilidin/Naloxon Die Bedeutung dieser schwachen (Tramadol) bzw. mittelstarken (Tilidin/Naloxon) Opioide der WHO-Stufe II nimmt im Indikationsbereich Tumorschmerz gegenwärtig ab. Tilidin/Naloxon zeichnet sich gegenüber Tramadol nicht nur durch seine höhere analgetische Potenz aus, sondern auch dadurch, dass bei Niereninsuffizienz keine Kumulation auftritt. Außerdem wirkt die Substanz weniger obstipierend als Tramadol, was sich auf eine periphere, prähepatische Wirkung des Opioidantagonisten Naloxon auf Opioidrezeptoren im Darm während des First-Pass-Effekts zurückführen lässt. Bei manifester Leberinsuffizienz ist Tilidin/ Naloxon kontraindiziert, da die Aktivierung der Pro-Drug Tilidin zum analgetisch wirksamen Nortilidin einer intakten hepatischen Metabolisierung bedarf. Unter Tramadol treten infolge serotoninerger Begleiteffekte deutlich häufiger Übelkeit und Erbrechen sowie insbesondere bei älteren Patienten kognitive Beeinträchtigungen auf. Während Tilidin/Naloxon Vorteile bei Patienten mit Obstipationsanamnese und Niereninsuffizienz aufweist, fällt es schwer, für Tramadol bei chronischen Schmerzen noch ein spezifisches Indikationsprofil zu definieren. Opioide der WHO-Stufe III Morphin Morphinsulfat wird bedauerlicherweise auch heute noch in den Empfehlungen der WHO und der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft als Opioid-Goldstandard genannt. Dies obwohl inzwischen moderne Retardopioide existieren, die analgetisch po- tenter sind, ein günstigeres Nebenwirkungsprofil haben und die nicht zuletzt eine deutlich bessere Retardgalenik aufweisen. In letzter Zeit mehren sich zudem die Hinweise auf eine immunsuppressive Wirkung von Morphinsulfat. Besser wäre es daher, traditionelles Morphin zukünftig als „Referenzsubstanz“ zu bezeichnen. Morphin ist in zahlreichen retardierten Zubereitungen einsetzbar, für Durchbruchsschmerzen stehen sowohl schnell freisetzende Morphinsulfattabletten als auch eine Morphinlösung zur Verfügung. Statt bei starkem Schmerz grundsätzlich eine Opioidtherapie mit Standardmorphin zu beginnen, sollten heute eher individuelle Faktoren wie Schmerzcharakter und -rhythmus sowie Morbidität des einzelnen Patienten in den Fokus gerückt werden, bevor man sich für das eine oder andere starke Opioidanalgetikum entscheidet. Oxycodon und Oxycodon/Naloxon Oxycodon ist doppelt so stark wirksam wie Morphin. Aufgrund einer biphasischen Resorptionsgalenik kommt es zu einem raschen Wirkeintritt bei zugleich langer Wirkdauer von bis zu zwölf Stunden. Neuere Arbeiten zeigen, dass Oxycodon anderen Opioiden bei viszeralen und neuropathischen Schmerzen überlegen zu sein scheint. Bei beiden Schmerzarten kommt es zu einer Hochregulation von κ-Opioidrezeptoren, zu denen Oxycodon eine hohe Affinität besitzt. Schnelle Anflutung bei zugleich langer Wirkdauer ist vorteilhaft im Bereich der perioperativen Schmerztherapie. In diesem Zusammenhang stellt die jetzt ebenfalls verfügbare intravenöse Applikationsform eine ideale Ergänzung dar. Der Wirkstoff Oxycodon wird inzwischen auch von diversen Generika-Herstellern an- geboten. Das BfArm hat darauf hingewiesen, dass es im Gegensatz zum Originalpräparat bei gleichzeitigem Genuss von höherprozentigen Alkoholika zu einer beschleunigten Freisetzung des Wirkstoffes mit entsprechenden zentralnervösen Nebenwirkungen kommen kann. Oxycodon-Retardtabletten sind in zahlreichen Wirkstärken verfügbar, neuerdings in der 10- und 20-mg-Dosierung auch in der Kombination mit dem Opioidantagonisten Naloxon, der peripher-prähepatisch an Opioidrezeptoren im Darm wirkt. Erste Studienergebnisse zeigen unter dem Kombinationspräparat eine signifikant geringere Obstipationstendenz bei gleichbleibender analgetischer Wirkung. Hydromorphon Hydromorphon zeichnet sich wie Oxycodon durch eine hohe orale Bioverfügbarkeit aus. Es ist etwa achtmal so stark wirksam wie Morphin. Hydromorphon hat bei multimorbiden Patienten unter Polymedikation entscheidende Vorteile, die auch im Hochdosisbereich erhalten bleiben: Die Metabolisierung erfolgt weitestgehend unabhängig vom CytochromP450-Enzymsytem, dem Hauptkatalysator des Arzneistoffwechsels. Darüber hinaus trägt auch die sehr geringe Plasmaeiweißbindung dazu bei, Kumulation und Interaktion mit anderen Arzneistoffen zu vermeiden. Aktuelle Arbeiten deuten darauf hin, dass diese Vorteile insbesondere bei alten, multimorbiden Patienten zum Tragen kommen. Hydromorphon ist in verschiedenen Wirkstärken verfügbar, sowohl als zweimal täglich zu applizierende Retardkapsel als neuerdings auch in Form einer Langzeit-Retardtablette, die den Wirkstoff mittels eines osmotischen Systems gleichmäßig über 24 Stunden freisetzt. Vorteile der zweimal zu applizierenden Retardkapsel sind einerseits, dass man die erforderliche Dosis dem individuellen Bedarf des Patienten im Tagesverlauf anpassen und andererseits die Kapsel bei schluckunfähigen Patienten aufbrechen und die darin enthaltenen Pellets ohne Verlust von Wirkung und Retardierung über eine Sonde verabreichen kann. Für Durchbruchschmerzen steht schnell freisetzendes Hydromorphon in zwei verschiedenen Wirkstärken zur Verfügung. Wie Oxycodon ist nun auch Hydromorphon als intravenöse Applikation verfügbar, eine sinnvolle Bereicherung des therapeutischen Spektrums, z. B. wenn in der Finalphase eines Tumorleidens die Applikationsform geändert werden muss. Aufgrund seiner auch im Hochdosisbereich sehr günstigen pharmokologischen und -kine- SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Zertifizierte Fortbildung Transdermale Systeme: Fentanyl und Buprenorphin Fentanyl ist ca. 200-mal stärker analgetisch wirksam als Morphin. Mittels einer PolymerMatrix wird der Wirkstoff gleichmäßig über 72 Stunden freigesetzt. Stabile Plasmaspiegel werden wie beim transdermalen Buprenorphinsystem nach ca. zwölf Stunden erreicht. Letzteres zeichnet sich durch eine noch effektivere Retardierung aus und muss nur alle vier Tage gewechselt werden. Seit Kurzem ist ein neues Pflaster für den Niedrigdosisbereich im Handel, das nur einmal in der Woche gewechselt werden muss. Beide Systeme – insbesondere aber Buprenorphin als partieller Opioidantagonist – führen in etwas geringerem Ausmaß zur Obstipation als die starken oralen Opioide. Statistisch signifikant sind diese Unterschiede allerdings nicht. Eine aktuelle Untersuchung bei 12 000 Palliativpatienten zeigt hinsichtlich Obstipation keinerlei Vorteile für transdermales Fentanyl im Vergleich zu oralen Retardopioiden [13]. Im Gegensatz zu Fentanyl kumuliert Buprenorphin nicht bei Niereninsuffizienz und bindet nicht wie die meisten Pharmaka an Serumalbumin, sondern ganz überwiegend an α- oder γ-Globuline, wodurch das Arzneimittelinteraktionsrisiko minimiert wird. Wie Oxycodon verfügt auch Buprenorphin über eine hohe Affinität zu κ-Opioidrezeptoren, die bei chronischen viszeralen und neuropathischen Schmerzen eine wesentliche Rolle spielen. Fentanyl ist vorteilhaft bei Patienten mit Leberschäden, da es bei Leberinsuffizienz nicht kumuliert. Als wirkstoffgleiche Medikation für Durchbruchschmerzen stehen transmukosales Fentanyl als Lutschtablette und Buprenorphin als Sublingualtabletten zur Verfügung. Beide Pflastersysteme stellen wertvolle Bereicherungen unseres therapeutischen Arsenals dar. Bedingt durch ihre träge Kinetik sind sie allerdings weniger geeignet für die Therapie von Schmerzen mit hohem Opioidbedarf und häufigen Durchbruchschmerzen. Mit über 70% Verordnungen war transdermales Fentanyl im Kollektiv der starken Opioide in den letzten Jahren die am häufigsten eingesetzte Substanz – Folge eines geschickten Marketings und nicht Ergebnis klinischer Studien, wie auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft in ihren aktuellen Empfehlungen zur Therapie von Tumorschmerzen feststellt. SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Tabelle 3: Potenzielle Differenzialindikationen der genannten Opioide Symptom/Erkrankung Mittel der Wahl Obstipation 1. Wahl: Tilidin/Naloxon, Oxycodon/Naloxon 2. Wahl: (Fentanyl TTS), Buprenorphin TTS Übelkeit, Erbrechen Methadon, Fentanyl TTS, Morphinpumpe Dysphagie Transdermale Systeme/Morphingranulate (sondengängig) Juckreiz „Trial and Error“ nach analgetischer Wirksamkeit, Methadon Verwirrtheit, Schwindel Neuropathie ± Viszeralschmerz Oxycodon ± Naloxon, Buprenorphin Histaminliberation, Methadon Analgetikaasthma, morphininduzierte Hyperalgesie Dosisreduktion, Kombination mit Methadon Polymedikation Hochdosisbereich Hydromorphon, Buprenorphin TTS Hydromorphon Niereninsuffizienz Buprenorphin, (Hydromorphon) Leberfunktionsstörung Fentanyl TTS, (Hydromorphon) Levomethadon Levomethadon ist als Reservesubstanz bei therapieresistenten Opioidnebenwirkungen wie z. B. Juckreiz oder – selten – Morphinasthma oder opioidbedingter Hyperalgesie oder ansonsten nicht zu beherrschenden neuropathischen Schmerzsyndromen einzustufen. Sie bietet einige Besonderheiten, die sie in der Hand des schmerztherapeutisch Unerfahrenen gefährlich machen: Die Eliminationshalbwertszeit von etwa 72 Stunden überdauert die zwischen sechs und zwölf Stunden variierende analgetische Wirksamkeit deutlich. Interindividuell stark unterschiedliche Plasmaspiegel aktiver Metabolite bergen das Risiko einer Kumulation, sodass nach drei bis sieben Tagen eine Dosisreduktion um 20–30% versucht werden sollte. Eine kontrolliert-retardierte Zubereitung von Levomethadon existiert nicht. Tab. 3 fasst die Differenzialindikationen aller besprochenen Opioide zusammen. Bildarchiv B. Lemmer tischen Eigenschaften könnte Hydromorphon zukünftig den Goldstandard der Opioidtherapie bei Tumorschmerzen darstellen. Abb. 3: Schon der Botaniker von Linné beschäftigte sich mit biologischen Rhythmen. Zertifizierte Fortbildung Chronopharmakologische Aspekte [14] Lange und ultralange Retardierungen von Opioidpräparaten waren wesentliche Neuentwicklungen der letzten Jahre. Trotz aller nicht wegzudiskutierenden Vorteile wie z. B. Schmerztherapie im Sinne einer Schmerzprophylaxe, sehr langsame Anflutung und damit geringe Suchtgefahr entlässt uns auch die beste Retardierung nicht aus der Pflicht, den individuellen „Schmerzrhythmus“ eines jeden Patienten im jeweiligen Therapiekonzept zu berücksichtigen (Abb. 3). Erfahrungsgemäß erfordern unterschiedliche Schmerzentitäten auch entsprechend variable Konzepte: So hat beispielsweise der Tumorpa tient zwischen 10 und 18 Uhr den höchsten Analgetikabedarf, der Patient mit rheumatoider Arthritis in den frühen Morgenstunden (Abb. 4 und 5). Für die individuelle Therapie mit Opioiden bedeutet dies in der Praxis: Orale Retardpräparate mit zwölfstündiger Wirkung können je nach Bedarf morgens oder abends in unterschiedlicher Dosis verabreicht werden. Bei Verwendung ultraretardierter oraler Zubereitungen oder transdermaler Systeme müssen häufig Opioide schnell anflutender und kurz wirksamer Galenik ergänzt werden. Zusammenfassung Die heute zur Verfügung stehende Palette von Retardopioiden erlaubt eine differenzierte Therapie, orientiert am Schmerzmechanismus und an der individuellen Morbidität des einzelnen Patienten. Entscheidende Voraussetzungen für den Therapieerfolg sind insbesondere sorgfältige Anamnese, Schmerzdiagnose und Indikationsstellung vor Einsatz eines Opioids sowie die Einbindung der medikamentösen Therapie in multimodale Therapiekonzepte. Hinsichtlich der Aspekte Langzeittherapie mit und ohne Differenzialindikation von Opioiden sollten weitere Studien folgen. ❏ Abbildung 4: Patientengesteuerter Bedarf an Hydromorphon zu verschiedenen Tageszeiten bei acht Karzinompatienten [14]. Bedarf in 4 Std. [Mittelwert ± SD] 4 3 2 Mod. n. B. Lemmer [14] 1 0 02.00 06.00 10.00 14.00 18.00 22.00 Tageszeit Abbildung 5: Patienten mit rheumatoider Arthritis: Zirkadiane Zytokinspiegel und klinische Symptome. 300 IL-6 200 IL-10 pg/ml Mod. n. Cutolo et al. 2005, zit. n. B. Lemmer IFN-γ TNF-α 150 sTNF-R75 100 Literatur 1.Junker U, Kniesel I. Opioide und Cannabinoide in Junker U, Nolte T (Herausgeber), Grundlagen der Speziellen Schmerztherapie. München, Urban & Vogel, 2005. 2.Zenz M, Donner B. Schmerz bei Tumorerkrankungen, Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie. Stuttgart, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2002. 3.Won A, Lapane KL, Vallow S, Schein J, Morris JN, Lipsitz LA. Long-term effects of analgesics in a population of elderly nursing home residents with persistant non-malignant pain. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2006;61:165–169. 4.Maier C, Schaub C, Willweber-Strumpf A, Zenz M. Langfristige Effekte von Opioiden bei Patienten mit chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen. Ergebnisse einer Nachuntersuchung 5 Jahre nach Ersteinstellung. Der Schmerz 2005;19:410– 417. 5.Dertwinkel R, Wiebalck A, Zenz M, Strumpf M. Orale Opioide zur Therapie chronischer Nicht-Tumorschmerzen. Anästhesist 1996;45:495–505. 6.Aronoff GM. Opioids in chronic pain management: Is there a significant risk of addiction? Curr Rev Pain 2000;4:112–121. 7.Martell BA, O´Connor PG, Kerns RD et al. Systematic review: opioid treatment for chronic back pain: prevalence, efficacy and association with addiction. Ann Intern Med 2007;146:116–127. 8.World Health Organisation. Cancer pain relief. Genf: World Health Organisation, 1986. 9.World Health Organisation. Cancer pain relief: with a guide to opioid availability. Genf: World Health Organisation, 1990. 10 . Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Tumorschmerzen. AVP-Sonderheft Therapieempfehlungen, 2007. 11.Junker U, Schmitz A, Busche P, Freynhagen R. Schmerz- und Symptomtherapie bei Tumorpatienten. Klinische Onkologie 2007/2008 (im Druck). 12.Freynhagen R, Schmitz A, Busche P, Junker U. Leitthema: Schmerztherapie und Symptomkontrolle in der Palliativmedizin. Der Gynäkologe 2007;40:168–177. 13.Weschules DJ, Bain KT, Reifsnyder J, MaMath JA, Kuppermann DE, Gallagher RM, Hauck WW, Knowlton CH. Toward evidence-based prescribing at end of life: a comparative analysis of sustained-release morphine, oxycodone and transdermal fentanyl with pain, constipation and caregiver interaction outcomes in hospice patients. Pain Med 2006;7(4):320–9. 14.Lemmer B. Chronopharmakologie: Tagesrhythmen und Arzneimittelwirkung. Stuttgart, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 3. Auflage, 2004. Weitere Literatur bei den Verfassern und im Internet unter www.cme-punkt.de 50 Uhrzeit 17.00 21.00 01.00 05.00 09.00 13.00 17.00 Uwe Junker und Hanna Ludwig, Remscheid SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) CME-Herausgeber- und Review-Board: Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen; Dr. Thomas Nolte, Wiesbaden; Priv.