Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in NRW

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Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in NRW
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in NRW Wissenschaftliche Bestandsaufnahme
Selbstorganisationen von Migrantinnen
und Migranten in NRW
Wissenschaftliche Bestandsaufnahme
NRW–––notiert.
Ministerium für Arbeit,
Soziales und Stadtentwicklung,
Kultur und Sport
des Landes
Nordrhein-Westfalen
Ministerium für Arbeit,
Soziales und Stadtentwicklung,
Kultur und Sport
des Landes
Nordrhein-Westfalen
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Ministerium für Arbeit, Soziales und
Stadtentwicklung, Kultur und Sport
des Landes Nordrhein-Westfalen
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Zentrum für Türkeistudien
Institut an der Universität/GH Essen
Institut für Politikwissenschaft der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Landeszentrum für Zuwanderung
Nordrhein-Westfalen, Solingen
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Druck:
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Selbstorganisationen von Migrantinnen
und Migranten in NRW
Wissenschaftliche Bestandsaufnahme
Zentrum für Türkeistudien, Essen
Institut für Politikwissenschaft der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
–notiert.
Ministerium für Arbeit,
Soziales und Stadtentwicklung,
Kultur und Sport
des Landes
Nordrhein-Westfalen
Bestandsaufnahme der Potentiale und Strukturen
von Selbstorganisationen von Migrantinnen und
Migranten mit Ausnahme der Selbstorganisationen
türkischer, kurdischer, bosnischer und maghrebinischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen
Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster
Prof. Dr. Dietrich Thränhardt
(Projektleitung)
Renate Dieregsweiler M.A.
(Projektbearbeitung)
Bestandsaufnahme der Potentiale und Strukturen
von Selbstorganisationen von Migrantinnen und
Migranten türkischer, kurdischer, bosnischer und
maghrebinischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen
Zentrum für Türkeistudien, Essen
Prof. Dr. Faruk S,en
Hayrettin Aydin M.A.
(Projektleitung)
(Projektbearbeitung)
Evaluation der von der Landesregierung geförderten
Projekte von Migrantenselbstorganisationen
Landeszentrum für Zuwanderung Nordrhein-Westfalen, Solingen
Dr. Sabine Jungk
(Projektleitung und Projektbearbeitung)
Ministerium für Arbeit,
Soziales und Stadtentwicklung,
Kultur und Sport
des Landes
Nordrhein-Westfalen
Inhaltsverzeichnis
Vorwort von Ilse Brusis, Ministerin für Arbeit, Soziales und
Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Vorwort der Projektleiter Prof. Dr. Faruk Şen und Prof. Dr. Dietrich Thränhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
I.
1.
2.
3.
4.
5.
Einführung
.......................................................................................
Die Relevanz der Selbstorganisation von Zuwanderern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Typen und Formen der Selbsthilfe von Zuwanderern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Selbstorganisationen und Lebensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Assimilative Integrationsmuster und ihre Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das soziale Kapital der Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.
Bestandsaufnahme der Potentiale und Strukturen von Selbstorganisationen
von Migrantinnen und Migranten mit Ausnahme der Selbstorganisationen türkischer,
kurdischer, bosnischer und maghrebinischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster
1.
1
1
2
3
7
8
11
Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 Migrationshistorischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Aktuelle Bevölkerungssituation in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Entwicklungsgeschichte der Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.1 Deutsche Initiativgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.2 Herkunftshomogene Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.3 Herkunftsheterogene Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.4 Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in der deutschen Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.5 Definition des Begriffs Selbstorganisation von Migrantinnen und Migranten im Rahmen dieser Studie . . . . . . . . . . . . . . .
11
11
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14
15
15
18
18
19
2.
Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
20
21
3.
Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 Gesamtheit der erfaßten Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Rücklauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4 Zugehörigkeit zu Dachverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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23
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29
4.
Mitgliederstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1 Altersstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Geschlechterstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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33
35
5.
Materielle und personelle Ausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1 Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Räumlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 Festangestellte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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39
6.
Kontakte und Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1 Kontakte zu und Zusammenarbeit mit Organisationen und Parteien im Herkunftsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Kontakte und Zusammenarbeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2.1 Ausländerbeirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2.2 Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2.3 Kommunale Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2.4 Einrichtungen des Landes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
40
41
41
41
42
43
V
7.
Arbeitsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1 Arbeitsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.1 Themengebiet Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.2 Themengebiet Begegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.3 Themengebiet Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.4 Themengebiet Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.5 Themengebiet Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.6 Themengebiet Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.7 Themengebiet Sport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.8 Themengebiet Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.9 Themengebiet Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.10 Themengebiet Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.11 Sonstige Themengebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.11.1 Optimierung der eigenen Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.11.2 Humanitäre Hilfe im Herkunftsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.11.3 Selbsthilfemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2 Zielgruppenorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.1 Zielgruppe Frauen und Mädchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.2 Zielgruppe Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.3 Zielgruppe Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.4 Zielgruppe Ratsuchende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.5 Zielgruppe Jungen und Männer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.6 Zielgruppe Seniorinnen und Senioren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.7 Zielgruppe Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.8 Zielgruppe Arbeitslose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.9 Sonstige Zielgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3 Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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44
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45
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47
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49
50
50
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51
51
52
52
52
52
53
54
55
55
56
56
57
57
57
58
8.
Orientierung der Angebotsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1 Gründe der gewählten Angebotsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
61
9.
Unterstützungsmöglichkeiten des Landes für Migrantinnen und Migranten
aus Perspektive der Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1 Auf die Arbeit der Selbstorganisationen bezogene Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.2 Politische Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
62
63
10. Zusammenfassung der wichtigsten Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
11. Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
VI
III. Bestandsaufnahme der Potentiale und Strukturen von Selbstorganisationen
von Migrantinnen und Migranten türkischer, kurdischer, bosnischer und maghrebinischer
Herkunft in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zentrum für Türkeistudien Essen
75
1.
Einleitung
........................................................................................
75
2.
Forschungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Zum Begriff „Selbstorganisation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Grundgesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.2 Erfassung der Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.3 Fragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.4 Feldphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.5 Tiefeninterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
76
77
78
79
79
79
80
80
81
3.
Bevölkerungszahlen der untersuchten Migrantengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 Türken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2
Kurden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3
Bosnier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4
Migranten aus den Maghreb-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
82
82
83
83
4.
Selbstorganisationen von Migranten in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1 Funktionen und Funktionswandel bei Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung von Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.1 Entwicklung der Selbstorganisationen insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.2 Die Entwicklung türkischer Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.3 Die Entwicklung kurdischer Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.4 Die Entwicklung bosnischer Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.5 Die Entwicklung maghrebinischer Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
84
85
85
85
86
87
87
5.
Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1 Organisationsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1.1 Quantitative Daten zu den erfaßten Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1.2 Organisationsdichte in den Regierungsbezirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1.3 Verteilung nach Vereinstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1.3.1 Verteilung nach Vereinstypen insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1.3.2 Verteilung nach Vereinstypen bei türkischen Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1.3.3 Kurdische Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1.3.4 Bosnische Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1.3.5 Maghrebinische Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2 Rücklauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2.1 Rücklauf insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2.2 Rücklauf nach Vereinstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2.3 Rücklauf nach Herkunftsländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2.4 Rücklauf nach Regierungsbezirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.3 Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.4 Rechtlicher Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.5 Mitgliedschaft in Dachverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.6 Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.7 Finanzierung, Räumlichkeiten, Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.7.1 Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.7.2 Räumlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.7.3 Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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88
90
90
91
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92
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99
100
100
101
102
102
102
104
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107
107
108
109
VII
5.2.8 Kontakte und Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.8.1 Zusammenarbeit mit anderen Selbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.8.2 Kontakte zur Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.8.3 Kontakte und Zusammenarbeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.8.3.1 Kontakte und Zusammenarbeit mit deutschen Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.8.3.2 Kontakte zu anderen deutschen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.8.3.3 Kontakte zur Kommunalverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.8.3.4 Kontakte zu Einrichtungen des Landes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.9 Arbeitsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.9.1 Zielgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.9.2 Angebotsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.9.3 Orientierung der Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.10 Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.11 Erwartungen an das Land Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.11.1 Auswertung der genannten Erwartungen insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.11.2 Auswertung nach Vereinstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.12 Weitere Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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109
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113
113
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115
115
116
116
118
119
6.
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121
7.
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125
IV.
Evaluation der von der Landesregierung geförderten Projekte
von Mitgrantenselbstorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Landeszentrum für Zuwanderung Nordrhein-Westfalen, Solingen
Einleitung
........................................................................................
Ziele und Methoden der Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Evaluationsergebnisse im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die geförderten Migrantenselbstorganisationen und ihre Projekte im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VIII
129
129
130
132
136
I. Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
1. Die Relevanz der Selbstorganisation
von Zuwanderern
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich
seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung
und des Mutes liegt, sich seiner ohne Anleitung eines andern zu
bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich Deines eigenen Verstandes
zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ 1
In diesen klassischen Formulierungen Immanuel Kants aus dem
Jahre 1783 ist die geistige Basis auch der modernen Selbsthilfebewegung enthalten. Sie beruht auf der Grundannahme, jeder Mensch
habe die Fähigkeit, selbst zu denken und selbst zu entscheiden und
dies sei der Entscheidung durch „Vormünder“ (so Kant einige
Zeilen später) vorzuziehen - auch wenn er nach Kants Bemerkung
an anderer Stelle „ein krummes Holz“ sei. In dieser Option für die
Mündigkeit stimmt die Selbsthilfe-Idee auch mit den Grundnormen
unserer Gesellschaft überein. Sie entspricht der Annahme, politische
Selbstbestimmung sei am besten geeignet, Ergebnisse im Interesse
der Bürger zu erzielen, wirtschaftliche Freiheit ermögliche am besten
eine optimale Allokation aller Produktionsfaktoren und freie Vereinsbildung sei der beste Weg zu einer optimalen Selbstentfaltung der
Bürger.
Während Kant seinen Appell an das Individuum richtete und
Unmündigkeit „selbstverschuldet“ nannte, setzt Selbsthilfe auf
Stärkung und Bildung in Kooperation von Betroffenen in der gleichen
Lage. In Kommunikationsprozessen haben sie die Möglichkeit, sich
über sich selbst, ihren sozialen Ort, ihre besonderen Fähigkeiten und
Probleme klar zu werden. Selbstorganisation schließt daran an und
eröffnet Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten anzuwenden und
Probleme gemeinsam anzugehen. Dabei ist insbesondere offene
Kommunikation wichtig, also die Schaffung von Teilöffentlichkeiten
der Betroffenen und deren Vernetzung. Neben die kooperative Lösung
von Problemen (Innenperspektive) tritt die Artikulation von Bestrebungen, die Gruppen in gleicher oder ähnlicher Lage betreffen
(Außenperspektive). Dabei ist es eine häufige Erfahrung, daß die
Betroffenen ihre Bedürfnisse selbst zutreffender artikulieren als
andere oder daß sie zumindest ein eigenständiger Partner in Diskussions- und Aushandlungsprozessen werden, wenn sie sich organisieren und ihre Standpunkte gemeinsam wahrnehmbar machen.
Authentizität der Willensbildung steht dann also in einem positiven
Verhältnis zur Qualität. Zum anderen sind Selbsthilfe-Gruppen besonders geeignet, die Transmission von Lösungen und Lösungswegen
an die Betroffenen zu organisieren. In Kants Sprache geht es hier
also um die gemeinsame Stärkung „der Entschließung und des
Mutes“.
Für die Stärkung der Entscheidungsfähigkeit, der Orientierungsqualität und des Entscheidungswillens ist Selbsthilfe besonders
geeignet. Sie bedarf allerdings der fruchtbaren Zusammenarbeit mit
anderen Organisationen und Trägern, um ihre Interessen zu vermitteln, optimal zu formulieren und durchzusetzen - insbesondere
solange die Betroffenen keine vollen politischen und staatsbürgerlichen Rechte haben oder die Landessprache nicht voll beherrschen.
Dabei ist Arbeitsteiligkeit anzustreben, so daß jede Organisation die
Funktionen erfüllen kann, für die sie am besten geeignet ist. So bedarf
es einerseits der Fachberatung in bezug auf soziale Sicherungssysteme, Währungstransfers oder Eigentumsinvestitionen, andererseits können die Ergebnisse solcher Fachberatungen besonders gut
in Diskussionen in Gruppen bewertet werden, die sich in gleicher
Lage befinden und Lebensentscheidungen treffen müssen.
Bestimmte individualisierte Beratungen, wie bei Schwangerschaftskonflikten, müssen anonym durchgeführt werden können, aber andererseits wird die Orientierung über Familienplanung oder über die
Gleichberechtigung der Geschlechter nur wirksam werden können,
wenn sie ganze Gemeinschaften erfaßt. Ein drittes Beispiel: Es wird
auch fernerhin nötig sein, in Frauenhäusern oder Jugendwohnungen
Schutz zu gewähren. Aber die positive Orientierung über Erziehung
und Familie kann wiederum am besten in Gruppen erfolgen.
Merkwürdigerweise haben Zuwanderer in der Diskussion um
Selbsthilfe bisher eine eher marginale Rolle gespielt. Dies hing
damit zusammen, daß am Anfang der Selbsthilfe-Bewegung häufig
eher Menschen aus privilegierten Gruppen oder aus dem Mittelstand
mit bestimmten speziellen Problemen im Vordergrund gestanden
haben. Zudem wurde Selbsthilfe weitgehend auf den Gesundheitsbereich bezogen. Eine Studie für Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr
1987 klammert deswegen Zuwanderer-Fragen noch ganz aus.2 In
bezug auf das Verhältnis zwischen Staat, Wohlfahrtsverbänden und
Selbstorganisationen hat in den letzten Jahrzehnten in Beziehung
auf Kooperation und Arbeitsteilung ein vielschichtiger Lernprozeß
stattgefunden, in dem alte Abschottungen überwunden wurden.
Die Kritik an paternalistischen Strukturen hat dazu ebenso beigetragen wie die Herausforderungen des sozialen Problemdrucks und
der finanziellen Rigiditäten.3 Nach wie vor operieren die Eigenorganisationen der Einwanderer aber weitgehend außerhalb des
Gesichtskreises der deutschen Öffentlichkeit und ihre Leistungen
werden wenig wahrgenommen. Dies macht die hier vorgelegte
Bestandsaufnahme relevant, ebenso wie die mit dem Landesprogramm in Nordrhein-Westfalen vorgenommene institutionelle
Vernetzung.
1 Immanuel Kant, 1968: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? in: Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden, hrsg.v. Wilhelm Weischedel, 2. Aufl., Darmstadt, S. 53.
2 Anita Jakubowski, 1987: Selbsthilfegruppen und Selbsthilfegruppenunterstützung in Nordrhein-Westfalen, Bottrop, (G.I.B., Bottroper Dokumente 2/87).
3 Zum Migrationsbereich vgl. Jürgen Puskeppeleit/Dietrich Thränhardt 1990: Vom betreuten Ausländer zum gleichberechtigten Bürger. Perspektiven der Beratung und Sozialarbeit,
der Selbsthilfe und Artikulation und der Organisation und Integration der eingewanderten Ausländer aus den Anwerbestaaten in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg (künftig
zitiert: Puskeppeleit/Thränhardt, 1990). Generell zur Leistungsfähigkeit und Einbettung der Selbsthilfe: Klaus Deimer/Dieter Jaufmann, 1986: Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe - Konkurrenz um „Leistungsnutzer“ oder kooperative Verflechtung? in: Wohlfahrtsverbände zwischen Selbsthilfe und Sozialstaat, hg. von Dietrich Thränhardt u.a.,
Freiburg; sowie Fritz Boll/ Thomas Olk, 1986: Selbsthilfe und Wohlfahrtsverbände, Freiburg.
1
I. Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
2. Typen und Formen der Selbsthilfe
von Zuwanderern
Zuwanderer haben zwei spezielle Adaptionsprobleme. Einmal
müssen sie sich in der neuen Gesellschaft orientieren. Diese Notwendigkeit stellt sich für sie intensiver als für die Einheimischen,
deren Primärorientierung bereits auf diese Gesellschaft ausgerichtet
war. Für beide Gruppen besteht aber zudem ständig auch die Notwendigkeit, sich in einer Welt im Wandel neu zu orientieren. Zum
zweiten müssen sich Zuwanderer in Organisationen und Netzwerke
einbringen, um die nötigen Kontakte und Orientierungen zu schaffen,
oder sie müssen neue tragfähige Kontakte und Netze etablieren.
Dies gilt für Zuwanderer mit ausländischer Staatsangehörigkeit in
gleicher Weise wie für solche mit deutscher Staatsangehörigkeit. Für
den Erfolg ist entscheidend, daß die organisatorische Qualität und
Durchschlagskraft der Organisationen, die die Zuwanderer vertreten,
der der einheimischen Organisationen entspricht und daß die
Kommunikation und Vermittlung hin zu den kommunalen, staatlichen
und privaten Entscheidungs- und Diskussionszusammenhängen in
gleicher Dichte funktioniert.
Die zivilgesellschaftlichen Organisationen der Zuwanderer mit
ausländischer Staatsangehörigkeit zeigt eine große Pluralität, die
sich in mehreren Dimensionen beschreiben läßt. Eine erste Unterscheidung betrifft die Beziehung zu deutschen Organisationen.
Dabei reicht die Skala von der direkten Mitgliedschaft in deutschen
Organisationen wie Gewerkschaften, Sportvereinen, Kirchen und
Parteien über die Bildung besonderer Vereine von Ausländern unterschiedlicher Herkunft, zum Teil mit Beteiligung von Deutschen, bis
zu Ausländervereinen ausschließlich aus dem gleichen Land, aus der
gleichen Region oder der gleichen religösen oder sprachlichen
Gruppe. Eine zweite Dimension ist der Organisationszweck der
Vereine: vom Sport und anderen Formen der Freizeitgestaltung über
die Bildung und die Politik bis zur Religion, wobei der Bereich
Arbeit/Betrieb eher ausgespart bleibt. Hier besteht ein integrierter
Bereich mit einem hohen Maß an Mitgliedschaft in den Gewerkschaften etwa (höher als bei den Deutschen) und voller Mitwirkung
in den Betriebsräten und bei den Betriebsratswahlen. Geschlechtsspezifische oder generationenspezifische Spezialisierungen und
Ausformungen erleben weitere Differenzierungen. Eine weitere
Dimension ergibt sich aus sozialen Unterschieden, etwa den Einreisebedingungen und Vorerfahrungen der Zuwanderer. Ausländer sind
mit unterschiedlichem Rechtsstatus in die Bundesrepublik eingereist, neben ehemaligem Anwerbe-Ausländern stehen Flüchtlinge
oder ursprünglich als Studierende Eingewanderte.
Betrachten wir die Zuwanderer-Organisationen selbst, so lassen
sich zwei Organisationstypen unterscheiden, in denen die Vermittlung zwischen Herkunftsgruppen und Gesamtgesellschaft auf unterschiedliche Weise ausformuliert werden: erstens der Typus der herkunftshomogenen Zusammenschlüsse, zweitens der Typus der her-
kunftsheterogenen Zusammenschlüsse.4 Diese Pluralität läßt sich
auch auf den Organisationsebenen Region, Land und Bund wiederfinden. Herkunftshomogene Vereine können sich auf unterschiedliche Weise zusammenschließen:
* auf Bundesebene (z. B. Spanischer Elternverband),
* in einem auf das Heimatland bezogenen transnationalen Organisationszusammenhang (z. B. die katholischen Assoziazioni
Cristiane Lavoratori Italiani ACLI),
* in nicht herkunftshomogenenen Verbänden, etwa der Caritas oder
dem DPWV,
* in allgemeinen Vereinigungen wie z. B. dem Deutschen Sportbund oder kirchlichen Organisationen,
* außerdem können sie einen Binnenpluralismus ausformulieren,
wie die Griechischen Gemeinden, in denen parteibezogene Listen
um die Vorstandsposten konkurrieren,
* oder schließlich in landes- oder bundesweite Zusammenschlüsse,
die auf Herkunftsbasis autonom bleiben, und andere, die sich als
landesweite Gesamtorganisation deutschen Spitzenorganisationen
(z. B. Wohlfahrtsverbänden) anschließen.
Die Mitglieder herkunftshomogener Vereinigungen kommen aus
einem einzigen Land, aus einer einzigen Region, Stadt oder einer
bestimmten religiösen oder ethnischen Gruppe. Es ist wichtig, diese
unterschiedlichen Möglichkeiten von Homogenität zu betonen, da
oft nur in nationalen oder ethnischen Kategorien gedacht wird, dies
aber die Realität nur unzureichend widergibt. Ein Teil dieser Vereinigungen sind ursprünglich im Kontakt mit den zuständigen
Betreuungsverbänden entstanden oder haben sich an Organisationen
aus dem Heimatland orientiert. Die Mitglieder herkunftsheterogener
Vereinigungen dagegen stammen aus unterschiedlichen Bereichen,
dazu gehören unter anderem Initiativgruppen und Vereine und Verbände mit Beteiligung ausländischer und deutscher Staatsangehöriger.
Ein Teil der Gruppen sind ursprünglich von Deutschen gegründet
worden, um Ausländer und insbesondere ausländische Kinder zu
unterstützen, und haben dann in einer zweiten Phase Ausländer auch
als gleichberechtigte Mitglieder und Führungspersönlichkeiten aufgenommen und mehr und mehr in den Vordergrund gestellt.
Andererseits finden sich darunter Initiativen, die von Anfang an von
Ausländern unterschiedlicher Nationalität gemeinsam mit Deutschen
gegründet worden sind.5
Trotz des unbefriedigenden Standes des Einbürgerungsrechts
und der Einbürgerungspraxis ist dabei das Kriterium Staatsangehörigkeit immer weniger trennscharf, denn gerade viele politisch
Aktive haben sich einbürgern lassen. Auch die Kinder aus gemischten
Ehen erhalten automatisch beide Staatsangehörigkeiten. Es gibt also
immer mehr Menschen, die zwar Einwanderer ausländischer Herkunft
sind oder von diesen abstammen, aber die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und damit Deutsche sind. Angesichts der steigenden
Einbürgerungsraten ist damit zu rechnen, daß sich in dieser Beziehung
eine dynamische Entwicklung ergibt. Im Falle einer weiteren
4 Diese Zusammenschlüsse werden vielfach auch als „multikulturell“, „interkulturell“ oder „multinational“ bezeichnet. Diese Termini werden hier nicht verwendet, da sie wenig
exakt sind und irreführend wirken können. Es ist unzutreffend, Zuwanderer einfach mit einer „Kultur“ zu identifizieren, sie leben vielmehr in einer Situation vielfältiger
kultureller Einflüsse, ebenso wie die Deutschen. Dies gilt insbesondere für die jüngere Generation. Die Zusammenschlüsse bilden vielfach ein bestimmtes Milieu aus, das man
ebenfalls als „Kultur“ bezeichnen könnte.
5 Zu den unterschiedlichen Entstehungsgeschichten und Entwicklungen vgl. auch II, Kapitel 1.3 dieser Studie.
2
I. Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
Erleichterung der Einbürgerung für hier Geborene würde dieser Trend
noch stärker werden. Die Staatsangehörigkeit als Abgrenzungskriterium bei der Förderung wird also auf Dauer für sich allein kein
relevantes Kriterium mehr sein.
Herkunftshomogene Initiativen haben den besonderen Vorteil, daß
sie kulturelle Elemente aus den Herkunftsländern am Leben halten,
aktivieren und einbringen können. Vor allem für die älteren Zuwanderer können sie auch eine wichtige Übersetzungsfunktion erfüllen,
indem sie relevante Probleme mit den Betroffenen erörtern. Sie
haben auf dieser Grundlage die Chance zu kommunizieren und zu
diskutieren sowie Strategien zu formulieren, die der jeweiligen
Gruppe besonders angemessen sind. Soweit es dabei überwiegend
um Kultur, Bildung und Erziehung geht, wäre im Rahmen der
Landesförderung allerdings der Weiterbildungsbereich zuständig, in
dem neue Institutionen wie die Spanische Weiterbildungsakademie
(Academia Espagnola de Formacion) erfolgreich arbeiten. Auch
Verbände, die in ihrer Definition und Struktur völlig von Institutionen
oder Verbänden in den Herkunftsländern definiert werden, kommen
für eine Förderung kaum in Frage, insbesondere wenn sie diese von
dort erhalten und in ihrem Führungspersonal herkunftsorientiert sind
oder von dort bestimmt werden. Gleiches gilt schließlich für religiöse
Vereinigungen, die ebenfalls in einen anderen Fördersektor fallen.
Herkunftsheterogene Vereinigungen haben den besonderen
Vorteil, daß sie schon in sich selbst eine plurale Vielfalt zusammenführen und damit als solche integrativ wirken. Sie befinden sich
zudem weniger in der Gefahr, über Jahrzehnte Rückkehrillusionen
zu kultivieren, auch wenn diese für die meisten Beteiligten unrealistisch bleiben. Für die Bedürfnisse der in Deutschland aufgewachsenen
„zweiten“ und „dritten“ Generation sind sie besser geeignet. Damit
dürften ihre Reichweite und Akzeptanz eher zunehmen. Auch ihre
Fähigkeit zur Kooperation mit inländischen Organisationen dürfte
deutlich höher sein. Auch in herkunftsheterogenen Organisationen
wird die tägliche Gruppenarbeit aber meist in den Herkunftssprachen
geleistet, sie fungieren also überwiegend als organisatorisches Dach.
Alle diese Organisationsformen sind grundsätzlich legitim und
können Beiträge zur Förderung der Gemeinsamkeiten und der
Orientierung der Mitglieder und zur Artikulation und Interessendurchsetzung leisten. Dies gilt z. B. auch für Vereine, die sich nicht
in deutscher Sprache verständigen, aber gleichwohl Orientierung in
der Gesellschaft vermitteln. Möglicherweise erreichen sie ihre Mitglieder gerade deswegen besonders gut und intensiv, ganz abgesehen
von der emotionalen Nähe durch die Herkunftsprache oder durch
Dialekte. Vielfach schließen sich Menschen nicht einfach aus einer
Nation, sondern aus einer Herkunftsregion, einer Stadt oder einer
konfessionellen Gruppe zusammen, so z. B. Griechen aus dem
Pontos, deren Schicksal dem der deutschen und jüdischen Aussiedler
aus den GUS-Staaten entspricht, Kurden, Armenier, Aleviten oder
Yeziden aus der Türkei, Sarden und Trientiner aus Italien oder
Kosovo-Albaner aus Serbien.
Vereine bilden soziale Netzwerke, die Menschen zusammenführen und Modernisierungsprozesse vermitteln können. Dabei sind
funktionale Modernisierung und willentliche Integration zu unterscheiden. Auch Vereine, die programmatisch der Integration eher
kühl gegenüberstehen, können funktional integrierend wirken, wenn
sie ihre Mitglieder fördern und realistisch orientieren. Es geht dabei
um soziale Übersetzungs- und Transferfunktionen, um die Verständlichmachung der Situation für alle, den Aufbau realistischer
Beziehungen zwischen den eigenen Bedürfnissen und Wünschen
und den Möglichkeiten und die Entwicklung von Strategien zur
Erreichung eigener Ziele.
3. Selbstorganisationen und Lebensqualität
Um die Relevanz der Einflüsse von Selbsthilfegruppen einschätzen zu können, wird im folgenden ein Vergleich zwischen den
fünf großen Herkunftsnationalitäten durchgeführt. Dabei ist es erstaunlich, welch weitreichende Unterschiede zwischen den Gruppen in
bezug auf die Integrations- und Lebensqualität bestehen.
Berücksichtigt muß werden, daß die Unterscheidung nach Staatsangehörigkeitsgruppen, auf die sich unsere Daten beziehen, nur einen
relativ groben Maßstab darstellen. Wie viel mehr Unterschiede in
einer kleinteiligeren Bestandsaufnahme aufgewiesen werden können,
wird eindrucksvoll in den ersten Statistiken deutlich, die statt des
Sammelbegriffs „ehemaliges Jugoslawien“ die fünf Staatsangehörigkeiten der Nachfolgestaaten ausdifferenzieren.
In der deutschen öffentlichen Debatte ist die Aussage, es gebe kein
Ausländerproblem, sondern nur ein Türkenproblem, seit 1980
präsent. Durch das populäre Huntingtonsche Paradigma vom
Kulturkonflikt als neuer weltpolitischer Bestimmungsgröße6 ist sie
mit neuer wissenschaftlicher Weihe und Durchschlagskraft versehen
worden.Vor allem in der pädagogischen Literatur wird in kulturalistischer Weise immer wieder die Diskrepanz zwischen einem modernen, toleranten, aufgeklärten und individualisierenden Westen und
einem traditionalistischen, fundamentalistischen und familistischen
Süden beschworen. So schreibt etwa der Demograph Josef Schmid
weiter zugespitzt: „Ist das Elternhaus intakt, unterliegen sie [die
Kinder, D.T.] strengen Unterordnungsnormen ihrer orientalistischen
[sic!] Familie, die für das deutsche Schul- und Leistungssystem
wenig Sinn hat. Stammen sie aus zerbrochenen elterlichen
Verhältnissen, bilden sie die Gruppe der Abbrecher in allen
Bildungsgängen und suchen in Jugendbanden den Familienersatz.“
Schließlich äußert der Autor die Vermutung, die statistisch aufweisbaren besseren Bildungs-erfolge ausländischer Jugendlicher seien
„Europäern“ zuzuschreiben und nicht „Jugendlichen orientalischer
Herkunft“.7
6 Samuel Huntington, 1996: Kampf der Kulturen, München/Wien.
7 Josef Schmid, 1997: Die dritte Generation. Die doppelte Staatsbürgerschaft weist nicht den Weg in die Integration, sondern in das Chaos, in: FAZ Nr. 270, 20.11.1997.
3
I. Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
Nimmt man diese geballte Kraft stereotyper Einstellungen zur
Kenntnis - hier anhand eines extremen, aber nicht untypischen
Beispiels zitiert -, so muß überraschen, daß die Indikatoren für
soziale Integration und wirtschaftlichen Erfolg ein sehr viel differenzierteres Bild ergeben. Vergleichen wir die großen Einwanderergruppen in Deutschland in bezug auf Bildungserfolg, Einkommen,
Arbeitslosigkeit und Intermarriage, so finden wir einerseits sehr
hohe Erfolgswerte bei den Spaniern, andererseits aber sehr niedrige
Werte bei den Italienern. Deren Integrationswerte befinden sich
etwa auf dem gleichen Niveau wie die der türkischen Staatsangehörigen und liegen zum Teil sogar darunter. Dies überrascht auch
deshalb, weil die Italiener in der Bundesrepublik im Vergleich der
ehemaligen Anwerbestaaten die älteste Einwanderergruppe sind und
schon aus diesem Grund - ausgehend von der Annahme wachsender
Integration mit Zeitablauf - erwartet werden könnte, daß ihre Situation
sich am besten darstellt. Italien verfügt schließlich im Vergleich der
Anwerbeländer auch über das weitaus höchste Pro-Kopf-Einkommen
und die stärkste wirtschaftliche Dynamik. Schließlich hatte Italien
durch die Jahrhunderte auch immer enge Beziehungen mit
Deutschland in Kultur, Wirtschaft und Politik.
Besonders auffällig ist der Kontrast bei den Bildungserfolgen
der Jugendlichen. Berechnet man die Anteile der Studierenden an
der jeweiligen Bevölkerung, so liegt der Prozentsatz der Spanier mit
2,1 mehr als dreimal so hoch wie bei den Italienern mit 0,4. Dabei
werden immer nur die „Bildungs-Inländer“ betrachtet, also Jugendliche, die in Deutschland aufgewachsen sind. Alle anderen Gruppen
weisen höhere Werte auf als die Italiener - mit Ausnahme des ehemaligen Jugoslawien, das wegen des Krieges und der Fluchtbewegung nicht mehr vergleichbar ist.
deutlich wird die Diskrepanz, wenn man zur Veranschaulichung die
Schülerzahlen für Gymnasien mit denen für Sonderschulen konfrontiert.8
Ausländische Schüler an allgemeinbildenden Schulen 1994 in %
Bei den Einkommen sind die Unterschiede weniger gravierend,
aber auch hier zeigt sich keineswegs ein Gefälle zwischen EUBürgern und Türken. Bei den Arbeitslosigkeitsdaten schneiden zwar
die Türken am schlechtesten ab, aber die Italiener stehen ihnen
kaum nach und haben wiederum weit schlechtere Werte als die
Spanier.
Arbeitslosenquote der Ausländer nach Herkunftsländern im
Bundesgebiet West am 31.12.1995 in %
Studenten in den Bevölkerungsgruppen in % – Nur Inländer (WS 99)
Betrachtet man die Verteilung der Schüler an den verschiedenen
Schultypen, so ergibt sich ein ähnliches Bild großer Diskrepanzen,
bei dem die Italiener besonders schlecht abschneiden. Gleiches gilt
für einen Vergleich der Bildungsabschlüsse. Statistisch besonders
Die Zahl der deutsch-ausländischen Eheschließungen ist in den
letzten Jahrzehnten stark angestiegen, sie kann als besonders aussagekräftiger Indikator für Intregation gelten.9 Wir messen hier nicht
die Intermarriage-Entwicklung selbst, da dies mit erheblichen
methodischen Unsicherheiten verbunden ist. Insbesondere müßten
die Eheschließungen in den verschiedenen Ländern abgeglichen
werden, ganz abgesehen vom verbreiteten Trend zu undokumentier-
8 Bei den Daten für die Schulen können inzwischen die Bürger Bosniens, Kroatiens, Mazedoniens, Sloweniens und des neuen Jugoslawien unterschieden werden. Bei den
Staatsangehörigigkeitsdaten ist das noch nicht der Fall, weil zum Teil noch auf der Grundlage der alten gesamtjugoslawischen Staatsangehörigkeit gezählt wird.
9 Peter Schmidt/ Stefan Weick, 1998: Starke Zunahme von Kontakten und Ehen zwischen Deutschen und Ausländern, in: Informationsdienst Soziale Indikatoren, Ausgabe 19, S. 5
(künftig zitiert: Schmidt/Weick, 1998).
4
I. Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
ten Verbindungen. Statt dessen werden die Kinderzahlen aus
deutsch-ausländischen Verbindungen einerseits und von Eltern
identischer Staatsangehörigkeit andererseits gegenübergestellt.10
Dies ist zugleich deswegen besonders relevant, weil wir dabei die
Formierung der Folgegeneration nachvollziehen können. Wir finden
dabei zwar ein Gefälle zwischen Türken und EU-Bürgern, wie es
den Erwartungen der öffentlichen Meinung entspricht, andererseits
aber erneut große Abstände zwischen den verschiedenen EUNationalitäten. Bei den Spaniern zeigt sich eine dynamische integrative Entwicklung zu mehr als drei Vierteln Kindern aus deutsch-spanischen Verbindungen, bei den Griechen dagegen relativ wenig
Integration. Andererseits sind diese bei den Bildungswerten ähnlich
günstig positioniert wie die Spanier.
Altersstruktur der Italiener im Vergleich zwischen Männern und Frauen
Geburten aus deutsch-ausländischen und aus ausländischen Ehen
Geburten aus ausländischen
Ehen
1980
1986
1986
1990
1995
1995
Türken
39658 28153 43921 41733 1336
2035
2572
4275
9,3
ehem.
Jugosl.
9287
4870
1995
Anteil
%
1980
3937
1990
Geburten aus deutschausländischen Ehen
Altersstruktur der Türken im Vergleich zwischen Männern und Frauen
7121
2454
1969
2505
1789
20,1
43,8
Italiener
9871
5715
6096
4776
3819
3875
4258
3728
Griechen
3904
2217
3124
3578
834
844
1022
1071
23,0
Spanier
1723
670
495
305
1068
1054
1238
1201
79,7
Quelle: Statistische Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland sowie eigene Berechnungen.
Dieses sehr unterschiedliche Heiratsverhalten trägt schließlich
zu extrem unterschiedlichen Entwicklungen der Gesamtgröße der
jeweiligen Staatsangehörigkeits-Gruppe bei. Während nach den
Kriterien der deutschen Statistik die Zahl der Spanier von Jahr zu
Jahr sinkt, da drei Viertel der Kinder von Spaniern auch die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzen, steigen die Zahlen bei den anderen
Nationalitäten wegen der Tendenz zur Normalisierung der Altersstruktur an. Bei den türkischen Staatsangehörigen hat sich ein DreiGenerationen-Schema ausgebildet, bei dem die Jahrgangszahlen
intergenerational insgesamt stabil bleiben, allerdings in einem Auf
und Ab entsprechend den Einwanderungs- und Generationenfolgen.
Altersstruktur der Griechen im Vergleich zwischen Männern und Frauen
Altersstruktur der Spanier im Vergleich zwischen Männern und Frauen
Nur bei einem Kriterium schneiden die italienischen Staatsangehörigen in den bundesweiten Vergleichen besser ab als alle anderen
Gruppen: bei den Prozentsätzen für Auszubildende als Anteil am
jeweiligen Jahrgang. Dies ist deshalb überraschend und erklärungsbedürftig, weil nach landläufigem Verständnis die Chancen von
Bewerbern auf dem Ausbildungsmarkt eng mit den Schulerfolgen
zusammenhängen. Die Zahlen zeigen aber, daß die Werte im Vergleich der Nationalitäten gegenläufig sind.
10 Die geringe Zahl der Kinder aus nichtdeutschen binationalen Verbindungen bleibt bei diesem Vergleich unberücksichtigt.
5
I. Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
Auszubildende nach Staatsangehörigkeit 1986-1994 in %*
Staatsangehörigkeit
1986
1988
1990
1992
1993
1994
Türken
23,1
29,1
35,5
44,0
47,8
48,3
Ehem. Jugoslawen
32,3
33,6
40,0
38,8
37,8
36,6
Italiener
30,1
36,6
42,8
50,8
53,7
54,5
Griechen
22,0
24,2
27,2
38,8
43,3
45,0
Spanier
43,2
45,3
49,0
57,4
63,0
63,2
Portugiesen
33,9
42,5
43,8
48,0
53,5
53,8
Ausländer
25,4
29,2
35,5
40,4
42,5
43,5
Deutsche
76,5
85,3
84,8
78,6
74,0
70,8
zwischen den Bundesländern stark unterscheiden. In NordrheinWestfalen liegt der Anteil der ausländischen Schüler mit schulischen
Qualitätsabschlüssen - Abitur und Fachoberschulreife - zweieinhalbmal so hoch wie in Bayern. Die Disproportionen sind weit extremer
als die entsprechenden Unterschiede zwischen den Jugendlichen
deutscher Staatsangehörigkeit.
Anteil der weiterführenden Abschlüsse bei den ausländischen Schulabgängern 1996 in den alten Bundesländern in %
*Anteil der Auszubildenden bezogen auf die Zahl der 15-18jährigen in der jeweiligen Gruppe.
Raumbezug: Alte Bundesländer. Quelle: bmb+f, Berufsbildungsbericht 1996, S. 50.
Erklärungen für die Diskrepanzen findet man erst, wenn man
auf die Ebene der Bundesländer zurückgeht und in diesem Rahmen
die Nationalitäten vergleicht. In der folgenden Tabelle geschieht das
für die vier Bundesländer mit mehr als 5000 Schülern italienischer
Staatsangehörigkeit. Die extremen Unterschiede, die sich dabei
zeigen, sind zu einem großen Teil für die zahlenmäßigen Defizite
der Gruppe der italienischen Staatsangehörigen bei den Schulerfolgen verantwortlich. So besuchen jeweils mehr als zehn Prozent
aller italienischen Schüler in Bayern und in Baden-Württemberg
Sonderschulen, weit mehr als in Hessen oder Nordrhein-Westfalen.
Dies ist ein erstaunlich hoher Wert. Gleichzeitig gehen nur 4,2 %
der italienischen Schüler in Baden-Württemberg zum Gymnasium,
weniger als halb so viele wie in Hessen. Da aber mehr als ein Drittel
aller italienischen Schüler in Baden-Württemberg leben, wirken sich
die dortigen Verhältnisse stark auf die Gesamtzahlen auf Bundesebene aus.
Schulbesuch italienischer Kinder nach Bundesländern 1994/ 95 (%)
Bundesland
Sonder- Hauptschule schule
Real- Gym- Gesamt- Orient.- Schüler Schülerschule nasium schule* stufe in %** zahl
Baden-W.
10,7
34,8
9,6
4,2
0,3
0,1
36,0
24.470
Bayern
10,1
36,7
6,3
6,0
0,4
0,1
10,4
7.114
Hessen
5,8
12,1
13,4
9,1
11,0
8,5
12,5
8.522
NRW
6,9
26,3
10,6
7,4
10,0
-
27,1
18.402
Deutschland
(W)
8,3
28,1
10,2
6,3
5,1
2,0
100
67.908
Nur Bundesländer mit mehr als 5000 Schülern italienischer Nationalität. In der Gesamtzahl sind
auch die Grundschüler (40,0%) enthalten. * Gesamtschule einschließlich Waldorfschule. ** Anteil
des Landes an der Gesamtschülerzahl in den alten Ländern. Quelle: KMK; italienische Botschaft.
Andererseits stellen sich die Ausbildungschancen in Süddeutschland besser als in den nördlichen Bundesländern dar, was mit den
günstigeren ökonomischen Rahmenbedingungen, insbesondere der
generell niedrigeren Arbeitslosigkeit und insbesondere Jugendarbeitslosigkeit zusammenhängt. Dies erklärt vermutlich die günstigeren Werte für die italienischen Jugendlichen im Ausbildungsbereich insgesamt (Daten für die einzelnen Nationalitäten auf
Landesebene liegen uns noch nicht vor). Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Schulerfolge der ausländischen Jugendlichen sich
6
Anteil der weiterführenden Abschlüsse bei allen Schulabgängern 1996
in den alten Bundesländern in %
I. Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
4. Assimilative Integrationsmuster und
ihre Erklärungen
Versucht man nun, diese Daten zu interpretieren, so lassen sich
Integrationsmuster herausarbeiten, die hier zunächst vorläufig und
hypothetisch aufgrund bisher erhobener Daten und der Diskussion
in der Literatur formuliert werden.
1. Die Gruppe der Spanier ist in allen Beziehungen vergleichsweise
erfolgreich, obwohl sie sich zum Zeitpunkt der Einwanderung
nicht durch besonders günstige sozioökonomische Daten auszeichnete. Sie verbindet sich in der zweiten Generation weitgehend mit der deutschen Bevölkerung und ist in der dritten
Generation in Deutschland nur noch zu einem kleinen Teil sozial
und statistisch sichtbar. Gleichwohl existieren intensive Beziehungen zum Herkunftsland.
Die zahlenmäßig zeitweise starke Rückwanderung insbesondere
von Rentnern erfolgt aus einer Position realer Wahlmöglichkeit
zwischen Deutschland und Spanien.11
2. Die Gruppe der Griechen folgt der Gruppe der Spanier in bezug
auf die sozialstrukturellen Daten, insbesondere in bezug auf
Bildung, in einem geringen Abstand. Sie bleibt von der deutschen
Bevölkerung aber stärker getrennt, sowohl in bezug auf Bildung
wie auf Konnubium. Dies hängt mit einer ausgeprägteren
Koloniebildung und einer aktiveren Beziehung zum Heimatland
zusammen, was sich in stärkerer Hin- und Herwanderung nachweisen läßt. Im Vergleich zu allen anderen Gruppen haben die
Griechen die höchsten Prozentsätze an Selbständigen.
3. Die Gruppe der Italiener steht, wie schon ausgeführt, den beiden
erstgenannten Gruppen in bezug auf Bildungs- und Einkommenswerte deutlich nach. Sie verbindet sich stärker als die Griechen,
aber weniger als die Spanier mit den Deutschen. Weit höher als
bei den anderen Gruppen ist bei den Italienern der Männerüberschuß, auch nach über vierzig Jahren Einwanderung.
In Verbindung damit muß auch die Hin- und Herwanderung
gesehen werden, die traditionell erfolgt und in der Literatur mit
der früh gewonnenen EU-Freiheit erklärt wird.
4. Die Einwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien waren bis
zum Ausbruch des Bürgerkrieges relativ gut integriert, erreichten
aber nicht die hohen Integrationswerte der Spanier. Wie sich
anhand neuer Daten zeigen läßt, lassen sich aber große Integrationsdifferenzen zwischen Slowenen, Kroaten, Bosniern, Serben
und Mazedoniern aufzeigen.
5. Die Türken, die größte Staatsangehörigkeitsgruppe, haben sich
ebenfalls stark ausdifferenziert. Obwohl ihre Integrationswerte
vergleichsweise niedrig liegen, stellen sie aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke auch in den meisten Erfolgs-Kategorien die
größte Gruppe, etwa in den Gymnasien. Nur in bestimmten
Regionen Süddeutschlands überwiegen sie nicht. Ebenfalls aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke sind Türken und Kurden in
Deutschland am stärksten „sichtbar“, wie in den sechziger
Jahren die Italiener.
Versucht man zu erklären, warum bestimmte Einwanderungsgruppen sich schnell integrieren, d.h. mit der eingesessenen Bevölkerung verschmelzen und diese gleichzeitig beeinflussen, so
stößt man auf unterschiedliche Ansätze. Neben den schon erwähnten
Kategorien kultureller Nähe und gleicher Religion werden vor
allem das Alter einer Einwanderung, die soziale Schichtung, die
ökonomische und politische Integration und schließlich auch die
Größe und Sichtbarkeit einer Einwanderungsgruppe diskutiert.
Für unser Problem bieten all diese Ansätze keine zureichende
Interpretation. Zwar ist evident, daß Türken und Kurden stärkeren
Ausgrenzungen unterliegen, was mit den genannten Kriterien übereinstimmt. Hier liegt ein circulus vitiosus vor. Das Problem des relativen Rückstands der Italiener insbesondere gegenüber den Spaniern
läßt sich daraus aber nicht erklären. Das oben angeführte Moment
des Ländervergleichs ist zwar gewichtig, insbesondere in bezug auf
die Bildungspolitik, aber nicht zureichend, da auch innerhalb der
Bundesländer Diskrepanzen auftreten, wenn auch in schwächerer
Form. So haben italienische Kinder zwar in Nordrhein-Westfalen
und Hessen deutlich geringere Sonderschul-Anteile, diese sind aber
gleichwohl höher als bei den spanischen Kindern. Hinzu kommt,
daß schon die Vergleichsbasis nur die mono-nationalen Personen
erfaßt, insbesondere nur die mono-nationalen Kinder. Es kann demgemäß angenommen werden, daß die Disparität zwischen Spaniern
und Italienern noch stärker zu Tage träte, wenn auch die Kinder,
Jugendlichen und Erwachsenen aus deutsch-ausländischen
Verbindungen in den Vergleichen berücksichtigt würden.
In der Literatur ist eine weitere Erklärung für die geringen
Erfolge gerade der italienischen Staatsangehörigen angeführt worden:
kontraproduktive Wirkung der Rechte aus der Freizügigkeit der
Europäischen Union (früher EWG bzw. EG). Immer wieder wird
argumentiert, die Italiener in Deutschland hätten im Gegensatz zu
denen in der Schweiz aufgrund des Rechts der freien Bewegung die
Gewohnheit des Hin- und Herwanderns angenommen, und dies habe
den Bildungserfolg der Kinder negativ beeinflußt, während die
Italiener in der Schweiz bei Rückwanderung das Aufenthaltsrecht
verlören und deshalb im Lande blieben. In der Tat kann eine Diskrepanz zwischen den italienischen Einwanderern in der Schweiz und
in Deutschland konstatiert werden. Die italienischen Einwanderer in
der Schweiz haben sehr positive Integrations- und Bildungserfolge
aufzuweisen. Deswegen schließt Ulrike Schöneberg in ihrer vergleichenden Untersuchung: ”Bemerkenswert ist, daß ähnlich wie bei der
11 Schmidt/ Weick heben hervor, daß nur bei den Spaniern der Anteil derjenigen, die dauerhaft in der Bundesrepubik bleiben wollen, 1995 nicht zugenommen hat.
Vgl. Schmidt/Weick, 1998, S. 3.
7
I. Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
aufenthaltsrechtlichen Absicherung die weitgehende rechtliche
Gleichstellung der Italiener mit den Deutschen sich eher als integrations- bzw. assimilationshemmend auswirkt”.12
rigere Werte als die Türken auf. Schöneberg zweifelt angesichts
dieser verwirrenden Ergebnisse daran, daß die Frankfurter Türken
korrekt geantwortet hätten.14
Die Untersuchung selbst weist allerdings aus, daß die untersuchten Italiener im Raum Zürich sogar stärker hin- und herwandern als
die Italiener in Frankfurt (28 gegenüber 22 Prozent).13 Die Dauer der
Anwesenheit in Deutschland ist bei der italienischen Gruppe auch
nicht derart niedrig, daß dies eine Erklärung für die Integrationsdefizite liefern könnte.
Eine befriedigende Erklärung der Daten läßt sich also anhand von
Erklärungen der nationalen Herkunft, des Alters der Einwanderung
oder der kulturellen Nähe nicht finden. Auch Kriterien der Schulbildung oder der regionalen Herkunft geifen nicht. Sowohl die italienischen Einwanderer in der Schweiz wie die in Deutschland kommen
ganz überwiegend aus Süditalien. Andererseits weisen der außerordentliche ökonomische Erfolg Italiens in den letzten Jahrzehnten
ebenso wie die Daten für die Schweiz darauf hin, daß es unsinnig
wäre, in essentialistischer Weise Defizite bei den Betroffenen zu
suchen. Dies ist zu mechanistisch und nimmt die Betroffenen nur in
einem Objektstatus in Betracht. Gleichwohl ist die Analyse der
Gruppen- und ebenso der Bundesländerstrukturen gerade deswegen
relevant, weil die strukturellen Unterschiede stabil und kontingent
sind und über Jahrzehnte verfolgt werden können, auch wenn sich
für alle Zuwanderergruppen insgesamt schrittweise Integrationsprozesse vollziehen.
Aufenthaltsdauer der über 17 jährigen Ausländerinnen und Ausländer
aus den ehemaligen Anwerbeländern nach Staatsangehörigkeit in NRW
am 31.12.1995 (Anteile der jeweiligen Altersgruppe in %)
Jahre
Griechenland
Italien
ehem. Ju- Portugal
goslawien
Spanien
Türkei
unter 4
8,4 %
7,7 %
40,6 %
16,1 %
5,7 %
7,8 %
4- 5
6,6 %
3,1 %
9,4 %
6,2 %
1,8 %
5,1 %
6- 9
9,1 %
5,7 %
6,0 %
4,4 %
2,5 %
8,1 %
10 - 19
9,7 %
18,6 %
8,5 %
12,8 %
8,0 %
28,5 %
über 19
66,2 %
64,9 %
35,4 %
60,4 %
82,0 %
50,6 %
insgesamt
91.877
117.020
222.609
32.595
38.717
458.466
Quelle: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Hrsg.), Ausländerinnen und Ausländer in
Nordrhein-Westfalen. Zahlenspiegel 1996, Düsseldorf 1997, S. 101.
Eine derartige Erklärung widerspräche auch den Zielen, die
immer wieder für die oberen und mittleren Gesellschaftsschichten
formuliert werden. Dort würde man Bewegungsfreiheit und Souveränität der Entscheidung über das eigene Schicksal zweifellos als
produktiv und nicht als kontraproduktiv interpretieren, ebenso wie
die Kenntnis mehrerer Sprachen. Die Idee der freien Bewegungsfreiheit des Einzelnen liegen genuin auch dem Liberalismus und der
Marktwirtschaft zugrunde. Wäre sie richtig, so hätte dies weitreichende Folgen für unsere Gesellschaftstheorie.
Für unseren Zusammenhang ist nun weiter die Feststellung
wichtig, daß die zweite von Ulrike Schöneberg untersuchte Gruppe
in der Schweiz, die Spanier, in der Untersuchung deutlich schlechter
abschneidet als die Italiener in der Schweiz. Diese haben ein höheres Nettoeinkommen pro Kopf, eine weitaus bessere schweizerische
Berufsausbildung und eine höhere Intermarriage-Rate als die Spanier.
All dies ist zwangslos aus der längeren Anwesenheit der Italiener in
der Schweiz zu erklären. Andererseits zeigen auch die Daten von
Ulrike Schöneberg keine Entsprechung bei den beiden untersuchten
Einwanderergruppen in Frankfurt, den Türken und Italienern. Trotz
der längeren Anwesenheit weisen die befragten Frankfurter Italiener
bei Einkommen und der Berufsbildung im Einwanderungsland nied-
5. Das soziale Kapital der Selbstorganisationen
Schon in der Studie von Ulrike Schöneberg finden sich Aussagen,
die auf eine große Relevanz von Kommunikationsprozessen innerhalb der verschiedenen Gruppen und eine hohe Organisationsdichte
schließen lassen. Dabei zeigen sich gewichtige quantitative Unterschiede, die den Integrationserfolgen entsprechen. Erfolgreiche
Gruppen weisen eine intensivere interne Kommunikation auf und
sind vereinsmäßig höher organisiert.15
Allem Anschein nach ist die Intensität der Kommunikation
innerhalb der Einwanderer-Gruppen sehr unterschiedlich. Versucht
man die Organisationsraten für die Erwachsenen zu schätzen, so
kommt man für die spanische und die griechische Gruppe in
Deutschland für die achtziger Jahre auf etwa fünfzig Prozent. Bei
den anderen Gruppen sind es geringere Werte, die aber gleichwohl
noch beachtlich sind.16 Auch für frühere Migrationen ist Vereinsbildung und Organisation ein charakteristisches Merkmal gewesen.
12 Ulrike Schöneberg, 1982: Bestimmungsgründe der Integration und Assimilation ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, in: Ausländer
in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz. Segregation und Integration: eine vergleichende Untersuchung, hg. von Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny und Karl-Otto
Hondrich, Frankfurt, S. 472. Ganz ähnlich gleichzeitig Barbara von Breitenbach, 1982: Italiener und Spanier als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland,
Mainz/München.
13 Vgl. ebd., S. 458 und 477.
14 Vgl. ebd., S. 460.
15 Vgl. ebd., S. 485f.
16 Dietrich Thränhardt, 1989: Patterns of Organization among Different Ethnic Minorities, in: New German Critique, Nr. 46, Special Issue on Minorities in German Culture,
hrsg. von Russell A. Berman, Azade Seyhan und Arlene Akiko Teraoka, New York, S. 10-26.
8
I Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
Nach den Hinweisen, die sich aufgrund von Veröffentlichungen
und aufgrund von Kontakten mit informierten Personen aus dem
jeweiligen Umfeld ergeben, können die Profile der einzelnen Nationalitäten wie folgt charakterisiert werden:
Effektive autonome Interessenartikulation:
Der spanische Elternverband ist auf der Grundlage vorheriger
lokaler Gründungen 1973 auf Bundesebene etabliert worden.17
Er konnte intensive staatliche und kirchliche Unterstützung gewinnen
und setzte - zum Teil auch gegen deutsche Schulverwaltungen integrativen Unterricht und Hausaufgabenhilfe durch. In der Gründungszeit bestand eine weitgehende Einheit der Willensbildung, die
sich aus der Opposition gegen das Franco-Regime speiste, das sich
in der Endkrise befand. Die Beteiligten selbst sprechen in ironischer
Umkehrung des offiziellen Wahlspruchs der spanischen Polizei
„todos contra la patria“18. Auch Meinungsverschiedenheiten konnten
die Interessenvertretung nach außen nicht beeinträchtigen. Der integrative Erfolg der spanischen Organisationen führt intergenerational
in absehbarer Zeit zum Aufgehen der Gruppe in der deutschen
Bevölkerung. Dies kommt zur Zeit darin zum Ausdruck, daß Seniorenvereine heute der Schwerpunkt der Aktivitäten sind. Die spanischen
Vereine operieren unabhängig vom ursprünglichen Betreuungsverband und arbeiten mit unterschiedlichen Wohlfahrtsverbänden und
anderen Institutionen zusammen.
Heimatbezogene Einheitsverbände:
Die Griechischen Gemeinden in Deutschland entstanden in
Opposition gegen die Militärdiktatur.19 Nach deren Ende fungieren
sie weitgehend als Einheitsverband, andere Organisationen sind
bedeutungslos. Die Führungspositionen werden durch Wahlen
anhand von Parteilisten bestimmt, was eine starke Beziehung der
Organisationseliten auf die griechischen Parteien bedingt.
„Nationale Schulen“ und bilinguale Kindergärten waren vielfach ein
Ziel selbstbewußt formulierter Aktivitäten. Dies hat zu großer
Geschlossenheit der griechischen Gruppe geführt, für die der Ausdruck „Einwandererkolonie“ angemessen ist. Trotz der Differenz
des Konzepts ist der Bildungserfolg fast ebenso hoch wie bei der
spanischen Gruppe, verbunden mit einer weitgehenden Aufrechterhaltung der Herkunfts-Identität.
Klientelistische Politisierung der italienischen Vereine.
Die italienische Regierung finanzierte von Anfang an Stellen zur
Betreuung der italienischen Arbeitskräfte in Deutschland, und zwar
für verschiedene italienische Organisationen (Associazione Cattolica
Lavoratori Italiani, Gewerkschaften, Parteien). Damit gab es professionelle Organisationseliten, die an einem späteren Aufstieg im
Heimatkontext orientiert waren und ehrenamtliche Eliten, die ebenfalls an diesen Kontext gebunden waren. Die italienischen Parteien
hatten ein erhebliches Interesse an den Italienern im Ausland als
Wählern. Die Wahlbeteiligung wurde durch die Freifahrten aus Anlaß
der Wahlen gefördert. Insgesamt entstand so ein doppelter Klientelismus gegenüber dem Betreuungsverband und der Heimatpolitik, der
die Formulierung eigenständiger Interessen eher behinderte. Dies
kommt auch heute noch dadurch zum Ausdruck, daß die meisten
Vereine der Italiener im Gegensatz zu denen der Spanier keine eigene
Rechtspersönlichkeit haben, sondern finanziell von der Caritas
abhängig sind.20 Auch Kammerer resümiert entsprechend: “The
reproduction of the Italian political mosaic seems to favour the links
with Italy at the cost of a better collective interaction with German
society.”21
Diese Struktur kontrastiert der in der Schweiz. Dort hat die
italienische Einwanderung eine ältere historische Kontinuität und ist
insbesonders durch die Tradition des antifaschistischen Exils geprägt,
das intensiv mit der Arbeiterschaft verbunden war und sich gegen
das Mussolini-Regime definierte. Kißler/Eckert konstatieren in einer
lokalen Studie in einem Kölner Wohnviertel bei der Gruppe der
Italiener eine „deutlich geringere interne Verpflechtung“ als bei der
Gruppe der Türken.22
Dualismus bei den ehemaligen Jugoslawen:
Schon vor dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens gab es bei der
Betreuung ebenso wie in der Vereinsstruktur „jugoslawische“ Vereine
mit engen Beziehungen zur damaligen Regierung und „kroatische“
Vereine mit engen Beziehungen zur Caritas.23 Dieser Dualismus
führte zu einer starken Heimatorientierung und einem latenten Konflikt
innerhalb der Gruppe, insbesondere da der kroatisch-katholische
Nationalismus bei den Sozialberatern der Caritas stark ausgeprägt
war.
17 Confederacion de las Associaciones de Padres de Familia e la RFA/ Bund der spanischen Elternvereine in der Bundesrepublik Deutschland, 1979: Lo que somos y hacemos/
Was wir sind, was wir tun, Bonn. Vgl. auch Barbara von Breitenbach, 1978: Der Spanische Elternverein als Mittel zur Willensbildung und Selbstbestimmung spanischer
Arbeitsemigranten in der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden.
18 Interview mit dem “presidente fundador” der Elternvereinigung, Manuel Romano-Garcia, Dezember 1997.
19 Hans Schlumm, 1984: Eine neue Heimat in der Fremde. Die Entwicklung der griechischen Gastarbeiter zu Angehörigen einer Einwanderungsminorität in der Bundesrepublik,
Frankfurt.
20 Hier handelt es sich bereits um ein Ergebnis der vorliegenden Studie.
21 Peter Kammerer 1991: Some problems of Italian immigrants’ organisations in the Federal Republic of Germany, in:(Hg.), Ethnicity, structured inequality, and the state in Canada
and the Federal Republic of Germany, hg. von Robin Ostow, Jürgen Fijalkowski u.a., Frankfurt am Main u.a., S. 196. Eine Darstellung der Entwicklung bei: Edith Pichler, 1997:
Migration, Community-Formierung und ethnische Ökonomie. Die italienischen Gewerbetreibenden in Berlin, Berlin, S. 41-46.
22 Mechtilde Kißler/Josef Eckert, 1990: Multikulturelle Gesellschaft und Urbanität - Die soziale Konstruktion eines innerstädtischen Wohnviertels aus figurationssoziologischer
Sicht, in: Migration. A European Journal of International Migration and Ethnic Relations, S. 43-79.
23 Vgl. Dietrich Thränhardt, 1983: Ausländer im Dickicht der Verbände - Ein Beispiel verbandsgerechter Klientenselektion und korporatistischer Politikformulierung, in:
Sozialarbeit und Ausländerpolitik, hg. von Franz Hamburger u.a., Neuwied 1983, S. 63 (Neue Praxis, Sonderheft 7).
9
I Einführung:
Selbstorganisationen von Zuwanderern:
Relevanz, Charakteristika und soziales Kapital
Symbolischer Extremismus bei den Türken:
Der Beginn der Einwanderung der Türken fiel mit der Zuspitzung
der innenpolitischen Konflikte zusammen, der in den Militärputsch
1980 mündete. Zugleich wurde die Repression gegen die Kurden fortgeführt. Dies hatte zur Folge, daß Deutschland zum Austragungsort
von in der Türkei unterdrückten Konflikten und zum Finanzierungsraum für politische Organisationen wurde.24 Ein weiterer Effekt
dieser Situation war es, daß türkische Organisationen sich gegenseitig gegenüber der deutschen öffentlichen Meinung denunzierten
und auf diese Weise Schreckbilder schufen, die bis heute weit über
die faktische Relevanz hinaus lebendig geblieben sind, insbesondere
das des „Grauen Wolfes“ und des „islamischen Fundamentalisten“.
Dies trug tendenziell zur Stigmatisierung der Türken und Kurden
bei.
Einige der im Kontext der Einwanderung bis 1973 gegründete
Gruppen sind nach wie vor existent, so etwa die „Griechischen
Gemeinden“. Über die Organisationen selbst hinaus hat sich aber
allem Anschein nach zu Beginn der Einwanderung eine Phase der
Formierung ergeben, in der bestimmte Organisations- und
Aktivitätsmuster entstanden, die dann in einem hohen Maß kontingent weiterwirkten. Vergleichbar sind diese Muster und Strukturen
mit denen der Parteiensysteme, die seit dem Epoche machenden
Aufsatz von Lipset und Rokkan als cleavage structures beschrieben
worden sind. Solange sich keine grundlegenden Veränderungen
ergeben, wirken solche Strukturen fort und entfalten eine hohe
Eigendynamik.
Münster, 18. Juli 1998
Dietrich Thränhardt
Bemerkenswert ist die Kontinuität der Organisationsmuster der
einzelnen Nationalitäten, obwohl immer wieder neue Organitionen
entstanden sind. So ist bemerkenswert, daß sich bei den spanischen
Einwanderern immer wieder der Typ der produktiv an Integrationsund Lebensproblemen arbeitende Gruppe zeigt, die sich mit der
deutschen Umwelt auseinandersetzt, während die italienische und
die griechische Gruppe stärker heimatbezogen operieren. Zum Teil
sind auch bis heute die gleichen Aktivisten tätig. Wir können beispielsweise Persönlichkeiten identifizieren, die um 1970 einen Elternverein gegründet haben, sich in den achtziger Jahren in der Weiterbildung engagierten und in den neunziger Jahren einen Seniorenverein ins Leben gerufen haben.
24 Ahmet Sezer/ Dietrich Thränhardt, 1983: Türkische Organisationen in der Bundesrepublik, in: Karl-Heinz Maier-Braun/ Yüksel Pazarkaya (Hrsg.), Die Türken. Berichte und
Informationen zum besseren Verständnis der Türken in Deutschland, Frankfurt, S. 119-154.
10
II. Bestandsaufnahme der Potentiale und Strukturen von Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten mit Ausnahme
der Selbstorganisationen türkischer, kurdischer, bosnischer und
maghrebinischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen
Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
1.1 Migrationshistorischer Überblick
Deutschland ist ein Land mit einer weit zurückreichenden Einund Auswanderungstradition, wobei der Region des heutigen
Nordrhein-Westfalen immer wieder eine bedeutende Rolle zukam.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein kann Deutschland als Auswanderungsland charakterisiert werden, allein in den Jahren zwischen 1830 und
1920 emigrierten über 5 Millionen Deutsche in Erwartung besserer
ökonomischer Verhältnisse nach Amerika, nach Kanada oder nach
Australien. Gleichermaßen kam es bereits in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts zu bedeutenden Einwanderungsbewegungen.
Aufgrund der hohen Beschäftigungsmöglichkeit in Bergbau und
Industrie verfügte das Ruhrgebiet über beträchtliche Aufnahmekapazitäten und erwuchs schnell zu einem der bedeutendsten Aufnahmegebiete in Deutschland. Das bekannteste Beispiel ist die Einwanderung preußischer Staatsbürger mit polnischer Muttersprache, den
sog. Ruhrpolen1, doch auch russische und italienische Migranten
gehörten zu den ausländischen Arbeitskräften. Bezogen auf das Jahr
1914 wird die Anzahl fremdsprachiger Arbeiter im Ruhrgebiet
zwischen 350.000 und 500.000 Personen geschätzt.
Im ersten Weltkrieg wurden neben russisch-polnischen Saisonarbeitern auch Kriegsgefangene in der Kriegswirtschaft eingesetzt;
ihre Anzahl wird in der Literatur auf über zwei Millionen beziffert.
Im zweiten Weltkrieg wurden über sieben Millionen ausländische
Zivilarbeiter und Kriegsgefangene zur Aufrechterhaltung der kriegswichtigen Produktion beschäftigt, wobei die Kriegsgefangenen unter
oft menschenunwürdigen Bedingungen zur Arbeit gezwungen
wurden.
Nach Kriegsende wurden die meisten nun als ‘displaced people’
bezeichneten Zwangsarbeiter in ihren Heimatländer repatriiert, zum
Teil wanderten sie im Rahmen des von den Alliierten durchgeführten
‘resettlements’ nach Kanada, Australien, in die Vereinigten Staaten
und nach Israel aus. Etwa 100.000 von ihnen blieben in Deutschland,
vorwiegend in Nordrhein-Westfalen. Nach 1950 erklärte sich die
Bundesrepublik für diesen Personenkreis zuständig und überführte
ihn in den Rechtsbegriff ‘Heimatlose Ausländer’. Diesen Rechtsstatus
haben sie in der Regel noch heute inne, der Erwerb der deutschen
Staatsangehörigkeit vollzieht sich primär über Ehen mit Deutschen.
Bis zum Bau der Mauer 1961 war Deutschland zudem durch
starke Zuwanderungsbewegungen von Vertriebenen aus den ehemals
deutschen Ostgebieten sowie von DDR-Flüchtlingen gekennzeichnet.
1960 betrug der Anteil der Zugewanderten mit 10 Millionen vertriebenen und 3 Millionen aus der DDR übergesiedelten Personen 24%
der Gesamtbevölkerung.2
Demgegenüber blieb die Zuwanderung von Ausländern in den
ersten Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik sehr gering; in
den fünfziger Jahren betrug ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung
weniger als 1%. Gleichzeitig verzeichnete die deutsche Wirtschaft
einen starken Aufstieg. Mitte der fünfziger Jahre stand der in
bestimmten Sektoren noch vorherrschenden Arbeitslosigkeit in
anderen Branchen bereits ein Arbeitskräftemangel gegenüber; schon
1953/54 sprach sich der württembergische Bauernverband für die
gezielte Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer aus; 1960 war das
erste Jahr der Vollbeschäftigung im Sinne gewerkschaftlicher Zielvorstellungen. Um die prosperierende wirtschaftliche Entwicklung
nicht zu behindern und um gleichzeitig den Zuzug ausländischer
Arbeitskräfte regulieren zu können, wurden schon bald bilaterale
Anwerbevereinbarungen mit verschiedenen südeuropäischen und
nordafrikanischen Staaten getroffen, denen die Vorstellung einer
zeitlich befristeten Arbeitsaufnahme junger ausländischer Männer
zugrunde lag, die nach dem Auslaufen ihrer Arbeitsverträge mit
Ersparnissen und technischem Know-How wieder in ihre Heimat
zurückkehren sollten:
1955
1960
1960
1961
1963
1964
1965
1968
Italien
Spanien
Griechenland
Türkei
Marokko
Portugal
Tunesien
ehemaliges Jugoslawien
1 Vgl. Christoph Kleßmann, 1993: Einwanderungsprobleme im Auswanderungsland: das Beispiel der „Ruhrpolen“, in: Deutsche im Ausland, Fremde in Deutschland. Migration in
Geschichte und Gegenwart, hg. von Klaus. J. Bade, München, Sonderauflage (künftig zitiert: Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland), S. 303-310.
2 Vgl. Dietrich Thränhardt/Renate Dieregsweiler/Bernhard Santel, 1994: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein-Westfalen. Die Lebenslage der Menschen aus den ehemaligen
Anwerbeländern und die Handlungsmöglichkeiten der Politik, Landessozialbericht Bd. 6, hg. vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen, Düsseldorf (künftig zitiert: Thränhardt/Dieregsweiler/Santel, 1994), S. 32-34, sowie Zuwanderung in Nordrhein-Westfalen. Situation, Perspektiven und Anforderungen
an eine zukunftsorientierte Integrationspolitik, Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Zuwanderung“ der Landesregierung, hg. vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1995, S. 6f.
11
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
Die Anwerbeverträge lagen im Interesse sowohl der deutschen
Wirtschaft als auch der Anwerbestaaten, die hohe Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen hatten. Nicht zuletzt versprachen sich auch
die Zuwanderer selber eine positive Lebensperspektive von ihrem
vorübergehenden Arbeitsaufenthalt in Deutschland. Der zeitlich
befristete Charakter der Einwanderung wurde anfangs sowohl von
den ausländischen Arbeitnehmern selber wie auch von der deutschen
Bevölkerung akzeptiert. Diese Haltung wurde insbesondere auch
durch die schnelle Etablierung des nichtamtlichen Begriffs des
„Gastarbeiters“ im öffentlichen Sprachgebrauch mehr als deutlich.
Die Anwerbephase bis 1973 war durch einen kontinuierlichen
Anstieg der Zahl ausländischer Beschäftigter gekennzeichnet, die
nur in der Rezessionsphase 1966/67 unterbrochen wurde. Im Zuge
dieses wirtschaftlichen Einbruchs verließen nahezu die Hälfte der
angeworbenen Arbeitnehmer Deutschland, was die ihnen zugewiesene
konjunkturelle Pufferfunktion sehr plastisch werden ließ. Bis 1973
erhöhte sich der Anteil der ausländischen Bevölkerung mit
4 Millionen Menschen auf 6,5% an der Gesamtbevölkerung. Dabei
wurden die ausländischen Arbeitnehmer vorwiegend in Zentralbereichen der industriellen Produktion als un- und angelernte Arbeitskräfte eingesetzt.
„Menschen ausländischer Staatsangehörigkeit, die seit Jahrzehnten dauerhaft in der Bundesrepublik leben, ihre hier geborenen
und aufgewachsenen Kinder oder sogar schon Enkel, sind im rechtlichen Sinne zwar zumeist nach wie vor Ausländer, aber doch längst
nicht mehr Fremde mit deutscher Aufenthaltsgenehmigung, sondern
Einheimische mit fremdem Paß. In Lebensformen, Mentalitäten und
Selbstverständnis dominieren Zwischen- und Übergangsformen, die
in der Diskussion um den multikulturellen Alltag der paradoxen
Einwanderungssituation in Deutschland entsprechend paradox umschrieben werden als ‘einheimische Ausländer’, ‘ausländische
Inländer’ bzw. ‘inländische Ausländer’ und als ‘ausländische Bindestrich-Deutsche’ in einem ‘Nicht-Einwanderungsland mit Einwanderern’.“3
Auch nach dem Anwerbestopp 1973 wuchs die ausländische
Bevölkerung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen immer
mehr an. Zugenommen hat dabei insbesondere der Anteil asiatischer
und afrikanischer sowie osteuropäischer Migranten. In NordrheinWestfalen leben derzeit Menschen mit über 180 verschiedenen
Staatsangehörigkeiten.4
Der als Folge der ersten Ölkrise 1973 verhängte Anwerbestopp
für ausländische Arbeitnehmer setzte dieser Entwicklung ein abruptes
Ende. Gleichwohl bewirkte dieser Schritt entgegen seiner Intention
keine Abnahme der Ausländerzahlen in Deutschland, sondern wirkte
in Richtung einer Umschichtung der nationalen wie demographischen Struktur. Aufgrund der über die Römischen Verträge garantierten, bereits geltenden oder in Aussicht stehenden Freizügigkeit
sowie der oft positiven wirtschaftlichen und politischen Entwicklung
in den Herkunftsländern wanderten in den folgenden Jahren viele
Arbeitnehmer aus EU-Ländern zurück, während die Arbeitskräfte aus
Nicht-EU-Staaten häufig eher krisenhaften Entwicklungen in ihren
Herkunftsländern gegenüberstanden und für sie im Fall einer Rückkehr die Wiedereinreise zum Zweck der Arbeitsaufnahme in der
Regel nicht möglich war. Diese Gegebenheiten führten zunehmend
zu einer Entscheidung für einen Daueraufenthalt in Deutschland,
was einen verstärkten Familiennachzug zur Folge hatte. Somit veränderte sich die Struktur der ausländischen Bevölkerung zum einen
in Richtung von Nicht-EU-Angehörigen, des weiteren stellte sich
eine zunehmende Feminisierung und Verjüngung und somit eine
Normalisierung der demographischen Situation ein.
Die ausländische Bevölkerung näherte sich bezüglich Erwerbs-,
Geschlechts- und Altersquote der einheimischen Bevölkerung immer
mehr an. Auch bezüglich des Aufenthaltsstatus wurden immer festere
Aufenthaltstitel erreicht, so daß mittlerweile eine rechtlich weitgehend gesicherte Aufenthaltssituation besteht. Der vorübergehende
Aufenthalt ist für die Migranten zu einer echten Einwanderungssituation geworden, auch wenn diese seitens der Bundesregierung
immer wieder dementiert wird:
3 Klaus J. Bade, 1993: Einheimische Ausländer: ‘Gastarbeiter’, Dauergäste, Einwanderer (künftig zitiert: Bade, 1993), in: Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland, S. 393-401,
hier S. 398.
4 Vgl. Hans Dietrich Loeffelholz/Dietrich Thränhardt, 1996: Kosten der Nichtintegration ausländischer Zuwanderer, hg. vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des
Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, sowie Thränhardt/Dieregsweiler/Santel, 1994, S. 34-37.
12
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
1.2 Aktuelle Bevölkerungssituation in
Nordrhein-Westfalen
Insgesamt leben 82 Millionen Menschen in Deutschland, von
denen 9% oder 7,3 Millionen über keinen deutschen Paß verfügen.
In Nordrhein Westfalen liegt der Anteil der Migranten mit 11% an
der Gesamtbevölkerung leicht über dem Bundesdurchschnitt. Im
Vergleich nach Bundesländern leben im bevölkerungsreichsten Land
Nordrhein-Westfalen mit fast 2 Millionen die meisten Migranten,
im prozentualen Vergleich weisen neben den Stadtstaaten nur Hessen
und Baden-Württemberg einen höheren Ausländeranteil auf.
In bezug auf Herkunftsregionen sind Migranten europäischer
Herkunft mit 84% am stärksten vertreten; außerdem leben in NRW
zu 9% Migranten asiatischer und zu 5% Einwanderer afrikanischer
Herkunft. Die deutlich größte Gruppe stellen mit 35% aller Migranten
die Staatsangehörigen aus der Türkei, gefolgt von den Staatsbürgern
Jugoslawiens, Italiens und Griechenlands. Insgesamt weisen
Migranten aus 13 Nationalitäten über 30.000 Einwohner in Nordrhein-Westfalen auf.
Bezogen auf unsere Untersuchung werden Migranten nordeuropäischer, nordamerikanischer, kanadischer, japanischer und australischer Herkunft nicht berücksichtigt. Somit gehen ca. 90% aller in
Nordrhein-Westfalen erfaßten Einwanderer in die Gesamtstudie ein.
Zudem fallen die Organisationen der statistisch nicht als Gruppe
erfaßten Kurden sowie die Staatsangehörigen aus der Türkei, BosnienHerzegowina, Algerien, Marokko und Tunesien im Rahmen dieser
Studie in den Bearbeitungsbereich des Zentrums für Türkeistudien.
Bezüglich der Staatsbürger aus den Maghrebstaaten muß darauf verwiesen werden, daß sie zwar insgesamt nur einen recht geringen
Anteil der in NRW ansässigen Migranten stellen, innerhalb der
afrikanischen Bevölkerungsgruppe in NRW jedoch 60% ausmachen.
Diese Einschränkung muß bei den folgenden Aussagen über Selbstorganisationen afrikanischer Herkunft berücksichtigt werden.
Dabei liegt die Aufenthaltsdauer der meisten Migranten in
Nordrhein-Westfalen sehr hoch: 56% der über 16-jährigen leben seit
über 15 Jahren in Deutschland, weitere 6% sind bereits länger als
10 Jahre hier.5
Somit gehen in diesen Teil der Untersuchung 48% der Migranten
ein, über deren Selbstorganisationen Aussagen getroffen werden
sollen. Im folgenden beziehen sich alle Aussagen immer nur auf
diesen für unsere Studie relevanten Bevölkerungsteil.
* Staatsangehörige Kroatiens, Bosnien-Herzegowinas, Makedoniens und Sloweniens werden in der deutschen
Statistik zum Teil noch als Jugoslawien gezählt.
Quelle: MAGS (Hg.), 1997: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein-Westfalen, Zahlenspiegel 1996
Düsseldorf sowie eigene Berechnungen
5 Es empfiehlt sich, in die Berechnung der Aufenthaltsdauer nur die über 16-jährigen Migranten einzurechnen, weil in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern mit
ihrem Lebensalter in die Aufenthaltsstatistiken eingehen und somit die Gesamtaufenthaltsdauer stark drücken, obwohl sie ihren Lebensmittelpunkt ihr ganzes Leben ausschließlich
in Deutschland hatten.
13
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
1.3 Entwicklungsgeschichte der Selbstorganisationen von Migrantinnen und
Migranten
Es ist ein charakteristisches Merkmal für Einwanderungsländer,
stetig mit neuen Verhaltensweisen, Wertvorstellungen und Lebensentwürfen konfrontiert zu werden, während sich parallel dazu Homogenisierungsprozesse vollziehen. Innerhalb dieser Dynamik wechseln
die als besonders fremd erscheinenden Einwanderungsgruppen. Hier
handelt es sich um eine Entwicklung, die auch in der deutschen
Einwanderungsgeschichte nachvollzogen werden kann. So wurden
Menschen aus den früheren europäischen Anwerbeländern als kulturell anders und fremdartig konstruiert, während sie der deutschen
Bevölkerung gegenwärtig als kulturell nahestehend empfunden werden
und die besondere Andersartigkeit auf jüngere Einwanderungsgruppen projiziert wird. In der Realität können die einzelnen Einwanderungsgruppen jedoch keineswegs als homogen betrachtet werden,
vielmehr differenzieren auch sie sich durch Alter, Bildung, Beruf,
Geschlecht, Familienstand, ökonomische Situation, Migrationsgrund
etc.. Diese Verschiedenartigkeit impliziert unterschiedliche Möglichkeiten, sich in einer neuen Gesellschaft durch individuelle oder kollektive Selbsthilfe bzw. durch die Annahme fremder Unterstützungsangebote zurechtzufinden. Im Zusammenspiel mit den strukturellen
Bedingungen des Einwanderungslandes bestimmen diese Möglichkeiten die Inhalte und Handlungsweisen der Netzwerke von Migranten
und Migrantinnen, was in der Konkretion bedeutet, „daß sich beispielsweise die Netzwerke von Migranten, die als Werkvertragsarbeiter legal befristet auf Berliner Baustellen arbeiten (und vielleicht
auch wohnen), anders zusammensetzen und andere Funktionen
erfüllen als die Netzwerke von polnischen Frauen, die ohne Arbeitsund Aufenthaltsgenehmigung in privaten Haushalten als Putzfrauen
tätig sind.“6 Netzwerke von Einwanderern können sich sowohl in
formal bestehenden Vereinen und Organisationen ausdrücken als
auch in informellen Beziehungen und communities von Migranten.
Communities gibt es bei fast allen Einwanderungsgruppen; sie bieten
auf der einen Seite informelle Strukturen im Einwanderungsland
und reproduzieren zum anderen bereits im Herkunftsland bestehende
Beziehungen.7 Eng verbunden mit den ethnischen Gemeinschaften
sind häufig durch Kettenmigration entstandene segregierte Siedlungskolonien. Sie können jedoch nicht einseitig als bewußte Abkapselung
von der Aufnahmegesellschaft bewertet werden, sondern ermöglichen
den Neuzugewanderten durch die Stärkung der Binnenintegration
auch die Voraussetzungen für eine positive Integration in die neue
Gesellschaft und dienen somit als Indiz für einen echten Einwanderungsprozeß.8
Parallel zu der Herausbildung der auf informellen Kontakten
beruhenden ethnic communities vollzog sich in Deutschland jedoch
auch ein Prozeß der Gründung formaler Organisationen und
Vereine. Schon die polnischen Einwanderer gründeten als Reaktion
auf die seit 1890 verschärfte Germanisierungspolitik des preußischen
Staates eigene Vereine, Kirchengemeinden und eine Gewerkschaft.9
Zudem übernahm die Caritas bereits im 19. Jahrhundert die Betreuung sowohl dieser als auch der italienischen Einwanderungsgruppe,
1896 wurde das erste „Italienische Arbeiter-Secretariat“ eingerichtet,
das in der Folgezeit mehrere Büros eröffnete, die 1908 offiziell dem
Caritas-Verband angegliedert wurden.10 Die Tradition der Betreuung
durch die Wohlfahrtsverbände wurde mit der Massenanwerbung ausländischer Arbeitskräfte in den fünfziger und sechziger Jahren fortgesetzt, ohne jedoch gesetzlich oder durch Erlasse geregelt worden
zu sein. Durch informelle Gespräche zwischen Vertretern des
Staates und der Verbände wurden die Migranten nach ihrer Konfessionszugehörigkeit aufgeteilt, so daß sich die Zuständigkeit der
Caritas auf italienische, spanische und portugiesische Migranten
erstreckte, wobei sie auch jugoslawischen Staatsangehörigen Angebote machte. Dem Diakonischen Werk wurde vornehmlich die
Betreuung der griechischen und der Arbeiterwohlfahrt die der türkischen, jugoslawischen, marokkanischen und tunesischen Einwanderer
übertragen. „Die Verbände übernahmen die Betreuung, aber auch
die Advokatenfunktion.“11 So waren die im Rahmen der Sozialbetreuung eingerichteten Treffpunkte und Vereine für Migranten inhaltlich häufig stark von den jeweiligen Trägern abhängig.12
Die Betroffenen wurden bei der Artikulation und der Lösung ihrer
Probleme durch die Verbände in den ersten Jahrzehnten weitgehend
ausgeschlossen, da eine institutionalisierte demokratisch legitimierte
Interessenvertretung fehlte. Dieses Defizit fand seinen Niederschlag
auch in der Gründung von Organisationen und Vereinen, die sich
unabhängig von diesem fest verankerten und vom Staat finanziell
subventionierten Betreuungssystem etablierten.13 Dabei handelt es
sich um deutsche Initiativgruppen, um herkunftshomogene sowie
um herkunftsheterogene Migrantenorganisationen.
6 Frauke Miera, 1997: Neue Polonia in Berlin?, in: WZB-Mitteilungen 75, März 1997, S. 18-21, hier S. 18.
7 Vgl. Brief des Vorsitzenden der Deutsch-Burundischen Gesellschaft, Ralf Buttermann, vom 7. Juni 1997 an die Autorin dieser Studie.
8 Vgl. Bade, 1993, S. 397. Kontrovers diskutiert bei Rosemarie Sackmann, 1997: Migranten und Aufnahmegesellschaften, in: Zuwanderung und Stadtentwicklung, hg. von
Hartmut Häußermann und Ingrid Oswald, Leviathan Sonderheft Nr. 17 (künftig zitiert: Zuwanderung und Stadtentwicklung), S. 42-59, bes. S. 47-51.
9 Zur Dialektik zwischen Separierung und Integration der polnischen Netzwerke vgl. Walter Siebel, 1997: Die Stadt und ihre Zuwanderer, in: Zuwanderung und Stadtentwicklung,
S. 30-41, bes. S. 36f.
10 Vgl. 100 Jahre Sozialberatung für Italiener, in: Informationsdienst der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 4/1996, S. 1.
11 Dietrich Thränhardt, 1993: Marginalisierung, Klientelisierung, Bürgerrechte. Die Unterschiede des Sozialstatus und der Vereinigung neuer Minderheiten in Europa, in: Intermediäre
Nonprofit-Organisationen in einem Neuen Europa, hg. von Rudolph Bauer, Rheinfelden/Berlin, S. 155-163, hier S. 161.
12 Zur Bedeutung des Systems der Ausländer-Sozialberatung vgl. auch Kap. 3.4: Zugehörigkeit zu Dachverbänden.
13 Vgl. Martin Breuer, 1984: Ausländer-Betreuung und Ausländer-Selbsthilfe in Nordrhein-Westfalen (künftig zitiert: Breuer, 1984), in: Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden. Eine vergleichende Bestandsaufnahme, hg. von Dietrich Thränhardt, Bocholt (künftig zitiert: Ethnische Minderheiten in der
Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden), S.164-185, hier S. 174.
14
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
1.3.1 Deutsche Initiativgruppen
Zu Beginn der Anwerbung lebten die eingereisten ausländischen
Arbeitskräfte oft unter menschenunwürdigen Bedingungen, wobei
sie anfangs über keine Strukturen zur Ausbildung einer effektiven
Interessenvertretung zur Verbesserung ihrer Situation verfügten.
Gleichzeitig wurde diese Gruppe seitens der deutschen Mehrheitsbevölkerung vielfach nur unter wirtschaftlichen ‘Verwertungsgesichtspunkten’ wahrgenommen, was eine Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben zur Folge hatte.
In dieser Situation gründeten sich vielerorts deutsche Initiativgruppen, die die alltägliche Situation der angeworbenen Migranten
und ihrer nachgezogenen Familien zum Anknüpfungspunkt ihrer
Arbeit nahmen. Hier lagen in der Regel keine formalen Verknüpfungen
mit Wohlfahrtsverbänden, Kirchen oder anderen etablierten Trägern
vor, vielmehr handelte es sich mehrheitlich um selbstverwaltete
Gruppen oder kleinere Vereine. Innerhalb des Initiativbereichs können
zwei verschiedene Formen differenziert werden. Zum einen waren
humanistisch-idealistische Gründe für das Engagement ausschlaggebend; Migranten sollten bei ihren Problemen Hilfsangebote erhalten.
Die thematischen Schwerpunkte dieser Initiativen bezogen sich in
der Regel auf außerschulische Hilfestellungen für die Kinder, auf
Unterstützungsangebote im Arbeits- und Wohnbereich, auf Beratungen bezüglich juristischer Fragestellungen sowie auf eine Verbesserung des kulturellen Austausches zwischen den Migranten und der
deutschen Bevölkerung. In das vorherrschende Subsidiaritätssystem
eingebettet, wurde staatliche und wohlfahrtsverbandliche Sozialarbeit durch diese Initiativen teilweise substituiert, weiterhin trugen
Defizitbereiche der staatlichen Sozialpolitik vor allem im Kindergarten- und Schulbereich zur Gründung der Initiativen bei. Durch
Arbeit von Deutschen für Migranten sollten sprachliche und schulische Defizite behoben und ausgeglichen sowie Eingliederungshilfen
initiiert werden. Erfolge dieser Kampagne lagen sicherlich in einer
Sensibilisierung breiter Bevölkerungsschichten für die Situation der
Migranten wie in der tatsächlichen Unterstützung der Betroffenen
bei vielen Alltagsproblemen. Gleichzeitig waren diese Initiativen
häufig durch eine starke Diskontinuität geprägt. Wesentlich für das
Scheitern vieler Initiativen war jedoch auch die fehlende Integration
der Zielgruppen selbst in diese Bewegung, so daß auch hier der
Betreuungsaspekt gegenüber der Emanzipation im Vordergrund
stand. An diesem Punkt setzt die Arbeit der zweiten Form der
deutschen Initiativgruppen an, die sich durch eine gleichberechtigte
Initiativpolitik von Einheimischen und Zuwanderer sowie durch die
Unterstützung der Selbsthilfebestrebungen letzterer auszeichnet.
Die Initiativarbeit für Migranten entwickelte sich zu einer Zusammenarbeit, in deren Verlauf zum einen Professionalisierungsbestrebungen in Richtung einer Etablierung fester Anlaufstellen sowie der
Einstellung von Fachpersonal deutlich wurden, zum anderen aber
auch inhaltliche Ausdifferenzierungen vorgenommen wurden, so
daß sich bestimmte Initiativen mit ihren Angeboten auf konkrete
Zielgruppen wie Kinder, Jugendliche, Frauen oder Erwerbstätige
konzentrierten. Weiterhin ist diese Form der gleichberechtigten
Kooperation durch eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit sowie eine
zunehmende Politisierung gekennzeichnet.14
Einige dieser Organisationen verloren im Laufe der Zeit ihren
deutschen Initiativcharakter und konnten sich sowohl personell als
auch strukturell zu Migrantenorganisationen entwickeln.
1.3.2 Herkunftshomogene Selbstorganisationen
von Migrantinnen und Migranten
Neben dem Engagement im öffentlich geförderten System der
Ausländer-Sozialarbeit oder innerhalb des deutschen Initiativbereichs
bildeten sich sehr schnell eigene Migrantenorganisationen heraus,
die aufgrund der Sprachkenntnisse und kulturellen Eigenarten, aber
auch aufgrund ihrer Ausgrenzung aus dem deutschen Organisationssystem in der Regel herkunftshomogen strukturiert waren. In den
70er Jahren hatten alle größeren Migrantengruppen aus der Anwerbezeit ihr Organisationswesen etabliert. In diesem Prozeß weisen die
Einwanderer unterschiedlicher ethnischer Herkunft auch eine jeweils
unterschiedliche Organisationsgeschichte auf, die im folgenden
exemplarisch beleuchtet werden soll.
Migrantinnen und Migranten aus Italien
Als Angehörige des Staates, der als erster ein bilaterales Anwerbeabkommen mit Deutschland geschlossen hatte, entwickelten die
Italiener eine Organisationsstruktur, die bereits sehr früh eine enge
Anbindung an die Katholischen Italienischen Missionen aufwies,
aus der der Emigrantenverband FAIEG hervorging. Daneben dominierte eine Vereinslandschaft, die durch einen festen Bezug zum
italienischen Parteien- und Gewerkschaftswesen gekennzeichnet und
in nur geringem Maße auf die Situation in der Einwanderungsgesellschaft ausgerichtet war.15
Migrantinnen und Migranten aus Spanien
Demgegenüber waren die Bestrebungen der Organisationen der
spanischen Einwanderer sehr früh auf eine effektive Interessenvertretung in Deutschland ausgerichtet. Zwischen 1960 und 1967 bildeten sich von der Caritas geförderte Zentren mit religiösem Hintergrund, politische Vereinigungen, die entweder unter der Schirmherrschaft des spanischen Konsulates standen oder von oppositionellen
Parteien und Gewerkschaften organisiert wurden, sowie Sportvereinigungen heraus. Seit 1967 entstand jedoch eine Basisbewegung,
die sich auf der einen Seite gegen die Franco-Diktatur formierte, die
aber gleichzeitig gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen thematisierte und gegen sie vorging. Erste bundesweite Vernetzungen
konnten bei den Kindergeldaktivitäten Mitte der 70er Jahre konstatiert werden. Im Zuge einer verstärkten Familienzusammenführung
trat der Einwandererstatus immer stärker in den Vordergrund, insbesondere durch die Defizitanalyse für spanische Kinder im deutschen
14 Vgl. Rolf-D. Haug, 1985: Initiativgruppen in der Ausländerarbeit und Selbstorganisation der Ausländer. Verbreitung, Bedeutung, Möglichkeiten, in: Ausländerpolitik und Ausländerintegration in Belgien, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Dietrich Thränhardt (künftig zitiert: Ausländerpolitik und Ausländerintegration in
Belgien, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland), S. 103-129, hier. S. 104-108.
15 Zur Organisationsgeschichte der Migranten italienischer Herkunft vgl. Kapitel 3.3: Rechtsform. Vgl. auch Ursula Apitzsch, 1980: Italienische Emigrantengruppen in der BRD.
Klientel der Sozialbetreuung oder Selbstorganisation?, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit, Nr. 4, S. 81f.
15
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
Bildungssystem.16 Konsequenz dieser Erkenntnis war die Gründung
der spanischen Elternvereine, die sich zum Teil direkt als Basisorganisationen formierten. Um in Deutschland sowohl gegenüber dem
Herkunftsland als auch gegenüber der Bundesrepublik durch eine
legitimierte Interessenvertretung repräsentiert zu werden, zielten
weitere Bestrebungen auf die Koordination der einzelnen Vereine
auf Bundesebene. Durch die Gründung des Bundesverbandes der
spanischen Elternvereine sowie des Bundesverbandes spanischer
sozialer und kultureller Zentren, deren Orientierung vornehmlich
auf die Situation in Deutschland ausgerichtet war, wurde eine koordinierte Interessenvertretung der Migranten gegenüber offiziellen
Stellen erreicht.17
Migrantinnen und Migranten aus Griechenland
Ein Element der griechischen Tradition besteht darin, selbst bei
dauerhafter Auswanderung möglichst an der nationalen und kulturellen Identität festzuhalten. Dieses Bewußtsein wird auch in den
Organisationsbestrebungen der nach Deutschland eingewanderten
Migranten deutlich. Die griechischen Einwanderer haben sich relativ
schnell in verschiedensten Organisationen und Vereinen organisiert.
Bereits 1961 wurden die ersten Arbeitergemeinden gegründet, die
sich ihrem Selbstverständnis nach auch als tatsächliche Arbeitergemeinden verstanden und somit ihre Hauptziele auf die Vertretung
der Arbeitnehmerinteressen legten. Insofern war eine Zusammenarbeit mit deutschen Gewerkschaften in den ersten Jahren von zentraler Bedeutung. Bereits 1965 schlossen sich die Arbeitergemeinden
in einem großen Dachverband zusammen, dem Verband der Griechischen Gemeinden in der BRD (OEK), was zur Folge hatte, daß
sich die ehemaligen Arbeitergemeinden fortan als nationale Gemeinden definierten, auch wenn der faktische Bezug zu Arbeitnehmerinteressen vielerorts erhalten blieb. Wenige Monate nach der
Gründung der OEK setzte König Konstantin in einem Palastputsch
den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Papandreou ab,
wodurch der Weg zur Diktatur geebnet wurde. Die neue reaktionärmonarchistische Regierung überwachte die Aktivisten der Griechischen Gemeinden sowie deren Aktivitäten von Anfang an. Während
der Diktatur distanzierten sich die einzelnen griechischen Gemeinden
ebenso wie ihr Dachverband offiziell vom griechischen Regime.
Regime-loyale Gruppen organisierten sich im Verband der Griechen
in Deutschland, der nach dem Sturz der Diktatur jedoch stark an
Bedeutung verlor, wohingegen der Verband der Griechischen
Gemeinden durch einen erneuten Massenzulauf gekennzeichnet war.
Innerhalb der Verbandsführung wurden in der Folgezeit die in
Griechenland stattfindende Parteienkonkurrenz zwischen Konflikten
von Anhängern der orthodox-kommunistischen Gruppen der KKE
und den PASOK-orientierten Vereinigungen reproduziert.
Neben den parteipolitischen Auseinandersetzungen geriet in der
griechischen Einwanderungsgruppe die schulische Integrationspolitik zu einem zentralen Streitthema. Während alle Parteien
Griechenlands, die griechische Regierung und auch die OEK die
Einrichtung griechischer Nationalschulen forderten, stieß dieses
Bildungskonzept auf den erbitterten Widerstand verschiedener griechischer Elterninitiativen, die sich entsprechend dem spanischen
Modell für die volle Integration ihrer Kinder in das deutsche Schulwesen einsetzten. Diese Kontroversen führten neben den innergriechischen ebenfalls zu spürbaren Spannungen zwischen deutschen
Institutionen und der OEK.
Neben den Griechischen Gemeinden, deren Dachverband nach
aktuellen Angaben 124 Mitgliedsorganisationen umfaßt, was auf
seine Dominanz unter den griechischen Organisationen schließen
läßt, haben sich weitere Vereine herausgebildet, die nach regionalen
Kriterien sowie nach funktionsspezifischen und zielgruppenorientierten Merkmalen differenziert sind.18
Migrantinnen und Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien
Die Migranten jugoslawischer Herkunft waren seitens ihres
Herkunftsstaates dazu angehalten worden, sich nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten der Bundesrepublik zu mischen, wodurch
eine klare Interessenartikulation von vornherein gehemmt war. Der
Hauptgrund dafür war, daß die jugoslawische Regierung ihre Staatsbürger als einen Bestandteil der jugoslawischen Arbeiterschaft definierte, somit stärker als alle anderen Herkunftsstaaten auf deren
Rückkehr setzte und in diesem Sinne auf den Erhalt ihrer Integrität
und ihrer nationalen Identität drängte.
Aufgrund mangelnder Angebote seitens der Aufnahmegesellschaft, die den Erhalt der kulturellen Gewohnheiten und vorhandene Remigrationsabsichten stärken, waren die jugoslawischen
Einwanderer vorwiegend auf sich selbst bzw. die Integrationspolitik
Jugoslawiens angewiesen. Diese organisierten auf der einen Seite
zahlreiche mündliche, schriftliche und audiovisuelle Möglichkeiten,
den im Ausland beschäftigten Staatsangehörigen Entwicklungen im
Heimatland zu übermitteln. Gleichzeitig unterstützte der jugoslawische Staat Basisorganisationen, womit er den Migranten ermöglichte,
ihre Isolation zu überwinden. Gleichermaßen erhöhte sich somit
seine potentielle Einflußnahme auf die Ausgestaltung der Aktivitäten, die sich vornehmlich auf den Bereich der Erhaltung der kulturellen Identität bezogen.
16 Hierzu vgl. auch Kap. 3.3: Rechtsform.
17 Vgl. Andres Delgado, 1980: Auf dem Weg zu einer selbständigen Emigrantenorganisation, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit, Nr. 4, S. 68-71.
18 Vgl. Die griechischen Gemeinden in der BRD, in: Informationdienst zur Ausländerarbeit, 4/1980, S. 71-74; Hans B. Schlumm, 1984: Die Griechischen Gemeinden:
Organisationsform einer Minderheit in Deutschland, in: Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden, S. 186-201; Jürgen Puskeppeleit/
Dietrich Thränhardt, 1990: Vom betreuten Ausländer zum gleichberechtigten Bürger. Perspektiven der Beratung und Sozialarbeit, der Selbsthilfe und Artikulation und der
Organisation und Integration der eingewanderten Ausländer aus den Anwerbestaaten in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg, (künftig zitiert: Puskeppeleit/Thränhardt, 1990),
S. 156-158.
16
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
Eine Schwierigkeit in dem Prozeß der Organisationsbildung war
die Anforderung an die Vereine, ein einheitliches Bild der jugoslawischen Staatsangehörigen zu vermitteln, um latente Nationalitätenkonflikte zu überdecken. Hier knüpfte die Tatsache, daß die Caritas
vornehmlich für die jugoslawischen Staatsbürger kroatischer Volkszugehörigkeit Angebote machte, an ein bestehendes Konfliktpotential des Vielvölkerstaats an, welches unter den Migranten in
Deutschland somit zusätzlich verschärft wurde.19
In der Folge des Krieges im ehemaligen Jugoslawien sind nur
wenige Organisationen übriggeblieben, die die verschiedenen Staatsangehörigen vereinen. Die meisten Migranten haben sich in national
ausgerichteten Vereinen organisiert, wobei die früher gesamtjugoslawischen Zusammenschlüsse nun vornehmlich als serbisch/montenegrinische Organisationen weitergeführt werden.
