Empfehlungen zur Prophylaxe und Therapie der stabilen koronaren

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Empfehlungen zur Prophylaxe und Therapie der stabilen koronaren
Arzneiverordnung
in der Praxis
THERAPIEEMPFEHLUNGEN DER ARZNEIMITTELKOMMISSION DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT
ARZNEIMITTELKOMMISSION
DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT
1. AUFLAGE 2004
Evidenz in der Medizin
Die Wirksamkeit eines Arzneimittels bzw. einer therapeutischen Maßnahme kann nur dann als nachgewiesen
gelten, wenn hierzu Belege, d. h. eine ausreichende
»Evidenz«, aus validen klinischen Prüfungen vorliegen.
In der Wertigkeit haben Nachweise zum Erreichen
bedeutender therapeutischer Ziele wie Reduktion von
Morbidität und Mortalität Vorrang vor Nachweisen der
Beeinflussung von Surrogatparametern wie z. B.
Senkung von LDL-Cholesterin oder Blutdruck. Der
Wirksamkeitsnachweis sollte wichtigste Grundlage für
eine therapeutische Entscheidung sein.
Die Therapieempfehlungen versuchen daher, insbesondere mit den »Kategorien zur Evidenz« trans-
parent zu machen, für welchen Wirkstoff und für
welche Indikation eine Wirksamkeit belegt ist.
Ergebnisse klinischer Studien können aber nur eine
Grundlage der ärztlichen Therapieentscheidung sein,
bei der eine Vielzahl individueller Gegebenheiten des
einzelnen Patienten berücksichtigt werden muss.
Hinzu kommt, dass es nicht für alle therapeutischen
Maßnahmen Belege zur Wirksamkeit gibt bzw. geben
kann. Auch für diese Situation finden sich in den
Therapieempfehlungen Hinweise. Letztlich ist der Arzt
hier gefordert, auf der Basis bislang vorliegender
Kenntnisse und Erfahrungen das für den Patienten
Richtige zu tun.
Kategorien zur Evidenz
Aussage (z. B. zur Wirksamkeit) wird gestützt durch mehrere adäquate, valide klinische
Studien (z. B. randomisierte kontrollierte klinische Studie) bzw. durch eine oder mehrere
valide Metaanalysen oder systematische Reviews randomisierter kontrollierter klinischer
Studien. Positive Aussage gut belegt.
Aussage (z. B. zur Wirksamkeit) wird gestützt durch zumindest eine adäquate, valide
klinische Studie (z. B. randomisierte kontrollierte klinische Studie). Positive Aussage
belegt.
Negative Aussage (z. B. zu Wirksamkeit oder Risiko) wird gestützt durch eine oder mehrere
adäquate, valide klinische Studien (z. B. randomisierte kontrollierte klinische Studie), durch
eine oder mehrere Metaanalysen bzw. systematische Reviews randomisierter kontrollierter
klinischer Studien. Negative Aussage gut belegt.
Es liegen keine sicheren Studienergebnisse vor, die eine günstige oder schädigende
Wirkung belegen. Dies kann begründet sein durch das Fehlen adäquater Studien, aber
auch durch das Vorliegen mehrerer, aber widersprüchlicher Studienergebnisse.
I N H A LT
Empfehlungen zur Prophylaxe und Therapie
der stabilen koronaren Herzkrankheit
1. Auflage
Inhaltlich abgestimmt mit der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herzund Kreislaufforschung
Arzneiverordnung in der Praxis, Band 31
Sonderheft 1 (Therapieempfehlungen), Januar 2004
VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
GRUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Vorbemerkungen zur Pathologie und Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . 5
Definition und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
THERAPIE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Ziele und Indikationsstellung zur Therapie/Prävention . . . . . . . . . . . . . 11
Behandlung des akuten Angina-pectoris-Anfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Prophylaxe von Angina-pectoris-Anfällen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Primär- und Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit . . . . . . . 16
Zusammenfassende Empfehlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
LITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Kurzgefasster Leitlinien-Report zur Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
VORWORT
4
Die klinischen Manifestationen der koronaren Herzkrankheit (KHK), wie Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt und Herzrhythmusstörungen, stellen die
häufigsten Todesursachen in Deutschland dar. Dies unterstreicht die Notwendigkeit und Bedeutung einer sachgerechten Prävention und Therapie
und war für die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
wesentliche Begründung, die hier vorliegende neue Therapieempfehlung
nach Nr. 14 der Arzneimittel-Richtlinien in ihr Leitlinienprogramm aufzunehmen. Die Therapieempfehlung konzentriert sich auf die stabile KHK
(bzw. stabile Angina pectoris), die klinische Verlaufsform, die am häufigsten in
der ambulanten Praxis angetroffen und behandelt wird.