- Doz. Dr. Michael Überall, Nürnberg DGS Zertifizierte Fortbildung In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. – DGS Fragen zum Thema: „Opioide – differenzierte Therapie ist Goldstandard“ Hier können Sie CME-Punkte sammeln a) für die Pflichtfortbildung aller Vertragsärzte und b) für freiwillige Fortbildungszertifikate, die viele Landesärzte kammern anbieten. Die Multiple-Choice-Fragen beziehen sich auf den vorangegangenen Fortbildungsbeitrag (S. 4–8). Die Antworten ergeben sich aus dem Text. Wenn Sie 70% der Fragen richtig beantworten, erhalten Sie 2, bei 100% 3 CMEPunkte. Es wird jeweils nur eine richtige Antwort gesucht. Teilnehmen können Sie nur via Internet über www.cme-punkt.de (Einzelheiten siehe nächste Seite). Unter www.cme-punkt.de finden Sie alle zertifizierten Fortbildungsangebote des Verlages Urban & Vogel. Bei Anklicken des Zeitschriftentitels „Schmerztherapie“ finden Sie die derzeit aktive zertifizierte Fortbildung und die entsprechenden Fragen. Unmittelbar nach Ausfüllen des Fragebogens sehen Sie, ob Sie bestanden haben. Einsendeschluss ist der 20. Februar 2008. 1. Welche Aussage ist richtig? A Die Wirksamkeit von Opioiden zur Behandlung chronischer nicht maligner Schmerzen ist nicht nachgewiesen. BOpioide sind ausschließlich zur Therapie von Tumorschmerzen indiziert. C Opioide können sowohl bei Nozizeptorschmerzen als auch bei neuropathischen Schmerzen wirksam sein. DPatienten mit somatoformen oder psychisch bedingten Schmerzformen sollten unbedingt einer Langzeittherapie mit Opioiden zugeführt werden. EOsteoporose ist eine Kontraindikation für den Einsatz von Opioiden. 2. Welche Aussage im Rahmen der Patientenaufklärung vor Beginn einer Therapie chronischer Schmerzen mit Opioiden ist nicht richtig? A Unter einer Therapie mit Opioiden besteht grundsätzlich kein Risiko einer körperlichen oder psychischen Abhängigkeit. BEin realistisches Therapieziel ist z. B. eine Reduktion der Schmerzintensität um bis zu 50%. CBesonders zu Beginn der Therapie, im Rahmen von Dosisänderungen und bei Substanzwechsel können Fahrtüchtigkeit und Kognition eingeschränkt sein. DVorsicht ist bei Einnahme anderer zentral wirksamer Substanzen wie etwa Alkohol angebracht, da sich hier Nebenwirkungen verstärken können. EIm Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie kann die Kombination mit physi- SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) kalischen und/oder psychotherapeutischen Maßnahmen notwendig sein. 3. Welches der folgenden Medikamente lässt sich je nach Schmerzentität gezielt mit einem Opioid kombinieren? 1. 2. 3. 4. 5. Trizyklische Antidepressiva Cox-2-Hemmer Bisphosphonate Antikonvulsiva Orale Antidiabetika A B C D E Nur Antwort 1 ist richtig. Nur Antworten 1 und 2 sind richtig. Nur Antworten 1, 2 und 3 sind richtig. Nur Antworten 1, 2, und 4 sind richtig. Alle Antworten sind richtig. 4. Welche Vorteile bietet die retardierte Formulierung von Opioiden in der Langzeittherapie chronischer Schmerzen? 1.Analgesie über 24 Stunden ohne Phasen der Über- oder Unterdosierung 2. Gewährleistung der Nachtruhe 3. Verbesserung der Patientencompliance 4.Euphorisierender „Kick“ durch schnelle Anflutung A B C D E Nur Antwort 1 ist richtig. Nur Antworten 1 und 2 sind richtig. Nur Antworten 1 und 3 sind richtig. Nur Antworten 1, 2 und 3 sind richtig. Alle Antworten sind richtig. 5. Welche Aussage zur Therapie von Durchbruchschmerzen ist richtig? AZur Therapie von Durchbruchschmerzen sollte ein Stufe-III-Opioid möglichst rasch transdermal appliziert werden. B Durchbruchschmerzen erfordern oft die zusätzliche Gabe unretardierter, schnell wirksamer Opioide. CDurchbruchschmerzen sollten grundsätzlich intravenös mit einem rasch anflutenden Opioid behandelt werden. DUm eine Überdosierung zu vermeiden, sollten retardierte Opioide nach der Verabreichung eines Opioids wegen Durchbruchschmerzen vorübergehend abgesetzt werden. EIst eine adäquate Dauermedikation chronischer Schmerzen gewährleistet, können keine Schmerzspitzen auftreten. 6. Welche Aussage zur Therapie mit einem Stufe-II-Opioid nach dem traditionellen WHO-Stufenschema trifft zu? 1.Ein Stufe-II-Opioid wird eingesetzt, wenn sich die Schmerzen durch die erste Therapiestufe nicht oder nicht ausreichend beherrschen lassen. 2. Stufe-II-Opioide sind mittelstarke Opioide. 3.Der klinische Nutzen der WHO-II-Opioide im Indikationsbereich „Tumorschmerz“ ist Gegenstand aktueller Diskussionen. A Nur Antwort 1 ist richtig. B Nur Antworten 1 und 2 sind richtig. Zertifizierte Fortbildung C Nur Antworten 1 und 3 sind richtig. D Nur Antworten 2 und 3 sind richtig. E Alle Antworten sind richtig. 7. Welche Aussage zur Behandlung chronischer Schmerzsyndrome nach dem WHO-Stufenschema ist aus heutiger Sicht richtig? 1.Das WHO-Stufenschema ist grundsätzlich strikt zu befolgen. 2.Je nach Schmerzursache und Intensität kann zunächst ein Versuch mit einem Nichtopioidanalgetikum als Monotherapeutikum unternommen werden (WHOStufe I). 3.Beim Wechsel von WHO-Stufe I auf Stufe II sollten Nichtopioidanalgetika der Stufe I möglichst rasch abgesetzt werden. 4.Stufe-III-Opioide in niedriger Dosierung können unter Umgehung mittelstarker Opioide bei Tumorschmerzen bereits bei Behandlungsbeginn eingesetzt werden. 5.Nach den Grundregeln der Schmerztherapie der WHO sollten Analgetika, falls irgend möglich, intravenös verabreicht werden. A Nur Antwort 1 ist richtig. B Nur Antworten 1 und 2 sind richtig. C Nur Antworten 2 und 4 sind richtig. D Nur Antworten 2 und 3 sind richtig. E Antworten 1, 2 und 3 sind richtig. 8. Welche der folgenden Aussagen trifft nicht zu? AOxycodon kann auch in der perioperativen Schmerztherapie eingesetzt werden. BTilidin/Naloxon und Buprenorphin kumulieren nicht bei Niereninsuffizienz. CHydromorphon hat Vorteile bei Patienten unter Multimedikation. DGegen Obstipation unter Opioiden entwickeln Patienten keine Toleranz. ETransdermales Fentanyl ist das Opioid der Wahl für Patienten mit hohem Opioidbedarf und häufigen Durchbruchschmerzen. 9. Welche Aussage trifft zu? 1.Die fixe Kombination von Oxycodon mit dem Opioidantagonisten Naloxon verursacht deutlich seltener Obstipation als andere starke Opioide. 2.Transdermales Fentanyl kumuliert nicht bei Leberinsuffizienz. 3.Bei Hydromorphon spielt der Abbauweg über das Enzymsystem Cytochrom P 450 keine entscheidende Rolle. A Nur Antwort 1 ist richtig. B Nur Antworten 1 und 2 sind richtig. C Nur Antworten 1 und 3 sind richtig. D Nur Antworten 2 und 3 sind richtig. E Antworten 1, 2 und 3 sind richtig. 10. Welche Aussage trifft nicht zu? ABei gleich bleibendem Schmerzniveau und mittlerem Opioidbedarf sind transdermale Systeme gut geeignet. B Chronopharmakologische Aspekte spielen in der Schmerztherapie keine Rolle. CTumorpatienten haben in der Regel tagsüber den höchsten Analgetikabedarf. DOrale Retardopioide können zweimal täglich in unterschiedlicher Dosis verabreicht werden. EOxycodon und Hydromorphon können auch intravenös appliziert werden. So kommen Sie zu Ihren Punkten: Die Teilnahme ist nur möglich via Internet unter www.cme-punkt.de. Dort melden Sie sich als Arzt an und finden unter dem Kopf der Zeitschrift SCHMERZTHERAPIE die derzeit aktive zertifizierte Fortbildung. Damit der Fragebogen für die Zertifizierung ausgewertet werden kann, benötigen wir von Ihnen die Einheitliche Fortbildungsnummer EFN. Sie erhalten via Internet unmittelbar Rückmeldung darüber, ob Sie die Fragen richtig beantwortet haben oder nicht, und können die Bescheinigung sofort ausdrucken. Wir empfehlen, die Bescheinigungen gesammelt bei Ihrer Landesärztekammer einzureichen. Wir führen auf dieser Seite auch ein elektronisches Punktekonto für Sie. Bei erfolgreicher Teilnahme werden Ihre Daten an den Einheitlichen Informationsverteiler (EIV) der Ärztekammern weitergegeben. Nähere Hinweise hierzu unter: www.cme-punkt.de/faq.html Teilnahmeschluss ist der 20.2.2008 Viel Glück beim Punktesammeln! Kopf- und Gesichtsschmerzen in der Praxis In diesem aktuellen Leitfaden werden erstmals die Neuerungen der IHS (International Headache Society) berücksichtigt. Praxisnah schildert Priv.-Doz. Dr. med. Volker Limmroth, Köln, die Kopfschmerzdiagnostik und -therapie auf der Grundlage aktuellster wissenschaftlicher Erkenntnisse. Didaktisch neu ist, dass die Krankheiten nach der Dauer ihrer klinischen Symptomatik gegliedert werden. Durch den ersten Abschnitt der primären Kopfschmerzerkrankungen zieht sich die Zeitachse wie ein roter Faden. Im zweiten Abschnitt werden die sekundären symptomatischen Kopfschmerzen abgehandelt. Diese sekundären Kopfschmerzen sind zwar weit seltener, aber in der Regel klinisch deutlich gefährlicher und dürfen bei der Ausschlussdiagnose nicht übersehen werden. Der handliche Praxisleitfaden ist für Allgemeinmediziner, Neurologen, Internisten und Psychiater sowie alle Fachgruppen, die sich mit Kopfschmerzen differenzialdiagnostisch beschäftigen, empfehlenswert. Er gewährt eine rasche StK und gut erfassbare Übersicht. Volker Limmroth: Kopf- und Gesichtsschmerzen. Diagnostik und Therapie auf der Basis der 2. IHS-Klassifikation und der Therapie-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. 192 S., 30 Abb., 65 Tab., kart., 26,95 €, ISBN-Nr. 978-3-7945-2319-1, 2006, Schattauer Verlag, Stuttgart. 10 SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Schmerzkonsil Teilbarkeit von oralen Stufe-III-Opioiden Knapp ein Drittel aller verordneten Tabletten werden vor der Einnahme von ambulanten Patienten geteilt (Rodenhuis et al., 2004). Diese gängige Praxis hat allerdings nicht nur Vorteile, sondern birgt auch einige Risiken für die Arzneimitteltherapie und ist speziell bei den modernen retardierten Opioiden der Stufe III zum Teil völlig unsinnig, warnt Dr. Ingrid Spohr, Limburg /Lahn. Gründe Die Gründe für das Teilen von Tabletten sind vielfältig. Oft ist es zu Therapiebeginn die Angst, den Patienten überzudosieren. „Jetzt nehmen Sie erst einmal eine halbe Tablette, und dann schauen wir weiter“, ist ein Ratschlag, der jedoch bei den meisten starken oralen Opioiden risikobehaftet und durch kleine Wirkstärken (z.B. Oxygesic® 5 mg) mittlerweile auch nicht mehr notwendig ist. Manchen Patienten fällt auch das Schlucken besonders großer Tabletten schwer. Dort könnten Darreichungsformen wie Palladon® retard von Vorteil sein, wo die Kapseln geöffnet und die retardierten Granula über weiche Nahrung gestreut und eingenommen werden können. Nicht zu unterschätzen sind auch rein wirtschaftliche Gründe für das Teilen von Tabletten. Durch das Verordnen von höheren Wirkstärken und deren anschließende Teilung sollen die Arzneimittelkosten gesenkt werden. Risiken Demgegenüber sollten allerdings auch die Risiken des Teilens von Tabletten nicht außer Acht gelassen werden. Das Teilen von Tabletten ist aufwendig, erfordert von den Patienten eine gewisse Geschicklichkeit und kann von Patienten mit vermindertem Sehvermögen, eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten oder eingeschränkter Fingerfertigkeit nicht ohne Weiteres durchgeführt werden. Außerdem sind nicht alle Patienten bereit, ihre Tabletten zu teilen, was zu einer Abnahme der Compliance führen kann. Interessanterweise sind über drei Viertel der Patienten bereit, mehr für ihre Medikamente auszugeben, wenn sie eine geringere Wirkstärke verordnet bekommen und die Tabletten nicht teilen müssen (Quinzler & Häfeli 2006). Ein überaus wichtiger Punkt beim Teilen oraler Stufe-III-Opioide ist der Sicherheitsaspekt. Sind die Tabletten erst einmal aus dem kindergesicherten Blister entfernt, sind die geteilten Hälften unter Umständen für Kinder frei zugänglich. Nicht teilbare Stufe-III-Opioide So handelt es sich bei Targin® (10/5, 20/10 mg) um retardierte Matrixtabletten, die nicht SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) geteilt werden dürfen. Die Matrix besteht aus einem hydrophoben Zellulosepolymer und einem langkettigen aliphatischen Alkohol. Das Verhältnis von Polymer und aliphatischem Fettalkohol zueinander stellt die gleichmäßige Freisetzung der aktiven Substanzen sicher. Die Freisetzung von Oxycodon und Naloxon beginnt an der Tablettenoberfläche (kurze Diffusionswege mit rascher Freisetzung) und setzt sich durch Lösung und Diffusion in der Tablettenmatrix fort (lange Diffusionswege mit verzögerter Freisetzung).Diese biphasische Freisetzung und Resorption der Wirkstoffe führt zu einem Beginn der analgetischen Wirkung innerhalb von einer Stunde. Danach verursachen die retardierte Freisetzung und Resorption der Wirkstoffe einen analgetisch effektiven und konstanten Blutspiegel über ein 12-Stunden-Dosierungsintervall. Bei einer Teilung der Tablette wird dieses Matrix-System zerstört und der Wirkstoff wird zu schnell und unkontrolliert freigesetzt. Auch bei Oxygesic® (5–80 mg) handelt es sich um retardierte Matrixtabletten, die ebenfalls nicht geteilt werden dürfen. Das bei Oxygesic® verwendete Matrixsystem (Acrocontin®-System) enthält das hydrophobe Acrylpolymer Eudragit® RS. Nachdem ein geringer Teil des Wirkstoffs Oxycodon aus der äußersten Tablettenschicht freigesetzt ist, was aufgrund der kurzen Diffusionsstrecke innerhalb von ca. 30 Minuten erfolgt, quillt das Eudragit® RS. Dadurch kommt es zu einer Erniedrigung des Diffusionskoeffizienten und damit zu einer langsameren, retardierten Freisetzung des Wirkstoffs aus der Matrix über einen Zeitraum von zwölf Stunden. Bei einer Teilung der Tablette wird dieses Matrixsystem zerstört und der Wirkstoff zu schnell und unkontrolliert freigesetzt. Es kann zu relativen Überdosierungen bei nicht ausreichender Wirkdauer kommen. Ingrid Spohr, Limburg /Lahn zug kontrolliert. Der Filmüberzug ist teilweise wasserlöslich, wodurch nach der Einnahme feinste Poren gebildet werden, durch die das Hydromorphon freigesetzt wird. Durch die unterschiedliche Größe dieser Granula wird die Wirkdauer gesteuert. Die Hartgelatinekapsel dient nur als „Transportmedium“, hat selbst keine Retardfunktion und löst sich innerhalb weniger Minuten im Magen auf. Sie kann daher auch geöffnet und der Inhalt auf weiche Nahrung gestreut werden. Die Granula dürfen allerdings nicht weiter zerkleinert werden (nicht zerkauen!). Auch eine Teilung des Kapselinhalts in gleich große Portionen ist schwierig. Aufgrund der unterschiedlichen Größe der Granula müssten von jeder Granulagröße die gleichen Mengen in den verschiedenen Portionen sein. Das ist technisch fast unmöglich. Bei Palladon ® 1,3/2,6 mg Hartkapseln (unretardiert) ist das Hydromorphon-Hydrochlorid dagegen in Granula ohne Filmüberzug eingebettet. Die unretardierten Granula können daher aus pharmazeutischer Sicht unbedenklich zerkleinert oder in Wasser suspendiert werden. In der Regel genügt ein Blick in die Fachoder Gebrauchsinformation der jeweiligen Präparate, in der genau beschrieben ist, ob Tabletten teilbar