Der Elvis vom Jägerberg

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Der Elvis vom Jägerberg
Titel:
Der Elvis vom Jägerberg.
Wein und Populärmusik.
Eine Annäherung.
Thema:
Kulturgut Wein
Autor:
Wolfgang Pollanz
Elvis lebt. Er heißt Wilfried Schilhan und ist Chef des gleichnamigen Weingutes in der Südsteiermark. Seinen
Spitznamen „Der Elvis vom Jägerberg“ hat der Spross einer oststeirischen Obstbauernfamilie, der seine Ausbildung
in der Weinbaufachschule Klosterneuburg absolviert hat, von seiner Vorliebe für den King of Rock’n’Roll und weil er
früher, bevor er sich gänzlich der Arbeit an seinen Weinen verschrieben hat, regelmäßig mit seiner Band „The Cadillacs“ aufgetreten ist. Auch heute noch spielt Rockmusik bei Schilhan und seinem Vorzeigebetrieb eine wichtige Rolle. „Crocodile Rock“ heißt das vor einiger Zeit neu eröffnete Gebäude der Weinmanufaktur mit Verkostungsräumen
und Weinkeller, nach Eigendefinition auf der betriebseigenen Homepage „international, modern und kreativ“. Im
Sortiment Schilhans findet man einen Roten Traminer namens „Aaron“, bekanntlich der zweite Vorname von Elvis
A. Presley, und in einem Interview bekannte Schilhan freimütig, er sei „nicht unbedingt der Winzer mit Steireranzug
und Haferlschuhen“. Eine sehr sympathische und mutige Positionierung, kennt man die Werbelinie der meisten
steirischen Weinbauern, die geprägt ist von Landhauslook und dem allgegenwärtigen Steirerhut. Was aber haben
über Schilhans persönliche Vorlieben hinaus Elvis und der Rock’n’Roll, was Populärmusik im Allgemeinen und Wein
mit einander zu tun, gibt es da überhaupt Berührungspunkte?
Trinklieder hat es wohl schon immer gegeben, zumindest seit die Menschen den Alkohol als Rausch- und Genussmittel entdeckt haben. Belegt sind jene der alten Griechen, die Skolien, die eigentlich keine Zecherlieder im engeren
Sinn waren. Abgeleitet wird ihr Name vom altgriechischen für „schief, verschränkt, gewunden“, was wohl weniger
mit der Wirkung des Alkohols zu tun hatte, sondern damit, dass diese Lieder, wie der griechische Schriftsteller
Plutarch andeutet, sehr schwer zu singen waren; eine andere Interpretation bezieht sich darauf, dass bei diesen
Symposien, den Trinkgelagen, reihum, manchmal auch kreuz und quer gesungen wurde. Inhaltlich waren diese Gesänge oft satirisch oder humoristisch, und nicht selten wurden neben philosophischen und politischen Thematiken
auch Wein und froher Lebensgenuss ausführlich behandelt. Loblieder auf den Wein werden ja auch heute noch
angestimmt, was für eine schöne Vorstellung jedoch, würden heute die Menschen vor dem Genuss eines Glas
Weines wirklich ein Lied von sich geben müssen. Die Weinverkostungen wären wohl wieder Gelage wie in früheren
Zeiten, frei nach dem Motto „Wein, Weib und Gesang“.
Die studentischen Trinklieder des Mittelalters, die einem in diesem Zusammenhang einfallen, waren mit Vorliebe lateinisch und dadurch wohl ebenso international wie heutige englischsprachige Popmusik. Bibit pauper et egratus / bibit
exul etignatus / bibit puer bibit canus / bibit presul et decanus – es trinkt der Arme und der Kranke / es trinkt der
Fremde, Unbekannte / es trinkt der Knabe / trinkt der Alte / es trinkt der Bischof, der Dekan – wurde von den Studiosi in Heidelberg ebenso gesungen wie in London. Getrunken hat man dazu in den nördlicheren Gefilden mit Vorliebe
Bier, im Süden Wein. Selbst der aus dem Südtiroler Grödnertal stammende Oswalt von Wolkenstein, der letzte Vertreter höfischer Lyrik, der sich auch um die Eindeutschung von Kirchenliedern verdient gemacht hat, ist neben vielen
anderen – Verfasser von Zecherliedern wie diesem: Her wirt, uns dürstet also ere / trag auff wein! Trag auff wein! Das
dir got dein laid verkere / pring her wein! Pring her wein! / und dir dein sälden mere / nu schenck ein! Nu schenk ein!