Exemplarisch für die Organisationsgeschichte der Einwanderungsgruppen, die nicht aus den ursprünglichen Anwerbeländern kommen,
soll im folgenden näher auf die Zusammenschlüsse der Migranten
koreanischer sowie iranischer Herkunft eingegangen werden.
Migrantinnen und Migranten aus dem Iran
Einwanderungen iranischer Staatsbürger nach Deutschland sind
zum Teil schon aus dem ersten Weltkrieg bekannt, wobei eine kontinuierliche Zuwanderung vornehmlich iranischer Studierender erst
seit den fünfziger Jahren, größere Einwanderungsbewegungen vor
allem religiös oder politisch Verfolgter nach der Revolution 1979 zu
verzeichnen sind. Selbsthilfebestrebungen waren innerhalb der iranischen Exilcommunity sehr wichtig, soziale und politische Netzwerke boten eine große Hilfe bei der Neuorientierung in der Einwanderungsgesellschaft. Zu unterscheiden sind hier die politischen
Organisationen, die Kulturvereine sowie die Frauenorganisationen.
Die politischen Organisationen haben sich seit Anfang der 90er
Jahre zu zersplittern begonnen. Differenziert werden müssen die
‘Heimatorientierten’, die als Monarchisten, Volksmojahedin oder
Vertreter linker Splittergruppen primär auf eine Veränderung des
politischen Systems im Iran hinarbeiten, die ‘Internationalisten’, die
ihre Aktivitäten sowohl auf Geschehnisse im Iran als auch in
Deutschland richten, und die Flüchtlingsgruppen, die ihre Angebote
auf die rechtlichen und sozialen Belange der iranischen Flüchtlinge
in Deutschland orientieren. Die Kulturvereine sind durch die
Bestrebung geprägt, ihre Heimatkultur zu erhalten und weiterzuentwickeln; sie beschäftigen sich vornehmlich mit iranischem Theater
sowie mit Literatur und Musik. Bei den Frauenorganisationen handelt es sich um eine Vielzahl selbstorganisierter Gruppierungen, die
thematisch sehr unterschiedliche Schwerpunkte haben. Die kritische
Auseinandersetzung mit der zunehmenden Islamisierung im Iran
bildete den Hintergrund für die ersten Frauengruppen. Anfang der
achtziger Jahre wurde die Dachorganisation Autonome Iranische
Frauenbewegung im Ausland gegründet, die zum einen die ungenügende Behandlung der Frauenfrage insbesondere innerhalb der
marxistisch-leninistischen Widerstandsbewegung kritisierte und zum
anderen versuchte, aus dem Exil heraus gegen die frauenfeindliche
Politik der islamischen Regierung vorzugehen. Die Bewegung spaltete sich in einen sozialistischen und in einen feministischen Flügel,
der sich vorwiegend mit der Situation von Flüchtlingsfrauen in
Deutschland auseinandersetzt. Daneben existieren zahlreiche unabhängige kulturelle und politische Frauenorganisationen.20
Migrantinnen und Migranten aus Korea
Die Organisationen der Zuwanderer koreanischer Herkunft
lassen sich zum einen in solche Vereinigungen differenzieren, deren
Arbeit von offiziellen koreanischen Stellen begrüßt und unterstützt
wird. Hier handelt es sich um Koreaner-Vereine, Berufsvereine
(Bergarbeiter und Krankenschwestern), um Sportvereine sowie um
Wohlfahrtsvereine. Weiterhin existieren von koreanischen Stellen
unabhängig arbeitende Zusammenschlüsse, so die koreanischen
evangelischen Kirchengemeinden, politisch-oppositionelle Organisationen, koreanische Schulen, kulturelle Vereinigungen und Frauengruppen. Der Korea-Verband ist eine koreanisch-deutsche Selbstorganisation und hat keine weiteren Untergruppen. Keine dieser
Gruppen arbeitet ausschließlich auf das Herkunftsland oder ausschließlich auf Deutschland bezogen, gleichermaßen sind ihre jeweiligen Orientierungen unterschiedlich stark ausgeprägt, wobei sich
die Frauenorganisationen innerhalb des koreanischen Netzwerkes
durch eine besonders starke Ausrichtung auf die Einwanderungsgesellschaft auszeichnen. Alle Vereinigungen haben jedoch dazu
beigetragen, den Integrationsprozeß der Koreaner in Deutschland zu
fördern, wenn nicht erst zu ermöglichen.21
Bei allen herkunftshomogen ausgerichteten Organisationen läßt
sich jedoch beobachten, daß sie sich nicht nur bezüglich ihrer
Orientierung zunehmend auf die Einwanderungsgesellschaft einlassen, sondern daß sie sich auch bezüglich ihrer Mitgliederstruktur
öffnen. So ist es keine Seltenheit, daß Angebote auch für Angehörige
anderer ethnischer Herkunft zugänglich sind und Vereinskontakte
auch außerhalb der eigenen Gruppe explizit gewünscht und herbeigeführt werden.
19 Vgl. Petar Pusic, 1980: Jugoslawen in der Bundesrepublik Deutschland: Zwischen Desinteresse und Rückkehrwilligkeit, in: Informationdienst zur Ausländerarbeit, Nr. 4, S. 75-79,
sowie Breuer, 1984, S. 183f.
20 Vgl. Tahereh Agha, 1997: Lebensentwürfe im Exil. Biographische Verarbeitung der Fluchtmigration iranischer Frauen in Deutschland, Frankfurt/M./New York, bes. S. 58-72.
21 Vgl. Jung-Sook Yoo, 1997: „Woher kommen Sie wirklich?“ Interessenvertretung durch Selbstorganisationen. Das Erscheinungsbild der Migration am Beispiel koreanischer
Migrantinnen und Migranten, in: Sozial Extra, Nr. 7/8, S. 13f.
17
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
1.3.3 Herkunftsheterogene Selbstorganisationen
von Migrantinnen und Migranten
Herkunftsheterogene Organisationen sind zum größten Teil aus
deutschen Initiativgruppen hervorgegangen, haben sich daneben aufgrund der Notwendigkeit einer gemeinsamen Interessenvertretung
aller Einwanderer auf verschiedenen Ebenen jedoch auch eigenständig gegründet. Dabei handelt es sich sowohl um den Zusammenschluß von Individuen unterschiedlicher Nationalität als auch um ein
Bündnis verschiedener herkunftshomogener Vereinigungen. Als
erster Versuch einer multikulturellen Dachorganisation wurde 1976
das Internationale Forum ausländischer Arbeitnehmervereinigungen
gegründet, zu deren Mitgliedern gleichermaßen europäische, asiatische und afrikanische Organisationen gehörten. Seine Arbeitsschwerpunkte lagen primär im Bereich der Verbesserung sozialer
und politischer Rahmenbedingungen in Deutschland. Konkret
benannt wurden die Unterstützung der Kooperation von Migrantenorganisationen sowie ihrer Einzelaktivitäten, die Förderung der
Beziehungen zur deutschen Bevölkerung und ihren Organisationen,
die Erarbeitung und Veröffentlichung gemeinsamer Stellungnahmen
sowie die Solidarisierung mit einzelnen Arbeitnehmern im Fall politischer Verfolgung. Trotz seiner integrativen Ansätze und einer ideellen Unterstützung durch das Europäische Parlament wurde die
Organisation seitens der deutschen Migrationsszene kaum beachtet.22 Nachfolgeorganisation des Forums ist die auch heute noch existierende Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in
der Bundesrepublik (BAGIV), die nach anfänglicher Nichtbeachtung
zunehmend auch durch offizielle Stellen wahrgenommen wird.
1.4 Selbstorganisationen von
Migrantinnen und Migranten in der
deutschen Öffentlichkeit
In der deutschen Öffentlichkeit unterlagen die Selbstorganisationen im Laufe der Zeit verschiedenen Wahrnehmungen. In der
Anfangsphase konzentrierte sich die öffentliche Perzeption von
Migrantengruppen vornehmlich auf die Hervorhebung extremer
politischer Bestrebungen, insbesondere der Gefahr der kommunistischen Infiltration. Später wurden nationalistische Bestrebungen vor
allem in Gestalt der „Grauen Wölfe“ und fundamentalistische
Gefahren breit diskutiert.
Eine weitere Phase ist gekennzeichnet durch den Versuch, die
Einwandererorganisationen nicht nur nicht auszugrenzen, sondern
ihre Leistung anzuerkennen und zu unterstützen. Sie wurden in ihrer
positiven Funktion herausgestellt, Kontakte zur Aufnahmegesellschaft zu schaffen und integrativ zu wirken. Während ihre freizeitund kulturspezifischen Leistungen Anerkennung fanden, wurde ihr
Beitrag zur sozialen Beratung jedoch weitgehend ignoriert.
Gleichzeitig wurden ihnen kaum politische Partizipationsrechte
zugestanden. Vielmehr fungierten auf kommunaler Ebene weiterhin
die Sozialberater der Betreuungsverbände als Interessenvertretung
der ausländischen Bevölkerung. In den Stadtstaaten Hamburg,
Berlin und Bremen wurde Selbstorganisationen auch politisch ein
höherer Stellenwert eingeräumt, wenn auch aus unterschiedlichen
Motivationen und mit unterschiedlichen Wirkungen.23
Im Rahmen der rot-grünen Koalitionsvereinbarungen wird den
Selbstorganisationen von Migranten auch seitens der nordrheinwestfälischen Landesregierung eine größere Bedeutung zugemessen. Explizit enthält die Koalitionsvereinbarung den Punkt der
Unterstützung von Selbstorganisationen von Migranten und
Migrantinnen.24 Diese Entscheidung wird der Kenntnis gerecht, daß
Vereine soziale Netzwerke sind, die eine gesellschaftliche Integrationsfunktion ausüben, auch wenn Integration kein explizites Ziel
der jeweiligen Organisation ist. Sie erleichtern eine Orientierung in
der Aufnahmegesellschaft, was die erhöhte Nutzung der in ihr bestehenden Chancen impliziert. So wirken auf der einen Seite das Recht,
kulturelle Traditionen zu pflegen, weiterzuentwickeln und in das
Gemeinwesen einzubringen, gleichzeitig mit dem Recht, vollständige Gleichheit zu den Deutschen zu genießen und auch am deutschen
Organisationssystem partizipieren zu können. Erst beide Aspekte
zusammen ergeben eine gleichberechtigte Mitwirkung und eine
produktive gegenseitige Integration. Insofern steht die Förderung
der Selbstorganisationen von Migranten einer Politik der Gleichberechtigung nicht entgegen, sondern ist ihr sinnvolles Korrelat.
Mit der erstmalig von den Wohlfahrtsverbänden abgekoppelten
finanziellen Förderung von Selbstorganisationen ist ein deutliches
Zeichen gesetzt in Richtung Akzeptanz der eigenen Artikulation von
Interessen durch die Betroffenen selbst. Das Fördervorhaben wird
durch die vorliegende wissenschaftliche Begleitstudie flankiert, bei
der es sich nicht um eine Defizitforschung handelt, sondern bei der
Migranten und Migrantinnen mit ihren Fähigkeiten, Kenntnissen
und Leistungen im Mittelpunkt stehen. Im folgenden soll die dieser
Untersuchung zugrundeliegende Definition des Begriffs „Selbstorganisation“ näher dargelegt werden.
22 Vgl. Puskeppeleit/Thränhardt, 1990, S. 159-162.
23 Einen fundierten Überblick bieten Puskeppeleit/Thränhardt, 1990, S. 163-180 sowie S. 195-220.
24 „Insgesamt soll die Selbstorganisation von Migrantinnen und Migranten gestärkt werden.“ Koalitionsvereinbarung zwischen der NRW-SPD und Bündnis 90/Die Grünen,
Punkt 2.3.10.
18
1. Einwanderungsgeschichtlicher Überblick und Entwicklung der
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
1.5 Definition des Begriffs Selbstorganisation von Migrantinnen und Migranten
im Rahmen dieser Studie
Generell wird unter einer Selbstorganisation der freiwillige Zusammenschluß von Personen zu Gruppen verstanden, um bestimmte
gemeinsame eigene Ziele zu verfolgen25; die entsprechenden Gruppen bieten solidarische Formen der „gesellschaftlichen Bearbeitung
sozialer Probleme“26. Diese Definition ist grundlegend für die möglichst umfassende Bestandsaufnahme von Selbstorganisationen von
Migrantinnen und Migranten, sie erscheint uns im Hinblick auf die
Erfassung des Integrationspotentials jedoch zu unspezifisch.
Bezüglich des genannten Untersuchungsmerkmals konkretisieren
wir den Begriff der Selbstorganisation in Anlehnung an das Selbsthilfekonzept. Unterscheiden wir zwischen privater (oder individueller) und sozialer Selbsthilfe, so gehören Selbstorganisationen in
unserem Sinne eher in das Konzept der sozialen Selbsthilfe.
Während private Selbsthilfe die Aktivität von Gruppen kennzeichnet,
deren Mitglieder sich zusammentun, um ausschließlich sich selbst
zu helfen, betreffen die Aktivitäten sozialer Selbsthilfe einen größeren Kreis von Betroffenen, zu dem die Gruppenmitglieder allerdings
auch selbst gehören. Die gemeinsame autonome Bestimmung von
Lebensbedingungen, die über die Verfolgung bloß privater Interessen hinausgeht, steht im Zentrum der Bemühungen.27 Für den sozialen Selbsthilfebereich sind somit drei Wirkungsebenen konstitutiv:
der Kampf um das konkrete Sachziel, die eigene politische Resozialisation, durch die Handlungsalternativen deutlich werden und
das eigene Selbstbewußtsein gefördert wird, sowie die Weitergabe
der erlangten Erkenntnisse durch Öffentlichkeitsarbeit.28
Innerhalb der etablierten Systematik fallen Selbstorganisationen
von Migrantinnen und Migranten in den Bereich der diskriminierten
Gruppen. Die Herauslösung der Menschen aus traditionellen Milieus
macht eine Einbindung in neue Zusammenhänge notwendig. Hier
steht die Überforderung durch die gegebenen Lebensverhältnisse
einer Versorgungslücke im Angebot professionell-staatlicher
Leistungssysteme gegenüber, was zu eigenen Organisationsbestrebungen führt. Dem Selbstverständnis der Migrantenselbstorganisationen steht der Empowerment-Ansatz wohl am nächsten: Hier ist
die Gewinnung von Kontrolle und die Ermöglichung der Gestaltung
der eigenen Lebensumstände konzeptionelle Zielsetzung.29 Diese
Zielsetzung folgt aus den rechtlichen Bedingungen und der gesellschaftlichen Marginalisierung von Migranten und Migrantinnen
einerseits, andererseits kann durch diese Konzeption eine erhöhte
Integration durch Handlungsfähigkeit und Partizipation erreicht
werden. Denn gesellschaftliche Mitwirkung und politische Mitbestimmung sind Grundpfeiler der Demokratie und binden die Individuen positiv an die Gesellschaft, in der sie leben.
Soziale Selbsthilfebestrebungen bemühen sich häufig um sehr
spezifische Themen und Anliegen. Dabei wird aber generell individuelle Handlungskompetenz gestärkt, wodurch eine wesentliche
Voraussetzung für kollektive Artikulations- und Interessenvertretungsstrategien geschaffen wird.30 Als Interessenvertretung der
eigenen Klientel reichen Selbstorganisationen von Migranten somit
jedoch häufig über den sozialen Selbsthilfebereich hinaus.
Diese Form der Integrationsförderung kann durch professionelle
Dienste nicht substituiert werden, wodurch die Notwendigkeit der
Förderung der Selbstorganisationen von Migranten erneut deutlich
wird.
Bei der Unterteilung zwischen herkunftshomogenen und herkunftsheterogenen Organisationen haben wir folgende
Differenzierungsmerkmale gewählt:
* Organisationen, bei denen mindestens 80% der Mitglieder einer
ethnischen Herkunft sind, gelten als herkunftshomogen.
* Organisationen, die auch Mitglieder deutscher Herkunft haben,
gelten in den Fällen als herkunftshomogen, in denen die
Migranten einer gemeinsamen ethnischen Herkunft und Mitglieder deutscher Herkunft mindestens 80% ausmachen. In allen
anderen Fällen werden die Organisationen als herkunftsheterogen in die Auswertung aufgenommen.
* Organisationen, deren Mitglieder zu über 60% deutscher Herkunft sind, werden nicht in die Auswertung aufgenommen. Die
einzige Ausnahme bildet hier die Initiative Schwarze Deutsche
und Schwarze in Deutschland, bei der deutsche Mitglieder zwar
deutlich überwiegen, deren Lebensrealität als schwarze Deutsche
aber in bezug auf Diskriminierung und Benachteiligung mit den
Erfahrungen von Migranten vergleichbar ist.
Insgesamt ist darauf hinzuweisen, daß bei der Erfassung nicht
die aktuelle Staatsangehörigkeit, sondern die ethnische Selbstdefinition als ausschlaggebendes Merkmal gewertet wurde. Aufgrund
dieser Eingrenzungen haben wir einzelne Vereine nicht in die Untersuchung einbezogen und ihnen ihre Unterlagen zurückgesandt, da
sie nach unserem Verständnis nicht mehr als Selbstorganisation von
Migranten bewertet werden können. Gleichermaßen möchten wir
betonen, daß wir auch ihre Arbeit wertschätzen und für wichtig
erachten. Auch wenn diese Organisationen nicht zum Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie gehören, möchten wir uns bei
ihnen für ihr Engagement und das uns entgegengebrachte Vertrauen
bedanken.
25 Vgl. Thomas Wex, 1995: Selbsthilfe und Gesellschaft, in: Was Selbsthilfe leistet. Ökonomische Wirkungen und sozialpolitische Bewertung, hg. von Hans Dietrich Engelhardt u.a.,
Freiburg, S. 13-41, hier S. 17.
26 Christoph Sachße, 1993: Subsidiarität, in: SelbstHilfe. Ein einführendes Lesebuch, hg. von C. Wolfgang Müller, Weinheim/Basel (künftig zitiert: SelbstHilfe), S. 63-67, hier S. 66.
27 Vgl. Brigitte Runge/Fritz Vilmar, 1993: Was Soziale Selbsthilfe ist. Vielgestalt und wachsende Bedeutung, in SelbstHilfe, S. 41-62, hier S. 41-43.
28 Vgl. Christian Marzahn, 1993: Partizipation und Selbsthilfe, in: SelbstHilfe, S. 17-25, hier S. 22.
29 Vgl. Norbert Wohlfahrt/Helmut Breitkopf, 1995: Selbsthilfegruppen und Soziale Arbeit. Eine Einführung für soziale Berufe, Freiburg, S. 35.
30 Vgl. Rolf G. Heinze/Josef Hilbert, 1993: Selbsthilfe und ehrenamtliches Engagement, in: SelbstHilfe, S. 31-40, hier S. 34.
19
2. Vorgehensweise
2.1 Bestandsaufnahme
Am Anfang der Studie stand die Bestandsaufnahme der in
Nordrhein-Westfalen ansässigen Selbstorganisationen von
Migrantinnen und Migranten. Für diese Phase wurde die bereits dargelegte möglichst weite Definition von Selbstorganisationen
gewählt.
Bei der Erfassung konnte auf eine bereits durch das Ministerium
für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführte Umfrage bei den Wohlfahrtsverbänden bezüglich
der bei ihnen angeschlossenen Selbstorganisationen zurückgegriffenen
werden. Diese Liste der Zusammenschlüsse wurde ergänzt durch
nochmalige Anschreiben an einzelne Verbände, die nicht geantwortet
hatten, sowie durch Nachfragen an die jeweils vor Ort zuständigen
Personen, wenn Angaben über Anschriften der den Wohlfahrtsverbänden angehörigen Selbstorganisationen nur unzureichend vorhanden waren.
Um zudem die nicht an Wohlfahrtsverbände angeschlossenen
Organisationen in die Studie aufnehmen zu können, wurden zusätzlich weitere Institutionen befragt. Dieser Schritt soll einerseits eine
möglichst umfassende Bestandsaufnahme gewährleisten, des weiteren
wird hiermit dem eigentlichen Sinn der der Studie zugrunde liegenden politischen Entscheidung entsprochen, Migrantenorganisationen
unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu den etablierten Wohlfahrtsverbänden finanziell zu fördern.
Wir haben themenspezifische Literatur ausgewertet31 und uns
sowohl an offizielle als auch an selbstorganisierte Institutionen und
Vereinigungen gewandt. Zu nennen sind zum einen die offiziellen
Vertretungen der Herkunftsländer bzw. Volksgruppen der jeweiligen
Migranten, also die Botschaften und Konsulate sowie die offiziellen
Generaldelegationen. Diese verfügen offensichtlich über recht unterschiedliche Kenntnisse bezüglich der Vereinigungen ihrer Staatsangehörigen; während uns einige Vertretungen nahezu vollständige
Vereinslisten zusandten, waren andere Botschaften entweder nicht in
der Lage oder nicht dazu bereit, uns die gewünschten Auskünfte zu
übermitteln. Doch scheint hier nicht nur der Kenntnisstand der einzelnen Ländervertretungen, sondern auch das jeweilige Interesse an
den Ergebnissen sehr unterschiedlich zu sein. So kam es in einem
Fall vor, daß ausdrücklich keine Angaben über Organisationen gemacht wurden, deren Mitglieder zu einer Volksgruppe gehören, die
im Herkunftsland gegen das offizielle Regime opponiert, während
wir gleichzeitig dazu aufgefordert wurden, der Botschaft über ermittelte Vereinsadressen Auskunft zu geben. Hier ist im Umgang mit
Datenmaterialien sicherlich große Vorsicht geboten, um die Angehörigen dieser Organisationen keinen Nachteilen oder gar Repressionen auszusetzen.
Neben den Botschaften und Konsulaten waren die Beauftragte
der Bundesregierung für die Belange der Ausländer sowie die kommunalen Ausländerbeauftragten und -koordinatoren, Ausländerbüros, Beratungs- und Koordinierungsstellen für ausländische Mitbürger etc. von Bedeutung. Die Umfrage ist seitens der kommunalen
Stellen jedoch nur auf schwache Resonanz gestoßen. Offensichtlich
spiegelt sich die nur geringe Kenntnis und Akzeptanz öffentlicher
Stellen gegenüber Selbstorganisationen von Migranten in diesem
Antwortverhalten wider.
Eine Ausnahme bilden hier die Regionalen Arbeitsstellen zur
Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien
in NRW (RAA), die sich durch eine sehr differenzierte Kenntnis der
Vereinslandschaft auszeichnen. Zwar traten auch hier große
Unterschiede zutage, gleichermaßen waren die Antworten insgesamt
jedoch durch einen recht guten Gesamtüberblick gekennzeichnet.
Von der Gewerkschaftsseite aus haben nur wenige Stellen auf
unsere Anfrage reagiert. Hier waren Kenntnisse jenseits statistischen
Datenmaterials zum jeweiligen Gewerkschaftszweig in der Regel
nicht verfügbar.
Weiterhin traten wir in Kontakt zu deutsch-ausländischen Gesellschaften. Von dieser Seite aus wurde nur selten auf unsere Anfrage
eingegangen. Aus den wenigen Antworten läßt sich jedoch herleiten,
daß die deutsch-ausländischen Gesellschaften nicht in jedem Fall
Mitglieder fremder Herkunft haben und daß ein Großteil von ihnen
auch nicht mit Selbstorganisationen von Migranten kooperiert, da
eine solche Zusammenarbeit auch nicht immer auf das Selbstverständnis der Gesellschaften trifft. In mehreren Rückschreiben wurde
jedoch auf weitere Gruppen oder Einzelpersonen als kompetente
Ansprechpartner bezüglich unserer Fragestellung verwiesen und in
Einzelfällen wurden auch fundierte Stellungnahmen zur Situation
der Selbstorganisationen bestimmter Zuwanderungsgruppen in NRW
abgegeben.
Als Basisorganisationen schrieben wir zum einen die Landesarbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte NRW (LAGA) sowie die
kommunalen Ausländerbeiräte an. Hier war der Rücklauf insgesamt
zwar deutlich höher als bei den zuvor genannten Institutionen, lag
aber dennoch unter unseren Erwartungen. Es ist schwer zu beurteilen,
ob die Ausländerbeiräte, die auf unsere Anfrage nicht reagiert haben,
der Studie - etwa aufgrund von Befürchtungen einer Instrumentalisierung der Angaben - grundsätzlich distanziert gegenüberstehen,
oder ob sie tatsächlich über keine Kenntnisse der Selbstorganisationen vor Ort verfügen. Ein weiterer Erklärungsansatz kann darin
liegen, daß viele Ausländerbeiräte aufgrund der demographischen
Verhältnisse häufig von türkischen Gruppen und Einzelpersonen
dominiert sind, so daß unter Umständen auch stärkere Kontakte zu
Selbstorganisationen von Migranten türkischer Herkunft bestehen,
die jedoch nicht zu unserem Untersuchungsbereich gehören.
31 Allerweltshaus Köln (Hg.), 1997: Afrika - Netzwerk NRW und Euregio. Ein Adressenverzeichnis für Nordrhein-Westfalen und die Umgebung von Liège/Maastricht/Aachen,
Köln; Burkhard Herbote, 1997, 2. Aufl.: Handbuch für deutsch-internationale Beziehungen. Verzeichnis deutscher und ausländischer Vertretungen, Verbindungsbüros und
Informationsstellen aus den Bereichen Politik, Außenwirtschaft und Banken, Kulturaustausch, Medien, Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe, Wissenschaft und
Forschung, Bd. 1-3, München; S. Balimo Jalloh, 1994: Sierra Leone (Landesbericht), Bergisch-Gladbach; Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn, Sozialamt/Presseamt
(Hg.), 1997: Multikultureller Wegweiser, Bonn; Oberbürgermeister der Stadt Herne, Gleichstellungsstelle, 1996: Wegweiser für Migrantinnen in Herne, Herne.
20
2. Vorgehensweise
Weitere Ansprechpartner waren Dachverbände von Migrantenorganisationen, Menschenrechtsorganisationen, wissenschaftliche
Einrichtungen, Initiativgruppen im Migrations,- Flüchtlings-, Selbsthilfe- und Eine-Welt-Bereich, Beratungsstellen, Antirassismusgruppen
sowie engagierte Einzelpersonen. Einen wesentlichen Beitrag haben
zudem die Selbstorganisationen selbst geliefert, indem sie uns vielfach auf weitere ihnen bekannte Gruppen und Vereine hingewiesen
haben. Besonders hier sind wir auch auf kleine und weniger etablierte
Zusammenschlüsse aufmerksam geworden.
Ihnen allen sei an dieser Stelle für Ihre Bemühungen und Kooperation noch einmal ganz herzlich gedankt.
Am Ende der Erhebungsphase haben sich die uns neu zugegangenen Angaben über Selbstorganisationen von Migranten mit unseren
bereits vorhandenen Daten weitgehend gedeckt; nur selten konnte
die Liste noch um zusätzliche Vereine erweitert werden. Somit
gehen wir davon aus, einen großen Teil der Zusammenschlüsse von
Migranten und Migrantinnen erfaßt zu haben, auch wenn wir nicht
ausschließen können, daß verschiedene Selbstorganisationen in NRW
nicht in diese Studie eingegangen sind, da wir über ihre Existenz
keine Kenntnis haben.
2.2 Datenerhebung
Nach der Erfassung der Selbstorganisationen von Migrantinnen
und Migranten in NRW sollen sowohl quantitative als auch qualitative
Aussagen über sie getroffen werden. Zu diesem Zweck wurde an alle
Organisationen ein Fragebogen mit sowohl geschlossenen als auch
offenen Fragestellungen geschickt, des weiteren wurden vereinzelt
Tiefeninterviews geführt.
Angesichts der Tatsache, daß es sich hier um die erste empirische
Studie handelt, die Selbstorganisationen von Migranten in Nordrhein-Westfalen zum Untersuchungsgegenstand hat, werden grundlegende Daten abgefragt. Durch die Studie soll ein erster Einblick in
die Organisationsform und Wirkungsweise der Zusammenschlüsse
gegeben werden; ebenso sollen Aussagen darüber getroffen werden,
welche unterstützenden Maßnahmen seitens des Landes von den
Selbstorganisationen als hilfreich eingestuft werden. Die in den
Fragebögen gemachten Angaben werden als maßgeblich erachtet
und durch keine weiteren Nachforschungen kontrolliert. Somit
basieren alle Ergebnisse dieser Studie auf Eigenaussagen.
Die Form der schriftlichen Befragung haben wir gewählt, da den
Organisationen durch diese Art mehr Zeit zur Beantwortung der
Fragen gegeben wird. Es war wichtig, den Zeitfaktor zu berücksichtigen, da sich häufig Vorstandsmitglieder oder andere aktive Mitarbeiter getroffen haben, um den Fragebogen gemeinsam auszufüllen.
Anders als bei Umfragen an Individuen war hier häufig ein hohes
Maß an Abstimmung notwendig, um das Vereinsprofil genau zu
treffen. So kann durch die postalische Befragung ein konzentrierteres
und in seiner Genauigkeit exakteres Antwortverhalten angenommen
werden als in einer mündlichen Befragungssituation. Der Nachteil
einer schriftlichen Befragung, spontane Antworten nur relativ schlecht
ermitteln zu können, war in diesem Fall nebensächlich, da die Umfrage nicht primär auf Überzeugungseinstellungen ausgerichtet war.
Als problematisch angesehen werden muß jedoch die der schriftlichen Befragung implizite höhere Rücklaufquote bei Personen mit
Erfahrung im Umgang mit schriftlich fixierten Medien. Hier können
Verzerrungseffekte insbesondere aufgrund des unterschiedlichen
Bildungsstands und Sprachniveaus der Mitglieder der einzelnen
Organisationen nicht ausgeschlossen werden. Dieser
Exklusionseffekt wird über das als überdurchschnittlich hoch angenommene thematische Interesse bei den Befragten jedoch reduziert.
Zusätzlich haben wir diesen Effekt durch möglichst viele geschlossene Fragestellungen zu begrenzen versucht. Hier handelt es
sich sowohl um Fragestellungen mit einer Alternativenvorgabe (ja/
nein) als auch um solche mit einer Mehrfachvorgabe mit der Möglichkeit zur Mehrfachnennung ohne Rangfolge. Ergänzt wurden
diese Fragen häufig mit einem abschließenden offenen Frageteil, in
dem die Antwort entweder exemplarisch konkretisiert werden sollte
oder in dem für nicht vorgegebene Antwortmöglichkeiten Platz
geboten wurde (Hybridfrage).
Ausschließlich bei den Fragen nach dem Grund für eine Angebotsorientierung auf Deutschland bzw. auf das Herkunftsland und
zum anderen nach möglichen Unterstützungsmaßnahmen seitens
des Landes NRW für Selbstorganisationen von Migranten wurden
vollständig offene Fragestellungen gewählt, da die Antworten der
Befragten hier unter keinen Umständen bereits durch Antwortvorgaben vorstrukturiert werden sollten. Diese Antworten sollten
tatsächlich möglichst nah am Einstellungsrahmen des Befragten
angesiedelt und möglichst wenig von außen beeinflußt sein.
Zusätzlich zu der allgemeinen standardisierten Fragebogenumfrage wurden nach ausgewählten Arbeitsbereichen Tiefeninterviews
geführt. Vorrangiges Ziel war hier nicht, eine möglichst große Gleichheit der Interviewsituationen herbeizuführen, um die Ergebnisse in
bezug auf konkrete Fragestellungen miteinander vergleichen zu können. Hier sollte vielmehr die in der Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Realitäten bestehende Diversifikation der Selbstorganisationen
exemplarisch verdeutlicht werden. Dementsprechend wurde der
standardisierten auch eine wenig strukturierte Interviewsituation
vorgezogen und die Form des explorativen Interviews gewählt.32
32 Zur Methodik vgl. auch Rainer Schnell, Paul B. Hill und Elke Esser, 1995: Methoden der empirischen Sozialforschung, 5. überarb. und erw. Aufl., S. 297-386.
21
2. Vorgehensweise
Insgesamt ist die Untersuchung bei den Befragten auf eine sehr
positive Resonanz gestoßen. Häufig wurde die Hoffnung geäußert,
durch die verstärkte Aufmerksamkeit seitens der Landesregierung
gegenüber Selbstorganisationen in Zukunft mehr Beachtung zu
finden, ernst genommen und in den politischen Meinungsbildungsprozeß integriert zu werden. Wichtig sei jetzt allerdings, den Prozeß
zu forcieren und nicht abbrechen zu lassen. Neben diesen positiven
Reaktionen wurden aber auch Zweifel und Mißtrauen geäußert sowie
Befürchtungen darüber, für politische Zwecke vereinnahmt zu werden.
Ebenso wurde auch Skepsis gegenüber öffentlichen Instanzen deutlich gemacht sowie die daraus resultierende Haltung, Energien lieber
in eigene Aktivitäten zu lenken, da von außerhalb perspektivisch
keine Unterstützung zu erwarten sei. Die meisten Organisationen
mit dieser Grundeinstellung werden auf unsere Anschreiben nicht
reagiert haben, vereinzelt wurden diese Bedenken jedoch auch
konkret geäußert. Die folgenden Auszüge aus einem Brief an uns
sowie aus einem Fragebogen können für diese resignierte Haltung
exemplarisch angeführt werden: „Über 50 Jahre kommunistischer
Diktatur hat kein Forschungsinstitut irgendeinen politischen Kreis
dazu bewegen können, sich um Rumänien zu kümmern. Die Zeit der
schweren Politik in Rumänien ist vorbei, aber das Land wird mit
22
vielen anderen Problemen konfrontiert, und in dieser Situation
besteht überhaupt kein Bedarf für Forschung und Fragebögen“ oder
„Pauschal sind alle dabei zu helfen. Wenn es aber in der Praxis darauf
ankommt, kneifen sie (...) Selbst Sie nehmen uns mit diesem Fragebogen Zeit weg. Alle unsere Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich ohne
jegliches Honorar. Nicht einmal ihre Unkosten werden erstattet, weil
unser Verein nicht in der finanziellen Lage ist, auch geringere Beiträge an unsere Helfer zu zahlen. Aus diesem Grunde bitte ich Sie,
uns in Zukunft in Ruhe zu lassen. Weitere Fragebögen werde ich für
Sie nicht mehr ausfüllen.“
Angesichts dieser realen Situation ist es sicherlich sehr wichtig,
den Kontakt zu den Migrantenorganisationen zu stabilisieren. Die
Initiative des Landes, auf die Selbstorganisationen zuzugehen, kann
als eine vertrauensbildende Maßnahme bewertet werden, die im
Falle einer fehlenden Fortsetzung jedoch Enttäuschung hervorrufen
kann. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht allein eine finanzielle Förderung, sondern auch die glaubwürdige Vermittlung der
Überzeugung, Selbstorganisationen und ihre Vertreter als Experten
im Migrationsbereich anzuerkennen und ihre Aussagen im Diskurs
über die Entwicklung migrationspolitischer Perspektiven ernst zu
nehmen und zu berücksichtigen.
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
3.1 Gesamtheit der erfaßten
Organisationen
Insgesamt konnten für die Migrantengruppen, die in diesen Teil
der Studie eingehen, 952 Selbstorganisationen in Nordrhein-Westfalen erfaßt werden. Diese Selbstorganisationen entsprechen den
bereits zugrunde gelegten Kriterien und müssen aufgrund der nicht
beanstandeten postalischen Zustellung unserer Schreiben als existente Vereinsadressen betrachtet werden.
Dabei können Organisationen aus insgesamt 64 Herkunftsgebieten bzw. von nicht an ein Staatsgebiet gebundene ethnische oder
herkunftsheterogene Minderheitengruppen differenziert werden.
Insgesamt entfallen 89% aller Selbstorganisationen auf herkunftshomogene und 11% auf herkunftsheterogene Zusammenschlüsse. 64%
allerVereinigungen werden von Migranten europäischer Herkunft,
15% von Migranten asiatischer Herkunft, 8,5% von Migranten afrikanischer und 1,5% von Migranten lateinamerikanischer Herkunft
gebildet. Somit machen die Organisationen von Migranten europäischer Herkunft fast 2/3 aller Selbstorganisationen aus, wobei zudem
berücksichtigt werden muß, daß auch die herkunftsheterogenen
Organisationen ebenfalls häufig von Einwanderern europäischer
Herkunft geprägt sind.
Weiterhin muß darauf hingewiesen werden, daß in den Fällen,
in denen Migrantenvereinigungen zwar nicht nach ethnischen oder
nationalstaatlichen Kriterien organisiert sind, sich aber dennoch auf
Regionen oder Kontinente beziehen, die entsprechenden Zuordnungen vorgenommen werden. Konkret handelt es sich hier um gesamtafrikanische, gesamtasiatische, gesamtarabische und gesamtlateinamerikanische Vereine. Ebenfalls werden die auf das ehemalige
Jugoslawien bezogenen Organisationen zwar als herkunftsheterogen,
gleichermaßen aber als europäisch betrachtet.
Die nach Kontinenten differenzierten Herkunftsgebiete weisen
eine ausgesprochene Vielfältigkeit auf. Während sich die Organisationen der Migranten europäischer Herkunft, die 64% an allen Vereinigungen ausmachen, auf nur 15 Herkunftsregionen verteilen, sind
die Organisationen aus dem afrikanischen und asiatischen Raum mit
20 bzw. 21 Herkunftsgebieten sehr viel stärker aufgefächert.
Asien
Europa
144
609
Org.
abs.
Org.
%
Herkunftsland /
ethnische
Zugehörigkeit
Org.
abs.
Org. % Org. %
des Kon- an
tinents
allen
82
23
28
2,4
Togo
9
11
0,9
Kongo (Ex-Zaire)
8
10
0,8
Somalia
7
9
0,7
Äthiopien
5
6
0,5
Ägypten
4
5
0,4
Angola
4
5
0,4
Kamerun
4
5
0,4
Nigeria
4
5
0,4
Äquatorial-Guinea
2
23
2
0,2
0,2
2
0,2
Elfenbeinküste
1
1
0,1
Guinea
1
1
0,1
Guinea-Bissau
1
1
0,1
Kongo (Brazaville)
1
1
0,1
Liberia
1
1
0,1
Mosambik
1
1
0,1
Namibia
1
1
0,1
Sierra Leone
1
1
0,1
Indien
19
13
2,0
Korea
17
12
1,8
Vietnam
15
10
1,6
Iran
14
10
1,5
Tamilisch
14
10
1,5
Armenisch
9
6
0,9
Assyrisch
7
5
0,7
Philippinen
7
5
0,7
Aramäisch
6
4
0,6
Gesamtarabisch
6
4
0,6
China
6
4
0,6
Afghanistan
6
4
0,6
Pakistan
4
3
0,4
Palästinensisch
4
3
0,4
Gesamtasiatisch
3
2
0,3
Libanon
2
1
0,2
Indonesien
1
1
0,1
Irak
1
1
0,1
Kambodscha
1
1
0,1
Laos
1
1
0,1
Thailand
1
1
0,1
Griechenland
Lateinamerika
15
152
25
15,9
Spanien
93
15
9,8
Italien
82
13
8,6
Portugal
74
12
7,8
Serbien u. Montenegro
74
12
7,8
Kroatien
41
7
4,3
Polen
27
4
2,8
Makedonien
22
4
2,3
Albanisch
21
3
2,2
Slowenien
10
2
1,1
ehem. Jugoslawien
5
0,8
0,5
Roma
3
0,5
0,3
Ungarn
3
0,5
0,3
Osteuropäisch
1
0,2
0,1
Rumänien
1
0,2
0,1
Gesamtlateinamerikanisch
6
40
0,6
Brasilien
2
13
0,2
Chile
2
13
0,2
Peru
2
13
0,2
Argentinien
1
7
0,1
1,6
8,6
Gesamtafrikanisch
2
2
64,0
Herkunftshomogene Organisationen
Afrika
2
Ghana
15,1
Gesamtzahl der erfaßten Selbstorganisationen von
Migranten und Migrantinnen in NRW nach Herkunftskontinent und
Herkunftsland
Herkunftskontinent
Eritrea
Bolivien
1
7
0,1
Karibisch
1
7
0,1
102
100
10,7
Herkunftsheterogene Organisationen
Herkunftsheterogen
102
10,7
Herkunftsheterogen
Quelle: eigene Berechnungen
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
Bezüglich der Frage, ob die Bildung von Selbstorganisationen
eher mit einer hohen Anzahl oder mit einem hohen Anteil von
Migranten korreliert, können keine signifikanten Zusammenhänge
konstatiert werden. So weisen zwar fast alle Kreise und kreisfreien
Städte mit über 40 Selbstorganisationen mehr als 20.000 Zuwanderer
auf, die zu den für diese Studie relevanten Bevölkerungsgruppen
gehören33; daneben gibt es jedoch viele weitere Kreise und kreisfreie Städte mit einer entsprechenden oder höheren Zahl an Einwanderern, die wesentlich weniger Organisationen haben. Bezüglich des
prozentualen Anteils der Migranten in Kreisen und kreisfreien Städten
mit mehr als 40 Selbstorganisationen lassen sich gar keine Übereinstimmungen feststellen: Hier schwankt der Wert zwischen 7 und 12%.
Andersherum haben Migranten in Kreisen und kreisfreien Städten,
in denen nur zwischen 1 und 3 Selbstorganisationen erfaßt wurden,
in keinem Fall einen über 5% liegenden Anteil an der Gesamtbevölkerung; gleichzeitig gibt es Einheiten mit einem ähnlich niedrigen
Bevölkerungsanteil, in dem wesentlich mehr Selbstorganisationen
existieren. Somit können weder der Bevölkerungsanteil noch die
absolute Zahl von Migranten in einem Kreis oder einer kreisfreien
Stadt allein als signifikantes Korrelat für die Bildung von Selbstorganisationen ausgemacht werden.
Insgesamt ist die Anzahl der Selbstorganisationen von Migranten
jedoch nicht unabhängig von den beiden Kategorien Bevölkerungsanzahl und Bevölkerungsanteil. So deckt sich die regionale Verteilung der Selbstorganisationen in NRW auch in etwa mit der regionalen Verteilung der nichtdeutschen Bevölkerung. Insbesondere im
Ruhrgebiet sowie entlang der Rheinschiene befindet sich ein Großteil der erfaßten Selbstorganisationen. Besonders viele Zusammenschlüsse haben wir mit 109 Selbstorganisationen in Köln erfaßt,
gefolgt von Dortmund (52) und Düsseldorf (47). Demgegenüber
sind in den Regierungsbezirken Detmold und Münster sowie im
Sauerland und in Ostwestfalen-Lippe nur sehr wenige Selbstorganisationen ansässig. Hier schlägt sich der Umstand nieder, daß diese
Gebiete insgesamt weniger stark bevölkert sind und zudem einen
durchschnittlich geringeren Anteil an Zuwanderern haben.
Ausnahmen bilden die Städte Bielefeld und Münster, die mit 44 bzw.
43 Selbstorganisationen gemessen an der Bevölkerungsstruktur nicht
nur für den jeweiligen Regierungsbezirk, sondern auch landesweit
überdurchschnittlich viele Zusammenschlüsse aufweisen.
Anzahl von Selbstorganisationen in Kreisen/kreisfreien Städten
in Relation zu Anzahl und Anteil der MigrantInnen
Regierungs- Kreisfreie Stadt/Kreis
bezirk
Migranten in % am
31.12.1995
insgesamt
Düsseldorf
untersuchte
Bev.gruppen*
Migranten abs.
am 31.12.1995
insgesamt
untersuchte
Bev.gruppen*
Düsseldorf
19,2
85.328
47
Duisburg
17,4
7,1
93.212
37.895
21
9,7
6,3
59.499
38.828
36
14,1
8,3
35.186
20.739
17
Essen
Krefeld
14,9 109.447
Selbstorganisationen
Mönchengladbach
10,9
6,8
29.105
18.229
9,5
5,9
16.684
10.396
9
11,1
6,1
24.833
13.661
24
Remscheid
18,0
10,3
21.947
12.645
9
Solingen
15,2
9,9
25.235
16.383
11
Wuppertal
14,9
10,1
56.858
38.500
20
Kreis Kleve
8,2
6,9
23.588
19.892
4
Kreis Mettmann
12,1
8,1
61.243
40.852
26
Kreis Neuss
12,0
8,0
52.268
34.652
12
Kreis Viersen
7,5
5,5
21.585
15.745
9
Kreis Wesel
9,4
5,3
43.713
24.484
16
23
Mülheim/Ruhr
Oberhausen
Köln
Aachen
13,4
9,5
33.335
23.648
Bonn
13,9
10,9
40.630
31.785
43
Köln
20,5
12,0 197.898 115.454
109
Leverkusen
12,1
8,7
19.647
14.166
Kreis Aachen
10,4
6,2
31.371
18.776
9
Kreis Düren
8,2
5,2
21.136
13.525
6
12
Erftkreis
Münster
10,6
6,5
46.672
28.833
5,4
4,5
9.870
8.115
1
Kreis Heinsberg
8,2
5,6
19.529
13.295
7
Oberbergischer Kreis
8,6
5,4
24.247
15.206
4
Rheinisch-Bergischer
Kreis
9,9
7,1
26.649
19.106
14
Rhein-Sieg-Kreis
8,9
6,1
48.688
33.353
11
Bottrop
8,9
4,1
10.737
4.917
2
14,3
5,3
41.494
15.547
15
7,8
6,8
20.731
18.088
43
13
Münster
Arnsberg
11
Kreis Euskirchen
Gelsenkirchen
Detmold
23
Kreis Borken
6,5
4,9
22.117
16.773
Kreis Coesfeld
4,1
3,4
8.338
6.777
1
Kreis Recklinghausen
9,7
4,5
64.215
29.936
15
Kreis Steinfurt
5,4
3,9
22.388
16.196
11
Kreis Warendorf
8,4
4,5
22.767
12.193
10
13,2
7,3
42.668
23.498
44
Kreis Gütersloh
9,2
5,3
30.112
17.383
35
Kreis Herford
7,8
4,3
19.506
10.800
3
Kreis Höxter
4,4
2,9
6.757
4.440
3
Kreis Lippe
6,4
3,9
23.121
14.066
8
Kreis MindenLübbecke
5,4
4,0
17.113
12.710
9
Kreis Paderborn
6,8
4,7
18.767
12.956
17
Bielefeld
9,3
5,5
37.250
22.124
19
Dortmund
Bochum
12,4
7,1
74.009
42.670
52
Hagen
14,7
9,0
31.063
19.170
11
Hamm
11,0
4,1
20.113
7.475
3
Herne
13,0
4,9
23.442
8.741
3
Ennepe-Ruhr-Kreis
9,6
6,5
33.739
22.910
12
Hochsauerlandkreis
7,7
5,8
21.821
16.440
20
Märkischer Kreis
Kreis Olpe
12,5
7,6
57.451
35.043
18
8,0
5,6
11.059
7.688
7
23
Kreis SiegenWittgenstein
8,9
6,1
26.626
18.343
Kreis Soest
7,2
5,9
21.648
17.718
9
Kreis Unna
8,9
3,9
37.531
16.659
12
Quelle: MAGS (Hg), 1997: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein-Westfalen, Zahlenspiegel 1996,
Düsseldorf, sowie eigene Berechnungen
*hier handelt es sich um die ausländische Wohnbevölkerung abzüglich der Staatsangehörigen aus der
Türkei, Marokko und Tunesien
33 Hier wurden aus der ausländischen Gesamtbevölkerung die Staatsangehörigen aus der Türkei, Marokko und Tunesien herausgerechnet. Da die Staatsangehörigen der weiteren
nicht zur Studie gehörenden Länder auf Kreisebene in den Statistiken nicht differenziert werden, müssen die zugrunde gelegten Daten als Näherungswerte gelesen werden.
24
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
Zudem wird deutlich, daß in den ländlichen Regionen nicht nur
weniger Selbstorganisationen existieren, sondern daß diese auch
zum überwiegenden Teil von Migranten europäischer Herkunft, insbesondere aus den Anwerbeländern, sowie von einer herkunftsheterogenen Struktur geprägt sind. So sind ohne Berücksichtigung der
Städte Bielefeld und Paderborn die im Regierungsbezirk Detmold
ansässigen Selbstorganisationen nur zu 5% solche von Migranten
außereuropäischer Herkunft, in absoluten Zahlen ausgedrückt gerade
einmal 3 von 60 Organisationen. Auch im Hochsauerlandkreis
konnten ohne Berücksichtigung der Stadt Siegen insgesamt 35 Organisationen ausgemacht werden, von denen 6, also 17%, keinen europäischen oder herkunftsheterogenen Migrationshintergrund hatten.
Im Kreis Soest sind überhaupt nur in den Städten Lippstadt und
Soest Selbstorganisationen zu verzeichnen; diese sind alle multikulturell zusammengesetzt oder kommen aus dem europäischen Raum.
Somit befindet sich in den ländlichen Regionen ein deutlich über
dem Durchschnitt liegender Anteil europäischer und herkunftsheterogener Vereinigungen.
Demgegenüber organisieren sich die innerhalb der eingewanderten Bevölkerung bestehenden Minderheitengruppen stärker in den
Städten als auf dem Land; so befinden sich beispielsweise äthiopische Zusammenschlüsse in Aachen, Bonn, Köln und Wuppertal,
ghanaische in Dortmund und Oberhausen oder vietnamesische in
Dorsten, Dortmund, Essen, Köln, Krefeld, Mönchengladbach,
Münster, Oberhausen, Recklinghausen, Rheine, Unna und Wuppertal.
Die Organisationen lateinamerikanischer Migranten sind besonders städtisch orientiert: nicht eine Organisation befindet sich in
einer kleineren Gemeinde im ländlichen Raum. Auch die Vereinigungen von Migranten afrikanischer Herkunft befinden sich gegenüber dem Anteil von 26% an allen Organisationen nur zu 11% in
ländlichen Regionen. Organisationen von Migranten asiatischer Herkunft liegen demgegenüber mit 24% nur leicht unter dem Mittelwert.
Entsprechend der geringeren Anzahl von Organisationen liegt auch
der Bevölkerungsanteil der Migranten afrikanischer und asiatischer
Herkunft in eher ländlichen Gebieten niedriger als in städtischen
Regionen: so weisen Migranten afrikanischer Herkunft in allen
nordrhein-westfälischen Kreisen nur einen Bevölkerungsanteil von
3,7% gegenüber einem Bevölkerungsanteil von 5,3% in den kreisfreien Städten auf. Dieses Verhältnis ist bei Migranten asiatischer
Herkunft ebenfalls festzustellen, mit 8,0 zu 8,9% jedoch in einem
geringeren Ausmaß.
Als Organisationsschwerpunkt kann bei den afrikanischen
Organisationen Münster, bei den asiatischen Organisationen Köln
ausgemacht werden. Diese Verteilung ist insbesondere bei den afrikanischen Organisationen auffällig, da Münster insgesamt keinen
hohen Einwandereranteil aufweist. Der Anteil der afrikanischen
Migranten liegt mit 5,3% zwar über dem Landesdurchschnitt, beträgt
in absoluten Zahlen jedoch lediglich 1.100 Personen. Gleichermaßen sind 18% aller afrikanischen Organisationen hier angesiedelt.
Eine Erklärung kann in dem Umstand gesehen werden, daß es in
Münster ein selbstverwaltetes Afro-Europäisches Kulturzentrum
gibt, in dem viele der bestehenden Organisationen von Migranten
afrikanischer Herkunft ihre Anlaufstelle haben. Hier wird deutlich,
daß eine bestehende Infrastruktur offensichtlich zur Vereinsbildung
beiträgt. Die studentische Kultur kann sich unter Umständen als ein
weiterer begünstigender Faktor auswirken.
25
Insgesamt muß jedoch beachtet werden, daß allein die Anzahl
von Selbstorganisationen keine ausreichende Berechnungsgrundlage
für die Organisationsdichte von Migranten ist. Da für die Gesamtheit der Selbstorganisationen keine Angaben über die Mitgliederstärke der einzelnen Organisationen vorliegen, muß die Anzahl der
erfaßten Organisationen hier jedoch alleinige Indikatorfunktion
übernehmen.
3.2 Rücklauf
Von den 952 in Nordrhein-Westfalen erfaßten Selbstorganisationen von Migranten und Migrantinnen haben sich 302 Organisationen an unserer Studie beteiligt. Diese Rücklaufquote von 32%
bewerten wir angesichts der Länge des Fragebogens mit vielen
Hybrid- und zum Teil auch offenen Fragen, der Notwendigkeit, als
Verein und nicht als Einzelperson zu antworten, sowie der möglicherweise aufgetretenen sprachlichen Schwierigkeiten als gut. Von
der Gesamtzahl der eingegangenen Antworten entfallen 17% auf
herkunftsheterogene und 83% auf herkunftshomogene Zusammenschlüsse. Diese verteilen sich zu 55% auf Organisationen von
Migranten europäischer, zu 16% auf Organisationen von Migranten
asiatischer, zu 11% auf solche von Migranten afrikanischer und zu
1,3% auf solche von Migranten lateinamerikanischer Herkunft.
Somit entspricht die Verteilung der Antworten nach Kontinenten in
etwa dem jeweiligen Anteil an allen Organisationen. Unterschiede
ergeben sich vor allem bei den europäischen und bei den herkunftsheterogenen Zusammenschlüssen. Bei letzteren liegt die Rücklaufquote deutlich über dem Gesamtanteil, auch die Organisationen der
Migranten afrikanischer Herkunft können einen leicht höheren
Anteil verbuchen. Demgegenüber ist der Anteil der Organisationen
von Migranten europäischer Herkunft an der Rücklaufquote stark
zurückgegangen, bildet mit 55% aber immer noch mehr als die
Hälfte aller Organisationen, die sich an der Studie beteiligt haben.
Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die Rücklaufquote für die einzelnen Kontinente gesondert betrachtet. Unter dieser
Fragestellung schneiden die herkunftsheterogenen Organisationen
besonders gut ab: mit 49% haben sich fast die Hälfte aller erfaßten
Organisationen an der Studie beteiligt. Eine ebenfalls überdurchschnittlich hohe Beteiligung kann mit 40% bei den Organisationen
afrikanischer Herkunft konstatiert werden. Danach folgen die
Organisationen von Migranten asiatischer Herkunft mit 33%, die
geringste interne Rücklaufquote weisen die europäischen und lateinamerikanischen Organisationen mit jeweils 27% auf.
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
Europa
167
Indonesien
1
2
0,3
Irak
1
2
0,3
Kambodscha
1
2
0,3
Pakistan
1
2
0,3
55
Griechenland
43
26
14,2
Spanien
31
19
10,3
Italien
28
17
9,3
Portugal
15
9
5,0
Kroatien
13
8
4,3
Montenegro
10
6
3,3
Makedonien
7
4
2,3
Albanisch
6
4
2,0
Polen
6
4
2,0
ehem. Jugoslawien
4
2
1,3
Osteuropäisch
1
0,6
0,3
Roma
1
0,6
0,3
Slowenien
1
0,6
0,3
Ungarn
1
0,6
0,3
Serbien und
Im folgenden beziehen sich alle Aussagen auf die in den Rückläufen gemachten Angaben. Somit basieren die Ergebnisse der Studie
auf Eigenaussagen von 32% der erfaßten Selbstorganisationen. Nach
nationalitätenspezifischen Kriterien verteilen sich die für die folgenden Aussagen maßgeblichen Antworten folgendermaßen:
Rücklauf der Selbstorganisationen von Migranten und Migrantinnen in
NRW nach Herkunftskontinent und Herkunftsland
Herkunftskontinent
Org.
abs.
Org.
%
Herkunftsland /
ethnische
Zugehörigkeit
Org.
abs.
Org. % Org. %
des Kon- an
tinents
allen
Lateinamerika
4
1,3
Gesamtlateinamerikanisch
1
25
0,3
Argentinien
1
25
0,3
Brasilien
1
25
0,3
Chile
1
25
0,3
50
100
17
Herkunftsheterogene Organisationen
Herkunftsheterogen
50
17
Herkunftsheterogen
Quelle: eigene Berechnungen
Herkunftshomogene Organisationen
Afrika
Asien
33
48
11
Gesamtafrikanisch
6
18
2,0
Äthiopien
4
12
1,3
Kongo (Ex-Zaire)
3
9
1,0
Togo
3
9
1,0
Ägypten
2
6
0,7
Angola
2
6
0,7
Kamerun
2
6
0,7
Somalia
2
6
0,7
Äquatorial-Guinea
1
3
0,3
Ghana
1
3
0,3
Guinea
1
3
0,3
Kongo (Brazaville)
1
3
0,3
Liberia
1
3
0,3
Mosambik
1
3
0,3
Namibia
1
3
0,3
Nigeria
1
3
0,3
Sierra Leone
1
3
0,3
Indien
8
17
2,6
Iran
6
13
2,0
Korea
6
13
2,0
Tamilisch
5
10
1,7
Armenisch
4
8
1,3
Philippinen
4
8
1,3
Aramäisch
3
6
1,0
16
Afghanistan
2
4
0,7
Assyrisch
2
4
0,7
China
2
4
0,7
Vietnam
2
4
0,7
26
Demnach haben die herkunftsheterogenen Organisationen mit
17% den größten Anteil an allen Antworten, gefolgt von den Organisationen von Migranten griechischer Herkunft mit 14% und denen
spanischer Herkunft mit 10%.
Die ersten sieben Gruppen werden neben den herkunftsheterogenen allesamt von Organisationen von Migranten aus den früheren
Anwerbestaaten gebildet. An achter Stelle folgen dann die Organisationen von Migranten indischer Herkunft, deren hohe Anzahl von
Organisationen angesichts der relativ kleinen Bevölkerungszahl von
nicht einmal 10.000 Personen in Nordrhein-Westfalen erstaunt.
Die zehn stärksten Herkunftsgruppen ergeben bereits einen Anteil am gesamten Rücklauf von 69%, die 15 stärksten sogar von 79%.
Bereits an dieser Differenzierung wird deutlich, wie die Organisationsdichte bei den einzelnen herkunftsbezogenen Gruppen ist.
Organisationen aus 20 Herkunftsgebieten weisen lediglich eine, aus
weiteren 8 Herkunftsgebieten lediglich zwei Selbstorganisationen
auf. Die Herkunftsgebiete mit geringer absoluter Zahl von Zusammenschlüssen entstammen vorwiegend dem afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Raum. Aufgrund der geringen
Datenbasis für bestimmte Nationalitäten werden über sie vorwiegend nach Kontinenten zusammengefaßte Aussagen getroffen.
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
Ein unterdurchschnittliches Antwortverhalten kann insbesondere
bei den Vereinigungen serbisch/montenegrinischer Migranten
konstatiert werden. Hier haben sich nur 13% aller erfaßten Organisationen an der Studie beteiligt. Dies kann unter anderem dadurch
erklärt werden, daß die früher jugoslawischen Vereine heute als serbisch/montenegrinische Vereine weiterbestehen. Ihre Vereinstätigkeit
ist jedoch häufig zum Erliegen gekommen, da eine Zusammenarbeit
seit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien vielfach nicht mehr
gewünscht wird oder möglich erscheint und die Konflikte unter den
jugoslawischen Staatsbürgern häufig auch im Ausland fortwirken.
Diese Einschätzung teilte in einem Telefongespräch auch ein Mitglied
eines serbischen Vereins aus Halle, der selber aus eben diesen
Gründen keine Aktivitäten mehr zeigt.
Eine Besonderheit stellen die regionalen Differenzierungen herkunftshomogen strukturierter Organisationen dar. Hier bilden nicht
die gesamte Nationalität, sondern bestimmte Landstriche oder Volksgruppen den Bezugspunkt. Diese Untergliederung entlang regionaler
oder ethnischer Kriterien weisen griechische und italienische Organisationen auf. Bei den griechischen Organisationen sind fast 21%,
bei den italienischen immerhin 18% regional differenziert. Die
quantitativ bedeutendste Untergliederung bildet die Gruppierung der
Pontos-Griechen. Eine Erklärung kann darin gefunden werden, daß
diese Gruppe auch in Griechenland eine diskriminierte Gruppe ist.
Die Erfahrung der gruppenbezogenen Benachteiligung kann natürlich auch im Ausland dazu führen, weiterhin eigene Wege zu gehen
und sich nicht mit der Mehrheitsbevölkerung zu solidarisieren oder
zu identifizieren. Als weitere regionale Zusammenschlüsse sind
unter denen der griechischen Migranten die der Epiroten, der Kreter,
der (griechischen) Makedonen, der Thessalier und der Margaritäner
zu verzeichnen, bei den italienischen Einwanderern handelt es sich
um Zusammenschlüsse der Sarden, Sizilianer und der Südtiroler.
Interessanterweise rührt das Phänomen der regionalen Differenzierung
offensichtlich nicht aus der ersten Einwanderergeneration. Sowohl
bei den griechischen als auch bei den italienischen Organisationen
weisen die auf Regionen bezogenen Zusammenschlüsse ein im Mittel
jüngeres Gründungsjahr auf als die auf die gesamte Nationalität
rekurrierenden Vereine. Bei den Selbstorganisationen von Migranten
griechischer Herkunft schwankt der Durchschnittswert zwischen den
Gründungsjahren um 6 Jahre (1981 bzw. 1987), bei denen von
Migranten italienischer Herkunft beträgt die Diskrepanz sogar 9 Jahre
(1980 bzw. 1989). Zu dieser Ausprägung paßt, daß die Altersstruktur
der Mitglieder der italienischen regional differenzierten Organisationen auch deutlich niedriger ist als die aller italienischer Vereinsangehörigen. Möglicherweise rührt die bei der zweiten und dritten
Einwanderergeneration stärkere Orientierung auf bestimmte
Regionen daher, daß ein individueller Bezug zu dem Herkunftsland
der Eltern oder Großeltern weitgehend verloren gegangen ist, der zu
konkreten Regionen aufgrund bestehender Verwandtschaftsverhältnisse und Urlaubserfahrungen aber möglicherweise noch besteht.
Die traditionell wichtige Bedeutung regionaler Besonderheiten
sowohl in Italien als auch in Griechenland prägt die Kenntnis über
den Migrationshintergrund und wirkt sich somit auf die vermittelte
Eigenwahrnehmung der kulturellen Identität auch für die in
Deutschland aufgewachsene Generation aus. Des weiteren zeigt
dieses Verhalten besonders bei den italienischen Migranten deutliche Parallelen zu derzeit auch in Italien bestehenden Regionalisierungstendenzen.
In einem Drittel der herkunftshomogenen Zusammenschlüsse
arbeiten auch Deutsche mit. Bei der Hälfte dieser Selbstorganisationen sind insgesamt nur eine oder zwei Vereinigungen erfaßt
worden. Hier liegen mit Ausnahme Brasiliens auch die Mitgliederzahlen in keinem Fall über 70 Personen. Möglicherweise wird die
deutsche Beteiligung somit auch durch den Umstand begünstigt, daß
insgesamt nur sehr wenige Angehörige der jeweiligen Nationalität in
NRW ansässig sind, so daß eine Organisationsbildung durch die Mitarbeit weiterer Personen effektiver ausgestaltet werden kann.
3.3 Rechtsform
77% der Selbstorganisationen von Migranten und Migrantinnen
in Nordrhein-Westfalen sind im Vereinsregister als eingetragener
Verein amtlich registriert. Dabei ist unter den Organisationen afrikanischer Migranten mit 88% der höchste Anteil an eingetragenen
Vereinen zu konstatieren, gefolgt von den Organisationen europäischer Migranten, die zu 78% eine feste Rechtsform aufweisen. Den
juristisch losesten Charakter weisen die Zusammenschlüsse der
Migranten asiatischer Herkunft mit 71% eingetragener Vereine an
allen Organisationen auf. Obwohl es sich bei den eingetragenen
Vereinen der Migranten afrikanischer Herkunft mit dem durchschnittlichen Gründungsjahr 1993 um die nach Kontinenten verglichen
jüngsten Organisationen handelt34, gibt es zwischen eingetragenen
Vereinen und losen Zusammenschlüssen bezüglich dieses Untersuchungsmerkmals insgesamt keine signifikanten Unterschiede.
Das durchschnittliche Gründungsjahr differiert hier lediglich um ein
Jahr, bei den eingetragenen Vereinen liegt es bei 1985, bei den
lockeren Zusammenschlüssen bei 1986.
34 Nach den Organisationen der Migranten afrikanischer Herkunft folgen die herkunftsheterogenen Vereinigungen und die der Migranten lateinamerikanischer Herkunft mit dem
durchschnittlichen Gründungsjahr 1988. Die Vereinigungen der Migranten asiatischer Herkunft haben sich im Durchschnitt 1987 gegründet, und die Organisationen der
Migranten europäischer Herkunft sind in NRW mit dem durchschnittlichen Gründungsjahr 1982 die ältesten Selbstorganisationen. Quelle: eigene Berechnungen.
27
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
Dieses Ergebnis kann nicht auf das absolute Zahlenverhältnis
zwischen älteren und jüngeren Vereinen zurückgeführt werden, so
daß etwa das Gros der schon in früheren Jahren gegründeten Organisationen die aktuellen Trends verschlucken würde. Die meisten
heutigen Migrantenorganisationen entstanden nicht schon zu Beginn
der Einwanderung der angeworbenen Arbeitskräfte in den 60er und
frühen 70er Jahren; vielmehr zeichnen sich gerade die Jahre seit
1990 durch eine verstärkte Bildung von Zusammenschlüssen von
Migranten und Migrantinnen aus. Der Großteil der Organisationsgründungen liegt somit auch unter Einbeziehung der an die klassischen Wohlfahrtsverbände angeschlossenen Gruppierungen nicht in
der ersten Einwanderungsgeneration.
Auch weichen die prozentualen Schwankungen bezüglich des
Anteils eingetragener Vereine an allen Verbindungen bei den Organisationen, die in den Jahren zwischen 1964 und heute gegründet
wurden, nur unwesentlich voneinander ab.
Somit kann zwischen den Selbstorganisationen, die vornehmlich
von den als Arbeitskräften angeworbenen Einwanderern gegründet
wurden, und denen der zweiten und dritten Generation bzw. denen
der neuen Einwanderungsgruppen kein wesentlich verändertes Verhalten bezüglich der rechtlichen Zementierung ihrer Treffpunkte und
Sprachrohre festgestellt werden.
Anzahl aller Selbstorganisationen und Anteil eingetragener
Vereine nach Gründungsjahr 35
Gründungs- Anzahl Anzahl
jahr
Org. insg. e.V.
Anteil
e.V.
Gründungs- Anzahl Anzahl
jahr
Org. insg. e.V.
Anteil
e.V.
1898
1
1
100
1980
11
9
81
1962
1
1
100
1981
8
7
88
1963
3
3
100
1982
11
8
73
1964
3
1
33
1983
8
6
75
1965
3
3
100
1984
14
7
50
1966
1
1
100
1985
8
7
88
1967
4
3
75
1986
7
6
86
1968
2
1
50
1987
13
12
92
1969
3
3
100
1988
10
9
90
1970
4
2
50
1989
5
3
60
1971
6
6
100
1990
17
11
65
1972
2
2
100
1991
12
10
83
1973
5
4
80
1992
19
13
68
1974
7
7
100
1993
16
13
81
1975
2
1
50
1994
19
12
63
1976
3
2
67
1995
25
22
88
1977
11
10
91
1996
14
10
71
1978
7
4
5
1997
5
4
80
1979
2
1
50
Quelle: eigene Berechnungen
Wohl aber ergeben sich beim nationalitätenspezifischen Vergleich
Auffälligkeiten. So haben die Zusammenschlüsse der italienischen
Migranten lediglich zu 39% einen Vereinsstatus, was angesichts des
konstatierten Gesamtanteils stark unterdurchschnittlich ist. Die Vereinigungen der in ihrer Einwanderungsgeschichte vergleichbaren
Gruppen der Migranten griechischer und spanischer Herkunft weisen
demgegenüber mit 91 bzw. 74% einen wesentlich höheren Anteil
eingetragener Vereine an allen Selbstorganisationen auf.
Bezüglich der unterschiedlichen rechtlichen Einbindung kann
ein Zusammenhang zur jeweiligen Organisationsgeschichte der einzelnen Gruppen festgestellt werden. Die Einwanderungsgeschichte
der italienischen Migranten in Deutschland ist stark dadurch geprägt,
daß sie als Staatsangehörige einer Nation, die zu den Gründungsmitgliedern der Europäischen Gemeinschaft gehörte, von Anfang an
eine ausländerrechtlich relativ hohe Sicherheit besaßen. Durch diesen Umstand war die Herstellung eines weitgehend homogenen, auf
die Bundesrepublik gerichteten Interessenbildes sowie eine effektive
Interessenvertretung in geringerem Ausmaß als für die übrigen angeworbenen Arbeitnehmer notwendig. Als Folge davon standen die Zusammenschlüsse häufig unter dem Einfluß verschiedener, unter
Umständen miteinander konkurrierender Gruppierungen aus dem
Herkunftsland, deren Agitationsrichtung in der Regel weniger auf
die Entwicklung im Einwanderungsland als vielmehr auf Geschehnisse in Italien wies. Auch heute noch finden sich insbesondere
unter den Organisationen der Migranten italienischer Herkunft
solche, die offiziell an das italienische Konsulat oder die katholische
Kirche angebunden sind. Hier sind zum Beispiel die Italienischen
Katholischen Missionen zu nennen sowie das Fürsorgekomitee
COAS, das in geringem Ausmaß finanzielle Unterstützungen für
notleidende italienische Staatsbürger in Deutschland gewährt.
Gleichermaßen muß darauf hingewiesen werden, daß diese institutionellen Anbindungen zwar überdurchschnittlich häufig, aber keinesfalls exklusiv bei den italienischen Organisationen auftreten.
Diese Organisationsgeschichte italienischer Vereinigungen behinderte offensichtlich die Etablierung autonomer Standpunkte sowie eine
damit einhergehende Stärkung bestehender Interessengruppen und
begünstigte demgegenüber die Klientelisierung durch deutsche
Verbände.
Demgegenüber zeichnen sich sowohl die spanischen als auch die
griechischen Einwanderer durch eine wesentlich geschlossenere
Organisationsstruktur aus. Auch wenn sich die Aktivitäten der beiden
Gruppen insofern deutlich voneinander unterscheiden, als die Interessenvertretung der griechischen Migranten auch auf das Herkunftsland, die der spanischen Migranten hingegen in erster Linie
auf das Einwanderungsland Deutschland ausgerichtet waren, gelang
es ihnen doch in beiden Fällen, die jeweilig bestehenden Selbstorganisationen auch durch den Aufbau eigener starker Dachorganisationen näher aneinander zu binden und nach außen weitgehend
einheitliche Standpunkte zu vertreten.36
35 3,3% aller Organisationen und 3,0% der eingetragenen Vereine haben keine Angaben zum Gründungsjahr gemacht.
36 Zur Organisationsgeschichte vgl. auch Puskeppeleit/Thränhatdt, 1990.
28
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
Dabei wirkt die Möglichkeit, Gruppeninteressen zielgerichtet
und effektiv vermitteln zu können, offensichtlich optimierend auf die
Integrationspotentiale der jeweiligen Gruppenmitglieder.
Beispielhaft sei hier auf die Bildungsabschlüsse junger Migranten
verwiesen.Während die Organisationen italienischer Migranten
diesem Thema weitgehend indifferent gegenüberstanden, traten die
spanischen Einwanderer schon früh für ein integratives Konzept
spanischer Kinder in deutsche Schulen ein37. Derzeit weisen die
italienischen Schüler im nationalitätenspezifischen Vergleich die
schlechtesten Bildungsabschlüsse auf, während die spanischen
Schüler hier besonders positive Ergebnisse erzielen.38 Diese unterschiedlichen Integrationserfolge können zumindest auch als Folge der
unterschiedlichen Haltung der Selbstorganisationen zur schulischen
Integration ihrer Kinder bewertet werden. Somit wirkt die Organisationsgeschichte der Selbstorganisationen in einem nicht unbedeutenden Ausmaß auf die Integrationsmöglichkeiten ihrer Mitglieder.
Von allen in Nordrhein-Westfalen ansässigen erfaßten Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten konnten 25 als
Dachverbände qualifiziert werden. Diese gliedern sich nicht nur nach
nationalitätenspezifischen bzw. regional differenzierten Kriterien
(Panepirotischer Verband, Verband der Südtiroler Vereine in der
Bundesrepublik Deutschland etc.), sondern sind zum Teil auch
zusätzlich berufsständisch oder inhaltlich orientierte Verbände, wie
zum Beispiel der Verband der chinesischen Studenten und Wissenschaftler, der Verband portugiesischer Unternehmen, der Bundesbzw. Landesverband der spanischen Elternvereine, das Netzwerk
spanischsprechender Seniorinnen und Senioren in NRW Adentro
oder der Landesverband der koreanischen evangelischen Kirchengemeinden in Nordrhein-Westfalen. Neben jeweils vier griechischen
und spanischen sowie jeweils zwei polnischen und portugiesischen
Dachverbänden existieren afrikanische, aramäische, armenische,
chinesische, indische, italienische, koreanische, philippinische und
somalische Dachorganisationen. Gegenüber einer insgesamten
Rücklaufquote von 32% hat ein überdurchschnittlich hoher Anteil
von 56% aller Dachverbände an der Studie teilgenommen, was auf
ihre vergleichsweise professionellere Struktur schließen läßt. Somit
sind knapp 5% der am Rücklauf beteiligten Zusammenschlüsse
keine Einzelorganisationen. Die Dachverbände unterscheiden sich
bezüglich der Anzahl der bei ihnen organisierten Vereine stark voneinander. Die Spannbreite der insgesamt 462 bei ihnen angeschlossenen Organisationen liegt zwischen 5 und 145 Mitgliedsvereinen.
Während die am Rücklauf beteiligten Dachverbände der europäischen
Organisationen nur 43% ausmachen, beherbergen sie 72% aller Mitglieder. Zudem weisen die inhaltlich orientierten Verbände im Mittel
weniger Mitglieder auf als die ethnisch oder multikulturell organisierten Vereinigungen.
3.4 Zugehörigkeit zu Dachverbänden
Selber Mitglied in einer Dachorganisation sind 32% der Organisationen, die sich an unserer Umfrage beteiligt haben. Zusätzlich
oder alternativ sind 15% Vollmitglied und weitere 22% kooperatives
Mitglied bei einem der etablierten Wohlfahrtsverbände. Insgesamt
weisen somit deutlich über die Hälfte aller Zusammenschlüsse
Verbindungen zu einer Dachorganisation oder zu einem Wohlfahrtsverband auf; 42% aller Vereinigungen befinden sich in einer völlig
autonomen Organisationsstruktur.
Die Dachverbände, bei denen die Selbstorganisationen von
Migranten und Migrantinnen Mitglied sind, zeichnen sich durch
eine ausgesprochene Heterogenität und Vielfältigkeit aus. Es handelt
sich sowohl um zielgruppenorientierte als auch um thematisch verankerte Gruppen, in ihrer Reichweite um kommunal, landes-, bundesoder europaweit organisierte Verbände, um regionale oder nationalstaatliche Zusammenschlüsse sowie um Dachorganisationen, die
ihren Sitz im Herkunftsland haben. Religiöse Institutionen werden
genauso aufgeführt wie Sportbünde, entwicklungspolitische ebenso
wie feministische. Auch die Mitarbeit in institutionalisierten Landesund Bundesarbeitsgemeinschaften zu bestimmten politischen
Themen stellt keine Ausnahme dar. In dieser Heterogenität fallen
bestimmte Dachorganisationen durch ihre vergleichsweise häufige
Nennung jedoch besonders ins Auge. Zu nennen sind hier beispielsweise die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände
BAGIV, der Verband Griechischer Gemeinden in der Bundesrepublik
Deutschland OEK, der Verband der Initiativgruppen in der Ausländerarbeit VIA oder der Bundesverband der spanischen Elternvereine.
Am häufigsten wurde die Entscheidung zur Mitgliedschaft bei
einer Dachorganisation in den Organisationen von Migranten polnischer, griechischer und koreanischer Herkunft mit 67%, 56% und
50% getroffen.39 Insbesondere die herkunftsheterogenen Organisa-
37 Vgl. Dietrich Thränhardt, 1985: Die Selbstorganisation von Türken, Griechen und Spaniern im Vergleich, in: Ausländerpolitik und Ausländerintegration in Belgien, den
Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland, S. 130-156, hier S. 143f.
38 Während von den italienischen Schülern 1995 an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen 51% die Hauptschule und 11% das Gymnasium besuchten, lag der Anteil der
spanischen Schüler hier bei 31% bzw.26%. Quelle: Grund- und Strukturdaten 1996/97, hg. vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, 1996, S. 82f.,
sowie eigene Berechnungen..
39 Diese Aussage bezieht sich nur auf Selbstorganisationen, bei denen mehr als vier Organisationen auf dieselbe Bezugsgröße rekurrieren.
29
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
tionen zeichnen sich durch die gleichzeitige Mitgliedschaft bei
mehreren Dachorganisationen aus.
Neben dieser Organisationsstruktur gibt es die Möglichkeit der
Zugehörigkeit zu einem Wohlfahrtsverband. Hier muß differenziert
werden zwischen der Vollmitgliedschaft und der kooperativen Mitgliedschaft, bei der die einzelnen Organisationen dem Wohlfahrtsverband ohne Mitbestimmungsrecht angeschlossen sind.
Diese beiden verschiedenen Mitgliedsarten resultieren aus der
Struktur der Wohlfahrtsverbände an sich sowie aus dem System der
Ausländer-Sozialberatung, das in der frühen Anwerbephase der 50er
und 60er Jahre etabliert wurde. Die ältesten deutschen Wohlfahrtsverbände sind der Deutsche Caritasverband (DCV) und das Diakonische Werk (DW); ihre Ursprünge reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück. Bei beiden Verbänden handelt es sich um theologisch
legitimierte konfessionelle Einrichtungen, und von den angeschlossenen Mitgliedern wird die Teilung der Auffassungen des Verbandes
erwartet. Nach dem 1. Weltkrieg trat eine gewisse Pluralisierung des
bestehenden konfessionellen Wohlfahrtssystems durch die Gründung
des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), der Arbeiterwohlfahrt (AWO)
und des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands (DPWV) ein.
Die AWO wurde 1919 von den Sozialdemokraten als Gegenbewegung
zu den bereits bestehenden konfessionellen Wohlfahrtsverbänden
gegründet. Hier standen die Leitideen einer präventiven Sozialpolitik
anstelle einer karitativen Armenfürsorge sowie die Befähigung zur
Selbstorganisation statt einer paternalistischen Betreuung der Mitglieder im Vordergrund. Die AWO konstituierte sich von vornherein
als Mitgliederverein, was die Form der kooperativen Mitgliedschaft
jedoch nicht grundsätzlich ausschließt. Der DPWV ist der einzige
Wohlfahrtsverband, der die Pluralität seiner Mitglieder als integralen
Bestandteil seiner Existenz betrachtet, somit auf eine gemeinsame
Ideologie verzichtet und die Autonomie seiner Verbandsmitglieder
explizit befürwortet. Das Grundprinzip des DPWV besteht in seiner
Konstruktion als lobbyistischem Dachverband, der die rechtliche wie
programmatische Eigenständigkeit seiner Mitgliedsorganisationen
zum konstitutiven Prinzip erhebt. Durch dieses Eigenverständnis
kommt die Form einer kooperativen Mitgliedschaft beim DPWV
grundsätzlich nicht in Betracht.40
Durch das System der Ausländer-Sozialberatung, anfangs auch
Ausländer-Sozialbetreuung genannt, wurde die volle Zuständigkeit
für die angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte in die Verantwortung der Wohlfahrtsverbände übergeben. Die ausländische Wohnbevölkerung wurde entsprechend ihrer Religionszugehörigkeit aufgeteilt und nach diesem Kriterium auf die Wohlfahrtsverbände verteilt. Die Schaffung dieser Zuständigkeiten entsprach planmäßig
sowohl der konfessionellen Struktur der Migranten als auch dem
Kräfteverhältnis der Wohlfahrtsverbände, da zu diesem Zeitpunkt
die später eintretende quantitative Veränderung zugunsten der Zuwanderer aus der Türkei noch nicht absehbar war. Der Deutsche
Caritasverband war somit als stärkste Organisation auch für die vermeintlich größte angeworbene Gruppe verantwortlich, nämlich für
die katholischen Arbeitnehmer aus Italien, Spanien und Portugal,
und machte zusätzlich Angebote für die Jugoslawen kroatischer
Volkszugehörigkeit. Die Migranten evangelischer und orthodoxer
Religionszugehörigkeit, also vornehmlich die Arbeitnehmer aus
Griechenland, fielen in den Zuständigkeitsbereich des Diakonischen
Werkes, die Muslime wurden einer Betreuung durch die Arbeiterwohlfahrt unterstellt. Das Deutsche Rote Kreuz und der Deutsche
Paritätische Wohlfahrtsverband wurden nicht sofort in das System
der Ausländer-Sozialberatung einbezogen. Die Migranten selbst hatten
keine Möglichkeit, sich aktiv für einen der bestehenden Wohlfahrtsverbände zu entscheiden. Eine pluralistische Wahlmöglichkeit, bei
der die Interessen und Weltanschauungen der Individuen hätten
berücksichtigt werden können, war nicht gegeben. Staatlicherseits
wurde das System der Ausländer-Sozialberatung im Sinne des Subsidiaritätssystems als ein wesentlicher Pfeiler der sozialen Integration betrachtet und finanziell gestärkt. In der Praxis hat dieses
Betreuungsverhältnis jedoch vielfach eher zur Klientelisierung der
Migranten als zu ihrer politischen Emanzipation beigetragen, da
Betreuung in der Regel auch soziale Kontrolle impliziert.
Die in dieses System eingebundenen Wohlfahrtsverbände förderten die eigenständige Interessenvertretung ihrer Klientel meistens
nur in dem Maße, in dem es ihren eigen Organisationsbedürfnissen
nützlich war. So wurden vielfach kommunale Ausländerzentren und
Ausländervereine mit einer eingeschränkten Selbstverwaltung eingerichtet, die vornehmlich auf die Ausgestaltung des Freizeitbereiches
ausgerichtet war. Trägerschaft und Vereinssatzungen ließen aber
genügend Raum, unbeabsichtigte Strömungen von vornherein zu
unterbinden, häufig wurde den Vereinen politische Arbeit generell
untersagt. Durch die finanzielle Abhängigkeit, die zwischen Vereinen
und Wohlfahrtsverbänden bestand, hatten die Vereine nur wenige
Möglichkeiten, aus diesem System auszubrechen und eine autonome
Interessenvertretung voranzubringen.41
Eine Sonderrolle unter den Wohlfahrtsverbänden nimmt diesbezüglich der DPWV ein. Ihm schlossen sich viele der parallel zum
öffentlich geförderten Ausbau des Systems der Ausländer-Sozialberatung gegründeten Selbstorganisationen an, um an der über die
Wohlfahrtsverbände verteilten finanziellen Unterstützung des Staates
teilhaben zu können, ohne sich der Gefahr einer Klientelisierung
auszusetzen.
In den letzten Jahren hat sich das Verhältnis zwischen den
Betreuungsverbänden und den früheren Anwerbegruppen jedoch zu
verändern begonnen. So sind den Betreuungsverbänden mittlerweile
auch einige Vereinigungen von Migrantinnen und Migranten als
stimmberechtigte Vollmitglieder und nicht mehr nur als zu betreuende
Gruppen angeschlossen.
Derzeit ist die Hälfte aller Organisationen, die an der Untersuchung teilgenommen haben, in irgendeiner Form mit einem Wohlfahrtsverband verbunden. Von ihnen befinden sich 35% in einer
kooperativen und 15% in einer Vollmitgliedschaft. Dabei weisen die
einzelnen Wohlfahrtsverbände große Disparitäten zwischen der Aufnahme von Migrantenorganisationen als formal gleichberechtigtes
oder als kooperatives Mitglied auf.
40 Vgl. Karl-Heinz Boeßenecker, 1995: Spitzenverbände in der Freien Wohlfahrtspflege in der BRD. Eine Einführung in Organisationsstrukturen und Handlungsfelder, Münster.
41 Vgl. Dietrich Thränhardt, 1983: Ausländer im Dickicht der Verbände. Ein Beispiel verbandsgerechter Klientenselektion und korporatistischer Politikformulierung, in:
Sozialarbeit und Ausländerpolitik, hg. von Franz Hamburger, Neuwied/Darmstadt, S. 62-78, hier S. 65.
30
3. Gesamtheit der Organisationen, Rücklauf, Rechtsform
Die Extrempunkte liegen deutlich zwischen dem DPWV und
dem DRK: Während der DPWV nur Vollmitglieder aufnimmt, sind
beim DRK ausschließlich kooperative Mitglieder angeschlossen.
Von den Selbstorganisationen von Migranten, die zum DW gehören,
haben nur 10%, das sind 2 Organisationen, die volle Mitgliedschaft.
Beim DCV sind die ihm angeschlossenen Migrantenorganisationen
zu 25%, bei der AWO zu 41% als formal gleichberechtigte Mitglieder
aufgenommen.
Wenn die Vollmitglieder und die kooperativ angeschlossenen Mitglieder jeweils als eine Einheit bewertet werden, verteilen sie sich
prozentual zu sehr verschiedenen Anteilen auf die einzelnen Wohlfahrtsverbände. Von den Vollmitgliedern ist die große Mehrheit, 52%,
dem DPWV angeschlossen, immerhin 27% gehören zum Caritasverband, 16% zur AWO und nur 4% sind beim Diakonischen Werk als
Vollmitglied eingetragen. Demgegenüber ist bei den kooperativ angeschlossenen Selbstorganisationen der DCV der wichtigste Verband.
Hier sind mit 52% über die Hälfte aller Organisationen versammelt,
gefolgt vom Diakonischen Werk mit 26%, der AWO mit 14% und
dem DRK mit 9% aller informell angeschlossenen Mitglieder.
Insgesamt ist der Caritasverband für unseren Zusammenhang
nach wie vor der wichtigste Wohlfahrtsverband. An ihn sind 42%
aller Selbstorganisationen von Migranten und Migrantinnen angeschlossen, gefolgt vom DPWV mit 20%, dem DW und der AWO mit
18 bzw. 15% und schließlich dem DRK mit 5%. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß der DPWV seine Mitgliedsvereine
31
nach unserem Eindruck verbandlicherseits nachhaltig zur Teilnahme
ermuntert hat, so daß hier leicht verzerrende Effekte nicht ausgeschlossen werden können.
Die Aufschlüsselung nach ethnischen Kriterien ist dabei immer
noch stark an die alte Zuteilung angelehnt. Bezüglich der kooperativ
angeschlossenen Selbstorganisationen weist das DW die homogenste
Struktur auf. Hier sind 72% der kooperativen Mitglieder Selbstorganisationen griechischer Migranten. Auch beim DCV lassen sich
deutlich nationale Schwerpunkte ausmachen: Über die Hälfte aller
angeschlossenen Organisationen sind solche von Migranten italienischer und spanischer Herkunft. Das DRK und die AWO zeichnen
sich hingegen gerade durch eine mangelnde Schwerpunktsetzung
aus, was bei der AWO aber darin begründet liegt, daß die Vereinigungen der Migranten türkischer Herkunft in diesen Teil der Studie
nicht eingehen. Demgegenüber läßt sich beim DRK tatsächlich eine
vermehrte kooperative Anbindung auch von Minderheitengruppen
konstatieren.
Auch an der prozentualen Verteilung der Vollmitglieder können
die althergebrachten Zuständigkeitsbereiche der Wohlfahrtsverbände
noch nachvollzogen werden. Der DPWV, der in das System der Ausländer-Sozialberatung nicht integriert war, umfaßt von den Migrantenorganisationen zu 70% die ebenfalls nicht aufgeteilten herkunftsheterogenen Zusammenschlüsse, allerdings auch zu über 20% die
Vereine von Migranten griechischer und spanischer Herkunft, die
sich aus ihren traditionellen Anbindungen gelöst haben.
Entsprechend sind die dem Caritasverband offiziell angeschlossenen
Organisationen fast ausschließlich solche der ihm traditionell zugehörigen Gruppen, nämlich zu 40% italienischer, zu weiteren 25%
kroatischer, zu 17% spanischer und zu 8% portugiesischer Herkunft.
Innerhalb der einzelnen nach ethnischen Kriterien bzw. multikulturell organisierten Vereinigungen sind die italienischen, koreanischen, spanischen wie die herkunftsheterogenen Zusammenschlüsse
mindestens zur Hälfte mit einem Wohlfahrtsverband verbunden.
Hier stechen die herkunftsheterogen organisierten Vereinigungen
mit einer überproportional hohen Vollmitgliedschaft (44%) heraus,
während die koreanischen in keinem Fall ein offizielles Mitglied
eines Wohlfahrtsverbandes sind. Die italienischen und spanischen
bilden mit 18 bzw. 16% aller Organisationen einen immer noch relativ
hohen Anteil von den Wohlfahrtsverbänden auch formal angeschlossenen Mitgliedern. Demgegenüber fallen insbesondere die Zusammenschlüsse griechischer und portugiesischer Migranten unter den
ehemaligen Anwerbestaaten durch eine insgesamt relativ niedrige
Anbindung an die klassischen Wohlfahrtsverbände auf. Die griechischen Zusammenschlüsse sind trotz ihrer traditionellen Zuweisung
an das DW mit 63% zu einem durchschnittlichen Anteil von den
Wohlfahrtsverbänden unabhängig, die portugiesischen Organisationen liegen mit 80% sogar noch deutlich über dem Durchschnitt.
Während die griechischen Organisationen diese nur geringe Anbindung an die Wohlfahrtsverbände durch eine überdurchschnittlich
hohe Mitgliedschaft bei anderen Dachverbänden kompensieren,
stimmt der festgestellte Trend der unterdurchschnittlichen Mitgliedschaft bei den Wohlfahrtsverbänden für die portugiesischen Zusammenschlüsse mit ihrem Organisationsverhalten gegenüber anderen
Dachverbänden überein. Bei ihnen ist unter den Organisationen, die
diese Studie unterstützt haben, nicht eine, die einem Dachverband
als Mitglied angehört.
4. Mitgliederstruktur
Von allen Organisationen haben 95% Angaben zur Mitgliederzahl
gemacht.42 Danach verzeichnen die erfaßten Selbstorganisationen
von Migranten und Migrantinnen in Nordrhein-Westfalen insgesamt
52.510 Mitglieder, von denen 52.035 Einzelmitglieder und 475
korporative Mitglieder sind. Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der
erfaßten Organisationen sind somit 17% aller in NRW lebenden
Migranten Mitglied einer Selbstorganisation43. Angesichts der Tatsache, daß sich diese Angabe auf die gesamte Wohnbevölkerung,
also auch auf Kinder und Kleinkinder bezieht, liegt der tatsächlich
Anteil der in Selbstorganisationen zusammengeschlossenen Einwanderer wohl noch deutlich darüber.
Nach Kontinenten aufgeschlüsselt erfassen die Organisationen der
Migranten europäischer Herkunft mit 81% den Großteil aller Mitglieder, obwohl sie nur 55% aller Selbstorganisationen aufweisen.
Demgegenüber sind lediglich 4% aller Mitglieder bei den herkunftsheterogenen Vereinigungen organisiert, während ihnen 17% aller
Gruppierungen angehören.
Auch bei den Organisationen der Migranten afrikanischer und
asiatischer Herkunft fallen diese Diskrepanzen ins Auge, wenn auch
nicht in so gravierendem Ausmaß wie bei den zuvor genannten.
Hier wird noch einmal deutlich, daß die Anzahl der Organisationen allein nicht ausreicht, die Organisationsdichte bestimmter
Gruppierungen zuverlässig zu bestimmen.
Die Einwanderer europäischer Herkunft liegen im Vergleich des
hochgerechneten Anteils organisierter Personen an der gesamten
Wohnbevölkerung mit 21% ebenfalls an der Spitze, gefolgt von den
Migranten afrikanischer, lateinamerikanischer und asiatischer Herkunft mit 12, 11 bzw. 10%.
Anteil an allen Organisationen, Anteil an allen Mitgliedern und Anteil
der Mitglieder an der Wohnbevölkerung nach Herkunftskontinent
Kontinent
Anteil an allen
Organisationen
Anteil an allen
Mitgliedern
Hochgerechneter Anteil der Mitglieder an
der Wohnbevölkerung
Afrika
11
3
12
Asien
16
11
10
Europa
55
81
21
1
1
11
17
4
Lateinamerika
Herkunftsheterogen
Quelle: Statistisches Bundesamt, 1997: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Fachserie1, Reihe 2,
sowie eigene Berechnungen
Nationalitätenspezifisch betrachtet konzentrieren sich die Mitglieder insbesondere auch unter den Organisationen der Zuwanderer
europäischer Herkunft sehr stark. Allein die Organisationen griechischer und italienischer Herkunft verzeichnen jeweils über 25% aller
Mitglieder. Demgegenüber folgen nur noch 10 Nationalitäten, deren
Vereinsangehörige mindestens 1% an allen Mitgliedern ausmachen,
die übrigen 38 Nationalitäten können nicht einmal die 1%-Marke
erreichen.
Der hohe Mitgliederanteil der Migranten griechischer Herkunft
verteilt sich auf 41 Organisationen, von denen 16 Organisationen
weniger als 100 und 20 Organisationen zwischen 101 und 500
Einzelmitglieder aufweisen. Drei Vereinigungen liegen bei einer
Mitgliederstärke zwischen 501 und 1.000 und zwei Zusammenschlüsse haben über 1.000 Vereinsangehörige angegeben. Mit Ausnahme einer Griechisch-Orthodoxen Kirchengemeinde, die im
Selbstverständnis einer Selbstorganisation geantwortet hat und als
solche in die Auswertung eingeht, ist keine der Organisationen eine
an eine offizielle Institution angebundene Vereinigung. Bei den
weiteren Zusammenschlüssen mit einer überdurchschnittlich hohen
Mitgliederzahl handelt es sich vielmehr um Griechische Gemeinden
sowie um Kultur- oder Elternvereine. Doch auch ohne die 6.000
Mitglieder der Griechisch-Orthodoxen Kirchengemeinde entfallen
immer noch 16% aller Mitglieder auf die griechischen Organisationen. Die in dieser Studie erhobenen Zahlen bestätigen somit das
Bild einer weit verbreiteten Organisierung griechischer Einwanderer
mit einer starken Dachorganisation. Allein dem Verband Griechischer
Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland sind 145 Einzelvereine angeschlossen. Daneben gibt es viele weitere griechische
Vereine, die mit anderen Dachverbänden oder unabhängig von ihnen
agieren. Somit zeugt die hohe Mitgliedschaft hier von einer tatsächlich starken Organisierung herkunftshomogen strukturierter Zusammenschlüsse griechischer Migranten.
42 Die Organisationen, die keine Angaben zu ihrer Mitgliederstärke gemacht haben, verteilen sich anteilig in vergleichbaren Größenverhältnissen zur Gesamtzahl der Selbstorganisationen nach Kontinenten und kommen aus so unterschiedlichen Herkunftsgebieten, daß hier keine signifikanten statistischen Verzerrungen zu erwarten sind.
43 Nach einer in 5 westdeutschen Großstädten durchgeführten DIFU-Studie aus den achtziger Jahren liegt der Organisationsgrad der Migranten in Selbstorganisationen, bezogen
auf die gesamte ausländische Bevölkerung, zwischen 20 und 30%. Vgl. Michael Krummacher/Viktoria Waltz, 1996: Einwanderer in der Kommune. Analysen, Aufgaben und
Modelle für eine multikulturelle Stadtpolitik, Essen, S. 228.
32
4. Mitgliederstruktur
Die Anzahl der Einzelmitglieder von Organisationen italienischer
Zuwanderer verteilt sich auf insgesamt 25 Zusammenschlüsse, von
denen 16 weniger als 100 und sieben zwischen 101 und 500 Mitglieder haben. Der Großteil der Beteiligten fällt hier auf zwei
Italienische Katholische Missionen, die jeweils eine Mitgliederstärke
von 6.000 angeführt haben. Ohne Berücksichtigung der Missionen
fällt die Mitgliedsstärke italienischer Organisationen auf einen Mittelwert zurück und liegt mit genau 4% zwischen den herkunftsheterogen
organisierten und den serbisch/montenegrinischen Zusammenschlüssen.
Gemessen an der Vielzahl der herkunftsheterogenen Organisationen erstaunt ihre relativ geringe Mitgliederzahl. Sie verfügen nur
über 4,5% aller Mitglieder, während sie mit 50 Zusammenschlüssen
den höchsten Anteil an Vereinigungen aufweisen. Hier liegt die Mitgliederzahl pro Organisation somit deutlich niedriger als bei den
griechischen und italienischen Organisationen. 35 Zusammenschlüsse weisen unter 50, weitere 8 unter 100 Vereinsangehörige
auf. In keiner multikulturellen Vereinigung sind mehr als 200 Mitglieder organisiert. Demgegenüber zeichnen sich die aramäischen
und chinesischen Organisationen durch wenige, aber mitgliederstarke
Vereinigungen aus. Während sie in der Rangfolge der Organisationen
den 21. und den 23. Platz einnehmen, liegen sie in der Mitgliederskala auf den Plätzen 9 und 10. In Relation zu ihrem jeweiligen
Bevölkerungsanteil sind insbesondere die Organisationen der
Migranten indischer, aber auch die chinesischer Herkunft sehr stark
organisiert. Sie weisen deutlich mehr Mitglieder auf als viele Organisationen bevölkerungsstärkerer Gruppen.
Auf die regional differenzierten Organisationen entfallen 4%,
auf die unter deutscher Beteiligung arbeitenden Vereine 7% aller
Mitglieder. Bei den letzteren ist besonders auffällig, daß ihnen mit
16% überdurchschnittlich viele korporative Mitglieder angehören.
Zwar sind zwei Dachverbände unter den deutsch-ausländischen Vereinigungen; diese beherbergen jedoch nur 30% der korporativen Mitglieder. Für dieses Phänomen kann keine sichere Erklärung gegeben
werden. So ist zum einen möglich, daß unter deutscher Beteiligung
arbeitende Vereinigungen Mitglieder gezielter anwerben als Selbstorganisationen, denen fast ausschließlich Migranten angehören. Ein
Indiz in dieser Richtung ist die Tatsache, daß gegenüber 21% an
allen herkunftshomogenen Organisationen 57% aller deutsch-ausländischen Zusammenschlüsse als Gründungsanlaß oder heutige
33
Zielsetzung explizit die Verbesserung der Beziehungen zwischen
den Deutschen und ihrer jeweiligen Herkunftsnationalität angaben.
Durch eine solche Zielsetzung wird die verstärkte Kontaktierung
auch deutscher Vereine und Institutionen programmatisch bereits
vorgegeben. Ebenfalls kann ein erhöhtes Interesse an korporativen
Mitgliedschaften darin begründet liegen, daß sich bei den deutschausländischen überproportional viele Selbstorganisationen befinden,
die humanitäre Hilfe im Herkunftsland leisten. Für diese Aufgabe
kann ein möglichst hohes Maß institutioneller Hilfe sehr förderlich
sein. Gleichermaßen ist aber auch denkbar, daß Vereine einem Beitritt zu reinen Selbstorganisationen kritischer gegenüberstehen.
Aktiv beteiligen sich ca. 21% aller Mitglieder an der Vereinsarbeit. Hier geht die Mitgliedschaft von Beitragszahlungen und der
Wahrnehmung von Angeboten in eine direkte Mitgestaltung des
Vereinsprofils über. Im Vergleich nach Kontinenten zeigt auch der
Anteil aktiver Mitarbeiter große Differenzen. Hier sind es die
Migranten afrikanischer Herkunft, die sich mit über 36% durch
einen besonders hohen Anteil aktiver Einzelmitglieder auszeichnen,
gefolgt von den Migranten asiatischer Herkunft mit 32% und den
Mitarbeitern der herkunftsheterogenen Zusammenschlüsse mit 27%.
Die Vereinsangehörigen der Organisationen der Migranten lateinamerikanischer Herkunft weisen 21% aktive Mitarbeiter auf, das
Schlußlicht bilden die Migranten europäischer Herkunft, die sich
lediglich zu 18% direkt an der Vereinsarbeit beteiligen. Unter Einbeziehung der korporativen Mitglieder verändert sich die prozentuale
Verteilung aktiver zu passiver Mitglieder nur unwesentlich.