sind oder nicht. ❏ Ingrid Spohr, Limburg /Lahn Fragen, Kritik, Anregungen Schreiben Sie an die Redaktion E-Mail: [email protected] Was darf geteilt werden? Bei Palladon® retard (4–24mg) handelt es sich um Hartgelatinekapseln, die mit filmüberzogenen Granula gefüllt sind, aus denen der Wirkstoff Hydromorphon retardiert freigesetzt wird. Die Freisetzungsrate des Wirkstoffs aus diesen Granula wird durch diesen Filmüber- 11 Integrierte Versorgung Erstes bundesweites Kopfschmerzbehandlungsnetz Das neue koordinierte Versorgungskonzept der Techniker Krankenkasse bedeutet für Kopfschmerzpatienten einen Meilenstein. Es ermöglicht eine bundesweite sektorenübergreifende Vernetzung der ambulanten und stationären Therapie. Die Versorgung Hand in Hand, ein Mehr an Wissen, ein besserer Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten und die gemeinsame Arbeit mittels klar definierter Behandlungspfade sind die Basis für zeitgemäße und effiziente Behandlungsergebnisse, die Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Hartmut Göbel, Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik und DGS-Leiter Kiel, beschreibt. D ie Regelversorgung von Kopfschmerzpatienten erfolgt in abgegrenzten Sektoren des Gesundheitssystems. Viele Betroffene mit chronischen Kopfschmerzen behandeln sich aufgrund mangelnder Effizienz außerhalb des professionellen Bereichs. Sie informieren sich im Bekanntenkreis, über die Publikumspresse und in der Apotheke über die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten bei Kopfschmerzen. Durch die nicht zufriedenstellende Behandlung brechen sie oft eine professionelle Therapie ab und weichen frustriert auf Außenseitermethoden aus. Systembedingte Chronifizierung von Schmerzen Über Monate und Jahre entwickelt sich dann eine weitere Chronifizierung der Kopfschmerzerkrankung, schwerwiegende Organkomplikationen und schwerwiegende psychische Konsequenzen führen die Patienten dann wieder in die medizinische Behandlung zurück. Dabei entstehen jedoch sehr hohe direkte und indirekte Kosten, die zu diesem Zeitpunkt dann oft nicht mehr mit der primären zugrunde liegenden Kopfschmerzerkrankung in Verbindung gebracht werden. Bei Entstehung eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch werden parallel zur kontinuierlichen Einnahme von Akutmedikamenten über Jahre und Jahrzehnte vielfältigste diagnostische und therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Diese schließen wiederholte bildgebende Diagnostik sowie umfangreiche unspezifische ambulante Maßnahmen, wiederholte stationäre Behandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen ohne sektorenübergreifende Interaktion ein. Eine sektorenübergreifende koordinierte stationäre Behandlung bei Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch zur Durchführung einer Medikamentenpause oder zur 12 Durchführung eines Medikamentenentzugs erfolgt in Deutschland nur an wenigen Kliniken. Insbesondere wird in der Regel keine längerfristige präventive Behandlung nach Abschluss der stationären Phase eines Medikamentenentzugs angeboten, sodass nach kurzer Zeit wieder ein Rückfall in den Medikamentenübergebrauch ohne therapeutischen Langzeiteffekt folgt. Eine strategische Weiterbehandlung fehlt, das spezielle schmerztherapeutische Wissen zur Klassifikation und Diagnostik der oft multiplen zugrunde liegenden Kopfschmerzerkrankungen steht für die Versorgung nur eingeschränkt zur Verfügung. Der Rückfall und die erneute Chronifizierung sind so vorprogrammiert. Außerhalb spezialisierter Versorgungseinrichtungen ist zudem eine intensive verhaltensmedizinische Therapie von schwer betroffenen Patienten in Form von speziellen verhaltensmedizinischen Therapien, Entspannungsverfahren, edukativen Verfahren, Biofeedback, kognitiven Verfahren und Stressbewältigungstrainings etc. kaum verfügbar, obwohl gerade diese Verfahren eine hohe Effizienz für die Rückfallprophylaxe und einen entscheidenden gegenwirkenden Effekt auf die Chronifizierung haben. Folgen Patienten mit chronischen Kopfschmerzerkrankungen werden nach aktuellen Analysen im derzeit sektoral aufgesplitterten Gesundheitssystem in Deutschland nicht ausreichend versorgt. Resultat dieser sektoralen Versorgung ist, dass Patienten mit chronischen Kopfschmerzen überproportional häufig am Arbeitsplatz fehlen und vorzeitig nach langen Arbeitsunfähigkeitszeiten berentet werden müssen. Hohe Folgekosten entstehen auch durch die Behandlung von Spätkonsequenzen in Form von psychischen Erkrankungen, Nie- Hartmut Göbel, Kiel renversagen, Leberschäden, gastrointestinalen Komplikationen sowie zerebrovaskulären Schäden [1–5]. Mit dem wissenschaftlichen Konzept zur neurologisch-verhaltensmedizinischen Schmerzklinik Kiel wurde eine integrierte Versorgung bereits im Jahr 1995 vorgeschlagen und umgesetzt. Ziel war es dabei, eine sektorenübergreifende Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen zu erreichen, wobei die Behandlung durch niedergelassene Ärzte, die Behandlung in einer vollstationären Akutklinik sowie rehabilitative Konzepte unmittelbar sektorenübergreifend verzahnt wurden. Integrierte Versorgung wirkt Eine externe wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes nach §§ 63 ff SGB V durch die Gesellschaft für Systemberatung im Gesundheitswesen und der AOK SchleswigHolstein dokumentierte die Patientenkarrieren und analysierte die Wirkungen der modellhaften integrierten Intervention auf Leistungsinanspruchnahme, Kosten, Arbeits- und soziale Situation sowie auf die Lebensqualität chronisch schmerzkranker Patienten [1]. Die Datenerfassung der Patientenkarrieren umfasste fünf Jahre. Grundlage waren patientenbezogene anonymisierte Leistungsdaten über alle Sektoren (Krankenhaus akutstationär und rehabilitativ mit 500 000 Daten, Vertragsärzte mit fünf Millionen Daten, Arzneimittel mit sechs Millionen Daten, Sach- und Pflegeleistungen mit 800 000 Daten) sowie beitragsrelevante Sozialdaten (mit 700 000 Daten). Die sektorenübergreifende Leistungsinanspruchnahme wurde im Zeitverlauf analysiert, die verursachten Kosten über komplexe Kostenkalkulationen aufgezeigt. Zur Kontrolle der Modellintervention wurden Patienten mit Behandlungen in anderen Akutkrankenhäusern mit gleicher Diagnose, gleichem Alter und gleichem Geschlecht identifiziert und als Kontrollperson herangezogen. Als Ergebnis zeigte die umfangreiche Analyse, dass das koordinierte Versorgungskonzept alle aufgestellten und vereinbarten Ziele für die Versorgung schwer chronisch schmerzkranker Patienten erreichte: langfristige Schmerzreduktion, Verbesserung der Arbeitsfähigkeit, Strukturierung der Patientenkarriere bei gleichzeitiger Kostengünstigkeit. Es zeigte sich im Vergleich zur traditionellen SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Integrierte Versorgung ■ symptomatische sektoralen Behandlung, dass sektorenübergreifend eine signifikant effizientere und nachhaltigere Therapie von Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen erfolgt [1]. Das Behandlungskonzept wurde von Betroffenen und Vertragsärzten aus allen Bundesländern genutzt. Rund 70% der nach dem genannten Konzept behandelten Patienten wurden bundesweit zugewiesen. ■ Kopfschmerzen mit komplexen Begleiterkrankungen, ■ seltene Kopfschmerzformen mit schwerem Leidensdruck etc. Der koordinierte Therapieablauf Die integrierte Versorgung umfasst drei Phasen, die eng koordiniert sind: ■ Phase I: Spezialisierte Diagnostik, professionelles Screening, Auswahl der sektorenübergreifenden Behandlungspfade, Behandlung vor Ort ■ Phase II: Sektorenübergreifende neurologisch-verhaltensmedizinische Behandlung ■ Phase III: Ambulante Verlaufs- und Erfolgskontrolle, sektorenübergreifendes Monitoring des Therapieverlaufs. Der generelle therapeutische Grundsatz der Konzeption ist, eine hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten. Schwer betroffene Patienten sollen schnell und ohne Zeitverzug mit einer zeitgemäßen klinischen Diagnostik und einer effizienten Therapie versorgt werden. Aufgrund strukturierter Behandlungspfade, die auf evidenzbasierten wissenschaftlichen Therapieleitlinien basieren, soll eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit der Behandlung erzielt werden und Komplikationen sowie Chronifizierungen der Erkrankungen mit langfristigen und hohen Folgekosten vermieden werden. Zum Eintritt in die integrierte Versorgung sind operationalisierte Ein- und Ausschlusskriterien definiert, die sektorenübergreifende SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Schnittstellen im Rahmen der integrierten Versorgung beschreiben und die jeweiligen Aufgaben der verschiedenen Beteiligten festlegen. Patienten sollen einerseits nicht zu früh aus dem ambulanten Bereich in die stationäre Versorgung übergeführt werden. Um dies zu ermöglichen, wird eine Interaktion zwischen der stationären Behandlung und dem ambulanten Sektor geschaffen. Individuelle Beratung von niedergelassenen Vertragsärzten durch Ärzte des akutstationären Bereiches sowie ambulante Voruntersuchungen zur Überprüfung der Aufnahmeindikation und ggf. zur Vermeidung einer stationären Behandlung mit Aufstellung eines Therapieplans gemeinsam mit dem niedergelassenen Vertragsarzt sollen dies ermöglichen. Andererseits soll jedoch erforderlichenfalls eine schnelle stationäre Aufnahme die weitere Chronifizierung und die Entstehung von Komplikationen vermeiden. Die sektorenübergreifende Integration von rehabilitativen und vollstationären Behandlungsmaßnahmen ermöglicht die nachhaltige Aufrechterhaltung des Therapieerfolges. Kontinuierliche Fortbildung und Interaktion Im gesamten Behandlungsverlauf wird eine hohe fachliche Qualifikation der Behandler realisiert. Eine kontinuierliche Fortbildung der Teilnehmer an der integrierten Versorgung in regelmäßigen Abständen sowie die kontinuierliche Interaktion und Spezialisierung im Behandlungsbereich sollen dies gewährleisten. In speziellen Fällen kann zudem die Expertise Bildarchiv Göbel Umsetzung eines bundesweiten Kopfschmerznetzes Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse ein bundesweites Konzept einer koordinierten Kopfschmerzversorgung bei hoher Qualität erarbeitet. Die Belange der Versicherten, ihre Betreuung und ihre Behandlung, stehen dabei im Mittelpunkt. Ein nationaler Verbund von Hausärzten, ambulant und stationär tätigen Schmerztherapeuten in Praxen und Kliniken wirkt dabei Hand in Hand zusammen, um Schmerzen fach- und sektorenübergreifend mit zeitgemäßen Methoden optimal zu lindern. Die beteiligten Berufsgruppen behandeln dabei nach aktuellen Leitlinien und auf modernstem wissenschaftlichem Stand. Ambulante, rehabilitative und stationäre Therapien sind eng aufeinander abgestimmt und im zeitlichen Ablauf miteinander verzahnt. Das Konzept bietet eine überregionale koordinierte Behandlung zwischen der Schmerzklinik Kiel, dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und niedergelassenen Schmerztherapeuten, Neurologen und Hausärzten für chronisch kranke Kopfschmerzpatienten ohne Beschränkung durch Fachgrenzen und Vergütungssektoren nach §§ 140 ff SGB V an. Dieses Versorgungsangebot für Kopfschmerzpatienten ermöglicht es, die Entstehungsmechanismen von Kopfschmerzen umfassend zu identifizieren und gezielt daran anzusetzen. Dabei sind die Patienten aktiv eingebunden, entwickeln ein besseres Verständnis für ihre Krankheit und können so den Therapieerfolg ebenfalls positiv beeinflussen. IV-Kopfschmerz: Indikationen Das Behandlungsnetz ist ausgerichtet auf die spezialisierte, sektorenübergreifende Versorgung von schwer betroffenen Patientinnen und Patienten mit chronischen Kopfschmerzerkrankungen wie z.B. ■ schwere und häufige Migräne, ■ chronische Kopfschmerzen vom Spannungstyp, ■ Clusterkopfschmerzen, ■ Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch, ■ posttraumatische Kopfschmerzen Kopfschmerzen, ■ Neuralgien, Von links nach rechts, Dr. Johann Brunkhorst, Leiter der TK-Landesvertretung SchleswigHolstein, Dr. Dietrich Jungck, Schmerzzentrum Hamburg, Präsident des Verbandes für Algesiologie – Berufsverband Deutscher Schmerztherapeuten, Prof. Dr. Hartmut Göbel, Direktor der Schmerzklinik Kiel, Dr. Christoph Straub, stlv. Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, stellen das bundesweite Kopfschmerz-Netzwerk vor. 13 Integrierte Versorgung spezialisierter Netzpartner in Anspruch genommen werden. So ist u.a. im Bereich der neuroradiologischen Diagnostik die Sektion Neuroradiologie und im Bereich der spezialisierten neurochirurgischen Therapie die Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein Netzpartner. Nutzen Die Versicherten nehmen die zentrale Stelle im Versorgungsprozess ein und ihr Nutzen steht im Vordergrund. Aus der integrierten Versorgung ergeben sich für die Patienten folgende Vorteile: ■ optimierte Behandlung auf aktuellem wissenschaftlichem Stand, ■ sektorenübergreifende spezialisierte Behandlungspfade, ■ integrierte Screening- und Nachsorgeuntersuchung, ■ organisierte Behandlungskette, ■ koordinierter und integrierter Übergang ambulant, stationär, rehabilitativ, ■ fortlaufende Evaluation. Für den Kostenträger steht die effizientere Versorgung und Erhöhung der Zufriedenheit des Versicherten durch innovative Zusatzleistungen im Vordergrund. Die Versichertengemeinschaft profitiert zudem von der Kostenreduktion. Der Nutzen schließt ein: ■ evaluierte Therapie mit hoher Wirksamkeit und effizientere Versorgung, ■ Erhöhung der Zufriedenheit der Versicherten, ■ Verringerung der Wartezeiten, Verkürzung der Arbeitsunfähigkeit, ■ Kostenreduktion, ■ Angebot über die regionale Regelversorgung hinaus (Prinzip: „Leistung und mehr“). Für die beteiligten Vertragsärzte stehen die sektorenübergreifende Kooperation mit der Reduktion organisatorischer Defizite und die Optimierung der Professionalität im Vordergrund. Administrative Aufgaben werden reduziert und eine verbesserte Wirtschaftlichkeit der Behandlungsprozesse wird durch hohe Spezialisierung erreicht. Die Vorteile sind: ■ sektorenübergreifende Kooperation, ■ Erweiterung des regionalen Therapiespektrums, ■ erhöhte Effizienz durch evaluierte Behandlungspfade, Spezialisierung und kontinuierliche Fortbildung, ■ Optimierung der Professionalität, ■ Wettbewerbsvorteil durch höhere Spezialisierung, ■ zusätzliche Vergütung der speziellen Leistungen zur Regelversorgung. Leistungen über die Regelversorgung hinaus Die regionale Regelversorgung wird durch das IV-Konzept nicht verändert oder gar ersetzt, sie kann selbstverständlich weiter wie bisher genutzt werden. Ziel ist vielmehr u.a. die weitere Professionalisierung der ambulanten Therapie durch Spezialisierung vor Ort. Tabelle 1: Teilnahme als Netzpartner Seit Start des Konzeptes nehmen mittlerweile bundesweit rund 190 spezialisierte Praxen am Behandlungsnetz teil. Die Teilnahme weiterer interessierter Ärztinnen und Ärzte ist möglich. Bei Interesse bitte E-Mail an: [email protected] Weitere Informationen zum Behandlungsnetz finden sich im Internet unter www.schmerzklinik.de und www.tk-online.de Die Techniker Krankenkasse vergütet den besonderen Zeitaufwand für die ambulante Therapie. Das Konzept zielt insbesondere auch auf die Behandlung aller Versicherten ab, die bei den ambulanten Leistungserbringern verbleiben und die keiner Behandlung in einem überregionalen Zentrum bedürfen. Fazit: Leistung und mehr Für alle Beteiligten eröffnet das Konzept zusätzliche Optionen in der innovativen Versorgung von Kopfschmerzen mit vielfältigen Vorteilen für Patienten, Krankenkasse und Leistungserbringer. ❏ Hartmut Göbel, Kiel Literatur beim Verfasser Deutscher Schmerzpreis 2008 ausgeschrieben Deutscher Förderpreis für Schmerzforschung und Schmerztherapie 2008 – (Oberursel) Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., Trägerin des Deutschen Schmerzpreises, verleiht seit 1986 in regelmäßiger Folge zusammen mit der Deutschen Schmerzliga e. V. jährlich den DEUTSCHEN SCHMERZPREIS – Deutscher Förderpreis für Schmerzforschung und Schmerztherapie –. Mit ihm werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten über Diagnostik und Therapie akuter und chronischer Schmerzzustände verdient gemacht oder die durch ihre Arbeit oder ihr öffentliches Wirken entscheidend zum Verständnis des Problemkreises Schmerz und der davon betroffenen Patienten beigetragen haben. 