NDR Info Das Forum 27.03.2010 /19.20

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NDR Info Das Forum 27.03.2010 /19.20
NDR Info Das Forum 27.03.2010 /19.20-19.50 Uhr
STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN 28.03.2010 /12.30-13.00 Uhr (Wh.)
Der Tod des Soldaten Scheffelmeier vor acht Jahren - die
schwierige Aufarbeitung eines Marine-Unfalls
Flocken:
In diesem Monat hat Verteidigungsminister zu Guttenberg die Marine
besucht. Die Seestreitkräfte legten sich mächtig ins Zeug, zeigten was
sie alles so können. Der junge Minister beobachtete die Vorführungen
von der Fregatte MECKLENBURG-VORPOMMERN aus. Mit diesem
Schiff verbindet sich eine Tragödie, die sich vor acht Jahren in der Ostsee ereignet hat. Die Deutsche Marine musste sich damals schwere
Vorwürfe gefallen lassen. Michael Schmidt blickt zurück:
Michael Schmidt (Buchautor):
Auf dem kleinen Friedhof von Cappel in Westfalen fällt ein Grabstein
besonders auf. Weißer, glatt polierter Marmor – darauf kunstvoll eingraviert ein Basketballspieler und ein Motorradfahrer. Und die Fotografie
eines lachenden jungen Mannes ist zu sehen. Samuel Scheffelmeier,
gestorben am 6. März 2002, wenige Wochen vor seinem 22. Geburtstag.
Damals, vor acht Jahren, befindet sich Samuel Scheffelmeier als Marinesoldat auf hoher See. Sein Schiff, die Fregatte MECKLENBURG-VORPOMMERN, operiert in der Pommerschen Bucht, südlich Bornholm, ist
eingebunden in das NATO-Manöver „Strong Resolve“ – „Feste Entschlossenheit“.
Am Vormittag des 6. März besuchen drei Soldaten von der MECKLENBURG-VORPOMMERN – unter ihnen Hauptgefreiter Scheffelmeier - die
benachbarte britische Fregatte CUMBERLAND. Der Manöverauftrag lautet – Kontaktpflege. Smalltalk mit den britischen Kameraden in der Kammer, Fachsimpelei in den Diensträumen, gemeinsames Mittagessen.
Doch wegen schlechten Wetters müssen die deutschen Gäste früher
zurück als geplant. Zwei britische Soldaten übernehmen den Transfer
zur rund 300 Meter entfernten deutschen Fregatte mit einem Speedboot
der Royal Navy. Das kleine Kunststoffboot mit Gummiwulst drückt sich
gegen die Bordwand der CUMBERLAND. Kein einfaches Manöver – bei
Windstärke sieben und bis zu drei Meter hohen Wellen. Kaum sind die
drei Deutschen umgestiegen, passiert es. Der Mann am Steuer verliert
die Kontrolle über das Boot. Es kentert. Alle fünf Insassen stürzen ins
Wasser. Die Rettungsaktion, die sofort beginnt, endet in einem Fiasko.
Der deutsche Marinesoldat Stefan Paul kann nach 23 Minuten nur
noch tot geborgen werden. Samuel Scheffelmeier stirbt, kurz nachdem man ihn aus dem Wasser fischt. Er hatte 36 Minuten in der
eiskalten See getrieben.