Anteil aktiver Einzel- und korporativer Mitglieder nach
Herkunftskontinent
Kontinent
aktive
Einzelmitglieder
aktive
korporative
Mitglieder
aktive
Mitglieder
insgesamt
Afrika
36%
64%
37%
Asien
32%
20%
32%
Europa
18%
43%
18%
Lateinamerika
21%
-
19%
Herkunftsheterogen
27%
75%
29%
insgesamt
21%
40%
21%
Quelle: eigene Berechnungen
4.1 Altersstruktur
Die Altersstruktur der Mitglieder der Selbstorganisationen von
Migranten und Migrantinnen in Nordrhein-Westfalen wurde in vier
Altersklassen erhoben: die erste Kategorie bilden die unter 18-jährigen, dann folgen die 19-40-jährigen, die 41-55-jährigen und schließlich die über 55-jährigen. 55 Organisationen aus 20 verschiedenen
Herkunftsgebieten haben keine Angaben zur Altersstruktur ihrer
Mitglieder gemacht. Somit bilden 82% der an der Studie beteiligten
Organisationen die Grundlage für die folgenden Aussagen.
Insgesamt sind 10% aller Vereinsangehörigen jünger als 18 Jahre,
der Großteil aller Mitglieder, 43%, ist zwischen 19 und 40 Jahre alt,
33% fallen in die Altersklasse der 41-55-jährigen und 14% aller
Mitglieder sind über 55 Jahre alt.
4. Mitgliederstruktur
Verglichen nach Herkunftskontinenten weisen die Migranten
deutliche Unterschiede in ihrer Altersstruktur auf. Mit 21% an über
55-jährigen Vereinsmitgliedern haben die Einwanderer europäischer
Herkunft den mit Abstand höchsten Anteil in dieser Altersklasse.
Ihnen folgen in weit geringerem Ausmaß die Mitglieder lateinamerikanischer und herkunftsheterogener Organisationen, die zu jeweils
8% in diese Kategorie fallen. Den geringsten Anteil in der höchsten
Altersklasse haben die Vereinsangehörigen afrikanischer Herkunft
mit lediglich 4%. Hier sind 3/4 aller Mitglieder zwischen 19 und 40,
weitere 17% zwischen 41 und 55 Jahren alt.
Somit sind vor allem die unter 18-jährigen Mitglieder, gemessen
an ihrem Anteil von 25% an der gesamten ausländischen Wohnbevölkerung44, stark unterdurchschnittlich vertreten. Dieses ungleiche
Verhältnis ist wohl darauf zurückzuführen, daß Kinder und Jugendliche erst nach der Vollendung des 7. Lebensjahres über eine
beschränkte und erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres über
eine volle Geschäftsfähigkeit verfügen, so daß eine elternunabhängige
Mitgliedschaft frühestens mit Erreichung der Volljährigkeit möglich
ist.45 Dagegen ist der Bevölkerungsanteil von 44% in der Gruppe
der 19-40-jährigen mit dem Mitgliederanteil von 43% fast identisch.
In dieser Altersklasse befinden sich sowohl die meisten Zuwanderer
in NRW als auch die meisten Vereinsangehörigen. In der Altersklasse
der 41-55-jährigen übersteigt der Organisationsgrad den Bevölkerungsanteil, der bei 19% liegt, um über 10 Punkte; ebenso liegt bei
den über 55-jährigen der Mitglieder der Organisationsgrad über dem
Bevölkerungsanteil, mit 3% hier jedoch nur geringfügig. Auf der
Grundlage dieser Daten kann die Annahme abgeleitet werden, daß
Migrantenselbstorganisationen zukünftig weiter an Bedeutung zunehmen werden, da ein großer Bevölkerungsanteil in den noch nicht
organisierten Altersklassen liegt. Selbst wenn sich jüngere Einwanderer hier insgesamt weniger stark organisieren sollten als die vorhergehende Generation, werden aufgrund der demographischen Verhältnisse weiterhin quantitative Zuwächse in den Vereinen zu beobachten sein. Auch aus dieser Perspektive ist es wichtig, seitens der
Landesregierung weiterhin den Kontakt zu den Selbstorganisationen
zu suchen und sie als Interessenvertretung einer bedeutenden Bevölkerungsgruppe ernst zu nehmen.
Im nationalitätenspezifischen Vergleich fallen in der jüngsten
Altersklasse insbesondere die Organisationen der Migranten koreanischer Herkunft auf, deren Mitglieder zu 46% in dieser Kategorie
zu finden sind. Dieser hohe Anteil läßt sich jedoch dadurch erklären,
daß sich unter den koreanischen Vereinigungen zwei koreanische
Schulen und ein Elternverein befinden, bei denen auch die Kinder
als Mitglieder registriert sind, so daß hier ein überdurchschnittlich
hoher Anteil junger Vereinsangehöriger auftritt. Bei den übrigen
koreanischen Zusammenschlüssen ist die Altersstruktur deutlich
höher. Weiterhin weisen sich die aramäischen Organisationen und
die der Migranten somalischer Herkunft durch eine besonders junge
Mitgliedschaft aus. In beiden Fällen basieren die Angaben jedoch
auf einer sehr dünnen Datenbasis; erschwerend kommt bei den
aramäischen Zusammenschlüssen hinzu, daß sie mehrheitlich keine
Angaben zur Altersstruktur gemacht haben. Somit können diese
Aussagen nicht verallgemeinert werden.
Über eine besonders junge Mitgliedschaft verfügt zudem ein
Großteil der afrikanischen Organisationen. Sowohl bei den angolanischen, ghanaischen, kamerunischen, kongolesischen und togoischen
als auch bei den gesamtafrikanischen Zusammenschlüssen sind über
93% der Vereinsangehörigen jünger als 41 Jahre.
44 Die Angaben beziehen sich hier nicht nur auf die in die Studie eingehenden Migrantengruppen, sondern auf die gesamte nichtdeutsche Bevölkerung in NRW. Aufgrund fehlenden
Datenmaterials in den von uns gewählten Erhebungsgrößen mußten Angaben vom 31.12.1995 und vom 31.12.1996 zusammengerechnet werden. Quelle: Statistisches Bundesamt, 1997, Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW, 1997, sowie eigene Berechnungen.
45 Da im Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom 5. August 1964 (BGBl. I, S. 593) sowie in seinen Änderungen keine Bestimmungen zur Vereinsmitgliedschaft
gemacht werden, gelten hier die entsprechenden allgemeinen Regeln zur Geschäftsfähigkeit, vgl. §§104-113 BGB.
34
4. Mitgliederstruktur
Demgegenüber zeichnen sich die Organisationen der Zuwanderer
spanischer, ungarischer, italienischer und ägyptischer Herkunft durch
eine vergleichsweise ältere Mitgliedschaft aus. Während die Aussagen bezüglich der ungarischen und ägyptischen Mitgliedschaft
wieder auf einer unzureichenden Datenlage basieren, können insbesondere bei den spanischen Migranten Übereinstimmungen zur
Altersstruktur der Bevölkerung konstatiert werden. Gegenüber der
gesamten nichtdeutschen Bevölkerung sind die für diese Studie maßgeblichen Migrantengruppen europäischer Herkunft in NRW deutlich älter, hier nehmen die spanischen Migranten jedoch noch einmal eine Sonderrolle ein. Während von den gesamten ausländischen
Einwanderern ebenso wie von den europäischen Migranten insgesamt lediglich 3,2% älter als 65, aber 40% jünger als 25 Jahre sind,
liegen die entsprechenden Daten für die in den Untersuchungsbereich dieser Studie gehörenden Migrantengruppen europäischer
Herkunft46 bei 4,9 bzw. 33%. Demgegenüber sind 5,9% aller in
Nordrhein-Westfalen lebenden spanischen Staatsangehörigen über
65 Jahre alt, aber nur 25% von ihnen sind jünger als 25. Diese
Altersstruktur ist auch auf das Verhältnis spanisch-spanischer zu
spanisch-deutschen Ehen zurückzuführen. In ganz Nordrhein-Westfalen wurden 1995 gegenüber 292 spanisch-deutschen nur 3 spanisch-spanische Ehen geschlossen. Von den insgesamt 541 Kindern,
die in NRW 1995 in spanisch-spanischen und spanisch-deutschen
Ehen geboren wurden, sind lediglich 123 Kinder aus spanisch-spanischen Ehen. Jedoch nur diese Kinder werden in der deutschen
Statistik als spanische Staatsangehörige aufgeführt; die aus spanischdeutschen Ehen hervorgehenden Kinder werden als deutsche Staatsbürger gezählt. Diese demographische Erklärung greift bei den
Migranten italienischer Herkunft jedoch nicht. Sie haben mit 4%
über 65jähriger und mit 33% unter 25jähriger eine durchschnittliche
Altersstruktur. Hier scheinen proportional tatsächlich mehr ältere
Migranten in der Vereinsarbeit tätig zu sein.
4.2 Geschlechterstruktur
Von allen Organisationen haben 86% Angaben zur Geschlechterstruktur ihrer Mitglieder gemacht. Demnach entspricht die Verteilung
zwischen den Geschlechtern mit einem 55%igen Männer- und
einem 45%igen Frauenanteil bei den Mitgliedern der Selbstorganisationen exakt dem Geschlechterverhältnis der in diese Studie eingehenden Migrantengruppen insgesamt. Im Vergleich nach Kontinenten werden jedoch einige Diskrepanzen deutlich.
Männer- und Frauenanteil
aller Mitglieder nach Herkunftskontinent
Kontinent
Männeranteil
Frauenanteil
Afrika
Asien
Europa
Lateinamerika
Herkunftseterogen
73
51
59
35
38
27
49
41
65
62
insgesamt
55
45
Allein die Vereinsangehörigen der lateinamerikanischen Organisationen weisen bezüglich der Geschlechterstruktur mit einem
weiblichen Mitgliederanteil von 65% eine nahezu identische Relation
zur entsprechenden Wohnbevölkerung auf. Bei den Zusammenschlüssen der Migranten afrikanischer wie europäischer Herkunft
liegt der Männeranteil bei der Mitgliedschaft in den Selbstorganisationen mit 6 bzw. 4% über dem entsprechenden Bevölkerungsanteil; bei den Zusammenschlüssen asiatischer Migranten hingegen
sind 5% mehr Frauen organisiert als es ihrem Bevölkerungsanteil
entspricht. Hier deckt sich die kontinentale Betrachtung weitgehend
mit der im nationalitätenspezifischen Vergleich besonders uneinheitlich auftretenden Verteilung der Geschlechterverhältnisse. So liegt
der höchste Männeranteil mit über 85% bei ghanaischen, angolanischen, togoischen und albanischen Organisationen vor, also bei
Organisationen aus dem afrikanischen und europäischen Raum.
Die Mitglieder albanischer Vereinigungen werden in den Statistiken
zwar als Staatsangehörige des albanischen Staates, nicht aber als
ethnische Gruppe erfaßt, so daß hier keine Aussagen über die
Geschlechterverteilung der Gesamtgruppen gemacht werden können.
Das gilt ebenfalls für die Migranten angolanischer und togoischer
Herkunft, die aufgrund ihrer geringen Gesamtzahl in NRW in den
Statistiken nicht gesondert aufgeführt werden. Der hohe Männeranteil unter den Vereinsangehörigen ghanaischer Herkunft kann
jedoch nicht von der Geschlechterverteilung der in NRW ansässigen
Gesamtbevölkerung abgeleitet werden. Hier liegt mit 58% zwar
tatsächlich ein erhöhter Männeranteil vor; dieser reicht jedoch nicht
aus, um die geringe Vereinsmitgliedschaft von Frauen auf allein
demographische Ursachen zurückzuführen.
Den stärksten Frauenanteil weisen demgegenüber mit jeweils
über 60% koreanische, philippinische und herkunftsheterogen strukturierte Organisationen, also weitgehend asiatische Zusammenschlüsse auf. Hier kann der erhöhte Frauenanteil nur zum Teil als
Ergebnis der Geschlechterverteilung in der jeweiligen Bevölkerungsgruppe gewertet werden. So machen die Koreanerinnen nur 54% an
der Wohnbevölkerung aus, liegen also deutlich unter ihrem Organisierungsgrad.47
46 Hier wurden aus der Gesamtzahl der Migranten europäischer Herkunft in NRW die Migranten türkischer Staatsangehörigkeit herausgerechnet. Quelle: Landesamt für
Datenverarbeitung und Statistik NRW, 1997, sowie eigene Berechnungen.
47 Zur Organisationsgeschichte der Koreaner in der Bundesrepublik vgl. Jung-Sook Yoo, 1996: Koreanische Immigranten in Deutschland. Interessenvertretung und Selbstorganisation, Hamburg. Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Organisationsgeschichte der koreanischen Zusammenschlüsse kommt Yoo zu dem Ergebnis, daß die
Arbeit insbesondere bei vielen Koreanerinnen zur Entwicklung eines starken Selbstbewußtseins beigetragen hat. Das Engagement in den koreanischen Vereinigungen hat zu
einem Integrationserfolg in das deutsche Gesellschaftssystem geführt, ohne jedoch die Herkunftskultur aufzugeben. Vgl. ebd., S. 338.
35
4. Mitgliederstruktur
Der gegenüber der ausländischen Gesamtbevölkerung leicht
überdurchschnittliche Frauenanteil bei den herkunftsheterogenen
Vereinigungen kann darauf zurückzuführen sein, daß unter diesen
Gruppierungen 13 reine Frauenorganisationen zu finden sind.
Insgesamt sind fast 7% aller Selbstorganisationen in NRW reine
Frauenorganisationen, wohingegen es nur zwei ausdrückliche
Männerorganisationen gibt48. Somit sind 539 Frauen gegenüber
50 Männern in geschlechtsspezifisch strukturierten Gruppierungen
organisiert.
Bei den männerspezifischen Zusammenschlüssen handelt es
sich in keinem Fall um einen eingetragenen Verein; beide Organisationen sind kooperative Mitglieder bei einem Wohlfahrtsverband.
60% ihrer Mitglieder sind aktiv an der Vereinsarbeit beteiligt.
Arbeitsschwerpunkte liegen in der Freizeitgestaltung und der gegenseitigen Unterstützung. Veranstaltungen und interne Diskussionsrunden finden vorwiegend zu (gesellschafts-)politischen Themen,
wie Arbeitslosigkeit, Rentenreform, politischen Partizipationsmöglichkeiten von EU-Bürgern, oder der politischen Situation im
Heimatland statt. Beide Zusammenschlüsse wollen durch ihre Arbeit
in Richtung Begegnung und Integration wirken.
Ebenso wie die männer- sind auch die frauenspezifischen
Organisationen mit nur 35% unterdurchschnittlich selten als eingetragener Verein registriert. Bezüglich ihrer Funktion eines Dachverbandes nehmen sie mit 5% jedoch einen Mittelwert ein. Überdurchschnittlich häufig weisen die frauenspezifischen Zusammenschlüsse
aber eine Vollmitgliedschaft bei den Wohlfahrtsverbänden auf: hier
nehmen sie mit 45% einen dreimal so hohen Wert ein wie die Selbstorganisationen insgesamt; in einer kooperativen Mitgliedschaft zu
einem Wohlfahrtsverband befinden sich gegenüber dem Durchschnittswert hingegen deutlich weniger.
Die Mitgliedschaft der frauenspezifisch organisierten Vereinigungen ist gegenüber allen Vereinsangehörigen deutlich jünger. 63%
von ihnen sind unter 40 Jahren und nur 10% sind älter als 55. Mit
44% aktiver Mitglieder weisen die frauenspezifischen Gruppierungen einen gegenüber dem Gesamtwert mehr als doppelt so hohen
Beteiligungsgrad auf. Als Gründungsmotivation wird zum einen
angegeben, verbreiteten rassistischen und sexistischen Strukturen
entgegenwirken zu wollen; zum anderen wird häufig darauf verwiesen, daß die Frauen in den entsprechenden gemischten Vereinigungen ihre Interessen nicht effektiv durchsetzen konnten und somit
neben den bestehenden reine Frauengruppen eingerichtet haben.
Ihre Angebote richten sich dabei nicht nur auf Frauen als solche,
sondern sind in verschiedenen Organisationen auf spezielle Zielgruppen zugeschnitten, so auf junge Migrantinnen, Arbeitslose oder
Flüchtlingsfrauen. Besonders häufig werden die Bereiche Bildung,
Integration, Begegnung und Kultur als maßgebliche Arbeitsgebiete
genannt. Dabei bewegen sich die Angebote zwischen politischen,
sozialen, kulturellen und informativen Aktivitäten. Einen wesentlichen
Arbeitsschwerpunkt bilden die berufliche Orientierung und Qualifizierung von Migrantinnen. Hier stehen Berufsberatungen, Bewerbungstrainings und Hilfestellungen bei der Ausbildungsplatzsuche,
Informationsveranstaltungen zum aktuellen Arbeitsmarkt und zu
Umschulungsmöglichkeiten ebenso wie EDV- und Sprachkurse oder
Gesprächskreise zum beruflichen Wiedereinstieg nach der Kindererziehung im Vereinsprogramm.
Des weiteren unterstützen frauenspezifische Gruppierungen ihre
Mitglieder durch Informationsveranstaltungen oder Angebote zur
Stärkung ihres Selbstbewußtseins und Durchsetzungsvermögens bei
der Alltagsbewältigung; in diesen Bereich fallen auch thematisch
breit gestreute Gesprächskreise und Beratungsangebote. Weiterhin
sind Initiativen zur Freizeitgestaltung ebenso bedeutsam wie politische Aktionen als öffentlicher Protest gegen Diskriminierung und
Benachteiligung sowohl hier als auch im Herkunftsland oder als
Nutzung bestehender Möglichkeiten zur kreativen Mitgestaltung
eigener Lebensräume.
Insgesamt weisen sich die Aktivitäten frauenspezifisch organisierter Gruppen durch eine starke Vielfältigkeit ihrer Angebote aus.
Diese besitzen sicherlich eine Indikatorwirkung für die Perzeption
aktueller Problemlagen und sind somit richtungsweisend für Handlungsnotwendigkeiten auch auf politischer Ebene.
48 Insgesamt weisen 10 Organisationen (= 3% an allen Organisationen) eine rein männliche Mitgliedschaft auf. Von diesen verstehen sich inhaltlich jedoch nur zwei Gruppierungen
explizit als Männerorganisation.
36
5. Materielle und personelle Ausstattung
5.1 Finanzierung
Zur Beantwortung der Frage nach der Finanzierung der Selbstorganisationen wurden verschiedene Antwortkategorien zur Verfügung gestellt. Explizit waren die Möglichkeiten der Eigenfinanzierung (Mitgliedsbeiträge, Spenden etc.) sowie der Unterstützung durch
die Kommune, das Land oder den Bund aufgeführt; weiterhin gab es
die Kategorie der sonstigen Finanzierung, durch die die Möglichkeit
zur Nennung konkreter Finanzierungsalternativen gegeben war.
Insgesamt haben 6% aller Organisationen keine Angaben zu dieser
Fragestellung gemacht, unter denen sich überproportional viele herkunftsheterogene Vereinigungen befinden.
Nach den eingegangenen Angaben werden 72% aller Ausgaben
aus Eigenmitteln, jeweils 6% aus kommunalen und Landesmitteln,
weitere 4% aus Bundesmitteln und 12% aus sonstigen Quellen
gedeckt. Während die Organisationen der Zuwanderer lateinamerikanischer und afrikanischer Herkunft zur Bestreitung ihrer Vereinsausgaben zu 100 bzw. 92% auf Eigenmittel angewiesen sind, können
die herkunftsheterogenen Zusammenschlüsse ihre Ausgaben zu über
der Hälfte aus Fremdmitteln decken. Ihre Ausgaben werden durchschnittlich zu 17% von der Kommune, zu 13% vom Land und zu
11% vom Bund getragen. Damit stellen sie bei allen Instanzen die
am stärksten geförderte Gruppe dar. Ihnen folgen die Zusammenschlüsse der Migranten europäischer Herkunft bei der Landes- und
Bundesförderung, mit 6 und 3% jedoch in einem wesentlich geringeren Ausmaß. Allein die Kommunen unterstützen die Vereinigungen
asiatischer Migranten mit durchschnittlich 4% an ihren Gesamtausgaben in einem gleichen Ausmaß wie die der europäischen. Hier
liegt mit 3% auch die höchste Fremdförderung der afrikanischen
Zusammenschlüsse.
Einzig bei den sonstigen Finanzierungsquellen liegen die herkunftsheterogenen Organisationen nicht an der Spitze. Hier sind es
die europäischen Vereinigungen, die mit 16% den höchsten Anteil
an sonstigen Einnahmen aufweisen, gefolgt von den Zusammenschlüssen der Einwanderer asiatischer Herkunft mit 12%.
Unter den sonstigen Geldgebern wurden besonders häufig die
Wohlfahrtsverbände genannt, wobei der Caritasverband und das
Diakonische Werk eine herausragende Rolle spielen. Weiterhin gaben
mehrere Migrantenselbstorganisationen in NRW an, durch das Herkunftsland, kirchliche Mittel, die EU oder durch Stiftungen unterstützt zu werden. Vereinzelt wurden auch Dachverbände oder Institutionen, wie der Sprachverband Mainz und die Asienstiftung, aufgeführt.
Von allen Organisationen finanzieren sich fast 50% ausschließlich aus Eigenmitteln, 60% werden zu maximal 10% des Gesamtvolumens ihrer Ausgaben unterstützt. Lediglich 9% gaben an, ganz
ohne die Aufwendung von Eigenmitteln auszukommen. 22% aller
Organisationen werden aus kommunalen Mitteln finanziell gefördert, 4% mit einem über 50%igen Anteil an ihren Gesamtausgaben.
Eine Organisation verwies darauf, allein aus kommunalen Mitteln
zu arbeiten. Der Gesamtanteil der vom Land unterstützten Selbstorganisationen ist mit 18% etwas geringer. Hier gab ebenfalls eine
Organisation an, eine 100%ige Landesförderung zu erhalten; 5%
aller Zusammenschlüsse können mindestens die Hälfte ihrer Ausgaben aus Landesmitteln decken. Bundesmittel erhalten hingegen
lediglich 8% aller Migrantenorganisationen in Nordrhein-Westfalen.
Ebenfalls 8% aller Zusammenschlüsse gaben an, sich ausschließlich
aus anderen Geldquellen zu finanzieren, vornehmlich durch die
Unterstützung von Wohlfahrtsverbänden oder aus dem Herkunftsland.
Aus einer nationalitätenspezifischen Perspektive sind vorwiegend Gruppierungen mit einer nur geringen Gesamtzahl an Organisationen am stärksten von einer exklusiven Eigenfinanzierung
betroffen, aber auch die philippinischen und gesamtafrikanischen
Zusammenschlüsse werden von keiner Stelle gestärkt. Wenn Minderheitengruppen finanziell gefördert werden, geschieht dies im höchsten
Umfang auf kommunaler Ebene. Die Gesamtausgaben werden hier
anteilig am stärksten bei der Roma-Organisation und den Vereinigungen der vietnamesischen und äthiopischen Einwanderer übernommen. Bundesmittel erreichen anteilig hingegen am stärksten die
osteuropäisch heterogen zusammengesetzte Vereinigung sowie die
polnischen Organisationen.
Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit besteht in der Beantragung einer konkreten Projektförderung. 32% aller Organisationen
haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, beinahe 20% der
allein auf Eigenmittel angewiesenen Organisationen.
37
5. Materielle und personelle Ausstattung
Die meisten Projekte werden dabei von der Kommune unterstützt,
unwesentlich weniger vom Land NRW. Deutlich darunter liegen die
Projektfinanzierungen aus dem Herkunftsland, vom Bund, von der
EU und von verschiedenen Stiftungen. Insgesamt werden 98% aller
angegebenen Projekte von diesen Stellen unterstützt.
Die Projektförderung verteilt sich zu 52% auf europäische, zu
25% auf herkunftsheterogene, zu 14% auf afrikanische, zu 8% auf
asiatische und zu 1% auf lateinamerikanische Organisationen. Im
internen Vergleich schneiden hingegen die herkunftsheterogenen
Vereinigungen wie die Zusammenschlüsse der Migranten afrikanischer Herkunft besonders gut ab. Von diesen erhalten 44 bzw. 39%
eine zweckgebundene finanzielle Unterstützung. In die Projektförderung fallen zudem relativ viele Selbstorganisationen, die bezüglich
der ethnischen Herkunft ihrer Mitglieder in NRW einen Minderheitenstatus einnehmen.Von den klassischen Anwerbestaaten zeichnen sich
besonders die Organisationen der Migranten makedonischer, spanischer und serbisch/montenegrinischer Herkunft durch eine hohe
Unterstützung auf Projektbasis mit 42, 35 und 30% aus.
Vom Herkunftsland werden auf Projektebene ausschließlich
europäische und zu einem geringeren Anteil von 17% afrikanische
Organisationen unterstützt; allein 75% aller Vereinigungen sind solche
von Einwanderern aus den ehemaligen Anwerbestaaten.
Demgegenüber werden sowohl vom Land als auch von der EU mit
45 bzw. 62% besonders die Projekte der multikulturellen Zusammenschlüsse protegiert, während die Kommunen zu 54% die Projekte
europäischer Gruppierungen überdurchschnittlich stark unterstützen.
Eine nach Kontinenten ausgeglichenere Förderung tritt bei den
Stiftungen und beim Bund zutage, hier nehmen in keinem Fall Organisationen eines Kontinents mehr als 40% der Gesamtförderung ein.
So werden die Projekte asiatischer Vereinigungen anteilig auch zu
einem besonders hohen Anteil von Stiftungen und die der afrikanischen Gruppen durch den Bund unterstützt.
5.2 Räumlichkeiten
Zur Frage der Räumlichkeiten haben 95% aller Organisationen
Auskunft gegeben. Demnach nutzen mit 38% die meisten aller Vereinigungen ausschließlich zur Mitbenutzung überlassene Räumlichkeiten für ihre Vereinsaktivitäten, 29% können auf eigene Räume
zurückgreifen und 18% aller Zusammenschlüsse stehen sowohl eigene
als auch Nutzungsmöglichkeiten fremder Räume zur Verfügung.
Insgesamt sind 15% aller Organisationen jedoch weder mit eigenen
Räumlichkeiten ausgestattet, noch werden ihnen andere Räume zur
Mitbenutzung überlassen. Hier stellen die Privatwohnungen der einzelnen Mitglieder oft die einzige Möglichkeit zur Aufrechterhaltung
des Vereinslebens dar. Unter dieser Kategorie befinden sich im Vergleich nach Kontinenten mit 41 bzw. 33% besonders viele Organisationen von Migranten afrikanischer und asiatischer Herkunft. Die
herkunftsheterogenen Zusammenschlüsse sowie die der Migranten
europäischer Herkunft haben lediglich zu einem Anteil von 9 bzw.
7% keinerlei Räumlichkeiten, weisen demgegenüber jedoch zu 56
bzw. 74% eigene Vereinsräume auf.
Bei den Organisationen, denen eigene Räume zur Verfügung
stehen, weist die durchschnittliche Größe im Vergleich nach Herkunftskontinenten große Diskrepanzen auf.49 Die angegebene
Quadratmeterzahl liegt zwischen 6 bei den Organisationen der
Migranten lateinamerikanischer Herkunft und 282 bzw. 232 bei den
Gruppen der Migranten asiatischer Herkunft und den herkunftsheterogenen Zusammenschlüssen. Diese hohen Durchschnittszahlen
können jedoch dadurch erklärt werden, daß die 5 mit den größten
eigenen Räumlichkeiten versehenen Zusammenschlüsse alle den
asiatischen bzw. multikulturellen Organisationen angehören und
eine Quadratmeterzahl zwischen 1.500 und 600 qm aufweisen.
Inhaltlich handelt es sich hier entweder um religiöse Organisationen
oder um multikulturelle Zentren. Ohne Berücksichtigung dieser weit
über dem Durchschnitt liegenden Räumlichkeiten fällt die durchschnittliche Größe pro Vereinigung bei den herkunftsheterogenen
Zusammenschlüssen auf 110 qm, bei den asiatischen sogar auf 39 qm
zurück. Damit liegen beide Gruppen hinter den europäischen Gruppierungen, die durchschnittlich 120 qm an eigenen Vereinsräumen
aufweisen; die asiatischen Vereinigungen haben bei dieser Berechnung zudem eine geringere Raumgröße als die afrikanischen Selbstorganisationen mit durchschnittlich 62 qm.
Insgesamt verfügen 25% aller Organisationen mit eigenen Vereinsräumen über maximal 50 qm, 46% weisen Örtlichkeiten bis zu
100 qm auf. Die Vereinigungen mit den kleinsten räumlichen Möglichkeiten haben weder bezüglich der inhaltlichen Orientierung noch
bezüglich der ethnischen Herkunft Gemeinsamkeiten. Die Räume
weiterer 50% befinden sich in der Größenordnung zwischen 100
und 400 qm, darüberliegende Kapazitäten weisen lediglich 4% der
Zusammenschlüsse auf.
Deutliche Veränderungen in der durchschnittlichen Raumgröße
treten jedoch auf, wenn die zur Mitbenutzung überlassenen fremden
Räumlichkeiten einbezogen werden.50 Insgesamt sind die zur Mitbenutzung überlassenen Räumlichkeiten durchschnittlich zwar kleiner
49 12% aller Organisationen, die angegeben haben, über eigene Räumlichkeiten zu verfügen, haben keine Größenangaben gemacht. Somit beziehen sich die folgenden Berechnungen
auf 88% der Organisationen mit eigenen Räumen und auf 39% aller Organisationen.
50 61% aller Organisationen, die angegeben haben, über Mitnutzungsmöglichkeiten fremder Räumlichkeiten zu verfügen, haben keine Größenangaben gemacht. Somit beziehen
sich die folgenden Berechnungen auf 39% der Organisationen mit zur Mitbenutzung überlassenen Räumen und auf 21% aller Organisationen.
38
5. Materielle und personelle Ausstattung
als die eigenen, gleichwohl nutzen mehr Organisationen diese Möglichkeit, so daß es zu einer deutlichen Verbesserung des Raumangebots kommt. Die zur Mitbenutzung überlassenen Räume sind bei
65% der beteiligten Zusammenschlüsse kleiner als 100 qm, bei
weiteren 30% liegen sie zwischen 100 und 300 qm und bei 5% übersteigen sie diese Größe. Insbesondere im Vergleich nach Kontinenten
weichen die Nutzungsmöglichkeiten eigener Räume, zur Mitbenutzung überlassener Räume und der insgesamt zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten bei den jeweils betroffenen Organisationen deutlich voneinander ab. Dabei sind keine Korrelationen zwischen Raumgröße und Mitgliederzahl der jeweiligen Vereinigungen erkennbar.
Durchschnittliche Raumgröße der jeweils betroffenen
Organisationen nach Herkunftskontinent in qm
Kontinent
eigene Räume
zur Mitbenutzung
überlassene Räume
zur Verfügung
stehende Räumlichkeiten insgesamt
Afrika
62
53
57
Asien
281
165
272
Europa
120
91
118
6
200
103
232
118
218
Lateinamerika
Herkunftsheterogen
Quelle: eigene Berechnungen
Einschränkend muß hier jedoch hinzugefügt werden, daß bei
einer Mitnutzung von Räumen den entsprechenden Organisationen
diese nicht uneingeschränkt, sondern nur zu bestimmten Zeiten zur
Verfügung stehen. Dabei variieren die diesbezüglichen Angaben
stark voneinander.51 Während 27% aller Organisationen angaben,
die ihnen zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten bedarfsorientiert
nutzen zu können, sind 8% aller Vereinigungen ihre Treffpunkte nur
einige Male im Jahr zugänglich. Meistens wurden jedoch wöchentliche, 14tägige oder monatliche Raumnutzungsmöglichkeiten aufgeführt, so daß hier in der Regel zwar keine außerplanmäßigen, aber
doch regelmäßige Vereinsaktivitäten gewährleistet sind.
5.3 Festangestellte Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen
19% aller Organisationen aus 16 verschiedenen Herkunftsgebieten haben angegeben, daß festangestellte Kräfte in ihrer Selbstorganisation beschäftigt sind. Dabei divergieren die Vorstellungen
darüber, was unter einer festangestellten Kraft zu verstehen ist,
erheblich voneinander. Hier gehen sowohl zeitlich unbefristete wie
befristete Arbeitsverhältnisse ein, Teilzeit- wie Vollzeitstellen, ABMund ASS-Kräfte ebenso wie auf Honorarbasis arbeitende Personen
oder Aushilfen. Zudem ist ein Großteil der Angaben ohne weitere
Erläuterungen gemacht worden, so daß hier unklar bleibt, inwieweit
es sich um volle sozialversicherungspflichtige Stellen oder andere
Formen der entgeltlichen Mitarbeit handelt. Zudem mögen weitere
Organisationen insbesondere mit Hilfe von Honorar- und Aushilfskräften arbeiten, ohne diese im Fragebogen angegeben zu haben, da
sie sie nicht als festangestellte Mitarbeiter einstufen. Insofern handelt
es sich bei den folgenden Aussagen nur um Richtwerte, die aber
gleichwohl einen ersten Einblick in die personelle Situation der
Selbstorganisationen von Migranten und Migrantinnen in NordrheinWestfalen vermitteln.
Nach den vorliegenden Angaben stammen 2% aller Organisationen, die festangestellte Mitarbeiter beschäftigen, aus dem lateinamerikanischen Raum, weitere 4% aus dem afrikanischen und 13% aus
dem asiatischen Raum. 34% aller Zusammenschlüsse sind solche
von Migranten europäischer Herkunft, und mit 48% gehören fast die
Hälfte von ihnen zu den herkunftsheterogenen Vereinigungen.
Bei den Organisationen arbeiten insgesamt 187 Personen, von
denen allein 58% auf die herkunftsheterogenen Gruppierungen entfallen, weitere 33% sind bei europäischen Organisationen beschäftigt
und insgesamt 10% sind bei lateinamerikanischen, afrikanischen
und asiatischen Vereinen angestellt.
Bei den Vereinigungen der Einwanderer europäischer Herkunft
zeichnen sich vor allem die der Griechen und die der Italiener aus,
die 15 bzw. 6% aller Angestellten umfassen. Weiterhin verfügen die
Zusammenschlüsse der Migranten spanischer, serbischer und polnischer Herkunft sowie die Roma-Organisation und die osteuropäische
Gruppierung über festangestellte Personen. Bei den asiatischen und
afrikanischen Zusammenschlüssen bestehen feste Beschäftigungsverhältnisse in koreanischen, tamilischen, chinesischen, den armenischen, aramäischen und assyrischen sowie äthiopischen Selbstorganisationen.
Dabei liegt die durchschnittliche Anzahl festangestellter Kräfte
zwischen 1 und 3 Personen; Ausnahmen bilden insbesondere die
herkunftsheterogenen Organisationen, die in Einzelfällen bis zu 50
Mitarbeiter beschäftigen; weiterhin wurden von Zusammenschlüssen
der Griechen, der Roma sowie der Serben und Montenegriner mehr
als 3 Angestellte angegeben.
Viele dieser Stellen sind jedoch nicht auf Dauer angelegt. ABMund ASS-Stellen werden zunehmend abgebaut, befristete Arbeitsverträge nur bei einer entsprechenden Weiterfinanzierungsmöglichkeit
fortgesetzt. Gleichermaßen zeugen sie von der hohen Professionalisierung einzelner Organisationen, die ihre Angebots- und Arbeitsfelder durch eine rein ehrenamtliche Tätigkeit nicht mehr bewältigen
können. Gerade hier wäre zu hoffen, daß in Zukunft bestehende
Arbeitszweige nicht durch mangelnde Finanzierungsfragen abgebrochen und zerstört werden müssen. Denn gerade stabile Arbeitsverhältnisse gewährleisten eine kontinuierliche Arbeit der Selbstorganisationen.
51 9% aller Organisationen, die angegeben haben, über Mitnutzungsmöglichkeiten fremder Räumlichkeiten zu verfügen, haben keine Angaben zur Nutzungshäufigkeit gemacht.
Somit beziehen sich die folgenden Aussagen auf 91% der Organisationen mit zur Mitbenutzung überlassenen Räumen und auf 49% aller Organisationen.
39
6. Kontakte und Zusammenarbeit
Die Frage nach Außenkontakten der Selbstorganisationen wurde
in verschiedenen Antwortkategorien erhoben. Diese bezogen sich auf
Verbindungen zu anderen Migrantenorganisationen sowie zum Ausländerbeirat ebenso wie auf Beziehungen zu lokalen politischen
Parteien, kommunalen und Landeseinrichtungen in Deutschland oder
zu Parteien und Organisationen im Herkunftsland. Während bezüglich der Beziehungen zu anderen Selbstorganisationen nur nach einer
echten Kooperation gefragt wurde, konnte bei den anderen Kategorien jeweils zwischen einfachen Kontakten und einer bestehenden
Zusammenarbeit differenziert werden. Dabei sollten die jeweiligen
Ansprechpartner konkret benannt werden. Beim Ausländerbeirat
wurde demgegenüber nach der konkreten Ausgestaltung der Zusammenarbeit gefragt.
Die Verbindungen der Selbstorganisationen zu Parteien oder
Organisationen im Herkunftsland weichen im Vergleich nach
Kontinenten stark voneinander ab. Während die Vereinigungen der
Migranten lateinamerikanischer und europäischer Herkunft zu 75 bzw.
54% Kontakte zu Organisationen im Herkunftsland haben, liegt der
entsprechende Anteil bei den herkunftsheterogenen Zusammenschlüssen lediglich bei 16%. Hier bestehen überhaupt keine Kontakte
zu politischen Parteien, während 15% der Organisationen der
Migranten afrikanischer Herkunft Beziehungen zu Parteien ihres
Herkunftslandes aufweisen und 12% sogar mit ihnen zusammenarbeiten.
6.1 Kontakte zu und Zusammenarbeit
mit Organisationen und Parteien im
Herkunftsland
44% aller Vereinigungen bejahten die Frage, in Kontakt zu
Organisationen im Herkunftsland zu stehen, wohingegen nur 28%
auch mit solchen zusammenarbeiten. Kontakte zu Parteien im
Herkunftsland gibt es hingegen wesentlich weniger. Lediglich 9%
aller Organisationen gaben an, parteipolitische Kontakte zu pflegen,
eine konkrete Zusammenarbeit wurde nur von 5% der in NRW
ansässigen Zusammenschlüsse von Migranten bestätigt. Die Organisationsformen, die hier konkret genannt wurden, beinhalten eine
sehr große Spannbreite. So wurden Verbindungen zu verschiedenen
Kirchen, wie etwa zur armenisch-orthodoxen Mutterkirche in Äthiopien, zum Patriarchat der serbisch-orthodoxen Kirche, zum Tempel
in Sri Lanka und in Indien, zur katholischen und evangelischen Kirche
in verschiedenen Herkunftsländern oder zur griechisch-orthodoxen
Kirche aufgeführt. Weiterhin bestehen Kontakte zu Parlamenten und
Ministerien sowohl auf nationaler wie auch auf regionaler oder kommunaler Ebene, die zum Teil über die diplomatischen Vertretungen
in Deutschland hergestellt werden. Selbstorganisationen in NRW
stehen ebenso in Kontakt zu Auswanderungs- wie zu Rückkehrorganisationen. Zudem wurden Beziehungen zu Stiftungen, gewerkschaftlichen Vereinigungen und wissenschaftlichen Einrichtungen
genannt, zu kulturellen, sportlichen und wirtschaftlichen Institutionen
sowie zu Basisgruppen. Ebenfalls gibt es Kontakte zum Internationalen Roten Kreuz, zu Caritas International, zu politischen Widerstandsgruppen und zu verschiedenen Frauenorganisationen. Mit all
diesen Gruppen, Organisationen und Institutionen in den jeweiligen
Herkunftsländern besteht seitens der Selbstorganisationen von
Migranten in NRW nicht nur Kontakt, sondern auch eine konkrete
Kooperation; in diesem verbindlichen Arbeitsverhältnis befinden
sich insgesamt jedoch weniger Zusammenschlüsse.
Die Kontakte der Selbstorganisationen zu politischen Parteien
im Herkunftsland können nur schwer konkretisiert werden, da häufig
nur allgemeine Einstufungen zu dieser Frage vorgenommen wurden.
Antwortmuster lauten hier „zu allen“, „zu allen demokratischen
Parteien“, „zu Oppositionsparteien“ oder „zu allen im Parlament
vertretenen Parteien“.
40
Von den afrikanischen Organisationen, die insgesamt die stärksten
Kontakte zu politischen Parteien aufweisen, pflegen die gesamtafrikanisch strukturierten Zusammenschlüsse in keinem Fall solche
Beziehungen. Parteipolitische Kontakte werden hier ausschließlich
von den afrikanisch nationalstaatlich organisierten Gruppen gepflegt.
Durch ein besonders hohes Maß an Kontakten zu Parteien im Herkunftsland zeichnen sich die griechischen Vereinigungen mit 19%
aus; einen überdurchschnittlich hohen Anteil weisen sie mit 61%
ebenfalls bei Kontakten zu Organisationen im Herkunftsland auf.
Diese Tatsache läßt sich jedoch aus der griechischen Organisationsgeschichte erklären, die neben Integrationsbemühungen im Einwanderungsland immer auch auf die Pflege der Verbindungen zum
Herkunftsland ausgerichtet war. In diesem Kontext ist jedoch überraschend, daß die italienischen Organisationen, die traditionell starke
Beziehungen zu Parteien und Institutionen in Italien haben, lediglich
zu 4% Kontakte zu Parteien angegeben haben, während sie mit 46%
bei den Kontakten zu Organisationen im Herkunftsland eine ebenfalls nur leicht überdurchschnittliche Position einnehmen.
Die Organisationen aus dem ehemaligen Jugoslawien bzw. seinen
Nachfolgestaaten verweisen zwar überdurchschnittlich häufig auf
Kontakte zu Organisationen im Herkunftsland, pflegen jedoch mit
Ausnahme eines kroatischen Vereins in keinem Fall Beziehungen zu
politischen Parteien. Dieses Verhalten läßt sich daraus ableiten, daß
aufgrund des Krieges vielfältige Beziehungen zum Herkunftsland
aufgebaut und gepflegt wurden und insbesondere für humanitäre
Hilfsaktionen eine Zusammenarbeit mit Organisationen im Herkunftsland gesucht wurde. Demgegenüber existiert nach der Auflösung
6. Kontakte und Zusammenarbeit
der Einheitspartei ‘Bund der Kommunisten Jugoslawiens’ 1990 kein
Mehrparteiensystem mit parteipolitischen Abgrenzungen, sondern
vielmehr eine Parteienlandschaft, die sich vornehmlich durch die
Bildung nationaler Lager auszeichnet. Somit kann es keine Anlehnung
der Selbstorganisationen an eher liberale oder konservative Parteien
im Herkunftsland geben, während die Aufspaltung nach nationalen
Kriterien häufig nicht aufgrund parteipolitischer Präferenzen, sondern
wegen der direkten Auswirkungen des Krieges auf die nationale
Identität der ehemals jugoslawischen Staatsbürger vollzogen wurde.
Diesbezüglich weisen die albanischen Organisationen, zu deren Mitgliedern vor allem Kosovo-Albaner gehören, ein anderes Verhalten
auf. Parteipolitische Kontakte und auch Kooperationen werden von
der Hälfte der Zusammenschlüsse angegeben, beziehen sich in der
Regel jedoch nicht auf Parteien der offiziellen politischen Arena der
Bundesrepublik Jugoslawien, sondern auf Parteien, die bei der politischen Selbstorganisation im parallelen politischen Leben der
Kosovo-Albaner angesiedelt sind.
6.2 Kontakte und Zusammenarbeit in
Deutschland
Bezüglich der Kontakte und Zusammenarbeit in Deutschland
wurden mehr Antwortkategorien aufgestellt als zu denen im Herkunftsland. Abgefragt wurden hier Beziehungen zu anderen Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten, zum Ausländerbeirat, zu lokalen Parteien, zu kommunalen Ämtern und Institutionen
sowie zu Landeseinrichtungen.
Danach bestehen die stärksten Verbindungen bei den Selbstorganisationen untereinander; lediglich 30% gaben an, nicht mit anderen
Selbstorganisationen zu kooperieren. Weiterhin pflegen 67% aller
Organisationen Kontakte sowohl zu den Ausländerbeiräten als auch
zur Kommune. Demgegenüber weisen nur 38% aller Zusammenschlüsse Beziehungen zu deutschen Parteien auf, die geringsten Kontakte bestehen mit 19% zwischen Selbstorganisationen und Landeseinrichtungen. Eine über die Kontaktpflege hinausreichende Kooperation wurde regelmäßig von weniger Selbstorganisationen angegeben,
die quantitative Reihenfolge bleibt dabei jedoch unverändert.
Nach Kontinenten aufgeschlüsselt heben sich besonders die herkunftsheterogenen Organisationen durch intensive Verbindungen
nach außen ab. Lediglich in den Beziehungen zum Ausländerbeirat
liegen sie nicht an der Spitze; hier weisen die europäischen Organisationen die höchste Position auf.
41
Kontakte und Zusammenarbeit in Deutschland nach
Herkunftskontinent und insgesamt in %
Kontinent
Kontakt zu
Ausl.- Parteien Kombeirat
mune
Zusammenarbeit mit
Land Selbst- Ausl.- Parteien Komorg. beirat
mune
Land
Afrika
52
42
58
18
64
27
18
24
Asien
56
29
42
13
58
42
8
21
12
4
Europa
75
31
68
17
71
51
14
49
13
L.-amerika
25
25
75
-
75
25
25
50
-
Heterogen
60
70
92
36
84
42
48
68
20
insgesamt
67
38
67
19
70
45
20
45
12
Quelle: eigene Berechnungen
6.2.1 Ausländerbeirat
Die Zusammenarbeit zwischen Selbstorganisationen und Ausländerbeirat ergibt sich häufig durch personelle Überschneidungen
von Mitarbeitern eines Vereins und Ausländerbeiratsmitgliedern.
Durch diese Doppelbesetzungen werden Themen des Vereins in die
Diskussionen des Ausländerbeirats eingebracht und umgekehrt, so
daß es an vielen Schnittstellen zu einer Kooperation kommt. Eine
Zusammenarbeit findet zu einem Großteil in Form gemeinsamer Veranstaltungen statt, die sowohl kulturellen als auch politischen oder
sportlichen Charakters sind. Häufig werden auch themenspezifische
Informationsveranstaltungen angeboten. Neben Veranstaltungen
werden auch gemeinsame Aktivitäten durchgeführt. Hier wurden
neben den allgemeinen Bereichen Politik, Soziales, Kultur und Religion konkret Bemühungen zur Jugendhilfe, zur seniorenspezifischen
Zusammenarbeit sowie zur Einbürgerung genannt. Weiterhin besteht
eine Kooperation durch gemeinsame themenspezifische Arbeitskreise, Gesprächskreise und Runde Tische, durch informellen Informationsaustausch und gegenseitige Beratungen. Einzelne Organisationen gaben auch an, Integrationsprojekte in Zusammenarbeit mit
dem Ausländerbeirat durchzuführen, Publikationen gemeinsam zu
erstellen oder Ausländerbeiratsmitglieder fort- und weiterzubilden.
6.2.2 Parteien
Nach den eingegangenen Antworten sind es fast ausschließlich
die etablierten Parteien, zu denen die Selbstorganisationen in Kontakt
stehen oder mit denen eine Zusammenarbeit stattfindet. Von allen
Kontakten entfallen 36% auf die SPD, 28% auf Bündnis 90/Die
Grünen, 22% auf die CDU, 6% auf die FDP, 1% auf die CSU und
0,4% auf die PDS. Weitere 6% beinhalten allgemeinere Antworten
wie „zu allen Parteien“, „zu allen kommunalen Parteien“, „zu allen
im Stadtrat vertretenen Parteien“ oder „zu allen demokratischen
Parteien“. Lediglich 1% der Kontakte sind solche zu Klein- und
Kleinstparteien, so zur UWG, zur Feministischen Partei und zur BIG.
Bezüglich der Frage nach einer konkreten Zusammenarbeit
werden die Kleinparteien als Kooperationspartnerinnen gar nicht
mehr aufgeführt. Während die bei den Kontakten aufgeführte Rangfolge der etablierten Parteien bei einer Zusammenarbeit unverändert
bleibt, ergeben sich aber Veränderungen bezüglich ihrer Relevanz.
So nimmt die Bedeutung von Bündnis 90/Die Grünen in der Zusammenarbeit zu, während die der CDU und FDP gegenüber den Kontakten leicht abnimmt.
6. Kontakte und Zusammenarbeit
Kontakte und Zusammenarbeit der Selbstorganisationen
mit deutschen Parteien in %
Partei
SPD
Bündnis 90/Die Grünen
CDU
FDP
CSU
PDS
Feministische Partei
BIG
UWG
Allgemeine Nennungen
Kontakte und Zusammenarbeit der Selbstorganisationen nach Herkunftskontinent zu SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP in %
Kontakte
Zusammenarbeit
Afrika
36
28
22
6
1
0,4
0,4
0,4
0,4
6
36
31
20
5
1
1
6
K ZA
K ZA
SPD
46 44 33 33
Bündnis 90/
Die Grünen 33 22 33 50
CDU
17 22 25 17
FDP
4 11
4
K = Kontakt, ZA = Zusammenarbeit
Quelle: eigene Berechnungen
Insbesondere die Organisationen der Zuwanderer afrikanischer
Herkunft weisen sich durch deutlich überdurchschnittlich häufige
Kontakte zur SPD aus, während sie wesentlich seltener Verbindungen
zur CDU haben. Demgegenüber sind die Beziehungen zur CDU bei
den Zusammenschlüssen der Migranten asiatischer und europäischer
Herkunft relativ stark ausgeprägt. Bei den europäischen Organisationen lassen sich zudem überdurchschnittlich viele Kontakte zur
SPD feststellen, während Berührungspunkte zu den Grünen nur von
23% angegeben wurden. Mit ihnen stehen hingegen besonders viele
herkunftsheterogene Vereinigungen in Verbindung.
Ebenso wie bei der Kontaktpflege konzentrieren sich die Selbstorganisationen auch bei einer Zusammenarbeit in der Regel nicht
auf eine Partei, sondern kooperieren mit mehreren gleichzeitig. Die
Schwerpunkte einer echten Kooperation variieren gegenüber den
Kontakten im Vergleich nach Kontinenten jedoch erheblich voneinander. So liegt die Zusammenarbeit der afrikanischen Organisationen
mit der SPD zwar weiterhin überdurchschnittlich hoch, eine
Kooperation mit den Grünen fällt jedoch mit 9%-Punkten unter dem
Durchschnittswert erheblich niedriger aus. Demgegenüber haben die
Zusammenschlüsse der Migranten asiatischer Herkunft, die mit
Parteien zusammenarbeiten, zu 50% die Grünen angegeben, jedoch
nur noch zu 17% die CDU. Dieser Trend läßt sich auch bei den herkunftsheterogenen Organisationen konstatieren. Im Gegensatz dazu
weisen hingegen die europäischen Vereinigungen eine überdurchschnittliche Kooperation mit der CDU und eine unterdurchschnittliche Zusammenarbeit mit den Grünen auf.
Europa
K ZA
40 36
23
26
9
26
26
7
LateinHerkunftsamerika
heterogen
K ZA
K ZA
50
50
34
39
50
-
50
-
35
23
5
39
17
4
Quelle: eigene Berechnungen
Unter den Organisationen der ehemaligen Anwerbestaaten weisen die Organisationen der Migranten griechischer Herkunft mit
23% überdurchschnittlich starke Verbindungen zu Parteien auf,
während diese insbesondere bei italienischen und spanischen
Selbstorganisationen mit 14 bzw 6% deutlich unterhalb des
Mittelwerts liegen.
6.2.3 Kommunale Einrichtungen
Deutlich stärkere Kontakte als zu den Parteien pflegen die Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in NRW zu kommunalen Einrichtungen, wobei hier ebenfalls von den meisten Zusammenschlüssen mehrere Kontaktpartner gleichzeitig genannt werden.
Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die
Gemeinde- und Stadtverwaltungen, auf die sich 74% aller Nennungen
beziehen. Insgesamt werden kommunale Behörden in einer recht
großen Spannbreite aufgeführt, wobei sich bestimmte Ämter gleichzeitig durch ihre zentrale Rolle im Kontakt zu Selbstorganisationen
von Migranten hervorheben. Die häufigsten Kontakte bestehen zum
Sozial- und zum Kulturamt, gefolgt vom Ausländer-, Jugend-, Schulund Arbeitsamt.
Kontakte zu und Zusammenarbeit mit kommunalen Ämtern
Amt
Sozialamt
Kulturamt
Ausländeramt
Jugendamt
Schulamt
Arbeitsamt
Sportamt
Frauenamt
Ordnungsamt
Amt für multikulturelle Angelegenheiten
Amt für Ratsangelegenheiten, Amt für Wirtschaftsförderung, Bauordnungsamt, Bürgermeisteramt, Einbürgerungsbehörde, Einwohnermeldeamt, Finanzamt,
Gesundheitsamt, Liegenschaftsamt, Planungsamt,
Presseamt, Straßenverkehrsamt, Versorgungsamt,
Wohnungsamt
K = Kontakte, ZA = Zusammenarbeit
Quelle: eigene Berechnungen
42
Asien
% der
Nennungen
K
ZA
22
21
19
21
12
7
10
13
7
8
7
9
4
5
3
4
3
2
2
0,5
11
9,5
6. Kontakte und Zusammenarbeit
Neben den Behörden stehen die Selbstorganisationen nach eigenen Angaben in Kontakt zu Runden Tischen, Ausschüssen, Beiräten
und Arbeitskreisen, zu Schulen und Kindergärten, zu Ausländerbüros,
Senioren- und Gleichstellungsstellen, zu Jugendfreizeiteinrichtungen
und Bürgerzentren, zu Familienbildungsstätten und zur Volkshochschule, zu Drogenberatungsstellen, Bürgerberatungen und zu kommunalen Flüchtlingsunterkünften.
In der konkreten Zusammenarbeit geht die Bedeutung der kommunalen Behörden gegenüber anderen kommunalen Einrichtungen
mit 67% aller Nennungen etwas zurück. Innerhalb der Kooperation
mit der Stadtverwaltung kommt es im Vergleich mit vorhandenen
Kontakten zu deutlichen Verschiebungen. Besonders auffällig ist,
daß sich bei den Kontakten zwar 12% aller Nennungen auf das Ausländeramt beziehen, jedoch nur noch 7% bei einer Zusammenarbeit.
Dieses Phänomen ist erklärbar durch den Umstand, daß Migranten
in bezug auf aufenthaltsrechtliche Fragen in Kontakt zur Ausländerbehörde treten müssen, daß entsprechend auch ihre Organisationen
häufig mit diesem Thema vertraut sind und somit über die diesbezüglichen Kontakte verfügen. Gleichermaßen wird hier seltener eine
konkrete Arbeitsebene angestrebt als mit anderen Ämtern. Die wichtigsten Kooperationspartner sind das Sozial- und das Kulturamt. Die
häufige Nennung des Sozialamtes ist auch darauf zurückzuführen,
daß „Ausländerangelegenheiten“ verwaltungsintern vielfach automatisch in den Zuständigkeitsbereich des Sozialamtes überführt werden,
selbst wenn es sich konkret beispielsweise um kulturelle Aktivitäten
handelt. Diese Zuständigkeitsregelung beinhaltet eine Symbolik, die
ausgrenzend und integrationshemmend wirkt und somit äußerst problematisch ist.
Weiterhin ist das Jugendamt für viele Selbstorganisationen ein oft
genannter Ansprechpartner, was darauf deuten läßt, daß Jugendarbeit
für die Vereinigungen von Migranten ein wichtiger Arbeitbereich ist.
Diese Ableitung wird gestützt durch die recht häufige Nennung
einer Kooperation mit dem Arbeitsamt , bei der es sich vielfach um
Angebote im Berufsberatungsbereich handelt. Unter den sonstigen
Kooperationspartnern spielen insbesondere die Volkshochschulen
eine große Rolle, auf die sich ein Viertel aller Nennungen im Bereich
der nicht behördlichen Zusammenarbeit bezieht. Ebenfalls wichtig
sind migrationsspezifische Einrichtungen wie Ausländerbüros,
Referate für Multikulturelles oder Koordinierungsstellen für Ausländerangelegenheiten; auch mit der Gleichstellungsstelle findet eine
relativ häufige Kooperation statt. Die bei den Kontakten bereits aufgeführten weiteren Bereiche werden auch in der Zusammenarbeit
genannt, fallen quantitativ jedoch nicht stark ins Gewicht.
6.2.4 Einrichtungen des Landes
Von den Nennungen der Selbstorganisationen zu Kontakten zu
Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen entfallen 44% auf
Ministerien und 56% auf weitere Einrichtungen; bei einer Zusammenarbeit variiert dieses Verhältnis mit 41 zu 59% nur gering.
Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales kann mit
Abstand auf die meisten Kontakte und auf die intensivste Zusammenarbeit mit den Organisationen der Einwanderer in Nordrhein-Westfalen verweisen. 62% aller Nennungen zu Kontakten zu Ministerien
43
Kontakte und Zusammenarbeit der Selbstorganisationen
zu Ministerien des Landes NRW in %
Ministerium
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Ministerium für Schule und Weiterbildung
Ministerium für die Gleichstellung von Frau
und Mann
Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur
und Sport
Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand,
Technologie und Verkehr
Innenministerium
Ministerium für Umwelt, Raumordnung
und Landwirtschaft
Kontakt
62
10
Zusammenarbeit
50
19
10
13
7
13
3
3
6
-
3
-
Quelle: eigene Berechnungen
Anmerkung der Herausgeber: Die Untersuchung wurde vor der Umorganisierung der
Landesregierung NRW in 1998 durchgeführt
entfielen auf das MAGS und immerhin noch die Hälfte aller Nennungen zur Zusammenarbeit. Zum einen resultiert dieser hohe Anteil
sicherlich aus dem Zuständigkeitbereich des Ministeriums, zum
anderen kann er aber auch als Ergebnis ausgeprägter Integrationsbemühungen seitens eines Landesministeriums in Gemeinschaft mit
den Migranten gewertet werden. Gleichermaßen bleibt zu berücksichtigen, daß es sich in absoluten Zahlen jedoch um eine vergleichsweise geringe Zahl von Selbstorganisationen handelt, die sich
auf diesen Kooperationspartner beziehen.
Insgesamt passen die Nennungen auf Landesebene zu den auf
kommunaler Ebene aufgeführten Behörden, zu denen die Selbstorganisationen Verbindungen haben. Eine weitere wichtige Rolle
spielen seitens der Ministerien insbesondere das Ministerium für
Schule und Weiterbildung, das Ministerium für Stadtentwicklung,
Kultur und Sport, das in den konkreten Nennungen jedoch ausschließlich als Kulturministerium aufgeführt wurde, sowie das
Ministerium für die Gleichstellung von Frau und Mann.
Entsprechend der kommunalen Ebene verzeichnet das Ministerium
für Schule und Weiterbildung in der konkreten Zusammenarbeit einen
Bedeutungszuwachs gegenüber den Nennungen zu bloßen Kontakten.
Hier verstärkt sich der Eindruck, daß seitens der Selbstorganisationen
eine intensive Kinder- und Jugendarbeit betrieben wird.
In diesen Zusammenhang paßt auch, daß als Landeseinrichtungen
neben der Ministerialebene besonders häufig die Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher (RAA)
sowie die Landesjugendämter als Ansprechpartner aufgeführt werden.
In dieser Kategorie nehmen sie 30 bzw. 14% aller Nennungen zu
Kontakten und 30 bzw. 17% aller Nennungen zu Kooperationen ein.
Auch Universitäten und Fachhochschulen spielen als Landeseinrichtungen in den Beziehungen zu Selbstorganisationen eine wichtige
Rolle. Zudem werden vereinzelt der Landtag, die Staatskanzlei und
der Petitionsausschuß sowie die Landeszentrale für politische Bildung,
das Landeszentrum für Zuwanderung und der Landessportbund aufgeführt. Weiterhin werden die Landesbeauftragte für Polenstämmige
sowie die Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenberatungsstellen als
Kontaktstellen genannt.
7. Arbeitsschwerpunkte
Die Verschiedenartigkeit der von den Migrantenselbstorganisationen angegebenen Kontakt- und Kooperationspartner deutet bereits
auf die Vielfältigkeit ihrer Arbeitsgebiete hin, die durch die Analyse
der im Fragebogen beschriebenen Vereinsaktivitäten bestätigt wird.
Die Arbeitsschwerpunkte der Zusammenschlüsse wurden in
unterschiedlichen Varianten abgefragt. Bezogen auf die thematischen
Arbeitsgebiete konnten die Arbeitsschwerpunkte der jeweiligen
Organisation bei vorgegebenen Antwortkategorien unter möglicher
Mehrfachnennung angekreuzt werden. Zur Auswahl standen Angebote in den Arbeitsbereichen Beratung, Begegnung, Betreuung, Kultur, Bildung, Integration, Sport, Politik, Gesundheit und Religion.
Nicht berücksichtigte Themengebiete konnten in einem Zusatzfeld
hinzugefügt werden. Eine Konkretion dieser Angaben erfolgte durch
die Frage nach den prägenden Aktivitäten der Organisationen in den
Jahren 1996 und 1997. Hier wurden keine thematischen Vorgaben
gemacht, eine auf die vorherigen Ankreuzfelder bezogene Systematisierung erfolgte im nachhinein.
Eine weitere Möglichkeit, die Angebotspalette zu differenzieren,
lag in der Angabe der Zielgruppenorientierung einzelner Aktivitäten.
Hier wurde ebenfalls die Form eines Ankreuzverfahrens bei möglicher Mehrfachnennung und der Option, zusätzliche Angaben zu
machen, gewählt. Aufgeführte Antwortkategorien waren Angebote
für Kinder, für Jugendliche, für Frauen bzw. Männer, für Senioren,
Arbeitslose, Arbeitnehmer und für allgemein Ratsuchende.
Anschließend wurde darum gebeten, die Angebote für die angegebenen Personengruppen zu konkretisieren.
Weiterhin war für uns von Interesse, ob die Vereinsaktivitäten
öffentlichkeitswirksam begleitet werden; diese Frage war verbunden
mit der Bitte, eine Auswahl vorhandener Materialien beizufügen.
7.1 Arbeitsgebiete
Migrantenselbstorganisationen in Nordrhein-Westfalen arbeiten
am häufigsten in den Gebieten Kultur und Begegnung. 90 bzw. 86%
aller Vereinigungen haben angegeben, Angebote in diesen Bereichen
durchzuführen. Im gehobenen Mittelfeld befinden sich die Themenschwerpunkte Integration, Beratung und Bildung, gefolgt von
Betreuung und Sport. Insgesamt weniger Selbstorganisationen gaben
an, Aktivitäten in den Bereichen Politik, Gesundheit und Religion
anzubieten.
Angebote in bestimmten Arbeitsbereichen
Arbeitsgebiet
Kultur
Begegnung
Integration
Beratung
Bildung
Betreuung
% von allen
Organisationen
90
86
67
62
59
52
Arbeitsgebiet
% von allen
Organisationen
Sport
Politik
Gesundheit
Religion
Sonstiges
41
26
23
21
17
Quelle: eigene Berechnungen
44
Werden alle Nennungen zusammengefaßt betrachtet, ergeben
sich deutlich weniger Abstufungen. Während die Bereiche Kultur
und Begegnung jeweils 16% aller Nennungen ausmachen, liegen die
sonstigen Angebote mit 3% aller Nennungen am unteren Ende der
Skala.
Im Vergleich nach Herkunftskontinenten treten in einzelnen
Arbeitsgebieten stark unterschiedliche Präferenzen auf. So ragen die
Organisationen der Migranten afrikanischer Herkunft insbesondere
im beratenden, betreuenden und gesundheitlichen Sektor durch ein
überdurchschnittlich hohes Angebot hervor; sie sind in keinem
Arbeitsbereich unterrepräsentiert. Die anderen Organisationen fallen
mit Ausnahme der lateinamerikanischen in einzelnen Arbeitsbereichen nicht durch ein so stark über dem Mittel liegendes Angebot
auf, wobei die lateinamerikanischen Organisationen aufgrund ihrer
geringen Fallzahl nicht repräsentativ sind.
Im kulturellen Bereich sind die Zusammenschlüsse der Migranten
afrikanischer und asiatischer Herkunft am aktivsten, im Integrationsund Bildungsbereich haben herkunftsheterogene Vereine am häufigsten
angegeben, Angebote zu machen. Sportliche Aktivitäten werden am
meisten von europäischen und asiatischen Zusammenschlüssen
durchgeführt, im Politikbereich dominieren wiederum afrikanische
und herkunftsheterogene Gruppen.
Angebote in bestimmten Arbeitsbereichen nach Herkunftskontinent
Kontinent
Kul- Be- Inte- Bera- Bil- Be- Sport Poli- Ge- Reli- Sontur geg- gra- tung dung treutik sund- gion stiges
nung tion
ung
heit
Afrika
94 94 61 76
Asien
94 77 67 69
Europa 92 89 67 53
Lateinamerika 100 100 100 100
Heterogen
74 78 70 70
Quelle: eigene Berechnungen
54
54
60
70
54
48
30
48
48
45
23
17
36
15
23
21
29
25
15
15
16
25
50
-
25
25
-
25
66
54
22
44
22
4
26
7. Arbeitsschwerpunkte
Bei der Zuordnung der konkreten Angebote auf die verschiedenen
Antwortkategorien kommt es immer wieder zu leichten thematischen Überschneidungen. Bestimmte Angebote können sowohl zum
Sport- als auch zum Integrationsbereich gezählt werden, andere
Angebote erfüllen gleichermaßen kulturelle wie Bildungsaufgaben
etc.. In der Zuteilung haben wir den unserer Ansicht nach primären
Charakter des jeweiligen Angebots als maßgeblich erachtet. Es kann
jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß es diesbezüglich in einigen
Fällen zu unterschiedlichen Bewertungen bei uns und den Selbstorganisationen gekommen ist.
Zudem muß beachtet werden, daß die Selbstorganisationen keine
vollständige Auflistung, sondern eine Auswahl der ihnen besonders
wichtig erscheinenden Angebote aufgeführt haben.
Insofern verwundert es nicht, daß die Rangfolge aller Nennungen
in der Kategorie der Angebotsschwerpunkte leicht von der Angebotskonkretisierung abweicht.
7.1.1 Themengebiet Kultur
Die Angebote, die im kulturellen Bereich aufgeführt wurden,
sind sehr unterschiedlich. Ein wichtiger Bestandteil des kulturellen
Angebots von Selbstorganisationen ist das Feiern traditioneller Feste,
so zum Beispiel des argentinischen Karnevals, des italienischen
Muttertags, des griechischen Nationalfeiertags, des portugiesischen
Kastanienfestes oder des indisches Onam-Festes, des Jahrestags der
Unabhängigkeit Mosambiks ebenso wie des chinesischen Mond- ,
des assyrischen Neujahrs- oder des vietnamesischen Kinderfestes.
Weiterhin spielen Kulturabende eine große Rolle im Kulturprogramm der Selbstorganisationen. Hier werden häufig Künstler aus
dem Heimatland eingeladen oder folkloristische Darbietungen von
hier lebenden Migranten dargebracht. Sie dienen sowohl der Pflege
der Heimatkultur als auch dem Versuch, diese an die deutsche Bevölkerung heranzutragen. Die Darbietungen von Konzerten gehört
ebenso zum Repertoire vieler Vereinigungen wie die Organisation
von Ausstellungen, die thematisch breit gefächert sind und sowohl
rein ästhetischen Charakter haben als auch Präsentationen der Herkunftskultur oder künstlerische Spiegelungen der Realität vieler
Migranten in Deutschland sind. Eine weitere Form der kulturellen
Darbietung sind Lesungen und Rezitationen, häufig mit Autoren aus
dem Herkunftsland. Wieder andere Selbstorganisationen haben eigene
(folkloristische)Tanzgruppen, Chöre oder Theaterkreise, die von
Laienspielgruppen bis zu professionellen Ensembles reichen. In den
Kulturbereich fallen auch kreative Angebote wie die Ausschreibung
eines Mal- oder Liederwettbewerbs, Video- und Fotoarbeiten, Bastelnachmittage oder ein Rap-Workshop ebenso wie die Organisation
eines Poeten-Cafés, die Durchführung eines indonesischen Nachtbazars oder der Auf- und Ausbau muttersprachlicher Bibliotheken.
Kulturarbeit mit und für Zuwanderer kann auch als Integrationsmöglichkeit fungieren, wie die konkrete Arbeit eines vorwiegend
osteuropäisch ausgerichteten Kulturzentrums zeigt. Hier steht neben
einem eigenen Kulturprogramm die Motivation möglichst vieler
Gruppen zur Umsetzung selbständiger kultureller Aktivitäten im
Mittelpunkt, so daß es im Ergebnis ein ausgesprochen vielfältiges
Kulturangebot gibt, das von Jazznachmittagen über polnische
Literaturabende und russische Märchen- und Liederstunden zu
Konzerten, jüdischen Abenden und Literaturgesprächen führt. Das
von den nationalstaatlich organisierten Vereinen aufgestellte Kulturangebot wird über Pressemitteilungen und ein monatlich erscheinendes Programmheft von dem Zentrum verbreitet. Im Ergebnis sind
die einzelnen Veranstaltungen immer international durchdrungen.
Denn „Migranten sind meistens einsam, und wenn sie hierher
kommen, fühlen sie sich zu Hause. Aber es gibt auch viele einsame
Deutsche, und die kommen her und fühlen sich auch wie zu Hause,
und die Amerikaner eben auch. Was sollen wir da erzählen?“ Und so
funktionieren die Kontakte. Als wichtig wird hervorgehoben, daß
die einzelnen Angebote nicht institutionalisiert werden, denn kulturintegrative Arbeit könne nur geleistet werden, wenn Offenheit für
aktuelle Bedürfnisse bestehe. Somit stehen auch nicht die konkreten
inhaltlichen Ausgestaltungen der jeweiligen Veranstaltungen im
Vordergrund, sondern immer die über Kultur entstehenden Kontaktund Begegnungsmöglichkeiten. Auf diese Weise kann die konzeptionelle Prämisse „Integration durch Begegnung“ umgesetzt werden.52
7.1.2 Themengebiet Begegnung
Ebenso wie im Kulturbereich bietet eine überwältigende Mehrheit aller Organisationen auch auf dem Gebiet der Begegnung Aktivitäten an. Im Vordergrund stehen hier gemeinsame Feste, gesellige
Treffen, Stammtische oder Grillabende für Mitglieder und Freunde.
Das gemeinsame Feiern darf in seiner Bedeutung für die Zuwanderer keineswegs unterschätzt werden; so wird das Fest von einem
Seelsorger für Migranten als „ein Moment des Glücks, der von dem
Emigranten, der in der Regel isoliert und mit vielen familiären Problemen und Schwierigkeiten in Beruf und Arbeit lebt, glühend herbeigesehnt wird“53 charakterisiert.
Eine ebenfalls beliebte Form der Begegnung sind gemeinschaftliche Ausflüge. Hier handelt es sich um Wanderungen, Picknicks,
Schiffahrten, Besichtigungen anderer Städte oder gemeinsame
Besuche sportlicher oder kultureller Ereignisse. Neben den Ausflügen
werden für die Vereinsmitglieder auch weitere Freizeitbeschäftigungen angeboten, die in den Fragebögen jedoch nicht weiter differenziert werden.
Eine weitere Begegnungsmöglichkeit stellen die offenen Treffs
dar. Es gibt uneingeschränkt zugängliche Treffs ebenso wie solche,
die auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind. Hier handelt es
sich beispielsweise um Seniorencafés, Frauenfrühstücke, Jugenddiscos oder Männerabende. An den offenen Treffs können alle
Interessierten spontan teilnehmen, ohne sich für eine kontinuierliche
Mitwirkung entscheiden zu müssen.
52 Interview mit Vertreterinnen des Europäischen Kulturzentrums IGNIS e. V. im Oktober 1997.
53 Fabio Biasi, 1993: La Missione Cattolica Italiana di Siegen - Attendorn. Die Katholische Italienische Mission in Siegen - Attendorn, Siegen, hier S. 77
(künftig zitiert: Fabio Biasi, 1993).
45
7. Arbeitsschwerpunkte
Dies ist anders bei der Etablierung eigener Gruppen im Rahmen
des Gesamtvereins, bei denen es sich in der Regel um eine geschlossene Struktur handelt, die eine regelmäßige und verbindliche Mitarbeit der Teilnehmer voraussetzt. Konkret aufgeführt werden MutterKind-Gruppen, Kinder-, Jugend- und Frauengruppen. Die einzelnen
Zusammenschlüsse verlieren mit der Zeit zum Teil ihren rein auf die
Gruppenmitglieder gerichteten Charakter und entfalten Aktivitäten,
die auch nach außen getragen werden.
Doch auch in den Fällen, in denen sich die Begegnungsmöglichkeiten auf die Vereinsmitglieder beschränken, erfüllen sie eine integrative Funktion. Sie vermindern die Isolationsgefahr, ermöglichen
den gegenseitigen Austausch über allgemeine Lebens- und Problemlagen und erhöhen somit die Orientierung im Einwanderungsland,
wodurch die individuelle Handlungskompetenz der Mitglieder der
Selbstorganisationen gestärkt wird.
7.1.3 Themengebiet Integration
Insbesondere für das Themengebiet Integration gilt, daß es
gegenüber anderen Arbeitsbereichen keine trennscharfe Abgrenzung
der Angebote gibt. Viele Aktivitäten haben einen integrativen
Charakter, auch wenn sie nicht explizit als solche benannt werden.
Hier ist häufig schwer zu beurteilen, ob die integrative Wirkung
lediglich das Nebenprodukt beispielsweise eines sportlichen Wettkampfes ist, oder ob in diesem Fall der Sport als Mittel einer integrativen Maßnahme gewählt wurde. Wir haben dem Themengebiet
Integration nur solche Aktivitäten zugeordnet, bei denen die integrative Intention unseres Erachtens eindeutig im Vordergrund steht.
Die häufigste Form der Integrationsarbeit von Selbstorganisationen ist die Teilnahme an internationalen Festen und Veranstaltungen. Eine besondere Rolle spielt hier die traditionelle interkulturelle
Woche, es werden aber auch Stadtfeste, Jugendjahrmärkte oder internationale Tauschringe genannt. Auf diesen Ereignissen präsentieren
sich die Organisationen häufig durch folkloristische Darbietungen,
Informationsstände oder den Verkauf kulinarischer Spezialitäten des
Herkunftslandes.
Weiterhin geben viele Zusammenschlüsse an, bewußt Kontakte
zur deutschen Bevölkerung aufzunehmen. Dies geschieht ebenso
durch Nachbarschaftstreffen wie durch die nationalitätenübergreifende
Kooperation mit deutschen Vereinen zu bestimmten Inhalten. Einige
Organisationen schaffen Kontakte, indem sie Besuche von Kindergärten, Schulen oder Altenheimen in ihr Programm aufnehmen.
Zudem führen verschiedene Organisationen an, sich nicht nur um
Kontakte zu Deutschen, sondern um internationale Integrationsmöglichkeiten zu bemühen.
Insbesondere Organisationen von Migranten nichteuropäischer
Herkunft geben an, Vorträge mit integrationspolitischen Inhalten
durchzuführen. Hier geht es um Möglichkeiten zur Überwindung
von Rassismus und Fremdenhaß, um Ursachen und Lösungsansätze
für Integrationsschwierigkeiten, um Perspektiven für Zuwanderer in
Deutschland, um Voraussetzungen zur Identitätsfindung in der Fremde
oder um die Förderung des interkulturellen Dialogs.
Möglicherweise spiegelt sich in diesen Programmen wider, daß
Menschen nichteuropäischer Herkunft in einem besonders starken
Maß mit Vorurteilen und gesellschaftlichen Ausgrenzungsmechanismen konfrontiert sind.
Im Bemühen um ein freundschaftliches und gleichberechtigtes
Zusammenleben werden insbesondere von herkunftsheterogenen
Vereinigungen stadtteilorientierte Projekte durchgeführt, die zum
Beispiel unter dem Motto „Das Viertel gehört uns allen“ oder
„Mädchen und Jungen planen und bauen ihren Spielplatz selbst“
stehen. Weiterhin werden Integrationsbemühungen von einzelnen
Organisationen auch durch einen internationalen Jugendaustausch
oder durch die Betreibung multikultureller Kindergärten54 vorangetrieben. Andere Zusammenschlüsse bieten Maßnahmen an, durch
die ihre Mitglieder zu einer stärkeren gesellschaftlichen Partizipation
motiviert werden sollen, so steht beispielsweise für einen koreanischen Verein die Entwicklung eines Modells für eine Lebensgemeinschaft im Alter im Zentrum der Diskussionen.
Eine weitere Form integrativer Maßnahmen besteht in der Antirassismusarbeit, die jedoch nicht immer an thematische Projekte
gebunden ist, sondern auch durch kontinuierliche Einstellungsarbeit
geleistet wird. Die Mitarbeiterinnen eines interkulturellen Mädchentreffs verweisen darauf, daß Antirassismusarbeit einhergehen muß
mit einer grundsätzlichen thematischen Sensibilität und einer offenen Gesprächsatmosphäre. So müssen die Migrantinnen über ihre
alltäglichen Diskriminierungserfahrungen reden können, wobei es
zudem notwenig ist, aufgrund aktueller Anlässe rassistische Gewalt
auch seitens der pädagogischen Leitung anzusprechen und aufzuarbeiten. Zu einer antirassistischen Arbeit gehört jedoch immer auch
eine multikulturelle Zusammensetzung des Leitungsteams. Nur so
kann die Basis für eine positive Auseinandersetzung zwischen
Deutschen und Nichtdeutschen geschaffen werden. Denn die bestehenden gesellschaftlichen Vorurteile setzen sich auch bei den jungen
Migrantinnen fest. Transportierte und verinnerlichte Vorstellungen
über den eigenen niedrigen Stellenwert in der gesellschaftlichen
Hierarchie stehen einem positiven Selbstbewußtsein und
Selbstvertrauen entgegen. Dieses Bild kann durch ein gleichberechtigtes Team aufgelöst werden, spielt im Rahmen einer antirassistischen Arbeit also eine wesentliche Rolle.55
54 Zur Betreibung eines bikulturellen Kindergartens vgl. auch Kap. 7.2.1: Zielgruppe Kinder.
55 Interview mit Vertreterinnen des Interkulturellen Mädchentreffs AZADE im Juni 1997.
46
7. Arbeitsschwerpunkte
Während antirassistische Arbeit mit Zuwanderern auf die Stärkung ihres Selbstbewußtseins zielt, bedeutet sie in der Arbeit mit
Deutschen eher, eigene diskriminierende Denk- und Verhaltensmuster offenzulegen. Eine Form, in diese Richtung zu arbeiten, ist
das Angebot von Antirassismustrainings. Exemplarisch für Antidiskriminierungsarbeit in ethnisch gemischten Gruppen soll das Videoprojekt „Brillenträger raus“ vorgestellt werden, das von einem internationalen Begegnungszentrum mit Schülerinnen und Schülern verschiedener Schulen durchgeführt wurde.56 Mit dem Projekt sollen
eigene Erfahrungen mit Diskriminierung sowohl aus der „Opfer“als auch aus der „Täter“-Perspektive aufgearbeitet werden. Davon
ausgehend, daß den Diskriminierungen verschiedener Bevölkerungsgruppen dieselben Mechanismen zugrunde liegen, wird Fremdenfeindlichkeit und Rassismus mit der eigenen Lebenswirklichkeit in
Verbindung gebracht. Durch einen reflektierenden Umgang soll es
den Jugendlichen ermöglicht werden, Diskriminierung als solche zu
erkennen. Im Ergebnis zeigt das auch als Unterrichtsmaterial einsetzbare Video von den Schülern selbst entwickelte Sequenzen zu
Diskriminierung in der Schule, Diskriminierung von Randgruppen
und Diskriminierung von Geschlechtern. Die Inhaltbeschreibung
einer Spielszene soll hier zitiert werden:
„Die Szene spielt in einer fast leeren Straßenbahn. Ein südländisch aussehender Junge, der auf einem für Behinderte ausgewiesenen Platz sitzt, wird von einem zusteigenden älteren Fahrgast aufgefordert, ihm den Platz zu überlassen. Nachdem der Junge auf die
vielen leeren Plätze verweist, steht er letztendlich doch auf. Die Szene
wird fortgesetzt mit einem kurzen Dialog zwischen einer jungen
Frau und dem Mann, der ihr jetzt gegenüber sitzt: ‘Diese Ausländer
nehmen einem aber auch alles weg: Die Wohnungen, die Arbeitsplätze...’. ‘Ja, und die Sitzplätze!’ Daraufhin zeigt der Junge seinen
deutschen Personalausweis vor...
Diese Spielszene beruht auf tatsächlichen Gegebenheiten, die
von den teilnehmenden Schülern mehrfach erlebt worden sind.
Allein der Schluß ist frei erfunden und wirft die Frage auf, ob durch
die formelle Gleichstellung durch den deutschen Paß auch eine tatsächliche Gleichbehandlung erfolgt.“57
Somit zeichnet sich auch die integrative Arbeit der Migrantenorganisationen durch eine ausgesprochene Vielfältigkeit aus. Diese
beruht auf unterschiedlichen Angebotsarten, unterschiedlichen
Problemstellungen sowie auf einer unterschiedlichen Zielgruppenorientierung.
7.1.4 Themengebiet Beratung
Insgesamt haben 62% aller Selbstorganisationen angegeben, im
Rahmen der Vereinsarbeit beratend tätig zu sein. In der Konkretisierung dieser Beratungsarbeit werden zwei Bereiche differenziert:
Es werden sowohl themengebundene Beratungsangebote genannt als
auch bestimmte Personengruppen angesprochen.
Bezüglich der ersten Kategorie geben die meisten Vereine an,
allgemein beratend tätig zu sein. Hier findet eine nicht oder nur wenig
spezialisierte Beratung entlang den Bedürfnissen der Migranten statt.
Bei besonderen Problemlagen werden die betroffenen Personen häufig
an andere Facheinrichtungen weitervermittelt. Andere Selbstorganisationen bieten eine thematisch spezialisierte Beratungstätigkeit an.
Hier wird besonders häufig die Beratung zu berufsbezogenen
Themen genannt, aber auch Informationen zu rechtlichen Fragestellungen wie Sozialberatungen werden durchgeführt. Zudem werden
psychologische und Suchthilfen aufgeführt. Als Zielgruppen werden
Studierende, Flüchtlinge und allgemein Randgruppen ebenso
genannt wie junge Migranten, Frauen und Familien. Häufig ist die
Beratungstätigkeit der Vereine an eine praktische Unterstützung der
Ratsuchenden, wie die Begleitung zu Ämtern, Rechtsanwälten oder
Ärzten, gekoppelt.
Verschiedene Organisationen legen Wert auf ein ganzheitlich
angelegtes Beratungskonzept. Hier werden nicht nur aktuelle Problemlagen bearbeitet, vielmehr soll auf das gesamte Umfeld der ratsuchenden Person eingegangen und reagiert werden. In diesen Fällen
wird die klassische Beratungstätigkeit durch eine psychosoziale
Unterstützungsarbeit ergänzt.
Die Beratung von Migranten für Migranten ist auch deshalb
besonders wichtig, weil hier eine herkunftsspezifische Vertrauensbasis zur Klientel hergestellt werden kann. Sprachliche Fähigkeiten
sowie der eigene Migrationshintergrund ermöglichen für viele Fragestellungen eine kompetente Hilfestellung. Auf diesem Weg werden
viele Personen erreicht, die durch das herkömmliche Beratungsangebot nicht angesprochen werden. Vor diesem Hintergrund wird die
Notwendigkeit einer interkulturellen Öffnung der sozialen Dienste
in der Fachöffentlichkeit schon seit geraumer Zeit diskutiert.58 Auch
wenn von vielen Seiten daran gearbeitet wird, möglichst niedrigschwellige Angebote einzurichten, werden die in der Beratungstätigkeit erfahrenen Selbstorganisationen von Migranten in diesen
Diskurs auffallend selten einbezogen. Hier liegt sicherlich eine der
Ursachen, warum trotz vieler Bemühungen kaum Fortschritte bezüglich der Integration von Zuwanderern in die Klientel allgemeiner
Beratungsdienste verzeichnet werden können.
Diese mangelnde Kooperationsbereitschaft ist umso unverständlicher, als sich verschiedene Selbstorganisationen durch einen ausgesprochen professionellen Charakter in ihren Beratungsangeboten
auszeichnen. Hier sei beispielhaft auf die Arbeit einer Informationsund Beratungsstelle für Migrantinnen verwiesen, bei der die psychosoziale Beratung und Unterstützung zum einen als Beratungsstelle,
56 Zum Projekt vgl. Brillenträger raus. Ein Videoprojekt von und für Jugendliche zum Thema Diskriminierung im Alltag. Begleitheft zum Film, hg. vom Internationalen
Begegnungszentrum Friedenshaus e. V., Bielefeld 1996.
57 Ebd., S. 8.
58 Vgl. Friedemann Tiedt, 1985: Sozialberatung für Ausländer, Basel; Wolfgang Hinz-Rommel, 1994: Interkulturelle Kompetenz. Ein neues Anforderungsprofil für die soziale
Arbeit, Münster/New York; Empfehlungen zur interkulturellen Öffnung sozialer Dienste, hg. von der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer, Bonn 1995;
Stefan Gaitanides, 1996: Stolpersteine auf dem Weg zur interkulturellen Öffnung der Sozialen Dienste, in: Zeitschrift für Migration und Sozialarbeit, Nr. 3/4, S. 42-46.
47
7. Arbeitsschwerpunkte
zum anderen im Rahmen von Streetwork geleistet wird. Durch ein
multikulturell besetztes Team können Frauen verschiedener Herkunftsländer muttersprachlich begleitet werden. Klientinnen sind
vorwiegend Flüchtlingsfrauen, Heirats- und Prostitutionsmigrantinnen sowie Frauen der sog. zweiten Generation, bei denen ein jeweils unterschiedlicher Beratungsbedarf besteht. Die Beratungstätigkeit ist ausgesprochen vielfältig. Sie erstreckt sich von der Beantwortung aufenthalts- und allgemeinrechtlicher Fragen über die Stellung von Petitionsanträgen bis zur Vermittlung von Rechtsbeiständen.
Sie umfaßt die Begleitung zu medizinischen Einrichtungen und Behörden ebenso wie die Hilfe bei der Suche nach Kindergartenplätzen
oder Bildungsmöglichkeiten. In Fällen häuslicher Gewalt werden
geschützte Unterbringungsmöglichkeiten organisiert, Flüchtingsfrauen werden zu Anhörungen begleitet, Prostitutionsmigrantinnen
erhalten ‘Einstiegshilfen zum Ausstieg’, gesundheitliche Beratung,
die Vermittlung zu kostenlosen Arztbehandlungen sowie emotionale
Unterstützung. Ein weiteres Standbein ist die psychosoziale Beratung
und die Psychotherapie. Die verschiedenen Beratungstätigkeiten
können mit einem einzigen Telefonanruf erledigt sein, zum Teil
bedeuten sie aber auch eine langjährige Betreuung einzelner Frauen.
Immer jedoch steht die Förderung der Selbsthilfe im Zentrum der
Beratung.59
Eine grundsätzliche Schwierigkeit in der Beratungstätigkeit ist
der Übergang von der aktuellen Beratungssituation hin zu dem Bemühen um strukturelle Veränderungen, um über eine reine Symptombekämpfung hinauszugelangen. Es ist sicherlich notwendig, die
Ursachen der Problemlagen öffentlich zu benennen und gegen sie
vorzugehen. Eine solche über die Einzelfallhilfe hinausreichende
politische Arbeit bedeutet für viele der zumeist ehrenamtlich arbeitenden Selbstorganisationen jedoch eine deutliche Überforderung
ihrer Kapazitäten.
Eine weitere Form der Beratung ist die Unterstützung von Vereinen bei formalen und rechtlichen Fragestellungen. Hier geht die
Beratung von der Einzelfallhilfe in eine Stärkung sowohl der gesamten Selbstorganisation als auch deren Minderheitengruppen über und
erhält somit eine Multiplikationsfunktion.
7.1.5 Themengebiet Bildung
Im Bildungsbereich werden vorwiegend Informationsveranstaltungen angeboten, häufig in Form von Podiumsdiskussionen, Vorträgen und seltener auch ganz- oder mehrtägigen Seminaren. Bezüglich der Herkunftsgebiete gibt es bei den veranstaltenden Organisationen keine Einschränkungen; alle Herkunftskontinente sind stark
vertreten, ebenso die herkunftsheterogenen Zusammenschüsse.
Inhaltlich sind diese Angebote breit gestaffelt, sie umfassen Themen
zur ausländerrechtlichen Situation, zum Sozialversicherungssystem
oder zur Rentenreform. Weiterhin werden Veranstaltungen zur
schulischen und beruflichen Bildung ebenso wie zur beruflichen
Orientierung und zu Fragen der Arbeitslosigkeit durchgeführt, aber
auch die Einbürgerungsthematik oder Probleme zu Alter und Armut
werden genannt. Zudem werden immer wieder Jugendthemen aufgeführt; zu nennen sind hier Drogenproblematik, Jugendkriminalität
oder Pubertätsprobleme. Die Veranstaltungen werden zum Teil aus-
schließlich für die Mitglieder der Selbstorganisationen angeboten, in
anderen Fällen sind sie explizit auch für Besucher geöffnet.
Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld im Bildungsbereich ist
die Organisation muttersprachlichen Unterrichts vornehmlich für
die Kinder der ersten Einwanderungsgeneration. Neben der reinen
Sprachvermittlung wird den Kindern häufig auch die Geschichte
und Kultur ihres Herkunftslandes nahegebracht. Auf diese Weise
sollen sie den Bezug zur Herkunftskultur ihrer Eltern nicht verlieren
und in der eigenen Identitätsfindung unterstützt werden. In den meisten Fällen beschränkt sich der muttersprachliche Unterricht auf
einige Stunden in der Woche. Für den Unterricht werden jedoch auch
Schulen eingerichtet, in denen nach einem umfassenden Lehrplan
vorgegangen wird. Diese Form wurde von einzelnen assyrischen,
chinesischen, griechischen, polnischen und koreanischen Organisationen genannt, von einzelnen Vereinigungen werden auch interessierte deutsche Kinder und Jugendliche zum Mitmachen aufgefordert. Eine Besonderheit stellen in diesem Zusammenhang sicherlich
auch die griechischen Nationalschulen dar, die durch zwei Elternvereine in der Studie repräsentiert sind.
Neben dem muttersprachlichen Unterricht werden von vielen
der im Bildungsbereich engagierten Organisationen zudem Deutschund zum Teil auch Alphabetisierungskurse angeboten.
Eine weitere Form der unterstützenden Bildungsarbeit ist die
allgemeine Hausaufgaben- und Nachhilfe, die vorwiegend von herkunftsheterogenen Vereinigungen durchgeführt wird. Zudem nimmt
der schulische und berufliche Bildungsbereich im Vereinsleben
vieler anderer Selbstorganisationen ebenfalls einen zentralen Stellenwert ein. In diesem Zusammenhang soll das von einem herkunftsheterogenen Zusammenschluß entwickelte Projekt zur beruflichen
Orientierung von Jugendlichen exemplarisch dargestellt werden.
Grundlegendes Konzept ist hier die Zusammenarbeit mit Schulen,
Berufsförderungswerken, Jugendheimen und natürlich den Jugendlichen selbst. Im Zentrum der Maßnahme stehen Informationstreffen
zu bestimmten Berufsbereichen. Hier stellen Ausbilder und Auszubildende Berufsbilder aus Handwerk und Industrie, dem Dienstleistungs- und dem kaufmännische Bereich sowie aus dem Sozialund Gesundheitswesen vor. Zudem werden Möglichkeiten der überbetrieblichen Ausbildung erläutert. Um die Teilnahmeschwelle für
die Jugendlichen möglichst niedrig anzusetzen, sind die einmal im
Monat in den Räumen der Migrantenorganisation stattfindenden
Veranstaltungen in Kooperation mit den entsprechenden Lehrkräften
in die Schulzeit gelegt worden. Neben der Einbindung der Schule ist
für die Teilnahme der ausländischen Jugendlichen auch ihre Akzeptanz der Migrantenselbstorganisation ausschlaggebend. Bei diesen
Treffen werden den Jugendlichen zum einen Vorstellungen über ihre
eigene berufliche Zukunft vermittelt, zum anderen werden Kontakte
zu Sozialpädagogen der Jugendberufshilfe, der Berufsberatung
sowie der Migrantenorganisation selbst hergestellt. Diese erste Kontaktaufnahme ermöglicht es den Jugendlichen, sich auch in anderen
Fragen an die entsprechenden Stellen zu wenden. Im Ergebnis
werden von den Jugendlichen regelmäßig Anfragen bezüglich Bewerbungshilfen, Computernutzung etc. geäußert. Aus den konkreten
Nachfragen werden weitere bedürfnisorientierte Angebote erarbeitet,
59 Vgl. den Jahresbericht 1995 der Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung agisra e. V., Köln 1996.
48
7. Arbeitsschwerpunkte
so daß sich die Arbeit ständig weiterentwickelt. Neben den Kontakten
zu den Jugendlichen werden die beruflichen Orientierungsmaßnahmen
auch durch den Versuch unterstützt, Ausbildungskapazitäten lokaler
Betriebe zu erhöhen.60
Neben diesen speziellen Unterstützungsmaßnahmen gibt es bei
den Selbstorganisationen ein breit angelegtes Kursprogramm, in
dem sowohl handwerkliche und kreative Fähigkeiten als auch
Sprach- oder EDV-Kenntnisse vermittelt werden. Von einigen
Vereinen werden zudem Weiter- und Fortbildungen angeboten.
Diese Aktivitäten werden durch das Angebot organisierter Studienreisen ergänzt, die zum Teil das Herkunftsland der Migranten
zum Ziel haben. Hier ist insbesondere auf die Organisationen der
Einwanderer ägyptischer Herkunft hinzuweisen. Die Studienfahrten
werden als Möglichkeit genutzt, das Herkunftsland einmal wiederzusehen und bieten den jugendlichen Migranten die Gelegenheit, die
Herkunft ihrer Eltern kennenzulernen. Gleichzeitig dienen sie als
Mittel der Völkerverständigung und des Kulturaustausches, da häufig
auch Deutsche zur Teilnahme eingeladen werden.
7.1.6 Themengebiet Betreuung
Obgleich 52% aller Organisationen angegeben haben, Betreuungsangebote durchzuführen, ist bei der Konkretion der Aktivitäten
nur wenig in diesem Bereich aufgeführt worden. Dies liegt sicherlich auch daran, daß viele Projekte in anderen Gebieten einen zugleich betreuenden Charakter aufweisen. In den Fällen, in denen
Betreuungsmaßnahmen direkt genannt werden, sind sie zielgruppenbezogen. Am häufigsten werden Angebote für Flüchtlinge aufgeführt, aber auch Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern in
Deutschland sind, oder hier lebende Landsleute in Notlagen werden
durch einzelne Selbstorganisationen betreut. Eine weitere Zielgruppe
sind die von Frauenhandel und Zwangsprostitution betroffenen
Migrantinnen, schließlich werden auch allgemeine Betreuungsmaßnahmen für Senioren und Kinder genannt.
Im folgenden soll näher auf die Arbeit einer Selbstorganisation
eingegangen werden, die Betreuungsangebote nicht in die Gesamtheit ihrer Vereinsaktivitäten integriert, sondern die sich ausschließlich zum Zweck der Schaffung eines Betreuungssystems für iranische Kinder und Jugendliche, die in Folge des zweiten Golfkrieges
ohne ihre Eltern nach Deutschland fliehen mußten, gegründet hat.
Aufgrund der Bombardierung einer im Irak operierenden Gruppe
der Volksmodjahedin sind ca. 1.000 Kinder und Jugendliche mit
Hilfe von Menschenrechtsorganisationen nach Europa gebracht
worden, von denen 120 nach Deutschland kamen. Die Betreuungspersonen dieser Kinder haben bezüglich der asylrechtlichen Begleitung Kontakt zu einem Anwaltsbüro aufgenommen, das die rechtliche
Vertretung übernommen hat. Schon sehr schnell wurde jedoch sowohl
den iranischen Betreuern als auch den deutschen Rechtsbeiständen
klar, daß den Kindern nur mit Einzelfallhilfe nicht ausreichend
geholfen werden konnte. Um die Aufteilung der Kinder auf verschiedene Kinderheime zu verhindern und um sie langfristig auch in
ihrem Alltag begleiten zu können, wurde die Selbstorganisation mit
dem Ziel gegründet, ein gemeinnütziger Träger der Freien Jugend-
hilfe zu werden. Nach längeren Bemühungen und Kontakten zu Verwaltung und Politik konnte nach einiger Zeit die Anerkennung der
Gemeinnützigkeit erreicht werden, woraufhin sowohl eigene als
auch in Kooperation mit anderen Trägern der Freien Jugendhilfe
betriebene Wohngruppen eingerichtet werden konnten. Durch die
bestehenden intensiven Kontakte zu den Kindern konnten deren
Bedürfnisse immer in die Planung einbezogen werden, so daß für
unterschiedliche Kinder auch unterschiedliche Wohnformen etabliert
werden konnten.
Der völligen Entwurzelung der Kinder und Jugendlichen wird
begegnet, indem das Betreuungspersonal mindestens paritätisch mit
Iranerinnen und Iranern besetzt wird. Die durch eine bikulturelle
Erziehung auftretenden Probleme werden in den wöchentlichen Vorstandssitzungen aufgearbeitet. Unterschiedliche Erziehungsvorstellungen können auf der einen Seite bei den Kindern sicherlich zu
Verwirrungen führen, doch wenn sie in einen Dialog gebracht werden,
können sie sehr fruchtbar sein. Grundsätzlich besteht das pädagogische Konzept darin, die Beziehungen der Kinder zu ihren Eltern
und Familienangehörigen sowie die vorhandenen Identitäten zu
erhalten, gleichzeitig aber auch dafür zu sorgen, daß die Kinder hier
einen qualifizierten Berufsabschluß erlangen, also eine Integrationsperspektive haben. Praktisch umgesetzt wird dieses Konzept dadurch,
daß mit den Kindern sowohl kulturelle als auch religiöse Anlässe
gefeiert werden und daß sie Persischunterricht erhalten. Gleichzeitig
besuchen sie deutsche Schulen, wo der Kontakt zu deutschen Jugendlichen hergesteltt wird. Der Kontakt zu und die Auseinandersetzung
mit beiden Kulturen wird für die Entwicklung der Kinder und
Jugendlichen als sehr wichtig eingestuft.
Mit Erreichung der Volljährigkeit werden die Kinder nach einer
kurzen Verselbständigungsphase aus dem Betreuungsverhältnis des
Vereins entlassen. Alle Maßnahmen müssen nach den Vorgaben der
Stadt mit dem 18. Lebensjahr beendet werden. In Extremfällen
müssen dann auch kurz vor dem Abitur stehende Jugendliche die
Einrichtung verlassen. Der Verein steht den Kindern natürlich auch
weiterhin zur Verfügung, aber die Betreuung und die Vormundschaften sind zu diesem Zeitpunkt formal beendet. Somit wird sich
der Verein mit Erreichung der Volljährigkeit des jüngsten Kindes
auflösen.61
Hier handelt es sich wegen der Zweckgebundenheit und der von
vornherein befristet angelegten Vereinsdauer sicherlich um einen
ganz besonderen Organisationszusammenhang, der jedoch auf die
Unterstützung von Zuwanderern ausgerichtet ist und den Kriterien
einer Selbstorganisation entspricht. Hier wird erneut deutlich, daß
Selbstorganisationen von Migranten und Migrantinnen nicht nur
hinsichtlich ihrer Themenschwerpunkte ein ausgesprochen vielfältiges Profil aufweisen, sondern daß sie sich auch organisatorisch
deutlich voneinander unterscheiden.
60 Interview mit Vertretern des Internationalen Kulturkreis Moers e. V. im Oktober 1997.
61 Interview mit einem Vertreter und einer Vertreterin der Iranischen Flüchtlingskinderhilfe e. V. im Oktober 1997.
49
7. Arbeitsschwerpunkte
7.1.7 Themengebiet Sport
Unter den Organisationen, die Sportangebote machen, sind 5%
reine Sportvereine; weitere 12% haben in ihrem Verein eigene Sportmannschaften oder festetablierte Sportgruppen, einige andere Organisationen bieten regelmäßig sportliche Angebote in Kursform an.
Hier handelt es sich meistens um herkunftsheterogene Vereinigungen,
die insbesondere für islamische Mädchen und Frauen Bewegungsangebote aufstellen.