14 Verliehen wird der Deutsche Schmerzpreis im Rahmen des Deutschen Schmerztages 2008 in Frankfurt/Main. Er wird von der Firma Mundipharma Vertriebsgesellschaft mbH u. Co. KG, Limburg, gestiftet und ist mit 10 000 Euro dotiert. Nominierungen und Bewerbungen müssen bis zum 31. Oktober 2007 bei der Geschäftsstelle eingereicht werden: Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., Adenauerallee 18, 61440 Oberursel. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. ist die größte europäische Schmerzfachgesellschaft. Ihr Ziel ist die Förderung der Algesiologie als der Wissenschaft vom Schmerz, die Verbesserung der schmerztherapeutischen Versorgung, die Fort- und Weiterbildung sowie die Gründung interdisziplinärer schmerztherapeutischer Kolloquien. Die Deutsche Schmerzliga e. V. ist die Interessenvertretung der Schmerzpatienten. Ihr Ziel ist eine bessere Lebensqualität für Menschen mit chronischem Schmerz durch eine qualifizierte schmerztherapeutische Versorgung. Die Deutsche Schmerzliga vermittelt Informationen über den chronischen Schmerz sowie über dessen Diagnostik und Therapie und unterstützt die Bildung von Selbsthilfegruppen. In der Öffentlichkeit setzt sich die Deutsche Schmerzliga für die Anliegen der Schmerzpatienten ein. SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) DGS-Veranstaltungen Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle des DGS Oberursel: Tel.: 06171/ 286060 Fax: 06171/ 286069 · E-Mail: [email protected] Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de mit der Möglichkeit der Onlineanmeldung. September 2007 Diagnostik und Therapie bei Störungen der Lumbalregion Schmerztherapie bei Sportlern 22.09.2007 in Berlin; Regionales Schmerzzentrum DGS-Berlin Prenzlauer Berg 02.09.–08.09.2007 in Riva (Gardasee)/Italien; Regionales Schmerzzentrum DGS-München 40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin (Modul 2) 05.09.-09.09.2007 in Celle; Regionales Schmerzzentrum DGS-Celle 4. Wiesbadener Schmerzabend Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Teil 1 22.–23.09.2007 und 29.–30.09.2007 in Stuttgart; Geschäftsstelle DGS DGS Schmerztherapeutische Ansätze bei Somatisierungsstörungen 05.09.2007 in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden 26.09.2007 in Bad Salzungen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bad Salzungen Reanimation Refresherkurs Praxisseminar – Der Stellenwert verschiedener bildgebender Verfahren in Medizinischen Versorgungszentren – Mogelpackung oder Chance? 05.09.2007 in Frankfurt am Main; Regionales Schmerzzentrum DGS-Frankfurt/Main Was kann Neurostimulation in der Behandlung chronischer Schmerzen leisten? 12.09.2007 in Chemnitz-Rabenstein;Regionales Schmerzzentrum DGS-Chemnitz Invasive Schmerztherapie 12.09.2007 in Leer; Regionales Schmerzzentrum DGSLeer Neuraltherapie – LWS und untere Extremitäten 14.09.–5.09.2007 in Dresden; Regionales Schmerzzentrum DGS-Dresden TAOYOGA und Akupunktur/Akupressur 15.09.2007 in Köln; Regionales Schmerzzentrum DGSKöln Posttraumatische Belastungsstörung und Schmerztherapie 18.09.2007 in Siegen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Siegen Differenzialdiagnostik verschiedener Schmerzerkrankungen 19.09.2007 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum DGS-Leipzig 26.09.2007 in Bielefeld; Regionales Schmerzzentrum DGS-Herford Sympathische Reflexdystrophie – Grundlagen und Therapie mit Fallvorstellung 26.09.2007 in Gießen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Gießen Spannungskopfschmerz – Differenzierung – Diagnose – Therapie, Schmerzen am Kopf – alles Kopfschmerzen? – Intern. Kopfschmerz, CMD (TMD); HWS- u. Beckenerkrankungen 26.09.2007 in Mühlhausen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Mühlhausen Patientenvorstellung 26.09.2007 in Halle/Saale; Regionales Schmerzzentrum DGS-Halle Arzthaftungsrecht mit besonderem Bezug auf die Schmerztherapie (Aufklärung, AVWG etc.) 29.09.2007 in Mainz; Regionales Schmerzzentrum DGS-Mainz 5. Wiesbadener Palliativtag – Patientenforum 29.09.2007 in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden 40-Stunden-Basiskurs Palliativmedizin 19.09.–23.09.2007 in Bremen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bremen Oktober 2007 Curriculum Palliativmedizin – Basiskurs für Ärzte 40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin (Modul 3) 19.09.-23.09.2007 in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden 03.10.–07.10.2007 in Hamburg; Regionales Schmerzzentrum DGS - Bremen Biofeedback II Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil 3 – 3. Wochenende (Veranstaltungsreihe über drei Termine) 20.09.2007 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bad Säckingen Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil 3 – 2. Wochenende (Veranstaltungsreihe über drei Termine) 21.09.–23.09.2007 in Mülheim/Ruhr, Geschäftsstelle DGS SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) 8. Stuttgarter Schmerztag 06.10.2007 in Stuttgart; Regionales Schmerzzentrum DGS-Stuttgart Zehn Jahre Schmerzpraxis in Erkelenz 08.10.2007 in Erkelenz; Regionales Schmerzzentrum DGS-Erkelenz Schmerz- und Palliativkongress NRW 12.10.-13.10.2007 in Sankt Josef/Wuppertal; Regionales Schmerzzentrum DGS-Wuppertal Systematik der Injektionstechniken – Refresherseminar 13.10.–4.10.2007 in Randersacker; Regionales Schmerzzentrum DGS- Würzburg 10. Südwestdeutsche Schmerztage 12.10.–13.10.2007 in Göppingen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Göppingen Praxisseminar 17.10.2007 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum DGS-Leipzig DGS-Zentrum Mönchengladbach Wir begrüßen Dr. med. Henning Krolle, Facharzt für Orthopädie und Physikalische und Reha-Medizin, Zusatzbezeichnungen Spezielle Schmerztherapie, Chirotherapie, Naturheilverfahren, Sport- und Tauchmedizin, Algesiologe DGS/DgfA, Lehrbeauftragter der Hochschule Niederrhein, Osteologe (DVO) niedergelassen in Gemeinschaftspraxis mit Dr. med. Ansgar Ehses im Medicentrum (www.medicentrum.de) Mönchengladbach als Leiter des DGS-Zentrum Mönchengladbach. Schwerpunkt muskuloskelettale und Kopfschmerzen Angewandte therapeutische Verfahren der Praxis: Therapeutische Lokalanästhesie, Sympathikusblockaden, Plexus- und rückenmarksnahe Anästhesien; PRIT, psychosomatische Grundversorgung, Pharmakotherapie, Naturheilverfahren, Chirotherapie, Tens, Akupunktur 05.10.–07.10.2007 in Mülheim/Ruhr; Geschäftsstelle DGS 13. Ahrenshooper Schmerzsymposium - Vernachlässigen wir unsere Füße? 06.10.2007 in Ahrenshoop; Regionales Schmerzzentrum DGS- Bielefeld Henning Krolle, Mönchengladbach 15 Interdisziplinäre Fortbildung Schmerzkonferenzen – Palaver oder Chance? Schmerzkonferenzen finden sowohl im ambulanten Bereich wie auch an Krankenhäusern in ganz Deutschland statt. Wer wenig in der Materie ist, könnte diese für nette Zusammenkünfte schmerzinteressierter Ärzte mit mehr oder weniger „gemeinsamem Palaver“ zu sowieso nicht richtig lösbaren Schmerzproblemen betrachten. Dies geht jedoch völlig an der Realität und dem medizinischen Kenntnisstand vorbei, nach dem die interdisziplinäre Analyse und Therapie chronischer Schmerzprobleme „Goldstandard“ ist. Den Stellenwert der interdisziplinären Schmerzkonferenzen beschreibt Dr. med. Kai-Uwe Kern, Schmerz- und Palliativzentrum, DGSWiesbaden. Historie Bereits im Jahr 2001 führte die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. (DGS) bundesweit in den regionalen Schmerzzentren nahezu 1000 Schmerzkonferenzen durch, bei denen in der Regel drei Patienten vorgestellt werden. Durch eine Initiative der DGS und mehrerer Krankenkassen (Tab. 1) konnte im Jahr 2003 ein Vertrag zur Kostenerstattung der Schmerzkonferenzen erarbeitet werden. Dies war ein Meilenstein in der interdisziplinären Therapie chronischer Schmerzpatienten, für die die notwendigen medizinischen Maßnahmen nicht im EBM abgebildet sind. Möglich geworden waren diese Regelungen damals u.a. durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz und die Anrechnungen der Aufwendungen für die Krankenkassen auf das Vergütungsvolumen gemäß § 140 d SGB V. Durch gemeinsame Bemühungen konnte zum 01.01.2007 die Vergütung der aktuellen Entwicklung angepasst werden und somit der Fortbestand interdisziplinärer Schmerzkonferenzen gesichert werden. Aus den anfänglichen „Feierabend-Veranstaltungen“ wurden hiermit angemessen honorierte, fachlich hoch qualifizierte und mit umfangreicher Dokumen- tation qualitätsgesicherte, medizinische Instrumente zur Behandlung chronischer Schmerzpatienten. Grundprinzipien Von den meisten Anbietern werden Schmerzkonferenzen ca. einmal im Monat organisiert, die Teilnahme ist kostenlos. Teilnehmer sind Ärzte und Angehörige nicht ärztlicher Disziplinen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, interdisziplinär und sektorenübergreifend die Lebensqualität chronisch Schmerzkranker zu verbessern. Der vorstellende Arzt berichtet kurz über die grundsätzliche Problematik und Ausgangssituation, bevor der Patient aus seiner Sicht ausführlich Anamnese und aktuelle Beschwerden beschreibt. Sofern medizinische Unterlagen (Bilder, Briefe usw.) vorliegen, werden diese allen Teilnehmern zugänglich gemacht. Meist ist es hilfreich, wenn der vorstellende Arzt unternommene Therapieversuche und deren Effektivität darstellt und andere, ergänzende Informationen liefert. Im Anschluss an den Patientenbericht haben alle Teilnehmer die Möglichkeit zur Befragung und im Idealfall auch gemeinschaftlichen Unter- Tabelle 1: ISK-Vereinbarung – teilnehmende Krankenkassen Techniker Krankenkasse (TK), Hamburg Gmünder Ersatzkasse (GEK), Schwäbisch-Gmünd Krankenkasse für Bau- und Holzberufe (HZK), Krankenkasse Eintracht Heusenstamm Ersatzkasse Hamburg (KEH), Heusenstamm suchung des Patienten. Zum Abschluss wird der Patient verabschiedet, und es wird ihm erläutert, dass nun die interne Fachdiskussion beginnt und er das Ergebnis von seinem behandelnden Arzt in Kürze in der Sprechstunde mitgeteilt bekommt. Entscheidend ist, dass die anschließende Diskussion ohne jede „Besserwisserei“, „Schuldzuweisung“ oder „Schuldgefühle“ erfolgt, da sonst kein konstruktiver Dialog im Sinne des Patienten möglich ist. Es geht einzig und allein darum, ein interdisziplinäres Ergebnis im Sinne des betroffenen Schmerzkranken zu erzielen, welches durch die Einzelleistung jeder Fachrichtung nicht möglich wäre. Multiprofessionalität nötig Um eine interdisziplinäre Schmerzkonferenz nicht ausschließlich zum ärztlichen Disput zu machen, ist es besonders wichtig, auch nicht ärztliche Disziplinen zu integrieren. Häufig sind die Beiträge von Physiotherapeuten, Psychologen oder Ergotherapeuten besonders wertvoll. In der gemeinschaftlichen Diskussion erarbeiten alle Teilnehmer ein multimodales Therapiekonzept und konkrete Empfehlungen zu weiteren Maßnahmen (medizinische Maßnahmen, psychotherapeutische Therapien, Gruppenprogramme, ambulante oder stationäre Versorgungsmodelle u.a.). Ziel muss neben der Schmerzreduktion bzw. Verringerung von Schmerzhäufigkeit oder -dauer eine Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität, das Erreichen des individuellen Behandlungsziels des Patienten und besonders die Beeinflussung des Chronifizierungsprozesses sein, der neben persönlichem Leid auch sozioökonomische Dauerkosten verursacht. Grundsätzlich gilt: Je mehr Disziplinen Ansprechpartner für Schmerzkonferenzen in Ihrer Umgebung: Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., Geschäftsstelle Nord- und Mitteldeutsche IKK, Celle Siemens Betriebskrankenkasse (SBK), Münschen BKK Gesundheit, ehemals: BKK Zollern-Alb, Dresden Ford-Betriebskrankenkasse, Köln Bosch BKK, Stuttgart BKK Deutsche Bank BKK Allianz BKK Daimler-Chrysler Adenauerallee 18 61440 Oberursel Tel. (0 61 71) 28 60 60 Fax (0 61 71) 28 60 69 www.dgschmerztherapie.de Mhplau BKK BKK Conzelmann Kai-Uwe Kern, DGS-Wiesbaden BKK der E.ON Ruhrgas AG BKK der VICTORIA D.A.S. E-Mail: [email protected] BKK-Bundesverband, Essen (ohne Mitglieder) 16 SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Interdisziplinäre Fortbildung Kai-Uwe Kern, Wiesbaden vertreten sind und je interessierter und entspannter die Fachdiskussion, desto besser ist das Ergebnis ! Juristische Rahmenbedingungen Der genannte Honorarvertrag betrifft nur die Schmerzkonferenzen niedergelassener Ärzte und Fachrichtungen. Viele Schmerzkonferenzen werden zusätzlich von Krankenhäusern veranstaltet. Hier gibt es leider noch keine Vertragsmodelle. Vorgestellt werden können Patienten aller beteiligten Krankenkassen ohne gesonderten Kostenantrag. Dem Mainzer Chronifizierungsstadium entsprechend muss der Patient bezüglich seines Scores in das Chronifizierungsstadium II oder III einzugruppieren sein. Die persönliche Anwesenheit des anspruchsberechtigten Versicherten und des vorstellenden Arztes ist Voraussetzung für die Abrechnungsfähigkeit der Vergütungen. Schmerzkonferenzen werden von schmerztherapeutisch speziell qualifizierten Moderatoren geleitet, eine schmerztherapeutische Ausbildung der anderen Teilnehmer ist zwar häufig vorhanden, jedoch nicht zwingend. Eine vertragsärztliche Zulassung oder Ermächtigung (bzw. eine Zulassung zur Behandlung gesetzlich