Legion sind die traditionellen Trinklieder in allen Sprachen, die bis heute gesungen werden. Seien es so bekannte
Gassenhauer wie das Wienerlied „Jetzt trink ma noch a Flascherl Wein“, das französische „A boire, á boire, á boire“
mit der einfachen und klaren, aber unmissverständlichen Botschaft! Bon, bon, que le vin est bon“, der viel besungene „Little Brown Jug“, der sich wohl eher auf schottischen Whiskey als auf Wein bezieht, oder die „Three Drunken Maidens“, einem im angelsächsischen Raum sehr bekannten Lied, das unter anderem, und hier schließt sich
der Kreis zur neueren Popmusik, von der einflussreichen englischen Folkrock-Band „Fairport Convention“ aufge-
nommen worden ist. Was also hat Elvis the Pelvis mit Wein zu tun? Beinahe muss man befürchten, rein gar nichts.
Denn Presley war zwar in vielen kulinarischen Dingen mehr als maßlos, stopfte Hamburger und Bananenpudding in
sich ebenso rein wie all die Uppers und Downers seiner Drogensucht, aber mit Alkohol und im Speziellen mit Wein
hatte er nun wirklich nichts am Hut. Dabei ist der Elvis vom Jägerberg nicht der einzige Winzer der Welt, der sich,
zumindest was die Namensgebung betrifft, auf den King beruft – die amerikanischen Graceland Cellars haben etwa
einen Blue Suede Chardonnay und einen Jailhouse Merlot im Programm; aber das sagt letztendlich gar nichts, in
Italien kann man Wein mit Mussolini auf dem Etikett ebenso kaufen wie einen Führer-Wein, und der war ja, so will
es zumindest der vermutlich von Goebbels erschaffene Mythos, nicht nur sexuell enthaltsam und Vegetarier wie der
von ihm verehrte Richard Wagner, sondern auch Antialkoholiker. Auf einem Propagandaschild der NSDAP aus dem
Jahre 1933 stand zu lesen: „Unser Führer Adolf Hitler trinkt keinen Alkohol und raucht nicht.“
Dies kann man allerdings von den Exponenten der heutigen Rockkultur nicht behaupten. Rockmusik findet unbestritten in einem Kontext von Drogen und Alkohol statt, sowohl bei den Musikern auf und hinter den Konzertbühnen
wie auch bei den Konsumenten. Wer jetzt allerdings moralinsauer den Zeigefinger hebt, hat von dieser genuinen
kulturellen Äußerung des letzten und dieses Jahrhunderts rein gar nichts verstanden. Selbst wenn zuletzt viele
der Altstars, die ihre beste Zeit lange hinter sich und diese auch noch überlebt haben, ihren Süchten abschwören,
gesund und enthaltsam leben, um auch mit weit über sechzig weltweit auf den Stadionrock-Bühnen reüssieren zu
können, Rock- und Popmusik ist und bleibt eine ephemere, schnelllebige Kunst, die wie die Revolution ihre eigenen
Kinder frisst und sich nicht um die Jahre danach kümmert. Getrunken wird dabei vorwiegend Bier und Härteres,
das männliche Rollenmodell des Rockers wird auf ewig mit Budweiser und Jack Daniels in Verbindung gebracht
werden. Doch gibt es keine Regel ohne die Ausnahme, Popmusik nämlich, die den Genuss von Wein thematisiert.
Suchen muss man sie allerdings wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen.