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Am Tag danach gibt Marineinspekteur Hans Lüssow im Beisein von
Verteidigungsminister Rudolf Scharping vor der Presse eine kurze
Stellungnahme ab:
Lüssow:
„Die Sicherheitsbestimmungen – also Anlegen von Schwimmwesten und
Goretex-Anzügen – sind eingehalten worden.“ Für die Eltern Wolfgang
und Ingrid Scheffelmeier heißt das, ihr Sohn Sammy und sein Kamerad müssen ihren Tod wohl selbst verschuldet haben. Auch ein
Brief vom damaligen Wehrbeauftragten des Bundestages, Willfried
Penner, ist alles andere als hilfreich:
Scheffelmeier:
„Ich habe den meiner Frau gleich gar nicht gezeigt – weil, das fand ich
schon unverschämt. Da schreibt er: ‚Ihr Sohn Samuel hat erfahren
müssen, dass auch Manöver sehr gefährlich sein können. Er ist bei
der Teilnahme daran ums Leben gekommen. Sie, sehr geehrte Frau
Scheffelmeier und Sie, sehr geehrter Herr Scheffelmeier, werden
hoffentlich Menschen finden, die Sie in Ihrem Kummer und Schmerz
nicht alleine lassen.ú...Und dann habe ich gesagt: Gut, okay, dann
mache ich das: Dann wende ich mich an andere, die mir helfen, wenn
erûs nicht tut.“
Scheffelmeier nimmt sich einen Anwalt und der erfährt erste Informationen aus einem gemeinsamen Ermittlungsbericht von britischer und
deutscher Marine. Was Rechtsanwalt Peter Wüller da liest, ist eine
Abfolge von Pleiten, Pech und Pannen auf der CUMBERLAND, dem
Führungsschiff der Rettungsaktion:
Rechtsanwalt Wüller
„In dem Bericht taucht wörtlich der Ausdruck ‚poröse Befehlsstrukturú
auf. Poröse Befehlsstruktur – damit meint die englische Marine, dass die
Koordination des Rettungseinsatzes in keiner Hinsicht funktioniert
hat. Ich muss das wie folgt präzisieren: Zum Zeitpunkt des Unglücks
war der eigentliche Kommandeur der CUMBERLAND nicht an Bord.
Er befand sich zu einer Besprechung auf einem anderen Schiff. Die
Befehlsgewalt hatte der erste Offizier inne. Der erste Offizier fuhr das
Schiff mit nur einer Welle. Aus meiner Sicht war die CUMBERLAND –
zumindest zum Zeitpunkt des Unglücks - gar nicht manövrierfähig, weil
– und jetzt kommt das Schlimme – weil dieses Fahren mit einer Welle
erklärt wurde von dem ersten Offizier, er habe Treibstoff sparen wollen.“
Ein Offizier ohne Brückenführungserlaubnis kommandierte die
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britische Fregatte. Ausgucke waren nicht besetzt. Drei der vier
Lebensrettungsbojen funktionierten nicht. Und als die Verunglückten
endlich an Bord gehievt wurden, fehlte für die lebenswichtigen Infusionen das Heizgerät, um die Tropfflüssigkeit auf Körpertemperatur
vorzuwärmen.
Positiv erwähnt der Bericht die Taucher- oder Multifaseranzüge der
Briten. Bei Wassertemperaturen bis 15 Grad sind sie Pflicht in der
Royal Navy. Mit solchen Anzügen hätten die Deutschen „vielleicht
überlebt“, heißt es. Scheffelmeier und seine Kameraden trugen aber
die bei der Deutschen Marine üblichen Schwimmwesten mit Kälteschutz.
Leider seien die nachlässig (Lüge) angelegt worden - sagt Oberstaatsanwalt Gerhard Kayser aus Oldenburg und beruft sich auf
Zeugen von der CUMBERLAND:
STA Kayser
„Zum Beispiel der Brustgurt war nicht (Lüge) sorgfältig geschlossen.
Und auch das Wellenvisier war nicht geschlossen, es war offen. Das
heißt, der Soldat hat das Rettungsmittel selbst nicht ordnungsgemäß
angelegt und hatte auch das Wellenvisier nicht geschlossen.“
Gutachter hingegen kritisierten schon lange die schlechte Konstruktion und mangelhafte Beschaffenheit der Rettungswesten. Das
seien die Gründe für ein Verrutschen der Gurte.
Umstritten ist das Verhalten des Kommandanten der MECKLENBURG
- VORPOMMERN während des Unglücks. Fregattenkapitän Frank M.
entscheidet am 6. März 2002, die eigenen Rettungsboote nicht einzusetzen. Um nicht noch mehr Soldaten zu gefährden – wie er begründet.
Daraufhin eskaliert die Stimmung auf dem Schiff – von „meutereiähnlichen Zuständen“ ist die Rede.