versicherter Patienten für die nicht ärztlichen Fachrichtungen) ist Voraussetzung für die Abrechnung der Konsiliarpauschale. Fortbildungsnachweise Neben dem Versorgungsauftrag einer Schmerzkonferenz erfüllt diese auch Voraussetzungen als Fortbildungsnachweis für die Teilnehmer. So setzt die Teilnahme an der Qualitätssicherungsvereinbarung „Schmerztherapie“ eine regelmäßige Teilnahme an Schmerzkonferenzen für die Erteilung der Abrechnungsberechtigung voraus. Darüber hinaus setzen viele Fachverbände wie die Deutsche Gesellschaft für psychologische Schmerztherapie und -forschung (DGPSF), die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) und die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS) die Teilnahme an Schmerzkonferenzen für die Anerkennung der verbandsinternen Qualifikationen voraus. Bei den jüngsten Entwicklungen im Bereich „Akupunktur“ wird auch hier durch die Teilnahme an Schmerzkonferenzen eine Erweiterung der bio-psycho-sozialen Betrachtungsweise chronischer Schmerzpatienten erwartet. SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Dokumentation Die ehrgeizigen Ziele einer interdisziplinären Schmerzkonferenz (ISK) setzen eine hoch angesiedelte Qualitätssicherung und Dokumentation voraus. Der Patient verpflichtet sich zum Ausfüllen eines standardisierten Schmerzfragebogens der Fachgesellschaften sowie zu den Angaben zur Erfassung des Chronifizierungsstadiums, welches in einem standardisierten Bogen dokumentiert wird. Die Teilnahmebereitschaft des Patienten wird mit einer Einverständniserklärung schriftlich festgehalten, das Ergebnis der Diskussion und die veranlassten Maßnahmen werden in vorgefertigten Dokumentationsblättern erfasst. Abrechnungsbögen dokumentieren Moderator, vorstellenden Arzt und konsiliarisch hinzugezogene Teilnehmer mit Name, Ausbildung, Zulassungsstatus und Kontodaten sowie den Unterschriften. Der Moderator übernimmt ferner die Verpflichtung, in einem ISK-Nachbesprechungsbogen innerhalb eines Zeitraumes von neun Monaten den Behandlungsverlauf und -erfolg des vorgestellten Patienten zu dokumentieren. Vergütung Hochqualifizierte medizinische Leistung ist selbstverständlich nicht kostenfrei zu erhalten. Die Vertragspartner waren sich daher einig, dem moderierenden Schmerztherapeuten, dem vorstellenden Arzt und mehreren Konsiliarteilnehmern ein angemessenes Honorar zu erstatten. Das Moderatorenhonorar (jetzt neu festgelegt auf 120 Euro) umfasst den Aufwand der Einladung, die Feststellung der Anspruchsberechtigung, der gesamten Dokumentation, Organisation, Koordination der Abläufe, Raumkosten und Moderation der Veranstaltung. Die ISK-Pauschale für den vorstellenden Arzt (60 Euro) deckt die Vorbereitung der Patientenvorstellung, das Aufarbeiten der Krankengeschichte und das Anfordern evtl. relevanter Befunde. Konsiliarteilnehmer erhalten für ihre Teilnahme und Diskussionsbeiträge/Untersuchung eine Vergütung vom 45 Euro je Fall, ein Honorar für sonstige Teilnehmer ist nicht vorgesehen. Um dies mit Leben zu erfüllen, kommt es auf die Teilnahme von genügend Ärzten möglichst vieler Fachrichtungen an. Dies gilt vor allem aber auch für Hausärzte, denen eine Schmerzkonferenz die Möglichkeit bietet, Problempatienten „niedrigschwellig“ vorzustellen und mit anderen Fachdisziplinen zu diskutieren. Schmerzkonferenzen bieten nicht nur eine große Chance für die betroffenen Schmerzkranken, sondern sind gleichzeitig eine Bereicherung für unser Berufsleben. Hier können Patienten „ganzheitlich“ begriffen werden, ganz so, wie es unser ärztliches Ethos es eigentlich von uns verlangt und wir es – sind wir ehrlich – eigentlich am liebsten auch wollen. Wenn man Patienten optimal hilft und sich dabei gleichzeitig wieder „als Arzt fühlt“, dann hat sich die Frage „Palaver oder Chance?“ von selbst beantwortet. Zusammenfassung Schmerzkonferenzen sind interdisziplinäre Treffen schmerztherapeutisch interessierter Ärzte und Angehöriger nicht ärztlicher Disziplinen. Durch die Diskussion chronischer Schmerzprobleme aus der Sicht verschiedenster Fachrichtungen kann die beste Therapie für den vorgestellten Patienten gefunden werden. Biologische, soziale and psychologische Faktoren sind bedeutsam bzgl. einer Schmerzchronifizierung und werden in Schmerzkonferenzen beleuchtet. Seit 2004 vergüten einige Krankenkassen die Teilnahme an Schmerzkonferenzen wegen des gezeigten Vorteils für ihre Versicherten und einer langfristigen Kostenersparnis. Schmerzkonferenzen sind weltweit üblich und gelten als anerkannte Instrumente moderner Schmerztherapie. ❏ Kai-Uwe Kern, Wiesbaden Ausblick Schmerzkonferenzen sind ein Instrument der medizinischen Spitzenversorgung und keine Routine für alle Schmerzpatienten. 17 Onkologie Moderne Chemotherapie nach Maß Nach jahrzehntelanger zytostatischer „Schrotschusstherapie“ in der Onkologie zeichnet sich durch die Fortschritte in der Genom- und Proteomtechnologie ein Paradigmenwechsel hin zu einer individualisierten Krebstherapie ab. Die gesamte Hämatologie und Onkologie befinden sich in einer hoffnungsvollen Umbruchphase. Neue Methoden aus der Genetik und Molekularbiologie ermöglichen neue Erkenntnisse für die Diagnostik und Prognose bösartiger Erkrankungen. Die Möglichkeiten einer individualisierten Krebstherapie, die sog. Targeted Therapy, beschreibt Dr. rer. nat. Annette Junker, Apothekerin für klinische und onkologische Pharmazie am Sanaklinikum Remscheid. W ährend die über Jahrzehnte etablierten Zytostatika auch normales Gewebe in nicht unbeträchtlichem Ausmaß angriffen und zu entsprechenden unerwünschten Wirkungen führten, wirken die neuen Therapieformen vorwiegend auf die Krebszellen. Bei Betrachtung der molekularen Mechanismen der Tumorentstehung und -progression ist bemerkenswert, dass viele Schlüsselstellen bzw. Targets dieser Prozesse über eine Aktivierung bestimmter Rezeptoren erfolgt, was zu einer Stimulierung von Proteinkinasen im Zellinnern führt. Durch diese Stimulierung kommt es in der Tumorzelle zu einer molekularen Kaskade, die zu einer Angiogenese, Metastasierung, weiterer Zellteilung und Verhinderung der Apoptose führt. Sowohl die Rezeptoren als auch die Tyrosinkinasen kommen damit potenziell für einen therapeu- tischen Angriff infrage. Durch die Fortschritte in der molekularen Diagnostik ist es möglich geworden, bei jedem Patienten die jeweiligen Targets zu bestimmen und ihn dann auch ganz individuell behandeln zu können, da bereits viele Präparate für diese molekularen Targets zur Verfügung stehen. Einer der bekanntesten dieser Targets ist der epidermale Wachstumsfaktorrezeptor, der bei sehr vielen Tumorzellen überexprimiert wird, was zu verstärktem Wachstum des Tumors führt. In Abbildung 1 ist die zelluläre Signaltransduktion in der Tumorzelle dargestellt. Bei einer Bindung eines Liganden an den EGF-Rezeptor kommt es innerhalb der Zelle zu einer Aktivierung der Tyrosinkinasen. Diese wiederum löst eine Angiogenese zum Tumor und eine Metastasierung aus, und fördert darüber hinaus das Überleben der Tumorzelle und die vermehrte Abbildung 1: Zelluläre Signaltransduktion in der Tumorzelle. Annette Junker, Remscheid Zellteilung. Damit ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, in diese Signalkaskade in der Tumorzelle zielgerichtet einzugreifen: ■ Die monoklonalen Antikörper (Mabs = Monoclonal Antibodies) blockieren extrazellulär die Rezeptoren, wodurch die intrazelluläre Kaskade verhindert wird. Solche monoklonalen Antikörper gibt es außer für den EGFRezeptor auch für weitere Rezeptortypen wie z. B. den VEGF-Rezeptor (Vascular Endothelial Growth Factor Receptor), über dessen Aktivierung es ganz besonders zu einer Angiogenese zur Tumorzelle kommt. ■ Die Tyrosinkinaseinhibitoren (-Tinibs) werden auch als kleine Moleküle bezeichnet und hemmen intrazellulär die Tyrosinkinasedomäne. Abbildung 2: Angriffspunkt von Forodesine. Rezeptorenblocker 2. Rezeptorbindung NH N EGFR Forodesine R 1. Ligand (EGF) R HO PNP Zellmembran K Inhibierung durch K a) Rezeptorenblocker oder b) Inhibierung der Tyrosinkinasen R = extrazelluläre Liganden bindende Domäne, K = intrazelluläre Tyrosinkinasedomäne O NH HCI HO OH 3. Aktivierung der Tyrosinkinasen Ribosephosphat + Guanin dGuo 4. Signalkaskade Phosphatasen dGMP Apoptose NUCLEUS dGDP dGTP Angiogenese Zellteilung Metastase 18 H N Zellüberleben DNA-Synthese Ungleichgewicht des dNTP-Pools SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Onkologie In Tabelle 1 sind einige monoklonale Antikörper dargestellt. Einer der ersten Vertreter war das Rituximab, das zur Behandlung von NonHodgkin-Lymphomen eingesetzt wird. Bekannter, weil es durch Patienten und über die Presse oft erwähnt und gefordert wird, ist das Trastuzumab (Herceptin®), dessen Wirksamkeit nicht nur für den palliativen, sondern auch für den adjuvanten Einsatz in der Brustkrebstherapie gezeigt werden konnte. Das Cetuximab ist der erste zugelassene EGF-Rezeptorenblocker und wird wie das Bevacizumab als erster zugelassener VEGF-Rezeptorenblocker bisher überwiegend zur Behandlung kolorektaler Karzinome eingesetzt. Einige Kinaseinhibitoren sind in Tabelle 2 dargestellt. Einer der Ersten war das Imatinib, das einen sehr großen Erfolg bei der Behandlung der CML aufzuweisen hat. Positiv waren die 5-Jahres-Überlebensdaten, die im vergangenen Jahr vorgestellt werden konnten: Nach fünf Jahren lebten immer noch 90% der Patienten. Gefitinib und Erlotinib sind Inhibitoren der Tyrosinkinasen von EGF-Rezeptoren. Noch umstritten Iressa® wurde zuerst in Japan bereits 2002 beim inoperablen oder rezidivierten NSCLC (sog. nicht kleinzellige Bronchialkarzinome, Non Small Cell Lung Cancer) zugelassen, später als Zweitlinientherapie beim NSCLC in den USA. Bestimmte Subgruppen profitieren besonders wie Japaner (Japaner 27% vs. USAmerikaner 10%), Nie-Raucher, Frauen (Asiatinnen) und bestimmte EGFR-Mutationen. Deutliche Vorteile bei europäischen Patienten konnten nicht nachgewiesen werden, deshalb fehlt noch die EMEA-Zulassung. Hoffnung bei Leberkrebs und Nierenzellkarzinomen Sunitinib und Sorafenib hemmen gleichzeitig die Tyrosinkinasen mehrerer Rezeptortypen und werden bei Nierenzellkarzinomen eingesetzt. Darüber hinaus wurden soeben beim amerikanischen Krebskongress (ASCO) vielversprechende Daten zum Einsatz von Sorafenib bei Leberkrebs vorgestellt. Die therapiebedingten unerwünschten Wirkungen sind im Allgemeinen mild. Übelkeit, Diarrhö und Fatigue gehören dazu. Besonders bei den EGFRezeptorenblockern kommt es häufig zu akneähnlichen Hautveränderungen (Rush). Bei einigen Tyrosinkinasehemmern kann es auch zu ausgeprägten Hand-Fuß-Syndromen kommen. Die Reise geht weiter Nachdem diese Mechanismen der Tumorentstehung und der Signalkaskade innerhalb der SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Tumorzelle ganz besonders bei den erwähnten Rezeptortypen sehr genau erforscht worden sind und auch bereits viele Inhibitoren bei den verschiedenen onkologischen und hämatologischen Erkrankungen mit größtem Erfolg eingesetzt werden, gewinnt man als Beobachter den Eindruck, dass die Möglichkeiten dieser molekularen Therapien noch nicht ausgeschöpft sind. So gibt es außer den erwähnten rezeptorvermittelten Targets weitaus mehr Angriffspunkte für zielgerichtete Therapien. Aus der immer größer werdenden Palette der Targeted Therapies sei hier ein Beispiel genannt, das zu großen Hoffnungen speziell in der Hämatologie Anlass gibt. Zielgerichtete Lymphozytentherapie Der Wirkmechanismus von Forodesine ist eine neue Annäherung, um maligne hämatologische Erkrankungen zu bekämpfen. Forodesine inhibiert die Purinnukleosidphosphatase (PNP), ein Enzym, das die Lyse von Ribonukleosiden zur freien Base und dem Ribosephosphat katalysiert. Dieses Enzym kommt in sehr hohen Konzentrationen in Lymphozyten vor. Bei Anwesenheit von Desoxyguanosin (dGuo) kommt es bei einer Hemmung von PNP zu einer Akkumulation von Desoxyguanosintriphosphat (dGTP), was letztlich durch Hemmung der DNA-Synthese zytotoxisch wirkt und eine Apoptose der Zelle auslöst (siehe Abb. 2). Da T-Lymphozyten und B-Lymphozyten eine sehr hohe Aktivität der Desoxycytidinkinasen aufweisen, setzt man für die Zukunft in diese Substanz große Hoffnungen bei vielen hämatologischen Erkrankungen. Aufgrund seines überzeugenden therapeutischen Potenzials in Phase-II-Studien wurde Forodesine von der EMEA bereits im November 2006 für die Behandlung von akuter T-Zell-lymphoblastischer Leukämie (T-Zell-ALL) der Status eines „Orphan Drug“Arzneimittel zur Behandlung seltener Krankheiten (engl. Orphan = Waise) verliehen. ❏ Annette Junker, Remscheid Tabelle 1: Monoklonale Antikörper in der Onkologie/Hämatologie Antikörper Target Zelltyp Einsatz/Zulassung Rituximab CD20 B-Lymphozyten B-Zell-Neoplasien (Mabthera®) NHL, Mono o. Kombi mit CT ÜV gesichert/ E, USA Trastuzumab (Herceptin®) ErbB2 (Her2neu) Ca. 1/3 der Mamma-Ca Met. + adj. BC, Mono o. CTKombi, ÜV gesichert/ E, USA Cetuximab (Erbitux®) EGFR (Her1) Großteil aller Karzinom- Met. CRC in Kombi, typen Kopf-Hals-Tumoren/ E, USA Bevacizumab VEGF (Avastin®) Tumoraktivierte Endothelzellen CRC/ E, USA Tabelle 2: Tyrosinkinaseinhibitoren TK-Hemmer Target: Kinasen von: Zelltyp/ Tumorentität Status/Zulassung Imatinib (Glivec®) BCR-ABL, C-Kit, PDGF-R CML, GIST E, USA u.a. Gefitinib* EGF-R (Iressa®) Großteil aller Karzinomtypen NSCLC/ Japan, USA, u.a.* Erlotinib EGF-R (Tarceva®) Großteil aller Karzinomtypen NSCLC, 2. Linie; Pankr. Ca mit Gemc./ E, USA Sunitinib (Sutent®) VEGF-R, PDGF-R, c-Kit, FLT-3 Diverse solide Tumoren MRCC (1. Linie), GIST (2. Linie) / E, USA Sorafenib (Nexavar®) Raf, VEGF-R, c-Kit ... Diverse solide Tumoren MRCC (2. Linie) / E, USA Dasatinib (Sprycel®) BCR-ABL CML, Ph+ - ALL 2. Linie / E, USA * keine europäische und keine deutsche Zulassung 19 Palliativmedizin Optimale Palliativversorgung – wie ist das möglich? Versorgung des unheilbar Kranken am Lebensende so weit wie möglich und von ihm gewünscht in seiner gewohnten Umgebung wie auch die Unterstützung der Angehörigen. ie Überreglementierung der sektoralisierten, längst überholten Standardversorgung verhindert die notwendigen Anpassungen an die stark veränderten Anforderungen in der Gesundheitsversorgung. Benötigt werden flexible Versorgungskonzepte als Antwort auf die komplexen Aufgabenstellungen, die sich nicht nur als Zusatzmodule zur „Symptomlinderung“ in der maroden Regelversorgung verstehen. ■ Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz, Autonomie und Selbstverwaltung der Leistungserbringer, ■ Z ielorientierung – realistisch verwirklicht werden und sich bestmöglich entfalten. Nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Struktur prädestiniert deshalb zur Erfüllung der gestellten Aufgaben, sondern insbesondere die Anforderungen durch die zu lösende Aufgabe. 2. Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit zentralen Steuerungselementen Steuerungsstruktur ist das Zentrum für ambulante Palliativversorgung (ZAPV), das die Abläufe organisatorisch auf allen Ebenen mit einander abstimmt. Dabei ist die Grundidee der Aufbau einer mehrschaligen Hülle, mit dem Patienten und seiner Bezugspersonen im Mittelpunkt, die die bereits vor Ort Agierenden (Hausarzt und Pflege) komplementär palliativpflegerisch, -beratend und -medizinisch unterstützt: Es entsteht aus der Kontinuität der bestehenden Versorgung ein erweitertes lokales Palliative-Care-Team mit einem umfassenden Versorgungsauftrag inklusive Ruf- und Einsatzbereitschaft zu allen Zeiten. Ausgeklügeltes Konzept Die neun Elemente einer durchdachten und zukunftsfähigen Konzeption werden im folgenden mit ihren ausgezeichneten Ergebnissen vorgestellt. Bei Vorliegen dieser Merkmale können die Grundlagen erfolgreicher Zusammenarbeit – ■ Qualifikation, ■ Motivation, Mehr als ein Hirngespinst Bis heute sind diese Vorstellungen Visionen, die als versponnen und unrealistisch abgetan werden. Diejenigen allerdings, die die Möglichkeit haben, nach diesen Kriterien zu arbeiten, und die, die in dieses Konzept als Patienten und Angehörige eingebunden sind und waren, bezeichnen es als die Versorgungskultur der Zukunft. Ich spreche von dem integrierten Versorgungskonzept für Schwerstkranke am Lebensende (IVP), abgeschlossen in Fulda und Wiesbaden, für Versicherte der TK, einzelner BKKen und der Knappschaft. 3. Motivation zu aktiver Mitwirkung, zur Konzeptausweitung und Weiterqualifikation Das PalliativNetz unterstützt die lokalen Ressourcen und fördert damit auch eine Kultur der gelebten Kooperation mit Nachahmungseffekt. Am Patientenbeispiel werden in der engen Verzahnung mit dem Hausarzt palliativmedizinische Inhalte vermittelt, Grundlagen für eine vertiefende Zusammenarbeit wie auch Motivation zur Weiterqualifikation vermittelt. Hilfreich ist dabei auch, dass alle Maßnahmen mit einem adäquaten Honorar hinterlegt sind (siehe dort!). Damit ist es das einzige bisher realisierte bundesweite Konzept, das sowohl die allgemeinen wie auch spezialisierten Anteile der ambulanten Palliativversorgung miteinander vereint und durch die Anreize der basisnahen Zusammenarbeit zu seiner Weiterverbreitung hin zu einer flächendeckenden Palliativversorgung beiträgt! Die medizinische Versorgungslandschaft befindet sich – nicht zuletzt durch die politisch unterstützten erweiterten Möglichkeiten der Vertragsgestaltung – in beständigem Wandel hin zu neuen Versorgungsformen! Gerade die Aussichten auf eine bald umzusetzende Finanzierung der Palliativversorgung bietet die Möglichkeit, überholte Strukturen zu überwinden und neue Konzepte der komplexen Leistungserbringung durch Managed-Care-Strukturen und mit Budgetverantwortung zu realisieren. Wie diese integrierten Versorgungsnetze in der Palliativmedizin aussehen und auch funktionieren, schildert Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident vom Palliativzentrum Wiesbaden. Bildarchiv Nolte D Sterben in Würde 20 ■ Die neun Elemente und ihre Ausgestaltung im Konzept 1. Multidisziplinäre sektorenübergreifende Versorgungsstruktur vor Ort Ein dichtes Versorgungsnetz mit allen am Lebensende wichtigen Berufsgruppen, im RheinMain-Gebiet das PalliativNetz WiesbadenTaunus-Rheingau, in Osthessen das PalliativNetz Osthessen, arbeiten hier seit Jahren zusammen. Dabei ist von unschätzbarem Wert, dass die Leistungserbringer ihre Erfahrungen besonders auch in der ambulanten Versorgung gesammelt haben, damit sie die Anforderungen und Besonderheiten im häuslichen Bereich vor Ort gut einschätzen können. Gemeinsame Zielorientierung: die bestmögliche 4. Berücksichtigung gewachsener Strukturen Die Einbindung der hausärztlichen Versorgungsebene unterstützt die gewachsene Patienten-Hausarzt-Beziehung, berücksichtigt die bereits gewachsenen Versorgungspfade und bindet die vor Ort agierenden Hospizstrukturen mit ein. Dies ermöglicht einen dezentralen wohnortnahen Ablauf, der auch in ländlichen Strukturen eine ausreichende Versorgungsdichte garantiert. 5. Kontinuierliche patientenzentrierte Managed-Care-Versorgung Eine bestmögliche Versorgung für unheilbar Kranke am Lebensende erfordert eine Konti- SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Palliativmedizin nuität in der Betreuung, die vorausschauend und umfassend alle Bereiche erfasst. Rein interventionelle Konzepte werden den Besonderheiten gerade in der Palliativversorgung nicht gerecht, da bereits eingetretene Komplikationen und schwierige Umstände dann relativ schwierig zu Hause zu lösen sind und zu unnötigen Krankenhauseinweisungen führen, auch wenn ein kompetentes Team vor Ort ist. Case-Management ist dabei ein Prozess der konstanten Zusammenarbeit, der komplexen Strukturierung aller Abläufe und stellt die Bedürfnisse der Patienten und seiner begleitenden Angehörigen in den Mittelpunkt. Nirgendwo mehr als am Lebensende sind diese Elemente in der Versorgung notwendig und unverzichtbar! 6. Regelmäßige, für alle offene Team besprechungen, Schulungen und Fall konferenzen Gerade in einem so sensiblen Bereich wie in der Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden ist absolute Transparenz nach innen wie auch außen notwendig! Hierzu gehört der ständige Austausch aller Beteiligten in fachlicher Hinsicht (etablierte Qualitätszirkel) wie auch in patientenindividueller Hinsicht durch ethisch-palliative Fallkonferenzen (Palliativkonferenz). Komplette PalliativeCare-Teams in einer Trägerschaft, zumal mit nicht tagessatzbasierten Honorarstrukturen, sind wegen mangelnder Transparenz und möglicher wirtschaftlicher Zwänge abzulehnen. 7. Transparente, durch Dokumentation hinterlegte Abläufe Eine standardisierte kontinuierliche Evaluation innerhalb des Versorgungskonzeptes wie auch unter den regional verschiedenen Konzepten ist unerlässlich. Hier sollten die Ergebnisse regelmäßig erfasst und bundesweit ausgewertet werden. Grundlagen dafür sind die Vorgaben der HOPE-Dokumentation durch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. 8. Tagessatzbasiertes Globalbudget mit wirtschaftlicher Verantwortung Voraussetzung für eine hocheffiziente Versorgung ist eine Leistungserbringung, die Qualität belohnt und schlechte Versorgung sanktioniert. Alle seit den verschiedenen Gesundheitsreformen neu eingeführten Konzepte in der Gesundheitsversorgung orientieren sich SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) an diesem Prinzip. Auch die Versorgung am Lebensende macht hier keine Ausnahme! Wirtschaftliche Anreize müssen die Erfüllung der Ziele der spezialisierten Palliativversorgung (bestmögliche Versorgung zu Hause) honorieren, die Entstehung vermeidbarer Kosten durch Krankenhauseinweisungen (Nichterreichbarkeit, lange Anfahrtswege, mangelnde Qualifikation) zu Honorarkürzungen führen. Allein ein tagesbasiertes Globalbudget für alle nach Einschluss des Patienten anfallenden Maßnahmen verpflichtet alle Leistungserbringer sowohl auf höchste Qualität, bestmögliche Patientenzufriedenheit wie auch auf die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung zu achten. Unzureichende Versorgung global oder von einzelnen Mitwirkenden im Versorgungsnetz führt zu finanziellen Nachteilen für das gesamte Versorgungsnetz! Dies sind an sich allgemein akzeptierte Elemente moderner Versorgungsstrukturen, in Deutschland bisher in dieser Form aber absolut neu und hier als (noch!) revolutionär einzustufen! Auch für die Krankenkassen besteht mit Einschluss des Patienten in das Versorgungsnetz völlige Kostentransparenz! 9. Wissenschaftlich verwertbare Versorgungsdaten Gerade die Intransparenz der sektoralisierten Versorgungslandschaft mit ihren unterschiedlichen Budgets hat bis heute neue Konzepte deshalb vereitelt, weil aus der Regelversorgung keine Vergleichsdaten vorliegen und auch nicht extrahiert werden können. Ein weiteres wesentliches Merkmal intelligenter Versorgungskonzepte ist deshalb neben einer optimalen und gleichzeitig wirtschaftlichen Versorgung der Erwerb von ökonomischen Daten für die Versorgungsforschung. Erst durch die komplette Budgetverantwortung mit einer zentralen Erfassung aller Versorgungsdaten und -kosten besteht die Möglichkeit, die Kosten nach den Leistungserbringern (Ärzte, Pflege, Palliative-Care), Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln bis hin zu den stationären Kosten (Palliativstation, stationäres Hospiz) aufzuschlüsseln. Aus der Analyse lassen sich weitere Schritte für die Zukunft der allgemeinen und spezialisierten ambulanten Palliativversorgung ableiten. Ausgezeichnete Ergebnisse Nach über einem Jahr der Realisation des Konzeptes in der Praxis liegen die ersten Versorgungsdaten vor. Insgesamt sind in Fulda und Wiesbaden 50 Patienten in das palliative Versorgungsnetz eingeschlossen worden. Davon sind bis Mitte Juli 46 verstorben, vier wer- den aktuell in beiden Netzen versorgt. 46 Patienten haben eine Karzinomdiagnose, drei starben an amyotropher Lateralsklerose, ein Patient an einer internistischen Erkrankung. Die mittlere Behandlungsdauer der verstorbenen Patienten betrug an beiden Orten 30 Tage. Alle eingeschlossenen Patienten wollten oder wollen zu Hause sterben, kein Patient hat sich einen anderen Sterbeort gewünscht. In Fulda sind von 15 verstorbenen Patienten 14 zu Hause verstorben, ein Patient im stationären Hospiz. Die Situation in Wiesbaden ist vergleichbar, 29 zu Hause, zwei Patienten im Hospiz. Diese Zahlen belegen, dass das gesteckte Ziel, bestmögliche Versorgung des unheilbar Kranken, bei mehr als 90% der versorgten unheilbar Kranken erreicht wird, vermutlich besser als in anderen bisher bekannten Palliativprojekten! Mit großer Sicherheit wird auch die von uns nach drei Monaten regelhaft erhobene Befragung der Angehörigen ebenfalls eine große Zufriedenheit bei den Hinterbliebenen bestätigen. Zusammenfassung Wie kein anderes vom Gesetzgeber vorgegebenes bundesweites Projekt bietet das GKVWSG mit dem § 32 b die Chance, völlig neue Wege in der Palliativversorgung zu gehen. Das integrierte Versorgungskonzept IVP ist hierfür ein Beispiel und eröffnet für alle qualifizierten palliativen Versorgungsnetze die Möglichkeit, unabhängig von den Ausgangsstrukturen unter bundesweit vergleichbaren Bedingungen eine flächendeckende allgemeine und spezialisierte ambulante Palliativversorgung nach den regionalen Besonderheiten aufzubauen. ❏ Thomas Nolte, Wiesbaden Bildarchiv Nolte Thomas Nolte, Wiesbaden Palliativversorgung verlangt Teamgeist. 21 Medizin und Recht Wie wird das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz auf Bundesebene umgesetzt? Zum 01.07.2007 ist der neue Bundesmantelvertrag für Ärzte (BMV-Ä) und der Ersatzkassenvertrag für Ärzte (EKV-Ä) in Kraft getreten. Nachdem die Neuerungen des zum 01.01.2007 in Kraft getretenen Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) bereits in Heft 1/07 (S. 20f.) dargestellt wurden, erläutert Rechtsanwältin Heike Müller, Sindelfingen, die wichtigsten bundesmantelvertraglichen Änderungen zur Umsetzung des VÄndG. Ausweitung des Leistungsspektrums durch Anstellung von Ärzten Durch das VÄndG besteht seit dem 01.01.2007 – unter Berücksichtigung der Bedarfsplanung – auch die Möglichkeit, fachfremde Ärzte anzustellen und damit das Leistungsspektrum der Praxis zu erweitern. Während früher Leistungen, für die besondere Qualifikationsanforderungen (vgl. die Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie) nachgewiesen werden mussten, in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann ausgeführt und abgerechnet werden durften, wenn der Praxisinhaber und zugelassene Arzt diese Anforderungen erfüllte, genügt es jetzt nach dem neuen § 11 BMV-Ä auch, wenn nur der in einer Vertragsarztpraxis oder einem Medizinischen Versorgungszentrum angestellte Arzt diese Voraussetzungen erfüllt. Bestimmte apparative oder räumliche Kriterien sind allerdings nach wie vor betriebsstättenbezogen zu erfüllen. In diesen Fällen wird die erforderliche Genehmigung zur Erbringung der speziellen Leistungen dem jeweiligen Arbeitgeber, d.h. dem Ver- 22 tragsarzt oder dem Medizinischen Versorgungszentrum mit der Maßgabe erteilt, dass diese Leistungen nur durch die entsprechend qualifizierten angestellten Ärzte erbracht werden dürfen. Wechselt der angestellte Vertragsarzt innerhalb des Bezirks einer KV den Arbeitgeber, kann dieser vereinfacht eine Abrechnungsgenehmigung unter Bezugnahme auf die zuletzt erteilte erhalten. Darüber hinaus ist durch die Anstellung von Vertragsärzten auch die gleichzeitige Teilnahme an der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung zulässig, § 14a Abs. 2 BMV-Ä. Steuerlich ist die Anstellung eines fachfremden Kollegen jedoch riskant, da die Gefahr besteht, dass die Finanzämter die Praxiseinkünfte als gewerbesteuerpflichtig einstufen. Insoweit ist dringend die Beratung durch einen Steuerberater zu empfehlen. Persönliche Leitung der Vertragsarztpraxis Für den Fall der Anstellung von Ärzten muss der Vertragsarzt sicherstellen, dass die persönliche Leitung der Praxis durch ihn nach wie vor gewährleistet ist. Unter dem Begriff der „Persönlichen Leitung der Vertragsarztpraxis“ versteht der BMV-Ä die Voraussetzungen, nach denen bei in der Praxis angestellten Ärzten im Hinblick auf deren Zahl, Tätigkeitsumfang und Tätigkeitsinhalt sichergestellt ist, dass der Praxisinhaber den Versorgungsauftrag im notwendigen Umfang auch persönlich erfüllt und dafür die Verantwortung übernehmen kann. Diese persönliche Leitung ist nach der Neuregelung in § 14a BMV-Ä dann anzunehmen, wenn je Vertragsarzt nicht mehr als drei vollzeitbeschäftigte oder teilzeitbeschäftigte Ärzte in einem höchstens drei vollzeitbeschäftigten Ärzten entsprechenden Umfang angestellt sind. Bei Ärzten, die überwiegend medi- zinisch-technische Leistungen erbringen, wird die persönliche Leitung auch bei der Beschäftigung von bis zu vier vollzeitbeschäftigten Ärzten vermutet. Bei Vertragsärzten mit einer Teilzulassung vermindert sich die Zahl der zulässigen Anstellungen auf einen Vollzeitoder zwei teilzeitbeschäftigte Ärzte. Weiterbildungsassistenten werden hierbei nicht mitgerechnet. Ausnahmen von dieser Begrenzung sind möglich, wenn gegenüber dem Zulassungsausschuss besondere Vorkehrungen für die persönliche Leitung der Praxis nachgewiesen werden können. Einschränkungen bestehen darüber hinaus bei Fachärzten, die lediglich auf Überweisung tätig werden dürfen (z. B. Radiologen, Pathologen, Laborärzte). Vertragsärztliche Tätigkeit an weiteren Orten Der neue BMV-Ä unterscheidet nun zwischen Betriebsstätte und Nebenbetriebsstätte(n). Betriebsstätte des Vertragsarztes oder des Medizinischen Versorgungszentrums