Der Großteil der Nennungen bezüglich sportlicher Aktivitäten
rekurriert auf die Teilnahme an Sportturnieren, Wettkämpfen und
internationalen Meisterschaften. Unter den Sportarten wird besonders häufig Fußball aufgeführt, aber auch Basketball, Tischtennis,
Boccia oder Schach werden genannt. Zudem werden im Gymnastikund Trimmbereich Angebote gemacht. Bei den Tanzgruppen ist häufig unklar, ob sie eher dem Kultur- oder dem Sportbereich angehören. Wir haben sie in der Regel jedoch den Kulturangeboten zugeordnet, da es sich sehr häufig um Folkloregruppen handelt.
Insbesondere unter den portugiesischen, aber auch den makedonischen und albanischen Organisationen werden überproportional
häufig Sportangebote gemacht.
Nach Schätzungen des Vorsitzenden des Ausschusses Sport mit
ausländischen Bürgerinnen und Bürgern im Landessportbund,
Karl-Heinz Zündorf, engagieren sich zudem 7% der nichtdeutschen
Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen in den Sportvereinen der
jeweiligen Städte und Gemeinden. Mit Zunahme der fremdenfeindlichen Übergriffe, insbesondere seit den Morden in Solingen, werde
jedoch die Tendenz deutlich, daß sich Migranten verstärkt in ihre
ethnisch organisierten Zusammenschlüsse zurückziehen. Auch
nähmen die Gründungen ausländischer Fußballvereine in einigen
Kommunen zu; insgesamt seien im Fußballverband Westfalen 80 verschiedene Nationalitäten vertreten.62
In Fällen, in denen ethnisch separierte Mannschaften in Wettkämpfen aufeinandertreffen, können verbindende Momente entstehen;
gleichermaßen kann die ethnische Trennung jedoch sowohl auf die
Spieler als auch auf die jeweiligen Fangemeinden eskalierend wirken.
Insgesamt muß jedoch betont werden, daß der gemeinsam betriebene Sport gute Möglichkeiten bietet, Menschen verschiedener Herkunft zu verbinden. Hier stehen nicht die jeweiligen Unterschiede
der Menschen im Vordergrund, sondern das gemeinsame Interesse
an der Sache sowie das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe, die
nicht auf ethnische Merkmale rekurriert. So kommt auch Ministerialdirigent Jeromin vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und
Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen zu dem Schluß, „sportliche
Betätigung schaffe für Migrant/innen Identität und trage zu einer
‘Integration von unten’ bei. Sport fördere interkulturelles Leben und
könne einen Beitrag zum besseren Verständnis unterschiedlicher
Kulturkreise leisten.“63
7.1.8 Themengebiet Politik
Obwohl nur 26% aller Vereinigungen angegeben haben, politisch
aktiv zu sein, sind in der konkreten Nennung von Angebotsschwerpunkten ziemlich differenzierte politische Betätigungsfelder aufgeführt worden. Diese Diskrepanz ist wohl darauf zurückzuführen, daß
politische Betätigung oftmals mit parteipolitischen Aktivitäten gleichgesetzt wird. Der relativ geringe Stellenwert parteipolitischer Ausrichtungen wurde bereits im Kapitel über Kontakte und Zusammenarbeit der Selbstorganisationen deutlich, wo nur 20% aller Vereinigungen eine Zusammenarbeit mit Parteien in Deutschland bestätigten.
Die nur schwache Bindung an Parteien mag auch in der weitestgehend fehlenden politischen Partizipationsmöglichkeit für Migranten
begründet liegen, wodurch eine Lebenswirklichkeit geschaffen wird,
in der eine effektive Interessendurchsetzung primär nicht auf parlamentarischem Weg angestrebt wird.
Gleichermaßen gibt es vielfältige gesellschaftspolitische Aktivitäten seitens der Selbstorganisationen. Am häufigsten wurden Veranstaltungen zu politischen Themenstellungen aufgeführt, zu nennen
sind hier umwelt- und frauenpolitische Veranstaltungen, Vorträge zur
politischen Situation des Herkunftslandes, Reflexionen über die
Bedeutung des Europäischen Jahres gegen Rassismus, Diskussionen
zur „Festung Europa“, zur bundesdeutschen Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie Informationsabende zu kommunalpolitischen
Fragestellungen oder zum kommunalen Wahlrecht für EU-Angehörige. Weiterhin zeichnen sich die politischen Aktivitäten durch
politische Aktionen und Demonstrationen aus. Beispiele liegen hier
im Widerstand gegen Frauenunterdrückung im Herkunftsland wie in
der Bundesrepublik, Aktivitäten gegen bevorstehende Abschiebungen,
z. B. der Veranstaltung eines Bleibefestes für bosnische Flüchtlinge,
oder Aktionen gegen allgemein restriktive ausländerrechtliche Maßnahmen, wie der Einführung der Visumspflicht für ausländische
Kinder. Ein wichtiger Pfeiler der politischen Arbeit besteht auch in
der Teilnahme an kommunalen Arbeitskreisen sowie in der Erstellung
und Verbreitung aufklärender Flugblätter und Informationsschriften.
Eine äthiopische und eine iranische Organisation gaben an, eigene
Recherchen und Studien zur politischen Situation im Herkunftsland
zu erstellen, andere Zusammenschlüsse engagieren sich in der EineWelt-Arbeit, eine weitere Vereinigung trat als Nebenklägerin im
Mykonos-Prozeß auf. Wieder andere Zusammenschlüsse unterstützen
oppositionelle Exilstrukturen durch Spendensammlungen; der Besuch
des Landtags gehört ebenso zu den politischen Aktivitäten wie die
Durchführung migrationsgeschichtlicher Stadtrundgänge. Diese
politischen Betätigungen werden nicht selten durch eine intensive
Öffentlichkeitsarbeit in Form von Radiosendungen und Zeitschriften
etc. begleitet.
Daß jedoch nicht alle politischen Aktivitäten den Migrationsbereich betreffen, beweist z. B. das umweltpolitische Engagement
eines Vereins für multikulturelle Kinder- und Jugendarbeit. Grundlage dieser Arbeit ist die umfassende Information aller Bevölkerungsteile bezüglich der eigenen Möglichkeiten, zu einem effektiven Umweltschutz beizutragen. Zu diesem Zweck sind verschiedene mehrsprachige Broschüren erstellt worden. Weiterhin werden Aktionen
und Exkursionen sowie konkrete Projekte zur Umwelterziehung
62 Vgl. Sport und Ausländer(innen), in: Landtag intern vom 29.4.1997, Ausschußberichte, S. 15.
63 Ebd.
50
7. Arbeitsschwerpunkte
durchgeführt. Hier handelt es sich zum einen um Besuche einer
städtischen Mülldeponie, eines Imkervereins, eines Bio-Bauernhofes
etc. oder um Aktivitäten wie Gewässeruntersuchungen, Umweltralleys, Müllsammlungen und die Herstellung eigenen Recyclingpapiers. Projekte gibt es im Bereich des umweltgerechten Schulbedarfs, der Kompostierung, der Ernährung sowie zum Thema energiesparendes Verhalten im Haushalt oder zum Verkehrsverhalten.
Das Projekt Verkehr wendet sich an 13-18-jährige Jugendliche, um
ihnen ein verantwortungsbewußtes und emanzipatorisches Verkehrsbewußtsein zu vermitteln. Um dieses Ziel zu erreichen, werden von
den Jugendlichen Lärmpegelmessungen an vielbefahrenen Straßen
in Wohngebieten und Geschwindigkeitsmessungen in verkehrsberuhigten Zonen durchgeführt und Bevölkerungsumfragen zum
Öffentlichen Personennahverkehr und zu verkehrsbezogenen Themen
erstellt. Die Ergebnisse werden öffentlichkeitswirksam aufbereitet
und der Bevölkerung zugänglich gemacht.64
Durch diese thematisch breite Staffelung in der Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen wird deutlich,
daß die Selbstorganisationen von Migranten natürlich ihre eigene
Situation thematisieren, darüber hinaus aber auch einen aktiven
Beitrag in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion leisten. Diese
Haltung zeugt von einer Orientierung auch auf die Geschehnisse in
der Bundesrepublik und der Bereitschaft, hierfür Verantwortung zu
übernehmen.
7.1.9 Themengebiet Gesundheit
Im Gesundheitsbereich werden nur sehr wenig konkrete Arbeitsgebiete genannt. Die große Mehrheit der Angaben bezieht sich auf
Veranstaltungen zu gesundheitlichen Themen, so der Vorbeugung
und Erkennung von Kinderkrankheiten, dem Zusammenhang zwischen Umweltbelastungen und Allergien, homöopathischen Behandlungsmöglichkeiten oder depressiven Erkrankungen und der Wirkung
von Streß auf die menschliche Psyche. Aids-Aufklärung ist ein
weiterer Schwerpunkt einiger Organisationen, zudem werden allgemein die Posten Gesundheitserziehung und Krankheitsprophylaxe
aufgeführt.
7.1.10 Themengebiet Religion
Bei 19% der Organisationen, die angegeben haben, religiöse
Angebote zu machen, handelt es sich um religiöse Einrichtungen.
Zu nennen sind katholische Missionen, orthodoxe Kirchengemeinden
und eine hinduistische Tempelgemeinde. Es ist jedoch nicht selbstverständlich, daß sich religiöse Organisationen auch als Selbstorganisationen verstehen, selbst wenn ihr Angebot über eine seelsorgerische Betreuung deutlich hinausreicht. So verstehen sich die Angehörigen der Bahá’i-Religion als eine internationale Gemeinschaft,
fungieren ihrem Selbstverständnis nach aber nicht als Selbstorganisation. Ebenso hat eine Katholische Italienische Mission darauf verwiesen, eine kirchliche Einrichtung, jedoch keine Selbstorganisation
zu sein. Drei andere Katholische Italienische Missionen haben sich
hingegen im Selbstverständnis einer Selbstorganisation an dieser
Studie beteiligt. Stellvertretend für alle religiösen Organisationen
soll am Beispiel der Katholischen Italienischen Missionen dargelegt
werden, warum sie in unserer Studie als Selbstorganisation behandelt
werden, wenn diese Charakterisierung ihr eigenes Empfinden widerspiegelt.
Bereits in der ersten Einwanderungsphase gab es in bestimmten
Regionen einen Seelsorger für die Betreuung der Zuwanderer aus
Italien, ihm stand jedoch keinerlei Infrastruktur zur Verfügung.
Gleichermaßen war er Ansprechpartner und Kristallisationspunkt
aller möglichen Probleme: „Er war das Faktotum. Er mußte Messen
zelebrieren und Formulare ausfüllen, Kinder auf die Erste Hl. Kommunion vorbereiten und Dolmetscher sein, die Kranken besuchen
und Wohnung und Arbeit suchen. (...) Die Leute wenden sich an das
‘Faktotum’ Seelsorger in allen Angelegenheiten, und er steht Problemen und Situationen gegenüber wie einst der Landarzt in unseren
Dörfern.“65 Zudem waren die Missionen vielerorts die ersten Versammlungsorte für die italienischen Einwanderer, so daß das Aufgabenprofil der Missionen neben ihren religiösen Funktionen schnell
in alle Lebensbereiche der Migranten hineinreichte.
Auch wenn die umfassende Betreuung der Missionen heute auf
verschiedene Facheinrichtungen und alternative Organisationen aufgeteilt ist, findet in ihnen doch immer noch ein Leben statt, das neben
den Sonn- auch die Alltage kennt.
An konkreten Angeboten im religiösen Bereich nannten die
Organisationen vielfach die gemeinsame Begehung religiöser Feste.
Hier wird in den meisten Fällen im Sinne der Pflege und Erhaltung
der eigenen Religion großer Wert auf die traditionelle Begehung der
Feiern gelegt, zum anderen erhalten sie aber auch eine soziale
Funktion, so zum Beispiel, wenn ein Verein ein ‘Weihnachtsfest für
Alleinstehende’ veranstaltet.
Weiterhin werden Veranstaltungen mit religiösen Themenstellungen durchgeführt, so z. B. zur Rolle der Religion in der Gesellschaft,
zum Verhältnis der Kirchen zueinander oder zu Ursprung und Entwicklung von Religionen. Verschiedene Vereinigungen führen eine
Zusammenarbeit mit der Kirche an, andere verweisen auf die Durchführung von und Teilnahme an Wallfahrten, wieder andere erteilen
Religionsunterricht, haben einen Kirchenchor oder bemühen sich
durch den Besuch ökumenischer Gottesdienste und Gespräche mit
Vertretern anderer Glaubensrichtungen um einen interreligiösen
Dialog.
7.1.11 Sonstige Themengebiete
Obwohl die Kategorie der sonstigen Themengebiete nicht vorstrukturiert war, ergeben sich im Antwortverhalten relativ homogene
Antwortmuster, die sich auch in den konkreten Angebotsnennungen
widerspiegeln. Hier handelt es sich um die Themengebiete der Optimierung der eigenen Organisationsstruktur, der humanitären Hilfe
im Herkunftsland sowie um den Selbsthilfebereich.
64 Vgl. das Faltblatt Ideen, Projekte, Schwerpunkte: Umweltschutz, hg. von der IFAK e.V., Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendarbeit.
65 Fabio Biasi, 1993, S. 47 und 51.
51
7. Arbeitsschwerpunkte
7.1.11.1 Optimierung der eigenen
Organisationsstruktur
Auf dem Gebiet der sonstigen Arbeitsschwerpunkte beziehen sich
die meisten Nennungen auf eine Verbesserung der eigenen Organisationsstruktur. Insgesamt gaben 20% aller Organisationen an, mit
dieser Frage intensiv beschäftigt zu sein, wobei keine Konzentration
auf bestimmte Herkunftsgebiete konstatiert werden kann. In diesem
Arbeitsgebiet spielt die Vernetzungsarbeit eine wesentliche Rolle. Vernetzungsbestrebungen werden mit anderen Selbstorganisationen, aber
auch mit deutschen Vereinen und öffentlichen Einrichtungen angestrebt.
Als ein Beispiel gelungener Vernetzungsarbeit kann die von
einer interkulturellen Vereinigung veranstaltete Stadtteilkonferenz
aufgeführt werden, zu der interessierte Bürgerinnen und Bürger,
Vereine, Wohlfahrtsverbände, Kirchen sowie Vertreter der Polizei
und verschiedener kommunaler Ämter eingeladen werden.
Gemeinsam werden die Probleme der im Stadtteil lebenden Menschen
analysiert und Lösungsansätze gesucht. Die auf der Stadtteilkonferenz angeregten Diskussionen werden häufig in speziellen Arbeitsgruppen vertieft, und in vielen Fällen können konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeitet und durchgesetzt werden.66
Eine andere Form der Vernetzung stellt die mehrfach aufgeführte
Bestrebung zur Gründung eines Dachverbandes dar. Grundsätzlich
kann Vernetzungsarbeit als Indikator für eine zunehmende Professionalisierung der jeweiligen Organisationen bewertet werden.
Weiterhin ist in diesem Arbeitsbereich von verschiedenen Zusammenschlüssen die Veranstaltung von bzw. die Teilnahme an Seminaren für Vorstandsmitglieder oder ehrenamtliche Mitarbeiter aufgeführt worden, die auf eine Optimierung der Vereinsorganisation und
der Vereinsaktivitäten gerichtet sind. Zudem wurden die Beschaffung
eigener Vereinsräume und die Gründung von Versammlungs- und
Begegnungsstätten als Maßnahme zur Verbesserung der eigenen
Organisationsmöglichkeiten genannt.
7.1.11.2 Humanitäre Hilfe im Herkunftsland
13% aller Organisationen haben angegeben, humanitäre Hilfe im
Herkunftsland zu leisten. Dabei handelt es sich bei den meisten Vereinigungen um Zusammenschlüsse aus den Nachfolgestaaten des
ehemaligen Jugoslawiens, weiterhin um afrikanische Gruppierungen
sowie um asiatische Organisationen und zu einem nur geringen Teil
um polnische und herkunftsheterogene Verbindungen.
Inhaltlich konzentriert sich die Arbeit auf die materielle und
finanzielle Unterstützung von Schulen, Waisenhäusern, Altenheimen,
medizinischen Einrichtungen und Selbsthilfegruppen, aber auch auf
konkrete Einzelfallhilfe. Diese richtet sich entweder auf die Verbesserung der Lebensbedingungen im Herkunftsland oder auf die Ermöglichung einer medizinischen Therapie im Ausland für Personen mit
Erkrankungen, die in ihrer Heimat aufgrund der allgemeinen schlechten Versorgungslage nicht behandelt werden können.
Eine weiterer Arbeitsschwerpunkt der humanitären Hilfe liegt in
der Sammlung, Verpackung und Verschickung humanitärer Hilfsgüterleistungen.
7.1.11.3 Selbsthilfemaßnahmen
Der wesentliche Arbeitsbereich im Gebiet der Förderung der
Selbsthilfe ist das Angebot von allgemeinen, themenspezifischen
oder zielgruppenorientierten Gesprächskreisen. Beispielhaft sei hier
auf Gesprächskreise zur Überwindung von Integrationsproblemen,
zur Lösung jugendspezifischer Schwierigkeiten, für vergewaltigte
Frauen oder für psychisch erkrankte Migranten hingewiesen.
Weitere Nennungen bezogen sich relativ unspezifisch auf Projekte
für ‘Hilfe zur Selbsthilfe’.
Als konkrete Selbsthilfemaßnahme, die sich an aktuellen Bedürfnislagen orientiert, soll hier exemplarisch eine innovative Arbeitmarktinitiative vorgestellt werden, die in der Gründung eines Vermittlungszentrums zwischen arbeitssuchenden Migranten und deutschen Firmen besteht, die in osteuropäischen Staaten Niederlassungen
haben oder aufbauen wollen. Ziel dieser Initiative ist es, in Deutschland lebenden Migranten osteuropäischer Herkunft die Möglichkeit
anzubieten, als Mitarbeiter deutscher Firmen in ihre Herkunftsländer
zu gehen, um dort zu arbeiten. Die deutschen Firmen reagieren auf
dieses Angebot sehr positiv und die Selbstorganisation übernimmt
den Vermittlungsservice. Auf diesem Weg konnte bereits vielen
interessierten Personen eine Arbeitsstelle vermittelt und ihre Lebenssituation entscheidend verbessert werden.67 Hier wurden Beobachtungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität analysiert und in ein praxisbezogenes Konzept transformiert, das sich
durch eine problemorientierte Selbsthilfe auszeichnet.
7.2 Zielgruppenorientierung
Neben der Möglichkeit, themengebundene Arbeitsschwerpunkte
anzugeben, konnte auch eine zielgruppenspezifische Angebotsorientierung aufgeführt werden.
Nach den Ergebnissen dieser Studie werden von den meisten
Organisationen frauen-, jugend- oder kinderspezifische Aktivitäten
durchgeführt. Hier haben jeweils zwischen 40 und 50% aller Vereinigungen angegeben, Angebote für einen dieser Personenkreise
durchzuführen. Zwischen 20 und 30% aller Organisationen gehen
mit ihren Angeboten konkret auf allgemein Ratsuchende, Männer
oder Senioren ein. Speziell bei den männerspezifischen Angeboten
ist jedoch unklar, ob es sich tatsächlich um Angebote handelt, die
auf die besondere Situation der Migranten zugeschnitten sind, oder
ob hier auch solche Aktivitäten eingehen, an denen neben anderen
Zielgruppen gleichfalls oder hauptsächlich Männer teilnehmen.
Konkret wurden tatsächlich männerspezifische Angebote nur sehr
selten benannt.
Am unteren Ende der Skala rangieren Angebote für Arbeitslose
und Arbeitnehmer, die jeweils 18% der Selbstorganisationen durchzuführen angegeben haben. Einige Vereinigungen weisen zudem
eine Zielgruppenorientierung für weitere Personengruppen auf. Am
häufigsten wurden hier Angebote für Flüchtlinge und Familien
genannt.
66 Interview mit Vertretern des Internationalen Kulturkreis Moers e. V. im Oktober 1997.
67 Interview mit Vertreterinnen des Europäischen Kulturzentrums IGNIS e. V. im Oktober 1997.
52
7. Arbeitsschwerpunkte
Zielgruppenorientierte Angebote
Zielgruppe
Mädchen/Frauen
Jugendliche
Kinder
Ratsuchende
Jungen/Männer
% von allen
Organisationen
49
46
41
30
29
Zielgruppe
% von allen
Organisationen
Senioren
Arbeitnehmer
Arbeitslose
Sonstige
27
18
18
10
Quelle: eigene Berechnungen
Bei der prozentualen Verteilung aller zielgruppenspezifischen
Nennungen machen Angebote für Kinder, Jugendliche und Frauen
zusammen die Hälfte der Aktivitäten aus. Demgegenüber sind nur
14% aller Nennungen solche zu Angeboten für Arbeitslose und Arbeitnehmer. Dieses Ergebnis erstaunt etwas angesichts der Tatsache, daß
sich die Organisationen, wie bereits dargelegt, stark im berufsorientierenden Bereich engagieren. Die entsprechenden Maßnahmen sind
in der Regel jedoch nicht uneingeschränkt zugänglich, sondern für
bestimmte Gruppen konzipiert, insbesondere für Jugendliche und
Frauen. Somit dürften einige der berufsbildenden und -orientierenden Angebote eher in dieser Kategorie verzeichnet sein als unter der
allgemeinen Kategorie der Arbeitslosen und Arbeitnehmer.
Im Vergleich nach Herkunftskontinenten fallen die herkunftsheterogenen Zusammenschlüsse durch einen überdurchschnittlich hohen
Anteil frauenspezifischer Angeboten auf. Diese Angebotsstruktur ist
dadurch erklärbar, daß die herkunftsheterogenen Vereinigungen in
der Mitgliederstruktur einen mit 65% überdurchschnittlichen Frauenanteil aufweisen. Entsprechend führen die Zusammenschlüsse der
Migranten afrikanischer Herkunft, die mit 27% den niedrigsten weiblichen Mitgliederanteil haben, auch am seltensten auf Frauen und
Mädchen bezogenen Aktivitäten durch. Bei den männerspezifischen
Angeboten sind keine signifikanten Korrelationen zur
Mitgliederstruktur zu konstatieren, was wiederum bestätigt, daß in
diese Kategorie auch Angebote aufgenommen wurden, die für beide
Geschlechter zugänglich sind.
Der festgestellte Zusammenhang zwischen Angebots- und
Mitgliederstruktur ist nicht nur geschlechts-, sondern auch altersspezifisch. Auffällig viele Organisationen von Migranten europäischer
Herkunft haben angegeben, sich im Seniorenbereich zu engagieren,
und in dieser Gruppe befindet sich sowohl auf die nordrhein-westfä-
53
lische Gesamtbevölkerung als auch auf die Mitglieder bezogen der
höchste Anteil älterer Einwanderer. Die Bevölkerungsgruppen der
Migranten europäischer und asiatischer Herkunft umfassen die meisten minderjährigen Angehörigen und entsprechend liegen ihre
Organisationen bei den auf Kinder und Jugendliche ausgerichteten
Vereinsaktivitäten an der Spitze.
Zielgruppenorientierte Angebote nach Herkunftskontinent
Kontinent
Afrika
Asien
Europa
Lateinamerika
Heterogen
Frauen/ Ju- Kin- Ratsu- Männer/ Senio- Arbeit- Ar- SonMäd- gendli- der chende Junren nehmer beits- stige
chen
che
gen
lose
21
56
47
18
48
50
24
46
43
24
29
28
15
31
35
15
15
36
9
8
23
12
6
20
15
8
10
25
25
50
25
25
25
25
25
-
70
50
40
40
20
20
16
24
12
Quelle: eigene Berechnungen
7.2.1 Zielgruppe Frauen und Mädchen
Ebenso wie die meisten Organisationen Frauen und Mädchen als
eine ihrer Zielgruppen benannt haben, wurden in diesem Bereich
auch die meisten konkreten Angebote aufgeführt. Am relevantesten
sind hier ein breites Kursangebot sowie Informationsveranstaltungen
zu frauenspezifischen Themen. Zu erwähnen sind insbesondere Vorträge zum beruflichen Wiedereinstieg sowie Weiterbildungsseminare;
es wird aber auch die spezielle Situation von Migrantinnen aufgearbeitet, zudem werden bestehende Frauenorganisationen und Frauenberatungsstellen vorgestellt. Das Kursangebot umfaßt Handarbeitsund Nähkurse, allgemeine Kreativkurse ebenso wie Back- und
Koch-, Sport-, Selbstbehauptungs- oder Integrationskurse. Auch
Deutschunterricht, oft mit der Möglichkeit einer gleichzeitigen
Kinderbetreuung, wird in das Kursprogramm integriert.
Ferner sind in diesem Bereich die Bildung von dauerhaften
Frauen- und Mädchengruppen sowie das regelmäßige Angebot eines
offenen Treffs wichtige Standbeine. Auch Chöre, Tanz-, Theater- und
Folkloregruppen gehören zum frauenspezifischen Angebotsbereich.
Eine wichtige Funktion haben die Bildung von Gesprächskreisen
und Selbsthilfegruppen sowie gemeinsame Ausflüge oder eine
Beratungsmöglichkeit nur für Frauen. Maßnahmen zur beruflichen
Orientierung und Bewerbungstrainings sind ebenso wie die Beratung
und materielle Unterstützung von Frauenselbsthilfegruppen im
Herkunftsland genannt worden.
In der Berufsorientierung sind die einzelnen Projekte häufig auf
Migrantinnengruppen, die besonders schlechte Arbeitsmarktchancen
haben, zugeschnitten. Ein Beispiel ist die von einem herkunftsheterogenen Verein initiierte berufsorientierende Maßnahme für Frauen,
die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland
gekommen sind und hier in der Regel keine berufliche Perspektive
haben. Innerhalb des zweijährigen Projektes, das täglich sechs
Stunden umfaßt, werden sowohl theoretische als auch praktische
Kenntnisse vermittelt. Während sich die theoretischen Lerninhalte
vorwiegend auf eine Erweiterung der Sprachkenntnisse und auf die
Vermittlung erster Einblicke in verschiedene Berufsbereiche kon-
7. Arbeitsschwerpunkte
zentrieren, werden im praktischen Teil Berufspraktika und Betriebsbesichtigungen organisiert. Ziel dieser Maßnahme ist, daß die einzelnen Frauen am Ende des Projektes in der Lage sind, für sich eine
erfolgversprechende berufliche Perspektive zu entwickeln.68
Eine weitere Personengruppe mit schlechten Berufs- und Ausbildungschancen sind junge Migrantinnen. An diesen Problembereich
greift beispielsweise das Projekt „Schulische und berufliche Förderung junger Migrantinnen“ an, das von einer interkulturellen
Mädchenorganisation durchgeführt wird. Das eine Standbein dieses
Projekts sind die qualifizierte Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung
für Mädchen aller Schulklassen. Das zweite Standbein ist als
Ergänzungsangebot zur bestehenden Jugendberufshilfe die Beratung
und Begleitung der Mädchen bezüglich individueller Berufswünsche,
individueller beruflicher Möglichkeiten und einer Erläuterung der
für bestimmte Berufsbilder notwendigen Bildungsabschlüsse.
Gekoppelt wird diese Arbeit an eine enge Kooperation mit den
Schulen, in denen zum Beispiel Berufsorientierungswochen veranstaltet werden, in denen Migrantinnen, die bereits berufliche
Erfahrungen gesammelt haben, über eigene Wege der Berufsfindung
sowie ihre Schwierigkeiten und auch ihre Stärken in ihrem jeweiligen
Beruf als Rechtsanwaltsgehilfin, Hotelfachfrau, Bibliothekarin,
Schreinerin oder Studentin referieren. Neben den Schulen wird mit
kleinen Betrieben zusammengearbeitet, bei ihnen wird, zum Teil
auch erfolgreich, für die Bereitstellung von Praktikums- und
Ausbildungsstellen geworben. Die Betriebspraktika werden dann
sowohl inhaltlich als auch öffentlichkeitswirksam begleitet.69
Einen ganz anderen Bereich frauenspezifischer Unterstützungsmaßnahmen betrifft das Gebiet der Schutzmöglichkeiten von
Migrantinnen, die Opfer sexueller oder häuslicher Gewalt geworden
sind. Während diesbezüglich auch bei deutschen Frauen großer
Handlungsbedarf besteht, kommt bei Migrantinnen erschwerend die
ausländerspezifische Rechtslage hinzu. Nach § 19 Ausländergesetz
müssen bestimmte Ehebestandszeiten gewahrt sein, damit Frauen
ohne eigenständiges Aufenthaltsrecht im Falle einer Trennung von
ihrem Ehemann nicht ausgewiesen werden. Aufgrund dieser
Bestimmung haben viele Migrantinnen Angst, ein Frauenhaus aufzusuchen, da ihre Schwierigkeiten dann aktenkundig werden. Diese
Situation hat eine interkulturelle Frauenkontakt- und Beratungsstelle
dazu bewogen, für diesen Zweck möglichst unbürokratische Formen
einer geschützten Unterbringung einzurichten. In diesen Notunterkünften soll der Raum geschaffen werden, zuerst einmal die Situation
der Frau zu klären, um dann mit ihr die gemeinsamen weiteren
Schritte abzusprechen und die Frau in ihrer jeweiligen Entscheidung
zu unterstützen. Diese kann sowohl in der Rückkehr zum Ehemann
liegen als auch im Wechsel in ein Frauenhaus. Grundsätzlich ist
jedoch eine Zeit gewährleistet, in der die Frau und ihre Kinder sicher
untergebracht sind, und in der sie sich über ihre weitere Situation
Klarheit verschaffen kann, ohne eine bürokratische Welle auszulösen.70
Weitere geschützte Unterbringungsformen gibt es für von Frauenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen, die aufgrund ihres
unfreiwillig illegalen Status ebenfalls kein Aufenthaltsrecht in
Deutschland besitzen und somit von Ausweisung bedroht sind, wenn
sie sich an Behörden wenden. Im Falle eines Verfahrens gegen die
Menschenhändler ist den Frauen ihr Aufenthalt nur für die Zeit ihrer
Zeuginnenaussage gewährleistet; im Anschluß daran werden sie in
der Regel abgeschoben. Aufgrund dieser Rechtslage versuchen einzelne Organisationen, für die Frauen, die sich aus ihren Abhängigkeitsverhältnissen befreien, als Zwischenlösung eine geschützte Form der
Unterbringung anzubieten.
Insgesamt machen die aufgeführten Arbeitsgebiete und konkreten
Beispiele deutlich, daß sich die frauenspezifischen Angebote von
Selbstorganisationen sowohl in ihrer Zielgruppenbestimmung als
auch in ihrer thematischen Breite durch ein vielfältiges Angebot
ausweisen, das häufig durch eine sehr professionelle Arbeit realisiert
wird.
7.2.2 Zielgruppe Jugendliche
Ein Großteil der für Jugendliche konkret aufgeführten Angebote
sind schulische und berufliche Fördermaßnahmen. Im schulischen
Bereich werden die jugendlichen Migranten durch Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfeunterricht ebenso unterstützt wie durch Beratungsgespräche zu Problemen rund um den Schulalltag, während im
beruflichen Bereich vorwiegend Maßnahmen zur Berufsorientierung
und Berufsberatung aufgeführt werden71. Zudem spielt die Berufsbildung im Themenkanon der jugendspezifischen Veranstaltungen
eine wesentliche Rolle; hier werden weiterhin Probleme der Identitätsfindung diskutiert und Medienseminare angeboten, aber auch Informationsabende zum Herkunftsland organisiert. Verschiedene Vereinigungen haben angegeben, muttersprachlichen Unterricht für
Jugendliche anzubieten, andere führen Religionsunterricht und Firmvorbereitungen durch oder organisieren einen internationalen Jugendaustausch.
Ein weiteres Gebiet der auf Jugendliche orientierten Angebote
umfaßt den Freizeitbereich. Hier werden Jugenddiscos und Jugendtreffs veranstaltet, es gibt Jugendchöre, Tanz- und Folkloregruppen
oder Theaterspielkreise für Jugendliche, Sportkurse und Sportmannschaften oder Spielabende. Es werden aber auch Gesprächskreise
organisiert, Antirassismusarbeit geleistet oder gemeinsame Ausstellungs- und Theaterbesuche angeboten. Außerdem werden Angebote
für klar definierte Gruppen durchgeführt, so Betreuungsangebote
für Jugendliche, die ohne Eltern in Deutschland leben, oder Informations- und Begleitungsmaßnahmen für behinderte Jugendliche.
68 Interview mit einem Vertreter und einer Vertreterin des Multikulturellen Forums Lünen e. V. im Februar 1997.
69 Interview mit Vertreterinnen des Interkulturellen Mädchentreffs AZADE im Juni 1997.
70 Interview mit Vertreterinnen der Interkulturellen Frauenkontakt- und Beratungsstelle MONA e. V. im April 1997.
71 Zu berufsorientierenden Maßnahmen für Jugendliche vgl. auch Kap. 7.1.5: Themengebiet Bildung.
54
7. Arbeitsschwerpunkte
7.2.3 Zielgruppe Kinder
In den konkreten Nennungen weichen die Angebote für Kinder
nicht sehr stark von denen für die Jugendlichen ab. Auch hier spielen
Hausaufgaben- und Nachhilfemaßnahmen ebenso wie der muttersprachliche Unterricht und Informationsvermittlung über das Herkunftsland eine wichtige Rolle. Auffällig ist jedoch, daß im Freizeitbereich deutlich mehr Angebote für Kinder aufgeführt werden als
für Jugendliche. Zusätzlich zu den unter Kapitel 7.2.2 bereits dargelegten Aktivitäten werden hier kreative Angebote genannt, die
Organisation verschiedener Feste wie Weihnachten oder Karneval
für Kinder, Ferienprogramme, Koch- und Backkurse, Ausflüge,
thematisch ausgerichtete Malwettbewerbe oder Projekte im Medienbereich wie eine ‘Projektwoche Kinderfunk’. Zudem wird das Angebot durch Veranstaltungen für Kinder ergänzt, so durch Theatervorstellungen oder die Produktion von Kindersendungen.
Eine Besonderheit stellen die Bemühungen im Elementarbereich
dar. So werden zunehmend bi- und multikulturell arbeitende Kindergarteneinrichtungen von Selbstorganisationen gegründet und betrieben. Die Ursache dieser Entwicklung liegt zum einen in einer immer
noch gegebenen Unterversorgung insbesondere zugewanderter
Kinder mit einem Kindergartenplatz und zum anderen in der durch
das neue Kindergartengesetz ermöglichten Schaffung neuer Kindergartenplätze durch Elterninitiativen. Auf diesem Weg rückte das
Konzept der multikulturellen Erziehung auch in der allgemeinen
Diskussion stärker in den Vordergrund.
Beispielhaft für diese Entwicklung soll hier die Arbeitsweise
eines deutsch-griechischen Kindergartens vorgestellt werden, der
nach einem bikulturellen pädagogischen Konzept arbeitet. Das auf
zwei Kulturen bezogene Erziehungskonzept bedeutet jedoch nicht,
daß der Kindergarten nur deutsche und griechische Kinder aufnimmt.
Vielmehr bestehen Überlegungen, wie bei einer erfolgreichen bikulturellen Anfangsphase der Übergang zu einer multikulturellen Erziehung geschaffen werden kann; bereits jetzt besuchen Kinder unterschiedlicher Herkunft den Kindergarten. Voraussetzung zur Realisierung des Konzeptes ist die gleichberechtigte Stellung griechischer
und deutscher Erzieherinnen und Erzieher. Nur so kann gewährleistet
werden, daß beide Kulturen tatsächlich als gleichwertig vermittelt
werden können. Inhaltlich spielt besonders der Erhalt und die Förderung der Muttersprache eine zentrale Rolle. Die Möglichkeit, sich
mit einem Teil der Erzieherinnen und einem Teil der Kinder in griechischer, mit einem jeweils anderen Teil aber in deutscher Sprache
zu verständigen, fördert die Sprachfähigkeit in beide Richtungen.
Doch neben der rein sprachlichen Ebene hat die bilinguale Erziehung
auch eine immens wichtige psychologische Bedeutung, da ein ausländisches Kind seine Muttersprache auf diese Weise nicht als minderwertig erlebt. Eine weitere Konsequenz des Kindergartenbesuchs
liegt speziell für Kinder griechischer Herkunft darin, daß über die
Erlernung deutscher und griechischer Sprachkenntnisse eine tatsächliche Wahlfreiheit für den späteren Besuch einer deutschen Grundschule oder einer griechischen Nationalschule hergestellt wird.
Demgegenüber verfügen Kinder, die nie einen Kindergarten besucht
haben, praktisch nicht über eine solche Entscheidungsmöglichkeit,
da sie in der Regel nicht zweisprachig aufwachsen.
Neben der sprachlichen Komponente ist auch die Pflege der
Traditionen, Sitten und Gebräuche ein wesentlicher Bestandteil der
bikulturellen Erziehung. Hier sollen Feste gemeinsam und nicht
getrennt gefeiert werden, so daß die Kinder Einblick sowohl in ihre
eigene als auch in die jeweils andere Kultur erhalten. Neben den
Aktivitäten für die Kinder werden zudem familienbezogene Unternehmungen initiiert, da die Förderung und Stärkung der persönlichen
Kontakte der ganzen Familien in diesem Konzept ebenfalls eine
wichtige Rolle einnehmen.72
Mit verschiedenen Normen und Werten gleichwertig umgehen
zu lernen, ist in unserer Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit.
Gleichermaßen sind insbesondere die Erfahrungen junger Menschen
für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung sehr prägend. Im Konzept
der multikulturellen Arbeit mit Kindern kann ein möglicher Ansatzpunkt liegen, langfristig zu einer toleranten und gleichberechtigten
Gesellschaft zu kommen.
Solange ein Zustand der Gleichberechtigung jedoch nicht erreicht
ist, kommt der Stärkung von Kindern auch in herkunftshomogenen
Organisationen eine besondere Bedeutung zu, da die Kinder hier
lernen können, sich selbst und ihre Herkunftskultur gegenüber der
Mehrheitsgesellschaft nicht als minderwertig wahrzunehmen und zu
definieren.
7.2.4 Zielgruppe Ratsuchende
Auch wenn 30% aller Organisationen angegeben haben, Angebote
für Ratsuchende durchzuführen, sind bezüglich dieser Zielgruppe nur
wenige konkrete Aktivitäten aufgeführt worden. Möglicherweise
wurde diese Kategorie im Selbstverständnis eines Vereins gewählt,
der Ratsuchenden auch dann Unterstützung gewähren möchte, wenn
im jeweiligen Fall keine konkreten Angebote im Programm verzeichnet sind.
Der Großteil der aufgeführten Angebote befindet sich im
Beratungsbereich. Hier wurden allgemeine Sozial- und Rechtshilfeberatungen, Beratungen in finanziellen Angelegenheiten und solche
bezüglich des Sozialversicherungswesen genannt. Weiterhin bieten
einzelne Selbstorganisationen Ratsuchenden auch Begleitungen zu
Behörden sowie Unterstützung bei der Wohnungssuche an.
Schließlich werden für Ratsuchende auch Gesprächskreise angeboten
und Selbsthilfemaßnahmen eingeleitet, die thematisch jedoch nicht
näher benannt werden.
72 Interview mit einem Vertreter der deutsch-griechischen Elterninitiative Estia Solingen e.V. im Juni 1997.
55
7. Arbeitsschwerpunkte
7.2.5 Zielgruppe Jungen und Männer
Auch männerspezifische Angebote werden von den Selbstorganisationen nur in wenigen Fällen konkret benannt. Die Hälfte der
aufgeführten Aktivitäten bezieht sich dabei auf den Sportbereich, in
dem Fußballmannschaften an erster Stelle stehen. Weiterhin werden
Veranstaltungen zu männerspezifischen Tabu-Themen organisiert, in
wenigen Vereinigungen bestehen selbständige Männergruppen oder
Gesprächskreise. In einem Fall ist ein regelmäßiges Bergarbeitertreffen als männerspezifisches Angebot angegeben worden, aber
auch eine Männer-Folkloregruppe sowie ein Kochkurs für Männer
werden unter den männerspezifischen Aktivitäten aufgeführt.
7.2.6 Zielgruppe Seniorinnen und Senioren
Angebote für Senioren spielen bei Migrantenselbstorganisationen
eine zunehmend wichtige Rolle, was als Ausdruck der veränderten
demographischen Struktur zu bewerten ist, die sich durch eine
Zunahme auch älterer Einwanderer auszeichnet. Es ist zu erwarten,
daß diese Zielgruppe in der Angebotsstruktur zukünftig weiter an
Bedeutung zunehmen wird, da die bundesdeutsche Gesellschaft,
die offiziell immer noch an dem provisorischen Charakter der Einwanderung festhält, entsprechend schlecht auf dieses Phänomen vorbereitet ist. Nach der Einschätzung des Internationalen Kulturkreis
Moers entscheiden sich immer mehr Migranten dafür, im Alter nicht
in ihr Herkunftsland zurückzugehen, sondern hier in Deutschland
zu bleiben. Ein Ausdruck dieser Entscheidung sei zum Beispiel auch
die Auseinandersetzung um den Muezzin-Ruf, da sich die Frage nach
der Lebensgestaltung in dem Moment, in dem Rückkehroptionen
aufgegeben werden, völlig neu stelle. Eine Moschee könne als Übergangslösung auch in einer Garage akzeptiert werden, doch veränderten sich diesbezügliche Vorstellungen mit der Entscheidung, mit
seinen Kindern hier zu leben und wahrscheinlich auch zu sterben. In
diesem Moment würden die berechtigten Ansprüche auf eine ordentliche Moschee oder einen islamischen Friedhof deutlich, es würden
angemessene Perspektiven für den Fall der Pflegebedürfigkeit angestrebt. In dieser Situation werden seitens der Zuwanderer viele Fragen
neu gestellt. Gleichzeitig werde dieser neu entstehende Beratungsbedarf seitens der Bundesrepublik nur unzureichend erkannt.
Anstelle der notwendigen Aufstockung würden die klassischen
Beratungsdienste häufig reduziert, so daß entstehende Probleme von
diesen Stellen nicht oder zumindest nicht angemessen berücksichtigt
werden könnten.73
Seniorenspezifische Angebote werden bereits von 27% aller
Organisationen genannt, die meisten Angebote beziehen sich auf
den Begegnungsbereich. Viele Zusammenschlüsse organisieren offene
Seniorentreffs, was wohl als Reaktion auf starke Isolationstendenzen
gerade bei älteren Einwanderern zu bewerten ist. Im Begegnungsbereich liegen auch die genannten Freizeitangebote wie Chöre, Filmgruppen, Ausflüge, Kochabende, Besuche von Senioren anderer
Vereine oder die Pflege von Nachbarschaftskontakten. Weiterhin
werden zu einem großen Teil Informationsveranstaltungen durchgeführt, die Orientierungsmöglichkeiten für die Zukunft bieten sollen.
Themenstellungen beziehen sich auf die Rentenreform, Versicherungsfragen, Behandlungs- und Pflegemöglichkeiten sowie auf
Krankheitsprophylaxe im Alter oder Überführungsmöglichkeiten ins
Herkunftsland nach dem Tod. Dabei betreffen insbesondere Fragestellungen bezüglich des Rentensystems sowohl die Situation im
Herkunftsland als auch die Situation hier. Neben der Information
der Migranten ist jedoch gleichermaßen eine Aufklärung der ambulanten Pflegedienste notwendig, die häufig nicht mit kulturspezifischen Unterschieden und Besonderheiten vertraut sind, so daß die
Bedürfnisse der Zuwanderer häufig auch aufgrund von Unkenntnis
ignoriert werden.
Ein Indiz für die zunehmende Bedeutung der Seniorenarbeit bei
Selbstorganisationen ist die Gründung eines Verbandes, der sich ausschließlich mit diesem Personenkreis beschäftigt. Als selbständige
Weiterentwicklung eines Modellprojektes will der Verband ältere
Migranten motivieren, ihre Zukunft in Deutschland aktiv zu gestalten.
Sie sollen befähigt werden, zu den Behörden ihres Herkunftslandes
sowie zu deutschen Behörden, zu kommunalen Ämtern und Wohlfahrtsverbänden Kontakte aufzunehmen und Wege zu finden, ihre
Bedürfnisse zu artikulieren und zu erfüllen. Derzeit existieren in
Nordrhein-Westfalen in sieben verschiedenen Städten aus dem
Modellprojekt hervorgegangene Gruppen, die die Seniorenarbeit vor
Ort durchführen. Das Schwergewicht liegt dabei insbesondere auf
den älteren Menschen, die weitgehend isoliert und abgekapselt leben.
Durch aufsuchende Sozialarbeit sollen sie dazu motiviert werden,
ihre Isolation zu durchbrechen und an den verschiedenen Angeboten
teilzunehmen. Diese sind von Ort zu Ort sehr verschieden und reichen
vom Kartenspiel über Seniorentanz und Sportgruppen bis zu heimatsprachlichen Lesungen; sie sind jeweils auf die konkreten Bedürfnisse der Migranten zugeschnitten. Tatsächlich lassen sich allmählich immer mehr Senioren zum Mitmachen motivieren; doch selbst
wenn diese Eigeninitiative ausbleibt, haben die Besuche einen eigenen
Wert, da sie die starke Isolation in regelmäßigen Abständen durchbrechen. Erfolge dieser Initiative sind auch darin sichtbar, daß insgesamt eine Sensibilisierung für die Gruppensituation eingesetzt hat,
die sich zum Beispiel in verstärkten Krankenhausbesuchen manifestiert.
Auf der individuellen Ebene sollen Senioren aus ihrer Einsamkeit
herausgeführt werden, um ihre ganz persönliche Lebenssituation zu
verbessern. Darüber hinaus sollen sie jedoch auch von offizieller
Seite wahr- und ernstgenommen und als Gesprächspartner anerkannt
werden, so daß sie langfristig zu einer eigenständigen Interessenvertretung gelangen können.74
73 Diese Einschätzung formulierte ein Vertreter des Internationalen Kulturkreis Moers e. V. im Oktober 1997.
74 Interview mit einem Vertreter des Netzwerks spanischsprechender Seniorinnen und Senioren in NRW ‘Adentro’ im März 1997.
56
7. Arbeitsschwerpunkte
7.2.7 Zielgruppe Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer
Lediglich 18% aller Organisationen haben angegeben, besondere
Aktivitäten für ArbeitnehmerInnen anzubieten, und entsprechend
selten wurden konkrete Angebote für diese Zielgruppe aufgeführt.
Dabei wurden von Organisationen aus nur fünf verschiedenen Herkunftsgebieten Angaben gemacht, neben den herkunftsheterogenen
Gruppierungen waren indische Organisationen in diesem Zusammenhang die einzigen nicht europäischen Vereinigungen.
Die meisten Angaben bezogen sich auf Informationveranstaltungen mit Themen zum Arbeitsrecht, zur Sozialversicherung oder
zur Vorbereitung aufs Rentenalter. Daneben fallen berufliche Fortund Weiterbildungsseminare ebenso in diesen Bereich wie Ausbildungsbegleitung oder Beratungstätigkeiten.
7.2.8 Zielgruppe Arbeitslose
Ebenso wie für Arbeitnehmer werden auch für Arbeitslose nur
relativ selten konkrete Angebote aufgeführt. Hier sind jedoch nicht
vorwiegend Organisationen der Migranten europäischer Herkunft
Anbieter der entsprechenden Maßnahmen, sondern auch Vereinigungen von Zuwanderern asiatischer, afrikanischer wie lateinamerikanischer Herkunft beziehen sich mit ihrem Vereinsprogramm direkt
auf Arbeitslose.
Am häufigsten werden Informationsveranstaltungen durchgeführt,
um die Betroffenen in bezug auf mögliche Veränderungen ihrer
Situation zu unterstützen. Hier werden Diskussionen zu Problemen
mit dem Arbeitsamt veranstaltet, Auskünfte über Existenzgründungsmöglichkeiten gegeben, Erfahrungsberichte Selbständiger organisiert,
Informationen zu Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen
gegeben oder Grundsätze einer ansprechenden Bewerbung vermittelt.
Daneben spielt die Arbeitslosenberatung eine ebenso wichtige Rolle
wie der Arbeitslosentreff, der den Betroffenen Migranten die Möglichkeit bietet, sich gegenseitig auszutauschen. Vereinzelt werden
arbeitslose Migranten auch aktiv bei ihrer Arbeitssuche unterstützt.
7.2.9 Sonstige Zielgruppen
Entsprechend den sonstigen Themengebieten haben sich auch
bei den sonstigen Zielgruppen bestimmte Antwortmuster herauskristallisiert, obwohl hier keine Vorgaben gemacht wurden.
Die beiden wesentlichen Personenkreise, die hier aufgeführt
wurden, sind Familien und Flüchtlinge, des weiteren wurden von
einzelnen Organisationen Studierende als Zielgruppe genannt. Zudem
bietet jeweils ein Zusammenschluß Beratungen an für Drogen- und
Alkoholabhängige bzw. für Angehörige von Personen, die während
eines Urlaubs oder Verwandtschaftsbesuchs im Herkunftsland verhaftet worden sind.
Studierende werden am häufigsten durch Beratungsangebote
unterstützt, des weiteren hat ein Verein angegeben, ihnen bei der
Wohnungssuche behilflich zu sein.
Für Familien werden gemeinsame Treffen angeboten, Ausflüge
durchgeführt und Feste veranstaltet. Auch hier werden Vorträge organisiert und Beratungen ermöglicht.
Auch in der Flüchtlingshilfe stellt die Beratungstätigkeit die
wichtigste Unterstützung dar, zudem werden hier praktische Hilfestellungen wie Übersetzungsdienste geleistet und Kontakt- und
Begegnungsmöglichkeiten geschaffen.
Ein besonderes Beispiel im Kontakt mit Flüchtlingen stellt eine
deutsch-afrikanische Musikgruppe dar. Hier haben sich Flüchtlinge
aus verschiedenen Ländern Afrikas und Deutsche zusammengefunden, um in einem interkulturellen Projekt gemeinsam Musik zu
machen. Das Repertoire der Gruppe beinhaltet Lieder aus verschiedenen afrikanischen Regionen in verschiedenen Sprachen. Zum Einüben mußte von den Deutschen ein enormes Einfühlungsvermögen
aufgebracht werden, und von den Afrikanern, die die Lieder einstudierten, wurde viel Geduld vorausgesetzt. Später wurde auch ein
deutsches Lied gegen Rassismus eingeübt, dessen Refrain mittlerweile in viele verschiedene Sprachen übersetzt ist. Bereits nach drei
Monaten ging die Gruppe erstmals an die Öffentlichkeit und hatte
hier wie bei den folgenden Auftritten großen Erfolg. Neben der
musikalischen Leistung wird vom Publikum auch die Lebendigkeit
und positive Ausstrahlung der Sänger und Sängerinnen gewürdigt.
Die Gruppe schafft es, sich als wirklich grenzüberschreitendes
Projekt zu präsentieren und besitzt die Fähigkeit, ihre Zuschauer zu
begeistern und mitzureißen. Das Ziel der Gruppe, Menschen verschiedener Herkunft miteinander zu verbinden, bestätigt sich auch in
ihrem Versuch, in Kindergärten und Schulen interkulturelles Lernen
durch Musik zu fördern, wodurch immer wieder positive Ansatzpunkte geschaffen werden.
Für die Deutschen ist die Teilnahme an dieser Gruppe eine einzigartige Chance, in einer lebendigen Atmosphäre Kontakte zu
knüpfen und Elemente fremder Kulturen kennenzulernen. Für die
Afrikaner ist die Gruppe eine Chance, die Isolation nach außen zu
durchbrechen und in der deutschen Bevölkerung auf positive Resonanz zu stoßen. Allerdings ist es schwer, sich in einer Situation für
die Perspektive einer Musikgruppe zu engagieren, in der die eigene
Zukunft völlig ungewiß ist. Und in der Tat sind mittlerweile viele
Flüchtlinge, die zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe gehörten,
abgeschoben worden, so daß die Mitgliederzahl von 20 auf 8 Personen gesunken ist.75
Dennoch macht dieses deutsch-afrikanische Musikprojekt deutlich, daß es möglich ist, zu einem respektvollen und gleichberechtigten Miteinander zu gelangen und das teilnahmslose Nebeneinander zu überwinden.
Insgesamt wird deutlich, daß die Aktivitäten der Selbstorganisationen sowohl zielgruppenbezogen als auch im thematischen Bereich
ausgesprochen vielfältig sind. Dabei erfüllen die Angebote auch aus
einer sozialpolitischen Perspektive einen wichtigen Zweck, da sie
häufig an einer Stelle ansetzen, an der staatliche Angebote entweder
nicht existieren oder an den Bedürfnissen der Migranten vorbeigehen.
Insofern muß der Arbeit der Selbstorganisationen eine wichtige
integrative Wirkung zugesprochen werden, da sie die Situation der
Zuwanderer in der Bundesrepublik positiv verändert und somit Unzufriedenheit und daraus entstehende Konfkliktpotentiale eindämmt.
Selbstorganisationen nehmen häufig Vermittlungspositionen ein und
schaffen damit Voraussetzungen für die Migranten, in Kontakt zu
75 Interview mit einem Vertreter und einer Vertreterin des Multikulturellen Forums Lünen e. V. im Februar 1997. Vgl. auch Pit Budde: SOLIMBEYA. Lieder aus Container-City.
Dokumentation eines deutsch/afrikanischen Projekts, Lünen 1996.
57
7. Arbeitsschwerpunkte
verschiedenen Einrichtungen zu treten, wodurch ein Dialog ermöglicht wird.76 Außerdem ist eine Vielzahl an Aktivitäten explizit darauf
gerichtet, zu einem friedlichen und gleichberechtigten Miteinander
zwischen den verschiedenen Menschen in Deutschland zu gelangen.
Es werden Einsichten in fremde Kulturen vermittelt und Möglichkeiten geschaffen, sich gegenseitig kennenzulernen. Dabei steht der
gegenseitige Respekt im Vordergrund sowie der Versuch, verschiedene Kulturen zwar als unterschiedlich, aber gleichwertig zu vermitteln. Wichtig ist die Erkenntnis, daß auch Menschen mit unterschiedlichen Traditionen und Gebräuchen Gemeinsamkeiten haben und
daß der Lernprozeß gegenseitig ist. Integration kann nicht bedeuten,
ein komplettes Werte- und Normensystem gegen ein anderes auszutauschen. So werden Herkunftstraditionen erhalten und gestärkt, da
den Migranten auf diese Weise ermöglicht wird, sich in der Einwanderungsgesellschaft wohl zu fühlen. Nur so kann die Bereitschaft
erwachsen, sich dem Einwanderungsland zugehörig zu fühlen und
ihm loyal gegenüberzustehen. Hierzu ist jedoch gleichermaßen
gesellschaftliche Chancengleichheit notwendig, die in der Bundesrepublik bislang nicht ausreichend gegeben ist. So gehen die Aktivitäten der Selbstorganisationen auch in die Richtung, den Zuwanderern
zu helfen, sich in der neuen Gesellschaft zurechtzufinden, ihre Rechte
kennenzulernen und zu nutzen und die Bildungschancen zu verbessern. Gleichberechtige gesellschaftliche, ökonomische und politische
Partizipationsmöglichkeiten sind die Grundvoraussetzung für ein
dauerhaft positives und langfristig funktionierendes Zusammenleben. Zu diesen Grundlagen zu gelangen, ist jedoch nicht nur die
Aufgabe der Migranten und ihrer Organisationen, sondern ist auch
eine Verpflichtung der deutschen Gesellschaft. Um auch auf einer
politischen Ebene gemeinsame Perspektiven entwickeln zu können,
ist die Anerkennung der Organe von Migrantinnen und Migranten
als fachlich kompetenter Kooperationspartner unbedingt notwendig.
7.3 Öffentlichkeitsarbeit
Im Zusammenhang mit den aufgeführten Aktivitäten der Selbstorganisationen ist zudem von Interesse, inwieweit sie von den Vereinigungen öffentlichkeitswirksam begleitet werden.
Zu dieser Frage gibt die Hälfte der Organisationen an, eine nach
außen gerichtete Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Im Vergleich
nach Herkunftskontinenten unterscheiden sich die Organisationen
nicht stark voneinander, lediglich die herkunftsheterogenen Zusammenschlüsse fallen durch eine überdurchschnittlich häufige Öffentlichkeitsarbeit auf.
In der Konkretion der Maßnahmen einer öffentlichkeitswirksamen Begleitung der Vereinsaktivitäten wird am häufigsten auf die
Möglichkeit der lokalen Berichterstattung verwiesen. Während einige
Vereine eine ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit der Presse
erwähnen, wird durch eine Organisation kritisiert, daß die lokalen
Medien grundsätzlich nur einen Artikel eines Vereins innerhalb eines
Jahres drucken, wodurch eine engagierte Öffentlichkeitsarbeit sehr
erschwert werde. In die Zusammenarbeit mit den lokalen Medien
fällt zudem das Schreiben von Pressemitteilungen, um auf besondere
Vereinsereignisse aufmerksam zu machen oder um zu aktuellen
Geschehnissen Stellung zu beziehen.
Eine weitere häufig genutzte Möglichkeit, die Vereine und ihre
Aktivitäten bekanntzumachen, ist die Erstellung und Verbreitung
von Veranstaltungshinweisen und Programmheften, so daß ein möglichst breiter Personenkreis hiervon Kenntnis erlangt.
Um das Vereinsprofil nach außen deutlich zu machen und um
Interessierte anzusprechen, haben sich mehrere Zusammenschlüsse
dazu entschieden, Selbstdarstellungen von ihren Organisationen
anzufertigen, die in ihrer äußeren Form vom Faltblatt bis zur gebundenen Broschüre reichen. Auch Jahres- und Tätigkeitsberichte oder
die Zusammenstellung von Pressemappen werden als eine Form der
Selbstdarstellung aufgeführt. Vereinzelt wurden auch Vereinsdarstellungen in Publikationen anderer Einrichtungen genannt. Zudem präsentieren sich Organisationen in Rundbriefen für ihre Mitglieder oder
in Informationsblättern für Interessierte. In anderen Fällen werden
Projekt- und Tagungsberichte sowie Dokumentationen erstellt.
Weiterhin haben verschiedene Vereinigungen angegeben, regelmäßig eine Zeitschrift herauszugeben, die oft auch zweisprachig
erscheint. Hier handelt es sich ebenso um Kulturmagazine wie um
politische Journale oder Wirtschaftsmitteilungen, Jugend-, Kirchenzeitschriften werden genauso erwähnt wie Nachbarschaftszeitungen
oder Vereins- bzw. Verbandszeitschriften. Andere Zusammenschlüsse
haben aufgeführt, Bücher in Auftrag zu geben oder herauszugeben.
Eine weitere Form der Öffentlichkeitsarbeit besteht in der
Gestaltung von Radio- und Fernsehsendungen sowie in der
Herstellung eines Videofilms über den Verein.
Informationsstände, Informationstafeln und Plakate gehören
ebenso wie öffentliche Stellungnahmen und Briefe an Behörden
oder Institutionen zu den Maßnahmen, die Kontur eines Vereins zu
verdeutlichen. Insbesondere von religiösen Einrichtungen wird der
Tag der offenen Tür als Möglichkeit genutzt, über die stattfindenden
Aktivitäten zu informieren77, hier werden aber auch Prozessionen
und die Erstellung eines Jahreskalenders im Bereich der
Öffentlichkeitsarbeit verortet.
76 Vgl. auch Andreas Koderisch, 1996: Interkulturelle Öffnung - aber wie? Familienbildung und Elternarbeit in der Einwanderungsgesellschaft, hg. von der Evangelischen
Aktionsgemeinschaft für Familienfragen EAF, Bonn, S. 72.
77 Während insgesamt mehrere Organisationen bei ihren Aktivitäten angegeben haben, einen Tag der offenen Tür zu veranstalten, ist es ausschließlich bei den religiösen
Einrichtungen auch unter der Rubrik Öffentlichkeitsarbeit genannt worden.
58
8. Orientierung der Angebotsstruktur
Neben der Nennung von Arbeitsschwerpunkten und Zielgruppen
wurden die Organisationen um eine Angabe darüber gebeten, ob
ihre Angebote eher auf ein Leben in Deutschland oder eher auf ein
Leben im Herkunftsland ausgerichtet sind bzw. ob ihre Angebote
eine Mischform zwischen diesen beiden Möglichkeiten darstellen.
Weiterhin sollten zum einen Beispiele aufgeführt werden, die die
angegebene Orientierung besonders deutlich machen, zum anderen
wurde danach gefragt, warum sich die jeweilige Organisation gerade
für diese Orientierung entschieden hat.
Ein weiteres Indiz für die Angebotsorientierung sind die Fragen
nach der Gründungsmotivation bzw. den heutigen Zielen der Organisationen. Auch aus diesen Antworten kann auf die Ausrichtung der
Aktivitäten der Vereinigungen geschlossen werden. Während die
Angaben zum ersten Fragenkomplex somit vollständig auf Eigenaussagen beruhen, wurden die Zuordnungen im zweiten Bereich nachträglich von uns vorgenommen.
Auf die Frage nach der eigenen Einschätzung bezüglich der
Orientierung der Angebotsstruktur haben 84% aller Organisationen
geantwortet. Von ihnen gibt mit 67% die überwiegende Mehrheit an,
ein sowohl auf das Herkunftsland als auch auf die Bundesrepublik
hin orientiertes Angebot zu haben. 28% orientieren ihre Aktivitäten
stärker auf das Leben in Deutschland, 5% beziehen sich eher aufs
Herkunftsland.
Ein etwas anderes Bild ergibt sich bei der Analyse der Zielangaben der einzelnen Organisationen. Hier gehen 90% aller Zusammenschlüsse in die Auswertung ein; die übrigen 10% haben entweder keine Angaben gemacht, oder ihre Angaben ließen keine Rückschlüsse auf die Angebotsorientierung zu. Während auch hier die
meisten Antworten auf eine Mischform der Aktivitäten schließen
lassen, ergibt sich ein deutlich höherer Anteil bei der Orientierung
aufs Herkunftsland, jedoch ein geringerer bei der hauptsächlichen
Ausrichtung der Vereinstätigkeiten auf ein Leben in Deutschland.
Orientierung der Angebotsstruktur nach Eigen- und
Fremdkategorisierung
Orientierung der
Angebote
eher auf Deutschland
eher aufs Herkunftsland
als Mischform
Eigenkategorisierung Fremdkategorisierung
nach heutigen Zielen
28%
5%
67%
18%
24%
58%
Quelle: eigene Berechnungen
59
Darüber hinaus macht die Betrachtung des Übergangs von der
Gründungsmotivation zu den heutigen Zielen eine zunehmende
Orientierung auf die Bundesrepublik deutlich. Während bei den
Angaben zum Gründungsanlaß noch 43% aller Vereinigungen ausschließlich aufs Herkunftsland bezogene Gründe nannten, beträgt
der entsprechende Anteil bei den Angaben zu heutigen
Zielvorstellungen nur noch 24%.
Bezüglich des durchschnittlichen Gründungsjahres gibt es keine
signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen.
Innerhalb der auf einer Eigenkategorisierung beruhenden Gruppe
liegt es für jede Orientierungsmöglichkeit bei 1985. Aber auch bei
den Zusammenschlüssen, deren Angebotsorientierung auf der Grundlage ihrer Zielvorstellungen bestimmt wurde, schwankt es nur unwesentlich. Während das durchschnittliche Gründungsjahr hier bei den
Organisationen, die sich vornehmlich aufs Herkunftsland beziehen
bzw. eine Mischform an Aktivitäten anbieten, ebenfalls bei 1985
liegt, ist es bei den Zusammenschlüssen, die vornehmlich auf ein
Leben in Deutschland ausgerichtet sind, mit 1986 nur ein Jahr später.
Somit vollzieht sich die zunehmende Orientierung auf die Bundesrepublik nicht vornehmlich bei der zweiten und dritten Einwanderergeneration, sondern weitgehend unabhängig von diesem Betrachtungsmerkmal. Zudem ist die fehlende Diskrepanz der Gründungsdaten bei den verschiedenen Kategorien ein Anzeichen dafür, daß
die Angebotsorientierung der jüngeren Einwanderergruppen durchaus mit den Bedürfnissen der angeworbenen Arbeitnehmer der fünfziger und sechziger Jahre vergleichbar ist. Insgesamt ist das Vereinsangebot eines Großteils der Organisationen somit unabhängig von
seinem Entstehungsjahr sowohl auf die Erhaltung einer Rückkehroption als auch auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland
gerichtet.
Im Vergleich nach Herkunftskontinenten haben die Organisationen von Zuwanderern afrikanischer Herkunft zu einem besonders
hohen Anteil angegeben, ihre Angebote sowohl auf die Einwanderungs- als auch auf die Herkunftsgesellschaft zu beziehen. Auf ein
Leben in Deutschland sind vornehmlich die Aktivitäten der herkunftsheterogenen Organisationen ausgerichtet, während die Zusammenschlüsse der Migranten lateinamerikanischer Herkunft prozentual
besonders stark auf das Herkunftsland orientiert sind. Hier wirkt
sich die geringe Fallzahl jedoch statistisch verzerrend aus; in absoluten Zahlen handelt es sich lediglich um eine Organisation.
Die Angaben über aktuelle Zielvorstellungen der jeweiligen
Gruppen führen in der Fremdkategorisierung auch im Vergleich nach
Herkunftskontinenten zu deutlichen Verschiebungen. Hier sind es
insbesondere die Vereinigungen der Zuwanderer afrikanischer Herkunft, die durch einen starken Bezug zum Herkunftsland auffallen.
Ein Mischangebot wird am stärksten durch die Zusammenschlüsse
der Migranten asiatischer wie lateinamerikanischer Herkunft präsentiert, während es wiederum die multikulturellen Organisationen sind,
die ihre Angebote am stärksten auf ein Leben in Deutschland ausrichten. Diese Orientierung mag auch darin begründet liegen, daß
die herkunftsheterogenen Vereine durch die Vielfalt der Herkunftsgebiete stärkere Schwierigkeiten haben, eine auf das Herkunftsgebiet
bezogene Angebotspalette in ihr Programm aufzunehmen. Zudem
resultieren sie häufig aus ehemals deutschen Initiativgruppen, so
daß auch aufgrund ihrer Gründungsgeschichte eine Orientierung auf
ein Leben in Deutschland strukturell vorgegeben ist.
8. Orientierung der Angebotsstruktur
Diese differierenden Angaben können ein Anzeichen dafür sein,
daß ein Teil der Organisationen in seiner konkreten Arbeit stärker
auf ein Leben in Deutschland ausgerichtet ist, als es seine Zielsetzungen erwarten lassen. Diese Erklärung stimmt auch mit dem
Trend der abnehmenden primär auf das Herkunftsland zielenden
Ausrichtung zugunsten einer Doppelorientierung überein. Insofern
kann die Arbeit der Selbstorganisationen als zunehmend auf die
Situation der Migranten im Einwanderungsland orientiert bewertet
werden. Die Tatsache, daß 95% aller Selbstorganisationen nach
eigenen Angaben Aktivitäten zumindest auch auf das Leben in
Deutschland beziehen, läßt auf starke Integrationspotentiale schließen.
In der Konkretion der für die einzelnen Orientierungen besonders maßgeblichen Angebote werden sehr unterschiedliche Aktivitäten aufgeführt. Als wesentlich wird eine Unterstützung der Sprachund Ausdrucksfähigkeit durch Deutschunterricht genannt, bezüglich
der Zukunftsgestaltung werden Aktivitäten zur Berufsorientierung
sowie die Notwendigkeit, die Infrastruktur in Deutschland kennenzulernen, als wichtige Bestandteile formuliert. Weiterhin nehmen
Veranstaltungen, die sich thematisch auf ein Leben in Deutschland
beziehen, einen großen Stellenwert ein. Hier geht es um die Rentensituation der Einwanderer, um Sozialversicherungen oder um den
Status als EU-BürgerIn in Deutschland. Die Interessenvertretung der
Zuwanderer wird ebenso wie die Zusammenarbeit mit Ämtern und
Institutionen als maßgeblich erachtet, auch Kontakte außerhalb der
eigenen Gruppe werden als wegweisendes Angebot für eine primär
auf Deutschland gerichtete Orientierung genannt. Weiterhin werden
in diesem Zusammenhang Einbürgerungsberatungen sowie die
Lösung aufenthaltsrechtlicher Probleme aufgeführt, Aktionen gegen
Diskriminierung und für Bürgerrechte gehören ebenso hierher wie
die Organisation von Veranstaltungen zu „schwarzer deutscher
Geschichte“. Auch werden von einzelnen Organisationen die Erstellung einer deutschsprachigen Jugendzeitschrift, die Förderung der
sozio-kulturellen Kommunikation, die Beteiligung am kulturellen
Leben der Stadt oder Ausflüge innerhalb Deutschlands aufgeführt.
Demgegenüber beziehen sich die Nennungen zu maßgeblich auf
das Herkunftsland orientierten Aktivitäten auf die Pflege und den
Erhalt traditioneller Tänze und Lieder, auf religiöse Angebote zur
Aufrechterhaltung der eigenen Kultur, auf die Begehung traditioneller
Feste oder die Freizeitgestaltung für Kinder in ihrer Muttersprache.
Des weiteren werden Theaterstücke über traditionelle Geschichten
60
und zur Mythologie des Herkunftslandes aufgeführt, muttersprachlicher Unterricht erteilt und Kriegsopfer unterstützt.
Bezüglich einer Mischform werden Angebote angestrebt, die eine
Integration in die deutsche Gesellschaft bei gleichzeitiger Wahrung
der kulturellen Identität ermöglichen, die auf verstärkte Kontakte
zwischen Migranten einerseits und Migranten und Deutschen andererseits hinarbeiten oder die auf die Verbesserung individueller Lebensperspektiven der Einwanderer in Deutschland bei gleichzeitiger Unterstützung des Herkunftslandes zielen. Hierbei werden die unterschiedlichsten Kombinationen an Aktivitäten aufgeführt, am häufigsten die
Durchführung von Veranstaltungen sowohl über die Situation hier
als auch im Herkunftsland. Beispielhaft können Schulsituation,
Berufsausbildung, Arbeitsmarktchancen, Investitionsmöglichkeiten,
Renten, neue Gesetze oder die Situation von Frauen genannt werden.
Weiterhin führen viele Organisationen an, Feste verschiedener
Kulturkreise gemeinsam zu feiern, Sprachkurse sowohl für Deutsche
als auch für Migranten anzubieten, Mitgliedern der eigenen Gruppe
sowohl Deutschunterricht als auch muttersprachlichen Unterricht zu
erteilen, gemeinsame Ferienmaßnahmen für Kinder von Migranten
und von Deutschen zu organisieren oder zweisprachige Zeitschriften
herauszugeben. Hier wurden auch mehrfach Angebote für die Partner binationaler Ehen sowie für ihre Kinder genannt.
Die jeweiligen Angebote stimmen weitgehend mit den aufgeführten Zielen der Zusammenschlüsse überein. In bezug auf eine
vornehmlich auf Deutschland gerichtete Orientierung werden die
gesellschaftliche Integration der Mitglieder sowie ihre langfristige
Lebens- und Zukunftsplanung als Aufgabe benannt, aber auch
Bestrebungen hinsichtlich einer praktischen Antidiskriminierungspolitik sowie der Erlangung sozialer und politischer Gleichberechtigung werden aufgeführt. Weiterhin wird die Verbesserung der individuellen Lebenssituation der Mitglieder hier in Deutschland angestrebt, außerdem werden die Stärkung des Selbstbewußtseins sowie
eine effektive Interessenvertretung als Ziele dargelegt.
Bei den Selbstorganisationen, die primär auf ihr Herkunftsland
orientiert arbeiten, liegt eine wesentliche Absicht darin, als Treffpunkt für die Migranten zu dienen, ihre Herkunftskultur zu pflegen
und sie zu erhalten. Weiterhin sind hier die Kontaktpflege zu Personen im Herkunftsland, die Schaffung von Reintegrationsmöglichkeiten, die Unterstützung von Demokratisierungsbestrebungen oder
die Erbringung humanitärer Hilfe zu nennen.
Bei einer Doppelorientierung wird von einem Großteil der Vereine eine möglichst gute Integration unter Beibehaltung der eigenen
Kultur als Ziel aufgeführt, weitere Absichten sind die Unterstützung
der Völkerverständigung, die Förderung eines friedlichen Zusammenlebens von Deutschen und Migranten, die Erbringung humanitärer Hilfe für das Herkunftsland bei einer möglichst guten Beratung
der hier lebenden Migranten sowie der Erreichung weitreichender
Partizipationsmöglichkeiten in Deutschland.
8. Orientierung der Angebotsstruktur
8.1 Gründe der gewählten
Angebotsorientierung
66% der Organisationen, die eigene Angaben zu ihrer Angebotsorientierung gemacht haben, haben diese auch begründet. Weitere
15% haben keine diesbezüglichen Angaben gemacht, 19% haben die
Frage erweitert und auf die grundsätzliche Notwendigkeit der
Gründung einer Selbstorganisation bezogen.
Die häufigsten Begründungen für eine Orientierung der Angebote, die sich vornehmlich auf ein Leben in Deutschland richten,
liegen in der Reaktion der Selbstorganisationen auf die Bedürfnisse
ihrer Mitglieder sowie in der individuellen Notwendigkeit, sich in
Deutschland zurechtfinden zu müssen. Weiterhin wird diese Orientierung aus dem Selbstverständnis heraus gewählt, daß die hier
lebenden Migranten Teil der deutschen Gesellschaft sind, ihr Leben
auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland ausrichten und sich
somit auch selbstverständlich in ihren Handlungen auf diese Gesellschaft beziehen. Dazu notwendig ist die Beseitigung von Diskriminierung und Integrationshindernissen, die auch als Grund für eine
primäre Ausrichtung auf Deutschland genannt wird. In diesen Zusammenhang gehört auch das Anliegen, am kulturellen und politischen
Leben teilzunehmen und es aktiv mitgestalten zu wollen. Weiterhin
wird beklagt, daß insbesondere Jugendliche von deutscher Seite zu
wenig Hilfestellungen bei der Bewältigung ihres Lebens in Deutschland erhalten, so daß diese Aufgabe von den Selbstorganisationen
übernommen werden muß.
Gründe einer vorwiegenden Ausrichtung aufs Herkunftsland
liegen vielfach in dem Wunsch, die eigene Kultur aufrechtzuerhalten,
insbesondere auch bei solchen Organisationen, die nicht mehr über
ein einheitliches Siedlungsgebiet verfügen oder bei denen die Entfernungen zur alten Heimat so groß sind, daß für die meisten Zuwanderer Besuche dorthin nur selten oder gar nicht möglich sind.
Weiterhin wurde diese Orientierung mit der aktuellen Notsituation
im Herkunftsland begründet sowie dem Wunsch, hier lebende
Migranten, aber auch Deutsche für die Situation im Herkunftsland
zu sensibilisieren. Durch die Orientierung auf die alte Heimat soll es
den Kindern ermöglicht werden, zurückkehren zu können. Einige
Zusammenschlüsse sehen sich aber auch durch die gesellschaftliche
Realität in Deutschland zu dieser Orientierung gezwungen. So sei es
keine freiwillige Entscheidung, sich so stark aufs Herkunftsland zu
stützen, sondern eine Reaktion auf fehlende Integrationsangebote:
„Ein Miteinander kann nur dann erfolgreich sein, wenn das Nebeneinander gut organisiert ist. Multikulti halten wir für Unfug, vor
allem deshalb, weil Integration von deutscher Seite nur teilweise
gewünscht wird. Pizza backen hat mit Integration nichts zu tun.“
Diese in einem Fragebogen dargelegte Haltung macht sehr deutlich,
daß nicht nur die eigene Lebensvorstellung für eine Orientierung auf
Deutschland oder auf das Herkunftsland maßgeblich ist, sondern
daß diese Entscheidung auch von den äußeren Umständen geprägt
ist wie von dem Empfinden, gerne aufgenommen zu werden oder
unerwünscht zu sein. In diesem Zusammenhang wirken sich fehlende
Integrationsbestrebungen von deutscher Seite, die sowohl in politischen Entscheidungen und Gesetzen ihren Niederschlag finden als
auch in einer fremdenfeindlichen gesellschaftlichen Realität offenbar werden, auf eine positive Integrationspolitik verheerend aus.
61
Hier werden Zeichen gesetzt, die häufig hohen symbolischen Wert
tragen und ein Vertrauen zerstören können, das aufzubauen oft sehr
lange dauert. Insofern erfordert eine umfassende Förderung des
positiven Zusammenlebens von Zuwanderern und Deutschen eine
allgegenwärtige Sensibilität für diskriminierende Verhaltensmuster
sowie die Handlungsmaxime, Integrationspolitik nicht hinter ökonomische oder andere Entscheidungen zurückzustellen. Der Schritt,
sich auf eine Einwanderungsgesellschaft voll einzulassen, setzt die
Bereitschaft dieser Gesellschaft voraus, Einwanderung anzuerkennen
und den Migranten volle Entscheidungs- und Mitwirkungsrechte zu
gewähren.
Organisationen, die sich in ihrer Angebotsstruktur sowohl auf
Deutschland als auch aufs Herkunftsland beziehen, begründen diese
Orientierung mit einer gewünschten Integration unter Wahrung ihrer
kulturellen Identität. Ein weiterer Anlaß liegt in dem Wunsch, einen
Beitrag zu einem positiven Zusammenleben von Deutschen und
Nichtdeutschen zu leisten. Andere Organisationen geben an, nur
durch diese Orientierung könne die europäische Idee verwirklicht
werden, wieder andere begründen die Doppelorientierung mit der
Entscheidung ihrer Mitglieder, zu einem Teil ins Herkunftsland
zurückkehren zu wollen, zu einem Teil in Deutschland bleiben zu
wollen oder zwischen beiden Ländern zu pendeln. Schließlich sehen
verschiedene Zusammenschlüsse in dieser Ausrichtung den besten
Weg zu einer optimalen Entfaltung der Fähigkeiten und Möglichkeiten ihrer Mitglieder.
Abschließend muß bemerkt werden, daß die Selbstorganisationen
in keinem Fall für die Aufgabe der eigenen Identität plädiert haben.
Auch die Vereinigungen, die sich primär auf ein Leben in Deutschland beziehen, tun dies nicht unter der Option, sich vollständig zu
assimilieren. Vielmehr liegen zwischen den Orientierungen oft nur
Nuancen. So entscheiden sich verschiedene Zusammenschlüsse, die
kulturelle Identität durch die Pflege der Herkunftskultur aktiv zu
fördern; andere überlassen diesen Teil eher dem familiären Umfeld
und orientieren ihre Angebote stärker auf das Leben in Deutschland,
da diese Aufgaben sonst von niemanden übernommen werden.
Auch wenn nicht an eine reale Rückkehroption gedacht wird, ist die
Entwicklung der individuellen Identität unter Einbeziehung der
Herkunftskultur ausgesprochen wichtig, da nur auf diesem Weg die
Erfahrung von Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung gemacht
werden kann. Weiterhin ist der Erhalt der kulturellen Vielfalt nicht
nur für die Migranten, sondern auch für die deutsche Gesellschaft
positiv, da auf diesem Weg Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten für alle Mitglieder der Gesellschaft erweitert werden können.
9. Unterstützungsmöglichkeiten des Landes für Migrantinnen und
Migranten aus Perspektive der Selbstorganisationen
Abschließend wurden die Selbstorganisationen gefragt, was das
Land Nordrhein-Westfalen aus ihrer Perspektive in seinen Bemühungen um eine Unterstützung von Migranten und Migantinnen besonders beachten solle. Hier handelte es sich um eine offene Fragestellung ohne jede Vorstrukturierung. Zu diesem Punkt antworteten 75%
aller Organisationen, wobei die Zusammenschlüsse der Migranten
afrikanischer Herkunft mit 82% den höchsten Anteil stellen.78 Im
Rahmen der nachträglichen Kategorisierung lassen sich verschiedene
Antwortmuster differenzieren, von denen häufig gleich mehrere von
einer Organisation genannt werden. Zum einen werden Erwartungen
bezüglich einer Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen
geäußert, Grundsätze für die konkrete Förderpolitik vorgeschlagen,
Möglichkeiten einer besseren Vernetzung angeführt sowie Präferenzen bezüglich konkret zu fördernder Arbeitsschwerpunkte formuliert. Zum anderen werden politische Rahmenbedingungen thematisiert, die ebenfalls als notwendig für eine Verbesserung der Situation
von Einwanderern betrachtet werden. Sie beziehen sich auf migrations- und integrationspolitische Erwartungen, betreffen Maßnahmen
in der schulischen Bildungspolitik sowie in der Informations- und
Öffentlichkeitsarbeit, zielen auf Verbesserungen in der Asyl- und
Flüchtlingspolitik und thematisieren, welche Rolle Selbstorganisationen im politischen Diskurs einnehmen sollen. Weiterhin werden
verschiedene Einzelmaßnahmen aufgeführt sowie Zielgruppen
genannt, für deren Belange sich das Land NRW in besonderer Weise
einsetzen soll.
9.1 Auf die Arbeit der
Selbstorganisationen bezogene
Erwartungen
49% aller Nennungen beziehen sich auf konkrete Unterstützungsmaßnahmen der Arbeit von Selbstorganisationen von Migranten und
Migrantinnen. Dabei spielt die finanzielle Unterstützung eine bedeutende Rolle; 52% aller Organisationen geben an, daß das Land in
dieser Richtung tätig werden solle. Besonderer Wert wird dabei auf
dauerhafte Regelfinanzierungen, die Weiterfinanzierung bestehender
Einrichtungen, eine ergänzende Festfinanzierung interkultureller
Zentren sowie auf die Übernahme von Büro- und Personalkosten
gelegt. Regelfinanzierungen werden deshalb als besonders sinnvoll
erachtet, weil über sie ein großer Teil der Arbeitskapazitäten nicht
mehr durch Verwaltungsaufgaben gebunden wäre, sondern für inhaltliche Arbeit freigesetzt werden könnte. Zudem müßten Arbeitsprozesse dann nicht in der derzeitig vorhandenen perspektivischen
Unsicherheit ausgeführt werden und bekämen automatisch eine stärkere Kontinuität. Personalgelder werden angestrebt, weil sie in den
meisten Projektmitteln nicht einmal über eine Teilfinanzierung enthalten sind, auf der anderen Seite aber einen großen Teil der Kosten
ausmachen. Die Berechtigung der finanziellen Erwartungen wird
damit begründet, daß die durch die Selbstorganisationen geleistete
Migrationssozialarbeit zum sozialen Frieden in Deutschland beitrage
und den deutschen Staat durch das hohe Maß an Ehrenamtlichkeit
auch finanziell stark entlaste. Während die Initiativen einen wichtigen
gesellschaftlichen Stellenwert einnähmen, würden sie gleichzeitig in
nur geringem Maße unterstützt; derzeit müßten die Unkosten vieler
Aktivitäten persönlich beglichen werden. Zudem wird noch einmal
die Wichtigkeit betont, daß die Mittelvergabe nicht über die Wohlfahrtsverbände, sondern direkt über die Selbstorganisationen erfolgen
soll, da die Migranten ihre Interessen und Ziele selber vorstellen
und vertreten können und wollen.
Unter den Grundsätzen für eine Landesförderpolitik wird an
erster Stelle aufgeführt, daß sich die Subventionierung nicht allein
an quantitativen Gesichtspunkten orientieren dürfe, sondern daß eine
gleichberechtigte Förderung wesentlich sei, innerhalb derer auch
Minderheiten und kleinere Organisationen ihren Platz haben.
Weiterhin wird angeregt, die oft starren Förderrichtlinien zugunsten
individueller Gestaltungsmöglichkeiten zu lockern. Zudem kritisieren
verschiedene Vereinigungen den ausgrenzenden und desintegrativen
Charakter der häufigen Trennung der Fördertöpfe für Zuwanderer
aus Anwerbeländern und für Flüchtlinge, die es aufzuheben gelte.
Ebenfalls wird darauf aufmerksam gemacht, daß das Land einer
Polarisierung zwischen der Finanzierung von Sondermaßnahmen
gegen Fremdenfeindlichkeit und langfristigen Integrationsmaßnahmen
entgegenwirken möge. Der Aufbau eines Förderinstrumentariums
dürfe keineswegs vom Abbau eines anderen begleitet werden.
Insgesamt werden mehr Informationen und Transparenz bezüglich
vorhandener Fördermöglichkeiten sowie unbürokratischere Förderanträge gewünscht.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Rahmen unterstützender Maßnahmen der konkreten Arbeit von Selbstorganisationen ist die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten. Wie bereits dargelegt, verfügen viele Organisationen über keine eigenen Vereinsräume, andere
haben zudem keine zur Mitbenutzung überlassenen Begegnungsorte.
Somit ist dieser Punkt eine zentrale Erwartung an das Land NRW,
durch deren Erfüllung mehr Aktionsmöglichkeiten realisiert werden
könnten. Ein Verein wies darauf hin, daß bei der Einrichtung von
Begegnungszentren das Vorhandensein einer kleinen Küche sowie
eines Thekenbereichs sinnvoll seien, zudem sei der Einbau abschließbarer Schränke für die einzelnen Vereine sehr hilfreich.
Neben der finanziellen wird aber auch eine fachliche Beratung
und Begleitung der Selbstorgansationen gewünscht. Hier reichen die
Vorschläge von der Etablierung eines oder einer Landesausländerbeauftragten über die Installierung von festen Ansprechpartnern
unterhalb der Ministerialebene bis zu festen Anlaufstellen. Dabei
wird eine Fachbegleitung durch Personen mit Migrationshintergrund
und Sprachkompetenz gewünscht. Diese Ansprechpartner sollen
eine unbürokratische und flexible Hilfestellung ebenso gewährleisten
wie Unterstützungsmaßnahmen bei der Durchführung konkreter
Projekte.
78 Von den Zusammenschlüssen der Migranten afrikanischer Herkunft antworteten 82% auf diese Frage, die herkunftsheterogenen Organisationen äußerten sich zu 80%, die Vereinigungen von Migranten europäischer und lateinamerikanischer Herkunft waren zu jeweils 75% beteiligt und die der Migranten asiatischer Herkunft antworteten zu 69%.
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9. Unterstützungsmöglichkeiten des Landes für Migrantinnen und
Migranten aus Perspektive der Selbstorganisationen
Im Vernetzungsbereich wird insbesondere die Erstellung einer
Infrastruktur für regelmäßige Kommunikationsmöglichkeiten unter
den Selbstorganisationen angestrebt, in diesem Zusammenhang wird
auch die Hilfestellung bei der Gründung von Dachverbänden erwähnt.
Weiterhin gehen die Erwartungen in Richtung einer Stabilisierung
der Kontakte zwischen den Organisationen und dem Land. Hier
könne auch die Initiierung von themenbezogenen Arbeitskreisen
oder von Begegnungsfeldern gute Dienste leisten; im gegenseitigen
Verhältnis spiele die Anerkennung der Bedeutung der Arbeit der
Selbstorganisationen sicherlich eine bedeutende Rolle.
Als besonders unterstützenswerte Arbeitsschwerpunkte werden
integrationsfördernde Maßnahmen, Projekte zur Stärkung des Selbsthilfepotentials der Selbstorganisationen sowie Projekte zur Völkerverständigung genannt. Weiterhin werden Angebote zur Erhöhung
sozialpolitischer Partizipation ebenso wie Qualifizierungsmaßnahmen
zur Förderung ehrenamtlichen Engagements und Aktivitäten zur
Stärkung des Selbstwertgefühls der Migranten zu den besonders
förderbedürftigen Themengebieten gezählt. Während sich eine Organisation gerade für die Subvention von Entwicklungshilfeprojekten
ausspricht, weist eine andere Organisation darauf hin, daß Fördermittel nicht zur Unterstützung politischer Arbeit im Herkunftsland,
sondern für sozialarbeiterische Projekte in Deutschland verwendet
werden sollen. Für Kinder und Jugendliche werden Angebote im
Bereich der Jugendberufshilfe, Austauschprogramme sowie die
Förderung benachteiligter Jugendlicher gemacht. Auch im Seniorensowie im Mädchen- und Frauenbereich werden Aktivitäten als in
besonderem Maße förderungswürdig eingestuft. Die frauenspezifischen Belange seien keine exklusive Angelegenheit des Frauenministeriums, sondern beträfen alle Stellen gleichermaßen.
Während die Mehrzahl der Organisationen für internationale
Begegnungs- und Kulturzentren eintritt, weisen einzelne Zusammenschlüsse darauf hin, daß die Förderung nationalitätenbezogener
Zentren einer Unterstützung multikultureller Einrichtungen vorzuziehen sei. Hier kommt sehr deutlich die bestehende Sorge vor
Identitätsverlusten durch die fehlende Wahrung des Zusammenhalts
der eigenen Gruppe zum Ausdruck. Diese Aussage macht noch einmal deutlich, daß sich positive Integrationsprozesse nur unter der
Gewißheit vollziehen, daß neben Anpassungserscheinungen auch
kulturelle Eigenheiten erhalten, gepflegt und weitergegeben werden
können.
9.2 Politische Erwartungen
Auf der politischen Ebene werden besonders häufig integrationspolitische Erwartungen und migrationspolitische Forderungen formuliert. Unter integrativen Gesichtspunkten sind die meistgenannten
Anliegen die Akzeptanz und Förderung der unterschiedlichen Heimatkulturen der Migranten, ohne sie miteinander zu vergleichen und zu
bewerten, sowie die Möglichkeit, mit zwei Kulturen zu leben, also
eine Integration unter Bewahrung der kulturellen Identität zu vollziehen. Der in Integrationskonzepten häufig vorherrschende Defizitansatz müsse aufgegeben werden. Statt dessen sei es vielmehr notwendig, die Stärken der Zuwanderer, wie Zweisprachigkeit und interkulturelle Kompetenz, wahrzunehmen und als besondere Fähigkeit
zu beurteilen. Doch auch unter diesen Bedingungen sei die Integration nicht die alleinige Aufgabe der Migranten, vielmehr sei eine
gegenseitige Integration erforderlich. Hier wird aufgeführt, daß sich
das Land schon deshalb stärker für die Belange der Einwanderer
einsetzen müsse, da sie Nordrhein-Westfalen in einem besonderen
Maße mitaufgebaut hätten und ein Teil dieser Gesellschaft seien.
Integration könne nicht als einseitige Anpassung durchgesetzt werden,
sondern bedeute auch für die Aufnahmegesellschaft, für Veränderungen und Lernprozesse offen zu sein und die Bereitschaft zu zeigen,
die hiesige Kultur immer wieder durch neue Einflüsse zu ergänzen.79
Um zu einem wirklichen Miteinander von Einheimischen und
Zugewanderten zu gelangen, werden die Schaffung von Begegnungsstätten, die Durchführung multikultureller Veranstaltungen sowie
eine Intensivierung der Aufklärungsarbeit über verschiedene
Kulturen mit all ihren Facetten als unverzichtbar eingestuft. In diesem
Zusammenhang werden auch Antidiskriminierungsmaßnahmen und
eine kontinuierliche antirassistische Aufklärungsarbeit als wesentlich
für die Schaffung stärkerer Akzeptanz und gegenseitiger Toleranz
erachtet. Hier wird zudem die Förderung der aktiven Beteiligung
von Migranten in bestehenden Vereinen als möglicher Weg hin zu
einer gegenseitigen Achtung aufgeführt, ebenso werden gute
Beziehungen zum Herkunftsland als integrationsfördernd eingestuft.
Insgesamt werden vom Land klare Integrationsprogramme und Eingliederungshilfen sowie mehr Verständnis für die Situation von Einwanderern erwartet. Ein Schritt in diese Richtung könne die verstärkte
Einstellung von Migranten in den öffentlichen Dienst auch in verantwortlichen Positionen sein; dieses Anliegen ist eine weitere zentrale Forderung der Selbstorganisationen.80
79 Zur politischen Notwendigkeit der Ergänzung einer bloßen Anerkennung der Gleichwertigkeit verschiedener Kulturen durch die Bereitschaft, die eigene Kultur durch
Verschmelzung mit anderen Einflüssen zu verändern vgl. Charles Taylor, 1993: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, Frankfurt/M.
80 In Nordrhein-Westfalen sind im öffentlichen Dienst nur rund 2% nichtdeutsche Personen beschäftigt, wobei das Verhältnis mit der Höhe der Position sinkt. Vgl. Franz Müntefering,
1995: Integration und Migration. Perspektiven einer nordrhein-westfälischen Integrationspolitik, hg. vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Düsseldorf, hier. S. 15.
Zur Situation in Westdeutschland vgl. Dagmar Lill, 1996: „Vor allem zuständig für deutsche Sauberkeit“ - Ausländische Beschäftigte im öffentlichen Dienst, in: Integration und
Konflikt. Kommunale Handlungsfelder der Zuwanderungspolitik, hg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung (Gesprächskreis Arbeit und Soziales Nr. 69), Bonn, S. 57-69.
63
9. Unterstützungsmöglichkeiten des Landes für Migrantinnen und
Migranten aus Perspektive der Selbstorganisationen
Im Bereich der Migrationspolitik wird am häufigsten die Forderung nach der rechtlichen und politischen Gleichstellung mit
Deutschen aufgestellt, die namentlich den Erhalt des Wahlrechts,
stärkere Partizipationsmöglichkeiten besonders für Jugendliche sowie
die Gleichstellung von EU- und Nicht-EU-Bürgern umfaßt. Weitere
Anliegen betreffen die Ermöglichung des Erhalts einer doppelten
Staatsangehörigkeit, eine erleichterte Einbürgerung sowie die Rücknahme der Bestimmungen zur Visumspflicht für Kinder aus Staaten,
die nicht der Europäischen Union angehören. Zudem werden verbesserte aufenthaltsrechtliche Bedingungen sowie erleichterte Zugänge
zu Arbeitserlaubnissen angestrebt, auch hier in besonderem Maße
für Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten. Ferner wird der migrationspolitische Forderungskatalog um eine Antidiskriminierungsgesetzgebung sowie um die offizielle Anerkennung der Bundesrepublik als
Einwanderungsland erweitert. Spätaussiedler sollen nach der Ansicht
einiger Selbstorganisationen aufgrund ihrer vergleichbaren Situation
zu den Migranten gezählt werden; die Roma fordern, nicht länger
als „Randgruppe“ behandelt, sondern als Volk anerkannt zu werden.
Insgesamt soll Ausländerpolitik nicht als Ausgrenzungsinstrumentarium dienen, sondern integrative Wirkungen entfalten. Zuwanderer
sollen auf allen Ebenen stärker in die Kommunalarbeit einbezogen
und bei allen lokalen Themen in den Diskussions- und Entscheidungsprozeß integriert werden81. Ausländerbeiräte sollen unterstützt
und ihre Kompetenzen erweitert werden; ein Verein drängt zudem
auf die Veränderung der diesbezüglichen Gesetzesgrundlage, so daß
die Ausländerbeiräte weniger schnell von einer Bevölkerungsgruppe
dominiert werden können und auch Minderheiten reale Partizipationschancen erhalten. Weiterhin wird die interkulturelle Öffnung der
Regeldienste und eine bessere Kooperation zwischen der kommunalen und der Landesebene angemahnt.
Die migrationsrelevanten Anliegen werden durch asylpolitische
Forderungen ergänzt. Hier wird eine stärkere Hilfestellung für Flüchtlinge im Bereich der Rechtsberatung sowie bei der Wohnungs- und
Arbeitssuche aufgeführt, zudem wird die Verkürzung der Wartezeiten
bei Asylverfahren angestrebt, weiterhin wird auf eine Verbesserung
der Lebensbedingungen in den Asylunterkünften gedrängt.
Eine weitere Forderung betrifft die Anerkennung frauenspezifischer
Fluchtgründe als Asylgrund sowie eine stärkere Aufklärung insbesondere der zuständigen Sachbearbeiter in Ämtern und Behörden
über die Situation von Flüchtlingsfrauen. Frauenspezifische Belange
sollen insbesondere im Flüchtlingsbereich sowohl ideell als auch
finanziell stärker berücksichtigt werden. Auch wenn ein Teil dieser
Forderungen nicht direkt in den Kompetenzbereich der Landesregierung fällt, wird hier darauf gedrängt, daß sich die zuständigen
Landesvertreter auf Bundesebene für entsprechende Veränderungen
einsetzen.
Die Erwartungen bezüglich einer verbesserten Informations- und
Öffentlichkeitsarbeit konzentrieren sich im wesentlichen auf zwei
Bereiche. Zum einen werden regelmäßige Informationen zu aktuellen
Entwicklungen im Migrationsbereich angeregt, so zu neuen Gesetzen
und Richtlinien, zu Diskussionsschwerpunkten, sich abzeichnenden
Trendentwicklungen und den diesbezüglichen Haltungen der Parteien.
Wichtig sei hier eine weit verbreitete und leicht zugängliche Informationspolitik, eine zusätzliche Möglichkeit bestehe in der Durchführung regelmäßiger Informationstreffen zwischen Vertretern des
Landes und den jeweiligen Vereinsspitzen. Der andere Bereich betrifft
eine verstärkte Medienberichterstattung über migrationsrelevante
Themen sowie die Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit der
Selbstorganisationen. So werden auf der einen Seite die kontinuierliche Berichterstattung über ausländerpolitische Belange sowie mehr
Beiträge über das Leben von Zuwanderern, ihre Traditionen, Kulturen
und ihre Herkunftsländer sowie über ihre Situation in Deutschland
in den öffentlichen Sendern eingefordert, zum anderern wird beispielsweise eine Erweiterung der Sendezeiten für heimatsprachliches
Radio und Fernsehen angestrebt.
Eine weitere Anregung in diesem Bereich bezieht sich auf die
Herausgabe mehrsprachiger Broschüren zu verschiedenen relevanten
Lebensbereichen, so zum Beispiel zur Rentenreform, zur Pflegeversicherung oder zum Gesundheitsbereich.
Weitere politische Erwartungen der Selbstorganisationen beziehen
sich auf den schulischen Bereich, der von vielen Organisationen als
wesentlich für die zukünftige Entwicklung eines multikulturellen
Landes bewertet wird. Hier wird besonders großer Wert auf die
Erhaltung und Stärkung muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts
gelegt, wobei von einer Organisation betont wird, in Absprache mit
den deutschen Schulämtern mehr Mitspracherechte bezüglich des
Lehrpersonals anzustreben. Weitere Wünsche betreffen die Etablierung bilingualer Grundschulen und Gymnasien sowie die Erweiterung des bestehenden Fächerkanons durch die Einführung verschiedener Herkunftssprachen als Fremdsprache. Weiterhin zielen die
Erwartungen auf die Unterstützung schulischer Bildungsmaßnahmen
für Migranten sowie auf die Veränderung und Erweiterung der in
den Curricula festgelegten Lerninhalte. Diese seien trotz der multikulturellen Bevölkerungsstruktur immer noch weitgehend ethnisch
homogen ausgerichtet und ignorierten somit die Lebensrealität vieler
Schüler und Schülerinnen, was wiederum zu ausgrenzenden und
benachteiligenden Effekten führe. Der interkulturelle Aspekt müßte
integraler Bestandteil der pädagogischen und sozialpädagogischen
Ausbildung sein und nicht immer nur als Spezialthema behandelt
werden.
81 Hier wurden in früheren Diskussionsplenen bereits konkrete Vorstellungen bezüglich der Notwendigkeit einer verstärkten Partizipation an kommunalen Entscheidungsprozessen
geäußert. Demnach betreffen stärkere Mitwirkungsmöglichkeiten verschiedene Ebenen. Konkret aufgeführt werden Ratsausschüsse und Bezirksvertretungen, Ausländerbeiräte,
Stadtverwaltung, kommunale Beratungsgremien wie Jugendhilfeausschuß, Seniorenvertretung, Anhörungen etc., Mitsprache- und Fachgremien wie Elternräte,
Schulpflegschaften, Mieterkonferenzen etc., Parteien und lokale Medien. Vgl. Anton Rütten, 1996: Zusammenfassung der Diskussion bzgl. der Partizipation von Migranten
(-organisationen) an kommunalen Enscheidungsprozessen, in: Integration und Konflikt. Kommunale Handlungsfelder der Zuwanderungspolitik, hg. von der Friedrich-EbertStiftung (Gesprächskreis Arbeit und Soziales Nr. 69), Bonn, S. 81-83, hier S. 81.
64
9. Unterstützungsmöglichkeiten des Landes für Migrantinnen und
Migranten aus Perspektive der Selbstorganisationen
Neben Maßnahmen im schulischen Bildungsbereich beziehen
viele Migrantenorganisationen ihre politischen Erwartungen auf den
Bereich der beruflichen Chancengleichheit. Hier werden Hilfestellungen bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche, mehr Ausbildungsplätze für Zuwanderer, die Anerkennung von Berufsabschlüssen
und Diplomen und Umschulungsmöglichkeiten gefordert.