Getan hat dies dankenswerterweise vor einiger Zeit ein Münchner Journalist und gleich die Compilation „Wine&Dine“
als CD herausgebracht. Dabei zeigt sich, dass, auch wenn man das Thema exzessiv im Internet recherchiert, die
Suppe recht dünn bleibt. Natürlich ist Boris Vian dabei mit „Je bois“, einem Bekenntnis in Chansonform; fehlen darf
auch nicht der österreichische Klassiker schlechthin, Hans Moser mit seiner Reblaus. Überhaupt sind auf dieser CD
die popmusikalischen Genres wild durcheinander gewürfelt, Indie-Pop von Evan Dando von den Lemonheads (mit
dem bekannten „Summer Wine“) neben Soulklassikern wie Eartha Kitt („Lilac Wine“), der Italo-Barde Paolo Conte
neben dem Avantgarde-Rocker John Cale. Dass es bei den Liedern nicht immer nur um den Genuss von Wein
geht, sondern dass dieser als lyrische Metapher herhalten muss, versteht sich eigentlich von selbst. Die Sängerin
Melanie Safka, Muse der Hippies der Sechziger Jahre, beklagt in ihrem Lied „Leftover Wine“ die Mühen des Lebens
und kommt am Ende zur Conclusio „I can’t stand the taste of leftover wine“, während das Willem Breuker Kollektief
geschult an improvisierter Musik und Free Jazz zur Erkenntnis kommt, „Time is an empty bottle of wine“. Das alles
klingt in der Beschreibung ein wenig mühsam, mit einem oder mehreren Gläsern ausgesuchten Weins lässt sich die
CD jedoch durchaus genießen, insofern man verschiedenen popmusikalischen Ansätzen gegenüber aufgeschlossen ist. Ein wenig mehr Recherche hätte der Sammlung allerdings nicht geschadet. Das oftmals von Künstlern wie
Frank Sinatra, Perry Como oder Nancy Wilson gecoverte „Days of Wine and Roses“ des Easy Listening-Königs
Henry Mancini fehlt ebenso wie etwa „Wined and dined“ von Syd Barrett, dem spurlos verschwundenen einstigen
Mitglied der britischen Psychedelic-Band Pink Floyd.
Welche Wirkung aber, so fragt man sich in diesem Zusammenhang, hat eigentlich das Hören von Musik auf den
Genuss von Wein? Glaubt man dem amerikanischen Winzer Clark Smith aus dem kalifornischen Santa Rosa, eine
große. Smith, der sich in seinen Ideen zum Weinmachen auf die bipolare Idee der alten Griechen beruft, zwischen
dem logischen apollonischen und dem intuitiven dionysischen Prinzip zu unterscheiden, hat lange Zeit selbst und
bei verschiedenen Weinverkostungen mit unterschiedlichen Musiken experimentiert. Herausgekommen ist dabei, dass es Weine gibt, die besser mit Klassik wie etwa Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ korrespondieren, während
andere am besten zu den Klängen der Hardrock-band Metallica genossen werden. Ein schottisches Forscherteam
hat sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt, die Studie war eine Zusammenarbeit zwischen einem chilenischen Weinproduzenten und der Abteilung für Psychologie an der Heriot-Watt University in Edinburgh. Cabernet
Sauvignon wird demnach von Weintrinkern besser mit „schwerer Musik“ getrunken, während der Genuss von
Chardonnay von „schwungvoller und erfrischender Musik“ begleitet sein sollte. Die Mitarbeiter der schottischen
Universität gehen sogar so weit, bestimmte Songs zu empfehlen. Zu Cabernet Sauvignon empfiehlt man „All along
the watchtower“, die Bob Dylan-Komposition in der Coverversion von Jimi Hendrix, oder „Honky Tonk Woman“
von den Rolling Stones, die bei dem Song wohl eher an Branntwein-Spelunken im Süden der USA gedacht haben
dürften. Zu Chardonnay kredenze man am besten akustisch „Atomic“ von Blondie oder „What´s love got to do
with“ von Tina Turner – der popmusikalische Geschmack der schottischen Psychologen ist offensichtlich in den
vergangenen Jahrzehnten angesiedelt und reif wie alter Wein. Ist das also die Zukunft der Oenologie? Wird aus
dem Verkosten und Genießen von Wein ein umfassendes Event für alle Sinne, ein Potpourri aus geschmacklichen,
visuellen, olfaktorischen und akustischen Erlebnissen?
Ob der Elvis vom Jägerberg diese Studie kennt, wissen wir nicht. Möglicherweise gewinnen seine Weine durch
das Hören von „Love me tender“ oder „In the ghetto“. Oder spielt der südsteirische Winzer seinen Trauben während der Reifung gar Elvis-Songs vor? Es ist anzunehmen, dass Wilfried Schilhan weder auf das eine, noch das
andere schwört, sondern sich auf sein Können, seine besonderen Lagen und den sortenreinen Ausbau verlässt.
Wer möchte, kann das Experiment aber gerne wagen, an Ort und Stelle im „Crocodile Rock“ den Roten Traminer
„Aaron“ verkosten und dazu „Are you lonesome tonight“ hören. Schaden wird es ganz bestimmt nicht.