ist der Vertragsarztsitz. Betriebsstätte einer Berufsausübungsgemeinschaft sind die örtlich übereinstimmenden Vertragsarztsitze der Mitglieder, bei örtlich unterschiedlichen Vertragsarztsitzen der Mitglieder ist Betriebsstätte der zu wählende Hauptsitz. Nebenbetriebsstätte(n) sind in Bezug auf die Betriebsstätten zulässige weitere Tätigkeitsorte, an denen der Vertragsarzt, der angestellte Arzt, die Berufsausübungsgemeinschaft oder das Medizinische Versorgungszentrum neben ihrem Hauptsitz an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Für die Nebenbetriebsstätte(n) ist eine Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung einzuholen. Speziell bei schmerztherapeutisch tätigen Vertragsärzten ist zu berücksichtigen, dass lediglich die Erbringung „typisch“ anästhesiologischer Leistungen an Nebenbetriebsstätten gemäß § 15a Abs. 2 BMV-Ä insoweit privilegiert ist, als die Genehmigung bereits dann zu erteilen ist, wenn die Versorgung durch die Anzahl der Nebenbetriebsstätten nicht gefährdet ist. Bei schmerztherapeutischen Leistungen bleibt es indes bei der Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV, wonach durch die Nebenbetriebsstätte die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert werden muss und die ordnungsgemäße Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt werden darf. SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Medizin und Recht Heike Müller, Sindelfingen Bei Berufsausübungsgemeinschaften mit unterschiedlichen Vertragsarztsitzen können die Mitglieder gemäß § 15a Abs. 4 BMV-Ä auch wechselseitig an diesen Sitzen tätig werden, wenn insoweit ihre Präsenzpflicht gewährleistet ist und die Tätigkeit am jeweils anderen Vertragsarztsitz nur in begrenztem Umfang ausgeübt wird. In diesem Fall bedarf eine solche „Nebenbetriebsstätte“ der Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft keiner Genehmigung durch die KV. Schließlich ist es auch erlaubt, einen angestellten Arzt allein zur Durchführung von Behandlungen an der Nebenbetriebsstätte einer Praxis/eines Medizinischen Versorgungszentrums anzustellen, § 15a Abs. 6 BMV-Ä. Ausgelagerte Praxisräume, d.h. die Erbringung spezieller Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz sind nach wie vor lediglich anzeigepflichtig. Teilberufsausübungsgemeinschaften Grundsätzlich kann sich die gemeinsame Berufsausübung von Vertragsärzten nach dem VÄndG auch auf die Erbringung einzelner Leistungen beschränken. Eine solche Teilberufsausübungsgemeinschaft ist allerdings nur dann zulässig, wenn das zeitlich begrenzte Zusammenwirken der Ärzte erforderlich ist, um Patienten zu versorgen, die einer gemeinschaftlichen Versorgung der der Gemeinschaft angehörenden Ärzte bedürfen, § 15a Abs. 5 BMV-Ä. Hiermit soll einer Umgehung des berufsrechtlichen Verbots der „Zuweisung gegen Entgelt“ entgegengewirkt werden. Zu beachten sind insoweit ferner weitergehende berufsrechtliche Regelungen. So sind Teilberufsausübungsgemeinschaften z.B. im Bereich der Ärztekammer Hamburg nur dann zulässig, wenn die Mitglieder am Gewinn der Gemeinschaft nur in dem ihrer persönlichen Leistung entsprechenden Anteil beteiligt sind, § 18 Abs. 1a BO. mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung zu stehen. Für einen Vertragsarzt mit hälftigem Versorgungsauftrag besteht eine entsprechende Verpflichtung von 10 h/Woche. In den Fällen, in denen der Vertragsarzt seine Tätigkeit an weiteren Orten außerhalb seines Vertragsarztsitzes ausübt, gilt, dass die Tätigkeit am Vertragsarztsitz alle Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes zeitlich insgesamt überwiegen muss. Ein bestimmtes zeitliches Verhältnis ist hierzu jedoch nicht angegeben. Die Bestimmungen gelten nicht für Anästhesisten und Belegärzte, eine Einschränkung, die jedoch nicht für ausschließlich schmerztherapeutisch tätige Anästhesisten gelten dürfte, auch wenn dies so nicht explizit geregelt ist. Abrechnungsvorschriften Die Abrechnungen der vertragsärztlichen Leistungen sind ab dem 01.01.2008 unter Angabe der Arztnummer sowie aufgeschlüsselt nach Betriebsstätten und Nebenbetriebsstätten zu kennzeichnen, § 44 Abs. 6 BMV-Ä. Für Einzelpraxen ohne angestellte Ärzte und Ärzte einer versorgungsbereichs- und fachgruppengleichen Berufsausübungsgemeinschaft, die nur an einer Betriebsstätte tätig sind, kann eine Freistellung durch die KV erteilt werden. Durch diese neuen Abrechnungsvorgaben können die KVen überprüfen, ob die jeweiligen Fachgebietsgrenzen oder Qualitätsanforderungen eingehalten werden. Darüber hinaus kann der Umfang der ärztlichen Tätigkeit genau überprüft werden. Der bisherigen Praxis der KVen, bei der Plausibili- tätsprüfung die Zeitprofile zu saldieren, sodass ein Mitglied einer Berufsausübungsgemeinschaft, das die zulässigen Zeiten überschritt, durch das Unterschreiten eines anderen Mitglieds profitieren konnte, wurde damit eine Absage erteilt. Über die Angabe der Betriebsstätten- und Nebenbetriebsstättennummern kann die jeweilige KV genau nachvollziehen, welche Leistungen an welchen Orten erbracht worden sind. Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist hierzu vorgesehen, dass die Behandlungs- und Verordnungsweise eines Arztes nicht bezogen auf die jeweilige Betriebsstätte, sondern das gesamte Spektrum bewertet wird, § 47 BMV-Ä. Ausblick Auch wenn der neue Bundesmantelvertrag etwas „Licht in das Dunkel“ des VÄndG gebracht hat, sind zahlreiche Fragen noch offengeblieben und werden leider erst aus der Erfahrung der täglichen Praxis oder durch Inanspruchnahme der Gerichte geklärt werden können. Trotz der durch das VÄndG eröffneten Chancen des erweiterten Wettbewerbs ist es für den Arzt leider erneut unabdingbar, sich durch das „Dickicht“ von mitunter erst auf den zweiten Blick verständlichen gesetzlichen Regelungen zu arbeiten. Die Frage, ob und inwieweit die Anstellung von Ärzten erweiterte Budgets nach sich ziehen wird, ist den Regelungen der jeweiligen HVVs vorbehalten, die derzeit in Arbeit sind. Bedauerlich ist zudem, dass nach wie vor ein Umsetzungsdefizit bei den Bedarfsplanungsrichtlinien für Ärzte, die seit dem 01.04.2007 auch die ehemaligen Angestellte-Ärzte-Richtlinien umfassen, festzustellen ist. ❏ Heike Müller, Sindelfingen Präsenzpflicht Während sich das Bundessozialgericht in seiner ständigen Rechtsprechung zur zulässigen Höchstdauer einer Nebenbeschäftigung noch scheute, eine Mindestdauer der vertragsärztlichen Tätigkeit bzw. eine Mindestzahl von Sprechstunden festzulegen, wurde nun in § 17 BMV-Ä festgelegt, dass der Vertragsarzt verpflichtet ist, an seinem Vertragsarztsitz SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) 23 Schmerz im Krankenhaus Funktion des Akutschmerzdienstes Ein Akutschmerzdienst ist für die Qualität der postoperativen Patientenbetreuung ein wichtiges Instrument, um perioperative Schmerzen effektiv zu behandeln. Wie dieser Dienst aussehen sollte, und welches Stufenkonzept für perioperative Schmerzen sinnvoll ist, schildert Dr. med. Thomas Cegla, DGS-Leiter Wuppertal. J eder zweite Patient, der sich einem operativen Eingriff unterziehen muss, hat Angst, Schmerzen zu erleiden. Dies unterstreicht die Bedeutung, perioperative schmerztherapeutische Konzepte anzubieten und darzustellen. Bei der Auswahl der Klinik für eine elektive Operation wird und soll sich der mündige Patient nicht nur über das Operationsverfahren, sondern auch über die perioperative Betreuung informieren. Dieses Informationsangebot kann durch Eigendarstellung der Kliniken über die Internetseiten der Krankenhäuser erfolgen. Unterschiedlichste Zertifizierungsmaßnahmen können in Zukunft eine weitere Orientierungsmöglichkeit zur Einschätzung der schmerztherapeutischen Qualität einer Klinik bieten. Im Rahmen solcher Zertifizierungen, wie sie auch von der DGS angeboten werden, findet die externe Überprüfung der schmerztherapeutischen Strukturen eines Krankenhauses statt. Wichtig ist, die Qualität der Schmerztherapie zu zertifizieren und nicht eine Schmerzfreiheit zu attestieren. Der plakative, sehr öffentlichkeitswirksame Begriff „Schmerzfreies Krankenhaus“ ruft bei vielen Patienten eine falsche und unrealistische Erwartungshaltung hervor. Akutschmerzdienste bislang nur bei 36% Ein Hilfsmittel zur Entscheidung, ob an einem Krankenhaus Schmerztherapie eine besondere Bedeutung hat, ist die Organisation eines Akutschmerzdienstes. Ca. 70% aller Universitätskliniken geben an, einen Akutschmerzdienst zu haben. Bei der Zusammenfassung aller Kliniken sind es 36%. Dabei bestehen besondere organisatorische Schwierigkeiten, abhängig von der Größe des Krankenhauses oder der Klinik. Bei kleinen Häusern ist die Personalkapazität häufig gering, an größeren Kliniken bestehen viele, häufig lokal voneinander getrennte, zu versorgende Teilbereiche. DRG-Code nutzen Die Leistungen des Akutschmerzdienstes sind im DRG-Katalog unter der Akutschmerzbehandlung in Kap. 8 des OPS beschrieben. Dieser Code umfasst die Einleitung, Durchführung und Überwachung einer speziellen Schmerztherapie oder Symptomkontrolle bei Patienten mit schweren akuten Schmerzzuständen, z. B. nach Operation, Unfällen und schweren exazerbierten Tumorschmerzen, ist jedoch nicht direkt am Operationstag anwend- Abbildung 1: Stufenkonzept für den Akutschmerzdienst zur Therapie postoperativer oder tumorbedingter Schmerzen. Postoperative oder tumorbedingte Schmerzen Schmerzproblem Station Schmerzdienst − Stufe 1 Schmerzspezialist des eigenen Fachbereichs Schmerzdienst − Stufe 2 24 Thomas Cegla, Wuppertal bar. Er erfordert des Weiteren kontinuierliche Regionalanästhesieverfahren oder eine patientenkontrollierte Analgesie. Zweimalige Visiten durch den Akutschmerzdienst sind durchzuführen und mindestens drei Aspekte der Effektivität der Therapie sind zu dokumentieren. Die Visite kann vom speziell ausgebildeten Pflegepersonal oder vom ärztlichen Personal durchgeführt werden. Macht es Sinn, eine zur Zeit nicht finanziell sondervergütete Leistung zu erbringen und zu dokumentieren? Die Leistungsdarstellung eines erhöhten schmerztherapeutischen Aufwandes kann bei internen Vergleichen von Instituten und Kliniken Berücksichtigung finden. Ein externer Vergleich mit Konkurrenzhäusern wird möglich. Den Kostenträgern werden in der Zukunft Daten zur Verfügung stehen, auch diesen Teilbereich als Teil der gesamten perioperativen Betreuung des Patienten zu beurteilen. Hierfür ist jedoch eine Kodierung erforderlich. Weniger Komplikationen Dass Schmerzen eine beschleunigte Rekonvaleszenz behindern, ist allgemein erkannt. Aus diesem Grund werden perioperative Absprachen zur Schmerztherapie und der Einsatz patientenkontrollierter Analgesie und insbesondere von regionalanästhesiologischen Verfahren immer wieder gefordert. Nur so kann der Patient durch frühe Mobilisation während eines möglichst kurzfristigen Krankenhausaufenthalts bei guter Patientenzufriedenheit und gutem Outcome betreut werden. Bei einer qualitativ hochwertigen Schmerztherapie sind die pulmonalen und kardiovaskulären Komplikationen geringer. Dabei reicht die Einrichtung eines Schmerzdienstes allein nicht aus. Standardisierte Verfahrensprotokolle und schmerztherapeutische Algorithmen sind notwendig. Schmerztherapeutische Aufgaben können von speziell ausgebildeten Pflegekräften (algesiologische Fachassistenten) übernommen werden. Für die Überwachung und Dokumentation, aber auch für die Therapie sind hier verbindliche Leitlinien und Algorithmen mit genauen Dosisangaben und Zeitintervallen notwendig. Eine SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Schmerz im Krankenhaus Opiatgabe kann nach diesen Vorgaben auch vom Pflegepersonal intramuskulär oder per Kurzinfusion vorgenommen werden. Wenn möglich sollte neben der pflegerischen auch eine ärztliche Visite stattfinden. Dies hängt jedoch von den organisatorischen Möglichkeiten ab. Wichtig ist die fachgruppenübergreifende Kommunikation und die regelmäßige Überprüfung der festgelegten schmerztherapeutischen Konzepte. 24-Stunden-Konzepte nötig Abhängig von der Struktur und Größe einer Klinik kann die Organisation eines fachübergreifenden Akutschmerzdienstes über 24 h schwierig sein. Aus diesem Grund sollten einzelne Kliniken und Abteilungen über den Pflegedienst und zumindest einen schmerztherapeutisch weitergebildeten Facharzt einen eigenen Schmerzdienst als Teilbereich des fachübergreifenden Schmerzdienstes organisieren (Abb. 1). Werden patientenkontrollierte Analgesieverfahren durch den Fachbereichsschmerzdienst angewandt, kann auch hier der Code für die spezielle Akutschmerztherapie eingesetzt werden. Führen die perioperativen Konzepte bei einem Patienten nicht zu einer deutlichen Schmerzreduktion, ist erst dann der übergeordnete Akutschmerzdienst zu informieren. Algorithmen können abhängig vom operativen Eingriff, aber auch von der Schmerzstärke erstellt werden. Algorithmen müssen sich aber auch an der Schmerzstärke orientieren. Starke Schmer- Tabelle 1: Auf den Eingriff bezogen ■ Kleinere Eingriffe = Medikamente der WHO-Stufe I ■ Mittlerer Eingriff = Opiat der Stufe II zusätzlich kombiniert; feste Zeitregelung der Einnahme, evtl. auch schon patientenkontrollierte Analgesieverfahren ■ Größerer Eingriff = Verwendung von regionalanästhesiologischen Maßnahmen, patientenkontrollierte Analgesieverfahren zen können auch nach kleineren Eingriffen auftreten und bedürfen dann einer speziellen Schmerztherapie unter Einsatz potenter Schmerzmittel. Dies sind auch Opiate der Stufe III. Eine patientenkontrollierte Analgesie über Injektionspumpen, intravenös oder über regionalanästhesiologische Katheter ist als Goldstandard zu bevorzugen. Ist dies nicht möglich, kann alternativ eine orale patientenkontrollierte Analgesie durchgeführt werden. Hierzu bietet sich z.B. ein Kombination aus Oxycodon, abhängig vom Körpergewicht und von der Eingriffsart 10–20 mg zweimal tägl. gegeben, und der Zusatz von Hydromorphon 1,3 mg bei Bedarf an. Um den Charakter einer patientenkontrollierten Analgesie zu gewährleisten, sollte der Patient das Hydromorphon griffbereit haben und es ohne Zeitverzögerung einnehmen können. Erst nach Einnahme meldet sich der Patient, sodass dokumentiert werden kann und er die nächste Dosis bereit gestellt bekommt. Die Änderungen im Gesundheitswesen machen auch vor den Krankenhäusern nicht halt. Gerade das pauschalierte fallbezogene Abrechnungssystem hat vielfach zu organisatorischen Änderungen geführt. Die ökonomische Leistungsfähigkeit von Abteilungen wird transparenter. Eine interne Darstellung und Erfassung schmerztherapeutischer Leistungen und eines schmerztherapeutischen Personalaufwandes ist umso wichtiger. ❏ Thomas Cegla, Wuppertal I n f otelegramm Bilateraler ilioinguinaler Nervenblock nach Hysterektomie Kognitive Verhaltenstherapie statt Bandscheibenoperation? Oberflächen-EMG zur Schmerz- und Therapiediagnose Der Einsatz des bilateralen ilioinguinalen Nervenblocks nach Hysterektomie halbierte den Morphingebrauch in den folgenden zwei postoperativen Tagen (21 versus 41 mg, p < 0,0001), zeigte eine prospektive randomisierte Doppelblindstudie an 70 Patienten (Anesth. Analg. 