Zielgruppenspezifisch werden politische Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Senioren, Jugendlichen und Frauen und
Mädchen angestrebt. Während sich die Forderungen für Senioren
auf Aktivitäten beziehen, die ihnen das hiesige Leben durch muttersprachliche Angebote zugänglich machen sollen, werden im Jugendbereich insbesondere politische Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit und Jugendkriminalität gefordert. Frauen- und mädchenspezifische Verbesserungen werden insbesondere bezüglich einer
besseren Integration in den Arbeitsmarkt, aber auch in bezug auf
Bildungs- und Aufklärungsangebote erwartet.
Bezogen auf das Verhältnis zwischen Landespolitik und den
Organisationen selber wird insbesondere ein gegenseitig respektvoller Umgang angestrebt. Selbstorganisationen fungieren nach ihrem
Selbstverständnis als legitimierte Vertreterinnen der Migranten und
wollen auch als solche anerkannt werden. Es müsse akzeptiert werden, daß die Leistungen der Migrantenorganisationen über die
Werbung um kulturelles Verständnis hinausreichen und zentrale
Bedeutung im Bereich der Sozialarbeit einnähmen. Die ihre Arbeit
unterstützenden Fördergelder dürften keine Bevormundung evozieren oder die Erwartung von Gegenleistungen hervorrufen. Vielmehr
müsse die Position der Selbstorganisationen von Migranten durch
Fortbildungsseminare und Qualifizierungsmaßnahmen weiter
gestärkt werden, zudem sei es erforderlich, ihnen mehr
Partizipationsmöglichkeiten einzuräumen. Weiterhin sei wichtig, daß
die Hinweise, die die Betroffenen den Ministerien geben, auch
wahrgenommen und in die eigenen Überlegungen integriert werden.
Nur so könne verhindert werden, daß die Politik nicht immer wieder
vor zu spät erkannten Problemen stehe und keine adäquaten
Lösungen aufweisen könne.
65
Die Ernsthaftigkeit der Bemühungen des Landes um gleichberechtigte Kontakte zu Selbstorganisationen zeige sich jetzt vor allem
darin, inwieweit diese Studie Konsquenzen zeige. Den
Selbstorganisationen ist wichtig, daß ihre Aussagen nicht ungehört
verhallen oder daß weitere Schritte sogar an ihren Interessen vorbeigehen. Um seitens des Landes in einen wirklich glaubwürdigen
Dialog mit den Selbstorganisationen zu treten, ist die ernsthafte
Auseinandersetzung mit den hier geäußerten Positionen eine unabdingbare Voraussetzung.
10. Zusammenfassung der wichtigsten Daten
Gesamtzahl der erfaßten Selbstorganisationen von Migrantinnen
und Migranten
Bei der Bestandsaufnahme konnten für diesen Teil der Studie
insgesamt 952 Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten
aus 64 verschiedenen Herkunftsgebieten erfaßt werden. Von ihnen
weisen 89% eine herkunftshomogene und 11% eine herkunftsheterogene Mitgliederstruktur auf. Die Mitglieder der herkunftshomogenen
Vereinigungen sind mit 64% zum großen Teil europäischer Herkunft,
weiterhin zu 15% asiatischer, zu 8,5% afrikanischer und zu 1,5%
lateinamerikanischer Herkunft.
Bei den erfaßten Zusammenschlüssen handelt es sich zum überwiegenden Teil um Einzelorganisationen, 25 Zusammenschlüsse
konnten als Dachorganisationen qualifiziert werden. Diese gliedern
sich nach nationalen wie regionalen Kriterien, sind zum Teil jedoch
auch berufsständisch oder thematisch orientiert.
Rücklauf
Von allen erfaßten Organisationen haben sich 32% an der Studie
beteiligt, bei den Dachverbänden beträgt der Rücklauf sogar 56%.
Diese Quote kann angesichts der Länge des Fragebogens, der möglicherweise aufgetretenen sprachlichen Schwierigkeiten sowie der
Notwendigkeit, nicht als Einzelperson, sondern als Verein zu antworten, als gut bewertet werden.
Unter den Zusammenschlüssen, die in die Auswertung eingehen,
befinden sich zu 17% herkunftsheterogen und zu 83% herkunftshomogen strukturierte Selbstorganisationen. Diese verteilen sich zu
55% auf Zusammenschlüsse von Migranten europäischer, zu 16%
auf Migranten asiatischer, zu 11% auf Migranten afrikanischer und
zu 1,3% auf Migranten lateinamerikanischer Herkunft. Somit entspricht die Verteilung der Organisationen nach Kontinenten bei den
Antworten in etwa den jeweiligen Anteilen bei allen erfaßten Gruppen.
Die weitere Ausdifferenzierung der herkunftshomogenen Zusammenschlüsse nach regionalen oder ethnischen Kriterien ist ein Spezifikum
der Organisationen von Migranten griechischer und italienischer
Herkunft.
Gründungsjahr
Bezogen auf das Gründungsjahr der Organisationen lassen sich
keine besonderen Schwerpunkte feststellen. Vereinsgründungen
erfolgen seit den sechziger Jahren kontinuierlich, seit Anfang der
neunziger Jahre in verstärktem Ausmaß.
Rechtsform
Über dreiviertel aller Organisationen weisen als eingetragener
Verein eine feste Rechtsform auf. Dabei besteht statistisch kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Jahr der Vereinsgründung
und einer amtlichen Registrierung. Einen besonders hohen Anteil
eingetragener Vereine haben die Organisationen afrikanischer Herkunft, den juristisch losesten Charakter weisen die Zusammenschlüsse der Migranten asiatischer Herkunft auf. Besonders auffällig
ist der mit 39% niedrige Anteil eingetragener Vereine bei den italienischen Organisationen im Gegensatz zu den griechischen und
spanischen Zusammenschlüssen mit 91 bzw. 74%. Hier kann ein
Zusammenhang zwischen der rechtlichen Einbindung und der jeweiligen Organisationsgeschichte der einzelnen Einwanderungsgruppen
konstatiert werden.
66
Mitgliedschaft bei Wohlfahrts- und Dachverbänden
50% aller Selbstorganisationen sind Mitglied bei einem Wohlfahrtsverband; 15% gehören ihnen als formal gleichberechtigte Mitglieder an, zu 35% besteht eine kooperative Mitgliedschaft. Der in
diesem Zusammenhang quantitativ wichtigste Wohlfahrtsverband ist
der Deutsche Caritasverband, in dem 42% aller an einen Wohlfahrtsverband angeschlossenen Selbstorganisationen vereinigt sind. Die
Aufteilung auf die Wohlfahrtsverbände erfolgt mit Ausnahme des
DPWV nach wie vor schwerpunktmäßig nach nationalen Kriterien.
32% aller Selbstorganisationen sind Mitglied eines Dachverbands,
oft einer Migrantendachorganisation. 42% aller Organisationen
arbeiten unabhängig von einem Dach- oder Wohlfahrtsverband.
Mitgliederstruktur
Die an der Studie beteiligten Selbstorganisationen haben insgesamt 52.510 Mitglieder. Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der
erfaßten Selbstorganisationen sind somit 17% aller in NRW lebenden Migranten Mitglied einer Selbstorganisation. 81% aller Vereinsmitglieder sind in Zusammenschlüssen von Migranten europäischer
Herkunft vereinigt, nur 4% aller Mitglieder befinden sich in herkunftsheterogenen Organisationen. Dieses Datum ist angesichts
ihres Anteils an der Gesamtzahl der Organisationen deutlich unterdurchschnittlich. Die Zahl der Besucher der Angebote herkunftsheterogener Zusammenschlüsse übersteigt die Zahl der Vereinsmitglieder in der Regel jedoch um ein Vielfaches.
43% aller Vereinsmitglieder sind zwischen 19 und 40, 33% zwischen 41 und 55 Jahre alt; 14% der Vereinsmitglieder sind älter als 55.
55% der Mitglieder sind Männer, 45% sind Frauen. Dabei sind
7% aller Zusammenschlüsse reine Frauenorganisationen, weniger als
1% der Vereine haben angegeben, männerspezifisch zu arbeiten.
Finanzierung
Die Ausgaben der Selbstorganisationen werden nach eigenen
Aussagen zu einem überwiegenden Teil von 72% aus Eigenmitteln,
zu jeweils 6% aus kommunalen bzw. Landesmitteln, zu 4% aus
Bundesmitteln und zu 12% aus sonstigen Quellen gedeckt. Unter
die sonstigen Quellen fallen insbesondere die Wohlfahrtsverbände,
Kirchen, das Herkunftsland, die EU oder Stiftungen.
Die stärkste Förderung erfahren die herkunftsheterogenen Organisationen; hier können über die Hälfte der Ausgaben aus Fremdmitteln bestritten werden.
Fast 50% aller Organisationen finanzieren sich ausschließlich aus
Eigenmitteln, 60% werden zu maximal einem Zehntel des Gesamtvolumens ihrer Ausgaben unterstützt. 9% aller Organisationen haben
angegeben, ganz ohne die Aufwendung von Eigenmitteln auszukommen.
Ein Drittel aller Organisationen werden über die finanzielle
Unterstützung konkreter Projekte gefördert. Hierunter fallen nahezu
20% der allein auf Eigenmittel angewiesenen Organisationen. Den
größten Anteil der Projektförderung tragen mit 27% die Kommunen
und mit 24% das Land NRW. 13% der Projektmittel kommen aus den
Herkunftsländern der Migranten. Der Bund, die EU und Stiftungen
übernehmen jeweils einen Anteil von 12%.
10. Zusammenfassung der wichtigsten Daten
Räumlichkeiten
29% aller Selbstorganisationen verfügen über eigene Vereinsräume, 38% der Zusammenschlüsse nutzen ihnen zur Mitbenutzung
überlassene Räumlichkeiten und 18% aller Vereinigungen stehen
beide Möglichkeiten offen. 15% der Selbstorganisationen stehen
überhaupt keine Räume zur Verfügung. Hier sind die Privatwohnungen der Vereinsmitglieder oft die einzige Möglichkeit, das
Vereinsleben aufrechtzuhalten. Von dieser akuten Raumnot sind
besonders oft die Organisationen der Migranten afrikanischer und
asiatischer Herkunft betroffen, während die europäischen und herkunftsheterogenen Zusammenschlüsse überdurchschnittlich häufig
eigene Räume haben.
Die stärkste Zusammenarbeit wird zu anderen Selbstorganisationen gepflegt. 70% aller Zusammenschlüsse haben angegeben, mit
anderen Migrantenvereinen zu kooperieren.
Eine Zusammenarbeit mit dem Ausländerbeirat besteht bei 45%
der Selbstorganisationen, entsprechend hoch ist die Kooperation mit
der Kommune. 20% der Vereine pflegen eine Zusammenarbeit mit
den Parteien, wobei 36% aller Nennungen auf die SPD, 31% auf
Bündnis 90/Die Grünen, 20% auf die CDU und 5% auf die FDP
entfallen. 12% der Zusammenschlüsse haben eine Zusammenarbeit
mit dem Land angegeben, wobei das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales nicht nur der wichtigste Ansprech-, sondern mit
50% auch der meistgenannte Kooperationspartner ist.
Festangestellte Mitarbeiter
19% der Selbstorganisationen haben angegeben, festangestellte
Mitarbeiter zu beschäftigen. Dabei divergieren die hier aufgeführten
Arbeitsverhältnisse erheblich voneinander: Aufgeführt werden
Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte, befristete und unbefristete Stellen,
Honorarkräfte, ABM-Stellen und Aushilfen. Auch bleibt häufig
unklar, ob es sich um sozialversicherungspflichtige Stellen oder um
andere Formen der entgeltlichen Mitarbeit handelt. Insofern handelt
es sich hier nicht um exakte Angaben, sondern um Richtwerte, die
aber gleichermaßen einen ersten Einblick in die personelle Situation
der Selbstorganisationen von Migranten in NRW ermöglichen.
Insgesamt befinden sich 187 Personen in einem Beschäftigungsverhältnis, die durchschnittliche Zahl der festangestellten Mitarbeiter
liegt bei 1 bis 3 Personen pro Organisation. Eine Ausnahme bildet
ein herkunftsheterogener Verein mit 50 festangestellten Kräften.
Von allen Organisationen, die über festangestellte Mitarbeiter
verfügen, sind mit 48% fast die Hälfte herkunftsheterogene Zusammenschlüsse. 34% der Organisationen sind solche von Migranten
europäischer Herkunft, 13% der Vereinigungen stammen aus dem
asiatischen, 4% aus dem afrikanischen und 2% aus dem lateinamerikanischen Raum.
Arbeitsgebiete
Selbstorganisationen von Migranten in Nordrhein-Westfalen
arbeiten am häufigsten in den Gebieten Kultur und Begegnung. 90
bzw. 86% aller Vereinigungen haben angegeben, Angebote in diesen
Bereichen durchzuführen. Im gehobenen Mittelfeld befinden sich
die Themenschwerpunkte Integration, Beratung und Bildung, gefolgt
von Betreuung und Sport. Insgesamt weniger Selbstorganisationen
gaben an, Aktivitäten in den Bereichen Politik, Gesundheit und
Religion anzubieten. Unter den weiteren Arbeitsgebieten wurden
besonders häufig Angebote zur Optimierung der eigenen Organisationsstruktur, Aktivitäten zur humanitären Hilfe im Herkunftsland
sowie Maßnahmen im Selbsthilfebereich genannt.
Nur 6% aller Organisationen weisen einen klar definierten Organisationszweck auf: 2% sind Sportvereine und 4% sind religiöse
Einrichtungen. Doch auch hier werden neben sportlichen und religiösen Angeboten weitere Arbeitsgebiete als wesentlich aufgeführt.
3% aller Vereinigungen haben angegeben, ausschließlich in einem
Arbeitsgebiet tätig zu sein. Demgegenüber haben 68% aller Organisationen mindestens vier Themenschwerpunkte benannt.
Somit weisen die meisten Migrantenvereine eine große Angebotsvielfalt und eine daraus hervorgehende Multifunktionalität auf.
Kontakte und Zusammenarbeit
44% aller Organisationen stehen in Kontakt zu Organisationen
im Herkunftsland, 28% pflegen hier eine Zusammenarbeit. Die entsprechenden Werte liegen für Parteien im Herkunftsland bei 9 bzw.
5%. Insgesamt haben 46% aller Organisationen angegeben, institutionelle Kontakte ins Herkunftsland zu haben, 30% der Zusammenschlüsse arbeiten mit Einrichtungen im Herkunftsland zusammen.
Gegenüber dem Herkunftsland besteht insgesamt ein stärkerer
Kontakt zu Einrichtungen in Deutschland. Jeweils 67% aller Selbstorganisationen haben Kontakte zum Ausländerbeirat und zu Ämtern
und Einrichtungen der Kommune. Hier werden besonders häufig das
Sozialamt, das Kulturamt, das Ausländeramt und das Jugendamt
aufgeführt.
Der Kontakt zu Parteien wird von 38% aller Organisationen
gepflegt. 36% aller Nennungen entfallen auf die SPD, 28% auf
Bündnis 90/Die Grünen, 22% auf die CDU und 6% auf die FDP.
19% der Zusammenschlüsse stehen in Kontakt zum Land NRW,
wobei das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit 62%
aller Nennungen der mit Abstand bedeutendste Ansprechpartner ist.
67
10. Zusammenfassung der wichtigsten Daten
Zielgruppenorientierung
Nach den Ergebnissen dieser Studie werden von den meisten
Organisationen frauen-, jugend- oder kinderspezifische Aktivitäten
durchgeführt. Hier haben jeweils zwischen 40 und 50% aller Vereinigungen angegeben, Angebote für einen dieser Personenkreise
durchzuführen. Zwischen 20 und 30% aller Organisationen gehen
mit ihren Angeboten konkret auf allgemein Ratsuchende, Männer
oder Senioren ein. Speziell bei den männerspezifischen Angeboten
ist jedoch unklar, ob es sich tatsächlich um Angebote handelt, die
auf die besondere Situation der männlichen Migranten zugeschnitten
sind, oder ob hier auch solche Aktivitäten eingehen, an denen neben
anderen Zielgruppen gleichfalls oder hauptsächlich Männer teilnehmen. Konkret wurden tatsächlich männerspezifische Angebote nur
sehr selten benannt.
Am unteren Ende der Skala rangieren Angebote für Arbeitslose
und Arbeitnehmer, die jeweils 18% der Selbstorganisationen durchzuführen angegeben haben. Einige Vereinigungen weisen zudem
eine Zielgruppenorientierung für weitere Personengruppen auf. Am
häufigsten wurden hier Angebote für Flüchtlinge und Familien
genannt.
Öffentlichkeitsarbeit
52% aller Organisationen haben angegeben, eine aktive Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Darunter fallen Berichterstattungen in
den lokalen Tageszeitungen, Pressemitteilungen, die Herausgabe
vereinseigener Zeitschriften sowie die Erstellung von Tagungs- und
Projektberichten. Weiterhin werben die Migrantenvereine durch
Programmhefte, Selbstdarstellungen und Veranstaltungshinweise,
Jahres- und Tätigkeitsberichte sowie Mitgliederinformationen für
ihre Zwecke und Interessen. Eine weitere Möglichkeit, sich bekanntzumachen, sind Radio- und Fernsehsendungen im Lokalfunk, Informationsstände, öffentliche Briefe und Stellungnahmen an Politik
und Verwaltung sowie ein Tag der offenen Tür.
Orientierung der Angebotsstruktur
Auf die Frage, ob die Angebote der Selbstorganisationen eher
auf ein Leben im Herkunftsland oder eher auf ein Leben in Deutschland hin orientiert sind, haben 5% der Zusammenschlüsse eine
Orientierung auf das Herkunftsland und 28% eine Orientierung auf
die Einwanderungsgesellschaft angegeben. Der überwiegende Teil
von 67% jedoch befürwortet eine Verbindung beider Möglichkeiten.
Die primäre Orientierung der Vereinsangebote auf ein Leben im
Herkunftsland wird mit dem Wunsch begründet, die eigene Kultur
aufrechtzuerhalten. Diese Option ist besonders ausgeprägt, wenn die
Migrantengruppen nirgendwo über ein einheitliches Siedlungsgebiet
verfügen oder wenn die räumliche Distanz zum Herkunftsland sehr
groß ist. Auch Notsituationen im Herkunftsland können dazu führen,
die Angebote eher aufs Herkunftsland als auf die Aufnahmegesellschaft zu konzentrieren, da die Leistung humanitärer Hilfe hier häufig
eine bedeutende Rolle im Vereinsleben einnimmt.
Herkunftsorientierte Angebote sollen aber auch dazu dienen, den
Kindern eine Rückkehroption zu erhalten. Diese Bestrebung muß
auch als eine Reaktion auf fehlende Integrationsangebote und Ausgrenzungsmechanismen seitens des Aufnahmelandes verstanden
werden.
68
Selbstorganisationen, die ihre Angebote primär auf ein Leben in
Deutschland orientieren, stellen den dauerhaften Aufenthalt ihrer
Mitglieder in den Vordergrund. Daraus resultiert das Bedürfnis der
Migranten, sich in der Aufnahmegesellschaft zurechtzufinden. Das
Verständnis, ein Teil der deutschen Gesellschaft zu sein, macht ein
Vorgehen gegen bestehende Diskriminierungsmuster, Zugangsbarrieren und Integrationshindernisse ebenso notwendig wie die Teilnahme und aktive Mitgestaltung des kulturellen und politischen
Lebens.
Der größte Teil der Selbstorganisationen befürwortet das Konzept
einer Integration unter Wahrung der kulturellen Identität und hat
sich somit für eine Mischform bei der Angebotsorientierung entschieden. Die Kombination dieser Komponenten bietet zum einen
die optimale Entfaltungsmöglichkeit der Mitglieder und fördert zum
anderen das positive Zusammenleben zwischen der Bevölkerungsmehrheit und der Bevölkerungsminderheit im Sinne einer gegenseitigen gesellschaftlichen Integration.
11. Abschließende Bemerkungen
Jedes faktische Einwanderungsland spiegelt in seiner Bevölkerungsstruktur den globalen Diskurs unterschiedlicher ideologischer
und religiöser Ausrichtungen wider, angereichert durch die verschiedensten Zwischen- und Übergangsformen. Dabei werden Wahrnehmungen selten durch fundierte Differenzierungen, sondern vielmehr durch diffuse Kenntnisse und Eindrücke bestimmt. Auch in
Deutschland werden Migranten mit unterschiedlichen, zumeist verallgemeinernden Vorstellungen und Bildern in Verbindung gebracht,
die das jeweilige gegenseitige Verhältnis stark beeinflussen.
Gleichwohl ist das Organisationsverhalten von Einwanderern
sowohl bezogen auf Integration/Separation in das deutsche Vereinswesen als auch auf die Mitgliederstruktur oder den Organisationszweck eigener Zusammenschlüsse durch große Unterschiede gekennzeichnet. Dabei sind Orientierungen und Strukturen nicht unveränderlich, sondern unterliegen im Laufe der Zeit Wandlungen.
Die meisten Organisationen sind in bezug auf ihre ethnische
Herkunft homogen strukturiert; von allen erfaßten Vereinigungen
weisen nur 11% eine herkunftsheterogene Mitgliedschaft auf. Die
mehrheitliche Entscheidung der Migranten für die ethnisch segregierte Organisationsform muß dahingehend interpretiert werden, daß
eine gesellschaftliche Integration generationsübergreifend von einem
Großteil der Zuwanderer unter Wahrung der kulturellen Identität
angestrebt wird, wozu herkunftshomogene Zusammenschlüsse strukturell besser geeignet sind. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß herkunftshomogene Organisationen in ihrer Angebotsstruktur einen
zunehmend integrativen Charakter gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen aufweisen. Herkunftsheterogene Vereinigungen sind indes a
priori auf eine möglichst große Pluralität ausgerichtet und wirken
somit von sich aus integrativ. Auch wenn diese Organisationsform
quantitativ derzeit unterdurchschnittlich vertreten ist, scheint sie
perspektivisch jedoch an Bedeutung zuzunehmen.
Dabei weisen die Selbstorganisationen eine ausgesprochen große
Handlungsbreite und dementsprechend verschiedene Lösungsansätze
auf. Während Problemlagen, wie zum Beispiel die Schwangerschaftskonfliktberatung oder die Notwendigkeit einer geschützten
Unterbringung, ein auf Anonymität und Diskretion basierendes Konzept erfordern, liegt der Erfolg eines großen Teils des gesellschaftspolitischen Engagements gerade in der Vermittlung von Empathie
und Unterstützung weiter Bevölkerungsteile. Die differenzierten
Bedürfnisse der Migranten finden ihren Ausdruck in Organisationsformen, die von Chören bis zu professionellen Anbietern von Dienstleistungen reichen. Diese Vielfältigkeit ist zentral für den Integrationserfolg und sollte unbedingt erhalten und gestärkt werden.
Selbstorganisationen bemühen sich, Verantwortung sowohl gegenüber den Landsleuten als auch gegenüber der Aufnahmegesellschaft
zu übernehmen. Den Mitgliedern der Selbstorganisationen wird eine
bessere Orientierung im Immigrationsland geboten, wodurch bestehende Chancen wahrgenommen und besser genutzt werden können.
Gleichzeitig treten Selbstorganisationen durch Öffentlichkeitsarbeit
und Interessenvertretung direkt in den gesellschaftlichen Diskurs ein
und gestalten ihn mit. Dabei beziehen sich die Stellungnahmen nicht
ausschließlich auf originäre Belange der Migranten, sondern betreffen auch allgemeine gesellschaftspolitische Fragestellungen. Einige
Vereine haben sich von der Pflege der Herkunftskultur hin zu einer
gleichzeitigen Orientierung auf Belange in Deutschland entwickelt,
bei anderen lag die Vereinsgründung von vornherein in gesellschaft-
69
lichen Mitwirkungswünschen begründet. Hier kommt der Wunsch
vieler Migranten, am (gesellschafts-) politischen Leben Deutschlands
zu partizipieren, sehr deutlich zum Ausdruck.
Dieses Interesse wird auch durch das Umfrageergebnis der vorliegenden Studie bestätigt, daß die überwältigende Mehrheit von
95% aller Organisationen ihre Angebote zumindest auch auf ein
Leben in Deutschland orientiert. Selbst bei den verbleibenden 5%
kann ein Bezug zur Aufnahmegesellschaft nicht vollkommen ausgeschlossen werden, was bereits die Teilnahme an dieser vom Land
Nordrhein-Westfalen initiierten Studie zeigt.
Die zunehmende Orientierung der Organisationen auf das Einwanderungsland vollzieht sich weitgehend unabhängig von der
bestehenden Vereinsdauer. So sind keine signifikanten Unterschiede
zwischen den bereits in den sechziger und siebziger Jahren gegründeten Zusammenschlüssen gegenüber den in den neunziger Jahren
entstandenen Vereinigungen erkennbar, was darauf schließen läßt,
daß diese Entwicklung kein ausschließliches Merkmal entweder
älterer Einwanderungsgruppen oder Angehöriger der sog. zweiten
oder dritten Generation ist.
Im nationalitätenspezifischen Vergleich sind die herkunftsheterogenen Gruppen bezüglich einer stärkeren Orientierung auf
Deutschland überdurchschnittlich stark vertreten, was sich jedoch
bereits aus ihrer strukturellen Zusammensetzung ergibt. Bezogen auf
die ehemaligen Anwerbestaaten können nach den Ergebnissen dieser
Studie die in der Wissenschaft vorgenommen traditionellen Zuordnungen bezüglich Rückkehr- und Bleibeoptionen nicht mehr aufrechterhalten, sondern müssen als in Auflösung begriffen werden.
So weisen die Organisationen der Migranten griechischer und italienischer Herkunft gegenüber denen spanischer Herkunft in ihrer
primären Ausrichtung zwar eine vergleichsweise stärkere Rückkehrorientierung auf, sie ist nach ihren eigenen Aussagen jedoch auch
hier nur marginal vorhanden. Griechische Nationalschulen bieten in
der Praxis zwar weiterhin eine bildungspolitische Alternative, gleichzeitig gibt es jedoch Bestrebungen und Initiativen hin zu bi- oder
multikulturellen Erziehungseinrichtungen. Alle drei Gruppen bevorzugen mehrheitlich eine Doppelorientierung, die verschiedene Lebensperspektiven einschließt; der vornehmliche Bezug zu Deutschland
liegt mit ca. einem Viertel aller Vereinigungen gleich.
Einen anteilig stärkeren Bezug zum Herkunftsland weisen hingegen solche Organisationen auf, deren Heimatländer aktuell mit
krisenhaften wirtschaftlichen oder politischen Entwicklungen konfrontiert sind. Hier sind vor allem die Organisationen der Migranten
aus Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien betroffen, insbesondere auch diejenigen aus dem Kosovo. Die Orientierung der
Angebote auf das Herkunftsland kann jedoch nicht automatisch mit
Rückkehrabsichten gleichgesetzt werden, vielmehr steht häufig die
Sorge um Verwandte und Bekannte im Vordergrund. Insbesondere
bei jüngeren Einwanderungsgruppen werden Rückkehrgedanken
durch eine unsichere rechtliche Aufenthaltssituation zwangsläufig
stabilisiert; es ergibt sich eine exkludierende Wirkung des Ausländerrechts.
11. Abschließende Bemerkungen
So kann für die Selbstorganisationsbewegung von Migranten
und Migrantinnen trotz hoher Diversizität insgesamt eine über funktionale Modernisierungserscheinungen hinausreichende zunehmende
programmatische Orientierung auf Deutschland konstatiert werden.
In der Regel dienen die Vereinigungen der Einwanderer nationalitäten- und generationsübergreifend nicht mehr vorrangig der Pflege
sozialer Kontakte und kultureller Werte einer gesellschaftlich marginalisierten Gruppe. Die Organisationen von Migranten erfüllen
zunehmend den Zweck einer sachkundigen Interessenvertretung
bezüglich ihrer originären Belange sowie zu zentralen gesellschaftspolitischen Themen. Dabei sind ihre Aktionsformen oft innovativ,
sie erfüllen Korrekturfunktionen gegenüber etablierten Denk- und
Verhaltensmustern und machen auf eine defizitäre Ausgestaltung
verschiedener Bereiche des öffentlichen Raums aufmerksam.
Innerhalb der assimilationsorientierten Ansätze der Minderheitentheorie wird die Funktion der Selbstorganisationen, die diese Position
im Integrationsprozeß von Zuwanderern einnehmen, als kollektiv
transitorisch charakterisiert. Diese Gruppen versuchen, im Ringen
um vorhandene Rechte und Ressourcen strukturelle Benachteiligungen aufzulösen. Sie sind in ihrer Zielsetzung primär auf die
Gesamtgruppe hin orientiert, erfüllen in aller Regel aber auch auf
die einzelnen Mitglieder ausgerichtete Hilfsleistungen. Sie fungieren
als Interessenvertretung ihrer Klientel und führen auf der politischen,
der praktischen und der Verwaltungsebene Auseinandersetzungen
mit Vertretern der Mehrheitsgesellschaft. Sie nehmen eine selbstgewählte Vermittlungsposition ein, fördern die Schaffung der Voraussetzungen für eine politische, soziale und ökonomische Integration
der Einwanderungsgruppe und wirken somit stark grenzauflösend.82
Die Selbstorganisationen erhalten somit eine entscheidende
Vermittlerrolle im Diskussionsprozeß zwischen Einheimischen und
Zuwanderern. Diese Art der Vermittlung erhöht die Anerkennung
der Minderheiten und vermindert somit zur Abgrenzung führende
Frustrationserlebnisse. Entsprechend beinhalten die Aktivitäten der
Selbstorganisationen bedeutende Integrationspotentiale, die wesentlich zu einer friedlichen Gestaltung komplexer Integrationsprozesse
und somit zu einer gesamtgesellschaftlich stabilen Situation beitragen.
Von deutscher Seite aus ist es deswegen umso wichtiger, die
Vertreter der Selbstorganisationen im politischen Prozeß ernstzunehmen und als gleichwertige Diskussionspartner anzuerkennen. Diese
Entwicklung kann als wesentlicher Impuls dienen, auch die politische Gleichheit der Minderheitengruppen voranzubringen.
Nordrhein-Westfalen hat mit dem Programm zur SelbsthilfeFörderung einen neuen Weg beschritten, dessen Perspektiven vielversprechend sind. Die Selbstorganisationen stellen direkte und
authentische Informationen über die Bedürfnisse, Probleme und
Aspirationen der Zuwanderer bereit. Sie erfüllen wichtige Orientierungs- und Willensbildungsfunktionen unter den Migranten und
können deswegen in ihren Funktionen nicht von institutionalisierten
Angeboten ersetzt werden. Sie sind ein wichtiger Motor zur Stärkung
der Gleichberechtigung der Einwanderer und der Offenheit der
Gesellschaft. Ihre Förderung ist ein spezifischer Teil des Integrationsangebots des Landes.
82 Vgl. Ulrike Schöneberg, 1993: Gestern Gastarbeiter, morgen Minderheit: zur sozialen Integration von Einwanderern in einem „unerklärten“ Einwanderungsland, Frankfurt/M.,
S. 44-99, sowie Renate Dieregsweiler, 1998: Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in Deutschland: die Entwicklung effektiver Eigenhilfe als Antwort auf
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III. Bestandsaufnahme der Potentiale und Strukturen von Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten türkischer, kurdischer, bosnischer und maghrebinischer Herkunft in NordrheinWestfalen
Zentrum für Türkeistudien, Essen
1. Einleitung
Ein Phänomen, das mit Zuwanderungsprozessen einhergeht, ist
die Aktivierung und Organisierung des Selbsthilfepotentials innerhalb der Migrantengruppe, die sich in verschiedenen Bereichen und
in unterschiedlichen Formen manifestieren. Die Organisierung von
Selbsthilfe in Form informeller oder auch formalisierter Zusammenschlüsse, wie Vereinen, ist - auch bei den „älteren“ Zuwanderergruppen - ein Prozeß, der bis heute kontinuierlich andauert und sogar
eine Ausweitung erfahren hat. Auch bei einigen der „klassischen“
Migrantengruppen ist die Zahl eigener Zusammenschlüsse relativ
konstant geblieben oder sogar größer geworden. Angesichts des Andauerns dieses Prozesses, der auch mit einer Ausweitung der Aktivitäten einhergeht, stellt sich die Frage nach dem „Entwicklungsstand“
der Selbstorganisationen. Unter diesem Begriff sind einerseits der
Organisationsgrad bzw. die Organisationsdichte zu verstehen, zum
anderen aber auch die Kontinuität, der Grad der Vernetzung und die
Qualität der inhaltlichen und praktischen Arbeit der Selbstorganisationen, zu der keine aktuellen Daten in kompakter Form vorliegen.
Die Bedeutung der Selbstorganisationen im integrationspolitischen Kontext wird in immer stärker werdendem Maße von den
politisch Verantwortlichen und offiziellen Einrichtungen wahrgenommen. Aus diesem Grunde ist beabchsichtigt, der Bedeutung
und den Leistungen der Migrantenorganisationen für die eigene
Gruppe dadurch Rechnung zu tragen, indem sie durch entsprechende
Maßnahmen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen stärker
gefördert werden sollen. In konkreter Gestalt ist dies die Einrichtung
eines Förderetats, der sich auf eine Vereinbarung der Koalitionsregierung in Nordrhein-Westfalen stützt und mittlerweile eingesetzt
wird, um Projekte von Selbstorganisationen finanziell zu fördern.
Um die Fördermaßnahme gezielter einzusetzen, sollen durch die
vorliegende Bestandsaufnahme sämtlicher Migrantenorganisationen
empirische Grundlagen zu ihrer Zahl, Struktur und ihrem Integrationspotential ergänzend herangezogen werden. Vor dem Hintergrund
dieser Fördermaßnahme wurde vom Zentrum für Türkeistudien in
Kooperation mit dem Institut für Politikwissenschaft der Universität
Münster eine Bestandsaufnahme zu allen Selbstorganisationen sämtlicher Herkunftsländer erstellt,1 zu der hiermit der Endbericht vorgelegt wird. Die Untersuchung soll den offiziellen Einrichtungen eine
Übersicht über das Selbsthilfepotential der Migranten geben und auf
Grundlage der hierbei gewonnenen Erkenntnisse eine weitere Hand-
1 Untypische Migrationsländer, z.B. die skandinavischen, blieben jedoch unberücksichtigt.
75
habe zur Stützung und Förderung von Selbstorganisationen darstellen.
In der landesweiten Bestandsaufnahme wurden empirische Daten
zum Entwicklungsstand der Selbstorganisationen der verschiedenen
Migrantengruppen gewonnen, die Aufschlüsse darüber geben, in
welchen Bereichen aufgrund einer konkreten Bedarfslage Selbstorganisationen im Rahmen projektbezogener Aktivitäten stärker gefördert werden sollen.
Darüber hinaus soll vor dem Hintergrund der Förderung des
Selbsthilfepotentials der Migrantengruppen gestützt auf empirische
Daten auch aufgezeigt werden, welche Aufgaben sie im Rahmen
sozialberaterischer, sozialbetreuerischer und kultureller Aufgaben
bereits heute oder in naher Zukunft übernehmen könnten. Bekannt
ist, daß viele Migrantenvereine soziale Dienstleistungen anbieten,
Kinder und Jugendliche betreuen und sich neuerdings verstärkt um
die Versorgung älterer Migranten kümmern. In Anbetracht dieser
Tatsache ist zu überdenken, ob bei der Unterstützung und möglicherweise Delegierung bestimmter Aufgaben gegebenfalls Teilbereiche
der sozialen Versorgung an Migrantenselbstorganisationen übertragen
werden oder diese in das System flankierend miteinbezogen werden
können. An dieser Stelle sei betont, daß die Errichtung eigener
Einrichtungen - auch kulturhomogener Selbstorganisationen - nicht
als Verweigerung der Integration in die Gesamtgesellschaft zu verstehen sind. Dies entspricht auch den Förderrichtlinien der Koalitionsvereinbarung, die prinzipiell auch Projekte herkunftshomogener
Organisationen fördert.
2. Forschungsrahmen
2.1 Forschungsstand
Selbstorganisationen von Migranten als Gegenstand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen sind bislang ein eher marginal behandelter Aspekt in der Migrationsforschung geblieben. Neben verschiedenen Abhandlungen zu den Selbstorganisationen einer Migrantengruppe, die meist auf lokaler Ebene deren Aktivitäten, Funktionen
oder Entwicklungsstand darstellen, gibt es auch Untersuchungen, in
denen Migrantenorganisationen als ein Aspekt der Migrationsforschung behandelt und das Selbsthilfepotential auch in Form von
Zusammenschlüssen in Vereinen etc. entsprechend gewürdigt werden.2
Neben monographischen Darstellungen der Organisationen einer
Zuwanderergruppe3 gibt es auch explorative Untersuchungen zu
einem Organisationstypus (z.B. religiöse Selbstorganisationen) auf
lokaler oder auch Landesebene.4 Ein deutlicher Mangel ist das Fehlen
empirischer Untersuchungen zu den Migrantenselbstorganisationen,
die anhand von breit angelegten Erhebungen gewonnen wurden.
Hier sind lediglich einzelne Erhebungen auf lokaler Ebene bekannt.5
Landes- oder gar bundesweite Erhebungen unter diesen existierten
bislang nicht. Die vorliegende Untersuchung ist somit der erstmalige
Versuch, empirische Daten zu Selbstorganisationen aller in einem
Bundesland lebenden Migrantengruppen zu gewinnen.
Eine geringe Beachtung der Selbstorganisationen in der Forschung und in der Praxis ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, daß die Betreuung der Zuwanderergruppen aufgrund entsprechender politischer Entscheidungen in der „Ausländerpolitik“
deutschen Trägern - hier vornehmlich den Wohlfahrtsverbänden übertragen wurde. Bei der Übertragung dieser Aufgabe an die verschiedenen Wohlfahrtsverbände wurde eine Arbeitsteilung nach einzelnen Nationalitäten- bzw. Religionsgruppen vorgenommen.6 Mit
der arbeitsteiligen Delegierung der Sozialbetreuung und -beratung
der Migranten an die Verbände der freien Wohlfahrt geht entsprechend die Vergabe der hierfür bereitgestellten finanziellen
Mittel einher. Im Bereich der Sozialberatung und -betreuung haben
die Wohlfahrtsverbände auch heute noch eine dominierende Rolle.
Zur Beibehaltung wurde und wird, wie dies kritisiert wird, eine
„Klientelisierung“ der Migranten betrieben, der die Fortdauer dieser
Dominanz legitimieren soll.7 Die Klientelisierung ist auch ein wichtiger Grund dafür, daß das Selbsthilfepotential der Migrantenorganisationen auch in der Forschung vernachlässigt wurde.
Ein weiterer Grund für die marginale Behandlung der Selbstorganisationen sind die hiermit verbundenen Ängste, die sie als Manifestation der Segregation wahrnehmen, bzw. die Sorge, sie könnten
eine segregierende Auswirkung haben. Diese Vorbehalte sind nicht
allein bei den Einrichtungen und Funktionsträgern der Mehrheitsgesellschaft anzutreffen. Auch einige Sozialwissenschaftler teilen
diese Sorge. So kann mitunter gleichzeitig die funktionale Bedeutung
der Selbstorganisation bei Zuwanderungsprozessen konstatiert,8 und
an anderer Stelle für „Akkulturationsstrategien zur Einebnung ethnischer Unterschiede“ plädiert werden.9
Eine weitere Ursache für die geringe Wahrnehmung und Einbeziehung der Selbstorganisationen ist, daß sie von vielen wenig
„ernstgenommen“ oder mit Skepsis betrachtet werden. Auch Berührungsängste auf seiten der Mehrheitsgesellschaft spielen hierbei eine
Rolle. Die distanzierte Haltung ist zum einen darin begründet, daß
einige Verbände oder auch einzelne Vereine eine politische
Ausrichtung aufweisen, die an dem Herkunftsland orientiert ist. Obwohl es in den letzten Jahren bei vielen der Selbstorganisationen zu
einer Umorientierung gekommen ist, die das Zuwanderungsland in
den Mittelpunkt des Wirkens stellt, haben sie teilweise immer noch
mit dem Image der Vergangenheit zu kämpfen. Die Umorientierung
hat unter anderem auch dazu geführt, daß sich viele der Selbstorganisationen stärker geöffnet haben und verstärkt den Kontakt zu Einrichtungen der Mehrheitsgesellschaft suchen. Viele sind mittlerweile
daran interessiert, auch am demokratischen Willensbildungsprozeß
mitzuwirken und verstehen sich als Interessenvertretung einer Migrantengruppe. Bei einer Weiterentwicklung, die mit der Gewährung
politischer Partizipationsrechte einhergehen müßte, könnten sie sich
zu Interessenverbänden entwickeln, die integrierter Bestandteil des
politischen Systems sind.
2 Siehe beispielsweise Krummacher, Michael/Waltz, Viktoria: Einwanderer in der Kommune. Analyse, Aufgaben und Modelle für eine multikulturelle Stadtpolitik, Essen 1996;
auch Heckmann, Friedrich: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter-ethnischer Beziehungen, Stuttgart 1992.
3 Vgl. etwa Özcan, Ertekin: Türkische Immigrantenorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland: Die Entwicklung politischer Organisationen und politischer Orientierung
unter türkischen Migranten in der BRD und Berlin West, 2. Aufl., Berlin 1992.
4 Genannt werden können hier Bestandsaufnahmen zu den Moscheevereinen in Essen und den türkisch-islamischen Organisationen in Nordrhein-Westfalen. Siehe Zentrum für
Türkeistudien: Moscheevereine in Essen. Ein Kurzgutachten im Auftrag der Geschäftsstelle Ausländerbeirat der Stadt Essen, Essen 1995; oder Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Türkische Muslime in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1997.
5 Eines der selteneren Beispiele neueren Datums ist Fijalkowski, J./Gillmeister, H.: Ausländervereine - ein Forschungsbericht, Berlin 1997. Es handelt sich jedoch nicht um eine
Erhebung unter den Selbstorganisationen, sondern um eine Befragung organisierter und nicht-organisierter Personen zu diesen.
6 So wurde die Arbeiterwohlfahrt für die Betreuung der Türken, Jugoslawen, Marokkaner und Tunesier für zuständig erklärt, die Sozialberatung der Italiener, Portugiesen und
Spanier in den Zuständigkeitsbereich des Caritasverbandes gelegt. Das Diakonische Werk wiederum wurde mit der Betreuung der Griechen und Jugoslawen betraut. Vgl.
Puskeppeleit, Jürgen/Thränhardt, Dietrich: Vom betreuten Ausländer zum gleichberechtigten Bürger. Perspektiven der Beratung und Sozialarbeit, der Selbsthilfe und Artikulation
und der Organisation und Integration der eingewanderten Ausländer aus den Anwerbestaaten in der BRD, Freiburg i. Br. 1990, S. 47-50.
7 Vgl. a.a.O., S. 115 ff.
8 Vgl. Heckmann, Friedrich, a.a.O., S. 102 ff.
9 Ders.: Ethnische Vielfalt und Akkulturation im Eingliederungsprozeß, in: Bade, Klaus J. (Hg.): Das Manifest der 60. Deutschland und die Einwanderung, München 1994, S. 38-43.
76
2. Forschungsrahmen
2.2 Zum Begriff „Selbstorganisation“
Der Begriff „Selbstorganisation“ wird in der sozialwissenschaftlichen Literatur einerseits selten verwendet, zum anderen bestehen
definitorische Unterschiede hinsichtlich der Frage, welche Formen
von Zusammenschlüssen dieser Kategorisierung zugeordnet werden
können. In der einschlägigen sozialwissenschaftlichen Literatur bzw.
auch den Nachschlagewerken begegnet man kaum dem spezifischen
Begriff „Selbstorganisation“. Häufiger wird er in Verbindung mit
Zusammenschlüssen von Migranten verwendet, auch wenn er hier
kein feststehender, von allen verwendeter Begriff ist. In einem allgemeineren Sinne wird er als Oberbegriff verwendet, der das Potential
zur Strukturierung bezeichnet. Im systemtheoretischen Ansatz wird
er als Konzept von Strukturbildung und Strukturveränderung definiert.10 In der allgemeineren Verwendung des Begriffes schließt der
Begriff „Selbstorganisation“ auch andere Organisationsformen wie
religiöse Gemeinden und Schulen mit ein, die Bestandteil eines
sozio-kulturellen Systems sind, zu dem auch eine eigene ökonomische Infrastruktur gehört.11 Bei Definitionen des Begriffes „Organisation“ in der Organisationssoziologie werden Merkmale genannt,
die bei der Übertragung auf den Begriff »Selbstorganisation« zu eng
gefaßt sind. In der Organisationssoziologie werden neben Vereinen
und Verbänden unter dem Begriff „Organisation“ auch solche Zusammenschlüsse gefaßt, deren Zielsetzungen wirtschaftlichen Charakters (Betriebe, Banken etc.) sind, als auch staatlich organisierte
(Behörden, Bildungseinrichtungen) und gesellschaftlich formierte
Institutionen, zu denen auch Körperschaften wie die Kirche gehören.
Als konstitutive Merkmale der Organisationen in dieser organisationssoziologischen Definition werden die zweck- bzw. interessenorientierte Zusammenlegung von Ressourcen durch Personen als Akteure,
eine arbeitsteilige Gliederung, das Vorhandensein einer Leitungsinstanz sowie einer formalen oder informellen Verfassung genannt.12
Die hier aufgezählten Merkmale treffen auch auf formalisierte bzw.
strukturierte Migrantenselbstorganisationen zu, die sich in Form von
Vereinen oder auch als Dachorganisationen organisiert haben. Faßt
man den Begriff „Selbstorganisation“ weiter und bezieht auch informelle Zusammenschlüsse wie Selbsthilfe- oder Initiativgruppen mit
ein, lassen sich die genannten Strukturmerkmale teilweise nur in
Ansätzen bzw. in einer schwächeren Ausprägung erkennen.
In migrationssoziologischen Untersuchungen werden unterschiedliche Begriffe zur Bezeichnung zweck- bzw. interessenorientierter Zusammenschlüsse von Zuwanderergruppen verwendet. Hier
sei auf die doppeldeutige Verwendung des Begriffes „Selbstorganisation“ hingewiesen. Zum einen wird er als Oberbegriff verwendet,
der das Potential der mehr oder weniger strukturierten Selbsthilfe
abhebt und auch lose bzw. informelle Formen der Netzwerkbildung
miteinschließt. Die zweite Verwendung des Begriffes bezeichnet
direkt die mehr oder minder strukturierten einzelnen Zusammenschlüsse, also beispielsweise einen einzelnen Verein oder eine Selbsthilfegruppe. Ein Begriff, der in der wissenschaftlichen Literatur verwendet wird, ist der Oberbegriff bzw. die Bezeichnung „Selbsthilfeorganisation“. Selbsthilfeorganisationen werden von einigen Wissenschaftlern als Bestandteil ethnischer Koloniebildungen gesehen,
die ihre Entstehungsursache in dem Orientierungs- und Existenzsicherungsbedürfnis einer zugewanderten Gruppe haben sollen.13
Schwierigkeiten der Abgrenzung und unterschiedliche Auffassungen
bestimmter, im Kontext der Migrationssoziologie und -sozialarbeit
verwendeter Begriffe werden auch bei Typologisierungsversuchen
deutlich. So werden in einem dieser Einordnungsversuche Selbsthilfegruppen, Selbsthilfevereine, Selbstorganisationen und multikulturelle
Organisationen als eigenständige Organisationstypen ausgemacht
und gegeneinander abgegrenzt, wobei den Abgrenzungskriterien die
Stringenz fehlt. Während die Abgrenzung zwischen Selbsthilfegruppe und Selbsthilfeverein (unterschiedlicher rechtlicher Status)
schlüssig ist, bleibt unklar, warum derselben Typologisierung zufolge
unter „Selbstorganisation“ lediglich Dachverbände von Migrantenorganisationen gefaßt werden, denn das hierzu angeführte Kriterium
der Vernetzung auf lokaler und auch überregionaler Ebene trifft
durchaus auch auf einzelne Selbsthilfevereine und sogar Selbsthilfegruppen zu. Unklar bleibt ebenfalls, wie multikulturelle Organisationen in Abgrenzung zu den anderen Organisationstypen eine eindeutig eigenständige Kategorie bilden, denn außer der herkunftsheterogenen Zusammensetzung trifft das genannte Merkmal „Träger
sozialer Arbeit“ durchaus auch auf die zuvor genannten Selbsthilfegruppen und Selbsthilfevereine zu.14
10 Vgl. Fuchs-Heinritz, Werner/Lautmann, Rüdiger/Rammstedt, Otthein/Wienold, Hanns: Lexikon zur Soziologie, 3. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Opladen 1994,
S. 593-594.
11 Zu dieser Verwendung siehe Büdel, Dragica: Die Selbstorganisation der Jugoslawen in Dortmund - Ein Beispiel erfolgreicher Integration, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und
Ausländerpolitik, 4/1985, S. 172-177.
12 Vgl. Büschges, Günter/Abraham, Martin: Einführung in die Organisationssoziologie, 2., neubearbeitete Aufl., Stuttgart 1997, S. 17-26.
13 Vgl. Heckmann, Friedrich: Ethnische Minderheiten..., a.a.O., S. 102-103.
14 Zu dieser Typologie siehe Boll, Rudolf: Selbsthilfe, Selbstorganisation, multikulturelle Organisation. Organisationstypen, Aufgaben, Entwicklungsnotwendigkeiten in der Migrationssozialarbeit, in: Blätter der Wohlfahrtspflege - Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit 3/96, S. 55-56.
77
2. Forschungsrahmen
Zur Vermeidung begrifflicher Unklarheiten wird hier deshalb als
Oberbegriff die Bezeichnung „Selbstorganisation“ verwendet, die
alle Formen und Ausgestaltungsvarianten der Selbsthilfe von Migranten subsumiert.15 So kann eine Selbstorganisation im konkreten
Fall sowohl ein informeller (z.B. Selbsthilfe- oder Initiativgruppe) als
auch ein formalisierter Zusammenschluß sein (eingetragener Verein,
gegebenenfalls gemeinnützig). Desgleichen bilden Dachorganisationen einen - übergeordneten - Organisationstypus der Migrantenselbstorganisation, die überwiegend in Gestalt herkunftshomogener
Zusammenschlüsse in Erscheinung treten. Neben diesen gibt es
jedoch auch herkunftsheterogene Zusammenschlüsse sowohl auf
regionaler Ebene16 als auch in Form von Spitzenverbänden, in denen
nationalitätenübergreifend meist herkunftshomogene Dachverbände
organisiert sind.17 Teilweise mit Schwierigkeiten verbunden ist die
Einstufung von herkunftsheterogenen Zusammenschlüssen als
Migrantenselbstorganisation. Ein Grund hierfür ist, daß die Initiative
zur Bildung derartiger Zusammenschlüsse oft von deutscher Seite
ausgeht. Neben „multikulturellen“ Organisationen, die in ihren
Aktivitäten und in der Zusammensetzung des Vorstandes und des
angestellten Personals diesen Charakter beibehalten, entwickeln sich
andere in den genannten Bereichen jedoch zu herkunftsheterogenen
Zusammenschlüssen, die bei einer Dominanz nichtdeutscher Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter als Migrantenselbstorganisationen
eingestuft werden können. Mittlerweile existieren auch auf der Ebene
einzelner Selbstorganisationen Zusammenschlüsse, die bei ihrer
Gründung dem Anspruch folgen, eine „multikulturelle“ Migrantenselbstorganisation zu sein, auch wenn diese häufig von der Migrantengruppe eines Herkunftslandes dominiert werden.
Erwähnt werden müssen hier auch die „Grenzfälle“ von Migrantenselbstorganisationen bzw. auch solche Formen von Zusammenschlüssen, in denen Migranten organisiert und aktiv sind, die jedoch
in ihrer Mitgliederstruktur oder ihren Zielsetzungen diese Zuordnung eher nicht gestatten. Unter derartige Grenzfälle fallen beispielsweise binationale „Freundschaftsvereine“ (deutsch-türkisch,
deutsch-arabisch etc.), deren Gründung von offiziellen Stellen oder
politischen Kreisen18 initiiert wurde, um ein Forum für einen intensiveren Austausch in zwischenstaatlichen Beziehungen - auch etwa
in den Außenhandelsbeziehungen - zwischen Volksgruppen zu
schaffen. Aufgrund der Gründungsmotivation und den (ursprünglichen) Zielsetzungen lassen diese formalisierten Zusammenschlüsse
schwerlich eine Zuordnung als „Selbstorganisation“ zu. Vor dem
Hintergrund der Zuwanderung in die Bundesrepublik haben diese
„Freundschaftsvereine“ oder „Gesellschaften“ in einigen Fällen einen
Wandel in der Mitgliederstruktur und den Aktivitäten erfahren, die
sie in die Nähe der Selbstorganisationen gerückt hat.
2.3 Untersuchungsziele
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, auf Grundlage einer
möglichst vollständigen Erfassung der bestehenden Selbstorganisationen der Migranten im Bundesland Nordrhein-Westfalen im
Rahmen einer Erhebung eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, die
empirisch fundierte Aussagen über den Entwicklungsstand der
Migrantenselbstorganisationen liefert. Auf Grundlage der Erhebung,
die einen zentralen Teil der Bestandsaufnahme bildet, sollte eine
Analyse der Struktur der Migrantenselbstorganisationen vorgenommen werden. Unter Struktur ist hier zum einen allgemein eine typologische Einordnung der Organisationen zu verstehen. Ergeben sollte
sich eine Übersicht darüber, welche Typen von Organisationen in
welchen quantitativen Größen und in welcher Verteilung vorhanden
sind und welche Arbeiten sie für ihre Mitglieder und ihre Klientel
leisten. So bilden die Angebote und Dienstleistungen einen zentralen
Aspekt der Untersuchung. Neben Zahlen zu den Mitgliedern und
der Mitgliederstruktur sollten darüber hinaus Daten zur Rechtsform
der Selbstorganisationen, zu ihren Finanzierungsgrundlagen, zu den
Kontakten und der Vernetzung mit anderen Selbstorganisationen und
Einrichtungen der Mehrheitsgesellschaft gewonnen werden. Weitere
Aspekte der Untersuchung, die durch die Erhebung empirische
Daten liefern sollte, sind die Zielgruppen der Selbstorganisationen
sowie die Ermittlung ihrer Angebotsstruktur. Den Hintergrund dieser
Zielsetzung bildet die Überlegung und Absicht, Selbstorganisationen
stärker zu fördern und in integrationspolitische Maßnahmen einzubeziehen. Inwieweit und in welchen Bereichen dies möglich und
erforderlich ist, kann sicherer vor dem Hintergrund ihres Entwicklungsstandes eingeschätzt werden, der auch mögliche Defizite in
den Selbstorganisationen oder Defizite in bestimmten Bereichen der
Selbstorganisation aufzeigt. So zielt die Untersuchung gleichzeitig
darauf, Selbstorganisationen gezielter zu unterstützen und zu fördern,
um sie in ihrer Funktion als Selbsthilfepotential zu stärken. Auf
Grundlage der gewonnenen empirischen Daten und Analyseergebnisse
sollten Empfehlungen zu den Richtlinien gemacht werden, die das
Selbsthilfepotential der Migrantenorganisationen fördern.
15 In der Definition von „Selbstorganisation“ und den verschiedenen Organisationstypen wird hier Jürgen Puskeppeleit und Dietrich Thränhardt gefolgt. Siehe Vom betreuten Ausländer zum gleichberechtigten Bürger. Perspektiven der Beratung und Sozialarbeit, der Selbsthilfe und Artikulation und der Organisation und Integration der eingewanderten
Ausländer aus den Anwerbestaaten in der BRD, Freiburg i. Br. 1990. Ein alternativer Begriff, der neurdings verwendet wird, ist „Eigenorganisation“. Vgl. Fijalkowski, Jürgen/
Gillmeister, Helmut: Ausländervereine - ein Forschungsbericht. Über die Funktion von Eigenorganisationen für die Integration heterogener Zuwanderer in eine Aufnahmegesellschaft - am Beispiel Berlins, Berlin 1997.
16 Als ein Beispiel sei hier der „Dachverband der Ausländer-Kulturvereine in Bremen e.V.“ (DAB) genannt.
17 Als Beispiele hierfür seien die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände“ (BAGIV), die nationalitätenübergreifenden islamischen Spitzenverbände wie der „Zentralrat
der Muslime in Deutschland“ (ZMD) und der „Islamrat“, und als länderübergreifender Zusammenschluß das „Europäische Immigrantenforum“ genannt.
18 Gemeint sind hier Organisationen wie die „Deutsch-Türkische Gesellschaft“, zu der es Pendants für verschiedene andere Nationalitäten gibt, oder „Freundschaftsvereine“, die
hiesigen politischen Parteien nahestehen.
78
2. Forschungsrahmen
2.4
Methodik
2.4.1 Grundgesamtheit
Grundsätzlich wurde versucht, möglichst viele (theoretisch alle)
Selbstorganisationen der ausgewählten Staatsangehörigkeiten zu
erfassen und diese wiederum möglichst komplett zu befragen. In
diesem Sinne war also eine Totalerhebung das theoretische Ziel.
Faktisch stand jedoch von vornherein fest, daß dies nicht möglich
sein würde. Insgesamt konnten 1.785 Organisationen erfaßt werden,
von denen 1.435 Selbstorganisationen der entsprechenden Nationalitäten waren, die in diesem Projektteil untersucht werden. Bei den
übrigen 350 Organisationen handelte es sich einerseits um deutsche
Einrichtungen (z.B. Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände, multikulturelle Einrichtungen der Kommunen oder anderer deutscher
Träger) und um Selbstorganisationen anderer Nationalitäten
(z.B. Iraner, Afghanen, Araber).
Die Grundgesamtheit, die das Zentrum für Türkeistudien untersuchte, wurde von türkischen (auch kurdischen), bosnischen, marokkanischen, tunesischen und algerischen Selbstorganisationen in
Nordrhein-Westfalen gebildet. Eine Ausnahme bilden die christlichen
türkischen Vereine (Aramäer, syrisch-orthodoxe Kirche), die durch
das Institut für Politikwissenschaft in Münster befragt wurden. Die
Selbstorganisationen aller anderen Herkunftsländer gehörten ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich des Kooperationspartners in
Münster.
Die Teilung der Gesamtuntersuchung zwischen dem Institut für
Politikwissenschaft der Universität Münster und dem Zentrum für
Türkeistudien erforderte eine inhaltliche Abstimmung sowohl der
Untersuchungsziele wie der Methodik. Das methodische Vorgehen
wurde dahingehend aufeinander abgestimmt, daß inhaltlich weitgehend identische Fragebögen verwendet wurden. Lediglich einige
Fragen sind nur in einem der Fragebögen enthalten; so etwa nach
der Zusammensetzung der Mitglieder nach Altersgruppen und Geschlechtern (nur Münster) und der Quadratmeterzahl der Räumlichkeiten (Münster).
2.4.2 Erfassung der Adressen
Der erste Untersuchungsschritt war die Erfassung der Selbstorganisationen der Migranten der hier untersuchten Herkunftsländer.
Die über die verschiedenen Quellen erfaßten Selbstorganisationen
wurden in einer dBase-Datenbank gesammelt. Eine zentrale Quelle
bilden die Ausländerbeiräte, die als Gremien vor Ort aus ihrem Selbstverständnis heraus den intensivsten Kontakt zu Selbstorganisationen
haben sollten und größtenteils auch haben. Mit Hinweis auf das Ziel
der Untersuchung wurden die 139 Ausländerbeiräte in NordrheinWestfalen schriftlich darum gebeten, die ihnen bekannten Adressen
von Vereinen mitzuteilen. Während ein Großteil dieser Bitte nachkam, gab es auch einzelne Beiräte, die ihr nicht folgten. Ein Grund
hierfür ist, daß einige Beiräte als solche keine intakten Gremien sind.
Bei anderen wiederum bestanden Vorbehalte gegen die Untersuchungsziele oder es fand sich keine Mehrheit dafür, die Untersuchung durch die Bereitstellung der Vereinsadressen zu unterstützen.
Im Zusammenhang mit den Ausländerbeiräten muß insbesondere die
Landesarbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte (LAGA) in Nordrhein-Westfalen genannt werden, die als Institution ihrerseits das
Projekt dergestalt unterstützte, daß sie die Mitgliedsbeiräte über die
Erhebung informierte und dazu aufforderte, die Untersuchung zu
unterstützen. Einzelne Mitglieder der LAGA-Gremien waren zudem
persönlich dabei behilflich, Adressen aus ihrem Umfeld zusammenzutragen oder die Selbstorganisationen im eigenen Umfeld über die
Ziele der Untersuchung aufzuklären und so mögliche Bedenken zu
reduzieren.
Eine weitere Quelle zur Erfassung der Migrantenselbstorganisationen waren Stadtverwaltungen, zu denen fernmündlich oder schriftlich Kontakt aufgenommen wurde. Die verschiedenen Ämter waren
insbesondere in den Gemeinden eine wichtige Informationsquelle,
in denen keine eigenen Ausländerbeiräte oder vergleichbare Gremien
bestehen. Insbesondere die Kultur- und Jugendämter der Städte waren
behilflich, Adressen von Vereinen zur Verfügung zu stellen. Teilweise
stellten sie Städte- oder Gemeindeführer zur Verfügung, in denen
teilweise auch Adressen von Migrantenorganisationen enthalten sind.
In ähnlicher Weise waren auch die Einrichtungen der Wohlfahrt
dabei behilflich, die Adressen vor Ort befindlicher Selbstorganisationen zusammenzutragen.
Adressen von Selbstorganisationen sind auch in offiziellen
Adressenverzeichnissen und Branchenbüchern erfaßt, die seit Mitte
der 90er Jahre zunehmend erstellt bzw. vorbereitet werden. Die vornehmlich türkischen Branchenführer enthalten neben Adressen privatwirtschaftlicher Einrichtungen auch die von Beratungseinrichtungen und Selbstorganisationen, die in der Vorbereitungsphase
durch Eingabe in eine dBase-Datenbank ausgewertet wurden.19
Nicht zuletzt die Dachorganisationen der Migrantenorganisationen selber stellten - wenn auch nicht alle - die Adressenlisten ihrer
Mitgliedsvereine zur Verfügung und versuchten, diese in der Erhebungsphase durch persönlichen Einsatz zu einer Teilnahme an der
Untersuchung zu motivieren. Zur Erfassung weiterer, möglicherweise
fehlender Adressen wurden die während der Feldphase angeschriebenen Selbstorganisationen gebeten, ihnen bekannte Adressen mitzuteilen. Eine weitere Quelle, die bei der Erfassung der bestehenden
Vereine erfolgreich genutzt werden konnte, ist die Presse. Sowohl in
nationalitätenspezifischer Tagespresse als auch in Presseorganen, die
in größeren zeitlichen Abständen erscheinen, konnten mittels entsprechender Nachrichten neugegründete Vereine ermittelt und miteinbezogen werden.
19 Siehe İş Rehberi. Altın Sayfalar. Branchenbuch NRW 1997, Berlin 1997; Beyaz Sayfalar. Dünya Türk İş Yerleri Rehberi. Branchenbuch türkischer Firmen in der Welt 1996-1997,
İstanbul 1997.
79
2. Forschungsrahmen
2.4.3 Fragebogen
Parallel zur Adressensammlung erfolgte die Konstruktion und
Abstimmung des Fragebogens. Der zentrale Untersuchungsschritt
zur Bestandsaufnahme der Zahl und Struktur der Selbstorganisationen
in Nordrhein-Westfalen war die Erhebung, die mittels eines überwiegend standardisierten Fragebogens erfolgte, der allen mit Adresse
erfaßten Selbstorganisationen zugestellt wurde. Der Erhebungsbogen setzte sich überwiegend aus geschlossenen Fragen zusammen,
in denen alternativ vorgegebene Antwortmöglichkeiten anzukreuzen
waren. Lediglich einige der Fragen waren offen und gaben so die
Möglichkeit, eigene Antwortalternativen zu formulieren. Sie dienten
der Aufführung von Beispielen für durchgeführte bzw. geplante Angebote oder solche, die die Orientierung der Selbstorganisation
dokumentieren. Eine weitere offene Frage betrifft die Erwartungen
an das Land Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Integrationspolitik.
Die systematische Datengewinnung durch den teilstandardisierten
Fragebogen, der den Selbstorganisationen zugeschickt wurde, sollte
zum einen Grunddaten zu den einzelnen Einrichtungen geben, wie
Gründungsjahr, Mitgliederzahl und die Mitgliedschaft in Dachorganisationen. Einen weiteren Punkt bildeten die Finanzierungsgrundlagen der Organisationen. Auf Grundlage dieser Grunddaten sollten
Aussagen zur Organisationsdichte, Organisationsstruktur, zu Kontakten und Kooperationen ermöglicht werden. Einen Themenkomplex im Erhebungsbogen bildeten die Zielgruppen und die Angebote
der Selbstorganisationen.
Der Fragebogen wurde inhaltlich mit dem Kooperationspartner
abgestimmt. Aufgrund allgemeiner wie eigener Erfahrungen mit den
Nachteilen schriftlicher Befragungen war ursprünglich eine weitgehend standardisierte telefonische Befragung vorgesehen. Leider
konnte diese nicht durchgeführt werden, sodaß die Befragung schriftlich erfolgen mußte. Um Mißverständnisse und Fehler so weit wie
möglich zu reduzieren, wurden auch hier nach Möglichkeit vollstrukturierte Fragen verwendet.
Der Fragebogen selbst umfaßte 31 Fragen zu folgenden Bereichen:
- Angaben zum Verein (Name des Vorsitzenden, Gründungsjahr,
Anlaß der Vereinsgründung,
evtl. Vorläuferorganisationen, Rechtsform, Mitgliederzahl,
Mitgliedschaft in Dachverbänden,
evtl. Anschluß an Wohlfahrtsverbände und Kooperation mit
anderen Selbstorganisationen)
- Kontakte zur Heimat (Kontakte zu Parteien und anderen
Organisationen)
- Kontakte in Deutschland (Kontakte zu deutschen Parteien, zur
Kommunalverwaltung, zu Einrichtungen des Landes und zu
anderen deutschen Organisationen)
- Finanzierung/Mitarbeiter/Räume
- Zielgruppen und spezifische Angebote
- Orientierung der Arbeit auf die Heimat/Deutschland/beides
20 Das Begleitschreiben befindet sich im Anhang des Endberichtes.
80
Für die obengenannten Fragen wurde die voll- oder teilstrukturierte
Form gewählt. Als offene Fragen wurden erhoben:
- Beispiele für laufende Angebote
- Beispiele für geplante Angebote
- Publikationen/Veröffentlichungen/Broschüren o.ä. des Vereins
- die Meinung zur Frage, was hinsichtlich der Integration der ausländischen Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen besonders
beachtet werden muß
2.4.4 Feldphase
Ab Mai 1997 wurde allen Selbstorganisationen, die in den Untersuchungsbereich fielen oder bei denen die Möglichkeit bestand, daß
es sich um eine Organisation der untersuchten Nationalitäten handelt,
der Fragebogen mit einem Begleitschreiben zugestellt. Das Begleitschreiben enthielt Informationen zum Auftraggeber und zu den
Zielsetzungen der Untersuchung.20 Um mögliche Bedenken auf
Seiten der Selbstorganisationen beseitigen zu können, wurde durch
Angabe der Telefonnummer die Möglichkeit gegeben, direkte Rückfragen zu stellen. Zur Motivierung wurde in dem Begleitschreiben
zudem darauf hingewiesen, daß alle Selbstorganisationen, die sich
an der Erhebung beteiligen, nach Abschluß der Untersuchung ein
Handbuch aller in Nordrhein-Westfalen ansässigen Selbstorganisationen zugeschickt bekommen werden.
Um die bei schriftlichen Befragungen bekanntlich niedrige
Rücklaufquote zu erhöhen, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen. So wurde der Fragebogen vor der Erhebung ins Türkische
übersetzt und in Form einer zweisprachigen Version verschickt. Eine
Übersetzung ins Kurdische, Serbokroatische und Arabische konnte
wegen des dazu erforderlichen personellen, technischen, zeitlichen
und finanziellen Aufwands nicht angefertigt werden. Die Zweisprachigkeit des Fragebogens hatte eine klare, den Rücklauf steigernde
Wirkung, was daraus ersichtlich wird, daß rund zwei Drittel der türkischen Vereine auf Türkisch antworteten. Um die Motivation zu
erhöhen, wurde jedem Fragebogen ein frankierter Rückumschlag
beigelegt.
Nach Beginn der ersten Verschickung kamen insgesamt 132
Sendungen als unzustellbar zurück. Da davon auszugehen war, daß es
sich in diesen Fällen nicht allein um Vereine handelte, deren Aktivitäten zum Stillstand gekommen waren oder die sich in der Zwischenzeit aufgelöst hatten, wurde durch telefonische Kontaktaufnahme zu
Einrichtungen vor Ort (Ausländerbeirat, Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände oder Selbstorganisationen) versucht, die aktuellen
Adressen dieser Vereine zu ermitteln. In den Fällen, wo dies gelang,
wurde unverzüglich der Fragebogen an die neue Adresse geschickt.
Im gesamten Erhebungszeitraum wurden auch Vereine angeschrieben, die neu ermittelt wurden. Hierbei handelt es sich hauptsächlich
um solche, auf die Selbstorganisationen in dem ausgefüllten Fragebogen hinwiesen oder über deren Gründung man Informationen erhielt.
2. Forschungsrahmen
Eine weitere Maßnahme, die Beteilung an der Erhebung zu
erhöhen, war es, die Dachverbände einzubeziehen. Zeitgleich zu den
anderen Selbstorganisationen wurde den Vorsitzenden der Dachverbände zusammen mit dem Fragebogen ein gesondertes Schreiben
zugeschickt, in dem darum gebeten wurde, die Mitgliedsvereine zur
Teilnahme an der Erhebung zu motivieren. Während einige Zentralen
der türkischen Dachverbände weder selber den Fragebogen ausfüllten, noch die Mitgliedsvereine zur Teilnahme motivierten,21 unterstützten andere Dachverbände die Erhebung. Im Falle der Dachverbände, die die Untersuchung nicht unterstützten, gab es dennoch
einzelne Mitgliedsvereine, die sich an der Erhebung beteiligten. In
anderen Fällen meldeten sich Mitgliedsvereine fernmündlich oder
schriftlich, um mitzuteilen, daß sie nicht die Kompetenz hätten, den
Fragebogen auszufüllen, und verwiesen uns an die Zentrale.22 Die
Dachverbände, die selber an der Erhebung teilnahmen, unterstützten
sie in der Weise, daß sie die Vertreter einzelner Mitgliedsvereine über
die Untersuchung informierten und diese ebenfalls dazu anhielten,
den Fragebogen auszufüllen. Die Zentrale der „Türkisch-Islamische
Union der Anstalt für Religion“ (Diyanet İşleri Türk İslâm Birliği DİTİB) schickte, als sich nach der ersten Verschickung die Teilnahmequote als nicht zufriedenstellend herausstellte, parallel zur zweiten
Verschickung der Fragebögen ein eigenes Schreiben an die Mitgliedsvereine, in dem sie darauf hinwies, daß sie die Untersuchung unterstütze und die Mitgliedsvereine ebenfalls um Unterstützung bat.
Dieses zusätzliche Schreiben erhöhte deutlich die Beteiligung der
Moscheevereine, die der DİTİB angeschlossen sind.
Schon während der Erhebung wurde mit Hilfe des Datenbankprogramms dBase sukzessive digitalisiert. Nach Abschluß der Feldphase wurden die Antworten in das Statistikprogramm SPSS übernommen, bereinigt, recodiert und ausgewertet.
2.4.5 Tiefeninterviews
Neben der Erhebung, die quantifizierbare Daten erbringen sollte,
wurden in einem folgenden Untersuchungsschritt mit einer Auswahl
von 10 Vertretern von Selbstorganisationen Tiefeninterviews geführt,
bei denen stärker die qualitativen Aspekte der Aktivitäten und auch
der Schwierigkeiten der Selbstorganisationen im Vordergrund standen. So wurden auf Grundlage leitfadengestützter Interviews Gespräche geführt, bei denen zusätzliche Informationen über das Selbstverständnis, die Orientierung, Schwierigkeiten und Möglichkeiten
sowie Erwartungen der Selbstorganisationen an das Land gewonnen
wurden. Bei der Auswahl der Gesprächspartner der verschiedenen
Selbstorganisationen wurde darauf geachtet, verschiedene Selbstorganisationstypen zu berücksichtigen. Die Auswertung der auf diese
Weise gewonnenen Ergebnisse sollte in den qualitativen Teil, also
der Beurteilung der Leistungen und auch der Schwierigkeiten der
Migrantenorganisationen, miteinfließen.
Im August und September wurde allen Selbstorganisationen, die
bis zu dem Zeitpunkt nicht reagiert hatten, im Rahmen einer zweiten
Verschickung erneut der Fragebogen mit einem Erinnerungsschreiben
zugeschickt. Zu Vereinen, die auch auf das zweite Schreiben nicht
reagierten, wurde nach zwei weiteren Wochen telefonisch Kontakt
aufgenommen. Die telefonische Kontaktaufnahme wurde aus unterschiedlichen Gründen vorgenommen. Zum einen sollte hierdurch in
Erfahrung gebracht werden, ob die Vereine tatsächlich die Sendung
erhalten hatten. Bei der zweiten Verschickung wurden etwa Unregelmäßigkeiten bei der Zustellung durch die Post festgestellt. So kamen
Sendungen als unzustellbar zurück, die bei der ersten Verschickung
nicht Retour kamen. Der Hauptgrund für die telefonische Erinnerung war jedoch, die Vereine durch eine persönlichere Form der
Kontaktaufnahme zu einer Teilnahme zu bewegen. Schon zuvor war
aufgrund telefonischer Rückfragen deutlich geworden, daß bei einigen Einrichtungen Vorbehalte bestanden, die durch ein Gespräch in
vielen Fällen zu beseitigen waren. Durch die telefonische Kontaktaufnahme seitens der Forschungseinrichtung sollten weiteren Selbstorganisationen, die möglicherweise Bedenken hatten, diese ausgeräumt und eine Teilnahme herbeigeführt werden. Die telefonische
Erinnerung erwies sich als nützlich, denn in vielen Fällen beteiligten
sich Vereine erst nach dem Gespräch.
21 Die Dachverbände, die sich nicht an der Erhebung beteiligten, sind die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüş“ (IGMG), die „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa“ (Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu, kurz: Türk Federasyon) sowie die „Türkisch-Islamische Union in Europa“ (Avrupa Türk İslam
Birliği - ATİB).
22 Dies war bei Mitgliedsvereinen der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa“ (Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu - Türk
Federasyon) der Fall.
81
3. Bevölkerungszahlen der untersuchten Migrantengruppen
Bevor auf die Ergebnisse der Untersuchung eingegangen wird,
soll zunächst ein Blick auf die Ausgangslage hinsichtlich der Bevölkerungsgruppen, die in die Untersuchung einbezogen wurden, eingegangen werden. Demographische Grunddaten und Besonderheiten
bei den einzelnen Migrantengruppen dienen als Anhaltspunkte für
den Organisationsgrad und die Organisationsdichte bei den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Desweiteren geben demographische
Grunddaten Anhaltspunkte für die Orientierung der Selbstorganisationen, geben Aufschluß über neue Tätigkeitsfelder sowie Entwicklungen bei den Neugründungen von Vereinen selber. Die vorliegende Teiluntersuchung war auf die Migranten aus der Türkei, BosnienHerzegowina sowie die Staaten des Maghreb (Marokko, Tunesien
und Algerien) beschränkt. Für die derartige Festlegung waren unterschiedliche Kriterien maßgeblich. Eines dieser Kriterien war, daß
es sich um Migranten aus den klassischen Anwerbestaaten handelt,
für die jedoch als Bürger aus Nicht-EU-Staaten andere rechtliche
Rahmenbedingungen als für Migranten aus EU-Mitgliedsstaaten bestehen. Ein weiteres Moment für die Auswahl ist die Zugehörigkeit
zu einer anderen Religion, die in der Bundesrepublik erst durch die
Zuwanderung dieser Gruppen eine größere quantitative Bedeutung
erlangte, die auch eine eigene Entwicklung bei der Bildung von
Selbstorganisationen nach sich zog.
3.1 Türken
Die größte Zuwanderergruppe in der Bundesrepublik bilden die
Migranten aus der Türkei. Die Gesamtzahl türkischer Staatsbürger
in der Bundesrepublik betrug am Stichtag 31.12.1997 2.107.426.
Bei einer Gesamtzahl von 7.365.833 nichtdeutschen Staatsangehörigen liegt ihr Anteil an der nichtdeutschen Wohnbevölkerung insgesamt bei 28,6%. Ihr prozentualer Anteil unter den Migranten der
klassischen Anwerbestaaten (neben der Türkei sind dies das ehemalige Jugoslawien, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Tunesien
und Marokko), deren Zahl bei insgesamt 4.721.350 liegt, erhöht sich
auf 44,6%.23 Mit 714.998 Personen insgesamt lebt über ein Drittel
aller türkischen Staatsbürger (33,9%) im Bundesland NordrheinWestfalen.24 Der Anteil der türkischen Staatsbürger an allen nichtdeutschen Migranten in Nordrhein-Westfalen liegt bei einer Gesamtzahl von 2.011.363 bei 35,5%. Ihr Anteil unter den Migranten aus
den Anwerbestaaten (1.413.672 absolut) liegt mit 50.6% über dem
Bundesdurchschnitt.
Die Altersgruppe 0-18 (bis zum unvollendeten 18. Lebensjahr) nimmt
mit 702.192 Personen einen Anteil von 33,3%, also rund einem
Drittel der Gesamtgruppe ein. Bezieht man bei der Berechnung der
Verteilung nach Altersgruppen die jungen Erwachsenen bis 25 Jahren
mit ein, erhöht sich die Zahl auf 1.022.653 und der Anteil auf 48,5%,
also auf nahezu die Hälfte aller türkischen Staatsbürger. Mit Ausnahme der Jahre 1984-85, in denen aufgrund der Rückkehrförderungsmaßnahme der Bundesregierung ein leichter Rückgang zu verzeichnen war, ist unter der türkischen Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik ein kontinuierlicher Zuwachs zu verzeichnen.
3.2 Kurden
Zu den Kurden sowie ihrer Verteilung in der Bundesrepublik
lassen sich keinerlei exakte Angaben machen, da diese Bevölkerungsgruppe nicht nach der ethnischen Zugehörigkeit sondern nach der
Staatsangehörigkeit erfaßt wird. Der größte Teil der in der Bundesrepublik lebenden Kurden stammt aus der Türkei, von denen die
meisten im Rahmen des Anwerbeabkommens als Arbeitnehmer in
die Bundesrepublik gekommen sind. Ein kleiner Teil von ihnen ist
als Flüchtling in die Bundesrepublik gekommen. Die Schätzungen,
die zu ihrer Gesamtzahl in der Bundesrepublik gemacht werden,
gehen von ca. 500.000 aus, was nahezu einem Viertel aller Migranten aus der Türkei entspräche. Nahezu die Hälfte der Kurden aus der
Türkei lebt Schätzungen zufolge im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Während der Anteil der Arbeitsmigranten unter ihnen auf 85%
geschätzt wird, soll der Anteil der Flüchtlinge bei 15% liegen.25
Neben Kurden aus der Türkei gibt es in kleineren Zahlen auch Kurden
aus dem Irak und Syrien. Auch bei ihnen können keine exakten Angaben zu ihren Zahlen gemacht werden. Ihr Anteil unter den Kurden
in der Bundesrepublik wird auf 5% geschätzt.26 Aufgrund fehlender
statistischer Daten lassen sich auch keine Angaben zu sozio-demographischen Besonderheiten der Kurden machen. Schätzungen und
Beobachtungen zufolge hat sich die demographische Entwicklung
unter der kurdischen Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik dahingehend von der türkischen unterschieden, als daß der prozentuale
Anteil unter den türkischen Staatsbürgern in der Bundesrepublik
durch die größere Familiendurchschnittsgröße sowie die Zuwanderung von Flüchtlingen in den achtziger Jahren gegenüber den Erstgenannten anteilig stärker gestiegen sei.
Bei der geschlechtsspezifischen Verteilung der türkischen Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik überwiegen mit 1.147.178 männliche Personen (54,4%) gegenüber Personen weiblichen Geschlechts
(960.248/45,6%). Eine auffallende Besonderheit der türkischen
Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik ist die Altersstruktur, die
sich durch einen hohen Anteil junger Menschen auszeichnet.
23 Offizielle Daten des Statistischen Bundesamtes. Vgl. Zentrum für Türkeistudien: Ausländer in Europa. Ausländer in Deutschland. Türken in Deutschland. Daten der amtlichen
Statistik, Essen, Juli 1998, S. 18-19 (unveröffentlicht).
24 Ebd., S. 26.
25 Saydam, Abubekir: Eine Kurzstudie über die Kurden in Nordrhein-Westfalen, Köln, Oktober 1997 (unveröffentlichtes Spezialgutachten, das im Rahmen des Projektes erstellt
wurde), S. 29-30. (Abschnitt 3)
26 Saydam, Abubekir, a.a.O., S. 30.
82
3. Bevölkerungszahlen der untersuchten Migrantengruppen
3.3 Bosnier
3.4 Migranten aus den Maghreb-Staaten
Eine große Migrantengruppe bilden Bürger aus dem ehemaligen
Jugoslawien, das zu den Anwerbestaaten gehört. Die Zahl der Bürger
aus dem ehemaligen Jugoslawien insgesamt, die die achtziger Jahre
hindurch relativ konstant geblieben war und bei ca. 600.000 lag, ist
nach Beginn des Bürgerkrieges durch die Zuwanderung von Kriegsflüchtlingen ab 1991 kontinuierlich angewachsen und lag 1996
(31.12.) bei 1.353.300. Aufgrund der Rückführung der Kriegsflüchtlinge ist die Zahl der Migranten aus dem früheren Jugoslawien insgesamt rückläufig und lag 1997 (31.12.) bei 1.269.606. Offizielle
Daten zur Zahl der Bosnier aus der Zeit vor dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien liegen nicht vor. Erst nach Beginn des Bürgerkrieges wurde damit begonnen, sie statistisch gesondert zu erfassen.
Lag die Zahl der statistisch erfaßten Bosnier 1992 noch bei lediglich
19.900, erhöhte sie sich bis 1996 (31.12.) auf 340.500, ist aber im
darauffolgenden Jahr (31.12.97) auf 281.380 gesunken.27 Diese Zahl
entspricht einem Anteil von 3,8% aller nichtdeutschen Staatsbürger
in der Bundesrepublik und einem von 5,9% aller Migranten aus den
Anwerbestaaten. Bedacht werden muß, ohne daß hierzu nähere
Angaben möglich sind, daß sich hierunter neben Arbeitsmigranten
auch Kriegsflüchtlige befinden. Da ein großer Teil der Bosnier als
Kriegsflüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen ist, dürfte aufgrund der Rückführpläne nach Beendigung des Bürgerkrieges die
Zahl in nächster Zeit weiter zurückgehen. Die Zahl der bosnischherzegowinischen Staatsbürger in Nordrhein-Westfalen lag 1997
(31.12.) bei 64.838, das entspricht einem knappen Viertel (23%)
aller Bosnien-Herzegowiner in der Bunderepublik.28 Hinsichtlich
der Sozialstruktur der bosnisch-herzegowinischen Migranten lassen
sich keine genaueren Angaben machen. In allgemeineren Darstellungen wird darauf hingewiesen, daß bei der Zuwanderung aus
dem ehemaligen Jugoslawien ein anderes Immigrationsmuster dominierte. So lebt nur rund ein Viertel von ihnen zusammen mit allen
Familienangehörigen in der Bundesrepublik.29
Migranten aus den Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und
Tunesien bilden hinsichtlich ihrer Zahlenstärke im Verhältnis zu Migranten aus den zuvor genannten Anwerbestaaten kleinere Gruppen.
Während Marokkaner und Tunesier im Rahmen von Anwerbeabkommen in die Bundesrepublik gekommen sind, handelt es sich im
Falle der Algerier, deren Zahl nach Beginn des Bürgerkrieges in
Algerien stark angewachsen ist, überwiegend um Flüchtlinge. Unter
den Migranten aus den Maghreb-Staaten bilden Marokkaner die
größte Gruppe. Ihre Gesamtzahl in der Bundesrepublik belief sich
1997 (Stichtag 31.12.) auf 83.904. Ihre Zahl, die in den letzten beiden
Jahrzehnten kontinuierlich angewachsen ist, ist seit 1993 relativ konstant geblieben und verzeichnete 1997 eine geringfügige Zunahme.
Der Anteil der Marokkaner an allen Migrantengruppen beläuft sich
auf lediglich 1,1%. Der Anteil unter den Migranten der verschiedenen Anwerbestaaten wiederum liegt bei 1,8%. In NordrheinWestfalen lag im selben Jahr die Zahl der Marokkaner bei 45.593,
womit mehr als die Hälfte (54,3%) aller in der Bundesrepublik
lebenden marokkanischen Staatsbürger auf dieses Bundesland entfallen. Ihr Anteil unter allen Migrantengruppen liegt hier bei rund
2,7%, derjenige unter den Migranten aus den Anwerbestaaten bei
3,2%.
Die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Tunesier betrug
1997 (31.12.) 25.700, womit sie eine relativ kleine Migrantengruppe
darstellen. Ihr Anteil an allen Migrantengruppen liegt bei 0,3%, derjenige unter den Migranten aus den Anwerbestaaten bei 0,5%. Die
Zahl ist seit 15 Jahren relativ konstant geblieben, es ist also kein
kontinuierlicher Zuwachs zu verzeichnen wie bei den obengenannten
Migrantengruppen. Mit 8.888 absolut leben etwas mehr als ein Drittel (34,6%) aller Tunesier in Nordrhein-Westfalen. Unter allen nichtdeutschen Staatsbürgern entspricht das einem Anteil von 0,4%.
Bezogen auf die Migranten aller Anwerbestaaten liegt der Anteil der
Tunesier in Nordrhein-Westfalen bei 0,6%. Die Zahl der Algerier,
1996 (31.12.) 17.200, ist ab 1992 stärker angewachsen. 1993 hatte
sie mit 23.100 ihren Höchststand erreicht, ist seitdem jedoch kontinuierlich zurückgegangen.30
27 Zentrum für Türkeistudien: Ausländer in Europa. Ausländer in Deutschland. Türken in Deutschland. Daten der amtlichen Statistik, zusammengestellt von Klaus Schneiderheinze,
Essen, Dezember 1996, S. 20-21 (unveröffentlicht).
28 Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden.
29 Vgl. Belosevic, Danijela/Stanisavljevic, André: Die ehemaligen «jugoslawischen» Minderheiten, in: Schmalz-Jacobsen, Cornelia/Hansen, Georg (Hg.): Ethnische Minderheiten
in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Lexikon, München 1995, Seite 269-285; hier: S. 280.
30 Ebenda, S. 22-23.
83
4. Selbstorganisationen von Migranten in Deutschland
4.1 Funktionen und Funktionswandel bei
Selbstorganisationen
Bei einer Untersuchung zu Migrantenselbstorganisationen muß
einleitend auf die unterschiedlichen Funktionen eingegangen werden,
die sie wahrnehmen. Unabhängig von den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung ist bereits aufgrund des intensiven Kontaktes
zu Selbstorganisationen im Rahmen vorheriger Untersuchungen ein
Funktionswandel bei diesen zu beobachten, auf den hingewiesen
werden muß.
a) Schutzfunktion: Eine Aufgabe, die Selbstorganisationen insbesondere in den ersten Jahren nach der Zuwanderung übernehmen,
teilweise aber auch nach längerer Verbleibdauer beibehalten, ist die
des „Schutzes“.31 In einer Phase, in der einzelne Individuen aber
auch Familien einer Migrantengruppe Schwierigkeiten haben, sich
in der neuen Umgebung auch in ganz praktischen Dingen zurechtzufinden, bietet die Selbstorganisation die Möglichkeit zu Hilfestellungen im Austausch mit anderen und gibt den einzelnen Individuen
Geborgenheit. Die Schutzfunktion in diesem Sinne, die mit zunehmender Verbleibdauer obsolet werden sollte, bleibt aufgrund von
Diskriminierungserfahrungen bestehen32 und kann, wie im Falle der
gewalttätigen Übergriffe gegen Migranten in den vergangenen Jahren,
erneut reaktiviert werden.
b) Pflege der Herkunftskultur: Ein zentrales Motiv für die Bildung von Selbstorganisationen ist der Wunsch, die eigene Kultur
oder auch Religion gemeinsam mit anderen Angehörigen der eigenen
Migrantengruppe kollektiv zu pflegen. Dies geschieht bereits durch
die Möglichkeit der Begegnung und des Kontaktes untereinander,
die Selbstorganisationen bieten. Des weiteren werden in diesem
Rahmen Veranstaltungen organisiert und Feste gemeinsam begangen.
In diesem Sinne bilden Selbstorganisationen auch den Rahmen für
eigene Formen der Freizeitgestaltung. Für die folgenden Generationen, die im Zuwanderungsland geboren sind und aufwachsen,
kommt diesen Aktivitäten eine neue Qualität zu.
c) Sozialisationsfunktion: Im Rahmen der innergemeinschaftlichen Zusammenschlüsse übernehmen die Vereine für die Nachfolgegenerationen eine Sozialisationsfunktion. Für die Nachfolgegenerationen sind Migrantenselbstorganisationen somit von großer Bedeutung für die Tradierung der Kultur und Werte des Herkunftslandes,
insbesondere deshalb, weil in Einrichtungen und Institutionen der
Aufnahmegesellschaft diesbezüglich zu geringe Angebote bestehen.
d) Identitätsstützende Funktion: Bezogen auf die zweite und dritte
Generation der Zuwanderer nehmen Selbstorganisationen darüber
hinaus eine identitätsstützende Funktion wahr. Vor dem Hintergrund
der Ausgrenzungserfahrungen hier geborener und aufwachsender
Jugendlicher und den hiermit verbundenen Schwierigkeiten der
Identitätsfindung bieten Selbstorganisationen die Möglichkeit, unter
„Seinesgleichen“ Halt zu finden, und können somit eine stabilisierende Funktion bei der Identitätsbildung einnehmen.
e) Selbstverwirklichungsfunktion: Unter diesem Begriff lassen
sich die Möglichkeiten subsumieren, die Selbstorganisationen Einzelpersonen bieten. Selbstorganisationen bieten einzelnen Angehörigen einer zugewanderten Minderheit durch die Partizipation an den
Aktivitäten die Möglichkeit, gestalterische und organisatorische
Aufgaben zu übernehmen, durch die eine Form der persönlichen
Selbstverwirklichung erreicht werden kann. Die aktive Mitarbeit in
einem Verein oder einem ähnlichen Zusammenschluß bietet einzelnen die Möglichkeit, soziale Anerkennung zu erlangen oder sich
gegenüber anderen sozial profilieren zu können, indem die Mitgliedschaft aktiv wahrgenommen wird oder eine Funktion, wie die des
Vorsitzenden oder die der Vorstandsmitgliedschaft, übernommen
wird.33 Die geringeren Chancen, diese Funktion in einer Einrichtung
der Aufnahmegesellschaft zu übernehmen, ist als eine weitere Ursache dafür anzusehen, daß sich sehr viele Migranten in eigenen
Vereinen engagieren.34
f) Interessenvertretung: Eine zentrale Aufgabe und Funktion, die
Selbstorganisationen wahrnehmen und dem gewandelten Selbstverständnis entsprechend stärker übernehmen möchten, ist die der Interessenvertretung. Auf lokaler Ebene bemühen sich einzelne Vereine,
ihre Interessen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft bzw. ihren Einrichtungen in organisierter Form wahrzunehmen. Hier seien als
Beispiel Elternvereine genannt, die sich für die Verbesserung der
schulischen Situation der Kinder auch gegenüber den Schulen bzw.
Schulämtern einsetzen. In übergeordneten Zusammenschlüssen
(Dachverbänden) bemühen sich Selbstorganisationen um die Durchsetzung spezifischer Interessen (Bsp. muttersprachlicher Unterricht,
Religionsunterricht an Schulen) oder versuchen, als Interessenvertretung einer oder verschiedener Migrantengruppen zu wirken.
31 Vgl. von Breitenbach, Barbara: Ausländer-Vereine und Interessenvertretung, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 4/1986, S. 182-187; hier: S. 182.
32 Vgl. Büdel, Dragica. a.a.O., S. 176.
33 Vgl. Karakaşoğlu, Yasemin: Brückenfunktion der ethnischen Kolonie. Zur Rolle der zweiten Generation, in: Karpf, Ernst/Kiesel, Doron (Hg.): Politische Kultur und politische
Bildung Jugendlicher ausländischer Herkunft, Frankfurt am Main 1996, S. 49-60.
34 Die Rolle, die hier sowohl innerhalb der eigenen Gruppe als auch als Mittler zur Mehrheitsgesellschaft übernommen werden kann, wird auch mit dem Begriff »ethnic leader«
umschrieben. Vgl. Unbehaun, Horst: »Ethnic Leaders« in lokalen Organisationen türkischer Migranten. Katalysatoren der Entwicklung einer Kolonie, in: Waldhoff, Hans-Peter/
Tan, Dursun/Kürşat-Ahlers, Elçin (Hg.): Brücken zwischen Zivilisationen. Zur Zivilisierung ethnisch-kultureller Differenzen und Machtungleichheiten. Das deutsch-türkische
Beispiel, Frankfurt am Main 1997, S. 197-212.
84
4. Selbstorganisationen von Migranten in Deutschland
g) Brückenfunktion: Selbstorganisationen übernehmen im Verhältnis zwischen Zuwanderergruppe und Mehrheitsgesellschaft in
verschiedener Weise eine Brückenfunktion. Als kulturelle Inseln einer
zugewanderten Minderheit inmitten der Mehrheitsgesellschaft schaffen sie einen Begegnungsraum für beide Seiten, in dem implizit der
eigene Hintergrund der zugewanderten Gruppe anerkannt wird und
dieser die Grundlage für Interaktionen zwischen Angehörigen beider
Gruppen bildet. Da sich in Migrantenorganisationen das Verhältnis
von „Gastgeber“ und „Gast“ umkehrt, können sie das Selbstwertgefühl der Mitglieder der Minderheit stärken. Die Brückenfunktion
nehmen Selbstorganisationen auch in der umgekehrten Richtung wahr,
indem sie von Einrichtungen und sogar einzelnen Vertretern der
Mehrheitsgesellschaft als Ansprechpartner gesehen und in Anspruch
genommen werden. Selbstorganisationen werden nicht nur angesprochen, wenn Informationen über das betreffende Herkunftsland
oder die Kultur benötigt werden, sondern auch in Problemsituationen
als Informationsquelle oder Mittler in Anspruch genommen. Ansprechpartner sind sie auch für Interessengruppen der Mehrheitsgesellschaft. Ein Beispiel hierfür sind deutsche Unternehmer, die in
der Türkei investieren wollen und sich im Vorfeld an türkische Unternehmervereine in der Bundesrepublik wenden.
h) Dienstleistungsfunktion: Die Entwicklungen der letzten Jahre
zeigen deutlich, daß Selbstorganisationen für die eigene Klientel
verstärkt die Aufgabe einer Dienstleistungseinrichtung wahrnehmen.
Neben meist informellen sozialberaterischen Aktivitäten gehören
hierzu Angebote zur Freizeitgestaltung, die in vielen Fällen altersoder zielgruppenspezifisch organisiert sind (Bsp. Kinder-, Jugend-,
Frauengruppen). Neben Angeboten zur Freizeitgestaltung bemühen
sich Selbstorganisationen auch darum, Bildungs- und qualifizierende
Angebote (Kursangebote, Hausaufgabenhilfe für Schüler) zu organisieren. Viele Selbstorganisationen haben in den vergangenen Jahren
mit Erfolg ihre Tätigkeitsfelder ausgeweitet und sich sogar zu einer
Konkurrenz für die etablierten Einrichtungen der Migrantenarbeit
entwickelt. Die Aktivitäten und Angebote der Selbstorganisationen
ergänzen somit die Einrichtungen zur sozialen Betreuung der Migranten oder füllen Lücken, die von diesen nicht wahrgenommen
werden.
4.2 Geschichtlicher Überblick über die
Entwicklung von Selbstorganisationen
4.2.1 Entwicklung der Selbstorganisationen
insgesamt
Die Entstehung von Migrantenselbstorganisationen reicht in die
ersten Jahre der Migration zurück. Bereits in den sechziger Jahren
entstanden erste Kulturvereine der verschiedenen Migrantengruppen,
die überwiegend die Funktion von Treffpunkten erfüllten, in denen
das Bedürfnis nach Kontakt zu Landsleuten und Geselligkeit befriedigt wurde. Die typische Bezeichnung für Selbstorganisationen der
ersten Jahre der Migrationsgeschichte war der „Arbeiterverein“, von
denen einige auch heute noch bestehen.35 Ein größerer quantitativer
Zuwachs und auch eine erste Differenzierung ist in den siebziger
Jahren zu beobachten. In diesen Jahren entstanden vermehrt Einrichtungen, die den religiösen Bedürfnissen der Zuwanderer Rechnung tragen sollten. Für diese Jahre wird nationalitätenübergreifend
eine Politisierung der Migrantenselbstorganisationen konstatiert, die
auf veränderte Bedingungen sowohl im Zuwanderungs- als auch den
Herkunftsländern zurückzuführen sei.36 In den siebziger Jahren entstanden erstmalig in größerer Zahl Dachverbände, die in ihrer politischen Orientierung jedoch stärker am Herkunftsland ausgerichtet
waren. Ein weiterer Wandel setzte in den achtziger Jahren ein. Er ist
vor dem Hintergrund des mehr und mehr bewußten Prozesses der
Niederlassung der Migrantengruppen im Zuwanderungsland und der
Konstitutierung als Gemeinschaften zu sehen.37 In dieser Zeit entstehen verstärkt Selbstorganisationen, die sich explizit als Interessenvertretung einer Zuwanderergruppe auf regionaler aber auch überregionaler Ebene begreifen. In gleicher Weise gibt es Versuche, nationalitätenübergreifend Dachverbände zu organisieren.
4.2.2 Die Entwicklung türkischer
Selbstorganisationen
Die Entstehung erster türkischer Selbstorganisationen reicht in
die sechziger Jahre zurück. In diesen Jahren entstanden erste ArbeiterKulturvereine. In den siebziger Jahren wurden in großer Zahl
Moscheevereine und auch erste religiöse Dachorganisationen muslimischer Migranten gebildet. Die siebziger Jahre waren auch die
Zeit, in der in großer Zahl politisch orientierte Migrantenorganisationen formiert wurden. Neben Einzelvereinen entstanden zahlreiche
Dachverbände, die an bestimmten politischen Strömungen oder auch
Parteien im Herkunftsland orientiert waren und im Zuwanderungsland eine ähnliche Konstellation formierten. Unter den türkischen
Migranten entstanden verschiedene links- als auch rechtsorientierte
Dachorganisationen. Im politischen Spektrum links von der Mitte
wurden etwa die sozialdemokratisch ausgerichtete „Föderation progressiver Volksvereine der Türkei in Europa“ (HDF) und die marxistisch ausgerichtete „Föderation der türkischen Arbeitervereine in
der BRD“ (FİDEF) gegründet. Parallel zu diesen wurden in denselben Jahren im rechten Spektrum Dachverbände errichtet, die sich an
35 Vgl. Jahn, Gerhard/Şen, Faruk: Ausländische Selbstorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland, in: ZAR 3/1984, S. 135-141; hier: S. 136.
36 Vgl. Puskeppeleit, Jürgen/Thränhardt, Dietrich, a.a.O., S. 147-148.
37 Zu dieser begrifflichen Charakterisierung dieser Phase des Migrationsprozesses vgl. Özcan, Ertekin: Die türkische Minderheit, in: Schmalz-Jacobsen, Cornelia/Hansen, Georg (Hg.),
a.a.O., S. 511-528; hier: S. 514.