Der mögliche Hintergrund der Kommandanten-Entscheidung: Es gibt
Zweifel an der Einsatzfähigkeit der Rettungsboote der deutschen
Fregatte. Das Motorrettungsboot auf der einen Seite darf nur bis 1 Meter
50 Wellenhöhe ins Wasser. Das Speedboot auf der anderen Seite
hängt an einem nicht funktionierenden Kran. Damit die Fregatten
der Baureihe 123 trotzdem auslaufen dürfen, schickt das Verteidigungsministerium ständig neue Ausnahmegenehmigungen. Für
Dieter Becker, den Schiffbau-Sachverständigen aus Wilhelmshaven,
ein Unding:
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Gutachter Becker
„Also wer die ausgestellt hat – das kann ich überhaupt nicht fassen. Das
ist unmöglich. Hier steht wortwörtlich: Diese Fregatte darf ohne einsatzbereite Bootsaussetzvorrichtung für das Motorboot See am
Seeverkehr teilnehmen. Das ist sogar schriftlich bescheinigt. Das
gibtús in der ganzen internationalen Schifffahrt nicht. Wenn meine
Rettungsboote nicht in Ordnung sind und das wird festgestellt von einer
Port State Control zum Beispiel, dann bleibe ich da so lange liegen, bis
das Ding in Ordnung ist. Die Schiffssicherheit in punkto Rettungsmittel also, das ist wahrscheinlich ein Thema, das man bei der
Marine gar nicht kennt.“
Das Chaos auf der CUMBERLAND und die Mängel auf der MEkKLENBURG-VORPOMMERN spielen vor Gericht indes kaum eine
Rolle.
Staatsanwalt Gerhard Kayser:
„Wir müssen klären (nicht wurde geklärt und untersucht), ob Herr
Scheffelmeier Junior mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
überlebt hätte, wenn das oder das geschehen wäre. Und das können wir
leider nicht feststellen. Und deshalb haben wir keine Anklage erhoben,
sondern haben das strafrechtliche Ermittlungsverfahren durch
Einstellung beendet.“
Einen einzigen Teilerfolg kann der Vater von Samuel Scheffelmeier
auf seinem Weg durch die Instanzen verbuchen: Im Februar 2004
kommt es zum Klageerzwingungsverfahren gegen den Kommandanten der Fregatte. Doch bald darauf wird es eingestellt (politischer
Deal) – gegen ein Bußgeld von 2.400 Euro.
Vater Scheffelmeier hat den Glauben an Justiz und Bundeswehr
verloren:
Scheffelmeier
„Also es fängt an mit dem sogenannten Kälteschutz, der als untauglich eingestuft wurde. Weiter geht es mit den kaputten Bordladekränen, die über Jahre einfach nicht repariert wurden. Es geht weiter
mit dem sogenannten Motorrettungsboot, das schon im Jahre 1995
als untauglich eingestuft wurde. Der Bundeswehr fehlt es hinten
und vorn an Geld, und wenn dann etwas schief geht, dann schiebt
man den Soldaten die Schuld in die Schuhe.“
Im Sommer 2008 scheitern die Eltern mit einer Beschwerde vor dem
Bundesgerichtshof. Der Unfalltod des Soldaten Samuel Scheffelmeier
ist juristisch (noch nicht) abgeschlossen. Auf Anfrage teilt die Deutsche
Marine mit, es habe sich einiges getan auf den Schiffen. Bei der Bedienung der Beiboote, bei Belehrungen, die Rettungswesten sind verbes-
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sert worden, neue Kälteschutzanzüge wurden geordert. Man lege aber
Wert darauf, dass all das – Zitat - „nicht wegen Herrn Scheffelmeier“ gemacht wurde.
Flocken:
Ein Bericht von Michael Schmidt. Der Autor hat die Aufarbeitung des MarineUnfalls über all die Jahre verfolgt. Jetzt hat er ein Buch geschrieben.
Der Titel: „Wie auf See, so vor Gericht – Das zweifache Sterben des
Marinesoldaten Scheffelmeier.“
ISBN 978-3-89793-225-8