2007;104:731–734). In einer systematischen Übersicht über die randomisierten Studien, die Bandscheibenfusionen im Vergleich zu nicht operativen Verfahren untersuchte, zeigte sich, dass der Nutzen der Bandscheibenoperationen zwar besser war als eine unkontrollierte allgemeine Therapie, aber sie war gleichwertig mit der kognitiven Verhaltenstherapie (Spine 2007;32: 816–823). Chronische Nackenschmerzen ohne zervikale Radikulopathie lassen sich mit einem oberflächlichen Elektromyogramm durch ein signifikant größeres Spitzen-EMG von gesunden Probanden unterscheiden, ergab eine Studie von S. Kumar et al. an 34 Patienten im Vergleich zu 66 gesunden Probanden (Spine 2007;32:246–253). Dupuytren-Kontraktur Die typische Dupuytren-Kontraktur, eine fibroproliferative Erkrankung der Palmarfaszie, tritt vor allem bei Patienten mit Diabetes, positiver Familienanamnese, Alkoholmissbrauch und bei beruflicher Exposition zu Vibrationsmaschinen auf, erklärt Calif and Stahl anhand der Kasuistik eines 57-jährigen Mannes, der mit einer bilateralen partiellen Fasziektomie erfolgreich behandelt wurde (New Engl. J.Med. März 2007). SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Rückenschmerzen genetisch determiniert In einer großen Zwillingspaarstudie an 147 monozygoten Zwillingspaaren und 153 dizygoten Zwillingspaaren (600 Teilnehmer) konnte die kanadische Arbeitsgruppe von M.C. Battie nachweisen, dass die Diskusdegeneration einer der Wege ist, über die sich die genetische Komponente von Kreuzschmerzen bemerkbar macht (Pain 2007, Epub ahead of print). Mit elektrischer Nervenstimulation gegen muskuloskelettale Schmerzen Nach einer Metaanalyse von M. Johnson, in der insgesamt 335 Placebo-, 474 ElektrischeNervenstimulation (EN)- und 418 Crossover-Patienten ausgewertet wurden, ergab, dass die elektrische Nervenstimulation eine effektive Behandlung für chronischen muskuloskelettalen Schmerz darstellt (Pain 2007, Epub ahead of print). 25 Bücherecke Opiatabhängigkeit – eine Pflichtlektüre! In den letzten Jahren sind Opioide auch zur Behandlung von Nicht-Tumor-Schmerzen zunehmend in den Mittelpunkt moderner Schmerztherapie gerückt. Das Stigma vom „Morphin als letztem Mittel“ wurde abgelöst von einer rationalen Denkweise, die retardierten Opioiden in oraler oder transdermaler Galenik gerade aufgrund ihrer fehlenden spezifischen Organtoxizität einen festen Stellenwert einräumt. Nicht zuletzt der „Vioxx-Skandal“ und die in dessen Folge gemachten retrospektiven und prospektiven Untersuchungen über renale und kardiovaskuläre Nebenwirkungen haben dazu wesentlich beigetragen, konnten sie doch eindrucksvoll zeigen, dass weder die traditionellen nicht steroidalen Antirheumatika (tNSAR) noch die selektiveren Cox2-Hemmer (Coxibe) für eine Langzeittherapie geeignet sind. Rationale Therapie mit Opioiden darf aber nicht zu „Opioideuphorie“, d. h. zu einem unkritischen Einsatz dieser potenten Analgetika mit dem Potenzial zentraler Nebenwirkungen führen. Nicht jeder Schmerz ist opioidsensitiv, nicht jeder Patient ist für eine Therapie mit Opioiden geeignet. Wer die segensreichen Wirkungen dieser Substanzgruppe nutzen will, sollte daher auch deren Grenzen kennen bzw. wissen, wie mit dem Problem einer vorbestehenden oder iatrogenen Opioidabhängigkeit umzugehen ist. In diesem Zusammenhang ist das soeben in zweiter Auflage erschienene Buch „Opiatabhängigkeit“ ein exzellenter Ratgeber. Das Werk bietet einen fundierten, gleichermaßen aktuellen wie praxisrelevanten Überblick zu den pharmakologischen, medizinischen, psychotherapeutischen und nicht zuletzt juristischen Aspekten dieses Krankheitsbildes. Die zweite Auflage wurde sinnvoll erweitert durch neue Beiträge zu relevanten chirurgischen, dermatologischen und gynäkologischen Essentials im Rahmen einer Opiatabhängigkeit sowie ein Kapitel zur Schmerztherapie. Relevant für die tägliche Praxis sind auch die Ergänzungen zur Begutachtung hinsichtlich Suchtgefährdung und Suchtkrankheit, zur Fahrtauglichkeit, zur psychosozialen Betreuung und – ein mit vielen Vorurteilen besetztes Thema – zur Substitutionsbehandlung mit Heroin. Fazit: Eine praxisrelevante Pflichtlektüre für jeden schmerztherapeutisch Tätigen, ein sehr gutes Nachschlagewerk für alle, die Opioide einsetzen, und/oder alle diejenigen, für die der Dr. Uwe Junker Umgang mit Abhängigen zur täglichen Arbeit gehört. Eckhard Beubler, Hans Haltmayer, Alfred Springer (Herausgeber):Opiatabhängigkeit. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage, 2007. XIV, 340 Seiten. 33 Abbildungen. Broschiert. Eur 49,90, Springer Verlag, Heidelberg, New York. ISBN 978-3-211-29116-0 Einstieg und/oder Repetitorium Das Buch vermittelt die wesentlichen Informationen praxisnah, die man vor Beginn einer medikamentösen Therapie braucht, um ein effektives Konzept zu erarbeiten. Einleitend werden die gängigen Definitionen und die Abgrenzungen von akutem und chronischen Schmerz dargestellt, bevor der wichtigen Frage nachgegangen wird, wie der Hausarzt Chronifizierungsprozesse frühzeitig erkennen kann. Ebenso prägnant wie didaktisch gelungen ist die Beschreibung von Schmerzwahrnehmung und der unterschiedlichen Schmerztypen wie Nozizeptor- und neuropathischem Schmerz mit einer sinnvollen Abgrenzung der chronischen Kopfschmerzen als Sonderfall. Getreu dem schmerztherapeutischen Credo „Ohne Schmerzmessung keine Therapie“ wird das Kapitel „Schmerzerfassung in der Hausarztpraxis“ der aktuellen Schilderung aller gängigen Analgetika und Koanalgetika vorangestellt. Insgesamt ein rundum gelungenes Buch für den schmerztherapeutisch interessierten Hausarzt. Dr. Uwe Junker Oliver Emrich – News, Aktuelle Schmerztherapie mit Analgetika, 64 S., 5 Abbildungen, 12 Tabellen, Eur 11,99, CHF 18,90, ComMed Update, 2005, ISBN 3-905320-81-9, ComMed Verlag, Basel. 26 Impressum Organ der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie Herausgeber Gerhard Müller-Schwefe, Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477 E-Mail: [email protected] Schriftleitung Thomas Flöter, Frankfurt; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Dietrich Jungck, Hamburg; Uwe Junker, Remscheid; Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen, Tel.: 08036/1031; Thomas Nolte, Wiesbaden; Reinhard Thoma, Tutzing; Michael Überall, Nürnberg Beirat Joachim Barthels, Bad Salzungen; Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halber- stadt; Heinz-Dieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert, Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Kay Brune, Erlangen; Mathias Dunkel, Wiesbaden; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Henning Harke, Krefeld; Ulrich Hankemeier, Bielefeld; Stein Husebø, Bergen; Klaus Jork, Frankfurt; Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Ludwigshafen; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Christoph Müller-Busch, Berlin; Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg; Günter Schütze, Iserlohn; Hanne Seemann, Heidelberg; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; Georgi Tontschev, Bernau; Roland Wörz, Bad Schönborn; Henning Zeidler, Hannover; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred Zimmermann, Heidelberg In Zusammenarbeit mit dem Fachverband Schmerz, Verband Deutscher Ärzte für Algesiologie e.V., Deutsche Gesellschaft für Algesiologie e.V., Deutsche Gesellschaft für Algesiologische Fachassistenz e. V., Deutsche Akademie für Algesiologie, GAF Gesellschaft für algesiologische Fortbildung mbH, Deutsche Schmerzliga e.V., Verband ambulant tätiger Anästhesisten e.V., Gesamtdeutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin e.V., Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. und Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen – vor allem von Neuzulassungen – sollten in jedem Fall mit dem Beipackzettel der verwendeten Medikamente verglichen werden. Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro Abonnement für 4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag des DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im 23. Jahrgang. Verlag © URBAN & VOGEL GmbH, München, Januar 2007 Leitung Medical Communication: Ulrich Huber (verantw.) Schlussredaktion: Dr. Brigitte Schalhorn Herstellung/Layout: Maren Krapp Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH & Co. KG, Höchberg Titelbild: Marcus Gruber, Illustration: Z. Curulija SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Kasuistik Rückenschmerzen Rückenschmerzen sind eine der häufigsten und teuersten Schmerzerkrankungen unter der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland. Eine möglichst frühzeitige und effektive pharmakologische Schmerztherapie scheiterte bisher häufig an den schwer beherrschbaren gastrointestinalen Nebenwirkungen der Opioide, gegen die auch in aller Regel keine Toleranzentwicklung zu erwarten ist. Die Kombination von Oxycodon mit Naloxon bietet hier bereits für die Initialeinstellung zahlreiche Vorteile, schildert Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen. Die 36-jährige Patientin stellt sich im Frühjahr 2007 im Schmerzzentrum vor mit anhaltenden Rückenschmerzen bei Zustand nach zweimaliger Nukleotomie L4/L5 1999 und L3/L4, L4/ L5 2000 sowie bei zunehmender Instabilität Spondylodese L3/L4/L5 im Jahr 2001. Die postoperative Rehabilitationsbehandlung war bereits wegen massiver Schmerzen nur schwer durchführbar gewesen. Auf alle Versuche, die Schmerzen mit entzündungshemmenden Substanzen zu beherrschen, hatte die Patientin mit massiven Magenproblemen reagiert, trotz gleichzeitiger Gabe von Protonenpumpenhemmern. Auf Stufe-II-Opioide hatte sie keine ausreichende Schmerzlinderung erfahren, sodass schließlich zunächst Morphin, dann Oxycodon gegeben wurde. Mit einer Dosierung von zwölfstündlich 10 mg Oxycodon war jedoch bereits eine derart ausgeprägte Obstipation aufgetreten, dass die Patientin höchstens alle sieben bis acht Tage Stuhlgang hatte, ohne dass die Schmerzlinderung ausreichend war. Ein Versuch, diese Nebenwirkungen mit transdermaler Gabe von Fentanyl oder Buprenorphin zu umgehen, scheiterte, deshalb wurde nochmals die orale Gabe von Oxycodon versucht. Die zusätzliche Gabe von Lactulose und Bisacodyl führte zu massiven Blähungen und Erbrechen, sodass eine Dosissteigerung von Oxycodon unmöglich schien. Weitere Therapieversuche mit Macrogol, Natriumpicosulfat und diätetischer Umstellung blieben ebenfalls ohne Erfolg. Die Patientin klagte über einen aufgetriebenen Bauch mit massiven Spannungen und Gurgeln, Unfähigkeit der Stuhlentleerung oft über Tage hinweg, dann wieder massive Durchfälle mit nachfolgender Obstipation für erneut mehrere Tage. Der Nachtschlaf der Patientin war sowohl schmerzbedingt als auch obstipationsbedingt massiv gestört, sie schilderte Albträume und häufiges Aufwachen. Die Schmerzintensität der Rückenschmerzen wurde in der visuellen Analogskala (VAS 100) mit 40 angegeben. SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.) Bildarchiv Urban & Vogel Der Praxisfall Opioide können zu dramatisch aufgeblähtem Abdomen mit Zwerchfellhochstand führen. In der verbalen Beurteilung gab die Patientin dieses Schmerzniveau als extrem starke Schmerzen an. Untersuchungsbefund Es zeigte sich eine äußerlich reizlose Narbe über den Segmenten L2 bis L5 bei Zustand nach Spondylodese. Im Bereich der gesamten körperaufrichtenden Muskulatur massiv verkürzte Rückenstrecker und aktivierte Triggerpunkte, Seitneigung und Inklination massiv eingeschränkt, Patellarsehnenreflex und Achillessehnenreflex beidseits abgeschwächt, Hyposensibilität in den Segmenten L4 und L5 rechts als Ausdruck einer chronischen Wurzelschädigung. Ein MRT bestätigte den Verdacht ausgeprägter Narbenbildung im Spinalkanal. Eine operative Revision wurde von der Patientin ebenso wie von den Wirbelsäulenchirurgen und Neurochirurgen abgelehnt. Diagnose Die Patientin litt an einem chronifizierten Schmerzsyndrom, Chronifizierungsstadium III bei Zustand nach Spondylodese L3–L5 bei Instabilität, postoperativen Schmerzen bei Narbenschmerzen sowie unzureichender Analgesie bei massivster opioidinduzierter gastrointestinaler Symptomatik und hierdurch limitierter Opioiddosis. Therapie und Verlauf Die Patientin wurde sofort auf Oxycodon und Naloxon zwölfstündlich 10 mg umgestellt (Targin® 10/5). Hierunter entwickelte sie innerhalb einer Woche massive Durchfälle. Auf Rückfrage stellte sich heraus, dass sie trotz gegenteiliger Anweisung weiterhin die gewohnten Laxanzien eingenommen hatte. Nach Absetzen der Laxanzien erfolgte die Normalisierung des Stuhlverhaltens innerhalb einer weiteren Woche mit geformten Stuhlgängen etwa alle ein bis zwei Tage. Es erfolgte eine Titration der Targindosis bis zur analgetisch ausreichenden Dosierung, überprüft anhand von Schmerztagebüchern, mit einer Enddosis von Targin® zwölfstündlich 20 mg. Hierunter Reduktion der Schmerzintensität in der VAS 100 auf 5 bis 7, Erträglichkeitsniveau 5. Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass die Patientin ohne weitere Laxanzien durch diese Medikation so schmerzarm war, dass sie ohne weitere Zusatzmedikation mit einem intensiven Übungs- und Aufbauprogramm beginnen konnte. Auch vier Monate nach der Umstellung von Oxycodon auf Targin® gleichbleibend gute Analgesie und Übungsfähigkeit, sodass die Patientin jetzt im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung an ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehren kann. Diskussion Unter den opioidbedingten Nebenwirkungen sind die vielfältigen gastrointestinalen Beschwerden, unter denen Obstipation nur ein Problem darstellt, am schwierigsten zu therapieren. Durch die Umstellung von Oxycodon auf Targin® (Oxycodon und Naloxon) konnte die massive gastrointestinale Problematik unserer Patientin vollständig beseitigt werden. In der Umstellungsphase ist zu beachten, dass Patienten häufig weiterhin unnötigerweise Laxanzien einnehmen und damit eine beschleunigte Darmpassage provozieren. Der periphere, prähepatisch wirksame Opiatantagonist Naloxon blockiert ausschließlich im Magen-Darm-Trakt vor der Leberpassage die obstipierende Wirkung von Opioiden. Gleichzeitige Laxanziengabe führt zu beschleunigter Darmpassage. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei verringerter Analgesie dann nicht um eine Antagonisierung der Opiatwirkung durch Naloxon handelt, sondern um eine verringerte Aufnahme des Opioids. ❏ 27