85
4. Selbstorganisationen von Migranten in Deutschland
politischen Strömungen in der Türkei orientierten. Zu diesen gehören
die „Föderation Türkisch-demokratischer Idealistenvereine in Europa“
und auch die „Türkische Union in Europa“, aus der die heutige „Islamische Gemeinschaft Milli Görüş“ hervorging.38
Ein Wandel in der Struktur der Vereinsbildungen und der Orientierung ist seit Mitte der achtziger Jahre zu beobachten, ein Prozeß,
der bis in die Gegenwart andauert. Mit der Verstetigung der Verbleibabsicht der zugewanderten Migranten beginnt sich in dieser Zeit ein
langsamer Wandel im Selbstverständnis der Zuwanderer zu vollziehen, der sich auch im Bereich der Selbstorganisationen niederschlägt. Neben einem kontinuierlichen Zuwachs, der ab Ende der
siebziger Jahre verstärkt einsetzt, ist in diesen Jahren eine Ausweitung
der Aktivitäten und eine Umorientierung hinsichtlich des Selbstverständnisses zu beobachten. Die Selbstorganisationen bilden seit
dieser Zeit mehr und mehr Einrichtungen, in denen Migranten sich
als ethnische Community organisieren, die den Erhalt der Herkunftskultur gewährleisten sollen und auch verstärkt Funktionen der Sozialbetreuung und Sozialberatung wahrzunehmen beginnen. Die verstärkte Bildung neuer Selbstorganisationen und die Abkehr von der
primär auf das Herkunftsland ausgerichteten Orientierung wird auch
vor dem Hintergrund der Zuzugsbeschränkungen im Rahmen der
Familienzusammenführung gesehen, die seit 1981 durch einen entsprechenden Regierungsbeschluß nur bis zum unvollendeten 16.
Lebensjahr möglich ist. Ein weiterer mobilisierender Faktor zu Beginn
der achtziger Jahre wird ferner die Politik der Parteien genannt, die
im Wahlkampf die Alternativen Assimilation oder Rückkehr thematisierten.39 Vor diesem Hintergrund begannen sich in diesen Jahren
erstmalig Organisationen zu formieren, die sich explizit als Interessenvertretung einer zugewanderten Migrantengruppe betrachten und
auf Grundlage dieses gewandelten Selbstverständnisses ihre Zielsetzungen auf das Zuwanderungsland konzentrieren. Organisationen
mit diesem Anspruch bemühen sich um die Bündelung der Wahrnehmung dieser Funktion durch Formierung von zuerst regionalen,
später überregionalen Dachorganisationen. Exemplarisch seien hier
die Türkische Gemeinde in Berlin (Berlin Türk Cemaati) und die
Türkische Union in Berlin (Berlin Türk Topluluğu), die Anfang der
achtziger Jahre gebildet wurden, sowie das „Bündnis türkischer Einwanderer“ (TGB) in Hamburg genannt, das 1986 nach einem fremdenfeindlichen Übergriff durch Rechtsradikale als Zusammenschluß
türkischer Vereine in Hamburg formiert wurde. Diese regionalen
Zusammenschlüsse bildeten den Kern für den späteren Versuch
eines überregionalen, bundesweiten Zusammenschlusses türkischer
Selbstorganisationen, wie er 1995 durch die „Türkische Gemeinde
in Deutschland“ (TGD) konkrete Gestalt annahm. Der Wandel des
Selbstverständnisses vollzog sich seit dieser Zeit auch langsam bei
den Dachverbänden politischer oder religiöser Orientierung, die in
den siebziger Jahren gegründet worden waren. Auch bei ihnen rückte
mehr und mehr die Situation im Zuwanderungsland in den Vordergrund der Zielsetzungen. Neben der zunehmenden Abnahme der
Herkunftslandorientierung ist als verstärktes Phänomen die funktionale Binnendifferenzierung bei den Migrantenorganisationen zu
nennen, ein Prozeß, der bis in die Gegenwart andauert.
4.2.3 Die Entwicklung kurdischer
Selbstorganisationen
Die Geschichte kurdischer Selbstorganisationen in der Bundesrepublik reicht in die fünfziger Jahre zurück. Bereits 1956 wurde
von irakischen Studenten die „Vereinigung kurdischer Studenten in
Europa“ gegründet.40 Auf das Engagement politisch interessierter
Kurden aus der Türkei geht die Bildung zweier Vereine (Hevra und
Bahoz) in den sechziger Jahren zurück.41 Vereinsgründungen in
größerer Zahl beginnen erst in den siebziger Jahren, die auf die stärkere Zuwanderung von kurdischen Arbeitsmigranten aus der Türkei
zurückzuführen sind. Bei den Vereinen, die ab 1973 gegründet
wurden, handelte es sich meist um Kultur- und Solidaritäts- oder
Arbeitervereine, in denen politisch engagierte Personen aktiv waren.
Ab Ende der siebziger und in den achtziger Jahren entstanden die
drei Dachverbände KOMKAR, die „Föderation Demokratischer
Arbeitervereine Kurdistans“ (KKDK), sowie FEYKA-Kurdistan, die
auch heute noch - teilweise in Form von Nachfolgeorganisationen bestehen. Während die letztgenannten in ihren Aktivitäten auf politische Arbeit beschränkt blieben, begann der Dachverband KOMKAR
bereits kurz nach der Gründung, sich in seiner Arbeit auch auf die
Situation im Zuwanderungsland zu konzentrieren. Hierzu gehörten
die Organisierung kultureller Aktivitäten, sozialberaterische Aufgaben
und Angebote wie kurdische Sprachkurse.42 In ihrer Struktur haben
sich die kurdischen Selbstorganisationen in den achtziger Jahren nur
in Ansätzen verändert. So blieb der Hauptakzent der Aktivitäten auf
politische Arbeit beschränkt. Lediglich beim Dachverband KOMKAR
und den ihm angeschlossenen Mitgliedsvereinen war eine stärkere
Gewichtung kultureller und sozialversorgerischer Aktivitäten zu
beobachten.
38 Die genannten Beispiele geben nur einen Ausschnitt aus der Landschaft der Selbstorganisationen. Nähere Einzelheiten zu den türkischen Migrantenorganisationen in den sechziger
bis achtziger Jahren finden sich in der Untersuchung von Ertekin Özcan: Türkische Immigrantenorganisationen..., a.a.O.
39 Gitmez, Ali/Wilpert, Czarina: A Micro-Society or an Ethnic Community? Social Organization and Ethnicity amongst Turkish Migrants in Berlin, in: Rex, John/Joly, Daniele/
Wilpert, Czarina (Hg.): Immigrant Associations in Europe, Aldershot 1987, S. 86-125; hier: S. 107.
40 Vgl. Meyer-Ingwersen, Johannes: Die kurdische Minderheit, in: Schmalz-Jacobsen, Cornelia/Hansen, Georg (Hg.), a.a.O., S. 310-328; hier: S. 325.
41 Saydam, Abubekir, a.a.O., S. 48.
42 Zum Selbstverständnis und den Aktivitäten der ersten Jahre nach der Gründung vgl. Bucak, Sertaç: KOMKAR - „Wer sind wir?“, in: Evangelischer Pressedienst (epd), Dokumentation, Nr. 27-28/80, Frankfurt/M. 1980: Türken in Deutschland. Religiöse und ethnische Minderheiten, Gruppen, Organisationen, S. 40-43.
86
4. Selbstorganisationen von Migranten in Deutschland
4.2.4 Die Entwicklung bosnischer
Selbstorganisationen
Zur Organisationsentwicklung der jugoslawischen Migranten
vor dem Zusammenbruch des ehemaligen Jugoslawien gibt es kaum
Untersuchungen. Bekannt ist lediglich, daß vor Beginn des Krieges
viele in Vereinen organisiert waren, in denen die verschiedenen
Bevölkerungsgruppen Jugoslawiens zusammengefaßt waren. Die
jugoslawischen Selbstorganisationen waren hauptsächlich im kulturellen und sozialen Bereich tätig. Weder in bezug auf das Heimatland, noch auf das Zuwanderungsland waren sie politisch aktiv.43
Eigenständige bosnische Selbstorganisationen gab es nur sehr wenige,
hier meist Vereine, in denen die eigenen religiösen Bedürfnisse der
muslimischen Bosnier im Vordergrund standen. Eine verstärkte
Organisierung der Bosnier begann erst nach Ausbruch des Krieges
in Jugoslawien. Die bosnischen Selbstorganisationen, die daraufhin
entstanden, lassen sich grob in folgende Vereinstypen unterteilen:
religiös orientierte Selbstorganisationen, Kulturvereine, politische
Organisationen sowie Vereine, die zu humanitären Zwecken gegründet wurden und auch von engagierten Deutschen mitgetragen oder
unterstützt wurden.44 Daneben hat sich in Frankfurt auch eine bosnische Studentenorganisation gebildet. Zur Organisationsentwicklung unter bosnischen Migrantenselbstorganisationen insgesamt gilt
nach wie vor die Einschätzung, daß sie sich in der Aufbauphase
befinden.45
In einzelnen Vereinen haben sich Angehörige verschiedener Maghrebstaaten zusammengeschlossen, oder sie sind in Vereinen Mitglied,
die von Arabern anderer Herkunftsstaaten gebildet wurden. An Orten,
wo die objektiven Voraussetzungen (geringfügige Zahl) für die
Bildung eigener Vereine nicht vorhanden sind, nehmen sie Gebetsstätten anderer Migrantengruppen in Anspruch.47 Dennoch besteht
ein Dachverband marokkanischer Vereine in der Bundesrepublik,
dessen Zentrale sich in Düsseldorf befindet.
4.2.5 Die Entwicklung maghrebinischer
Selbstorganisationen
Die im Verhältnis zu anderen Migrantengruppen relativ niedrige
Zahl und die Zerstreutheit sind ein entscheidender Faktor dafür, daß
die Zahl und somit die Organisationsdichte maghrebinischer Selbstorganisationen äußerst gering sind. Noch geringer sind - im Vergleich zu kleineren Migrantengruppen - Untersuchungen zu maghrebinischen Migranten in der Bundesrepublik vorhanden, obwohl sie
größtenteils als Arbeitsmigranten aus Anwerbestaaten gekommen
sind.46 Erste Zusammenschlüsse maghrebinischer Migranten sind,
wie über die Angaben aus dem Rücklauf und Informationen von
Multiplikatoren zu rekonstruieren war, bereits in den siebziger Jahren
entstanden. Aber seitdem hat sich an der Organisationsstruktur nicht
viel verändert. Lediglich in Städten und Gemeinden mit größeren
Kolonien sind die quantitativen Voraussetzungen für die Bildung
einzelner Kultur-, Moschee- oder Familienvereine gegeben, wo einzelne tunesische oder marokkanische Selbstorganisationen bestehen.
Ballungsräume wie Frankfurt, Köln oder Bonn bilden die wenigen
Ausnahmen, in denen mehrere Selbstorganisationen entstanden sind.
43 Vgl. Jahn, Gerhard/Şen, Faruk, a.a.O. S. 138.
44 Vgl. hierzu Zentrum für Türkeistudien: Studie über Islamische Organisationen der türkischen, marokkanischen, tunesischen und bosnischen Minderheiten in Hessen, im Auftrag
des Büros für Einwanderer und Flüchtlinge im Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit, Wiesbaden 1995, hier den Abschnitt 5.3.2.,
„Bosnische Organisationen allgemein“, S. 150-156.
45 Zu weiteren Einzelheiten siehe Abschnitt 5.2. dieses Berichtes.
46 In dem von Schmalz-Jacobsen und Hansen herausgegebenen neueren Lexikon zu den ethnischen Minderheiten in der Bundesrepublik etwa finden sich keine Beiträge zu den in
der Bundesrepublik lebenden Marokkanern und Tunesiern. Vgl. Schmalz-Jacobsen, Cornelia/Hansen, Georg (Hg.): Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland.
Ein Lexikon, München 1995. Eine der wenigen Untersuchungen, die zu Marokkanern durchgeführt wurden, ist der Bericht Zur soziokulturellen Situation der Marokkanerinnen
und Marokkaner in Frankfurt am Main (Frankfurt 1992) von Angelika Weber.
47 In der Erhebung nannten verschiedene türkische Moscheevereine unter anderen Nationalitäten, die ihre Einrichtung nutzen, auch Araber.
87
5. Auswertung
5.1 Allgemeines
Insgesamt wurden 1.327 Fragebögen verschickt. Von diesen
kamen 156 mit dem Vermerk „Adresse unbekannt“ oder „unbekannt
verzogen“ zurück, sodaß 1.171 gültige Adressen verbleiben.
Unberücksichtigt bleibt dabei, daß nicht in jedem Fall nicht zustellbare Postsendungen auch an den Absender zurückgehen. Insgesamt
382 Fragebögen wurden ausgefüllt zurückgeschickt. In fünf Fällen
antworteten Vereine doppelt, d.h. bei der telefonischen Erinnerung
wurde um die erneute Zuschickung des Fragebogens gebeten, woraufhin beide Fragebögen dann von zwei verschiedenen Personen
ohne Wissen des anderen ausgefüllt und zurückgeschickt wurden.
Damit verbleiben 377 gültige Antworten, was eine Nettorücklaufquote von 32,2 % ergibt.
Die Rücklaufquote ist als zufriedenstellend zu bezeichnen, wenn
man einerseits die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Befragung
von Migranten in Rechnung stellt. Hier ist vor allem das Sprachproblem zu nennen. Außerdem hatten sich einige islamische Dachverbände selber nicht an der Erhebung beteiligt und die Mitgliedsvereine
auch nicht zur Teilnahme motiviert, sodaß nur einzelne antworteten.
Dies waren die „Islamische Gemeinde Milli Görüş (IGMG)“, die
„Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa e.V.“
(Avrupa Türk İslam Birliği - ATİB) und die „Föderation der TürkischDemokratischen Idealistenvereine in Europa (Avrupa Demokratik
Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu - kurz: Türk Federasyon)“. Im
Falle des „Verbandes der islamischen Kulturzentren (VIKZ)“ antwortete der Dachverband stellvertretend für die Mitgliedsgemeinden.
Auf die erste Verschickung im Mai 1997 erfolgte eine zweite
Verschickungsphase neu ermittelter Adressen im August 1997.
Danach konnten weitere 458 Adressen ermittelt werden, die nicht
mehr angeschrieben werden konnten. Hierfür ist vor allem die
erwähnte zögerliche Kooperation örtlicher Ausländerbeiräte verantwortlich, die zu spät oder gar keine Vereine nannten.
Zur Auswertung wurden die Angaben der Befragten zunächst
mittels des Datenbankprogramms dBase erfaßt. Dieses Vorgehen
wurde gewählt, da so auch umfangreiche Texteingaben - die in diesem
Fall aus den offenen Fragen stammen - eingegeben werden können.
Außerdem ist die notwendige Übernahme in das Statistikprogramm
SPSS unproblematisch. Die trotz der Reduzierung noch vorhandenen
offenen Fragen machten allerdings für die statistische Auswertung
eine umfangreiche Recodierung erforderlich.
Als zusätzliches Problem erwiesen sich die Angaben der Befragten, die oftmals falsch zugeordnet, widersprüchlich oder mißverständlich formuliert waren. Daher war außerdem eine umfangreiche
systematische Datenbereinigung notwendig. Dabei wurden mißverständliche und ungenaue Angaben als solche codiert und von der
Auswertung ausgeschlossen.
88
Bei der Intepretation der statistischen Auswertung ist grundsätzlich zu berücksichtigen, daß alle Daten auf den Angaben der Befragten basieren. Diese Selbstverständlichkeit erhält zusätzliches Gewicht
vor dem Hintergrund der Form einer schriftlichen Befragung. So
sind auch bei scheinbar einfachen Fragen - wie z.B. der Mitgliederzahl - verschiedene Formen der Beantwortung möglich und auch
vorhanden. Neben Angaben, die auf die letzte Stelle genau sind
(z.B. 127), stehen gerundete Angaben (z.B. 150), Circa-Angaben
(ca. 150) und ungenauere Angaben wie „zwischen 80 und 120“.
Diese Angaben wurden so übernommen, wie sie im Fragebogen
standen, im letzten Fall wurde der Mittelwert eingetragen.
Ein weiteres Beispiel für Ungenauigkeiten als Resultat unterschiedlicher Interpretationen der Fragen sind die Angaben zur Zahl
der aktiven Mitglieder. Berechnet man den Anteil der aktiven Mitglieder an der Gesamtmitgliederzahl, so ist die erste Kategorie (bis
10 %) am häufigsten vertreten. Die folgenden Kategorien sind in
abnehmender Häufigkeit immer schwächer besetzt mit Ausnahme
der obersten Kategorie „90 bis 100 %“, die immerhin eine Häufigkeit von 9,2 % erreicht. Entscheidend ist hier die Interpretation des
Begriffes „aktiv“ durch die Befragten. Eine Betrachtung der einzelnen
Vereine mit besonders hohem Anteil aktiver Mitglieder legt die Vermutung nahe, daß der Begriff „aktiv“ von diesen dahingehend interpretiert wurde, daß jedes Mitglied, das nicht als „Karteileiche“
bezeichnet werden könnte, als aktives Mitglied betrachtet wurde.
Dies ist z.B. der Fall bei einigen Moscheevereinen, wo offensichtlich
jeder Moscheebesucher als aktives Mitglied betrachtet wird (vgl.
hierzu die Tabelle 16, Anteil der aktiven Mitglieder an der
Gesamtzahl der Mitglieder in Abschnitt 5.2.6, S. 109).
Wie nicht anders zu erwarten, ist die Antworthäufigkeit bei den
offenen Fragen niedriger als bei den geschlossenen. Im Fragebogen
sind zwei verschiedene Typen offener Fragen verwendet worden.
Der erste - unproblematische - Typ besteht in Anschlußfragen an
eine geschlossene Frage, die nur „ja“ oder „nein“ zuläßt. Zu diesen
gehören beispielsweise die Fragen nach dem Bestehen von Kontakten
(zu Parteien/Stadtverwaltung etc.) oder der Mitgliedschaft in Dachorganisationen, wo bei „ja“ anschließend gefragt wurde, zu wem
Kontakte bestehen bzw. in welchem Dachverband eine Mitgliedschaft
besteht. Diese Art offener Fragen wurde in SPSS in zusätzliche
Variablen recodiert, sodaß statische Auswertungen auch bei Mehrfachnennungen möglich waren.
Der zweite verwendete Typ besteht aus offenen Fragen, in denen
umfangreichere Informationen (z.B. nach bestehenden Angeboten
der Vereine) oder Meinungen abgefragt werden (z.B. zur Integration).
In diesen Fällen ist eine Recodierung in zusätzliche Variablen nicht
nur ungleich komplizierter, da die Angaben der Befragten weitaus
unterschiedlicher ausfallen können (etwa mehr oder weniger ausführlich), sondern auch methodisch problematischer, da die Recodierung mit einer inhaltlichen Interpretation der Angaben verbunden
ist und hierbei ein Teil der Informationen verlorengehen kann.
5. Auswertung
Daher wurden diese Angaben für eine statistische Auswertung
nur für die Frage nach der Integrationsproblematik recodiert und sind
dementsprechend vorsichtig zu interpretieren. Um ein hinreichendes
Maß an Verläßlichkeit zu gewährleisten, wurden auch hier ungenaue
bzw. nicht sicher nachvollziehbare Angaben von der Auswertung
ausgeschlossen. Außerdem wurden die Kategorien so gewählt, daß
diese sich einerseits nach Möglichkeit inhaltlich ausschließen und
andererseits begrifflich nicht zu eingeschränkt sind, so daß die
Angaben in sinnvoll auswertbaren Variablen zusammengefaßt werden
konnten. So wurden z.B. alle Angaben, in denen eine Förderung der
beruflichen Ausbildung und Qualifikation ausländischer Jugendlicher
genannt wurde, ungeachtet der Detailliertheit im einzelnen, in einer
Variablen zusammengefaßt.
Grundsätzlich ist dabei zu berücksichtigen, daß die Befragten hier
zu einem sowohl in der Gesamtgesellschaft wie unter den in Deutschland lebenden Ausländern kontrovers diskutierten und inhaltlich
keinesfalls klar definierten Begriff Stellung beziehen sollten. Wenn
also ein bestimmter Prozentsatz derjenigen, die überhaupt Angaben
zu dieser Frage machten, einen bestimmten Aspekt nannten, kann
daraus nicht geschlossen werden, daß dieser eben diesem Prozentanteil der Vereine relevant erscheint, sondern höchstens, daß dieser
Aspekt für die Befragten eine relative Bedeutung im Vergleich zu
anderen Aspekten besitzt. So läßt sich aus den Häufigkeiten schließen,
daß der Förderung der beruflichen Ausbildung ausländischer Jugendlicher offensichtlich eine größere Bedeutung beigemessen wird als
etwa mehr Rechte für die Ausländerbeiräte, da ersteres von 20 %,
letzteres dagegen nur von 1 % genannt wurde. Aus diesen Ergebnissen nicht schließen läßt sich, daß die Förderung der beruflichen
Ausbildung der Jugendlichen für 80 % der Befragten keine Rolle
spielt.
Die Ergebnisse der offenen Fragen lassen sich also durchaus im
Hinblick auf Relationen zwischen den verschiedenen Nennungen
interpretieren, nicht aber als Häufigkeiten in Bezug auf die Gesamtzahl der Befragten. Wäre etwa die genannte Förderung der beruflichen Ausbildung innerhalb einer geschlossenen Frage erhoben
worden, könnte die entsprechende Häufigkeit ein Vielfaches betragen.
Eng verbunden mit dem zuletzt genannten Aspekt der Interpretation der Ergebnisse ist die Frage nach der Repräsentativität der
Ergebnisse. Wie oben bereits dargelegt, kann eine Befragung der
Selbstorganisationen grundsätzlich keine repräsentative Befragung
sein. Dies hätte sich nur dann erreichen lassen, wenn man alle Vereinsregister des Erhebungsgebietes (Nordrhein-Westfalen) systematisch nach ausländischen Vereinen durchsucht hätte. Auch dabei
müßten aber zwei Einschränkungen gemacht werden. Zum einen
würde ein solches Vorgehen (mit dem Ziel der Repräsentativität)
voraussetzen, daß ausländische Vereine in jedem Fall im Vereinsregister auch als solche identifizierbar sind. Zum anderen wäre die
Befragung begrenzt auf eingetragene Vereine. Andere Formen von
Selbstorganisationen würden systematisch ausgeschlossen bleiben.
Im übrigen wäre ein solches Vorgehen auch mit einem erheblichen
Aufwand verbunden.
89
Da also die Grundgesamtheit (alle Selbstorganisationen in
Nordrhein-Westfalen) unbekannt ist und deshalb keine repräsentative Stichprobe gezogen werden kann, bleibt hier lediglich eine
Abschätzung, inwieweit die ermittelten und befragten Selbstorganisationen die vermutete Grundgesamtheit repräsentieren. Dies ist auf
der Basis der erfaßten Adressen und der Befragungsergebnisse möglich. Betrachtet man die Verteilung der türkischen Wohnbevölkerung
und die Verteilung der ermittelten und der befragten Selbstorganisationen auf Kreisebene, läßt sich erkennen, daß die Verteilung der
Selbstorganisationen in hinreichendem Maße der Verteilung derjenigen der türkischen Bevölkerung entspricht. Dabei muß allerdings
die Frage unberücksichtigt bleiben, ob der Organisationsgrad regional
gleich ist oder nicht. In jedem Falle ist die regionale Streuung der
ermittelten und der befragten Organisationen so groß, daß hier
größere Verzerrungen nicht anzunehmen sind.
Als weiteres Merkmal bietet sich der Vereinstypus an. Die ermittelten Selbstorganisationen wurden, soweit dies möglich war, kategorisiert. Dies bot sich an, da ein großer Teil der Vereine aufgrund
des selbstgesetzten Zwecks leicht und sicher eingeordnet werden
kann. Dies gilt z.B. für Moscheevereine, Sportvereine, Elternvereine,
Lehrervereine, Jugendvereine sowie Vereine mit einer speziellen
Zielsetzung, etwa Behindertenhilfsvereine und Rentnervereine.
Rund zwei Drittel der ermittelten Vereine wie auch derjenigen, die
geantwortet haben, konnten so einem bestimmten Typus zugeordnet
werden.
Zu fragen ist nun, welche Faktoren die Ermittlung eines Vereins
fördern oder erschweren. Die größte Chance, erfaßt zu werden,
haben die Vereine, die Dachorganisationen angeschlossen sind. Dies
gilt insbesondere für Moscheevereine, die zum größten Teil ermittelt
werden konnten, da die Dachverbände (DİTİB, VIKZ, HDF, GDF,
AABF) Listen ihrer Mitgliedsvereine zur Verfügung gestellt haben.
Weiter kann davon ausgegangen werden, daß diejenigen Vereine eher
erfaßt werden, die größer sind und die über verschiedene Kontakte
zu anderen Selbstorganisationen oder zu den Ausländerbeiräten verfügen. Ausschließend wirkte hier die Weigerung einiger Ausländerbeiräte, Listen der ihnen bekannten Vereine zu schicken. Umgekehrt
hatten kleine Vereine, Selbsthilfegruppen und Organisationen, die
eher auf sich bezogen sind (deren Zweck z.B. allein in der gemeinsamen Freizeitgestaltung besteht) und deshalb nicht über Kontakte
zu anderen Organisationen verfügen, eine schlechtere Chance, erfaßt
zu werden.
Es kann also davon ausgegangen werden, daß Moscheevereine
unter den ermittelten Selbstorganisationen überrepräsentiert sind,
während vor allem kleinere Vereine, aber auch Vereine in kleineren
Gemeinden, in denen kein Ausländerbeirat besteht oder dieser nicht
aktiv ist, unterrepräsentiert sind.
Ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen den türkischen
(und kurdischen) Selbstorganisationen und denen der übrigen Nationalitäten (Bosnien, Marokko, Tunesien, Algerien). Im Vergleich lassen
sich türkische Vereine leichter ermitteln, da diese allein schon aufgrund ihrer großen Zahl wesentlich stärker vernetzt sind und über
lokale Koordinationsorganisationen und Dachverbände quasi bereits
5. Auswertung
„vorerfaßt“ sind. Demgegenüber ist nicht nur die Zahl bosnischer
oder marokkanischer Vereine erheblich geringer, sie haben sich auch
kaum in Dachverbänden zusammengeschlossen. Für diese Differenz
sorgt nicht zuletzt auch der türkische Staat, der einen Teil der Vereine
direkt unterstützt und kontrolliert, nämlich durch die türkische Behörde für religiöse Angelegenheiten (DİTİB). Im übrigen ist wahrscheinlicher, daß in einer Gemeinde mit einer türkischen Bevölkerungsgruppe von 100 Personen diese eher einen Verein gründen als
6 Marokkaner, wobei diese Relation den beiden Bevölkerungsgruppen in Nordrhein-Westfalen entspricht: 44.909 Marokkanern stehen
701.366 Türken gegenüber, was einer Relation von 6,4 : 100 entspricht.48
5.2.1 Organisationsdichte
5.2.1.1 Quantitative Daten zu den erfaßten
Selbstorganisationen
In der Vorbereitungsphase und im Verlauf der Untersuchung
wurden vom Zentrum für Türkeistudien insgesamt 1.785 Einrichtungen ermittelt und in eine Datenbank eingegeben. Die Höhe dieser
Zahl erklärt sich darin, daß anhand des Namens bei vielen eine
Zuordnung nach der Nationalität nicht möglich war, diese dennoch
angeschrieben werden sollten, um eine möglichst vollständige Erfassung der Selbstorganisationen der hier untersuchten Herkunftsländer
zu erreichen. So stellte sich bei vielen erst im weiteren Verlauf
heraus, daß es sich um Migrantenselbstorganisationen anderer, hier
nicht untersuchter Herkunftsländer handelt. In gleicher Weise wurde
auch bei Vereinen vorgegangen, die dem Namen oder der Vermutung
nach als inter- bzw. multikulturell eingestuft wurden, in ihrer Mitgliederstruktur jedoch möglicherweise von einer der hier untersuchten
Nationalitätengruppe dominiert werden. Erfaßt wurden auch Einrichtungen, die sich in der Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände befinden, da in diesen teilweise auch Selbsthilfegruppen oder auch
Selbstorganisationen von Migranten aktiv sind. Subtrahiert man die
Einrichtungen, bei denen sich eine andere Zuordnung ergibt (andere
Nationalität oder deutsche Einrichtungen mit Deutschen als Zielgruppe), reduziert sich der Bestand auf 1.645 Organisationen.
Die Gesamtzahl der erfaßten Migrantenselbstorganisationen der
Herkunftsländer, die in den Zuständigkeitsbereich dieser Teiluntersuchung gehören (Türkei, Bosnien-Herzegowina sowie die MaghrebStaaten Marokko, Tunesien und Algerien), liegt bei insgesamt 1.443.
Den größten Anteil unter diesen bilden mit 1.299 Selbstorganisationen
der Migrantengruppen aus der Türkei. Da einige jedoch in den Zuständigkeitsbereich des Teilprojektes des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Münster aufgenommen wurden, reduziert sich
die Zahl auf 1.271.49 Hierunter nehmen mit 1.217 türkische Selbstorganisationen den größten Anteil (84,3%) ein. Die Zahl der erfaßten
kurdischen Selbstorganisationen in Nordrhein-Westfalen beträgt 54,
die somit nur 3,7% aller ausmachen. Die Gesamtzahl und der Anteil
der Selbstorganisationen der hier untersuchten Gruppen aus der
Türkei erhöht sich - läßt man 2 Vereine von Kurden anderer Herkunftsstaaten unberücksichtigt - auf 1.269 absolut bzw. 87,9% antei-
lig. Unter den türkischen Selbstorganisationen befinden sich auch 11
von westthrakischen Türken aus Griechenland.
Die Zahlen und somit prozentualen Anteile der Selbstorganisationen von Migranten aus dem Maghreb und Bosnien-Herzegowina
sind erheblich niedriger. Die Zahl der Selbstorganisationen von
Zuwanderern aus den Maghreb-Staaten liegt bei insgesamt 63. Von
diesen konnten 43 dem Herkunftsland Marokko, 11 Tunesien und 1
Verein Algerien zugeordnet werden. Bei weiteren 8 Vereinen war nur
die Zuordnung „Maghreb“ möglich. Der Anteil dieser dem Maghreb
als Herkunftsgebiet zugeordneten Selbstorganisationen liegt zusammengerechnet bei 4,3% aller. Erfaßt und auch angeschrieben wurden
jedoch weitere 14 arabische Selbstorganisationen, unter deren Mitgliedern auch Migranten aus den Maghreb-Staaten vermutet wurden.
Die Zahl der Selbstorganisationen, die aufgrund des Namens oder
des ausgefüllten Fragebogens als „bosnisch“ zugeordnet werden
konnten, liegt bei 46 insgesamt (3,1% aller). Darüber hinaus wurden
auch „jugoslawische“ Selbstorganisationen ermittelt und angeschrieben, die keiner der Republiken im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien
zuzuordnen waren und deshalb möglicherweise auch bosnische Mitglieder haben. Erfaßt und angeschrieben wurden darüber hinaus 152
nationenübergreifende und 9 nationenübergreifende muslimische
Selbstorganisationen, unter deren Mitgliedern Angehörige der untersuchten Nationalitäten vermutet wurden.
Hinsichtlich der Zahlen der erfaßten und derjenigen Selbstorganisationen, die angeschrieben wurden, sei - um mögliche Verwirrungen
auszuräumen - zum einen darauf hingewiesen, daß nicht alle erfaßten
auch angeschrieben werden konnten, denn bei vielen war die Adresse
nicht ausfindig zu machen. Andererseits wurden Vereine angeschrieben, bei denen sich herausstellte, daß sie nicht in den Untersuchungsbereich gehörten. (Zu der Ausschöpfung der erfaßten Selbstorganisationen siehe die Tabelle 1).
Die Gesamtheit der Adressen kann nicht als repräsentitiv im
Sinne statistischer Repräsentativität bezeichnet werden. Die Ursache
dafür liegt zum einen in Verzerrungen bei den verwendeten Instrumenten. So existieren nicht in allen Kommunen Ausländerbeiräte, in
manchen Städten sind die Ausländerbeiräte nicht aktiv und von den
aktiven haben nicht alle zur Erfassung der Selbstorganisationen beigetragen, d.h. einige haben keine Adressen übermittelt. Die Verzerrungen in den Branchenbüchern, also nach welchen Kriterien
Moscheen und Vereine aufgenommen worden sind oder nicht, sind
unbekannt. Betrachtet man die türkischen Adressen, so läßt sich
aber festhalten, daß die Erfassung der Adressen grob der regionalen
Verteilung der türkischen Wohnbevölkerung in Nordrhein-Westfalen
entspricht. Aus den Städten mit einer großen türkischen Bevölkerungsgruppe (z.B. Köln, Duisburg, Dortmund, Recklinghausen)
konnten auch die meisten Vereinsadressen erfaßt werden. Probleme
gab es dementsprechend vor allem in kleineren Gemeinden (mit vermutlich wenigen Vereinen), in denen teilweise nur einzelne oder sogar
keine Adressen ermittelt werden konnten. Dies gilt für den Kreis
48 Eigenberechnung nach: Statistisches Bundesamt, Auszählung des Ausländerzentralregisters am 31.12.1996.
49 Dies betrifft aramäische und armenische Selbstorganisationen.
90
5. Auswertung
Kleve, wo nur ein Verein ermittelt werden konnte, sowie für die Kreise
Coesfeld und Euskirchen, wo lediglich 4 bzw. 5 Vereine ermittelt
werden konnten. Alle drei genannten Kreise gehören allerdings auch
zu denjenigen mit einer kleinen nichtdeutschen bzw. türkischen Bevölkerungsgruppe.
Tabelle 1: Ausschöpfungsquote der Selbstorganisationen nach Staatsangehörigkeiten
insgesamt
nicht
Adresse
verwendet unbekannt
abs.
abs.
Türkei
darunter: türkische
kurdische
Bosnien-Herzegowina
Jugoslawien 1)
Marokko
Tunesien
Algerien
1306
1252
54
46
32
43
11
1
Kroatien
Jugoslawien (Serbien/
Montenegro)
Makedonien
Slowenien
Iran
Libanon
Albanien 1)
Armenien
Eritrea
palästinensische
arabische
Bulgarien
Italien
Afghanistan
Indien
Sri Lanka
Maghreb
16
%
73,2 244
70,1 233
3,0 11
2,6
6
1,8
6
2,4
3
0,6
0,1
1
0,9
15
%
abs.
53,3 110
50,9 102
2,4
8
1,3 11
1,3
4
0,7
7
4
0,2
3,3
1
%
keine
Antwort
abs.
70,5 611
65,4 589
5,1 22
7,1 23
2,6 20
4,5 26
2,6
4
-
%
Antwort
abs.
78,7 326
75,9 317
2,8
9
3,0
6
2,6
2
3,4
5
0,5
3
-
0,6
-
-
-
%
86,4
84,1
2,4
1,6
0,5
1,3
0,8
-
4
0,2
3
0,7
-
-
1
0,1
-
-
1
2
9
2
12
4
2
2
12
1
2
2
1
1
8
0,1
0,1
0,5
0,1
0,7
0,2
0,1
0,1
0,7
0,1
0,1
0,1
0,1
0,1
0,4
1
2
9
12
1
2
1
1
1
2
2
1
1
-
0,2
0,4
2,0
2,6
0,2
0,4
0,2
0,2
0,2
0,4
0,4
0,2
0,2
-
3
1
1,9
0,6
2
3
5
6
0,4
0,4
0,6
0,8
1
3
1
0,3
0,8
0,3
muslimisch
9
nationenübergreifend
152
deutsche Organisationen 2) 67
0,5
8,5
3,8
1
55
61
0,2
12,0
13,3
9
1
5,8
0,6
7
58
5
0,9
7,5
0,6
30
-
8,0
-
N = 1785 100,0 458 100,0 156 100,0 776
43,5 377 100,0
Missing: 37
1) Hierunter sind diejenigen ermittelten jugoslawischen Vereine gezählt, die keiner der heutigen
Staatsangehörigkeiten auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien zugeordnet werden konnten.
2) Deutsche Organisationen, die sich ausschließlich an Deutsche als Zielgruppe
wenden, deutsche Einrichtungen der Migrantenarbeit finden sich wie entsprechende
Selbstorganisationen unter „nationenübergreifend“.
91
5.2.1.2 Organisationsdichte in den
Regierungsbezirken
Die Verteilung der erfaßten Selbstorganisationen der hier untersuchten Herkunftsländer auf die verschiedenen administrativen Einheiten zeigt eine Konzentration im Regierungsbezirk Düsseldorf, wo
435 (30,3%) der 1.435 erfaßten Selbstorganisationen der hier untersuchten Herkunftsländer ansässig sind. Der zweitgrößte Anteil an
erfaßten Selbstorganisationen liegt mit 337 (23,5%) im Regierungsbezirk Arnsberg. Die Zahlen und prozentualen Anteile der Selbstorganisationen in den anderen Regierungsbezirken fallen gegenüber
Düsseldorf und Arnsberg ab. Mit 274 Selbstorganisationen liegt der
Anteil bei 19,1% aller erfaßten. Die niedrigsten Zahlen weisen die
Regierungsbezirke Münster mit 222 (15,5%) und Detmold mit 167
(11,6%) Selbstorganisationen auf.
Die Organisationsdichte deckt sich im großen und ganzen mit
der Verteilung der Migranten auf die verschiedenen Regierungsbezirke, wie die Tabelle 3 (Verteilung der ermittelten und befragten
Organisationen auf Kreis- und Regierungsbezirksebene) zeigt.
Aufgrund fehlender Zahlen zu Bosniern und Maghrebinern wurden
die Zahlen und prozentualen Anteile aller erfaßten Selbstorganisationen auf Regierungsbezirks- und Kreisebene den Zahlen und Anteilen der türkischen Staatsbürger gegenübergestellt. Da die Selbstorganisationen der Migranten aus der Türkei jedoch über 90% aller
hier untersuchten Gruppen ausmachen, ist die Gegenüberstellung
zulässig, um die annähernde Relation aufzuzeigen.
Eine hohe Organisationsdichte ist in städtischen Ballungszentren
und im Ballungsraum Ruhrgebiet festzustellen. Einzelne Städte mit
hohem Migrantenanteil und dadurch bedingten großen Zahlen an
Selbstorganisationen sind die Stadt Duisburg, die mit 117 erfaßten
Selbstorganisationen einen Anteil an 8,2%, und die Stadt Köln, die
mit 103 erfaßten Selbstorganisationen einen Anteil von 7,2% aller
landesweit erfaßten Selbstorganisationen der hier untersuchten
Nationalitäten auf sich vereinen. In größerer Konzentration konnten
darüber hinaus bei den hier untersuchten Gruppen Selbstorganisationen in den Städten Dortmund (66/4,6%), Gelsenkirchen (50/3,5%)
und Essen (49/3,4%) ermittelt werden.
Die Konzentration von Selbstorganisationen im Ruhrgebiet (vgl.
die Tabelle 2, Verhältnis der ermittelten türkischen Selbstorganisationen zur Bevölkerungszahl im Ruhrgebiet) korreliert mit dem verhältnismäßig höheren Anteil der Migranten im Verhältnis zu den
anderen Regionen: Die Zahl der im Ruhrgebiet ermittelten Selbstorganisationen der untersuchten Herkunftsländer liegt bei 759 (von
1435 landesweit), was einem Anteil von 42,9% entspricht. Bezogen
auf türkische Selbstorganisationen korreliert deren Anteil auch mit
dem der türkischen Staatsbürger im Ruhrgebiet im Verhältnis zur
Gesamtzahl aller türkischen Staatsbürger im Bundesland NordrheinWestfalen, der bei 44,8% (546 von 1217) liegt. Im Schnitt fällt im
Kommunalverband Ruhrgebiet ein Verein auf 513 Türken.
5. Auswertung
Tabelle 2: Verhältnis der ermittelten türkischen Selbstorganisationen zur
Bevölkerungszahl im Ruhrgebiet (Kommunalverband Ruhrgebiet)
türkische
Bevölkerung
Stadt Duisburg
Stadt Essen
Stadt Mülheim an der Ruhr
Stadt Oberhausen
Kreis Wesel
Stadt Bottrop
Stadt Gelsenkirchen
Kreis Recklinghausen
Stadt Bochum
Stadt Dortmund
Stadt Hagen
Stadt Hamm
Stadt Herne
Ennepe-Ruhr-Kreis
Kreis Unna
Kommunalverband Ruhrgebiet
ermittelte türkische Vereine 1)
abs.
%
abs.
53.487
18.900
5.931
10.747
16.633
5.698
24.699
33.606
14.110
28.038
11.059
11.873
13.705
10.596
20.812
19,1
6,8
2,1
3,8
5,9
2,0
8,8
12,0
5,0
10,0
4,0
4,2
4,9
3,8
7,4
108
41
14
14
37
18
47
54
25
55
18
23
17
24
51
279.894 100,0
Relation
Bevölkerung :
Vereine
% Personen je Verein
19,8
7,5
2,6
2,6
6,8
3,3
8,6
9,9
4,6
10,1
3,3
4,2
3,1
4,4
9,3
495
461
424
768
450
317
526
622
564
510
614
516
806
442
408
546 100,0
513
1) Vereine türkischer Staatsbürger, also türkische und kurdische Vereine.
Tabelle 3:Verteilung der ermittelten und befragten Organisationen
auf Kreis- und Regierungsbezirksebene
türkische
Bevölkerung 1)
abs.
%
ermittelte
Vereine
abs.
befragte
Vereine
%
abs.
%
Regierungsbezirk Düsseldorf
Stadt Düsseldorf
Stadt Duisburg
Stadt Essen
Stadt Krefeld
Stadt Mönchengladbach
Stadt Mülheim an der Ruhr
Stadt Oberhausen
Stadt Remscheid
Stadt Solingen
Stadt Wuppertal
Kreis Kleve
Kreis Mettmann
Kreis Neuss
Kreis Viersen
Kreis Wesel
226.774
17.628
53.487
18.900
13.883
9.880
5.931
10.747
8.825
8.749
16.083
3.831
17.499
16.855
5.843
16.633
32,3
2,5
7,6
2,7
2,0
1,4
0,8
1,5
1,3
1,2
2,3
0,5
2,5
2,4
0,8
2,4
435
35
117
49
23
9
17
19
15
12
37
1
33
17
9
42
30,3
2,4
8,2
3,4
1,6
0,6
1,2
1,3
1,0
0,8
2,6
0,1
2,3
1,2
0,6
2,9
94
10
21
12
3
2
2
6
2
4
5
1
10
6
2
8
27,3
2,9
6,1
3,5
0,9
0,6
0,6
1,7
0,6
1,2
1,5
0,3
2,9
1,7
0,6
2,3
Regierungsbezirk Köln
Stadt Aachen
Stadt Bonn
Stadt Köln
Stadt Leverkusen
Kreis Aachen
Kreis Düren
Erftkreis
Kreis Euskirchen
Kreis Heinsberg
Oberbergischer Kreis
Rheinisch-Bergischer Kreis
Rhein-Sieg-Kreis
172.469
8.935
6.418
79.374
4.831
12.183
7.306
15.414
1.591
6.160
9.039
7.114
14.104
24,6
1,3
0,9
11,3
0,7
1,7
1,0
2,2
0,2
0,9
1,3
1,0
2,0
274
25
32
103
12
15
8
24
5
12
9
6
21
19,1
1,7
2,2
7,2
0,8
1,0
0,6
1,7
0,3
0,8
0,6
0,4
1,5
77
2
10
31
4
4
4
6
1
4
2
9
22,4
0,6
2,9
9,0
1,2
1,2
1,2
1,7
0,3
1,2
0,6
2,6
1) Die Zahlen zu den übrigen befragten Nationalitäten (Bosnien-Herzegowina/Marokko/Tunesien/
Algerien) lagen nicht vor.
92
türkische
Bevölkerung 1)
ermittelte
Vereine
abs.
befragte
Vereine
abs.
%
Regierungsbezirk Münster
Stadt Bottrop
Stadt Gelsenkirchen
Stadt Münster
Kreis Borken
Kreis Coesfeld
Kreis Recklinghausen
Kreis Steinfurt
Kreis Warendorf
90.179
5.698
24.699
2.236
5.357
1.621
33.606
6.187
10.775
12,9
0,8
3,5
0,3
0,8
0,2
4,8
0,9
1,5
222
19
50
13
21
4
60
22
35
15,5
1,3
3,5
0,9
1,5
0,3
4,2
1,5
2,4
%
63
3
21
2
9
2
12
7
7
18,3
0,9
6,1
0,6
2,6
0,6
3,5
2,0
2,0
Regierungsbezirk Detmold
Stadt Bielefeld
Kreis Gütersloh
Kreis Herford
Kreis Höxter
Kreis Lippe
Kreis Minden-Lübbecke
Kreis Paderborn
60.454
18.069
12.470
8.493
2.373
9.076
4.357
5.616
8,6
2,6
1,8
1,2
0,3
1,3
0,6
0,8
167
44
34
27
7
19
8
28
11,6
3,1
2,4
1,9
0,5
1,3
0,6
2,0
42
10
10
7
2
6
7
12,2
2,9
2,9
2,0
0,6
1,7
2,0
Regierungsbezirk Arnsberg
Stadt Bochum
Stadt Dortmund
Stadt Hagen
Stadt Hamm
Stadt Herne
Ennepe-Ruhr-Kreis
Hochsauerlandkreis
Märkischer Kreis
Kreis Olpe
Kreis Siegen-Wittgenstein
Kreis Soest
Kreis Unna
151.490
14.110
28.038
11.059
11.873
13.705
10.596
5.402
21.425
3.404
7.300
3.766
20.812
21,6
2,0
4,0
1,6
1,7
2,0
1,5
0,8
3,1
0,5
1,0
0,5
3,0
337
27
66
20
29
21
26
11
45
9
18
12
53
23,5
1,9
4,6
1,4
2,0
1,5
1,8
0,8
3,1
0,6
1,3
0,8
3,7
68
5
11
4
10
4
6
3
10
2
1
2
10
19,8
1,5
3,2
1,2
2,9
1,2
1,7
0,9
2,9
0,6
0,3
0,6
2,9
NORDRHEIN-WESTFALEN
701.366
1435 100,0
abs.
%
344 100,0
5.2.1.3 Verteilung nach Vereinstypen
5.2.1.3.1 Verteilung nach Vereinstypen insgesamt
Die erfaßten Selbstorganisationen wurden, soweit dies möglich
war, kategorisiert und insgesamt 14 Vereinstypen zugeordnet.
Grundlage bei der Festlegung der Kategorien ist etwa das festzustellende Hauptanliegen eines Vereins (z.B. Moscheeverein, der in vielen
Fällen auch andere Angebote hat), eine bestimmte Zielorientiertheit
(z.B. Elternvereine, die sich der schulischen Belange und Probleme
der Kinder annehmen) oder eine spezielle Zielgruppe des Vereins
(z.B. Senioren). Selbstorganisationen, die nicht eindeutig einem Typus
zugeordnet werden konnten, wurden als „sonstige“ subsumiert. Als
ein Typ von Selbstorganisationen wurden Moscheevereine festgelegt.
Neben Moscheevereinen als Träger religiöser Aktivitäten und Angebote für Muslime bestehen weitere Einrichtungen mit religiöser
Orientierung, die der Kategorie „sonstige religiöse Vereine“ zugeordnet wurden, sowie Dachverbände religiös orientierter Selbstorganisationen. Weitere Formen von Selbstorganisationen, die als Vereinstypus festgelegt wurden, sind Sportvereine, politische Vereine,
Jugend- und Elternvereine, Unternehmer- und weitere berufsständische Selbstorganisationen, Seniorenvereine, Lehrervereine, Frauen-,
Studentenvereine und Vereine für Behindertenhilfe.
5. Auswertung
Die quantitative Auswertung der Grundgesamtheit nach Vereinstypen zeigt nationalitätenübergreifend folgende Verteilung:
Signifikant hoch ist der Anteil von Vereinen, deren Aktivitäten und
Angebote schwerpunktmäßig religiös orientiert sind. Mit einer Zahl
von 460, das sind 32,1% aller ermittelten Selbstorganisationen der
untersuchten Nationalitäten, machen Moscheevereine nahezu ein
Drittel aller Selbstorganisationen aus. Rechnet man zu diesen die 84
(5,9%) als „sonstige religiöse Vereine“ hinzu, erhöht sich die Gesamtzahl der Selbstorganisationen mit religiöser Orientierung auf 544
und der prozentuale Anteil auf 38% aller ermittelten Einrichtungen.
Als am zweithäufigsten vertretener Selbstorganisationstyp wurden mit
einer Gesamtzahl von 224 und einem Anteil von 15,6% Sportvereine
ermittelt. Die Zahlen und somit prozentualen Anteile ziel- bzw. zielgruppenorientierter Vereinstypen liegen deutlich niedriger. In relativ
hoher Zahl und breiter Streuung sind Elternvereine vorhanden (46
absolut, 3,2% anteilig). Bei dieser Zahl ist jedoch zu beachten, daß
in ihr auch Vereine enthalten sind, die dem Namen und der Zielsetzung nach Elternvereine sind, den schwerpunktmäßigen Aktivitäten
und Angeboten nach jedoch nicht in diese Kategorie einzuordnen,
sondern eher in den Bereich der Kultur- bzw. Familienvereine anzusiedeln wären. Gemessen an den Anteilen in den jeweiligen Migrantengruppen ist die Zahl der Vereine, deren Zielgruppe Jugendliche
sind, niedriger. Mit insgesamt 24 machen sie einen Anteil von lediglich 1,7% aus. Eine Erklärung hierfür ist, daß für diese Zielgruppe
von Vereinen anderer Kategorien Angebote bestehen. Unter den zielgruppenorientierten Selbstorganisationen finden sich 15 Vereine von
Selbständigen (Unternehmer), die ausschließlich von türkischen
Migranten gebildet wurden. Auch andere berufsständische Selbstorganisationen (beispielsweise Akademikervereine, Vereine von Ingenieuren, Ärzten etc.) sind lediglich bei türkischen Migranten vorhanden. Ihre Zahl liegt bei insgesamt 10, das entspricht 0,7% aller
erfaßten Selbstorganisationen. Faßt man die Unternehmer- und
Berufsvereine zusammen, ergibt sich eine Gesamtzahl von 25 (1,7%
aller erfaßten Vereine). Gemessen am Bevölkerungsanteil ist auch
die Zahl von Frauenvereinen niedrig. Im gesamten Bundesland
konnten lediglich 14 Frauenvereine (1,4%) ermittelt werden, von
denen einige nicht als Selbstorganisation im eigentlichen Sinne einzustufen sind, da die Gründungsinitiative und die Trägerschaft bei
einem Wohlfahrtsverband liegt. Eine eindeutige Zuordnung ist auch
bei den Studierendenvereinen möglich. Im gesamten Bundesland
konnten jedoch lediglich 7 (0,5%) ermittelt werden. Ein Phänomen
jüngeren Datums ist die Bildung klientel- bzw. zielgruppenspezifischer Selbstorganisationen, wie Senioren- und Behindertenvereinen.
Die Bildung von Seniorenvereinen bzw. Selbsthilfegruppen von
Senioren ist eindeutig vor dem Hintergrund zu erklären, daß die Zahl
der Rentner unter den Arbeitsmigranten der ersten Generation kontinuierlich zunimmt. Dennoch ist die Zahl von 6 Selbstorganisationen
insgesamt äußerst niedrig. Die Gründung von Behindertenvereinen
ist ebenfalls ein relativ junges Phänomen und als zielgruppenspezifische Ausdifferenzierung bei der Bildung von Selbstorganisationen
zu verstehen. In Nordrhein-Westfalen liegt die Zahl derartiger Vereine
bei mittlerweile 3. Auffällig niedrig ist die Zahl von Vereinen, die
aufgrund ihrer Aktivitäten als politisch orientierte Selbstorganisationen eingestuft wurden. Mit einer Zahl von insgesamt 9 machen sie
einen Anteil von 0,6% aller erfaßten Selbstorganisationen aus.
93
Selbstorganisationen, zu deren Aktivitäten auch politische bzw.
migrationspolitische gehören, sind natürlich in höherer Zahl vorhanden. Sie sind jedoch aufgrund der nicht möglichen Zuordnung als
ausschließlich politisch orientierte Selbstorganisationen der Kategorie
„sonstige“ zugeordnet worden. Insgesamt 510 (35,6%) der 1.433
erfaßten Selbstorganisationen konnten nicht eindeutig einem der
oben aufgeführten Vereinstypen zugeordnet werden. Neben Vereinen,
deren Adresse nicht ausfindig zu machen war bzw. die sich nicht an
der Erhebung beteiligten, handelt es sich hierbei zum einen um
Vereine, deren Aktivitäten in mehrere dieser Kategorien fallen. In
der Kategorie „sonstige“ sind Selbstorganisationen zusammengefaßt, die generalisierend als „Kulturvereine“ bezeichnet werden.
5.2.1.3.2 Verteilung nach Vereinstypen bei
türkischen Selbstorganisationen
Den größten Anteil unter den Selbstorganisationen aller Migrantengruppen in der Bundesrepublik nehmen die türkischen ein. Im
Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden im Verlauf der Untersuchung insgesamt 1.228 türkische Selbstorganisationen ermittelt.
Erklärungen für diese hohe Zahl an Selbstorganisationen sind neben
der hohen Zahl türkischer Migranten in Nordrhein-Westfalen die
lange Migrationsgeschichte sowie die sich darauf stützende Verbleibabsicht. Selbstorganisationen türkischer Migranten fallen nicht allein
quantitativ besonders ins Gewicht, sondern weisen auch gegenüber
den anderen hier untersuchten Migrantengruppen strukturelle
Besonderheiten auf, die ihre Haupterklärung natürlich in der hohen
Zahl, aber auch in anderen Ursachen haben, auf die später noch eingegangen werden soll.
Eine auffällige Besonderheit bei türkischen Selbstorganisationen
ist die hohe Zahl der religiös orientierten Vereine. Von den insgesamt 1.228 erfaßten Selbstorganisationen konnten 445 als Moscheevereine identifiziert werden. Dies entspricht einem Anteil von 36,2%
aller türkischen Vereine. Neben den Moscheevereinen wurden weitere
Selbstorganisationen ermittelt, die als religiöse Selbstorganisationen
einzuordnen waren. Unter ihnen finden sich alevitische Kulturvereine und Vereine spezifischerer Art, wie etwa ein „islamischer
Lesekreis“. Addiert man diese hinzu, erhöht sich die absolute Zahl
religiös orientierter Selbstorganisationen bei Türken auf insgesamt
512, was einem Anteil von 41,7% aller ermittelten entspricht (vgl.
die Tabelle 4, Typus der ermittelten Selbstorganisationen nach Nationalitäten, absolut und prozentual, S. 64). Der absolute und prozentuale Anteil religiös orientierter Selbstorganisationen dürfte noch
höher liegen, da viele der erfaßten Selbstorganisationen, die sich an
der Erhebung nicht beteiligten oder wegen fehlender Adressen nicht
beteiligen konnten, aufgrund des Namens nicht eindeutig als religiöse
Selbstorganisationen identifiziert und entsprechend zugeordnet
werden konnten.
5. Auswertung
Der quantitativ hohe Anteil religiös orientierter Selbstorganisationen wird auch an der Zahl der Dachorganisationen deutlich, denen
der größte Teil dieser Vereine angeschlossen ist. Insgesamt gibt es
acht Dachverbände religiös bzw. unter anderem religiös orientierter
Selbstorganisationen türkischer Migranten, deren Bundes- bzw.
Europa-Zentralen sich größtenteils in Köln befinden. Der Dachverband mit der größten Zahl von Mitgliedsvereinen ist die „TürkischIslamische Union der Anstalt für Religion“ (Diyanet İşleri Türk
İslam Birliği, kurz: DİTİB). Der DİTİB sind Eigenangaben zufolge
bundesweit 725 Einzelvereine angeschlossen. Die Zahl der Mitgliedsvereine in Nordrhein-Westfalen liegt mit 239 bei rund einem Drittel
aller Mitgliedsvereine. Einem weiteren islamischen Dachverband,
dem „Verband der Islamischen Kulturzentren“ (VIKZ) sind bundesweit 299 Gemeinden angeschlossen, von denen sich jedoch 16 erst
im Aufbau befinden, sodaß die Zahl der tatsächlich aktiven Gemeinden bei 283 liegt.50 Die Zahl der aktiven Gemeinden des VIKZ in
Nordrhein-Westfalen liegt bei 122.51 Der Dachverband „Islamische
Gemeinschaft Milli Görüş“ nennt in eigenen Publikationen für das
Bundesgebiet eine Zahl von 274 Moscheegemeinden, die ihm angeschlossen sind. Da die IGMG in ihren Publikationen keine Angaben
bezüglich der Mitgliedsvereine in Nordrhein-Westfalen macht, sind
keine exakten Angaben möglich. Geht man davon aus, daß - wie im
Falle der anderen Dachverbände - rund ein Drittel der Gemeinden in
Nordrhein-Westfalen liegt, hätte man einen Schätzwert von rund 90
Gemeinden.52 Ein weiterer türkischer Dachverband, dessen Mitgliedsvereine - wenn auch in untergeordneterer Bedeutung - religiöse Angebote für die Mitglieder vorweisen, ist die „Föderation der TürkischDemokratischen Idealistenvereine in Europa (Avrupa Demokratik
Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu - ADÜTDF). Eigenen Angaben
zufolge sind dem nationalistisch orientierten Dachverband bundesweit ca. 200, in Nordrhein-Westfalen 70 Kultur- bzw. Idealistenvereine angeschlossen.53 Unter den Mitgliedsvereinen befinden sich
auch Moscheevereine, ohne daß deren exakte Zahl ermittelt werden
konnte.54 Ein weiterer Dachverband, der aus einer Abspaltung von
der ADÜTDF hervorgegangen ist, ist die „Türkisch-Islamische Union in Europa“ (Avrupa Türk İslam Birliği, kurz: ATİB), in der eigenen Angaben zufolge im Juni 1994 123 Vereine organisiert waren.
Wie groß die aktuelle Zahl der Mitgliedsvereine, so auch der in
Nordrhein-Westfalen ansässigen ist, bleibt unklar.55 Entsprechend
ihrer Ausrichtung, die eine Synthese aus türkischem Nationalismus
und islamischer Orientierung darstellt, unterhält die ATİB auch Gebetsstätten, ohne daß hierzu nähere Angaben gemacht werden können. Eine kleinere islamischer Dachorganisation ist der „Verband
der islamischen Vereine und Gemeinden“ (İslam Cemaatleri ve
Cemiyetleri Birliği, kurz: İCCB), eine radikal-islamistische Organisation, die in der Türkei die Errichtung einer „Islamischen Republik
Anatolien“ anstrebt. Zur Zahl der ihr angeschlossenen Moscheevereine können keine aktuellen Daten genannt werden. Für 1994 wurde
die Zahl der Mitgliedsvereine bundesweit mit 74, hierunter ca. 20 in
NRW, beziffert.56 Aufgrund der Streitigkeiten um den Vorsitz des
Verbandes, die nach dem Tode des Vorsitzenden Cemalettin Kaplan
im Mai 1995 einsetzten, ist die Zahl der Mitglieder zurückgegangen.57 Einen weiteren islamischen Verband mit eigenen Organisationsprinzipien ist die „Islamische Gemeinschaft Jama`at-un Nur“,
die ihren Sitz in Köln hat. Die „Gemeinschaft“, die eine mystische
Bewegung darstellt, die der Lehre des islamischen Gelehrten und
Namensstifters Said-i Nursi (1877-1960) folgt, unterscheidet sich
von den anderen Dachverbänden dahingehend, daß sie keine Gebetsstätten unterhält, sondern Lehranstalten („Medrese“), deren Zahl
sich bundesweit auf 40 beläuft. Zur Zahl der Lehreinrichtungen, die
in Nordrhein-Westfalen ansässig sind, können jedoch keine Angaben
gemacht werden.58 Eine neuere Gruppierung unter den religiös
orientierten türkischen Selbstorganisationen bilden die „Bildungszentren“, die der Bewegung unter der geistigen Führung Fethullah
Gülens folgen. Die genaue Zahl der „Bildungszentren“, die seit 1993
gegründet wurden, ist nicht feststellbar.59 Ein weiterer Dachverband
religiös bzw. religiös-kulturell orientierter Selbstorganisationen ist
die „Föderation der Aleviten Gemeinden in Europa“ (Avrupa Alevi
Birlikleri Federasyonu - AABF) mit Sitz in Köln. Die Zahl der Mitgliedsvereine liegt europaweit bei insgesamt 117. Der größte Teil
dieser Vereine, 95, befindet sich in der Bundesrepublik, hiervon 23
im Bundesland Nordrhein-Westfalen.60 Eine weitere alevitische
Selbstorganisation, die im vergangenen Jahr eine Generalvertretung
in Deutschland (in Essen) eingerichtet hat, ist die „Cem Stiftung“
bzw. das „Republikanische Stiftungszentrum für Bildung und Kultur“
(Cumhuriyetçi Eğitim ve Kültür Merkezi Vakfı). Die Stiftung ist
50 Akualisierte Liste der Zentrale des VIKZ vom 12.06.98. Außerhalb der Bundesrepublik hat der VIKZ 34 Gemeinden in Österreich, 28 in den Niederlanden, 15 in Frankreich, 11
in Schweden, je 7 in der Schweiz und in Belgien, und je 2 in Großbritannien, Italien, Dänemark und Norwegen, so daß die Zahl der Gemeinden in Europa bei insgesamt 382 liegt.
51 In der Adressenliste, die uns der Verband zur Verfügung stellte, sind für Nordrhein-Westfalen insgesamt 130 Adressen aufgeführt. Da sich einige der Gemeinden jedoch erst im
Aufbau befinden, liegt die Zahl der aktiven Gemeinden bei 122.
52 In eigenen Publikationen nennt die IGMG als Gesamtzahl der Mitgliedsorganisationen in Europa 1.022. Neben 463 Moscheegemeinden gehören Frauenorganisationen, Arbeiter-,
Sport- und Eltern- sowie Studenten- und Jugendorganisationen zu den Mitgliedsvereinen. Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
(Hg.): Türkische Muslime in Nordrhein-Westfalen, 3. völlig überarbeitete Auflage, erstellt vom Zentrum für Türkeistudien (Essen), Düsseldorf 1997, S. 125-126. Vgl. auch die
Web-Seite des Verbandes unter der Internet-Adresse http://members.aol.com/chrislages/milli96.html
53 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), a.a.O., S. 152.
54 Moscheevereine, die dem Dachverband ADÜTDF angeschlossen sind, finden sich in Duisburg, Löhne und Wuppertal.
55 Vor Beginn der Erhebung wurde in Absprache mit dem Vorstand der ATİB-Zentrale mündlich vereinbart, dieser die Fragebögen zwecks Weiterleitung an die einzelnen Vereine
zuzusenden. Bei der ersten Verschickung Anfang Juli 1997 wurden der ATİB-Zentrale wunschgemäß 15 Exemplare zugeschickt. Bei der telefonischen Erinnerung Anfang September wiederum bat die Zentrale um Zusendung von 31 Fragebögen, von denen jedoch keiner ausgefüllt zurückgeschickt wurde.
56 Angabe im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW über das Jahr 1994. Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), a.a.O., S. 147.
57 So werden vom Bundesverfassungsschutz für 1996 nur noch ca. 1.500 Mitglieder insgesamt geschätzt. Zur Zahl der angeschlossenen Vereine werden jedoch keine Angaben
gemacht. Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: Verfassungsschutzbericht 1996, Köln 1997, S. 199.
58 Zur „Islamische Gemeinschaft Jama`at-un Nur“ siehe Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), a.a.O., S. 145-150.
59 Neben zwei Vereinen in Düsseldorf, die unter derselben Adresse gemeldet sind, existieren unseren Erkenntnissen zufolge Vereine in Gelsenkirchen, Hamm und Wuppertal.
60 Außerhalb der Bundesrepublik sind Vereine in Frankreich, Österreich, der Schweiz und Großbritannien Mitglied in der Föderation. Die genannten Zahlen stützen sich auf eine
telefonische Auskunft des AABF-Vorstandsmitgliedes Ata Akdogan im Januar 1998.
94
5. Auswertung
bestrebt, ebenfalls die Funktion eines Dachverbandes zu übernehmen.
Da sie erst im Aufbau befindlich ist, sind keine Angaben zu Mitgliedsvereinen zu machen.61
Einen großen Anteil an den türkischen Selbstorganisationen
nehmen Sportvereine ein. Unter den 1.228 erfaßten Selbstorganisationen befinden sich insgesamt 214 Sportvereine, das entspricht
einem Anteil von 17,4%. Somit ist fast jeder sechste Verein türkischer Migranten in diesem Bereich aktiv. Berücksichtigt werden muß
zudem, daß es sich bei dieser Zahl nur um die als Verein organisierten Selbstorganisationen handelt. Darüber hinaus gibt es eigenständige informelle Sportgruppen bzw. solche, die im Rahmen bestehender anderer Selbstorganisationen aktiv sind. So haben viele Selbstorganisationen anderer Art sportliche Angebote für verschiedene
Altersgruppen. Als Beispiel seien hier Moscheevereine genannt, die
im Rahmen ihrer Angebote für Kinder und Jugendliche sportliche
Aktivitäten ermöglichen. Neben informellen Angeboten dieser Art
gibt es auch eigenständige Sportvereine, die einem Moscheeverein
angegliedert sind und von diesem die Möglichkeit der Raumnutzung
eingeräumt bekommen. Interessanterweise gibt es umgekehrt Sportvereine, die über die sportlichen Aktivitäten hinaus auch andere
Funktionen wahrnehmen, u.a. informelle Beratungstätigkeiten. Im
Rahmen der Aktivitäten einzelner Sportvereine werden sogar Vorträge, etwa zu Fragen der Einbürgerung, organisiert.
Auch für Vereinsbildungen, die Ableger von Parteien im Herkunftsland darstellen, gibt es verschiedene Beispiele. Die als Abspaltung von der „Partei des Rechten Weges“ entstandene „Partei der
Demokratischen Türkei“ (Demokrat Türkiye Partisi) gründete Anfang
1998 in Berlin den „Verein der Demokratischen Türkei in Berlin“
(Berlin Demokrat Türkiye Derneği).62 Der Verein ist als EuropaZentrale angelegt, d.h. in Zukunft sollen sowohl in der Bundesrepublik als auch anderen europäischen Ländern Zweigstellen gegründet
werden. Auch aus Kreisen der konservativen „Mutterlandspartei“
(Anavatan Partisi) hieß es 1997, man werde beginnen, im Ausland
„Mutterlandsvereine“ aufzubauen. Ähnliche Initiativen zum Aufbau
einer Auslandsvertretung wurden jüngst von der linksorientierten
„Freiheits- und Solidaritäts-Partei“ (Özgürlük ve Dayanşma Partisi)
und der „Friedenspartei“ (Barış Partisi) ergriffen, die sich ebenfalls
in der Bundesrepublik organisieren wollen. Den Hintergrund derartiger Versuche zum Aufbau einer Auslandsvertretung bilden verschiedene Motive. Einerseits ist damit die Erwartung einer materiellen
und politischen Unterstützung der Partei im Herkunftsland verbunden.
Andererseits werden sie als potentielle Wähler angesehen, wie die
Diskussionen um das Wahlrecht für Türken im Ausland zeigen.
Konkrete Angaben zu den Aktivitäten dieser Organisationen in Nordrhein-Westfalen sind nicht möglich, da sie hier entweder noch nicht
vertreten sind oder formell noch nicht in Erscheinung getreten sind.
Ein weiterer Typus von türkischen Selbstorganisationen sind solche, die in Anlehnung bzw. Anbindung an hiesige politische Parteien
gebildet werden. Die Orientierung an einer politischen Partei besteht
sowohl gegenüber deutschen als auch Parteien im Herkunftsland.
Ein Beispiel hierfür ist der „Freiheitlich Türkisch-Deutsche Freundschaftsverein e.V.“ bzw. kurz „Hür-Türk“ (Hürriyetçi Türk-Alman
Dostluk Cemiyeti) mit Sitz in Bonn, der politisch der CDU nahesteht.
Hür-Türk wurde 1979 gegründet, verfügt sowohl in der Bundesrepublik als auch in der Türkei über „Ortsverbände“. Stärker als in der
Türkei ist Hür-Türk in der Bundesrepublik organisiert, wo die Zahl
der Ortsverbände bundesweit auf 55 angewachsen ist. Neben dem
Versuch, das konservative Wählerpotential unter türkischen Migranten zu organisieren, ist Hür-Türk auch darum bemüht, migrantenspezifische Arbeiten zu leisten. Ebenfalls CDU-nahe ist das „DeutschTürkische Forum“ (DTF), das im Dezember 1997 von deutschen
und türkischen CDU-Mitgliedern ins Leben gerufen wurde und zum
Ziel hat, türkische Migranten für die CDU zu gewinnen.63 Ein weiteres Beispiel für die Anlehnung an eine deutsche Partei ist die
„Liberale Türkisch-Deutsche Union“ (LTD), die politisch der FDP
nahesteht und türkisches Wählerpotential unter den hier lebenden
Migranten zu organisieren versucht. Bei sozialdemokratisch orientierten Gruppierungen ist kein „Ableger“ entstanden, da diese politische Richtung bereits in den siebziger Jahren einen eigenständigen
Dachverband, die „Föderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten“ (Sosyaldemokrat Halk Dernekleri Federasyonu - HDF),
gebildet hatte. In den Reihen der Mitglieder gibt es - ohne das hierzu Zahlenangaben gemacht werden können - zahlreiche Mitglieder
in der SPD. Dasselbe gilt auch für die anderen genannten Parteien.
Ein weiterer Dachverband, der ebenfalls kein Ableger ist, sich aber
als migraionspolitische Interessenvertretung der Migranten aus der
Türkei versteht und gleichzeitig soziale und kulturelle Aktivitäten
durchführt, ist die „Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei“ (Türkiyeli Göçmen Dernekleri Federasyonu - GDF).
Im Spektrum der türkischen Migrantenorganisationen finden sich
Vereine und Dachverbände berufsständischer Natur. Neben Vereinen
von Unternehmern und Selbständigen fallen in diese Kategorie Akademikervereine, Vereine einzelner Berufsgruppen wie Ärzte, Archtitekten und Ingenieure, um einige Beispiele zu nennen. Im weiteren
Sinne können den berufsständischen Selbstorganisationen auch
Vereine von Studierenden hinzugerechnet werden.
Vereine von Unternehmern und Selbständigen stellen ein jüngeres Phänomen dar, das erst Ende der achtziger Jahre stärker in
Erscheinung getreten ist. Das Phänomen der Gründung der Interessenvertretung einer Berufsgruppe ist natürlich vor dem Hintergrund zu sehen, daß ab den achtziger Jahren türkische Migranten
verstärkt begannen, eigene Existenzen aufzubauen. Im Zuge dieses
Prozesses entstanden einzelne Vereine, um die Interessen als Berufsgruppe und den Informationsaustausch zu organisieren. Neben einzelnen Unternehmervereinen auf lokaler Ebene, meist größeren
Städten, existieren Unternehmerverbände als überregionaler Zusammenschluß dieser Berufsgruppe. In Rahmen der Untersuchung wur-
61 Bekannt ist lediglich, daß einzelne Vereine Kontakte zur Stiftung haben und an eine Mitgliedschaft denken, wie ein alevitischer Verein in Köln und einer in Marl.
62 An der offiziellen Gründung nahmen neben dem Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Türkei weitere führende Persönlichkeiten teil. Siehe hierzu die Nachrichten in der
Milliyet und Hürriyet vom 31.1.1998.
63 Vgl. Hür Türk Journal Nr. 2, Februar 1998, S. 20.
95
5. Auswertung
den in Nordrhein-Westfalen insgesamt 15 türkische Unternehmerbzw. Vereine von Selbständigen ermittelt. In dieser Zahl sind auch
die Dachverbände enthalten. In der Bundesrepublik sind insgesamt 3
Dachorganisationen türkischer Unternehmervereine vorhanden, die
ihre Bundes- bzw. Europazentralen in Nordrhein-Westfalen haben.
Neben dem „Bundesverband Türkisch-Deutscher Unternehmervereine
in Deutschland“ (Türk-Alman İşadamları Dernekleri Almanya
Federasyonu - TİDAF) in Köln mit bundesweit 17 Mitgliedsvereinen,
existiert der „Verband Türkischer Unternehmer und Industrieller in
Europa“ (Avrupa Türk Sanayici ve İşadamları Derneği - ATİAD).
Ein neuerer Unternehmerverband ist der „Verein unabhängiger Industrieller und Unternehmer“ (Müstakil Sanayici ve İşadamları
Derneği - MÜSİAD), der als Ableger des Verbandes in der Türkei
gegründet wurde. Im MÜSİAD, dessen Zentrale sich in Köln befindet, sind islamisch orientierte Unternehmer und Selbständige organisiert. Als Neugründung befindet sich der Verband erst im Aufbau,
hat aber bereits in verschiedenen Städten (z.B. Hamburg) Zweigstellen eingerichtet. Das Hauptanliegen dieser Dachverbände, aber
auch der einzelnen Unternehmervereine, ist auf die Interessen der
Unternehmer konzentriert. Zu den Aufgaben, die Unternehmervereine
für ihre Mitglieder wahrnehmen, gehört der Informationsfluß über
rechtliche und steuerliche Belange. Neben der Interessenvertretung
sind türkische Unternehmervereine jedoch auch in anderen Bereichen
aktiv. Genannt werden können migrationsspezifische Themen und
kulturelle Veranstaltungen. Türkische Unternehmerverbände haben
darüber Interesse an Projekten gezeigt, die auf die Einrichtung von
Ausbildungsplätzen abzielen. So ist ein Teil von ihnen an Ausbildungsverbünden beteiligt, die dieses Ziel verfolgen.
Zum Bereich berufsgruppenorientierter Vereinsbildungen gehören
auch die Organisationen von Freiberuflern wie Ärzten, Ingenieuren,
und Akademikervereine, von denen die letztgenannten 1996 einen
Dachverband, den „Bund türkischer Akademikervereine in Deutschland“ (ATAK e.V. - Almanya Türk Akademik Kuruluşları Birliği), formiert haben, dem bundesweit 18 Mitgliedsvereine angehören. Das
Hauptanliegen des Dachverbandes ist der Technologie- und Know
How-Transfer. Hierzu organisiert er unter Beteiligung von deutschen
und türkischen Wissenschaftlern Konferenzen. Mitgliedsvereine oder
auch unabhängige Akademikervereine führen darüber hinaus andere
Aktivitäten durch. Neben Vorträgen und kulturellen Aktivitäten organisieren sie, wie im Falle der „Türkischen Akademiker zu Bochum“
(TABO), auch Ausstellungen und Konzerte, in denen die Kunst der
Türkei einem deutschen Publikum vorgestellt werden soll. Eine weitere konkrete Initiative des Vereins ist ein Studentenaustauschprogramm zwischen der Ruhr-Universität Bochum und der Universität
Istanbul, der somit ein Beispiel für die Hochschulkooperation zwischen beiden Ländern darstellt. Auch Studentenvereine haben sich
jüngst zu einem Dachverband zusammengeschlossen. Der „Bundesverband türkischer Studierendenvereine“ (BTS) mit Sitz in Berlin
hat auch einzelne Mitgliedsvereine in Berlin. Der Verband befindet
sich bislang in der Aufbauphase und bemüht sich um eine bundes-
weite Interessenvertretung und die Aufklärung der türkischen Studierenden über Studienmöglichkeiten.
Neben den oben genannten berufsständischen Organisationen
existieren zahlreiche weitere ziel- und zielgruppenorientierte Selbstorganisationen der Migranten aus der Türkei, die für eine funktionale
Ausdifferenzierung bei der Wahrnehmung eigener Belange stehen.
In größerer Zahl sind dies Elternvereine, deren Hauptanliegen die
Verbesserung der schulischen Situation der Kinder darstellt. Ein Teil
der türkischen Elternvereine hat sich jüngst in einer bundesweiten
Dachorganisation, der „Föderation Türkischer Elternvereine in
Deutschland“ (FÖTED), angeschlossen, hierunter auch Elternvereine in Nordrhein-Westfalen. Weitere funktionale Differenzierungen
bei türkischen Selbstorganisationen sind Jugend-, Frauen-, Seniorenund Behindertenhilfsvereine. An dieser Stelle müssen auch Vereine
genannt werden, die für eine spezifischere Zielsetzung gegründet
wurden. Hier können Theatervereine und solche genannt werden,
die als Träger für Medienprojekte gegründet wurden.
Weitere Formen der Ausdifferenzierung bei Selbstorganisationen
von Migranten aus der Türkei ist die Bildung von Vereinen ethnischer
bzw. religiöser Minderheiten und die Bildung landsmannschaftlich
ausgerichteter Vereine. Die Bevölkerungszusammensetzung in der
Türkei zeichnet sich durch eine Vielfalt ethnisch definierbarer und
religiöser bzw. konfessioneller Subgruppen aus.64 Neben kurdischen
Selbstorganisationen, auf die weiter unten eingegangen wird, gibt es
vereinzelt Selbstorganisationen anderer ethnischer Gruppen aus der
Türkei. So finden sich in Nordrhein-Westfalen drei Vereine von Nachfahren nordkaukasischer Flüchtlinge, die im Rahmen des Vereins
eigene kulturelle Eigenarten zu pflegen bemüht sind.65 Weitere Beispiele für Selbstorganisationen, in denen sich ethnische bzw. religiös-konfessionelle Gruppen aus der Türkei organisieren, sind (allesamt in Köln) einzelne Vereine von Aserbaidschanern, Kasachen,
Lasen, und - als landsmannschaftlich formierte Selbstorganisation ein Verein, dessen Mitgliedschaft sich überwiegend aus alevitischen
Arabern zusammensetzt.
Landsmannschaftliche Selbstorganisationen, deren Zahl sich in
den letzten Jahren vergrößert hat, versuchen die Migranten einer bestimmten Region (Provinz) der Türkei zusammenzubringen und die
Bindung an diese aufrechtzuerhalten. Als Organisationstypus sind
sie auch in der Türkei stark verbreitet, wo sich im Zuge der Binnenmigration in den Städten der Zuwanderung die Personen des gleichen Herkunftsgebietes organisieren. Im Gegensatz zu den entsprechenden Vereinen in der Türkei, die für Neu-Zugewanderte
Hilfestellungen bieten, beschränken sich die Aktivitäten der landsmannschaftlichen Vereine in der Bundesrepublik auf kulturelle
Veranstaltungen, bei denen oft ein Teil der Eintrittsgelder Hilfeleistungen sozialer oder humanitärer Art der Herkunftsregion zugute
kommen. Andere Aktivitäten landsmannschaftlicher Vereine in der
Bundesrepublik beziehen sich auf eine Ausweitung der deutsch-türkischen Kontakte mit der Türkei.
64 In der Türkei leben Angehörige bzw. Nachfahren von über zwanzig verschiedenen ethnischen Gruppen. Differenziert man diese in religiöse bzw. konfessionelle Subgruppen,
erhöht sich die Zahl auf über vierzig. Vgl. Zentrum für Türkeistudien (Hg.): Das ethnische Mosaik der Türkei und seine Widerspiegelung in Deutschland, Münster 1998.
65 Sie sind unter der Bezeichnung „Tscherkessen“ bekannt, obwohl dieser Name die Bezeichnung nur einer von verschiedenen ethnischen Gruppen darstellt, sich aber als Sammelbegriff durchgesetzt hat.
96
5. Auswertung
5.2.1.3.3 Kurdische Selbstorganisationen
Trotz des unter den Migranten aus der Türkei geschätzten hohen
Anteils von ca. 500.000 Kurden ist die Zahl der kurdischen Selbstorganisationen im Verhältnis relativ gering. Im Rahmen der Bestandsaufnahme konnten in Nordrhein-Westfalen lediglich 54 kurdische
Selbstorganisationen ermittelt werden. Die tatsächliche Zahl wird aufgrund nicht zu ermittelnder Selbstorganisationen, die an einer Wahrnehmung durch die hiesige Öffentlichkeit nicht interessiert sind, insgesamt höher liegen. Berücksichtigt man jedoch die Zahl der Vereine,
denen der Fragebogen aufgrund Auflösung bzw. unbekannten Verzugs
postalisch nicht zugestellt werden konnten, dürfte sich die Gesamtzahl auf die oben genannte von ca. 50 einpendeln. Eine Erklärung
für die geringe Zahl eigener Selbstorganisationen von Kurden dürfte
sein, daß bei einem großen Teil der Kurden kein ausgeprägtes ethnisches Bewußtsein im Sinne einer Ethnisierung vorhanden ist. In
anderen Fällen dürfte die ethnische von der religiösen bzw. religiöskonfessionellen Identität überlagert sein.66 So ist, ohne daß dies
quantifiziert werden kann, bekannt, daß sunnitische Kurden aus der
Türkei in großer Zahl Mitglied in Moscheevereinen, und alevitische
Kurden in alevitischen Vereinen aktiv sind. Ein weiteres Anzeichen
hierfür ist, daß kaum kurdische Moscheevereine bzw. kurdisch-alevitische Kulturvereine entstanden sind.
Den größten Teil der kurdischen Selbstorganisationen in Nordrhein-Westfalen bilden diejenigen der kurdischen Migranten aus der
Türkei. Neben diesen konnte nur ein Verein von Kurden aus dem
Irak und einer von Kurden aus Syrien ermittelt werden. Die kurdischen Selbstorganisationen sind größtenteils in Dachorganisationen
zusammengefaßt, von denen es in der Bundesrepublik insgesamt drei
gibt, deren Bundeszentralen sämtlich in Nordrhein-Westfalen ansässig
sind. Neben den Dachverbänden und den ihnen angeschlossenen Vereinen existieren in kleiner Zahl eigenständige Selbstorganisationen,
so auch in Form von Initiativgruppen. Daneben sind in den letzten
Jahren auch berufsständische Selbstorganisationen kurdischer Migranten entstanden, und es existieren deutsch-kurdische Zusammenschlüsse und Initiativen, die hinsichtlich ihrer Zielsetzungen auf Veränderungen in den verschiedenen Herkunftsländern der Kurden ausgerichtet sind und in diesem Sinne politisch aktiv sind.
Die Verteilung der kurdischen Selbstorganisationen nach Vereinstypen weist sowohl einige Schwierigkeiten als auch einige Besonderheiten auf. Insgesamt gibt es drei kurdische Dachorganisationen in
der Bundesrepublik, deren Bundeszentralen ihren Sitz in Nordrhein
Westfalen haben. Die drei kurdischen Dachorganisationen sind
KOMKAR (Verband der Vereine aus Kurdistan e.V.) mit Sitz in Köln,
Civata Kurd li Almanya (Kurdische Gemeinde in Deutschland e.V.),
ebenfalls mit Sitz in Köln, sowie YEK-KOM (Föderation kurdischer
Vereine in Deutschland e.V.) mit Sitz in Bochum. Alle drei Dachver-
bände sind von ihrem Anspruch politische Organisationen, die in
ihren jeweiligen Orientierungen jedoch Unterschiede aufweisen, so
daß man sie teilweise den migrationspolitisch aktiven Organisationen
zuordnen kann.
Am deutlichsten ist dies bei KOMKAR, dem Verband der Vereine
aus Kurdistan. Der Verband ist die älteste und von ihrer Organisationsstruktur am weitesten entwickelte Dachorganisation kurdischer
Migranten. Er wurde bereits 1979 gegründet. Dem Verband sind
Angaben des Vorstandes zufolge bundesweit etwa 40 Vereine bzw.
Komitees angeschlossen. Die größte Organisationsdichte hat der
Verband im Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo die Zahl der angeschlossenen Vereine 17 beträgt, von denen 11 über eigene Vereinsräume verfügen. Neben politischer Aufklärung über die Situation
der Kurden in den Heimatstaaten ist der Schwerpunkt der Aktivitäten
auf die rechtliche, soziale und politische Situation in der Bundesrepublik gerichtet. Zu den migrationspolitischen Hauptzielen von
KOMKAR zählt die Anerkennung der Kurden als eigenständige ethnische Gruppe, zu denen im konkreten die Erteilung muttersprachlichen Unterrichts, Sozialberatung und Betreuung kurdischer
Migranten, die Anerkennung kurdischer Namen auf Standesämtern
und die Durchführung kurdischsprachiger Radioprogramme gehören.
Als Dachorganisation kurdischer Migranten ist KOMKAR gleichzeitig Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (BAGIV)67, des Antidiskriminierungsrates in NRW (ADR)
sowie des Migrantenforums der EU in Brüssel. Die migrantenspezifische Ausrichtung wird auch daran deutlich, daß der größte
Teil der Mitgliedsvereine von KOMKAR Mitglied im Deutschen
Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) ist.
Ein weiterer Dachverband kurdischer Organisationen ist YEKKOM, die „Föderation kurdischer Vereine in Deutschland“ mit Sitz
in Bochum. Sie wurde am 27. März 1994 von 12 kurdischen Vereinen
als Nachfolgeorganisation von FEYKA-Kurdistan gegründet, die infolge des PKK-Verbots vom November 1993 geschlossen wurde.
Eigenen Angaben zufolge arbeitet YEK-KOM bundesweit mit über
40 kurdischen Organisationen zusammen und gehört zu den Gründungsmitgliedern der „Konföderation kurdischer Vereine KON-KURD
in Europa.“68 Andere schätzen die Zahl der Vereine, die YEK-KOM
angegliedert sind, bundesweit auf 100. Allein in Nordrhein-Westfalen wird die Zahl der Mitgliedsvereine bzw. die derjenigen, die
dem Umfeld zuzurechnen seien, auf 30-40 geschätzt.69 Die Zielsetzungen, zu denen die Bemühung zur Aufhebung des PKK- und
ERNK-Verbots in Deutschland gehört, sowie das in Publikationen
verwendete Vokabular und die Verwendung der Symbole der PKK,
verweisen auf die politische Ausrichtung von YEK-KOM.70 In
Publikationen setzt sich der Dachverband eigenen Aussagen nach
für die „rechtlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse“ der Kurden
66 Hierauf verweist auch Meyer-Ingwersen, a.a.O., S. 323.
67 Die BAGIV wurde 1985 gegründet und hat ihren Sitz in Bonn. Sie versteht sich als übernationale Interessenvertretung der Migranten, und setzt sich für deren politische und
soziale Gleichstellung ein. Ein weiteres Ziel ist die Einführung von muttersprachlichem Unterricht für ethnische Minoritäten der Herkunftsstaaten.
68 Vgl. die Eigendarstellung der YEK-KOM im Vorwort von Kızılhan, İlhan: Der Sturz nach oben. Kurden in Deutschland. Eine psychologische Studie, Frankfurt/M. 1995, herausgegeben von medico international und YEK-KOM, S. 9-10.
69 Exakte Angaben zu YEK-KOM und ihren Mitgliedsvereinen können nicht gemacht werden, da sich die Föderation trotz verbal bekundeter Bereitschaft nicht an der Erhebung beteiligte.
70 Als Grund dafür, daß YEK-KOM die Zahl seiner Mitgliedsvereine niedriger angibt, wurde von Multiplikatoren angeführt, daß man diese im Falle einer weiteren Verbots-Welle
vor einer Schließung schützen wolle.
97
5. Auswertung
ein.71 In der Praxis sind dessen Aktivitäten jedoch stärker heimatorientiert. Um flächendeckend Kurden unterschiedlicher Religionsbzw. Konfessionszugehörigkeit mobilisieren zu können, wurden
Organisationen gegründet, die der YEK-KOM nahestehen oder demselben Spektrum zuzurechnen sind; hierzu gehören die „Union der
Patriotischen Jugendlichen Kurdistans“ (YWXK), die „Union der
Patriotischen Frauen Kurdistans“ (YWJK), die „Union der Gläubigen
Kurdistans“ (Sunniten), die „Union der Aleviten Kurdistans“ sowie
die „Union der Yeziden Kurdistans“. Durch diese Vielzahl von Organisationen und Verbänden, die teilweise ineinander übergehen und
deren Mitglieder teilweise gleichzeitig Mitglied in einer weiteren der
aufgezählten Organisationen sind, soll ein breites Spektrum der kurdischen Migranten erfaßt werden.72 YEK-KOM ist als Verband Mitglied in der „Konföderation der kurdischen Vereine und Verbände in
Europa“ (KON-KURD), einem länderübergreifenden Zusammenschluß kurdischer Verbände mit Sitz in Brüssel, dem Dachorganisationen in neun verschiedenen europäischen Staaten angeschlossen sind.73
Ein weiterer Dachverband kurdischer Selbstorganisationen ist
Civata Kurd li Almanya, die „Kurdische Gemeinde in Deutschland
e.V.“, die Anfang 1992 gegründet wurde und ihre Bundeszentrale in
Köln hat. Sie wurde als Nachfolgeorganisation der „Föderation Demokratischer Arbeitervereine Kurdistans“ (KKDK) gegründet.
Eigenen Angaben zufolge beläuft sich die Zahl der angeschlossenen
Vereine auf 18, in denen insgesamt 1.700 Mitglieder erfaßt sind.74
Neben Vereinen und Interessenkomitees können auch natürliche Personen Mitglied werden. Mitgliedsvereine existieren u.a. in Dortmund,
Bochum und Hagen. Als Dachverband ist die Gemeinde Mitglied in
der nationalitätenübergreifenden Dachorganisation „Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände“ (BAGIV) sowie dem länderübergreifenden Europäischen Immigrantenforum, bei dem sie Vorstandsmitglied ist.75 Politisch steht sie der 1996 gegründeten „Einheitspartei der Sozialisten Kurdistans“ (PYSK) nahe. Neben einer
begrenzten Migrationsarbeit leistet sie heimatorientierte politische
Arbeit.76 Zu den heimatorientierten Aktivitäten gehören Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen.77
Eine eindeutige Zuordnung der einzelnen kurdischen Vereine ist
schwer möglich. Die meisten (75,5%/40 absolut) wurden aufgrund
ihrer vielfältigen Aktivitäten unter der Kategorie „sonstige“ subsumiert. Bei diesen handelt es sich meist um die Mitgliedsvereine der
Dachorganisationen. Eine Binnendifferenzierung nach Zielgruppen
ist bei kurdischen Selbstorganisationen nur in Ansätzen zu beobachten.
Kurdische Moscheevereine konnten nicht erfaßt werden, obwohl es
laut Schätzung kurdischer Experten etwa 30 Vereine dieser Art geben
soll. Zu ihrer bundesweiten Zahl können überhaupt keine Angaben
gemacht werden.78 Unter diesen religiösen Vereinsbildungen sind in
letzter Zeit auch solche, die der PKK nahestehen. Um religiös orientierte Kurden verschiedener konfessioneller Zugehörigkeiten „flächendeckend“ mobilisieren zu können, seien an verschiedenen Orten
Selbstorganisationen gegründet worden. Allein in Nordrhein-Westfalen soll es Schätzungen nach etwa zehn Vereine dieser Orientierung
geben.79 Bei der Erfassung der bestehenden kurdischen Selbstorganisationen konnten lediglich drei ermittelt werden, die dem Typus
„sonstige religiöse Vereine“ zuzuordnen waren. Kategorisiert werden
konnten einige Selbstorganisationen als „Frauenverein“ (insgesamt
fünf), „Jugendverein“ (insgesamt zwei) sowie „Sportverein“ (insgesamt zwei). Unter den kurdischen Organisationen finden sich auch
einige, die den ethnischen Bezug haben, jedoch nicht ausschließlich
als Selbstorganisationen aufzufassen sind, da sie deutsche Mitglieder
haben, die aus politischem Interesse an der Situation der Kurden in
ihren Herkunftsländern mitwirken.
Eine Einrichtung dieser Art ist das Kurdisches Informations- und
Dokumentationszentrum (Navend), das 1992 in Bonn gegründet
wurde und derzeit eigenen Angaben zufolge etwa 80 Fördermitglieder und 120 aktive Mitglieder hat. Neben Kurden verschiedener
Herkunftsländer gehören auch Deutsche zu den Mitgliedern des
Zentrums.80 Zu den formulierten Zielen von Navend gehört die Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit über die Kurden, die Anregung
der „Diskussion über politische Lösungsansätze der kurdischen Frage
und Kooperationsmöglichkeiten“ anzuregen.81 An der Zusammensetzung der Mitglieder, zu denen viele politisch interessierte Deutsche
gehören, ist erkennbar, daß Navend keine rein ethnische Selbstorganisation ist. Auch die Zielsetzungen und Aktivitäten machen deutlich,
daß migrantenspezifische Zielsetzungen eher im Hintergund stehen.
Die politischen Zielsetzungen werden auch an den aufgelisteten
Aktivitäten deutlich, zu denen „Kontaktpflege und Informationsgespräche mit Regierungen, Parteien, Politikern und Parlamentariern“
und „Zusammenarbeit mit Wohlfahrtsverbänden“ etc. gehören.82
Navend gibt seit der Gründung im Jahr 1992 die Zeitschrift Kurdistan heute heraus, die seitdem in unregelmäßigen Abständen kontinuierlich erscheint. Die Zeitschrift enthält Nachrichten, Interviews
und Beiträge zur Kurdenfrage in den verschiedenen Ländern und
zur Geschichte und Kultur der Kurden.
71 Vgl. die Eigendarstellung der YEK-KOM im Vorwort von Kızılhan, İlhan, a.a.O., S. 9.
72 Saydam, Abubekir, a.a.O., S. 56.
73 Neben YEK-KOM in der Bundesrepublik gibt es Mitgliedsverbände in Österreich, Frankreich, der Schweiz, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Großbritannien.
74 Mündliche Informationen des Vorsitzenden der „Kurdischen Gemeinde in Deutschland e.V.“ vom März 1997.
75 Vgl. hierzu auch die Selbstdarstellung der Kurdischen Gemeinde in Deutschland.
76 Informationen von A. Saydam.
77 So wurde zur Unterstützung der hungerstreikenden Gefangenen in der Türkei im Juni 1996 ein Solidaritäts-Hungerstreik einiger Mitgliedsvereine organisiert. Vgl. hierzu die
Presseerklärungen der Bundesgeschäftsstelle der Kurdischen Gemeinde.
78 Hierzu wäre eine umfangreiche Bestandsaufnahme erforderlich.
79 Informationen von befragten Multiplikatoren.
80 Mündliche Informationen des Vorsitzenden Metin İncesu in einem mit ihm geführten Gespräch.
81 Zitiert aus dem Faltblatt Wer wir sind und was wir wollen von Navend.
82 Vgl. das Faltblatt Wer wir sind und was wir wollen von Navend.
98
5. Auswertung
Zu den Initiativen, die in Zusammenarbeit mit Vertretern der
deutschen Öffentlichkeit Lobby-Arbeit betreiben, gehört der Internationale Verein für Menschenrechte in Kurdistan IMK e.V. mit Sitz
in Bonn. Der Verein, in dem auch deutsche Politiker zu den Vorstandsmitgliedern gehören, veröffentlicht seit 1993 die Kurdistan
News, in der in deutscher Sprache Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei enthalten sind. Ähnlich zuzuordnen ist
der „Dialog-Kreis Krieg in der Türkei: Die Zeit ist reif für eine politische Lösung in Zusammenarbeit mit Wir e.V.“ mit Sitz in Köln,
der seit 1996 in unregelmäßigen Abständen das Bulletin Nützliche
Nachrichten herausgibt, das Nachrichten über die Situation der
Kurden in der Türkei und in der Bundesrepublik und Aktivitäten in
diesem Bereich enthält.
5.2.1.3.4 Bosnische Selbstorganisationen
Trotz der relativ hohen Zahl von Bosniern in der Bundesrepublik
ist die Zahl der Selbstorganisationen im Verhältnis niedrig. Der entscheidende Grund für den geringen Organisationsgrad von bosnischen Migranten ist, daß die Bildung eigener Vereine erst nach dem
Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien verstärkt einsetzte.
Davor waren Bosnier überwiegend in gesamt-jugoslawischen Vereinen organisiert. Dies läßt sich auch hinsichtlich religiös orientierter
islamischer Einrichtungen sagen, die damals wie heute BalkanMuslime unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit ansprachen. Zu
nennen wären hier muslimische Albaner und Makedonier. Auch im
Bereich kulturell orientierter Selbstorganisationen waren bosnische
Migranten in gesamtjugoslawischen aktiv. Der Aufbau eigener bosnischer Organisationen unterschiedlicher Ausrichtungen begann erst
nach Ausbruch des Krieges und befindet sich erst in der Aufbauphase. Die Aufbauphase ist retrospektiv betrachtet durch Diskontinuitäten und Fluktuation gekennzeichnet.
Im Rahmen der Untersuchung konnten im Bundesland Nordrhein-Westfalen bei der Adressensammlung lediglich 46 Selbstorganisationen erfaßt werden, bei denen die nationale Zuordnung aufgrund des Namens oder anderer Informationen möglich war. Die
Verteilung der bosnischen Selbstorganisationen nach Vereinstypen
zeigt einige Häufungen. Rund ein Viertel der bosnischen Selbstorganisationen sind Moschee- bzw. sonstige religiös orientierte Vereine
(23,9%/absolut 11), von denen vier (8,7%) eindeutig als Moscheevereine einzuordnen waren. Bei diesem Vereinstyp besteht auch ein
Dachverband, die „Vereinigung Islamischer Gemeinden der Bosniaken in Deutschland e.V.“, der seinerseits Mitglied im Zentralrat
der Muslime in Deutschland (ZMD), einer nationenübergreifenden
Dachorganisation, ist. Ein weiterer Typ bosnischer Selbstorganisationen sind politisch orientierte Vereine. Hier muß an erster Stelle
die „Gemeinschaft demokratischer Aktion“ (Stranska Demokratia
Aktia - SDA) genannt werden, die der gleichnamigen Partei in Bosnien-Herzegowina nahesteht. Sie hat ihre Europa-Zentrale in Stuttgart und in den verschiedenen Bundesländern regionale Zentralen.
Nach Ausbruch des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien entstanden zahlreiche Vereine, deren Ziel die Organisierung humanitärer Hilfsleistungen war. Die Größte unter diesen Wohlfahrtsorganisationen ist „Merhamet“, deren Deutschlandzentrale sich in Bonn
befindet und die bundesweit 15 örtliche Vereine - hierunter 6 in
Nordrhein-Westfalen - einrichtete, die jedoch eher unabhängig voneinander arbeiteten.83 Infolge des Kriegsendes haben die Aktivitäten
dieser Hilfsvereine stark abgenommen oder sind zum Stillstand
gekommen. Unter den bosnischen Selbstorganisationen finden sich
als weitere Gattung Kulturorganisationen, deren Aktivitäten auf den
Erhalt der eigenen Identität, aber auch auf die Vermittlung von Informationen über das hiesige Leben abzielen und somit eine Integrationsorientierung aufweisen. Unter diesen finden sich überregionale
Kulturorganisationen wie Matica Bosnjaka mit Sitz in Coesfeld und
der Verein Preporod in Wuppertal.84
5.2.1.3.5 Maghrebinische Selbstorganisationen
Aufgrund der relativ kleinen Zahl und der Streuung der Migranten aus den Maghreb-Staaten sind auch von ihnen gebildete Selbstorganisationen lediglich in kleinerer Zahl vorhanden. Im Rahmen
unserer Untersuchung konnten in Nordrhein-Westfalen lediglich 67
maghrebinische Selbstorganisationen ermittelt werden. Die Zahl der
aufgrund des Namens als „marokkanisch“ identifizierbaren Selbstorganisationen bildet mit 44 den größten Teil der maghrebinischen
Vereine. Eine Häufung bei den Vereinstypen ist lediglich bei Moscheevereinen festzustellen, deren Anteil bei 23,3% (absolut 10) liegt. Mit
weiteren vier (9,3%) sonstigen religiösen Selbstorganisationen erhöht
sich der Anteil der Selbstorganisationen, deren Hauptaktivität religiöse Belange sind, auf 32,6% aller marokkanischen Vereine. Zielgruppenorientierte Vereinsbildungen bei Marokkanern finden sich
vereinzelt als Sportvereine oder Elternvereine. Die Zahl der Selbstorganisationen, die dem Vereinsnamen nach als tunesisch ausgewiesen waren, liegt bei lediglich 11, von denen keine einem bestimmten
Typus zugeordnet werden konnte. Bei den weiteren Selbstorganisationen handelt es sich teilweise explizit um „maghrebinische“ bzw.
„arabische“ Selbstorganisationen, in denen neben Maghrebinern
auch Araber anderer Staaten vertreten sind. Die Zahl der tatsächlich
aktiven bzw. bestehenden liegt jedoch, wie in der Erhebungsphase
festgestellt werden konnte, erheblich niedriger. So konnten viele
Selbstorganisationen als „unbekannt verzogen“ oder möglicherweise aufgelöst auf dem Postweg nicht erreicht werden. Unter den
maghrebinischen Selbstorganisationen finden sich hauptsächlich
Moschee-, Kultur- und Familienvereine. Zu ihren Aktivitäten gehören neben der Möglichkeit der Begegnung und des Kontaktes untereinander die Organisierung von muttersprachlichem Unterricht,
religiöser Unterweisung und die informelle Wahrnehmung sozialberaterischer Betreuungsaufgaben. In einzelnen Fällen werden auch
Vorträge über das Herkunftsland und seine Kultur durchgeführt.85
83 Vgl. Zentrum für Türkeistudien: Studie über Islamische Organisationen der türkischen, marokkanischen, tunesischen und bosnischen Minderheiten in Hessen..., S. 152-153.
84 Ebenda, S. 152-154.
85 Aus dem Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der marokkanischen „Islamischen Gemeinde“ in Herne, Herr Ramdani.
99
5. Auswertung
Tabelle 4: Typus der ermittelten Selbstorganisationen nach Nationalitäten, absolut und prozentual
Insgesamt Moschee- religiöse
vereine
Dachverbände
sonstige
religiöse
Vereine
Sportvereine
Jugendvereine
Elternvereine
Unternehmervereine
Altenvereine
Lehrervereine
Frauen- Studenten- Berufsvereine
vereine
vereine
Behindertenhilfsvereine
Türkei
1281
89,4
445
96,7
6
85,7
70
83,3
216
96,4
22
91,7
45
97,8
15
100,0
4
66,7
8
100,0
19
95,0
6
85,7
10
100,0
3
100,0
türkisch
1228
85,7
445
96,7
6
85,7
67
79,8
214
95,5
19
79,2
45
97,8
-
4
66,7
8
100,0
14
70,0
6
85,7
10
100,0
3
100,0
kurdisch
53
3,7
-
-
3
3,6
2
0,9
3
12,5
-
-
-
-
5
25,0
-
-
-
Bosnien-Herzegowina
46
3,2
4
0,9
1
14,3
7
8,3
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Jugoslawien 1)
29
2,0
-
-
-
4
1,8
-
-
-
1
16,7
-
-
-
-
-
Marokko
43
3,0
10
2,2
-
4
4,8
4
1,8
-
1
2,2
-
-
-
-
-
-
-
Tunesien
11
0,8
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
muslimisch
2
0,1
1
0,2
-
-
-
1
4,2
-
-
-
-
-
-
-
-
maghrebinisch
6
0,4
-
-
2
2,4
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
nationenübergreifend
15
1,0
-
-
1
1,2
-
1
4,2
-
-
1
16,7
-
1
5,0
1
14,3
-
-
1433
100,0
460
100,0
7
100,0
84
100,0
224
100,0
24
100,0
46
100,0
15
100,0
6
100,0
8
100,0
20
100,0
7
100,0
10
100,0
3
100,0
Insgesamt
1) Jugoslawische Selbstorganisationen, die keiner Nationalität der Nachfolgestaaten zugeordnet werden konnten
5.2.2 Rücklauf
5.2.2.1 Rücklauf insgesamt
Von den insgesamt erfaßten 1.785 Organisationen wurde 1.327
ein Fragebogen zugeschickt. Dies waren alle mit Adressen ermittelten Selbstorganisationen, darüber hinaus jedoch auch interbzw. multikulturellen Einrichtungen sowie deutschen Einrichtungen
mit migrantenspezifischen Aktivitäten bzw. Angeboten, und auch
Selbstorganisationen, bei denen aufgrund des Namens die
Zuordnung zu einem Herkunftsland nicht möglich war, jedoch die
Möglichkeit bestand, daß es sich um eine Selbstorganisation der hier
untersuchten Gruppen handeln könnte. Weitere Adressen wurden zu
einem Teil herausgefiltert, da es sich bereits vor der Erhebung herausstellte, daß es sich um Migrantenselbstorganisationen anderer,
hier nicht untersuchter Herkunftsländer oder um deutsche
Einrichtungen handelt, deren Zielgruppen andere sind (Deutsche
oder andere Nationalitäten). Darüber hinaus konnten insgesamt 265
Selbstorganisationen nicht angeschrieben werden, da ihre Adressen
nicht zu ermitteln waren oder zu spät ermittelt wurden. Hier muß erwähnt werden, daß die Ermittlung weiterer Selbstorganisationen
auch über den Erhebungszeitraum hinaus fortgesetzt wurde. Mit
einem Gesamtrücklauf von 377 Fragebögen bei 1.327 verschickten
insgesamt ergibt sich eine Quote von 28,4%. Subtrahiert man die
156 als unzustellbar zurückgekehrten Fragebögen, reduziert sich die
Zahl der gültigen Adressen auf 1.171. Unberücksichtigt bleibt dabei,
daß nicht in jedem Fall nicht zustellbare Postsendungen auch an den
Absender zurückgehen. Insgesamt 382 Fragebögen wurden ausgefüllt
zurückgeschickt. In fünf Fällen antworteten Vereine doppelt, d.h. bei
86 Dies war der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ).
100
der telefonischen Erinnerung wurde um die erneute Zuschickung
des Fragebogens gebeten, woraufhin beide Fragebögen dann von
zwei verschiedenen Personen ohne Wissen des anderen ausgefüllt
und zurückgeschickt wurden. Damit verbleiben 377 gültige
Antworten, was eine Nettorücklaufquote von 32,2 % ergibt.
Berücksichtigt man, daß ein türkischer Dachverband stellvertretend
für seine 125 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen antwortete, wäre
bei Berücksichtigung dieser die Rücklaufquote insgesamt höher
gewesen.86
Die Rücklaufquote ist als zufriedenstellend zu bezeichnen, wenn
man einerseits die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Befragung
von Migranten in Rechnung stellt. Hier ist vor allem das Sprachproblem zu nennen. Außerdem hatten sich einige islamische Dachverbände selber nicht an der Erhebung beteiligt und die Mitgliedsvereine auch nicht zur Teilnahme motiviert, so daß nur einzelne dieser antworteten. Dies waren die „Islamische Gemeinde Milli Görüş
(IGMG)“, die „Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in
Europa e.V.“ (Avrupa Türk İslam Birliği - ATİB) und die „Föderation
der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa“ (Avrupa
Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu - kurz: Türk Federasyon). Im Falle des „Verbandes der islamischen Kulturzentren
(VIKZ)“ wiederum antwortete, wie bereits erwähnt, der Dachverband stellvertretend für die Mitgliedsgemeinden.
5. Auswertung
Tabelle 5: Verteilung der ermittelten Adressen
abs.
%
458
156
776
377
5
1
12
25,7
8,7
43,5
21,1
0,3
0,1
0,7
1785
100,0
nicht verwendet
Adresse unbekannt
keine Antwort
Antwort
Doppelantwort
verzogen
aufgelöst
N=
Tabelle 8: Selbstorganisationen nach Staatsangehörigkeiten
Türkei, darunter
türkische Selbstorganisationen
kurdische Selbstorganisationen
Bosnien-Herzegowina
Jugoslawien
Marokko
Tunesien
nationenübergreifend
N=
abs.
%
323
314
9
6
2
5
3
5
93,9
91,3
2,6
1,7
0,6
1,5
0,9
1,5
344
100,0
Tabelle 6: Ausschöpfungsquote nach Art der Organisationen
Selbstorganisationen
nicht verwendet
Adresse unbekannt
keine Antwort
Antwort
Doppelantwort
verzogen
aufgelöst
N=
deutsche
interkulturell/
abs.
%
abs.
%
abs.
%
abs.
%
319
145
721
347
5
1
12
20,6
9,4
46,5
22,4
0,3
0,1
0,8
108
2
20
11
-
76,6
1,4
14,2
7,8
-
7
5
26
9
-
14,9
10,6
55,3
19,1
-
24
4
9
10
-
51,1
8,5
19,1
21,3
-
1550 100,0
141 100,0
47 100,0
47 100,0
Missing: 0
Die Rücklaufquote nach Art der Organisationen ausdifferenziert zeigt,
daß es sich mit 92% (absolut 347 von 377) um Selbstorganisationen
handelt. Neben diesen beteiligten sich 11 (2,9%) deutsche Einrichtungen, 9 (2,4%) interkulturelle und 10 (2,65%) Organisationen, die
nicht zugeordnet werden konnten.
Tabelle 7: Ausschöpfungsquote der erhaltenen Fragebögen
abs.
%
Selbstorganisationen
deutsche Organisationen
inter-/multikulturell
nicht zuzuordnen
Doppelantwort
347
11
9
10
5
90,8
2,9
2,4
2,6
1,3
N=
382
100,0
Unter den 347 Antworten der Selbstorganisationen befanden sich
drei, die nicht in die Auswertung miteinbezogen werden konnten, so
daß sich die Zahl auf 344 reduziert. Bei den übrigen handelt es sich
um Organisationen anderer Nationalität bzw. um herkunftsheterogene
Selbstorganisationen, die von der Projektgruppe in Münster ausgewertet wurden. Die Verteilung des Rücklaufs auf die hier untersuchten
Gruppen zeigt, daß 93,9% der Antworten (323) von Selbstorganisationen der Migrantengruppen aus der Türkei stammen. Unter diesen
haben als „türkisch“ einzustufende Selbstorganisationen mit 91,3%
(314) den größten Anteil. Der Anteil kurdischer Selbstorganisationen
an dem in die Untersuchung einfließenden Rücklauf liegt bei lediglich 2,6%. Der Anteil maghrebinischer Selbstorganisationen am
Gesamtrücklauf liegt zusammen bei 2,4%, derjenige bosnisch-herzegowinischer bei 1,7%. Nationenübergreifende Selbstorganisationen,
in denen überwiegend Migranten der hier untersuchten Herkunftsländer organisiert sind und dadurch in die Auswertung miteinbezogen
wurden, machen einen Anteil von 1,5% aus (vgl. Tabelle 8, Selbstorganisationen nach Staatsangehörigkeiten, S. 103).
101
5.2.2.2 Rücklauf nach Vereinstypen
Wertet man den Rücklauf nach Vereinstypen aus, erkennt man
ein deutliches Übergewicht der Moscheevereine, die 39,8% (absolut
137) der Antworten ausmachen. Rechnet man die 5,7% (18) „sonstigen religiösen Vereine“ hinzu, ergibt sich für religiös orientierte
Einrichtungen eine Beteiligungsquote von 45,5% (absolut 155).
Dieser Anteil liegt einige Prozentpunkte über deren Anteil bei den
erfaßten religiös orientierten Selbstorganisationen (38%), wodurch
sie um etwa 7% überrepräsentiert sind. Einschränkend muß hier
erwähnt werden, daß der Anteil der religiös orientierten Selbstorganisationen insgesamt höher liegen wird, aber aufgrund fehlender
Informationen bei den Vereinen, die sich nicht beteiligten, kein genauerer Wert zu ermitteln war. Deutlich unterrepräsentiert im Rücklauf sind Sportvereine, die einen Anteil von 8,1% (absolut 28) einnehmen, denn ihr Anteil bei den erfaßten Selbstorganisationen liegt
bei 15,6%. Eine Erklärung hierfür dürfte eine höhere Fluktuation bei
diesem Vereinstyp sein. In der Phase der Erfassung und Erhebung
wurde bei vielen festgestellt, daß sie nicht mehr existieren. Eine
weitere Erklärung für den geringeren Beteiligungsgrad könnte ein
geringeres Interesse an der Erhebung aufgrund des eingeschränkten
Betätigungsfeldes der Sportvereine sein. Verallgemeinern läßt sich
dies jedoch nicht, denn unter den Sportvereinen gibt es auch einzelne, die neben der Organisierung sportlicher auch andere Aktivitäten organisieren. Leicht überrepräsentiert sind bei dem in die Auswertung eingeflossenen Rücklauf Elternvereine, deren Anteil bei
4,1% (absolut 14) liegt (ihr Anteil bei den erfaßten Selbstorganisationen liegt bei 3,2%). Mit kleineren Zahlen und Anteilen sind beim
Rücklauf des weiteren Unternehmervereine (1,1%/absolut 6),
Lehrer- und Frauenvereine (je 1,5%/absolut 5), Seniorenvereine
(1,2%/absolut 4), Berufs- und Jugendvereine (je 0,9%/absolut 3)
sowie Behindertenhilfsvereine (0,6%/absolut 2). Ein Drittel aller
Selbstorganisationen (33,7%/absolut 116), waren nicht einem dieser
Vereinstypen zuzuordnen. Um dies vornehmen zu können, müßten
weitere Kategorien der Vereinstypen festgelegt werden. (Vgl. hierzu
die folgende Tabelle 9, Rücklauf nach Vereinstyp).
5. Auswertung
Tabelle 9: Rücklauf nach Vereinstyp
Moscheevereine
sonstige religiöse Vereine
religiöse Dachverbände
Sportvereine
Jugendvereine
Elternvereine
Unternehmervereine/-verbände
Altenvereine
Lehrervereine
Frauenvereine
Berufsvereine
Behindertenhilfsvereine
sonstige Vereine
N=
abs.
%
137
18
3
28
3
14
6
4
5
5
3
2
116
39,8
5,7
0,9
8,1
0,9
4,1
1,1
1,2
1,5
1,5
0,9
0,6
33,7
344
100,0
5.2.2.3 Rücklauf nach Herkunftsländern
Die Ausschöpfung des Rücklaufs, bezogen auf die verschiedenen
Herkunftsländer, zeigen zum Teil große Unterschiede. Die höchste
Rücklaufquote war bei türkischen Selbstorganisationen zu verzeichnen. Bei insgesamt 1.019 angeschriebenen Selbstorganisationen
ergibt sich bei 314 Antworten eine Rücklaufquote von 31,1%. Berücksichtigt man, daß eine der Dachorganisationen, der Verband der
Islamischen Kulturzentren (VIKZ), zentral für seine 125 in Nordrhein-Westfalen ansässigen Gemeinden antwortete, erhöht sich der
Rücklauf thoretisch auf 43,3%. In die Auswertung miteinbezogen
werden konnten jedoch nur 314 Antworten, da drei Antworten nicht
verwertbar waren. Die Rücklaufquote bei kurdischen Selbstorganisationen liegt mit 9 Antworten bei 43 verschickten Fragebögen bei
20,9%. Eine Erklärung für die geringere Beteiligung ist der höhere
Anteil der Selbstorganisationen, denen der Fragebogen aufgrund
einer geänderten Adresse nicht zugestellt werden konnte (vgl. hierzu
und zu den folgenden Angaben die Tabelle 8, Selbstorganisationen
nach Staatsangehörigkeiten, S. 103).
Deutlich niedriger ist die Beteiligung bei den Selbstorganisationen der anderen Herkunftsländer. Die Rücklaufquote bei maghrebinischen Selbstorganisationen insgesamt liegt bei 15,2% (9 von insgesamt 59). Differenziert man den Rücklauf nach den Organisationen
aus, die einem Herkunftsstaat zugeordnet werden konnten, ergeben
sich andere Werte. Bei marokkanischen Vereinen liegt er mit 12,5%
(5 von insgesamt 40), bei tunesischen wiederum mit 27,2% (3 von
insgesamt 11) sehr viel höher. Bei nationenübergreifenden Selbstorganisationen wiederum liegt die Rücklaufquote mit 30,9% (30 Antworten bei 97 angeschriebenen Selbstorganisationen) sehr viel höher.
Von diesen konnten aufgrund ihrer Zusammensetzung nur fünf in die
Auswertung miteinbezogen werden. Die niedrigste Rücklaufquote
war bei bosnischen Selbstorganisationen zu verzeichnen. Von insgesamt 40 angeschriebenen bosnischen Vereinen und vergleichbaren
Einrichtungen antworteten lediglich 6, was einer Rücklaufquote von
genau 15% entspricht. Der hohe Anteil nicht zustellbarer Fragebögen (27,5%) ist eine entscheidende Erklärung für die geringe
Beteiligung, die zudem auf eine hohe Fluktuation bei bosnischen
Selbstorganisationen hinweist.
102
5.2.2.4 Rücklauf nach Regierungsbezirken
Die Rücklaufquoten aus den einzelnen Regierungsbezirken
decken sich annäherungsweise mit deren Anteilen an der Gesamtzahl
der erfaßten Selbstorganisationen. Der Gesamtrücklauf von 344
Fragebögen verteilt sich relativ proportional zu den Anteilen der
ermittelten Selbstorganisationen in den Regierungsbezirken und entspricht auch der demographischen Verteilung der Migranten. Hier
muß einschränkend erwähnt werden, daß lediglich demographische
Daten zur Verteilung der größten Gruppe, der türkischen Staatsbürger, vorlagen. Möglich ist der Vergleich dennoch in beiden Fällen,
da sowohl der Anteil der erfaßten als auch der Anteil beim Rücklauf
(93,9%) bei über 90% liegen. Sowohl die größte Populations- als
auch die Organisationsdichte ist im Regierungsbezirk Düsseldorf
festzustellen. Der Anteil des Rücklaufs liegt mit 27,3% etwas unter
dem Anteil der ermittelten Vereine, der sich auf 30,3% beläuft. Der
zweithöchsten Organisationsdichte der erfaßten Selbstorganisationen
von 23,5% im Regierungsbezirk Arnsberg steht eine darunter liegende
Rücklaufquote von 19,8% gegenüber. Leicht überrepräsentiert im
Rücklauf ist der Regierungsbezirk Köln, wo 22,4% dem Anteil der
erfaßten Selbstorganisationen von 19,1% gegenüberstehen. Die
Regierungsbezirke mit der geringsten Organisationsdichte, Münster
(15,5%) und Detmold (11,6%), sind in der Rücklaufquote mit
18,3% im erstgenannten, und 12,2% im letztgenannten Fall leicht
überrepräsentiert (vgl. die Tabelle 3).
5.2.3 Organisationsentwicklung
Die Ergebnisse der Untersuchung hinsichtlich der Frage nach
dem Gründungsjahr gibt Aufschlüsse über die durchschnittliche zeitliche Existenz, die quantitative Entwicklungslinie bei der Bildung
von Selbstorganisationen sowie die Spezifika dieser Entwicklung
(vgl. die folgende Tabelle 10, Alter der Selbstorganisationen). Unter
den Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten, gaben
viele Gründungsjahre an, die in die ersten Jahre der Migrationsgeschichte zurückreichen. Während zwei Vereine (0,6%) Gründungsdaten angaben, die auf 25-29 Jahre zurückgehen, waren auch drei
Vereine vertreten, die seit 30 und mehr Jahren existieren. Handelt
es sich zusammengerechnet auch nur um 1,5% aller Selbstorganisationen, die seit mindestens 25 Jahren bestehen, wird die Kontinuität
der Vereinsaktivitäten an diesen Beispielen besonders deutlich. Noch
deutlicher wird dies, wenn man die darunter liegenden „Altersgruppen“ hinzuzieht. Bei Einbeziehung der Selbstorganisationen,
die zwischen 20-24 Jahre bestehen, hat man einen Anteil von 9,8%
an Vereinen, die bereits vor 20 und mehr Jahren in die Organisationslandschaft eingetreten sind. Der Anteil der Selbstorganisationen wiederum, die seit mindestens 10 Jahren bestehen, macht mit 51,7%
mehr als die Hälfte aller an der Erhebung beteiligten aus. Dies entspricht in etwa auch dem ermittelten Durchschnittsalter aller an der
Erhebung beteiligten Selbstorganisationen, das bei 10,3 Jahren liegt.
5. Auswertung
sche Lesekreise“ oder eine Schwimmgruppe für Musliminnen insbesondere alevitische Kulturvereine, die sich erst vor zehn Jahren zu
formieren begannen und deren Zahl seitdem kontinuierlich angewachsen ist. In den Ergebnissen der Erhebung wird dieser Trend
ebenfalls deutlich. Die ersten Vereine dieses Typus, die sich an der
Erhebung beteiligten, sind nicht älter als 10 Jahre. In den folgenden
Jahren sind Zahlen und Anteil kontinuierlich gewachsen. 64,7%
(absolut 11) aller Selbstorganisationen dieses Typs sind nicht älter
als 4 Jahre. Auch ihr Anteil an allen Neugründungen ist zuletzt auf
13,8% angestiegen.
Tabelle 10: Alter der Selbstorganisationen
abs.
%
bis 4 Jahre
5 bis 9 Jahre
10 bis 14 Jahre
15 bis 19 Jahre
20 bis 24 Jahre
25 bis 29 Jahre
30 Jahre und länger
80
84
78
64
28
2
3
23,6
24,8
23,0
18,9
8,3
0,6
0,9
Durchschnittsalter
10,3 Jahre
N=
339
100,0
Missing: 5
Die Häufungen in den verschiedenen „Altersgruppen“ geben auch
Aufschluß über die Entwicklungslinie bei der Bildung von Selbstorganisationen. Generalisierend läßt sich anhand der Werte feststellen,
daß sich der Prozeß der Bildung von Selbstorganisationen bis in die
Gegenwart kontinuierlich fortsetzt. Deutlich wird dies bei der jüngsten Altersgruppe. Nahezu ein Viertel aller Selbstorganisationen
(23,6%), die sich an der Erhebung beteiligten, sind in den letzten 4
Jahren entstanden. Die Verteilung auf die folgenden Gruppen, die in
je fünf Jahre unterteilt sind, zeigen proportional gleich große Anteile:
24,8% (84) der Selbstorganisationen existieren zwischen 5-9 Jahre
und 23% (84) zwischen 10-14 Jahre. Die Anteile deuten auf eine
kontinuierliche Wachstumsrate in den letzten 15 Jahren.
Eine Auswertung der Altersstruktur der Selbstorganisationen nach
Vereinstypen weist einige Signifikanzen auf, die in Übereinstimmung
mit bestimmten Beobachtungen stehen, für die bislang empirische
Belege fehlten. Die wachsende Zahl zielgruppenorientierter Vereinsbildungen als neuere Tendenz wird auch anhand des Rücklaufs
deutlich. Eine Ausnahme hierbei bilden Moscheevereine, deren Entstehungsphase in die Anfangszeit der siebziger Jahre zurückreicht,
wo in steigender Zahl die Einrichtungen von Gebetsstätten zu verzeichnen ist. Das höchste Entwicklungspotential - auch im Verhältnis
zu den Vereinsbildungen insgesamt - entfaltete sich im Zeitraum
zwischen 1978-1987. 69,4% der Moscheevereine, die sich an der
Erhebung beteiligten, wurden in diesen Jahren gegründet. In dem
genannten Zeitraum liegt der Anteil von Moscheevereinen an der
Gesamtzahl der Vereinsgründungen bei 70,3% (1978-1982) und bei
61,5% (1983-1987). Gemessen an den Ergebnissen des Rücklaufs ist
für die folgenden Jahre ein kontinuierlicher Rückgang bei der Neugründung von Moscheevereinen zu beobachten. So liegt der Anteil
der Moscheevereine, die zwischen 1988-1992 gegründet wurden, bei
11,2% (15 absolut), derjenigen, die zwischen 1993-1996 gegründet
wurden, bei 6,7% (9 absolut). Auch im Verhältnis zum Anteil an den
Neugründungen insgesamt ist die Tendenz rückläufig. So lag ihr
Anteil im Zeitraum 1988-1992 bei 17,9%, zwischen 1993-1996 nur
noch bei 11,3% aller Neugründungen. Die rückläufige Tendenz bei
der Gründung neuer Vereine dürfte damit zu erklären sein, daß der
Bedarf an Moscheeeinrichtungen weitgehend gedeckt ist und sich
dem Sättigungsgrad genähert hat.
Ein gegenläufiger Trend ist bei den „sonstigen“ religiös orientierten Selbstorganisationen zu verzeichnen. In diese Kategorie fallen
neben spezifischeren Vereinen und Selbsthilfegruppen wie „islami-
103
Darin zeigt sich schon der Trend der letzten Jahre, die Bildung
klientel- und zielgruppenorientierter Selbstorganisationen, der auch
anhand der verstärkten Gründung anderer Vereinstypen aufgezeigt
werden kann. In einigen Bereichen gab es zwar bereits in den siebziger und achtziger Jahren das Phänomen spezifischerer Vereinsbildungen, wie im Falle der Elternvereine. Ein größerer Zuwachs bei
diesen ist jedoch auch erst im Zeitraum 1988-92 festzustellen, in dem
mit 50% die Hälfte der heute existierenden Elternvereine gegründet
wurde. Die verstärkte Gründung von Elternvereinen ist vor dem
migrationsgeschichtlichen Hintergrund zu sehen. Das bis Anfang
der achtziger Jahre zu beobachtende Phänomen der „Pendelkinder“
ist mittlerweile verschwunden. Die mit der geplanten Rückkehr verbundene Entscheidung, die Kinder bereits vorher in das Herkunftsland zurückzuschicken, damit es dort seine schulische Ausbildung
macht, ist heutzutage so gut wie gar nicht mehr anzutreffen. Nach
Abschluß des Rückkehrprozesses, der während der Rückkehrfördermaßnahmen der Bundesregierung (1983-85) ihren Höhepunkt erreicht
hatte, hat sich für die hier lebenden Migranten der Prozeß der Niederlassung konsolidiert, und entsprechend haben sich die Bemühungen
bei der Lösung schulischer Probleme auf die Bundesrepublik verlagert.
Der Prozeß der funktionalen Differenzierung bei der Gründung
neuer Vereine wird auch bei berufsständischen Selbstorganisationen
deutlich. Die Selbständigenvereine und Unternehmerverbände stellen
ein neueres Phänomen dar, das erst Ende der achtziger Jahre in Erscheinung tritt. Auch bei der Auswertung des Rücklaufs wurde dies
deutlich. Die 6 Unternehmervereine und -verbände (allesamt türkische), die sich an der Erhebung beteiligten, wurden erst nach 1990
gegründet.
Abb. 1:
5. Auswertung
Die oben dargelegten Ergebnisse und Entwicklungen sind gleichsam Indikatoren für den sozialen Wandel und einen Prozeß der Ausdifferenzierung innerhalb der Migrantengruppen, die sich in spezifischen Vereinsbildungen niederschlägt. Die Bildung von Unternehmerverbänden und -vereinen verweist auf die vertikale Ausdifferenzierung der Migrantengesellschaft (hier insbesondere der türkischen).
Die Entstehung klientel- bzw. zielgruppenorientierter Selbstorganisationen verweist vor allem auf die horizontale Ausdifferenzierung der
Migrantengruppen, die sich in Form von Vereinsbildungen um eine
gemeinsame Interessenlage herum organisieren bzw. ein spezifisches
Interesse mit der Vereinsbildung verfolgen. Als Beispiele hierfür seien
die Behindertenhilfsvereine, Berufsvereine, Altenvereine und Elternvereine genannt.
Abb. 2:
5.2.4 Rechtlicher Status
Die Bildung von Selbstorganisationen kann in informeller wie
auch in formeller Form erfolgen. Neben informellen Zusammenschlüssen, wie Selbsthilfe- oder Initiativgruppen, besteht auch für
Migranten rechtlich die Möglichkeit, in formalisierten und rechtlich
abgesicherten Formen tätig zu sein.86 Selbsthilfegruppen ohne rechtlichen Status finden sich in einigen Fällen bei Einrichtungen der
Wohlfahrt, die die Aktivitäten durch Räumlichkeiten oder finanzielle
Förderung unterstützen. In manchen Fällen wird der Status als eingetragener Verein angestrebt, um - wenn auch meist in kleinerem
Rahmen - gewinnwirtschaftliche Ziele zu verfolgen. So gibt es einige
als „Verein“ tätige Einrichtungen, die eher in die Kategorie „Teestube“
einzuordnen sind. Auch wenn es nicht möglich ist, quantitative
Angaben zu dieser Form der Nutzung des Rechtsstatus zu machen,
zeigen die Befragungsergebnisse, daß es sich eher um einen geringen
Anteil unter den Selbstorganisationen handelt. Mit dem Status als
„eingetragener Verein“, der gegebenenfalls auch den Status der Gemeinnützigkeit erwirbt, sind nicht allein steuerliche Vergünstigungen
verknüpft. In manchen Fällen - beispielsweise Moscheevereinen - ist
die Rechtsfähigkeit Voraussetzung für die Verwirklichung eigener
Zielsetzungen, etwa den Bau und den Betrieb einer Einrichtung (in
diesem Falle einer Moschee). Der Status als rechtsfähiger Verein ist
für Moscheevereine besitzrechtlich von Bedeutung, da nur durch den
körperschaftlichen Besitz vor persönlichem Mißbrauch geschützt
werden kann. Der Erwerb eines gesicherten rechtlichen Status kann
unabhängig von den damit verknüpften Möglichkeiten auch als ein
Anzeichen dafür angesehen werden, daß mit dem formalisierten Zusammenschluß ein ernsthaftes und dauerhaftes Ziel verfolgt wird.
So gut wie kaum vertreten sind Selbstorganisationen, die den rechtlichen Status einer Stiftung haben. Bekannt ist, daß verschiedene
Dachverbände islamischer Selbstorganisationen darum bemüht sind,
den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes zu erlangen,
der bislang jedoch keinem zugestanden wurde. Mit der Zuerkennung
dieses Status sind bestimmte Rechte verbunden, wie sie die etablierten Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik bereits in Anspruch nehmen können. Hierzu gehören u.a. die Mitwirkung an der
Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts, die Berücksichtigung des Islam in den Medien, der rechtliche Anspruch auf die
Freistellung vom Schulunterricht oder von der Arbeit an religiösen
Feiertagen und der Betrieb eigener Friedhöfe.87
Im Rahmen der Erhebung wurden die Selbstorganisationen auch
nach ihrer Rechtsform befragt. Die Auswertung zeigt, daß der größte
Teil der Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten,
ihre Aktivitäten in formalisierter Form betreiben. Von insgesamt 342
Selbstorganisationen gaben insgesamt 97,1 (332 absolut) an, ein eingetragener Verein zu sein. Der größte Anteil dieser, insgesamt
83,6% (286 absolut), hat darüber hinaus auch den Status der Gemeinnützigkeit erlangt. Nur ein kleiner Teil, 2,9% (10 absolut), der an der
Erhebung beteiligten Selbstorganisationen gab an, kein formalisierter
und als solcher anerkannter Zusammenschluß zu sein. Zwei Selbstorganisationen wurden auf Grundlage anderer Angaben als Selbsthilfegruppen eingestuft. Die Dauerhaftigkeit bzw. der Anspruch, die
Aktivitäten in einem formalisierten Rahmen zu gestalten, wird neben
den Ergebnissen zum Alter der Selbstorganisationen auch an denen
zur Rechtsform deutlich. Der Bitte um Beifügung der Satzung kam
ebenfalls der größte Teil der Vereine nach (79,1%/272 absolut) nach.
Erkennbar ist hieran die Bereitschaft, Außenstehenden Einblick in
interne Angelegenheiten zu geben, d.h. es wird deutlich, daß bei vielen eine Offenheit gegenüber Interesse von außen vorhanden ist.
86 Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen vgl. Marx, Reinhard: Rechtliche Grundlagen der Selbstorganisationen von Ausländern, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit
Nr. 3-4/1987, S. 40-41.
87 Zur rechtlichen Stellung der islamischen Organisationen und der Frage des Körperschaftsstatus siehe Stempel, Martin: Islamische Organisationen im deutschen Recht, in:
Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 3/1988, S. 108-115.
104
5. Auswertung
Die Auswertung des Rücklaufes hinsichtlich der Organisierung
bzw. Mitgliedschaft in Dachverbänden zeigt, daß mehr als die Hälfte
aller, die sich an der Erhebung beteiligten, Mitglied eines Dachverbandes sind. Von insgesamt 344 Selbstorganisationen gaben 66%
(227 absolut) an, einem Verband angeschlossen zu sein. Mitglied in
keiner Dachorganisation sind nur 34% (117 absolut). Die Ergebnisse
zeigen die Bedeutung der Dachverbände bei der Organisierung einer
überregionalen Vernetzung.
Tabelle 11: Rechtsform
eingetragener Verein
davon gemeinnützig
kein eingetragener Verein
Selbsthilfegruppe
N=
abs.
%
332
286
8
2
97,1
83,6
2,3
0,6
342
100,0
Missing: 2
Tabelle 12: Satzung beigelegt
ja
nein
N=
abs.
%
272
72
79,1
20,9
344
100,0
Missing: 0
5.2.5 Mitgliedschaft in Dachverbänden
Unter den Selbstorganisationen der verschiedenen Migrantengruppen in der Bundesrepublik gibt es eine Vielzahl von Dachorganisationen, von denen viele bereits in den siebziger Jahren gegründet
worden waren. In den vergangenen Jahren haben sich zu diesen
weitere Verbände bzw. Dachorganisationen gesellt, die sich von den
zuvor gegründeten unterscheiden. Seit Mitte der achtziger Jahre sind
zu den religiös orientierten islamischen und den damals politisch
orientierten Dachverbänden solche hinzugekommen, die speziellere
Anliegen verfolgen und andere Gründungsmodelle haben. Parallel
zur Verstetigung der Verbleibabsicht begannen einzelne Vereine, sich
in regionalen und überregionalen Zusammenschlüssen zusammenzufinden, deren erklärtes Ziel die Interessenvertretung der Migrantengruppe auf regionaler Ebene war. Ein frühes Beispiel für einen
regionalen Zusammenschluß ist das „Bündnis türkischer Einwanderer“, das 1986 als Zusammenschluß unterschiedlicher Einzelvereine
gebildet wurde. Ähnliche Beispiele gibt es mittlerweile in fast allen
Bundesländern. Ein weiterer Verbund dieser Art ist die „Türkische
Gemeinde Essen-Ruhr“, die sich als Rahmen für die Koordination
von Aktivitäten begreift, die einer Verbesserung des Status und der
Verwirklichung von diesbezüglichen Zielsetzungen der türkischen
Migrantengruppe in der Region dienen.88 Dem Anspruch der überregionalen, sogar bundesweiten Interessenvertretung einer Migrantengruppe - in diesem Falle der Türken - hat sich die Türkische
Gemeinde in Deutschland (TGD) verschrieben, die 1995 formiert
wurde. In ihr sind sowohl Einzelvereine als auch regionale Zusammenschlüsse Mitglied.
Neben der Mitgliedschaft in Dachverbänden der Migranten gibt
es auch Selbstorganisationen, die in deutschen Organisationen Mitglied sind. Im Falle von Sportvereinen sind dies die Sportverbände.
Eine andere Form ist die Mitgliedschaft oder die Kooperation mit
Verbänden der Wohlfahrt. Im Falle der hier untersuchten Migrantengruppen sind dies fast ausschließlich der Deutsche Paritätische
Wohlfahrtsverband (DPWV) und die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Im
Falle des DPWV sind es überwiegend einzelne Mitgliedsvereine
bestimmter Dachorganisationen, wie der Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei (GDF) und des kurdischen Dachverbandes
KOMKAR. Im Falle der AWO handelt es sich um einzelne, auf sich
gestellte Initiativen bzw. Selbsthilfegruppen, die mit dem Verband
kooperieren bzw. Mitglied sind.
Wie diese Beispiele zeigen, existiert eine weitergehende Vernetzung durch die Mitgliedschaft in verschiedenen Dachorganisationen. Neben dem genannten Fall von Einzelvereinen eines Dachverbandes, die über diesen hinaus in anderen Dachorganisationen Mitglied sind, gibt es weitere Formen der Mitgliedschaft. Zu nennen
wäre die Mitgliedschaft von einzelnen Vereinen in verschiedenen
Dachorganisationen jeweiliger Migrantengruppen, die Mitgliedschaft
von Dachorganisationen in übergeordneten Spitzenverbänden einzelner Migrantengruppen, die Mitgliedschaft in nationalitätenübergreifenden Zusammenschlüssen (Bsp. Bundesarbeitsgemeinschaft der
Immigrantenverbände - BAGIV), nationenübergreifende wie im Falle
des Europäisches Migrantenforum, dem jedoch nur einige Vereine
bzw. Dachverbände angeschlossen sind).
Gemessen am Gesamtrücklauf bleibt die gleichzeitige Mitgliedschaft in verschiedenen Dachorganisationen jedoch die Ausnahme.
Lediglich ein kleiner Anteil unter ihnen gab die Mitgliedschaft in
mehr als einer Dachorganisation an. Das Ergebnis zeigt, daß die
Doppelmitgliedschaft eher der Ausnahmefall ist. Im Schnitt waren
die einzelnen Vereine (sowohl insgesamt als auch die Gruppe der
befragten) Mitglied in 1,03 Dachverbänden.
Neben diesen Versuchen sind in den letzten Jahren jedoch auch
Dachorganisationen entstanden, die eine spezifischere Form des Zusammenschlusses darstellen. Es handelt sich beispielsweise um Zusammenschlüsse von zielorientierten Einzelvereinen, wie Elternvereinen, oder zielgruppenorientierte Dachorganisationen, wie etwa
Unternehmer- oder Akademikerverbänden.
88 So wird vom Vorstand der Gemeinde der Anspruch formuliert. Aus einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Gemeinde, Ahmet Cumhur Aytulun, im September 1997.
105
5. Auswertung
Tabelle 13: Mitgliedschaft in den einzelnen Dachorganisationen
Mehrfachnennungen möglich
insgesamt
abs.
%
Antworten
abs.
%
keiner Dachorganisation angeschlossen 1)
Mitglied einer Dachorganisation
und zwar von:
DITIB
Türkische Gemeinde Deutschlands
Verband der Elternvereine Münster/Detmold
IGMG Islamische Gemeinde Milli Görüş
deutsche Sportverbände
AABF Föderation der alevitischen Kulturvereine
KOMKAR Verein der Arbeitnehmer aus Kurdistan
GDF Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei
HDF Föderation der Volksvereine türkischer
Arbeiterwohlfahrt
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband
VIKZ Verband der islamischen Kulturzentren
ABTT Föderation der Vereine westthrakischer Türken
ATAK Bund türkischer Akademikervereine
ATIB
ADÜTDF
Hür-Türk
andere Dachorganisationen
849
586
59,2
40,8
117
227
34,0
66,0
246
2
6
43
11
25
14
9
12
4
10
125
9
8
3
12
26
38
17,1
0,1
0,4
3,0
0,8
1,7
1,0
0,6
0,8
0,3
0,7
8,7
0,6
0,6
0,2
0,8
1,8
2,6
134
2
6
3
11
14
6
4
4
4
7
6
2
1
1
31
38,9
0,6
1,7
0,9
3,2
4,1
1,7
1,2
1,2
1,2
2,0
1,7
0,6
0,3
0,3
9,0
N=
1435
344
Missing: 0
1) Für die insgesamt ermittelten 1.435 Selbstorganisationen können die Zahlen der Mitgliedsvereine der
türkischen Dachverbände als weitgehend sicher gelten, da sie auf Angaben der Dachverbände selbst
beruhen. Die Zahl der Vereine/Organisationen, die keinem Dachverband angeschlossen sind, ist aber
niedriger, da über die Mitgliedschaft in anderen Dachverbänden (z.B. Sportverbänden oder lokalen
Zusammenschlüssen) nur für die Vereine Informationen vorlagen, die an der Befragung teilgenommen
haben.
Bei den in der Bundesrepublik bestehenden Dachverbänden der
Migranten dominieren zwei grundsätzliche Organisationsmodelle:
Der eine Organisationstypus ist der Zusammenschluß bereits bestehender eigenständiger, in der Regel eingetragener und gemeinnütziger Vereine. Die Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Dachverband
erfolgt auf eigenständige Initiative, und die Mitgliedsvereine des
Dachverbandes sind an den Entscheidungsprozessen innerhalb des
Zusammenschlusses beteiligt. Als neuere Beispiele hierfür können
exemplarisch der „Bund Türkischer Akademikervereine in Deutschland (ATAK)“ und der „Bundesverband Türkischer Studierendenvereine (BTS)“ genannt werden. In diesen Dachverbänden werden
die Vorstände bei zumeist jährlich stattfindenden ordentlichen Kongressen durch Vertreter der Mitgliedsvereine gewählt. Das zweite
Grundmodell einer überregionalen Organisationsform sind Vereine,
die als Ausgangspunkt für eine bundesweite Organisierung gebildet
werden. Die Verbandsarbeit erfolgt auch in den Fällen in der Regel
in der Form, daß der Vorstand auf jährlichen Kongressen gewählt
wird. Exemplarische Beispiele hierfür sind die älteren Dachorganisationen, wie der „Freiheitlich Türkisch-Deutscher Freundschaftsverein (Hür-Türk)“, der „Verband der Islamischen Kulturzentren
(VIKZ)“. Einige dieser Verbände, die eine Zentrale als Ausgangspunkt für eine bundesweite Organisation gründeten, zeichnen sich in
einigen Fällen durch eine zentralistischere Struktur aus.
106
Hinsichtlich der Vernetzung von Selbstorganisationen muß auf
ein weiteres Phänomen hingewiesen werden, das zwar an sich keine
neue Erscheinung darstellt, aber in den vergangenen Jahren eine
weitere Ausweitung erfahren hat. Gemeint ist hiermit die Mitgliedschaft von Dachorganisationen in anderen Formen von Zusammenschlüssen. Die Bemühungen zu einer weiteren Bündelung der organisierten Interessenwahrnehmung auf regionaler und überregionaler
Ebene hat in den letzten Jahren zur Gründung weiterer Spitzenorganisationen geführt. In diesen sind teilweise nur Dachorganisationen
Mitglied, in anderen Fällen sowohl Dach- als auch Einzelorganisationen. Diese Versuche einer weiteren Vernetzung gibt es sowohl im
Bereich herkunftshomogener als auch herkunftsheterogener Dachorganisationen. Beispiele für herkunftshomogene Spitzenverbände
sind die „Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD)“, in der
sowohl regionale (Region oder Bundesland) als auch bundesweite
Dachorganisationen wie der BTS, ATAK und FÖTED Mitglied sind.
Herkunftsheterogene Spitzenverbände sind u.a. der „Islamrat für die
Bundesrepublik Deutschland“ und der „Zentralrat der Muslime in
Deutschland (ZMD)“.
5.2.6 Mitglieder
Ein weiterer Punkt, zu dem im Rahmen der Erhebung Daten
ermittelt werden sollten, betrifft die Mitgliederzahlen der Selbstorganisationen. Gefragt wurde nicht nur nach der Zahl der einfachen
Mitglieder, sondern auch nach der Zahl der aktiven Mitglieder, denjenigen also, die die Vereinsarbeit tragen. Bei der Betrachtung der
Ergebnisse ist darauf zu achten, daß es sich um Tendenz- bzw. Annäherungswerte handelt. Dies gilt bereits für die Angaben der einzelnen Selbstorganisationen, von denen viele gerundete bzw.
geschätzte Zahlen nannten. In manchen Fällen wird bei Angaben zu
den Mitgliederzahlen nicht darauf geachtet, zwischen Mitgliedern
und Publikum (Besucher) zu unterscheiden. So gesehen sind die folgenden Ergebnisse immer vor dem Hintergrund dieser Verzerrungsfaktoren zu sehen.
Die Auswertungsergebnisse der Angaben zur Zahl der Mitglieder
zeigen bei einer Kategorisierung der Mitgliederzahlen bestimmte
Signifikanzen. Mehr als die Hälfte aller Selbstorganisationen, die
sich an der Erhebung beteiligten, nannten Mitgliederzahlen, die über
100 liegen. Bei 342 gültigen Fällen waren dies insgesamt 190 Selbstorganisationen, was einem Anteil von 55,3% aller entspricht, die eine
Angabe hierzu machten. Die größte Häufung ist bei Selbstorganisationen festzustellen, die Mitgliederzahlen zwischen 101-250 Personen
angaben. Der prozentuale Anteil der Selbstorganisationen, deren
Angabe in diese Kategorie fällt, liegt bei 41,9. Auffällig groß ist
jedoch auch die Zahl der Selbstorganisationen, die Mitgliederzahlen
zwischen 251 bis 500 Personen angaben. Die absolute Zahl von 34
entspricht einem Anteil von 9,9% (vgl. hierzu die folgende Tabelle
14, Mitgliederzahl kategorisiert). Die Mitgliederzahlen allein lassen
natürlich keine Aussagen über die Qualität der Vereinsarbeit zu, da
auch ein gut organisierter kleiner Verein durchaus erfolgreiche Arbeiten leisten kann. Die Häufungen bei den Mitgliederzahlen geben
jedoch einen Hinweis auf die Klientelgröße vieler Selbstorganisationen. Die durchschnittliche Mitgliederzahl liegt bei den befragten
Selbstorganisationen (324 absolut; ohne Dachverbände) bei 139. Die
am häufigsten genannte Mitgliederzahl war 150.
5. Auswertung
Die durchschnittlichen Mitgliederzahlen, bezogen auf die verschiedenen Vereinstypen, zeigt, daß die Moscheevereine (136 befragte)
mit durchschnittlich 177,7 Mitgliedern über dem arithmetischen
Mittelwert liegen. Die höchste Mitgliederzahl, die von einem einzelnen Moscheeverein genannt wurde, ist 600. Ein weiterer verbreiteter
Organisationstyp, die Sportvereine, liegen mit 113,6 Mitgliedern
(26 absolut) unter dem Mittelwert. Bei allen weiteren Organisationstypen (insgesamt 104 befragte) liegt die durchschnittliche Mitgliederzahl mit 102,1 niedriger. Die Beobachtung, daß insbesondere Moscheevereine eine große Anziehungskraft auf (türkische) Migranten
ausübt, wird durch die Erhebungsergebnisse empirisch untermauert.
Die Mitgliederzahlen in Relation zur Gemeindegröße zeigt keine
auffälligen Unterschiede. In allen Kategorien liegt sie im Schnitt in
der Nähe des Mittelwertes aller Selbstorganisationen, die sich an der
Erhebung beteiligten.
Tabelle 14: Mitgliederzahl kategorisiert
bis 25 Mitglieder
26 bis 50 Mitglieder
51 bis 75 Mitglieder
76 bis 100 Mitglieder
101 bis 250 Mitglieder
251 bis 500 Mitglieder
501 bis 1000 Mitglieder
mehr als 1000 Mitglieder
N=
abs.
%
24
39
34
45
144
34
4
8
7,2
11,3
9,9
13,1
41,9
9,9
1,2
2,3
342
100,0
Die Berechnungen des Anteils der aktiven Mitglieder an den von
den Selbstorganisationen angegebenen Gesamtmitgliederzahlen wiederum zeigt eine Häufung bei der Kategorie bis zu 10% (117 absolut/40% anteilig) der Mitgliedschaft eines Vereins. Zusammengerechnet mit den Vereinen, die als Zahl aktiver Mitglieder einen Wert
nannten, der zwischen 10-20% der angegebenen Mitgliederzahl liegt
(57 absolut/19,5% anteilig), liegt der prozentuale Anteil der aktiven
Mitglieder an der Gesamtzahl bei 59,5% der Selbstorganisationen in
den Gruppen bis zu 20%. Der errechnete Mittelwert des Anteils der
aktiven Mitglieder von 34,0% ist als verzerrter Wert aufzufassen,
der sich dadurch ergibt, daß 9,2% (27) der Selbstorganisationen als
Zahl der aktiven Mitglieder die Gesamtmitgliederzahl bzw. einen
annähernden Wert angaben.
Tabelle 16: Anteil der aktiven Mitglieder an der Gesamtzahl der Mitglieder
bis 10 %
10 bis 20 %
20 bis 30 %
30 bis 40 %
40 bis 50 %
50 bis 60 %
60 bis 70 %
70 bis 80 %
80 bis 90 %
90 bis 100 %
Mittelwert
Missing: 2
abs.
%
117
57
35
19
17
9
10
2
27
40,0
19,5
11,9
6,5
5,8
3,1
3,4
0,7
9,2
34,0 %
N=
100,0
Missing: 51
Die Auswertung der Antworten auf die Frage zur Zahl der aktiven
Mitglieder in den Selbstorganisationen ergab, daß sich die Vereinsaktivitäten auf einen kleineren Teil der Mitgliedschaft stützen. 189
(von 318) Selbstorganisationen, das sind 54,9% aller Antworten,
gaben eine Zahl bis zu 25 aktiven Mitgliedern an. 57 der Selbstorganisationen nannten eine Zahl aktiver Mitglieder, die zwischen 26 bis
50 liegt. Der prozentuale Anteil liegt hier bei 16,6%.
Auffällig hoch ist die Zahl der Vereine, die eine aktive Mitgliedschaft nennen, deren Zahl zwischen 101-250 Personen liegt (25
absolut/7,3% anteilig). Hier liegt die Vermutung nahe, daß bei der
Angabe nicht exakt zwischen Mitgliedern unterschieden wurde, die
an den Vereinsaktivitäten regelmäßig aber passiv teilnehmen, und
denjenigen, die diese Aktivitäten organisieren bzw. die Vereinsaktivitäten tragen.
Tabelle 15: Zahl der aktiven Mitglieder
bis 25 Mitglieder
26 bis 50 Mitglieder
51 bis 75 Mitglieder
76 bis 100 Mitglieder
101 bis 250 Mitglieder
251 bis 500 Mitglieder
501 bis 1000 Mitglieder
mehr als 1000 Mitglieder
N=
abs.
%
189
57
19
19
25
7
2
54,9
16,6
5,5
5,5
7,3
2,0
0,6
318
100,0
Missing: 26
107
5.2.7 Finanzierung, Räumlichkeiten, Mitarbeiter
5.2.7.1 Finanzierung
Eine kontinuierliche und effektive Selbsthilfearbeit stützt sich
auf die finanziellen Möglichkeiten der Selbstorganisationen. Deshalb
bildet die Frage der Finanzierung der Aktivitäten einen wichtigen
Aspekt der Bestandsaufnahme. Ermittelt werden sollten keine Beträge,
sondern die Finanzierungsquellen der Selbstorganisationen, bei
denen eigene Quellen wie Mitgliedsbeiträge, Spenden und gegebenenfalls Einnahmen sowie eine finanzielle Förderung der Aktivitäten
durch offizielle Einrichtungen in Betracht kommen.
Die Auswertung der Frage nach der Finanzierung der Vereinsaktivitäten zeigt, bezogen auf alle hier untersuchten Nationalitäten,
deutlich, daß sich der überwältigende Teil der Selbstorganisationen
finanziell auf Mitgliedsbeiträge und Spenden stützt. Von den befragten Selbstorganisationen gaben (bei 332 gültigen Antworten)
97,3% (absolut 329) an, sich durch Mitgliedsbeiträge zu finanzieren.
Eine Finanzierung über Spenden nannten insgesamt 294 Selbstorganisationen, dies entspricht 88,6% der befragten Selbstorganisationen.
Alle weiteren Finanzierungsquellen liegen den genannten gegenüber
deutlich niedriger. Lediglich ein kleiner Teil, 10,5% (35 absolut) der
befragten Selbstorganisationen, gaben Träger als finanzielle Förderer
bestimmter Eigenaktivitäten an. Eine Finanzierung im Rahmen von
Projekten ist bei 11,1% (37) der Selbstorganisationen angegeben
worden. 60 Selbstorganisationen, anteilig betrachtet 18,1%, gaben
als Finanzierungsgrundlage „sonstige“ Quellen an. Deutlich wird
hieran der geringe Anteil an Fremdförderung.
5. Auswertung
Die am häufigsten genannte „sonstige“ Finanzierungsquelle sind
Einnahmen durch oder bei Veranstaltungen. Einnahmen dieser Art
nannten insgesamt 25, anteilig ausgedrückt 7,3% aller Selbstorganisationen. 4% der Vereine (12 absolut) nannten Mieteinnahmen als
Einkunftsquelle. Weitere Finanzierungsquellen, die von den Vereinen
genannt wurden, sind Einnahmen durch Verkauf (2,4% anteilig/8 absolut), Einnahmen durch ein eigenes Vereinslokal (2,1% anteilig/
7 absolut), Werbeeinnahmen (1,2% anteilig/4 absolut) sowie Zuwendungen durch Sponsoren (0,6% anteilig/2 absolut). 1,2% (4) der
Selbstorganisationen kreuzten „sonstige Einnahmequellen“ an, ohne
diese genauer zu benennen.
Tabelle 17: Finanzierung der Selbstorganisationen
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
Mitgliedsbeiträge
Spenden
Träger
Projekte
sonstiges
darunter: eigenes Vereinslokal
Mieteinnahmen
Veranstaltungen
Werbung
Sponsoren
Verkauf
anderes
keine Angabe
323
294
35
37
60
7
12
25
4
2
8
9
4
97,3
88,6
10,5
11,1
18,1
2,1
4,0
7,3
1,2
0,6
2,4
3,0
1,2
N=
Tabelle 18: Zuschüsse
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
nein
ja
und zwar von: Stadt
darunter: Jugendamt
Kulturamt
Sozialamt
Land Nordrhein-Westfalen
darunter: MAGS
Arbeitsamt
Ausländerbeirat
Sportbund
Kirchen
andere Herkunft
261
80
57
4
3
6
8
2
5
4
12
1
7
76,3
23,4
16,7
1,2
0,9
1,8
2,3
0,6
1,5
1,2
3,5
0,3
2,0
N=
342
Missing: 2
332
Missing: 12
Für die Durchführung bestimmter Aktivitäten, bei denen es sich
in der Regel mehr um einmalige denn um kontinuierliche Angebote
handelt, kommen als finanzielle Unterstützung Zuschüsse öffentlicher Einrichtungen und bestimmter Trägerinstitutionen in Betracht.
Zuschüsse als zusätzliche Finanzierungsquelle für bestimmte Aktivitäten nannten 23,4% (absolut: 80) der befragten Selbstorganisationen,
d.h. mehr als drei Viertel, 76,3% (261), haben sich nicht um Zuschüsse bemüht bzw. keine gewährt bekommen. Der übergroße Teil
der Selbstorganisationen, die Zuschüsse in Anspruch nehmen, nennt
als Quelle die Stadt (75% anteilig/57 absolut). Unter den städtischen
Einrichtungen wurden als Zuschußquellen Sozialämter (1,8%/absolut 6), Jugendämter (1,2%/absolut 4) und Kulturämter (0,9%/absolut 3) genannt. Der Anteil der Selbstorganisationen, die städtische
Zuschüsse in Anspruch nehmen konnten, liegt somit bei 16,7% aller
Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten. Eine
Einrichtung, die Zuschüsse für zweckbestimmte Aktivitäten gewährt
und auch von mehreren Selbstorganisationen genannt wurde, ist der
Sportbund. 3,5% der Selbstorganisationen, in diesem Fall Sportvereine, nannten den Sportbund als Quelle für Zuschüsse. Weitere Zuschußquellen, die in der Erhebung genannt wurden, sind Einrichtungen des Landes (2,3%/8 Fälle) - hierunter in zwei Fällen (0,6%)
auch das MAGS, Arbeitsämter (1,5%/5 absolut), Ausländerbeiräte
(1,2%/4 absolut) und Kirchen (0,3%/1 Fall). Darüber hinaus wurden
in 7 Fällen (2%) Zuschüsse angegeben, ohne daß die Quelle genannt
wird.
108
Als Erklärung für die geringe Inanspruchnahme öffentlicher
Fördermittel dürften neben der Begrenztheit dieser Mittel andere
Gründe eine größere Rolle spielen. Ein wichtiger Grund hierbei
dürften die geringen Kontakte zu Einrichtungen sein, die Projekte
finanziell fördern. Ein weiterer Grund dafür, daß öffentliche Fördermittel nur sehr gering in Anspruch genommen werden, ist die geringe
Kenntnis bzw. die mangelnde Erfahrung hinsichtlich der bürokratischen Abläufe, der Förderbedingungen und -kriterien. Erkennbar
sind derartige Defizite aufgrund der Beobachtungen bei verschiedenen Vereinen, bei denen das erforderliche Interesse und Engagement vorhanden ist, jedoch häufig Informationen darüber fehlen,
welche Quellen für eine spezielle Förderung in Frage kommen. Hat
man die Fördereinrichtungen aufgetan, bilden die für eine Förderung
erforderlichen bürokratischen Abläufe eine nächste Hemmschwelle.
Die finanzielle Förderung dauerhafter Projekte etwa macht die Entwicklung von tragfähigen Konzepten erforderlich, für deren Erstellung oftmals die hierzu erforderliche Erfahrung fehlt. Für die geringe
Inanspruchnahme öffentlicher Fördermaßnahmen müssen auch
Mängel in den Vereinsführungen genannt werden, die häufig nicht
in der Lage sind, die entsprechenden Anträge auszufüllen.
5.2.7.2 Räumlichkeiten
Die Ausstattung der Selbstorganisationen mit Räumlichkeiten,
die für die Vereinsaktivitäten genutzt werden können, bildet eine
weitere wichtige Grundlage für eine kontinuierliche Vereinsarbeit.
Fehlen eigene Räumlichkeiten, beginnen die Probleme bereits bei
der Organisierung der Sitzungen des Vorstandes, der sich in solchen
Fällen in der Privatwohnung eines Mitglieds treffen muß. Auch für
die Planung und Koordinierung von Aktivitäten und nicht zuletzt für
die Durchführung dauerhafter Angebote sind eigene Räumlichkeiten
unerläßlich. Von den insgesamt 342 Selbstorganisationen, die bei der
Erhebung die Frage nach eigenen Räumlichkeiten beantworteten,
gaben insgesamt 253 (74%) an, über eigene Räume zu verfügen.
Insgesamt 94 der Selbstorganisationen (27,6%) gaben an, die Räume
anderer mitbenutzen zu können. Die Differenz zeigt, daß ein sehr
kleiner Teil der Selbstorganisationen (1,6%) neben eigenen Räumen
auch die anderer nutzen kann. Rund ein Viertel der Selbstorganisationen (26%) wiederum verfügt über keine eigenen Räumlichkeiten.
Bedacht werden muß bei den Ergebnissen, daß sie nichts über die
Größe und Qualität der Räumlichkeiten aussagen, da entsprechende
5. Auswertung
Daten nicht abgefragt wurden. (Zu den Angaben über die Räumlichkeiten vgl. die Tabellen 19, Eigene Räumlichkeiten und 20, Mitbenutzung fremder Räume)
Tabelle 19: Eigene Räumlichkeiten
ja
nein
N=
abs.
%
253
89
74,0
26,0
342
100,0
Missing: 2
Tabelle 20: Mitbenutzung fremder Räume
ja
nein
N=
abs.
%
94
247
27,6
72,4
341
100,0
Missing: 3
5.2.7.3 Mitarbeiter
Eine kontinuierliche Arbeit für die Mitglieder und die Klientel
einer Selbstorganisation hängt entscheidend von den personellen
Ressourcen ab. So ist es ein Ziel der Bestandsaufnahme festzustellen, in welchem Maße sich Selbstorganisationen bei ihrer Arbeit
auf das persönliche bzw. ehrenamtliche Engagement stützen müssen
oder aber über festangestellte Mitarbeiter verfügen, die eine Kontinuität der Vereinsarbeit gewährleisten. Die eingeschränkten Möglichkeiten werden an den diesbezüglichen Ergebnissen des Rücklaufs deutlich. Bei 339 gültigen Antworten auf die Frage nach festangestellten Mitarbeitern gaben lediglich 104 (30,7%) an, festangestellte Mitarbeiter zu haben. Über zwei Drittel (69,3%/absolut: 235)
gaben an, über keine festangestellten Mitarbeiter zu verfügen.
Hinsichtlich der hier genannten Werte muß auf bestimmte Besonderheiten aufmerksam gemacht werden, die die Zahl und Anteile der
festangestellten Mitarbeiter weiter schrumpfen lassen. Unter den genannten 104 Selbstorganisationen, die festangestellte Mitarbeiter angaben, handelt es sich bei über der Hälfte um Moscheevereine. Ihr
festangestelltes Personal ist fast ausschließlich mit religiösen Aufgaben befaßt. Dies ist insbesondere bei Moscheevereinen der Fall, die
dem Dachverband DİTİB angeschlossen sind, zu deren festangestelltem Personal die von der Türkei besoldeten Religionsbeauftragten
(Imame) gehören. Extrahiert man die insgesamt 66 Moscheevereine,
die festangestellte Mitarbeiter nannten, reduziert sich die Zahl auf
38 von 339 gültigen Antworten, der Anteil der Selbstorganisationen
mit festangestellten Mitarbeitern wiederum auf 11,6%. Läßt man
zudem die festangestellten Mitarbeiter der religiösen Dachverbände
(3) und die der Unternehmerverbände und -vereine (4) unberücksichtigt, die natürlicherweise über andere finanzielle Möglichkeiten
verfügen, so reduziert sich der absolute Wert auf 31, der Anteil wiederum auf 0,9% aller Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung
beteiligten. Daran ist zu erkennen, daß lediglich ein sehr kleiner Teil
der Selbstorganisationen über festangestellte Mitarbeiter verfügt.
Der entscheidende Grund für das Fehlen von festangestellten Mitarbeitern sind die geringen finanziellen Ressourcen der Selbstorganisationen. Wie weiter oben (Abschnitt 5.2.6.1.) zu sehen ist, stützt
109
sich der übergroße Teil der Selbstorganisationen in seinen Aktivitäten auf Mitgliedsbeiträge und Spenden, die zu gering sind, als daß
von ihnen festangestelltes Personal finanziert werden kann. Die
geringe Inanspruchnahme von Fördermitteln zur Finanzierung festangestellten Personals dürfte unter anderem auf mangelnde Kenntnisse der Vereine über diesbezügliche Möglichkeiten zurückzuführen sein.
5.2.8 Kontakte und Zusammenarbeit
Wichtige Indikatoren der Bedeutung einer Selbstorganisation für
die Community sind neben ihrer Existenz auch ihre Kontakte untereinander sowie zu anderen Einrichtungen, seien dies freie oder auch
offizielle Ämter. In der Erhebung wurde deshalb gezielt nach den
Kontakten und der Kooperation der Selbstorganisationen untereinander sowie zu Einrichtungen der Mehrheitsgesellschaft gefragt. Kontakte und Kooperationen sind nicht nur ein Indikator für den mehr
oder minder vorhandenen Grad der Vernetzung zwischen Selbstorganisationen untereinander und mit Einrichtungen der Aufnahmegesellschaft, sondern auch gleichzeitig für eine Orientierung der
Vereine am Zuwanderungsland und das Bestreben, dort eigene
Belange wahrzunehmen oder auch Interessen durchzusetzen.
5.2.8.1 Zusammenarbeit mit anderen Selbstorganisationen
Die Frage nach der Zusammenarbeit mit anderen Selbstorganisationen beantworteten 186 (von 342 insgesamt) mit „ja“. Anteilig
gesehen sind dies mit 54,4% mehr als die Hälfte. Keine Kooperation
mit anderen Selbstorganisationen wurde von 45,6% der Selbstorganisationen angegeben, die sich an der Erhebung beteiligten. Als
Erklärung dafür, daß ein großer Teil der Selbstorganisationen keine
Kooperation mit anderen Selbstorganisationen unterhält, kann genannt werden, daß viele in ihren Aktivitäten natürlicherweise selbstbezogen tätig sind. An anderen Orten besteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Selbstorganisationen, die dieselbe Zielgruppe
haben (Bsp. Moscheevereine der unterschiedlichen Dachverbände).
Hinsichtlich der Kooperationsebene weisen die Ergebnisse der
Erhebung einige Signifikanzen auf. So liegt sie auf der Gemeinde(19,9%) und der Kreisebene (26%) am höchsten.
Tabelle 21: Kooperationsebene der Selbstorganisationen untereinander
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
nein
ja
und zwar auf der folgenden Ebene:
Bund
Land
Kreis
Gemeinde
keine Angabe
156
186
45,6
54,4
40
47
89
68
22
11,7
13,7
26,0
19,9
6,4
N=
342
Missing: 2
5. Auswertung
5.2.8.2 Kontakte zur Heimat
Im Rahmen der Erhebung wurden die Selbstorganisationen nach
Kontakten zu politischen Parteien und anderen Organisationen im
Herkunftsland befragt. In beiden Fällen gab der größte Teil der befragten Selbstorganisationen an, keine Kontakte dieser Art zu haben.
Keine Kontakte zu politischen Parteien im Herkunftsland gaben
92,2% (309 von insgesamt 335) der Selbstorganisationen an.
Lediglich 26 Selbstorganisationen, ein Anteil von 7,8%, nannten
Kontakte zu Parteien, die zum Teil auch benannt wurden. In den
meisten Fällen handelt es sich um Parteien in der Türkei. Auch
wenn ein Großteil des türkischen Parteienspektrums von den Nennungen erfaßt ist, werden lediglich Parteien im Zentrum des politischen Systems nennenswert oft genannt. Unter den genannten
Parteien finden sich auch (je einmal) eine Partei in BosnienHerzegowina und eine der Türken in Westthrakien in Griechenland.
Bei der Auswertung dieser Frage fällt auf, daß relativ viele Vereine
(3,6%/12 absolut) keine Angabe machten.
5.2.8.3 Kontakte und Zusammenarbeit in
Deutschland
Als ein wichtiger Indikator für eine effektive Vereinsarbeit wurden
im Rahmen der Untersuchung nach den Kontakten und der Zusammenarbeit gefragt, die die Selbstorganisationen zu Organisationen
und Institutionen im Zuwanderungsland unterhalten. Gefragt wurde
nach Kontakten und Zusammenarbeit mit politischen Parteien und
anderen Institutionen, sowie nach Kontakten zu offiziellen Einrichtungen der Städte bzw. Gemeinden und zu Einrichtungen des Landes.
Kontakte und Kooperationen geben auch Aufschluß darüber, wie sehr
sich die Vereine im Zuwanderungsland verorten, indem sie eigene
Belange auch gegenüber der Mehrheitsgesellschaft vertreten und
eigene Interessen dieser gegenüber durchzusetzen versuchen. So
wurden die Selbstorganisationen nach Kontakten und Zusammenarbeit mit Parteien, zu anderen Organisationen und Einrichtungen,
sowie zu offiziellen Einrichtungen sowohl auf kommunaler als auch
auf Landesebene gefragt.
Kontakte zu anderen Organisationen wiederum wurden von mehr
Selbstorganisationen genannt. Während 69,5 (233 absolut) angaben,
keine Kontakte zu anderen Organisationen im Herkunftsland zu
unterhalten, liegt der Anteil derjenigen, die angaben, Kontakte zu
unterhalten, bei 30,4% (102 absolut). Bei diesen Zahlen ist zu
berücksichtigen, daß die von den Vereinen genannten Kontakte zu
Parteien oder Organisationen im Herkunftsland wenig über die Intensität und die Qualität dieser aussagen.
5.2.8.3.1 Kontakte und Zusammenarbeit mit deutschen Parteien
Sowohl die Kontakte als auch die Zusammenarbeit der Selbstorganisationen mit den hiesigen politischen Parteien ist eher niedrig.
Kontakte zu Parteien nannten insgesamt 33,2% (absolut: 112 von 337
gültigen Angaben) der Selbstorganisationen. Mit 66,8% (225) beantworteten etwas über zwei Drittel der Vereine die Frage negativ.
Unter den Parteien, zu denen Kontakte genannt wurden, dominieren
alle etablierten Parteien. Die am häufigsten genannte Partei ist mit
100 die SPD. Errechnet man den Anteil an allen Selbstorganisationen,
die sich an der Erhebung beteiligten, sind dies 29,7% der Vereine,
die Kontakt zur SPD haben. Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil
der Selbstorganisationen, die Kontakte zu Bündnis 90/Die Grünen
nennen. Von den gültigen 337 Antworten nannten 77, das sind 22,8%,
Kontakte zu dieser Partei. Gemessen an der Stärke der Partei im
Landtag (37,7) ist der Anteil der Selbstorganisationen, die Kontakte
zur CDU nennen, niedriger. Lediglich 65 (19,3%) gaben Kontakte
zur CDU an. Kontakte zur FDP gaben 11,6% (39 absolut) an, Kontakte zur PDS/ DKP wurde von 8,3% (28 absolut) der befragten
Vereine genannt. Die Ergebnisse lassen sich natürlich nicht hochrechnen, dennoch geben sie einen Hinweis darauf, daß Kontakte zu
Parteien, die migrationspolitische Konzepte entwickeln, höher liegen.
Beachtet werden muß auch, daß Kontakte zu Parteien - wenn sie
denn gepflegt werden - nicht auf eine beschränkt bleiben. Im Durchschnitt haben die Selbstorganisationen Kontakte zu 2,9 Parteien.
Tabelle 22: Kontakte zu Parteien im Herkunftsland
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
nein
309
ja
26
und zwar zu:
CHP Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei)
8
DSP Demokratik Sol Parti (Linksdemokratische Partei)
4
SHP Sosyaldemokrat Halkçı Parti (Sozialdemokratische Volkspartei)
1
DYP Doğru Yol Partisi (Partei des rechten Weges)
5
ANAP Anavatan Partisi (Mutterlandspartei)
6
HADEP Halkın Demokrasi Partisi (Demokratische Volkspartei)
2
Refah Partisi (Wohlfahrtspartei)
2
ÖDP Özgürlük ve Dayanişma Partisi (Freiheits- und Solidaritätspartei)
1
Westthrakische Partei
1
SDA Mostar (Bosnien-Herzegowina)
1
keine Angabe
12
92,2
7,8
N=
2,4
1,2
0,3
1,5
1,8
0,6
0,6
0,3
0,3
0,3
3,6
335
Missing: 9
Die Angaben zu den Parteien waren als Antwortmöglichkeit nicht vorgegeben, sondern
sind von den befragten Selbstorganisationen selber genannt worden.
Tabelle 23: Kontakte zu anderen Organisationen im Herkunftsland
nein
ja
N=
abs.
%
233
102
69,6
30,4
335
100,0
Missing: 9
110
5. Auswertung
Tabelle 24: Kontakte zu deutschen Parteien
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
nein
ja
und zwar zu: SPD
Bündnis’90/Die Grünen
CDU
FDP
PDS/DKP
DPD
keine Angabe
225
112
100
77
65
39
28
1
4
66,8
33,2
29,7
22,8
19,3
11,6
8,3
0,3
1,2
N=
337
Missing: 7
Im Schnitt unterhielten die befragten Vereine Kontakte zu 2,9 deutschen Parteien.
Die in der Tabelle aufgeführten Parteien waren von den befragten Selbstorganisationen
selber genannt worden und nicht vorgegeben.
Sind schon die Kontakte zu den Parteien als eher niedrig einzustufen, ist die Zusammenarbeit mit ihnen noch geringer. Eine Zusammenarbeit mit den Parteien wurde lediglich von 20,6% (70 absolut) der Selbstorganisationen angegeben. Nahezu vier Fünftel der
Selbstorganisationen gaben an, keine Zusammenarbeit mit den Parteien zu unterhalten. Auch beim Gesamtaufkommen der Zusammenarbeit läßt sich bei den Parteien eine ähnliche Hierarchie erkennen.
Während eine Zusammenarbeit mit der SPD im Falle von 15,9% der
Vereine genannt wurde, ist der Anteil derjenigen, die eine Zusammenarbeit mit Bündnis 90/Die Grünen angab (11,5%) im Verhältnis
deutlich niedriger als die zu dieser Partei genannten Kontakte. Bei
der CDU ist dieses Gefälle noch deutlicher zu erkennen. Der Anteil
derjenigen Selbstorganisationen, die eine Zusammenarbeit nennen,
liegt bei nahezu der Hälfte (8,8%) derjenigen, die Kontakt zur Partei
angaben. Eine Änderung in der Reihenfolge ist bei der Zusammenarbeit mit der FDP und der PDS/DKP festzustellen. Mit einem
Anteil von 5,9% liegt der Anteil der Selbstorganisationen, die mit
der letztgenannten zusammenarbeiten, gegenüber 5,6% noch über
der FDP. Auch in Form der Kooperation ist hinsichtlich der Kontaktpflege ähnliches festzustellen wie bei den ausschließlichen Kontakten, die genannt wurden. Auch diese Kooperation beschränkt sich
in der Regel nicht auf eine Partei, sondern umfaßt durchschnittlich
2,7 Parteien. Die Erklärung ist in beiden Fällen der politische Status
der Migranten, die zur Verbesserung desselben auf lokaler Ebene
Kontakte zu verschiedenen Parteien aufbauen müssen.
Tabelle 25: Zusammenarbeit mit deutschen Parteien
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
nein
ja
und zwar mit: SPD
Bündnis’90/Die Grünen
CDU
PDS/DKP
FPD
DPD
keine Angabe
270
70
54
39
30
20
19
11
79,4
20,6
15,9
11,5
8,8
5,9
5,6
3,2
N=
340
Missing: 4
111
5.2.8.3.2 Kontakte zu anderen deutschen
Organisationen
Die Kontakte der Selbstorganisationen zu anderen deutschen
Organisationen jenseits der politischen Parteien sind insgesamt
gesehen höher. In diese Kategorie fallen Einrichtungen, Verbände
und Organisationen, wie die Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, die Volkshochschulen und Universitäten, Sportbünde und migrantenspezifische Einrichtungen, wie die
Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA). Von den Selbstorganisationen,
die sich an der Erhebung beteiligten, nannten insgesamt 38,5% (130
absolut) Kontakte dieser Art (bei den politischen Parteien liegt der
Anteil bei 33,2%). Der größere Anteil von Kontakten zu Einrichtungen
dieser Art erklärt sich durch die konkreteren Funktionen und Aufgaben, die sie für Selbstorganisationen einnehmen.
Die Träger der freien Wohlfahrtspflege sind Einrichtungen, die
migrantenspezifische Dienstleistungen wie Sozialberatung anbieten,
darüber hinaus auch spezifischere Angebote für Migranten haben
oder solche in Kooperation mit Selbstorganisationen materiell unterstützen. So wurden Kontakte zu Wohlfahrtsverbänden bei der
Befragung am häufigsten genannt. Von den befragten Selbstorganisationen nannten insgesamt 10,9% (37 absolut) Kontakte - hierunter ist auch Kooperation zu verstehen - zu den verschiedenen
Wohlfahrtsverbänden. Unter den Wohlfahrtsverbänden wurden am
häufigsten Kontakte zur Arbeiterwohlfahrt (4,7%) genannt, was seine Erklärung darin hat, daß sie bei der nationalitätenspezifischen
Aufteilung der sozialbetreuerischen Aufgaben für die größte der hier
untersuchten Nationalität, die Türken, und andere überwiegend muslimische Gruppen zuständig ist. Im Umkehrschluß ist dies auch die
Erklärung dafür, daß Caritas und Diakonisches Werk nur von wenigen Selbstorganisationen der hier untersuchten Gruppen genannt
wurden (jeweils 1,5%). Kontakte zum Deutschen Paritätischen
Wohlfahrtsverband (DPWV) wurde von 3,3% (absolut 11) der
Selbstorganisationen genannt. Der DPWV ist aufgrund seines eigenen Organisationsmodells der Mitgliedschaft einzelner
Organisationen auch für Migrantenorganisationen offen. Die hier
genannten „Kontakte“ sind daher als Mitgliedschaft im DPWV zu
verstehen. Zu den Mitgliedern des DPWV gehören insbesondere
Mitgliedsvereine zweier Dachverbände, der Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei (GDF), und der kurdische Dachverband KOMKAR, die mit dem Wohlfahrtsverband zusammenarbeiten. Eine Erklärung dafür, daß die Kontakte der Selbstorganisationen trotz der migrantenspezifischen Aufgaben und Angebote mit
10,9% dennoch relativ niedrig ist, liegt in der Angebotsstruktur der
Selbstorganisationen selber begründet. Viele Selbstorganisationen
bieten ihrer Klientel Dienstleistungen (z.B. informelle Sozialberatung) und Angebote (etwa Kurse), die früher stärker von den Wohlfahrtsverbänden wahrgenommen wurden (vgl. hierzu Abschnitt
5.2.9. Arbeitsschwerpunkte).
5. Auswertung
Tabelle 26: Kontakte zu anderen deutschen Organisationen
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
nein
ja
und zwar zu:
Kirchen
Arbeiterwohlfahrt
Gewerkschaften
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband
Volkshochschule
Regionale Arbeitsstelle zur Förderung ausländischer
Kinder und Jugendlicher (RAA)
Diakonisches Werk
Caritas
kommunaler Sportbund
Universität
Unternehmerverbände
andere
ungenaue Angaben
keine Angabe
208
130
61,5
38,5
33
16
11
11
10
9,8
4,7
3,3
3,3
3,0
N=
Missing: 6
7
2,1
5
5
4
4
4
41
21
7
1,5
1,5
1,2
1,2
1,2
12,1
6,2
2,1
338
Im Schnitt unterhielten die Vereine, die mit „ja“ geantwortet haben, Kontakte zu 1,5
anderen deutschen Organisationen.
5.2.8.3.3 Kontakte zur Kommunalverwaltung
Kontakte zur Kommunalverwaltung können als ein Indikator für
eine effektive Arbeit auf lokaler Ebene angesehen werden. Die Kontakte und die Einbindung in die kommunalen Strukturen ist gleichermaßen ein Indikator für die Öffnung der Selbstorganisationen, mit
anderen Worten ein Indikator für ein integrationsorientiertes Selbstverständnis der Vereine. Umgekehrt kann der mehr oder minder
intensive Kontakt zu kommunalen Einrichtungen auch ein Gradmesser für die Akzeptanz zugewanderter Minderheiten durch die
örtlichen Einrichtungen sein. Gleichermaßen geben Kontakte zur
Kommunalverwaltung Auskunft über die Tätigkeitsfelder und Dienstleistungen der Selbstorganisationen.
Die Ergebnisse der Erhebung zeigen, daß die kommunale Einbindung der Selbstorganisationen quantitativ betrachtet ein relativ
hohes Niveau aufweist. So gaben über zwei Drittel (70,6% / absolut
242) der Selbstorganisationen an, Kontakte zur Kommunalverwaltung zu unterhalten. Lediglich 29,4% (101 absolut) gaben an,
keine Kontakte dieser Art zu haben (siehe folgende Tabelle 27,
Kontakte zur Kommunalverwaltung). Der hohe Grad der Kontakte
zur Kommunalverwaltung insgesamt zeigt, daß die Selbstorganisationen auf lokaler Ebene die Belange ihrer Klientel wahrnehmen,
und in diesem Sinne teilweise auch die Funktion der Interessenvertretung der eigenen Gruppe wahrnehmen. Der Mittelwert der Kontakte zu kommunalen Behörden und Einrichtungen - im Schnitt
unterhielten die Selbstorganisationen, die Kontakte zur Kommunalverwaltung angaben, zu 1,9 Behörden Kontakte - zeigt zum einen
den hohen Grad, zum anderen deutet er auf die Verschiedenartigkeit
der Aufgaben, die einzelne Vereine wahrnehmen.
112
Deutlich wird die Wahrnehmung der Belange der eigenen Klientel
an den Kontakten, die von den Selbstorganisationen genannt werden.
Die Hälfte aller an der Erhebung beteiligten Vereine (50,1%/172
absolut) nennt Kontakte zur Stadtverwaltung. Anhand der Benennung der spezifischen Ämter, zu denen Kontakte bestehen, wird
nicht allein die Interessenwahrnehmung durch die Vereine deutlich,
sondern auch die Zielgruppen und die Problemfelder hierbei. Der
am häufigsten genannte Kontakt ist mit 11,3% derjenige zum Sozialamt. Kontakte wie dieser sowie solche zur Ausländerbehörde
(4,1%/absolut 14) und auch die zum Arbeitsamt (2,3%/absolut 8)
vor Ort zeigen, daß Vertreter der Vereine Mitgliedern oder auch
Publikum Hilfestellungen beim Kontakt zu den Behörden leisten
oder auch bei Behördengängen mitwirken.
Eine zielgruppenorientierte Interessenwahrnehmung wird an bestimmten Ämtern deutlich, die häufiger genannt wurden. Kontakte
zum Jugendamt (8,2%/28 absolut) und zum Schulamt (4,4%/absolut
12) zeigen, daß bei vielen Selbstorganisationen schulische Belange
der Kinder und Jugendlichen und deren Probleme zu den vorrangigen
Arbeitsfeldern zählen. Kontakte zum Kulturamt (7,2%/25 absolut)
zeigen, daß ein - wenn auch kleiner - Teil der Selbstorganisationen
um finanzielle Unterstützung kultureller Aktivitäten bemüht ist.
Eher niedrig ist der Kontakt zu den Ausländerbeiräten, dem
Gremium, das als institutionalisierte Form der Interessenwahrnehmung für Migranten eingeführt wurde und landesweit in 139
Gemeinden besteht. Von allen Selbstorganisationen, die sich an der
Erhebung beteiligten, gaben lediglich 15,4% (51 absolut) an, Kontakte zum Ausländerbeirat zu pflegen. Hierbei muß jedoch berücksichtigt werden, daß unter den 85,1% derjenigen Selbstorganisationen,
die keine Kontakte haben, auch diejenigen erfaßt sind, die keinen
Beirat vor Ort haben. Setzt man die Zahl der Selbstorganisationen in
Relation zu den Orten, in denen Beiräte vorhanden sind, erhöht sich
der Anteil auf 17,8%, ist also dennoch relativ niedrig, insbesondere
wenn bedacht wird, daß es vornehmlich ein Gremium für die Bürger
aus Nicht-EU-Staaten ist, deren Selbstorganisationen hier untersucht
werden. Diese Beobachtung wirft natürlich die Frage nach den möglichen Gründen hierfür auf. Einige Selbstorganisationen, wie etwa
Unternehmervereine, haben naturgemäß keine oder geringe Kontakte
zum Ausländerbeirat. In einigen anderen Fällen ist es auf das Fehlen
eines intakten Ausländerbeirates zurückzuführen, zu dem man Kontakt unterhalten könnte. Eine weitere Erklärung könnte möglicherweise die geringe Akzeptanz dieses Gremiums sein, die auf fehlende
Entscheidungskompetenzen zurückgeführt werden könnte.
5. Auswertung
Tabelle 27: Kontakte zur Kommunalverwaltung
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
nein
ja
und zwar zu:
Stadtverwaltung
darunter: Jugendamt
Sozialamt39
Kulturamt
Ausländerbehörde
Schulamt 12
Sportamt
Gesundheitsamt
Arbeitsamt
Ausländerbeirat
Stadtrat
Polizei
andere kommunale Kontakte
ungenaue Angaben
keine Angabe
101
242
29,4
70,6
172
28
11,3
25
14
4,4
7
3
8
51
28
2
23
6
11
50,1
8,2
N=
7,2
4,1
2,0
0,9
2,3
14,9
8,2
0,6
6,7
1,7
3,2
343
Missing: 1
Im Schnitt unterhielten die Vereine, die mit „ja“ geantwortet haben, Kontakte zu 1,9
kommunalen Behörden oder Einrichtungen.
5.2.8.3.4 Kontakte zu Einrichtungen des Landes
Deutlich geringer als die Kontakte zur Kommunalverwaltung
sind diejenigen zu Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen.
Von den insgesamt 339 Selbstorganisationen, die auf die Frage hierzu eine gültige Antwort gaben, gaben lediglich 13,9% (47 absolut)
an, über Kontakte zu den Einrichtungen des Landes zu verfügen.
Das bedeutet, daß der übergroße Teil von 86,1% (292 absolut) über
keinerlei Kontakte zu offiziellen Einrichtungen auf Landesebene
verfügt bzw. diese nicht aufbauen konnte. Die Verteilung weist,
wenn man den Durchschnittswert der Selbstorganisationen heranzieht, die Kontakte angaben (1,3 Behörden pro Selbstorganisation),
auf eine Diskrepanz hin: Während der übergroße Anteil der Selbstorganisationen über keinerlei Kontakte zu Landeseinrichtungen verfügt, ist die Intensität bei denjenigen, die über Kontakte verfügen,
relativ entwickelt.
Bei den Kontakten, die auf Landesebene am häufigsten genannt
werden, sind die Ministerien hervorzuheben. Kontakte zu diesen
nannten insgesamt 18 (5,3%) der befragten Selbstorganisationen.
Am häufigsten (3,2%/insgesamt 11 Fälle) unter diesen wird das
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales genannt. Weitere
Ministerien, zu denen Kontakte angegeben wurden, sind das Kultusministerium, das Innen- und das Wirtschaftsministerium.
Weitere Kontakte auf Landesebene, die angegeben wurden, entfallen auf die Landesarbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte
(1,2%/4 Fälle), die Landeszentrale für politische Bildung (ebenfalls
1,2%), den Landesfußballbund (0,9%/3 Fälle) und den Landessportbund (0,6%/ zwei Fälle). Die beiden Letztgenannten bilden nur zusammengerechnet (1,5%) eine nennenswerte Größe. Bei Kontakten
zu weiteren Landeseinrichtungen handelt es sich um Einzelfälle, zu
denen Prozentangaben wenig sinnvoll erscheinen. Genannt wurden
unter diesen die Landesanstalt für Rundfunk, das Landesarbeitsamt,
das Landesversorgungs- und das Landesjugendamt. 4,4% der Selbst-
113
organisationen, die Kontakte angaben, haben diese nicht spezifiziert,
so daß eine Zuordnung nicht möglich ist.
Die wenigen Kontakte zum MAGS sind ein Hinweis darauf, daß
nur sehr wenige Selbstorganisationen über die Reichweite und den
Nutzen dieser Kontakte Kenntnis haben. Die geringen Kontakte zu
den Medien, in diesem Falle der Rundfunkanstalten, sind ein Anzeichen dafür, daß vermutlich nur wenige Selbstorganisation deren
Nutzen für eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit kennen und zu nutzen
wissen.
Tabelle 28: Kontakte zu Einrichtungen des Landes
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
nein
ja
und zwar zu:
Landtag
Ministerien
darunter: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Wirtschaftsministerium
Innenministerium
Kultusministerium
Landesanstalt für Rundfunk
Kulturstiftung Nordrhein-Westfalen
Landesarbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte
Landeszentrale für politische Bildung
Landesversorgungsamt
Landesjugendamt
ungenaue Angaben
keine Angabe
292
47
86,1
13,9
3
18
11
1
1
2
2
1
4
4
2
1
5
10
0,9
5,3
3,2
0,3
0,3
0,6
0,6
0,3
1,2
1,2
0,6
0,3
1,5
2,9
N=
339
Missing: 5
Im Schnitt unterhielten die Vereine, die mit „ja“ geantwortet haben, Kontakte zu 1,8
Behörden oder anderen Einrichtungen des Landes.
5.2.9 Arbeitsschwerpunkte
5.2.9.1 Zielgruppen
Ein zentrales Anliegen der Untersuchung war die Ermittlung der
Tätigkeitsfelder und Angebote der Selbstorganisationen, die zeigen
sollten, welche Aufgaben und Funktionen sie für Mitglieder und
Klientel wahrnehmen. Gefragt wurde in der Erhebung nach den
Zielgruppen und der Art der Angebote. Die quantitative Auswertung
des Rücklaufs zeigt eine Dominanz bestimmter Zielgruppen, für die
ein Großteil der Selbstorganisationen Angebote nennen. Sehr auffällig ist die Jugendorientierung der Selbstorganisationen. Bei 304 gültigen Antworten gaben insgesamt 246 Selbstorganisationen Jugendliche als Zielgruppe ihrer Aktivitäten an, was einem prozentualen
Anteil von 80,9% der gültigen Antworten entspricht. Neben Jugendlichen, die als Zielgruppe der Aktivitäten der meisten Selbstorganisationen berücksichtigt werden, nannten 74% (absolut: 225) der
Selbstorganisationen Frauen und 72% (absolut: 219) Kinder als
Zielgruppe der Aktivitäten bzw. der Angebote. Auffällig hoch liegt
die Zahl der Selbstorganisationen, die Angebote für Ratsuchende
nennen. Von den 304 Selbstorganisationen, die Angaben zu den
Zielgruppen machten, nannten 181 (59,5%) Angebote für Ratsuchende. Während über die Hälfte (53,6%) der Selbstorganisationen
spezielle Angebote für Senioren unter den Aktivitäten nennen, liegt
5. Auswertung
die Zahl der Vereine insgesamt niedriger, die spezifische Angebote
für Arbeitnehmer (41,8%) und Arbeitslose (30,9%) haben. Auffällig
ist, daß die meisten Vereine in ihren Angeboten nicht auf eine bzw.
zwei Zielgruppen beschränkt bleiben. Die Befragten nannten im
Schnitt 4,2 verschiedene Zielgruppen ihrer Angebote.
Die Bedeutung der Kinder und Jugendlichen als Zielgruppe der
Vereinsaktivitäten wurde auch in verschiedenen Gesprächen mit Vereinsvertretern herausgestellt, wenn auch die Ausrichtungen unterschiedlich sind. Von einem islamischen Dachverband, dem Verband
der Islamischen Kulturzentren, wurde die religiöse und soziale
Betreuung der Jugendlichen als vorrangiges Ziel genannt.90 Eine
besondere Aufmerksamkeit für die Jugend wurde im Gespräch mit
dem DİTİB-Vorstand vor dem Hintergrund der beruflichen Eingliederung und der Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz begründet, die die Gefahr in sich bergen, daß die Jugendlichen ins soziale Abseits geraten.91 Dieselben Probleme und
eine entsprechende Zielrichtung sind auch bei Migrantenselbstorganisationen anderer Herkunftsländer gegeben. Als Beispiel seien hier
marokkanische Jugendliche genannt, die aufgrund fehlender oder
schlechter Schulabschlüsse keinen Ausbildungsplatz finden. Von
Vereinsvertretern wurden sie als Schwerpunktzielgruppe genannt, zu
der man besonders schwer Zugang finde.92
Tabelle 29: Angebote für besondere Zielgruppen
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
Angebote für Kinder
Angebote für Jugendliche
Angebote für Frauen
Angebote für Ältere
Angebote für Arbeitnehmer
Angebote für Arbeitslose
Angebote für Ratsuchende
andere
darunter:
Angebote für Flüchtlinge
und Asylbewerber
Angebote für Unternehmer
und Selbständige
andere Zielgruppen
219
246
225
163
127
94
181
35
72,0
80,9
74,0
53,6
41,8
30,9
59,5
11,5
4
1,3
3
1,0
28
9,2
N=
304
Missing: 40
5.2.9.2 Angebotsstruktur
Bei der Angebotsstruktur fällt auf, daß sie bei einem großen Teil
der Selbstorganisationen breit gefächert ist. Das heißt, die wenigsten
beschränken sich, auch wenn sie dem Namen und den Zielsetzungen
nach ein eingegrenztes Tätigkeitsfeld zu haben scheinen, tatsächlich
auf eine sehr eingegrenzte Klientel. Der größte Teil der Selbstorganisationen hat parallel Angebote unterschiedlicher Art, die sich an
verschiedene Zielgruppen richten.
Am häufigsten wurden von den Selbstorganisationen, die sich
an der Erhebung beteiligten, kulturelle Angebote genannt. Angebote
dieser Art nannten 73,4% (243) der insgesamt 331 Selbstorganisationen, deren Antworten in die Auswertung einflossen. Weitere oft
genannte Angebote betreffen die Freizeitgestaltung. Sie werden von
61,6% (204) der Selbstorganisationen genannt. Genauso hoch ist der
Anteil der Selbstorganisationen, die Beratungsangebote haben.
Angebote dieser Art wurden von 61,6% (204) der Selbstorganisationen
angegeben. Bedacht werden muß hierbei, daß die Beratungstätigkeiten der befragten Gruppen überwiegend informell und ehrenamtlich
durchgeführt werden. Betreuungs- und Hilfsangebote nehmen ebenfalls einen wichtigen Platz ein. Während 54,7% (181) der befragten
Selbstorganisationen Betreuungsangebote angaben, liegt der Anteil
derjenigen, die Hilfen als Angebot ihres Vereins nennen, bei 43,8%
(145). Über die Hälfte der Selbstorganisationen, 61,3% (absolut 203),
bieten ihren Mitgliedern sportliche Aktivitäten als Angebot an. Hier
muß darauf hingewiesen werden, daß es sich hierbei nicht nur um
Sportvereine handelt, die lediglich 8,1% der Selbstorganisationen
ausmachen (siehe oben Selbstorganisationen nach Vereinstyp). Auch
zahlreiche religiös oder kulturell orientierte Vereine organisieren für
Mitglieder, hier insbesondere für Kinder und Jugendliche, sportliche
Aktivitäten. Angebote zur Bildung wurden von 44,4% der Selbstorganisationen genannt. Fehlende Finanzierungsmöglichkeiten sind
eines der größten Probleme bei Kursangeboten. Als ein konkretes
Beispiel seien hier Angebote wie Hausaufgabenhilfe oder beruflich
qualifizierende Kurse genannt. Bei Angeboten dieser Art, die zuvor
von öffentlicher Hand finanziert wurden, kam es in letzter Zeit häufig
zu Streichungen, so daß der jeweilige Kurs eingestellt werden
mußte, oder aber ohne finanzielle Unterstützung ehrenamtlich fortgesetzt wird.93
Die Zahl der Selbstorganisationen mit religiösen Angeboten
deckt sich mit deren prozentualem Anteil bei der Zahl der Selbstorganisationen insgesamt. Religiöse Angebote wurden von 52,0%
(172) der Selbstorganisationen genannt, die sich an der Erhebung
beteiligten. Das bedeutet, daß diese Art von Dienstleistungen ausschließlich von religiösen Selbstorganisationen angeboten werden.
Weitere Formen von Angeboten im Bereich der Freizeitgestaltung
sind neben sportlichen Aktivitäten Kulturveranstaltungen und Feste
für Familien. Aufklärerische Funktion haben Vorträge oder auch
Seminare, in denen die Mitglieder des Vereins und Außenstehende
beispielsweise über ausländerrechtliche und Fragen der Einbürgerung
aufgeklärt bzw. zur Einbürgerung animiert werden. Die Auswertungsergebnisse zur Angebotsstruktur zeigen, rein quantitativ betrachtet,
daß der größte Teil der Vereine eine breite Palette an Aktivitäten für
die Mitglieder abzudecken versucht. Der Mittelwert zeigt dies recht
deutlich: Im Schnitt gaben die befragten Vereine 4,9 verschiedene
Arten von Angeboten an.
90 Gespräch mit dem Generalsekretär des Verbandes, İbrahim Çavdar.
91 Aus dem Gespräch mit dem DİTİB-Vorstandsmitglied Mehmet Yıldırım.
92 Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden eines marokkanischen Moscheevereins.
93 Als Beispiel sei hier die Hausaufgabenhilfe eines Moscheevereins in Herne genannt, die zuvor von der Kommune finanziell unterstützt wurde. Die
Streichung der Mittel wurde mit den Finanznöten der Kommune begründet und wird, da die Maßnahme aus Sicht des Vereins dringend erforderlich ist,
seitdem ehrenamtlich fortgeführt. Aus dem Gespräch mit Arif Ünal vom Vorstand des Moscheevereins in Herne.
114
5. Auswertung
Tabelle 30: Art der Angebote
Mehrfachnennungen möglich
abs.
%
Beratung
Betreuung
Hilfe
Gesundheit
Sport
Freizeitgestaltung
Religion
Bildung
Kultur
sonstige
204
181
145
69
203
204
172
147
243
62
61,6
54,7
43,8
20,8
61,3
61,6
52,0
44,4
73,4
18,7
N=
331
Missing: 13
5.2.9.3 Orientierung der Angebote
In der Erhebung wurden die Selbstorganisationen danach
gefragt, ob sich ihre Angebote auf das Herkunftsland oder das
Zuwanderungsland oder möglicherweise beide konzentrieren. Die
Auswertung der Frage nach der Selbsteinschätzung hinsichtlich der
Orientierung ergab, daß die wenigsten Vereine ihre Angebote als
eher heimatbezogen betrachten. Lediglich 0,9% (absolut: 3) der
Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten, betrachten ihre Angebote als eher heimatbezogen. Der größte Teil, mit
60,9% (absolut: 196) mehr als die Hälfte der befragten Selbstorganisationen, betrachten ihre Angebote als beidseitig orientiert, d.h. sowohl auf das Leben in der Bundesrepublik als auch auf die Heimat.
38,2% (absolut: 123) der Selbstorganisationen wiederum sehen ihre
Angebote als auf das Migrationsland Bundesrepublik konzentriert.
Zwar fehlen Vergleichsdaten aus der Vergangenheit, die eine Tendenz empirisch belegen könnten, dennoch zeigt der Anteil der
Selbstorganisationen, die ihre Angebote als auf das Leben in der
Bundesrepublik orientiert betrachten, die Gewichtung des Selbstverständnisses, sich in den Vereinsaktivitäten auf das Leben im
Zuwanderungsland zu konzentrieren (vgl. Tabelle 31, Orientierung
der Angebote).
Tabelle 31: Orientierung der Angebote
Bundesrepublik
Heimat
beides
N=
abs.
%
123
3
196
38,2
0,9
60,9
322
100,0
Missing: 22
Aus der Selbsteinschätzung der beidseitigen Orientierung der
Angebote kann nicht der Schluß einer doppelten Lebensplanung gezogen werden, die auf eine mögliche „Rückkehr“ abzielt. Sie ist
möglicherweise als Offenhaltung einer „Rückkehroption“ zu verstehen.
Noch eher ist hinter der beidseitigen Orientierung das Verständnis
zu sehen, daß zur Bewahrung der eigenen Identität (ethnisch, kulturell oder religiös) der Kontakt zum Herkunftsland bzw. Einrichtungen
im Herkunftsland einen wichtigen Faktor darstellt, der zur Vermittlung der Kultur des Herkunftslandes einen funktionalen Wert hat.
115
Die verstärkte Orientierung am Leben im Zuwanderungsland
wird an den Aktivitäten und Angeboten deutlich, die die Selbstorganisationen im Konkreten nennen. Neben den Ergebnissen zur Angebotsstruktur (siehe oben) wurden von verschiedenen Selbstorganisationen als konkrete Beispiele für diese Orientierung Informationsveranstaltungen oder Vorträge zum Ausländerrecht oder zur Einbürgerung genannt. Die Orientierung am Zuwanderungsland wird auch
an den Ergebnissen der Frage nach den Erwartungen der Selbstorganisationen gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen deutlich
(vgl. den Abschnitt 5.2.11). Die Verbleiborientierung wird an den
auf diese Frage hin genannten Erwartungen deutlich, die diese Neigung empirisch untermauern. Genannt seien hier die Stichworte
erleichterte bzw. automatische Einbürgerung für hier Geborene,
doppelte Staatsbürgerschaft, die Zuerkennung politischer Partizipationsrechte (kommunales und allgemeines Wahlrecht).
5.2.10 Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit
Ein zentrales Problem eines Großteils der Migrantenselbstorganisationen ist die geringe Wahrnehmung durch die Mehrheitsgesellschaft und ihre Institutionen. Eine wirkungsvolle Methode zur stäkeren Wahrnehmung sind zum einen die Kontakte zu Organisationen
und Einrichtungen im Zuwanderungsland. Ein weiterer wichtiger
Aspekt ist eine nach Möglichkeit wirksame Öffentlichkeitsarbeit,
die in verschiedener Weise erfolgen kann. Hierzu gehört auch die
Öffnung der Einrichtung für außenstehende Interessierte und kann
durch Einladung von Akteuren der Mehrheitsgesellschaft ausgeweitet
werden, wie dies in vielen Fällen bereits geschieht. Die Öffentlichkeitsarbeit kann auch durch Kontakt zu den Medien effizienter
gestaltet werden. Ein wichtiges Element hierbei können eigene Publikationen sein. Eigenwerbung in Form von Broschüren, Faltblättern,
Plakaten etc. dient nicht nur der Rekrutierung weiterer Mitglieder
und Teilnehmer an Aktivitäten eines Vereins, sondern ist auch eine
wirksame Methode, den Bekanntheitsgrad einer Selbstorganisation
gegenüber der Mehrheitsgesellschaft und ihren Institutionen zu
erhöhen. So wurde in der Erhebung nach eigenen Publikationen
gefragt, wie etwa Broschüren, Faltblättern oder auch periodische
Veröffentlichungen wie Zeitschriften. Von den befragten Selbstorganisationen gaben lediglich 18,3% (63 absolut) an, eigene Publikationen zu haben, d.h. der übergroße Teil von 81,4% (bei insgesamt
243 gültigen Antworten) verfügt über keinerlei Publikationen. Bei
denjenigen, die Publikationen nannten, muß zudem berücksichtigt
werden, daß in dem Wert auch die Dachorganisationen enthalten
sind. Des weiteren sind unter ihnen auch Selbstorganisationen, die in
der Herkunftssprache veröffentlichen, wodurch eine Öffentlichkeitswirksamkeit gegenüber der Mehrheitsgesellschaft nicht gegeben ist.
Das Defizit in diesem Bereich hat verschiedene Ursachen. Ein
zentrales Problem sind die personellen und finanziellen Ressourcen.
Da der größte Teil der Selbstorganisationen über keine festangestellten
Mitarbeiter verfügt, stützen sich die Arbeiten entsprechend auf den
ehrenamtlichen Einsatz der Mitglieder, der aufgrund der Erwerbstätigkeit zeitlich eingeschränkt ist. Einige größere Vereine mit engagierten Mitgliedern haben die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit
erkannt und möchten diese stärker betreiben, nur fehlt es an den
erforderlichen Ressourcen, zu denen u.a. auch Mitglieder gehören,
die die sprachlichen Voraussetzungen erfüllen und über entsprechen-
5. Auswertung
des Know How über die Öffentlichkeitsarbeit verfügen. Dies wurde
auch in einem Interview mit einem Vereinsvertreter geäußert, der
einen konkreten Vorschlag machte, wie die Öffentlichkeitsarbeit der
Migrantenvereine vor Ort ermöglicht werden könnte. Durch die Einrichtung einer fest finanzierten Stelle könne die Öffentlichkeitsarbeit
aller Migrantenvereine vor Ort ermöglicht werden, die die deutsche
Presse mit Nachrichten über Migranten bzw. deren Aktivitäten versorgen könnte.94 Mangelnde personelle Ressourcen beziehen sich in
diesem Zusammenhang auch auf die sprachliche Kompetenz im
Deutschen. Als ein Indikator hierfür kann ein weiteres Ergebnis der
Erhebung angesehen werden. Bei der Auswertung der Sprache, in
der die Fragebögen ausgefüllt wurden, zeigte sich, daß 67,2% (211
von insgesamt 311) der befragten Selbstorganisationen von
Migranten aus der Türkei ihn in Türkisch ausfüllten (vgl. folgende
Abbildung).
der Auswertung herausstellte. Zur Verdeutlichung sei hier erwähnt,
daß von vielen Maßnahmen zur Integration genannt wurden, die
nicht vom Land sondern nur auf der Bundesebene vollzogen werden
können, wie etwa die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft.
Trotz dieser einschränkenden Faktoren war der Anteil der Selbstorganisationen, die die Frage zu den Erwartungen an das Land
Nordrhein-Westfalen beantworteten, relativ hoch. Von insgesamt 344
Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten, beantworteten 225, also 65,4%, die Frage in auswertbarer Form. Bei einem
kleinen Anteil von 3,8% waren die Angaben zu diffus, als daß sie
einer festgelegten Variablen zugeordnet werden konnten. Der Anteil
der befragten Selbstorganisationen, die die Frage unbeantwortet
ließen, liegt bei 30,8% (106 absolut). In einem Falle wurde die Frage
nicht beantwortet, sondern mit der frustrierten Gegenfrage kommentiert, warum denn „schon wieder diese Frage gestellt“ würde.
Abb. 3:
Insgesamt zeigen die in den Fragebögen artikulierten Erwartungen eine große Bandbreite. Neben politischen und rechtlichen
Schritten wurden gesellschafts- und wirtschaftspolitische Maßnahmen
zur Verbesserung der Lebenssituation der hier lebenden Migranten
genannt. Eine weitere Gruppe von Antworten betrifft die Möglichkeiten zum Erhalt bzw. zur Bewahrung der eigenen Kultur bzw. auch
religiösen Identität. In diesem Kontext ist auch die Förderung der
Selbstorganisationen zu sehen, die als eine Maßnahme genannt wurde.
Bewußtsein für die Reziprozität des Integrationsprozesses kommt in
Forderungen zum Ausdruck, die die eigene Gruppe betreffen.
5.2.11 Erwartungen an das Land NordrheinWestfalen
5.2.11.1 Auswertung der genannten Erwartungen
insgesamt
Im Rahmen der Erhebung wurden die Selbstorganisationen nach
ihren Erwartungen gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen gefragt.
Dies erfolgte in Form einer offenen Frage, die allgemeiner formuliert war, um somit die Möglichkeit zu geben, neben Erwartungen
gegenüber der Politik hinsichtlich der Integration auch solche nennen
zu können, die andere gesellschaftliche Bereiche oder Institutionen
betreffen. Die Möglichkeit, die eine offene Frage bietet, birgt auf
der anderen Seite jedoch auch verschiedene Nachteile. Einerseits ist
der mit der Beantwortung einer offenen Frage verbundene höhere
Zeitaufwand ein Faktor, der dazu führen kann, daß die Frage übergangen wird, wie es bei einigen Selbstorganisationen der Fall gewesen sein dürfte. Ein weiteres Problem ist die Quantifizierbarkeit der
Antworten, die häufig unpräzise bzw. auch diffus sind, wie sich bei
Hinsichtlich der Zahl der genannten Erwartungen pro Selbstorganisation ist eine kontinuierliche Linie nach unten zu beobachten.
Das heißt, der größte Teil derjenigen, die die Frage beantworteten,
benannten wenige Erwartungen hinsichtlich der Integration. Nahezu
ein Viertel (22,1%/76 von 225) beschränkten sich auf eine Nennung.
Der Anteil derjenigen, die bis zu drei Erwartungen nannten, liegt bei
nahezu der Hälfte (47,9%/165 absolut) aller Selbstorganisationen.
Die Extremwerte bei der Zahl der von einer Organisation genannten
Erwartungen liegt bei 8, in einem Fall bei 9 insgesamt. Während
sich ein Teil auf wenige (ein bis zwei) Empfehlungen zur Integrationspolitik beschränkte, gab es auch Selbstorganisationen, die einen
umfangreichen Empfehlungskatalog auflisteten und auch ausführlich
darlegten. Die absolute Zahl auswertbarer Empfehlungen liegt bei
insgesamt 595, die 37 Variablen zugeordnet werden konnten.
94 Aus dem Tiefeninterview mit Arif Ünal, Vorstandsmitglied eines DİTİB-Moscheevereins in Herne. Er betonte, daß eine diesbezügliche Initiative unternommen wurde, aber mit Hinweis auf finanzielle Nöte nicht bewilligt wurde. In diesem Zusammenhang wurde auf die geringen Einflußmöglichkeiten
einer Bevölkerungsgruppe auf die kommunale Politik hingewiesen, der politische Partizipationsrechte fehlen. Als potentielle Wähler würde man bei eigenen
Anliegen stärker berücksichtigt werden.
116
5. Auswertung
zeigt das geringe Interesse an den Beiräten. Diese Zahlen zeigen
vielmehr, daß die Erwartungen in Richtung Gleichstellung im Bereich der politischen Partizipation gehen. In einer allgemeiner formulierten Weise nannten sogar 20,4% (46 absolut) der befragten
Selbstorganisation die Verwirklichung gleicher Rechte für alle als
Erwartung hinsichtlich einer effektiven Integrationspolitik. Die
Zahlen verweisen darauf, daß sich bei vielen Selbstorganisationen
als Vertreter einer zugewanderten Bevölkerungsgruppe das Bewußtsein und die Erwartung entwickelt, daß die politische Gleichstellung
der Migranten die Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration
ist.
Abb. 4:
Bei der Auswertung der Maßnahmen, die von den Selbstorganisationen hinsichtlich der erforderlichen Integrationsbemühungen genannt werden, sind bestimmte Häufungen erkennbar. Die Empfehlung,
die von den meisten Selbstorganisationen gemacht wurde, bewegt
sich im Allgemeinen und zielt nicht auf konkrete Maßnahmen des
Landes. Insgesamt nannten 33,3% der Selbstorganisationen, die die
Frage beantworteten, die Verbesserung des Dialogs bzw. des Kontaktes zwischen der deutschen und den (in diesem Falle überwiegend)
türkischen Gemeinschaften bzw. die Verbesserung des deutsch-türkischen Dialogs als Bedingung für eine erfolgreiche Integration.
Eine weitere Gruppe von Erwartungen, die ebenfalls nicht auf
Landesebene eingelöst werden können, jedoch die Bedeutung für
die Migranten bzw. ihre Selbstorganisationen dokumentieren, betreffen den rechtlichen Status der hier lebenden Migranten. Die am
häufigsten genannte Erwartung in diesem Bereich ist mit 18,2% (41
absolut) die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft. Die
häufige Nennung dieser Forderung ist vor dem Hintergrund zu sehen,
daß es sich bei dem größten Teil der hier befragten Selbstorganisationen um türkische handelt. Als Bürger eines Drittstaates ist bei türkischen Staatsbürgern gegenüber Migranten aus EU-Mitgliedsstaaten
eine rechtliche und auch politische Benachteiligung gegeben.
Während Migranten aus EU-Mitgliedsstaaten politische Partizipationsmöglichkeiten unabhängig von der deutschen Staatsbürgerschaft besitzen (kommunales Wahlrecht), sind sie gegenüber Drittstaatlern auch bei der Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt.
Deutlich wird die Bedeutung der doppelten Staatsbürgerschaft
daran, daß sie ausschließlich von türkischen Selbstorganisationen
genannt wurde. Ebenfalls in den Bereich der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen gehört die von den Selbstorganisationen
genannte erleichterte Einbürgerung (4,4%/10 absolut) und die automatische Einbürgerung der hier geborenen Kinder der Zuwanderergruppen (2,7%/6 absolut). Von einigen Selbstorganisationen wurde
in der Erhebung auch die Beseitigung des Kindervisums zur Verbesserung der rechtlichen Situation genannt (1,3%/3 absolut). In allgemeinerer Weise wurde von einigen Selbstorganisationen hierbei auch
als Erwartung genannt, Deutschland müsse sich als Einwanderungsland begreifen (1,8%/4 absolut), worin implizit auch die Erwartung
nach rechtlichen Reformen artikuliert wird.
Trotz der Einschränkung, Maßnahmen des Landes zur Integrationsförderung zu nennen, wurden von vielen Selbstorganisationen
Erwartungen artikuliert, die einer Lösung auf Bundesebene bedürfen.
Die Artikulation dieser Erwartungen verweist auf das Bewußtsein,
daß eine wirksame Integrationspolitik verschiedene Schritte erfordert,
die die Rahmenbedingungen der Integrationspolitik insgesamt
betreffen. Auffallend oft wurden Maßnahmen genannt, die auf die
politischen Partizipationsmöglichkeiten hier lebender Migranten und
die Verbesserung des rechtlichen Status abzielen. Während 16,4%
(37 absolut) der Befragten die Zuerkennung des kommunalen Wahlrechts nannten, wurde von 15,1% (34 absolut) die Gewährung des
allgemeinen Wahlrechts als Voraussetzung für eine wirksame Integrationspolitik genannt. Interessant ist dem gegenüber die niedrige
Zahl derjenigen, die mehr Rechte für die Ausländerbeiräte benannten.
Der geringe Anteil von 0,9% (lediglich zwei Selbstorganisationen)
Ein weiterer Komplex von Erwartungen gegenüber dem Land
Nordrhein-Westfalen, die von den Selbstorganisationen in der Erhebung genannt wurden, betreffen Maßnahmen zur gesellschaftlichen
und zur Integration in das Erwerbsleben. In der allgemeinsten und
gleichzeitig häufigsten Form erscheint die gesellschaftliche Integration in Gestalt des Wunsches nach einer Förderung des Dialogs zwischen Mehrheitsgesellschaft und Zuwanderergruppe, die von jeder
dritten Selbstorganisation (33,3%) genannt wurde. Hierin wird deutlich, daß ein großer Teil der Selbstorganisationen keine Form der
Segregation einer Minderheit anzusehen ist, sondern vielmehr selber
das Bewußtsein haben, daß sie als Ansprechpartner bzw. Brücke zur
Mehrheitsgesellschaft gesehen werden wollen. Das Bewußtsein für
die Gegenseitigkeit des Integrationsprozesses kommt auch in der
Erwartung zum Ausdruck, über die jeweils andere Seite stärker
informiert und aufgeklärt zu werden. So nannten 8% (18 absolut)
Die Verteilung der Ausschöpfung nach den Herkunftsländern
deckt sich in etwa sowohl mit den Anteilen an allen erfaßten Selbstorganisationen als auch der Ausschöpfungsquote bei der Erhebung
(vgl. hierzu den Abschnitt „Rücklauf“). Von 225 Antworten insgesamt nehmen türkische Selbstorganisationen mit 205 (91,1%) den
größten Anteil ein. Die anderen Antworten verteilen sich mit 2,2%
(5 absolut) auf kurdische, je 1,3% (3 absolut) auf bosnisch-herzegowinische und marokkanische, je 0,9% auf tunesische und jugoslawische (2 absolut) und 2,2% (5 absolut) auf nationenübergreifende
Selbstorganisationen.
117
5. Auswertung
der Selbstorganisationen (fast ausschließlich türkische) eine stärkere
Aufklärung der Deutschen über das Herkunftsland und den Hintergrund der Zuwanderergruppe. Umgekehrt wurde von 4,9% (11 absolut) der überwiegend türkischen Selbstorganisationen eine stärkere
Aufklärung durch Informationen über Deutschland genannt. Als
konkretere Maßnahmen zur Förderung der gesellschaftlichen Integration wurden von mehreren Selbstorganisationen die Sprachförderung (8%/18 absolut), und noch öfter Maßnahmen zur Förderung im
schulischen Bereich (9,3%/21 absolut) genannt. Neben diesen Maßnahmen, die eine Förderung der Migranten selber betreffen, wurden
auch solche genannt, die auf die Mehrheitsgesellschaft abzielen.
Genannt wurden hierunter die Verbesserung der Behandlung bei
Ämtern (2,2%/5 absolut), Maßnahmen zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus (4,9%/11 absolut), Maßnahmen zur
Verhinderung von Diskriminierung (3,1%/7 absolut) und die bereits
erwähnten Informationen über das Herkunftsland und den Hintergrund der zugewanderten Gruppe, der ebenfalls diese Funktion zugedacht wird. Von einer Selbstorganisation wurde für die gesellschaftliche Gleichstellung der Migranten eine Quotenregelung gefordert,
mittels der durch die Präsenz in öffentlichen Einrichtungen langfristig eine Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz bzw. das
Bewußtsein für die Normalität des Zusammenlebens auf seiten der
Mehrheitsgesellschaft erreicht werden könne.
Gemessen an der Zahl der Selbstorganisationen, die entsprechende
Erwartungen nannten, kommt der beruflichen Förderung, hier insbesondere der der Jugendlichen, eine große Bedeutung zu. So nannten
19,6% (44 absolut) derjenigen, die die Frage nach den Erwartungen
gegenüber dem Land beantworteten, Maßnahmen zur Förderung der
beruflichen Bildung. Die für einen Teil jugendlicher aber auch
erwachsener Migranten schlechte Situation auf dem Arbeitsmarkt
dürfte der entscheidende Grund dafür sein, daß 4,9% (11 absolut) der
Selbstorganisationen Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter Migranten nannten.
Ein weiterer Bereich der Erwartungen gegenüber dem Land, die
in verschiedener Weise geäußert wurden, betreffen Maßnahmen, die
auf den Erhalt der kulturellen und religiösen Identität der Zuwanderergruppen abzielen. Erwartungen dieser Art wurden etwa in den
allgemeineren Antworten artikuliert, es müßten Maßnahmen zur Erhaltung der eigenen Kultur (9,8%/22 absolut) vollzogen werden bzw.
umgekehrt, es dürfe keine Assimilation angestrebt werden (4,9%/11
absolut). Neben diesen generell formulierten Erwartungen nannten
einige Selbstorganisationen auch konkretere Maßnahmen wie die
Durchführung muttersprachlichen Unterrichts (3,6%/8 absolut) oder
auch die Zuerkennung religiöser Freiheiten (z.B. Gebetsruf), die von
3,1% (7 absolut) der Selbstorganisationen genannt wurden.
5.2.11.2 Auswertung nach Vereinstypen
Die Auswertung der Frage nach den Erwartungen gegenüber dem
Land Nordrhein-Westfalen zeigt bei der Ausdifferenzierung nach
Vereinstypen teilweise interessante Ergebnisse. Bei den Moscheevereinen, die mit 37,3% (84 absolut) den größten Anteil unter den
Selbstorganisationen ausmachen, die auf die Frage antworteten, findet sich auch nahezu die Hälfte (46,7%/35 absolut) derjenigen, die
die Förderung des deutsch-türkischen Dialogs als Erwartung formu-
118
liert haben. Ebenfalls hoch ist der Anteil derjenigen unter ihnen, die
die politische Partizipation auf den verschiedenen Ebenen nennen.
So entfallen 40,5% (15 absolut) derjenigen Selbstorganisationen, die
das kommunale Wahlrecht zugestanden bekommen möchten, auf
Moscheevereine. Von denjenigen, die die Zuerkennung des allgemeinen Wahlrechts als Erwartung nennen, waren es mit einem
Anteil von 38,2% (13 absolut) Moscheevereine. Gekoppelt ist die
Forderung nach politischer Partizipation in etwa gleicher Höhe mit
der Erwartung nach der rechtlichen Gleichstellung durch Erleichterungen bei der Einbürgerung (30%/3 von 10 insgesamt) und die
Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft 41,5% (17 von 41
insgesamt).
Die Auswertung der Frage nach den Erwartungen gegenüber
dem Land zeigt bei verschiedenen Antworten, die genannt wurden,
daß sich die Selbstorganisationen als Interessenvertretung der
Migrantengruppe insgesamt oder als Interessenvertretung einer
bestimmten Zielgruppe innerhalb dieser verstehen. Der Aspekt der
Interessenvertretung einer Migrantengruppe insgesamt wird bereits
an einigen Ergebnissen deutlich, die oben genannt wurden. Da die
Wirkungs- und Einflußmöglichkeiten der Selbstorganisationen auf
überregionaler Ebene aufgrund der objektiven Schranken und der
eingeschränkten Kapazitäten eher beschränkt sind, konzentrieren
sich die Bemühungen zur Durchsetzung eigener Anliegen natürlicherweise auf die kommunale Ebene. Die zielgruppenorientierte Interessenvertretung, die die Selbstorganisationen auf dieser Ebene wahrnehmen und in Form von Erwartungen dem Land gegenüber artikulieren, wird bei der Auswertung der Antworten nach Vereinstypen
deutlich.
Bei den konkreteren Erwartungen an das Land fallen zwei Zielgruppen auf, denen die Selbstorganisationen ein besonderes Augenmerk widmen: Kinder und Jugendliche. Bezogen auf diese Zielgruppen läßt sich auch aufgrund der Ergebnisse anderer Fragen eine
besondere Gewichtung feststellen. So gesehen war es bei der Auswertung der Frage zu den Erwartungen an das Land interessant zu
ermitteln, inwieweit sich diese konkreten Erwartungen mit eigenen
Bemühungen in Form von Kontakten zu betreffenden Einrichtungen
oder auch in Form eigener Angebote für diese Zielgruppen decken.
Daß es sich bei den meisten Selbstorganisationen, die diesbezügliche
Erwartungen an das Land nennen, nicht um ein formales Lippenbekenntnis bzw. ein unabhängig von eigenen Bemühungen zu sehendes
Bewußtsein für bestimmte Problemfelder in der Migrantengruppe
handelt, wird deutlich, wenn man die Ergebnisse mit den eigenen
Aktivitäten und Angeboten vergleicht. So gaben 76,2% (16 absolut)
der Selbstorganisationen, die vom Land eine stärkere Förderung in
den Schulen erwarten, eigene Angebote für Kinder, und 81% (17
von 21 insgesamt) Angebote für Jugendliche an. Ebenso signifikant
ist der Anteil derjenigen, die vom Land Maßnahmen zur beruflichen
Qualifikation der Jugendlichen erwarten. So gaben 70,5% (31 von
44) der Selbstorganisationen, die diesbezügliche Erwartungen an das
Land artikuliert haben, spezielle Angebote für Kinder, und 84,1%
(37 von 44) spezielle Angebote für Jugendliche an.
5. Auswertung
Auffällig niedrig hingegen sind die Kontakte dieser Selbstorganisationen zu Ämtern und deutschen Einrichtungen. Die Selbstorganisationen, die eine besondere Förderung der schulischen Ausbildung
bei Kindern und der beruflichen Ausbildung bei Jugendlichen als
konkrete Erwartung an das Land nannten, haben zwar insgesamt einen
signifikant hohen Kontakt zu Ämtern der Kommunalverwaltung.
Auch im Falle derjenigen, die eine Förderung der beruflichen Ausbildung durch das Land erwarten, liegt der Anteil derjenigen, die
Kontakte zur Kommunalverwaltung angeben, mit 75% (33 von 44
insgesamt) relativ hoch. Noch höher ist der Anteil derjenigen, die
die Förderung der Schüler durch das Land erwarten, und gleichzeitig
Kontakte zur Kommunalverwaltung angaben. Er liegt bei insgesamt
85,7% (18 von 21 insgesamt). In beiden Fällen sind jedoch keine
auffällig hohen Kontakte zu anderen deutschen Einrichtungen und
zu Einrichtungen des Landes festzustellen. Überraschend niedrig ist
trotz des gut entwickelten Kontaktes zu Ämtern und Einrichtungen
insgesamt der Kontakt zu den hierbei relevanten Ämtern. Von den
Selbstorganisationen, die die Förderung der beruflichen Qualifikation vom Land erwarten, haben nur 26,9% Kontakte zum Jugendamt,
25% zum Arbeitsamt und lediglich 18,2% zum Schulamt. Ebenso
gering sind die Kontakte zu den RAA’s, deren Zielgruppe zugewanderter Kinder und Jugendliche sind. Ähnlich gering sind die Kontakte bei den Selbstorganisationen, die vom Land Maßnahmen zur
Förderung der Schüler erwarten. Von diesen gaben lediglich 15,4%
Kontakte zum Jugendamt, und 9,1% zum Schulamt an. Auch die
Kontakte zu den RAA’s sind mit 20% derjenigen, die die Förderung
der Schüler erwarten, niedrig. Für die geringen Kontakte können
hier verschiedene Erklärungsansätze herangezogen werden, die sich
auf Beobachtungen stützen, jedoch nicht quantifizierbar sind. Eine
mögliche Erklärung ist auch hier die Unkenntnis der bürokratischen
Strukturen. Ein weiteres Moment dürften in vielen Fällen Berührungsängste auf seiten der Selbstorganisationen sein, denen vielmals auch
auf seiten der Ämter ein mangelndes Bewußtsein für Kooperation
mit Migrantenselbstorganisationen gegenübersteht, das teilweise
darin zu erklären ist, daß sie diese nicht als kompetente Ansprechpartner ansehen. Im Falle der RAA’s ist der geringe Kontakt nicht
allein auf die Selbstorganisationen beschränkt. Beobachtungen zeigen,
daß beispielsweise auch vielen Schulen etwa diese Einrichtung
unbekannt ist.
Hinsichtlich der Erwartungen an das Land sollen hier auch die
in den Tiefeninterviews geäußerten Erwartungen und Kritikpunkte
berücksichtigt werden. Eine allgemeinere Erwartung, die in der Erhebung genannt wurde, die Zuerkennung politischer Rechte, wurde
auch in den Interviews indirekt geäußert. Von den Vertretern der
Dachverbände und auch Einzelvereinen wurde das Fehlen politischer
Rechte als ein zentrales Manko für die Durchsetzbarkeit eigener
Interessen genannt. Aufgrund des fehlenden Wahlrechts habe man
das Problem, eigene Anliegen politisch nicht durchsetzen zu können.
Bei Kürzungen oder Streichungen finanzieller Zuwendungen seien
aus dem Grunde vorrangig Migranten betroffen, da sie kein Wählerpotential darstellen, das von den Parteien berücksichtigt würde.
95 Dies sind in Nordrhein-Westfalen Essen, Köln, Duisburg, Düsseldorf und Dortmund.
119
5.2.12 Weitere Ergebnisse
Ein Aspekt, dem bei der Untersuchung nachgegangen wurde, ist
die Frage nach Unterschieden oder möglicherweise auch Gegensätzen
zwischen Selbstorganisationen im kleinräumigen Bereich auf der
einen, und Großstädten auf der anderen Seite. Ermittelt werden sollte
hierbei, ob und in welcher Weise die Größe des Ortes Auswirkungen
auf die Struktur der Migrantenselbstorganisationen hat.
Angenommen wurden mögliche Unterschiede in der Größe der Mitgliedschaft, der Angebotsstruktur, der Orientierung und dem Ausmaß der Kooperation und Kontakte. Bei den Berechnungen hierzu
konnten teilweise die erfaßten Selbstorganisationen zugrunde gelegt
werden, in anderen Fällen wurden die Angaben der Selbstorganisationen im Rahmen der Erhebung herangezogen, und durch Festlegung weiterer Variablen ausgewertet.
Vorweggenommen sei vor der Präsentierung der einzelnen Ergebnisse, daß auf Grundlage der vorhandenen Datenbasis in keinem
Bereich signifikante Unterschiede zwischen Selbstorganisationen in
kleineren Städten und solchen in Großstädten festgestellt werden
konnten. In erster Linie werden hier die Ergebnisse der unteren Gemeindegrößeklassen den Großstädten gegenübergestellt. Obwohl in
Gemeinden mit 5.000-10.000 Einwohnern einige Selbstorganisationen
erfaßt waren, mußten aufgrund der Nichtbeteiligung dieser die Gemeinden mit einer Bevölkerung zwischen 10.000-20.000 Einwohner
oder auch die nächstgrößere Gruppe von 20.000-50.000 Einwohnern
als untere Vergleichsgruppe herangezogen werden, der die Großstädte
mit mehr als 500.000 Einwohnern gegenübergestellt wurden.95
Die Gegenüberstellung ist auf Grundlage der Beteiligungsquote
zulässig. Der Anteil der Selbstorganisationen in Gemeinden mit
einer Bevölkerungsgröße zwischen 10.000-20.000 deckt sich bei
einer Rücklaufquote von 2,9% mit der des Anteils der erfaßten von
3%. Auch wenn der Anteil des Rücklaufs aus Großstädten mit
24,7% unter dem der erfaßten Selbstorganisationen von 28,2% liegt,
ist ein Vergleich zulässig, da der absolute höhere Anteil des Rücklaufs aus Großstädten noch eher tendenziell gültige Aussagen zuläßt. Aus diesem Grunde wurde bei einigen Gegenüberstellungen
auch die nächstgrößere Einheit (20.000-50.000 Einwohner) gewählt,
da der absolute Rücklauf aus den kleineren Gemeinden keine Aussage zuläßt. Der Anteil des Rücklaufs deckt sich auch bei den
dazwischenliegenden Gruppen annähernd mit deren Anteilen an den
erfaßten Selbstorganisationen.
Ein wesentlicher Vergleich bezieht sich auf die Angebotsstruktur
der Selbstorganisationen. Die Annahme, daß aufgrund der geringeren
Organisationsdichte in kleineren Gemeinden und der damit teilweise
verbundenen „Monopolstellung“ einzelner Vereine die Angebotsstruktur der Selbstorganisationen eine größere Bandbreite haben
könnte, wurde durch die Auswertungsergebnisse nicht bestätigt. Der
Durchschnittswert der pro Verein genannten Angebote liegt mit 3,7
bei Selbstorganisationen in Städten zwischen 20.000-50.000 (66
gültige Fälle) gegenüber exakt 4 bei solchen in Großstädten (85 gültige Fälle) sogar niedriger. Die Mittelwerte lassen jedoch keine Aussagen zu möglicherweise vorhandenen qualitativen Unterschieden,
5. Auswertung
wie etwa der Kontinuität der Angebote, zu. Mögliche Erklärungen
hierfür könnten die Organisationsstärke einzelner Vereine (gemessen
an der Mitgliederzahl und den finanziellen Möglichkeiten), die Vernetzung, Kooperationen und intensivere Kontakte zu Fördereinrichtungen in größeren Städten sein.
Auch hinsichtlich der Orientierung der Angebote lassen sich
zwischen Selbstorganisationen in kleineren und solchen in Großstädten keine markanten Unterschiede feststellen. Der Anteil der
Selbstorganisationen, die eine beidseitige Orientierung der Angebote
nennen, ist bei allen Gemeindegrößen und Städten mit annähernd je
20% gleich groß. Die Ergebnisse zu den Selbstorganisationen, die
eine Orientierung ihrer Angebote an der Bundesrepublik nannten,
zeigt bei der Verteilung auf die Städtegrößen ein eher diffuses Bild,
das vermutlich auf die fehlende Repräsentativität in den einzelnen
Gruppen zurückzuführen ist. Es heben sich anteilig lediglich die
Selbstorganisationen in Großstädten ab, von denen 33,3% (gegenüber
Anteilen von 9,8-19,5% in den anderen Gruppen) angaben, in ihren
Angeboten eher auf das Zuwanderungsland fixiert zu sein. Die
Relationierung mit den Kontakten zu Organisationen in der Heimat,
die möglicherweise auf eine Herkunftslandorientierung verweisen
könnten, konterkarieren diese Ergebnisse jedoch, denn der höchste
Anteil an Kontakten zu Organisationen im Herkunftsland (31,4%)
fällt in die Gruppe der Selbstorganisationen in Großstädten. Berücksichtigt man, daß die diesbezüglichen Kontakte mit steigender Städtegröße kontinuierlich wachsen (von 12,7% bei Selbstorganisationen
in Städten mit einer Einwohnerzahl zwischen 20.000-50.000 bis
31,4% in Städten mit über 500.000 Einwohnern), wird deutlich, daß
die Kontakte zu Einrichtungen im Herkunftsland weniger als Indikator für eine Herkunftslandorientierung in Betracht kommen, sondern allenfalls mit anderen Faktoren erklärt werden können. Um
möglicherweise vorhandene Disparitäten zwischen Selbstorganisationen in kleinräumigen Ansiedlungen und Ballungsräumen auf der
Gegenseite feststellen zu können, müßten weitere Daten ermittelt
und herangezogen werden.
120
Eine weitere Beobachtung, die während der Auswertung gemacht
wurde, ist die bei vielen Vereinsführungen erkennbare geringe
Kenntnis über die kommunalen Strukturen. Deutlich wurde dies beispielsweise daran, daß bei den Kontakten zu den Ämtern oftmals
auch die Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen bzw. Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen
aus Zuwandererfamilien (RAA) bzw. bei den kommunalen Ämtern,
zu denen man Kontakt habe, auch das Arbeitsamt genannt wurde. In
anderen Fällen waren Namen der Ämter, zu denen Kontakte angegeben wurden, unvollständig genannt. Ein Beispiel hierfür ist das
Schulverwaltungsamt, das von einigen in der gängigen Kurzform als
„Schulamt“ genannt wurde.
6. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Gesamtzahl der erfaßten Selbstorganisationen von
Migrantinnen und Migranten
Im Rahmen der Bestandsaufnahme der Selbstorganisationen von
Migrantinnen und Migranten türkischer, kurdischer, bosnischer und
maghrebinischer Herkunft wurden insgesamt 1.435 Zusammenschlüsse ermittelt, die diesen Gruppen zugeordnet werden konnten.
Hierunter befinden sich auch einige nationalitätenübergreifende
Selbstorganisationen, in denen Angehörige der genannten Migrantengruppen vertreten sind, so daß die Zahl der herkunftshomogenen
Zusammenschlüsse bei insgesamt 1.414 liegt. Unter diesen nehmen
Selbstorganisationen türkischer Migrantinnen und Migranten mit
88,5 % (1.252 absolut) den größten Anteil ein. Die Zahl der ermittelten kurdischen Selbstorganisationen lag bei 54, was einen Anteil
von 3,8 % entspricht. Lediglich bei zweien dieser handelt es sich um
Selbstorganisationen von Kurden anderer Herkunftsstaaten. Bei
allen anderen sind dies Zusammenschlüsse von Kurden aus der
Türkei, so daß insgesamt 1.304 Selbstorganisationen auf dieses
Herkunftsland insgesamt entfallen, was einem Anteil von 92,4 %
entspricht. Die Zahl der ermittelten maghrebinischen
Selbstorganisationen betrug absolut 62, das entspricht einem Anteil
von 4,4 % aller erfaßten. Unter den maghrebinischen Selbstorganisationen bilden marokkanische mit 43 (3 %) gegenüber 11 (0,8 %)
die größere Gruppe. Die übrigen verteilen sich auf einzelne
Selbstorganisationen, in denen Migranten verschiedener
Maghrebstaaten organisiert sind. Die Zahl der ermittelten Selbstorganisationen, die eindeutig als bosnische eingeordnet werden
konnten, beläuft sich auf 46 absolut, anteilig 3,2 %. Die Zahl der
ermittelten Dachverbände der untersuchten Migrantengruppen, die
bundesweit tätig sind, liegt bei insgesamt 30, von denen 21 auf türkische, 3 auf kurdische, ebenfalls 3 auf bosnische und lediglich
einer auf maghrebinische Migranten entfällt, bei dem es sich um
eine Dachorganisation marokkanischer Vereine handelt. Darüber
hinaus sind unter den Dachorganisationen zwei nationalitätenübergreifende islamische Spitzenverbände vorhanden.
Organisationsdichte
Setzt man die Zahlen der erfaßten Selbstorganisationen in
Relation zu den Zahlen dieser Migrantengruppen, kommt man hinsichtlich der Organisationsdichte zu folgenden Ergebnissen: Die
größte Organisationsdichte unter den untersuchten Migrantengruppen ist bei den Migrantinnen und Migranten aus der Türkei festzustellen. Bei einer Bevölkerungszahl von 714.998 (Stichtag:
31.12.1997) entfällt auf 547 Personen eine Selbtorganisation.
Erheblich niedriger ist die Organisationsdichte bei den anderen untersuchten Migrantengruppen. Während auf 1.200 bosnische
Migranten eine Selbstorganisation entfällt (bei 64.838 bosnischen
Staatsbürgern in Nordrhein-Westfalen), liegt die Organisationsdichte
bei den maghrebinischen Zuwanderern etwas höher. So entfällt auf
1.060 marokkanische (bei 45.593 Personen insgesamt) und 808
Tunesier je eine Selbstorganisation. Unter Einbeziehung der
Selbstorganisationen, in denen Maghrebiner unterschiedlicher
Herkunftsländer gemeinsam organisiert sind, entfällt eine
Selbstorganisation auf 879 maghrebinische Migranten.
Hinsichtlich der Verteilung der Selbstorganisationen - hier
bezogen auf alle untersuchten Gruppen - lassen sich bestimmte
121
Konzentrationen in den verschiedenen Regierungsbezirken feststellen, die mit der quantitativen Stärke dieser Gruppen korrelieren. So
sind 30,3 % (435 absolut) der erfaßten Selbstorganisationen im
Regierungsbezirk Düsseldorf und 23,5 % (337 absolut) im Regierungsbezirk Arnsberg ansässig. Am niedrigsten ist die Organisationsdichte im Regierungsbezirk Detmold, wo lediglich 167 (11,6%)
aller ermittelten Selbstorganisationen in Nordrhein-Westfalen ansässig sind. Eine weitere signifikante Konzentration konnte für das
Ruhrgebiet festgestellt werden, wo 617 (42,9 %) aller Selbstorganisationen ansässig sind. Genannt seien auch Konzentrationen
in einigen Großstädten wie etwa Duisburg, wo allein 8,1 % (117
absolut), oder Köln, wo 7,1 % (103 absolut) aller ermittelten
Selbstorganisationen vertreten sind.
Rücklauf
Die Nettorücklaufquote bei der Erhebung lag bei 32,2 %. Von
allen ermittelten Organisationen wurden insgesamt 1.327 angeschrieben, da bei einigen die Adresse nicht zu ermitteln war. Da 156
Selbstorganisationen der Fragebogen nicht zugestellt werden konnte,
reduzierte sich die Zahl der gültigen Adressen auf 1.171, von denen
sich 377 an der Erhebung beteiligten. Von diesen konnten insgesamt
347 den untersuchten Migrantengruppen zugeordnet werden. Die
Verteilung des Rücklaufs, bezogen auf diese, ergab, daß es sich bei
93,3 % (323) um Selbstorganisationen von Migranten aus der Türkei
(türkische und kurdische) handelt. Der Anteil kurdischer Selbstorganisationen am Gesamtrücklauf liegt bei lediglich 2,6 %. Während der Anteil maghrebinischer Selbstorganisationen am
Gesamtrücklauf bei 2,4 % liegt, handelt es sich bei lediglich 1,7 %
um bosnische Selbstorganisationen. Nationalitätenübergreifende
Zusammenschlüsse machen 1,5 % der Rücklaufquote aus.
Gründungsjahr
Ein wichtiger Indikator für die Kontinuität der Aktivitäten ist die
Existenzdauer der Selbstorganisationen. Auch am Rücklauf wurde
deutlich, daß viele Selbstorganisationen bereits in den ersten Jahren
nach Beginn der Arbeitsmigration gegründet wurden und seitdem
bestehen. Über die Hälfte (51,7 %) aller Selbstorganisationen, die
sich an der Erhebung beteiligten, sind seit mindestens zehn Jahren
aktiv. Auch das ermittelte Durchschnittsalter aller an der Erhebung
beteiligten ergab mit 10,3 Jahren einen ähnlichen Wert. Dieser
Durchschnittswert verweist einerseits darauf, daß sich unter diesen
in großer Zahl Selbstorganisationen befinden, die noch länger aktiv
sind, und andererseits darauf, daß der Prozeß der Bildung weiterer
Selbstorganisationen andauert. Unter den Selbstorganisationen, die
sich an der Befragung beteiligten, blicken 9,8 % auf eine Existenz
zurück, die zwischen 20 - 24 Jahren liegt. Vertreten waren sogar
zwei Vereine, deren Gründungszeit 25 - 29 Jahre zurückliegt, und
drei Vereine, die seit mehr als 30 Jahren existieren. Die Kontinuität
des Prozesses der Bildung von Selbstorganisationen bis in die
Gegenwart wird daran erkennbar, daß nahezu ein Viertel (23,6 %)
aller innerhalb der letzten vier Jahre gegründet wurden. Auffällig
groß ist unter den Neugründungen der Anteil Selbstorganisationen,
die eine eingegrenztere Zielgruppe ansprechen oder eine spezifische
Zielsetzung verfolgen.
6. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Rechtsform
Die Auswertung des Rücklaufs hat gezeigt, daß der übergroße
Teil der Selbstorganisationen eine feste Rechtsform vorweist. Der
Anteil derjenigen, die als Verein eingetragen sind, liegt bei 97,1 %.
Von diesen sind insgesamt 83,6 % als gemeinnützige Vereine anerkannt. Der hohe Anteil von Selbstorganisationen mit einem
Rechtsstatus, insbesondere im Falle der vorhandenen Gemeinnützigkeit, zeigt den Grad der Institutionalisierung der Selbsthilfe
bei Migrantinnen und Migranten und verweist somit auf die
Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit bei der Wahrnehmung eigener
Belange.
Dachorganisationen und Mitgliedschaft in
Dachorganisationen
Bereits in den siebziger Jahren sind die ersten überregionalen
Zusammenschlüsse von Selbstorganisationen gegründet worden. Die
Zahl der bundesweit aktiven Dachverbände der hier untersuchten
Migrantengruppen liegt bei insgesamt 30, bei denen es sich bei über
zwei Dritteln (21) um türkische handelt. Parallel zu den
Neugründungen bei einzelnen Vereinen läßt sich auch bei den neu
entstandenen Dachorganisationen die Tendenz spezifischerer
Zielgruppen bzw. Zielsetzungen beobachten. Zur Verdeutlichung
können hier als Beispiele Dachverbände von Selbständigen,
Studierenden, Akademikern oder Elternvereinen genannt werden,
die sich explizit als Interessenvertretung einer Migrantengruppe
begreifen. Vertreten sind auch Dachorganisationen auf regionaler
Ebene, wie beispielsweise ein Verband türkischer Elternvereine im
Raum Münster/Detmold oder die Türkische Gemeinde Essen/Ruhr.
Eine weitere Form der Vernetzung besteht in Form der
Mitgliedschaft in deutschen Verbänden, wie etwa den verschiedenen
Wohlfahrtsverbänden oder im Bereich spezifischerer Verbandsformen, wie den Sportverbänden. Um den Grad der Organisierung
in übergeordneten Zusammenschlüssen zu ermitteln, wurden die
Selbstorganisationen danach befragt, ob sie Mitglied in einzelnen
Dachorganisationen sind. Die Ergebnisse auf Grundlage der
Erhebung zeigen, daß bei den untersuchten Migrantengruppen 66%
(227 absolut) verbindlich organisiert sind. Der Anteil der
Selbstorganisationen, die die Mitgliedschaft in einem Wohlfahrtsverband angaben, ist mit 3,2 % aller an der Erhebung beteiligten
Selbstorganisationen als niedrig anzusehen. Vertreten sind bei den
untersuchten Migrantengruppen lediglich die Arbeiterwohlfahrt
(AWO) mit 1,2 % und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband
(DPWV) mit 2 %. Die anderen Wohlfahrtsverbände sind aufgrund
der nationalitätenspezifischen Zuordnung der Migrantengruppen bei
der sozialdienstlichen Betreuung nicht vertreten. Genauso hoch
(3,2%) war der Anteil der Selbstorganisationen, die die
Mitgliedschaft in deutschen Sportverbänden angaben. Der überwiegende Teil der Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten, sind in herkunftshomogenen Dachverbänden organisiert.
Hierbei überwiegt die Mitgliedschaft in einem Dachverband. Nur
wenige gaben die Mitgliedschaft in mehr als einem Dachverband an,
so daß sich als Durchschnittswert die Mitgliedschaft in 1,03
Dachverbänden ergab.
122
Mitgliederstruktur
Im Rahmen der Erhebung wurden die Selbstorganisationen auch
nach der Zahl der eingeschriebenen und der aktiven Mitglieder
befragt. Die Auswertung ergab, daß mehr als die Hälfte (55,3 %)
aller Selbstorganisationen Mitgliederzahlen über 100 nannten. Die
größte Häufung ist bei Organisationen festzustellen, die Mitgliederzahlen zwischen 101 - 250 angaben (41,9 %). Auffällig groß ist
auch die Zahl der Zusammenschlüsse, die Mitgliederzahlen zwischen 251 und 500 nannten (9,9 %). Berücksichtigt werden muß
hier als ein Verzerrungsfaktor, daß nicht immer zwischen Publikum
und eingeschriebenen Mitgliedern unterschieden wurde, wie an
Angaben deutlich wird, die zwischen zwei Zahlen schwanken (z.B.
„200-250“). Die durchschnittliche Mitgliederzahl liegt bei allen
Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten, bei 139,
die am häufigsten genannte Mitgliederzahl war 150. Auch unter
Berücksichtigung des genannten Verzerrungsfaktors wird die
Klientelgröße und somit ihre Bedeutung für die Migranten deutlich.
Finanzierung
Die Finanzierung der Aktivitäten der Selbstorganisationen stützt
sich überwiegend auf Mitgliedsbeiträge und Spenden. Während
97,3% Mitgliedsbeiträge als Finanzierungsgrundlage nannten, kommen bei 88,6 % als weitere Quelle Spenden hinzu. Unter weiteren
Finanzierungsquellen wurden am häufigsten Zuschüsse (23,4 %)
genannt, also einmalige Zuwendungen für bestimmte Aktivitäten.
Eine Förderung über eine einmalige Zuwendung hinaus wurde nur
von wenigen Selbstorganisationen genannt. Die fremdfinanzierte
Förderung einer Maßnahme wurde von 10,5%, eine projektgebundene Förderung von 11,1% der Selbstorganisationen genannt. Eine
Fremdförderung erfolgte in den meisten Fällen (16,7%) durch städtische bzw. kommunale Ämter, wie etwa den Jugend-, Kultur- und
Sozialämtern. Finanzielle Zuwendungen durch Einrichtungen des
Landes wurden lediglich von 2,3 % aller Selbstorganisationen
genannt. Die geringe Inanspruchnahme von Fördermitteln ist
zurückzuführen auf geringe Kontakte zu Fördereinrichtungen und
die fehlende Kenntnis über vorhandene Förderungsmöglichkeiten.
Weitere Einnahmequellen, wie etwa Mieteinnahmen, Veranstaltungserlöse oder Verkauf, wurden von 18,1 % der Selbstorganisationen
genannt, die sich auf die verschiedenen Quellen verteilen.
Räumlichkeiten
74 % der Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten, gaben an, über eigene Räumlichkeiten zu verfügen. Bei 26%
dieser stehen Räumlichkeiten zur Mitbenutzung zur Verfügung, d.h.
sie verfügen über keine eigenen Räumlichkeiten. Lediglich bei 1,6%
der Selbstorganisationen, die die Möglichkeit der Mitbenutzung anderer Räumlichkeiten benannten, handelt es sich um solche, die
neben eigenen auch weitere Räumlichkeiten zur Verfügung haben.
Bei insgesamt 26 % der 27,6 % Selbstorganisationen, die keine
eigenen Räumlichkeiten für Vereinsaktivitäten haben, besteht auch
nicht die Möglichkeit einer Mitbenutzung anderer Räumlichkeiten.
6. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Festangestellte Mitarbeiter
Unter den Selbstorganisationen, die sich an der Erhebung beteiligten, gaben 30,7 % an, festangestellte Mitarbeiter zu haben. Dieser
Wert wird durch den Umstand verzerrt, daß es sich bei einem Teil
um staatlich besoldete Vorbeter aus der Türkei in Moscheevereinen
handelt. Läßt man diese unberücksichtigt, so reduziert sich der
Anteil der Vereine, die über festangestelltes Personal verfügen, auf
11,6 %. Berücksichtigt man, daß hierunter auch Dachverbände vertreten sind, die über andere finanzielle Möglichkeiten verfügen,
sinkt der Anteil einzelner Selbstorganisationen auf lokaler Ebene,
die eigene Mitarbeiter beschäftigen, auf 9,1 %.
Kontakte und Zusammenarbeit
30,4 % der Selbstorganisationen, die sich an der Untersuchung
beteiligten, gaben an, Kontakte zum Herkunftsland zu unterhalten.
Über zwei Drittel unterhalten somit keine Kontakte zu Einrichtungen im Herkunftsstaat. Kontakte zu dortigen politischen Parteien
wurden von 7,8 % der Selbstorganisationen angegeben. Deutlich
höher sind die Kontakte zu Einrichtungen und Organisationen im
Zuwanderungsland. Kontakte zu hiesigen politischen Parteien wurden von 33,2 % aller Selbstorganisationen angegeben. Kontakte zur
SPD wurden von 29,7 % dieser genannt. Am zweithäufigsten wurde
mit 22,8 % Bündnis 90/Die Grünen als Partei benannt, zu denen
Kontakte unterhalten werden. Während es im Falle der CDU 19,3 %
sind, liegt der Anteil bei der FDP bei 11,6 %. Niedriger ist mit insgesamt 20,6 % der Anteil unter ihnen, die mit den Parteien zusammenarbeiten.
Noch höher liegen die Kontakte zu anderen deutschen Organisationen sowie den Kommunalverwaltungen. Kontakte zu Organisationen außerhalb der politischen Parteien wurden von insgesamt
38,5 % der Selbstorganisationen genannt. In nennenswerter Größe
sind dies mit 9,8 % die Kirchen, mit 8 % die Wohlfahrtsverbände
(AWO und DPWV), daneben Gewerkschaften (3,3 %) und die
Volkshochschulen (3 %).
Die Kontakte zu städtischen bzw. Ämtern der Kommunen zeigen, daß dort die Kontakte am intensivsten sind. Kontakte zur
Kommunalverwaltung wurden von insgesamt 70,6 % der Selbstorganisationen angegeben. Bei denen, die Kontakte zu kommunalen
Ämtern pflegen, sind dies im Schnitt fast zwei (1,9). Die Ämter, die
am häufigsten benannt wurden, sind neben der jeweiligen
Stadtverwaltung (50,1 %) das Sozialamt (11,3 %), das Jugendamt
(8,2 %) und das Kulturamt (7,2 %). Kontakte zu den Ausländerbeiräten wurden auffälligerweise von wenigen Selbstorganisationen
gepflegt (14,9%). Dieser Anteil erhöht sich nur geringfügig auf
17,8% in den Kommunen, in denen dieses Gremium vorhanden ist.
Deutlich geringer sind die Kontakte zu Einrichtungen des
Landes, die von lediglich 13,9 % angegeben wurden. Hinsichtlich
der Kontakte zu Einrichtungen des Landes sticht eine Diskrepanz
ins Auge: Während der übergroße Teil (86,1 %) der
Selbstorganisationen über keinerlei Kontakte verfügt, ist die
Intensität bei denen mit vorhandenen Kontakten relativ entwickelt
(1,3 Einrichtungen pro Selbstorganisation). Bei diesen geringen
Kontakten zu Landeseinrichtungen wurden Ministerien (von 5,3 %)
am häufigsten genannt, hierunter am meisten das ehemalige
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (von 3,2 %).
123
Arbeitsschwerpunkte und Zielgruppen
Selbstorganisationen sind in ihren Aktivitäten auf bestimmte
Zielgruppen besonders fixiert. Die höchsten Werte finden sich bei
Jugendlichen (80,9 %), Frauen (74 %) und Kindern (72 %). Jedoch
sind auch andere Zielgruppen in hohen Werten vertreten. So wurden
von 59,5 % der Selbstorganisationen Angebote für Ratsuchende und
von 53,6 % für Senioren angegeben. Diese hohen Werte zeigen, daß
ein großer Teil der Selbstorganisationen Angebote oder Aktivitäten
für verschiedene Zielgruppen unterhält. Als Durchschnittswert wurden 4,2 Zielgruppen pro Selbstorganisation ermittelt.
Die Multifunktionalität der Selbstorganisationen wird bei den
Angeboten noch deutlicher. Im Schnitt nannten die Selbstorganisationen 4,9, also rund 5 verschiedene Angebote. Am häufigsten
genannt wurden kulturelle Angebote (73,4 %), Beratungs- und
Freizeitangebote (je 61,6 %) und sportliche Aktivitäten (61,3 %).
Jedoch auch Angebote anderer Art, wie Betreuung (54,7 %),
Bildungsangebote (44,4 %) und Hilfsangebote, wurden von vielen
Selbstorganisationen in größeren Zahlen genannt. Angesichts der
geringen finanziellen und personellen Möglichkeiten werden diese
Angebote überwiegend ehrenamtlich durchgeführt.
Orientierung der Angebote
Der eigenen Einschätzung nach betrachtet der größte Teil der
Selbstorganisationen die Orientierung der eigenen Aktivitäten und
Angebote als beidseitig orientiert (60,9%). Der Anteil unter ihnen,
der eine schwerpunktmäßige Orientierung am Zuwanderungsland
sieht, liegt bei 38,2 % aller befragten Selbstorganisationen. Nur ein
sehr kleiner Anteil (0,9 %) beurteilt die eigenen Aktivitäten und
Angebote als eher heimatbezogen (0,9 %). Unter beidseitiger
Orientierung, die in dieser Stärke angeführt wurde, ist dies nur
begrenzt als eine Rückkehroption zu verstehen. Vielmehr ist hiermit
das Verständnis zu sehen, die eigene Identität (ethnisch, kulturell,
religiös) bewahren zu wollen. Die Aktivitäten und Angebote, wie
etwa Beratungstätigkeiten oder qualifizierende Maßnahmen im
Rahmen von Kursen, verweisen auf eine Orientierung am Zuwanderungsland. Die Orientierung am Zuwanderungsland Deutschland
wird nicht zuletzt an der Erwartungshaltung gegenüber dem
Bundesland deutlich, wie weiter unten zu sehen ist.
Öffentlichkeitsarbeit
Die Öffentlichkeitsarbeit der Selbstorganisationen der untersuchten Migrantengruppen ist als eher gering einzustufen. Ein Indikator
hierfür ist die geringe Zahl eigener Publikationen bzw.
Selbstdarstellungen, wie etwa Faltblätter, mit denen eine
Organisation sich gegenüber der Öffentlichkeit darstellt und
Publikum wirbt. Eigene Publikationen, ganz gleich welcher Art,
wurden lediglich von 18,3 % der Selbstorganisationen genannt. Eine
Hauptursache hierfür sind die beschränkten personellen und finanziellen Möglichkeiten der Selbstorganisationen. Die Einsicht in die
Wichtigkeit der Öffentlichkeitsarbeit für eine Erhöhung der
Akzeptanz und Bekanntmachung der Vereine und ihrer Aktivitäten
ist von vielen Vereinen bekundet worden.
6. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Erwartungen an das Land
Die Erwartungen, die Selbstorganisationen an das Land artikulieren, weisen eine große Bandbreite auf. Im Rahmen der Erhebung
artikulierten 65,4 % der Selbstorganisationen verschiedene
Erwartungen, die die Integration bzw. die Gleichstellung der Zuwanderer betreffen. Als generelle Erwartung wurde von vielen
Organisationen die Verbesserung des Dialoges zwischen
Aufnahmegesellschaft und Zuwanderern genannt. Ebenfalls häufig
wurden verstärkte Bemühungen zur gesellschaftlichen Integration
(z.B. durch Sprachförderung) und zur Förderung im schulischen
Bereich bzw. in der beruflichen Ausbildung genannt. Weitere
Erwartungen an das Bundesland beziehen sich auf Maßnahmen zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter Migrantinnen und
Migranten. Ein anderer Bereich betrifft Maßnahmen zur Erhaltung
der eigenen Kultur durch die Erteilung muttersprachlichen
Unterrichts oder auch die Zuerkennung religiöser Freiheiten. Die
Selbstorganisationen sehen sich als Ansprech- und Dialogpartner für
Maßnahmen, die der weitergehenden Integration dienen.
124
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der Bundesstadt Bonn - Internationale Begegnungsstätte -Quantiusstr. 9, 53115 Bonn, Tel.: 02 28 - 77 32 79, Norbert Gramer)
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Zentrum für Türkeistudien (Hg.): Das ethnische Mosaik der
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Zentrum für Türkeistudien (Hg.): Moscheevereine in Essen.
Ein Kurzgutachten im Auftrag der Geschäftsstelle Ausländerbeirat
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128
IV. Evaluation der von der Landesregierung geförderten Projekte von
Migrantenselbstorganisationen
Landeszentrum für Zuwanderung, Solingen
Einleitung
1997 hat die Landesregierung NRW erstmals eine eigene Förderung für Migrantenselbstorganisationen eingerichtet. Gefördert
wurden Projekte und Maßnahmen von 19 Migrantenselbstorganisationen in den Bereichen „soziale Selbsthilfe, Kulturarbeit und
Förderung der politischen Interessenvertretung“, zunächst für die
Jahre 1997/19981.
„Förderungsfähig sind
• Maßnahmen (z.B. Veranstaltungen zur Qualifizierung ehrenamtlicher Mitarbeiter, Information und Motivation von Migrantinnen und Migranten zur Verbesserung der politischen Partizipation und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sozialpolitische
Informationen, Maßnahmen zur Vernetzung von Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten unterschiedlicher Herkunft, Maßnahmen zur Kooperation mit örtlichen Regeleinrichtungen) und
• Einrichtungen (z.B. Zentren und Freizeiträume, in denen soziale
und kulturelle Aktivitäten stattfinden),
die auf einen Stadtteil, eine Kommune, überregional oder landesweit
ausgerichtet sind.“2
erlaubt das neue, zusätzliche Fördermodell den Migrantenselbstorganisationen exklusiv und direkt eine Antragstellung.
Der neue Förderschwerpunkt wurde seitens des federführenden
damaligen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales
(MAGS) durch zwei Aktivitäten begleitet:
• durch die vorliegende Bestandsaufnahme von Zahl und Struktur
der Selbstorganisationen unter besonderer Berücksichtigung
ihres Integrationspotentials, getrennt nach Migrantinnen und
Migranten türkischer, kurdischer, bosnischer und maghrebinischer Herkunft (ausgeführt vom Zentrum für Türkeistudien,
Essen) und solchen anderer Nationalitäten (ausgeführt vom
Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster) sowie
• eine Evaluation der 19 geförderten Projekte durch das Landeszentrum für Zuwanderung (LzZ), Solingen.
Der vorliegende Beitrag faßt vorläufige Ergebnisse der
Evaluation zusammen.
Das Gesamtfördervolumen betrug in 1997/98 DM 1.067.529.-,
auf die einzelnen Organisationen entfielen zwischen DM 30.000
und DM 90.000 in einer zweijährigen Laufzeit. Damit ist NRW der
erste Flächenstaat, der die Bedeutung von Migrantenselbstorganisationen durch Einrichtung einer entsprechenden Förderung anerkennt.
Der damalige Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales,
Dr. Axel Horstmann, ließ dazu in einer Presseerklärung vom 19.
Mai 1998 verlautbaren: „Die Organisationen und Zusammenschlüsse
der Migranten haben nach Meinung von Sozialminister Dr. Axel
Horstmann einen bedeutsamen Beitrag zur Integration der ausländischen Bürger geleistet. Diese Selbstorganisationen seien nicht nur
ein Sprachrohr für ihre Mitglieder, sondern auch ein Bindeglied zu
sozialen Einrichtungen, Institutionen und Behörden sowie eine
Brücke zur einheimischen Bevölkerung. (...). Die Organisationen
beziehen jetzt ihre Aktivitäten überwiegend auf das Leben und die
Problemlagen in Deutschland‘, sagte Horstmann.“ Vor 1997 haben
bereits einzelne Migrantenselbstorganisationen, darunter auch einige
der jetzt in der Förderung befindlichen, Projektmittel aus anderen
Haushaltstiteln erhalten, z.B. für „Maßnahmen zur Stützung der
Integration”. Diese Fördergelder werden allerdings den Wohlfahrtsverbänden zugewiesen und durch sie weiterverteilt, dabei unter
anderem auch an Migrantenselbstorganisationen. Im Gegensatz dazu
1 Inzwischen ist ein neues Antragsverfahren für die Jahre 1999-2000 eröffnet. RdErl.d.Ministeriums für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und
Sport v. 26.1.1999, Az.: 333 - 5392
2 Vorläufige Bewirtschaftungsgrundsätze über die Gewährung von Zuwendungen für Projekte von Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten.
RdErl.d.Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 27.3.1997 - II C 6 - 5392 -.
129
Ziele und Methoden der Evaluation
In der politischen und wissenschaftlichen Diskussion lassen sich
zwei Haltungen zur Selbstorganisation von Migrantinnen und
Migranten ausmachen. Auf der einen Seite wird der Beitrag zur
Selbsthilfe und zur eigenständigen Interessenwahrnehmung hervorgehoben. Migrantenselbstorganisationen stellen demnach einen
wichtigen Teil des sozialen, kulturellen und politischen Netzwerks
von Migrantinnen und Migranten dar und nehmen eine Brückenfunktion insbes. zu Institutionen der Mehrheitsgesellschaft wahr.3
Auf der anderen Seite wird beklagt, daß Migrantenselbstorganisationen in Gefahr stehen, zur Selbstethnisierung, zum Rückzug in die
eigene Community beizutragen und deshalb einer Integration in die
Aufnahmegesellschaft entgegenstehen. Vor dem Hintergrund dieser
Debatte formulierte das auftraggebende Ministerium folgende Eckpunkte, über die die Evaluation Aussagen erzielen soll.
Ziele
Ziel der Evaluation der geförderten Projekte von 19 Migrantenselbstorganisationen ist die Überprüfung ihrer Integrationsleistungen,
im einzelnen:
A. Effektivität der Maßnahmen und Projekte
B. Bedeutung der Migrantenselbstorganisationen für Migrantinnen
und Migranten und Mehrheitsgesellschaft
C. Formen der Kooperation der Migrantenselbstorganisationen mit
Institutionen und Organen der Mehrheitsgesellschaft
D. Qualifizierungs- und Beratungsbedarf der Migrantenselbstorganisationen.
Methoden
Als methodische Instrumente der wissenschaftlichen Begleitung
und Evaluation wurden bzw. werden eingesetzt (in Klammern:
Korrelation zu den Zielen):
Dokumentenanalyse, v.a.
Anträge der Migrantenselbstorganisationen
(A,B)
Leitfadeninterviews mit
Projektverantwortlichen
(A,B,C,D)
standardisierte
Erfolgskontrolle (A)
halbstandardisierte
Fragebögen für
Selbstauskünfte der
Organisationen (A,B,C,D)
Zur Reichweite der Evaluation sind an dieser Stelle einige
grundsätzliche Anmerkungen zu machen. Die im folgenden präsentierten Zwischenergebnisse beruhen im Wesentlichen auf Selbstaussagen von Vertretern der geförderten Organisationen sowie auf
Informationen, die während der Workshops und bei Besuchen der
Migrantenselbstorganisationen – im strukturierten Gespräch und z.T.
durch Anschauung von Projektaktivitäten – gewonnen wurden.
Ergänzt wird diese Perspektive durch Interviews mit ausgewählten
Kooperationspartnern, die Institutionen der Mehrheitsgesellschaft
repräsentieren und eine Fremdeinschätzung des Wirkens exemplarischer Migrantenselbstorganisationen wiedergeben. Im Sinne einer
wissenschaftlich validen Untersuchung ist es notwendig, verschiedene
Kooperationspartner aller geförderten Organisationen zu befragen
und mit Methoden der teilnehmenden Beobachtung bei einzelnen
Angeboten und der Befragung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern
weiteren Einblick in die Zielgerichtetheit und Effektivität der Arbeit
zu gewinnen. Die Qualität der Aussagen und der hohe Grad an
Selbstreflexion der Verantwortlichen der Migrantenselbstorganisationen ist im wesentlichen dafür verantwortlich, daß sich ein insgesamt zuverlässiges Bild von den Organisationen zeichnen läßt.
Fragebogen
Der vorliegende (Zwischen-)Bericht zur Evaluation des LzZ
beruht zunächst auf Selbstauskünften der 19 Migrantenselbstorganisationen, die durch einen Fragebogen erhoben wurden. Darin
wurden in halbstandardisierter Form
• Daten zur Struktur der Organisation
• die allgemeinen Aktivitäten und die Projektaktivitäten nebst
Zielgruppen
• die Selbsteinschätzung hinsichtlich der spezifischen Leistungen
als Migrantenselbstorganisation
• Kooperationsbeziehungen und ihre Bewertung
• Probleme der Organisation allgemein und der Projektdurchführung im besonderen sowie
• der Weiterbildungs- und Unterstützungsbedarf
abgefragt.
drei WochenendWorkshops: Transparenz
der Evaluation, zugleich
Qualifizierung (B,C)
exemplarische Befragung
ausgewählter
Kooperationspartner
(B,C,D)
3 Z.B. Krummacher, Michael/Waltz, Viktoria: Einwanderer in der Kommune - Analysen, Aufgaben und Modelle für eine multikulturelle Stadtpolitik.
Essen 1996. Die in diesem Band veröffentlichten Studien referieren die diesbezügliche Diskussion, so daß an dieser Stelle auf eine zusammenfassende
Darstellung verzichtet werden kann.
130
Ziele und Methoden der Evaluation
Leitfadeninterviews
Die ergänzenden Leitfadeninterviews mit Projektverantwortlichen konnten bislang mit siebzehn der neunzehn Migrantenselbstorganisationen, deren Projekte gefördert wurden, geführt werden. In
diesen Interviews wurden die erhobenen Daten präzisiert und mit
Hintergrundinformationen angereichert. Obwohl der Evaluationsauftrag ursprünglich die Projektaktivitäten fokussierte, war es aufgrund des allgemein geringen Kenntnisstandes bezüglich der
Migrantenselbstorganisationen und auf ausdrücklichen Wunsch der
geförderten Organisationen erforderlich, die generelle Struktur der
Arbeit der einzelnen Organisationen mitzubeleuchten. Die Interview-Fragen sind darauf gerichtet, die Projektintentionen vor dem
Hintergrund der allgemeinen Arbeit und Ziele der Organisation
• zu verstehen,
• die Bedarfsgerechtheit zu beurteilen,
• die besonderen Möglichkeiten der
Migrantenselbstorganisationen zur Ermittlung von Bedürfnissen
von Migrantinnen und Migranten und zur Umsetzung entsprechender Aktivitäten zu eruieren,
• ihre Defizite und den Unterstützungsbedarf zu ermitteln und
• den Realisierungserfolg der geplanten/durchgeführten Aktivitäten zu beurteilen.
Workshops
Die Evaluation schloß die Durchführung von drei Workshops
mit Vertretern der geförderten Migrantenselbstorganisationen ein.
Sie dienten im wesentlichen dem Erfahrungsaustausch und der
gegenseitigen Beratung, Qualifizierung und Vernetzung sowie der
Herstellung von Transparenz im Evaluationsprozeß. Inhalte des
ersten Workshops waren neben der Einzelvorstellung der Organisationen und ihrer Projekte die Diskussion von Problemen bei der
allgemeinen und Projektarbeit. Bereits dort stellte sich heraus, daß
der Kontakt und Austausch mit anderen Organisationen neue
Optionen eröffnete. Gerade weil die geförderten Organisationen sehr
unterschiedlich sind (siehe unten), profitierten insbesondere die
„kleineren“ Organisationen vom Erfahrungsvorsprung der etablierteren
Vereine in Hinblick auf Kontakte, Informationen und Strategien der
Organisationsentwicklung. Außerdem stellten die Workshops ein
Forum dar, in dem sich Aktive aus Migrantenselbstorganisationen
unterschiedlicher ethnisch-kultureller und multi-ethnischer Herkunft
kennenlernen und beraten konnten, und in dem Fragen des eigenen
Selbstverständnisses, der Verortung in der Gesellschaft und damit
Möglichkeiten zur Reflexion von Zielen und Arbeitsweisen und der
unterstützenden Selbsthilfe offiziell und informell Platz fanden.
Thema des zweiten Workshops war deshalb auch die Diskussion des
Selbstverständnisses von Migrantenselbstorganisationen. Dazu wurden
ein Vertreter der geförderten Migrantenselbstorganisationen und
zwei Hochschulprofessoren für kontroverse Referate gewonnen. Auf
eine detaillierte Darstellung soll an dieser Stelle verzichtet werden.
131
Bemerkt werden soll allerdings, daß gerade die Position, die auf die
Gefahren der Selbstethnisierung am Beispiel der US-amerikanischen
Entwicklung hinwies, sehr differenziert diskutiert und überwiegend
zustimmend aufgenommen wurde. Der dritte Workshop leistete
durch gegenseitige Beratung und Vorstellungen zweier Migrantenselbstorganisationen einen Beitrag zur Organisationsentwicklung, in
dem Chancen auf Erweiterung der Handlungsfelder der Vereine,
aber auch Umgang mit Krisensituationen etc. thematisiert wurden.
Befragung von Kooperationspartnern und standardisierte
Erfolgskontrolle
Derzeit noch nicht abgeschlossen sind die exemplarischen
Befragungen von Kooperationspartnern ausgewählter Migrantenselbstorganisationen, die eine weitere Perspektive zur Beurteilung
der Organisationen eröffnen sollen und eine standardisierte Erfolgskontrolle, die über die Projektergebnisse in quantitativer Hinsicht
Auskunft geben wird. Dennoch werden einige Tendenzen bezüglich
der Befragungen der Interviewpartner weiter unten dargestellt.
Evaluationsergebnisse im Überblick
Bevor im folgenden einige zentrale Erkenntnisse der Evaluation
dargestellt werden, muß noch einmal darauf hingewiesen werden,
daß dieser Bericht zu einem Zeitpunkt verfaßt wird, da die Evaluation noch nicht abgeschlossen ist. Somit kommt den Aussagen eine
gewisse Vorläufigkeit zu.
Die in der Förderung stehenden Migrantenselbstorganisationen
sind äußerst heterogen. Dies ist auf den dezidierten Willen des fördernden Ministeriums zurückzuführen, das der eigens eingerichteten
Auswahlkommission empfahl, auf plurale Zusammensetzung der
geförderten Projekte hinsichtlich der Nationalitäten, der verschiedenen
möglichen Projektschwerpunkte und auf besondere Berücksichtigung von Projekten mit weiblicher Zielgruppe zu achten.
Die 19 geförderten Migrantenselbstorganisationen haben
• ein unterschiedliches Selbstverständnis – z.B. ob sie vornehmlich
Dienstleistungen für ihre Mitglieder, die eigene ethnische Gruppe
oder ein multikulturelles Klientel erbringen,
• differierende Ziele und
• unterschiedliche Möglichkeiten für den Erhalt bzw. die Weiterentwicklung ihrer Organisationen – begründet durch die jeweilige personelle Stärke, ein mehr oder weniger einflußreiches
Unterstützernetzwerk, verschieden ausgeprägtes Know-How
z.B. bezüglich der Mittelakquise oder der Realisierung von den
Rahmen der unmittelbaren Selbsthilfe überschreitenden Projekten
etc..
Diese Differenzen spiegeln – neben den geschilderten Auswahlkriterien – die Vielfalt der Funktionen und Organisationstypen von
Migrantenselbstorganisationen insgesamt wider, wobei eine Tendenz
zur Förderung von eher gut entwickelten Organisationen zu vermerken
ist.
Arbeitsschwerpunkte und Reichweite der Projekte
Die Projekte der Migrantenselbstorganisationen sollten, wie
bereits erwähnt, in den Feldern „Soziale Selbsthilfe“, „Kulturarbeit“
und „Politische Interessenvertretung“ angesiedelt sein, wobei auch
zwei oder drei Projektdimensionen gleichzeitig angelegt werden
konnten. Aufgrund der Mehrfachnennungen ergibt sich folgendes
Bild: Mit 14 Nennungen steht die Soziale Selbsthilfe an erster Stelle.
Dies ist – jenseits der konkreten Projektaktivität – auch darauf
zurückzuführen, daß der Ansatz der Selbsthilfe das Arbeitsprinzip
der geförderten Organisationen darstellt. An zweiter Stelle stehen elf
Projekte, die die politische Partizipation fördern wollen.
Demgegenüber tritt der Aspekt Kulturarbeit mit sieben Nennungen
etwas zurück. Insgesamt ergibt sich folgendes Bild:
Die zugewiesenen Mittel wurden von allen neunzehn Organisationen für Maßnahmen verwendet; außerdem wurden in acht Fällen
auch sächliche Anschaffungen davon bestritten. Sieben der Migrantenselbstorganisationen agierten im Projektzusammenhang (und, darüber
hinaus, auch grundsätzlich) landesweit, zwölf der Organisationen
entfalteten Aktivitäten mit kommunaler Reichweite.
Organisationsstruktur
Die Heterogenität der 19 Migrantenselbstorganisationen und ihrer
Projekte – und die geringe Stichprobe – wirft für die zusammenfassende Darstellung Probleme in Hinblick auf die Verallgemeinerbarkeit bzw. eine Typologie auf. Wenn im folgenden trotz der Verschiedenheit annäherungsweise drei Organisationstypen4 charakterisiert werden, so fließen heterogene Kriterien wie Infrastruktur, personelle Ressourcen, Aktionsradius und Erfahrungen mit Projektgestaltungen, (erreichte) Zielgruppen und ethnische Zusammensetzung der Organisationen in die Kategorisierung ein, die nicht in
jedem Einzelfall so zutreffen müssen. Unter den geförderten Organisationen sind ungefähr je zu einem Drittel:
•
•
•
Migrantenselbstorganisationen mit geringer Infrastruktur oder
geringem Aktionsradius, was Projekte anbelangt, und rein ehrenamtlicher Arbeit, die sich auf ein kleines Spektrum von Angeboten vorwiegend für die jeweilige Migrantengruppe beschränken.
Diese Organisationen sind meist in den Vorständen und unter
den Mitgliedern homoethnisch orientiert, auch wenn sie im
Selbstverständnis offen für andere Zielgruppen sind,
mono- oder multiethnisch (inklusive deutsche Mitglieder oder
Teilnehmer und Teilnehmerinnen) strukturierte Migrantenselbstorganisationen mit langjähriger Kontinuität der Arbeit und periodisch auch hauptamtlichen Mitarbeitern. Sie verfügen über eine
professionelle5, wenn auch relativ labile Infrastruktur, variationsreiche Angebote und erreichen z.T. Migrantengruppen verschiedener Nationalität,
weitgehend stabile Organisationen, die meist multikulturell –
unter Beteiligung auch von Deutschen – zusammengesetzt sind,
über langjährige Erfahrungen und hauptamtliche Mitarbeiterstruktur verfügen und umfangreiche Dienstleistungen – von
Beratung über kulturelle Angebote bis hin zu beruflichen
Qualifizierungsmaßnahmen – für breite Nutzerschichten (u.a.
auch für andere, kleinere Migrantenselbstorganisationen) sowie
ein großes Kooperations-Netzwerk entwickelt haben.
4 Vergleicht man die geförderten Organisationen mit den Unterscheidungskriterien, die Rudolf Boll in den Blättern der Wohlfarhtspflege 3/96 aufgestellt
hat, so fallen sie in die Kategorien „Selbsthilfeverein“, „Selbstorganisationen“ und multikulturelle Organisationen, die sich alle durch ein recht weit entwickeltes Organisationswesen und Aktivitätenspektrum auszeichnen.
5 Die Kategorie „Professionalität“ ist im folgenden häufige Bezugsgröße. Sie wird einerseits im Sinne einer Hauptamtlichkeit verstanden und dann auch
so präzisiert. Zum anderen bezeichnet sie im weiteren Sinne eine Struktur, die durch Kontinuität, Expertentum und organisatorische Verläßlichkeit
gekennzeichnet ist und nicht unbedingt an die Anwesenheit eines hauptamtlich Tätigen gebunden sein muß. Hauptamtliche Mitarbeiter müssen nicht
unbedingt professionelles Handeln der Organisationen garantieren, insbesondere wenn es sich um befristet Beschäftigte, z.B. über AB-Maßnahmen, handelt,
denn hier entstehen eigene Probleme im Hinblick auf Einarbeitungszeiten und mangelnde Kontinuität. Allerdings ist es in der Regel nicht von der Hand
zu weisen, daß hauptamtliche Mitarbeiter den Aktionsradius der Organisationen vergrößern und reibungsloseren Ablauf gerade von Projektaktivitäten
ermöglichen und ehrenamtliche Mitarbeiter entlasten.
132
Evaluationsergebnisse im Überblick
In der expliziten Nennung ihrer Zielgruppen geben fünfzehn
Organisationen an, ein multikulturelles Publikum (also verschiedene
Minderheiten und Deutsche) ansprechen zu wollen, dreimal richten
sich die Aktivitäten an die Organisationsmitglieder und Menschen
derselben Nationalität bzw. Sprachgruppe, eine Organisation begrenzt
die Projektaktivitäten auf ihre Mitglieder.
Mitarbeiter
Die geförderten Migrantenselbstorganisationen unterscheiden
sich erheblich hinsichtlich des Grades der Professionalisierung i.S.
der Beschäftigung hauptamtlicher Mitarbeiter. Ungefähr ein Drittel
arbeitet auf ehrenamtlicher Basis; die Projektförderung erlaubt es
einigen von ihnen, Honorarkräfte zu beschäftigen. Die anderen verfügen über unterschiedlich viele hauptamtliche Mitarbeiter, von
denen die meisten allerdings befristet beschäftigt sind, z.B. auf ABModer ASS-Basis. Unbefristet tätige Hauptamtliche hat nur ca. 1/4 der
Organisationen; sie weisen z.B. ein angegliedertes Bildungswerk auf
oder gehören zu den Einrichtungen der freien Jugendpflege.
Grundsätzlich gilt: Verfügen die Migrantenselbstorganisationen über
fest beschäftigte Hauptamtliche, so arbeiten dort außerdem befristet
beschäftigte Kräfte und solche auf Honorarbasis. Vier Einrichtungen
konnten aufgrund der Landesförderung zum ersten Mal bezahltes
Personal – von Honorarkräften bis zu Teilzeitbeschäftigten, selbstverständlich befristet – beschäftigen. Die Personalsituation im
Überblick:
Stabilität und Finanzierungssituation der Organisationen
Hinweise für die Potenz der Organisationen gibt auch die Selbsteinschätzung hinsichtlich der Stabilität: Vier Migrantenselbstorganisationen sehen sich als gesichert an, dreizehn bezeichnen sich als
relativ stabil (wobei eine recht große Organisation zugleich Teilbereiche ihrer Arbeit als gefährdet ansieht) und lediglich zwei Organisationen schätzen ihren Bestand als gefährdet ein. Diese Auskunft
korrespondiert in etwa mit der allgemeinen Finanzierungssituation
der Organisationen. Fast jede Organisation unterliegt einem eigenen
Finanzierungsmodell; unter Berücksichtigung von Mehrfachnennungen hinsichtlich der Förderer zeigt sich folgendes Schema (nicht
einbezogen ist die Förderung, auf die die Evaluation sich bezieht):
Förderer
Kommune
Land
Bund
EU
Sonstige
ständige
Zuwendungen
gelegentliche
Zuwendungen
10
5
5
1
4
5
6
1
7
10
133
Aufgeschlüsselt nach Einzelorganisationen zeigt sich, daß
immerhin zehn Organisationen eine ständige Förderung von einem
oder mehreren der aufgeführten öffentlichen Mittelgeber erhalten.
Lediglich eine Migrantenselbstorganisation verfügt über keine
sonstige Förderung, sieben Organisationen erhalten – egal von
welchem Förderer – lediglich gelegentlich finanzielle Mittel und
eine Organisation kann allein auf regelmäßige Mitgliedsbeiträge
zurückgreifen. Insbesondere für diese Organisationen konnten durch
die neue Förderlinie des Landes die Voraussetzungen für jahrelange,
mit geringen Mitteln durchgeführte Arbeit verbessert und Projekte
realisiert werden, die den Aktionsradius der Organisationen vergrößerten. Interessant dürfte außerdem sein, daß achtzehn der geförderten Organisationen ihre Arbeit ausweiten möchten, lediglich eine,
in den letzten Jahren stark gewachsene Organisation sieht nun erst
einmal eine Konsolidierungsphase auf hohem Niveau anstehen.
Spezifische Leistungen
Zunächst mit einer offenen Frage wurde erhoben, wie die Organisationen ihren spezifischen Beitrag definieren. Entsprechend weit
differierten die Formulierungen, die sich allerdings in vielen
Bereichen zusammenfassen ließen. Um ein repräsentatives Abbild
zu erhalten, wurden die aus den freien Nennungen gewonnenen
Kategorien in einer zweiten Abfrage standardisiert erhoben. Danach
sehen die Organisationen ihre spezifischen Leistungen (in Klammern
die Häufigkeit der Nennungen) darin, daß sie:
❑ über einen besonderer Zugang zu Migranten verfügen (18)
❑ besonderes Wissen um Probleme von Migrantinnen und
Migranten haben (17)
❑ langjährige Erfahrungen in der Migrationsarbeit aufweisen (16)
❑ fachliche Kompetenz in der Migrationsarbeit haben (15)
❑ einen eigenen Migrationshintergrund geltend machen können (15)
❑ entsprechende (Fremd-)Sprachkompetenz mitbringen (15)
❑ Angebote realisieren, die den Bedürfnissen von Migrantinnen
und Migranten entgegenkommen (15)
❑ mit ihrer Arbeit den Institutionen der Regelversorgung (Schule,
Arbeitsamt, Sozialamt etc.) die Arbeit erleichtern (15)
❑ eine eigenständige Interessenvertretung von Migrantinnen und
Migranten darstellen (14)
❑ eine Vertrauensbasis bei Migranten haben (14)
❑ einen multikulturellen Charakter aufweisen (13)
❑ besonderen Zugang zu Migrantenorganisationen haben (12)
❑ Angebote realisieren, die Lücken in der Regelversorgung
(Schule, Arbeitsamt, Sozialamt etc.) schließen (10)
❑ ineinandergreifende Angebote unter einem Dach bieten (10)
❑ Kenntnis verschiedener Kulturkreise haben (9)
❑ über eine einzigartige Einrichtung verfügen (8).
Evaluationsergebnisse im Überblick
Verallgemeinernd und unter Berücksichtigung der in den
Interviews gewonnenen Informationen läßt sich sagen: Die spezifischen Leistungen liegen bei allen Organisationen
• im besonderen Zugang zu Migranten und anderen Migrantenselbstorganisationen (dazu gehört neben der Sprachkompetenz
ein Vertrauen, das die Organisationen bei ihrer jeweiligen Community durch langjährige und solide Arbeit erworben haben),
• in einer Angebotsstruktur, die die spezifischen Bedürfnisse der
Migrantengruppen aufgreift und Lücken in der sozialen und kulturellen Regelversorgung (z.B. muttersprachlicher Unterricht; an
die soziokulturellen Voraussetzungen des Klientels angepaßte
Bildungsangebote etc.) schließt,
• in der Verwertung des eigenen „ethnischen Kapitals“ (informelle
Netzwerke, Orientierungshilfen in der Unübersichtlichkeit der
modernen Gesellschaft, geschützte Interaktionsräume etc.),
• in ihrer Funktion als Clearing- und Vermittlungsstelle (z.B.
ermöglichen Beratungen von Zugewanderten durch die Migrantenselbstorganisationen effektivere Inanspruchnahme der Regelversorgung) oder als eigenständige, spezialisierte Beratungsstelle
für Migrantinnen und Migranten und
• in der eigenständigen Interessenvertretung von Migrantinnen
und Migranten, die ein Feld für Eigenorganisation und Basis für
gesellschaftliche Partizipation (Aktivierung und Qualifizierung)
darstellen.
Kooperationspartner
Die Kooperationsbeziehungen wurden wiederum in einem zweistufigen Verfahren erhoben, zunächst mit einer offenen Fragestellung
– hier incl. einer Beurteilung der Qualität der Kooperationsbeziehungen –, dann mit daraus gewonnenen Kategorien in einer
standardisierten Abfrage. Es zeigt sich, daß die Kooperationen ausgesprochen vielfältig – sowohl zu Institutionen der Mehrheitsgesellschaft als auch zu Migrantenselbstorganisationen und Institutionen
der Herkunftsgesellschaft – und überwiegend positiv sind. Sie spiegeln z.T. das Spektrum der Arbeit der Migrantenselbstorganisationen
wider, indem z.B. Schwerpunkte in der Zusammenarbeit mit
Institutionen der Jugendarbeit, mit Schulen, politischen Parteien,
Ämtern etc. erkennbar sind. Hier das Ranking der besonders häufigen
Kooperationspartner:
❑ andere Migrantenselbstorganisationen (17)
❑ kommunale Ämter (16)
❑ Institutionen wie Schulen, Jugendzentren, der Altenarbeit etc.
(16)
❑ Wohlfahrtsverbände (15)
❑ kirchliche Einrichtungen (13)
❑ politische Parteien (12)
❑ Ausländerbeirat (11)
❑ Institutionen der Herkunftsgesellschaft (Konsulate etc.) (6)
Die Migrantenselbstorganisationen erweisen sich insgesamt als
offen gegenüber verschiedenen Institutionen und damit als gut in die
Mehrheitsgesellschaft integriert. Dies wird auch durch die Kooperationspartner selbst bestätigt – so jedenfalls der bisherige Kenntnisstand, der sich über erste Interviews mit Vertretern ausgewählter
Institutionen der Mehrheitsgesellschaft vermittelt6. Da dieser Teil
der Evaluation noch in den Anfängen steht, sollen hier nur schlaglichtartig einige Aussagen zusammengestellt werden, die sich auf
die Kooperationen mit einer rein ehrenamtlich arbeitenden und einer
mit eineinhalb hauptamtlichen Stellen ausgestatteten Migrantenselbstorganisation beziehen. Beiden Organisationen wird bestätigt,
daß sie kompetente und verläßliche Kooperationspartner sind, qualitativ hochwertig und zielorientiert arbeiten. Die kulturelle Eigenständigkeit der Organisationen wird als Basis für Integration
beschrieben. Die Migrantenselbstorganisationen nehmen wichtige
Multiplikatorfunktionen wahr, indem sie Anliegen der jeweiligen
Institution der Mehrheitsgesellschaft an die Zielgruppe Migrantinnen
und Migranten herantragen – häufig sind sie der einzige Garant für
die erfolgreiche Realisierung von zielgruppenspezifischen Maßnahmen, z.B. in der Altenarbeit. Sie entlasten die Kommune durch
die Erbringung spezieller Leistungen, z.B. im Bereich muttersprachlichen Unterrichts oder berufsorientierender Maßnahmen. Hervorgehoben wird die Bedeutung beider Organisationen für die Weiterentwicklung demokratischer Kultur und Gremien, sei es durch Mobilisierung für Ausländerbeiratswahlen, sei es durch die alltägliche
Arbeit, die vom Selbstverständnis der gleichberechtigten Partizipation aller Mitglieder geprägt ist und zu Vermittlung und Interessenausgleich zwischen verschiedenen ethnischen Minderheiten beiträgt.
Die bislang befragten Kooperationspartner sehen die integrative
Funktion der beiden Migrantenselbstorganisationen aber nicht einseitig in dem Sinne, daß sie die Vermittlung von Anliegen der
Mehrheitsgesellschaft zur Gruppe der Migrantinnen und Migranten
unterstützen. Vielmehr betonen sie den wechselseitigen Charakter:
daß von den Migrantenselbstorganisationen Impulse in Richtung
Mehrheitsgesellschaft ausgehen, sei es, daß bestimmter Bedarf thematisiert werden, sei es, daß sie zu interkulturellem Lernen durch
Begegnungen und andere Angebote beitragen. Die Organisationen
stellen einen wichtigen Faktor im kommunalen Netzwerk dar, eine
„Brücke zwischen Mehrheit und Minderheit“ – wenn, auch das
wurde thematisiert, die kooperierenden Institutionen der Mehrheitsgesellschaft sich selbst als bürgernah, dienstleistungsorientiert und
somit offen für Selbstorganisationen erweisen. Als Probleme der
Organisationen kennzeichnen die Interviewpartner, daß Qualität und
Kontinuität der Arbeit an einzelne haupt- oder ehrenamtliche
Personen gebunden ist. Bezüglich der hauptamtlichen Mitarbeiter
hängt – neben der Qualifikation – die Sicherung der Arbeit von verläßlicher Finanzierung ab; bei ehrenamtlich arbeitenden Organisationen stellt sich künftig die Herausforderung eines gelingenden
Generationenwechsels. Auch aus diesem Grund unterstreichen die
befragten Kooperationspartner die Notwendigkeit, spezielle Qualifizierungsangebote für Aktive in Migrantenselbstorganisationen zu
entwickeln.
6 In den exemplarischen Interviews mit Vertretern von Institutionen der Mehrheitsgesellschaft werden Kooperationspartner der drei unterschiedlichen,
oben charakterisierten Typen von Migrantenselbstorganisationen befragt.
134
Evaluationsergebnisse im Überblick
Qualifizierungs- und Beratungsbedarf
Als Zwischenergebnis der Evaluation zeichnet sich ab, daß der
überwiegende Teil der geförderten Migrantenselbstorganisationen Professionalisierungs- und Weiterbildungsbedarf erkennt und differenziert
formuliert. Viele der Orgnisationen nehmen bereits Weiterbildungsmöglichkeiten wahr oder organisieren sie im Rahmen ihrer Arbeit.
Allerdings stehen bei einigen mangelnde finanzielle Mittel der Realisierung von Weiterbildungswünschen entgegen. In der Fragebogenerhebung wurden dazu 14 Kategorien sowie eine offene Antwortmöglichkeit vorgegeben. Die Auswertung ergibt folgende Gewichtung:
❑
❑
❑
❑
❑
❑
❑
❑
❑
❑
❑
❑
❑
❑
Mittelbeschaffung/Finanzierungsquellen (14)
Antragstellung (11)
Öffentlichkeitsarbeit (10)
Budgetkalkulation und –überwachung (8)
Vereinsrecht (7)
(politische) Lobbyarbeit (6)
Erfahrungsaustausch/Vernetzung (5)
Teilnehmerwerbung (5)
Beratungsfähigkeiten (5)
Abrechnung (4)
Erstellen von Berichten (4)
Umgang mit Konflikten in der Organisation (3)
Umgang mit Konflikten mit Dritten (3)
pädagogische Fähigkeiten (3)
Das Ranking zeigt, daß die Qualifizierungswünsche sich stark
auf formale Kompetenzen beziehen, die den existentiellen Erhalt
und Ausbau der Organisation zu sichern versprechen. Dies korrespondiert offensichtlich mit dem Professionalisierungswillen der
Organisationen (zur Erinnerung: 18 Organisationen gaben an, ihre
Aktivitäten ausweiten zu wollen). Es verweist zugleich auf die Probleme, die die Organisationen thematisieren. An erster Stelle stehen
die mangelnden finanziellen Ressourcen, so daß, wie bereits
erwähnt, ungefähr ein Drittel der Organisationen rein ehrenamtlich
arbeiten muß. Dies wird zunehmend als Belastung für die wenigen
Aktiven und Behinderung für die Organisationsentwicklung erfahren.
Die Reduktion auf ehrenamtliche Tätigkeit gefährdet die Migrantenselbstorganisationen latent in ihrem Bestand und führt potentiell zu
Instabilität und mangelnder Kontinuität. Aber auch die Organisationen mit hauptamtlichen Mitarbeitern sind selten in der Lage, die
notwendige Kontinuität zu garantieren, weil die Stellen von Projektoder ABM-Förderung abhängen. Eine Tradierung von Know-How
und Professionalisierung der Arbeit wird dadurch erschwert.
Angesichts dieser Problemlage treten stärker inhaltlich orientierte
Weiterbildungsbedürfnisse tendenziell zurück, sind aber doch noch
ausgeprägt. Dies läßt sich zweifach interpretieren: Entweder haben
die in der Förderung stehenden Organisationen so starke Kompetenzen in der inhaltlichen Gestaltung ihrer Arbeit, daß sie nur wenig
Defizite und Qualifizierungsbedarf in diesem Bereich verspüren.
Oder es dominieren die Probleme mit der unmittelbaren Existenzsicherung, so daß die Qualitätsoptimierung der eigenen Arbeit nicht
als vordringliches Problem definiert wird. Auf jeden Fall ist davon
auszugehen, daß ein Qualifizierungsbedarf in pädagogischer, beraterischer etc. Kompetenz ebenfalls besteht.
135
Fazit
Die referierten Zwischenergebnisse der Evaluation haben notwendigerweise summarischen Charakter. Aufgrund der starken
Heterogenität der geförderten Migrantenselbstorganisationen und
der gewählten Projektansätze gilt es, differenzierte, dem Entwicklungsstand und Leistungsvermögen der einzelnen Organisation
angemessene Beurteilungskriterien zu gewinnen. Dies wird Gegenstand des Abschlußberichts zur Evaluation sein. Nach bisherigem
Kenntnisstand läßt sich ein überwiegend positives Bild zeichnen.
Bestätigt wird die wichtige Funktion der geförderten Migrantenselbstorganisationen für Migrantinnen und Migranten und Mehrheitsgesellschaft. Auch die Projekte, die abschließend kurz skizziert
werden, sind weitgehend ziel- und bedürfnisgerecht. Die geförderten
Organisationen arbeiten professionell oder sind auf dem Wege zu
höherer Professionalität, wozu auch die Landesförderung beigetragen
hat. Mit finanzieller Unterstützung konnten neue Arbeitsansätze
realisiert und das Aktionsspektrum erweitert werden. Die Migrantenselbstorganisationen – das zeigen auch die bisherigen Urteile von
Kooperationspartnern – sind wichtige Partner für die Gestaltung
einer Zuwanderungsgesellschaft, die auf Aktivierung und Partizipation
von Migrantinnen und Migranten setzt. Diese Potentiale zu stärken,
stellt eine Herausforderung für das demokratische Gemeinwesen
dar.
Die geförderten Migrantenselbstorganisationen und ihre Projekte im
Überblick
ADENTRO NRW e.V., Netzwerk spanischsprechender
Senior/innen, Geschäftsstelle Münster: Durchführung von vier
jeweils dreitägigen Bildungsseminaren für Multiplikatorinnen und
Multiplikatoren. Intention ist die Motivation für und Qualifizierung
der ehrenamtlichen Arbeit. Außerdem finanzielle Unterstützung von
Aktivitäten der Ortsgruppen.
Arbeitskreis für Afghanistan e.V., Bonn: Produktion der Zeitschrift Nau Bahar (in den Sprachen Dari und Pashto) und Aufbau
einer Frauengruppe.
BAGIV, Bundesarbeitsgemeinschaft der ImmigrantInnenverbände e.V.,Geschäftsstelle Bonn: Vier Tagungen zum Thema
„Partizipationschancen und Selbstorganisation“ und Herstellung
einer Broschürenreihe.
Circolo Culturale Italiano, Wuppertal: Pädagogische Betreuung
eines Multimedialen Lernzentrums für Kinder, Anschaffung von
Lernmitteln (CD-Rom, Lernsoftware) und Aufbau einer Frauengruppe, die zugleich eine italienischsprachige Frauenzeitung herstellt.
Club Tunesien Bonn e.V.: Förderung der Gesamtaktivitäten
(Freizeitangebote, kulturelle Veranstaltungen, Informationsveranstaltungen, Sprachkurse für Kinder, Frauen- und Mädchengruppe u.a.)
des Clubs incl. Betriebskosten.
GDF, Förderation der ImmigrantInnenvereine aus der
Türkei e.V., Geschäftsstelle Düsseldorf: Wochenendseminare und
Arbeitstagungen für Vorstands- und Vereinsmitglieder, haupt- und
nebenberufliche Mitarbeiter/innen von der GDF angeschlossenen
Selbstorganisationen und interessierte Nicht-Mitglieder. Zielsetzung
ist die Förderung der politischen Partizipation, Stärkung der Selbstorganisationen, Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit in Vereinen,
Stärkung des politischen Bewußtseins der Mitglieder von Selbstorganisationen und Verbreitung sozialpolitischer Informationen.
Griechische Gemeinde Bonn e.V.: Bildungs- und Orientierungsangebote (regelmäßige Berufsberatung und Bewerbungstraining,
zwei Tagesveranstaltungen zu arbeitsmarktspezifischen Themen für
Multiplikatoren, Computer-Kurse für Jugendliche und Frauen) sowie
Anschaffung von Computer und Faxgerät.
Griechische Gemeinde Castrop-Rauxel e.V.: Anschaffung von
Einrichtungs- und Ausstattungsgegenständen für einen Seminarraum,
Veranstaltungen zur rechtlichen, sozialen und politischen Gleichstellung von Migrantinnen und Migranten (sozialrechtliche Themen,
muttersprachliche Mieter-, Schuldner- und Gesundheitsberatung, rechtliche Situation innerhalb der EU, in Griechenland und der Bundesrepublik Deutschland, Förderung politischer Handlungsansätze).
Halkevi (Volkshaus) Köln e.V.: Bildungsveranstaltungen (politische Willensbildung auf kommunaler, Landes-, Bundesebene,
Möglichkeiten der politischen Partizipation von Migrantinnen und
Migranten) sowie Ausstattungsgegenstände und Betriebskosten.
136
Internationales Begegnungszentrum Friedenshaus e.V. (IBZ),
Bielefeld: Realisierung des Kulturprojekts „Culturisimo“ (ca. 20
Kulturveranstaltungen mit kunstschaffenden Migrantinnen und
Migranten) sowie bühnentechnische Ausstattung.
IFAK e.V., Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendarbeit, Bochum: Aufbau und Einrichtung eines Treffpunkt- und
Veranstaltungscafes, Durchführung von Kursen, Gesprächskreisen,
Wochenendseminaren für diverse Zielgruppen (um die Motivation
zur Teilnahme und weiterführendes Engagement in verschiedenen
Sachbereichen, in politischen kommunalen Fragen sowie die
Stärkung von Interessenvertretung zu erreichen), Durchführung von
Freizeitaktivitäten, Kultur- u. Informationsveranstaltungen, Vernetzung von Migrantenvereinen und Organisationen in der Migrantenarbeit und in den Regeldiensten, Beratung von Migrantenvereinen
bei der Organisation und Beantragung eigener Maßnahmen/Aktivitäten (Informationsweitergabe, Beratung).
IKM, Internationaler Kulturkreis Moers e.V.: (Einzel-)
Beratung von Selbstorganisationen, ausländischen BürgerInnen verschiedener Nationalitäten und ehrenamtlichen Funktionären im Hinblick auf Projektentwicklung. Unterstützung von einzelnen Gruppen
bei der Herstellung von Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit und
bei der Vereinsbuchhaltung (dafür steht ein „mobiler Computer“ mit
entsprechender Software zur Verfügung). Durchführung von Stadtteilkonferenzen zur besseren Vernetzung von Jugendhilfe- und anderen
sozialen und politischen Aktivitäten der im Stadtteil tätigen
Institutionen und Organisationen.
Kaktus e.V., Radio Kaktus, Münster: Anschaffung von
Recordern und einer Bandmaschine für die Radioarbeit, Betreuung
einer Jugend-Radiogruppe. Die Radiogruppe soll MigrantenJugendlichen (aber auch deutschen Jugendlichen steht das Angebot
offen) ein Sprachrohr für Meinungen, Probleme und Interessen
bereitstellen: Die produzierten Beiträge werden über den Bürgerfunk
ausgestrahlt.
KOMKAR e.V., Verband der Vereine aus Kurdistan,
Geschäftsstelle Bonn: Schulung hauptsächlich kurdischer Jugendlicher zu Multiplikatoren, Durchführung von Seminaren und Camps
mit deutschen Kooperationspartnern (zu Fragen der Demokratie,
Integration in die bzw. Partizipation an der bundesdeutschen Gesellschaft, Selbstorganisierung, Kooperation und Zusammenarbeit mit
deutschen Jugendorganisationen und Gruppen, Vereinswesen, Mitgliedschaft in den deutschen Parteien, Jugendvereinen und -verbänden).
Die geförderten Migrantenselbstorganisationen und ihre Projekte im
Überblick
Multikulturelles Forum Lünen e.V. (MKF): Personalkosten
zur Vorbereitung von Veranstaltungen zur Intensivierung der politischen Mitbestimmung von Migrantinnen und Migranten. (Die Mittel
zur Durchführung der Veranstaltungen bringt MKF selbst auf.)
Inhalte der Bildungsmaßnahmen: Unterstützung der sachkundigen
Migranten und Mitglieder des Ausländerbeirats durch Fort- u.
Weiterbildungsmaßnahmen, Durchführung breit angelegter kommunaler Kampagnen zur Förderung der Beteiligung der Migranten bei
der Mitentscheidung von kommunalpolitischen Fragen mit der Zielgruppe der Migranten, Durchführung von Stadtteil- u. Rathausgesprächen für und mit Migranten und Kommunalpolitikern, Vernetzung der Migrantenselbstorganisationen in politischen Fragen,
Durchführung von Maßnahmen für Multiplikatoren, insbesondere
über die Wichtigkeit der Einbürgerung der Nicht-EG-Migranten mit
der Zielgruppe ausländische Schüler.
MONA, Internationale Frauenkontakt- und Beratungsstelle
e.V., Bochum: Bedarfsanalyse und Entwicklung eines interkulturellen
Angebots für Mädchen in Kooperation mit Schulen, dem Bochumer
Frauenbeirat und Trägern der freien Migrationsarbeit. Durchführung
eines Videoprojekts für Mädchen aus unterschiedlichen sozialen und
ethnischen Bezügen, Herstellung eines Videofilms.
NAVEND, Kurdisches Informations- und Dokumentationszentrum e. V., Bonn: Aufbau einer Informations- und Beratungsbörse im Bereich kurdische Migrantinnen und Migranten (Internetangebot, deutsch- und kurdischsprachige Publikationen, Gesprächskreise, Veranstaltungsreihe, Bibliotheksaufbau), Vermittlung von
Informationen über kurdische Migrantinnen und Migranten an deutsche Institutionen, Vernetzung und Informationsaustausch zwischen
kurdischen Selbstorganisationen, Kurdisch-deutsche und Türkischkurdische Symposien zum Abbau gegenseitiger Vorbehalte unterschiedlicher Migrantengruppen unter Einbezug von Intellektuellen
unterschiedlicher Herkunft.
ROM e.V., Verein für die Verständigung von Roma und Sinti
und Nicht-Roma, Köln: Auf- und Ausbau des Archivs zur
Geschichte und Gegenwart der Roma und Sinti in Deutschland und
Europa.
Türkisches Kulturzentrum in Duisburg u. Umgebung e.V.:
Durchführung des Bildungsprojektes “Öffentlichkeitsarbeit in NonProfit-Organisationen, Kennenlernen und Umgehen-können mit
medialen Strukturen”, mit Schwerpunkt Zeitung und Radio sowie
Anschaffung von Computern, Aufnahmegerät, Fotoapparat, Videokamera. Ziel ist es, v.a. türkischen Jugendlichen einen kompetenten
Umgang mit Presse, Hörfunk und Fernsehen und journalistisches
Grundwissen zu vermitteln, um ihre öffentlichen Artikulationsmöglichkeiten zu verbessern.
137
138
Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in NRW Wissenschaftliche Bestandsaufnahme
Selbstorganisationen von Migrantinnen
und Migranten in NRW
Wissenschaftliche Bestandsaufnahme
NRW–––notiert.
Ministerium für Arbeit,
Soziales und Stadtentwicklung,
Kultur und Sport
des Landes
Nordrhein-Westfalen
Ministerium für Arbeit,
Soziales und Stadtentwicklung,
Kultur und Sport
des Landes
Nordrhein-Westfalen