Neben der Behandlung des akuten Angina-pectoris-Anfalls und der Langzeitprophylaxe pektanginöser Beschwerden wird präventiven Gesichtspunkten
zunehmend ein größerer Stellenwert eingeräumt. Daher wird mit Hilfe der
Kategorien zur Evidenz transparent gemacht, für welche medikamentösen
Maßnahmen auch eine präventive Wirksamkeit gesichert ist und für welche
nicht, seien es Koronartherapeutika oder Arzneimittel zur Behandlung von
Risikofaktoren.
Die Abschätzung des absoluten KHK-Risikos ist dabei eine wesentliche Grundlage für die Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren. Patienten
ohne klinisch manifeste KHK, aber mit einem hohen Risiko für eine KHK
können von einer konsequenten Behandlung ihrer Risikofaktoren in
ähnlicher Weise wie Patienten mit gesicherter KHK profitieren. Daher und
aufgrund der kontinuierlichen Pathogenese der KHK wird die formale
Differenzierung in Primär- und Sekundärprävention heute zunehmend zugunsten der Abschätzung des absoluten KHK-Risikos verlassen. Für die
Ermittlung des KHK-Risikos hat sich die AkdÄ für den PROCAM-Risiko-Score
entschieden, da er auf den Daten einer deutschen Population basiert
und somit Erhebungs- und Anwendungspopulation in wesentlichen
Charakteristika identisch sind. Die AkdÄ dankt Herrn Univ.-Prof. Dr. med.
Gerd Assmann (Münster) ganz herzlich für die bereitwillige Überlassung der
Daten zum PROCAM-Score und für die Unterstützung bei dessen Implementierung in die Therapieempfehlungen.
Diese Therapieempfehlungen repräsentieren den Konsens der jeweiligen
Fachmitglieder, der allgemeinmedizinischen Kommissionsmitglieder und des
Vorstandes der AkdÄ.
Prof. Dr. med. R. Lasek
Prof. Dr. med. B. Müller-Oerlinghausen (Vorsitzender)
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
GRUNDLAGEN
Vorbemerkungen zur
Pathologie und
Pathophysiologie
Die koronare Herzerkrankung (KHK) ist
die Manifestation der Atherosklerose an
den Herzkranzarterien. Die wichtigsten
koronaren Risikofaktoren sind Rauchen,
arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus und eine genetische Disposition. Ausgangspunkt der
Atherogenese ist die geschädigte
Funktion des Gefäßendothels durch die
koronaren Risikofaktoren. In der Folge
kommt es zur Invasion von Monozyten
in die Gefäßwand, zu einer pathologischen Lipidablagerung und zur Entwicklung atherosklerotischer Plaques.
In den Frühstadien der Erkrankung
sind noch keine klinischen Symptome
vorhanden. Im fortgeschrittenen Stadium
entsteht ein Missverhältnis zwischen
Sauerstoffbedarf und -angebot im
Herzmuskel mit der Folge einer
Myokardischämie, welche sich klinisch
häufig als Angina pectoris äußert. Bei
älteren Patienten oder Diabetikern kann
die myokardiale Ischämie klinisch
stumm bleiben. Nach aktueller Vorstellung wird der Übergang der stabilen
KHK in ein instabiles Koronarsyndrom
durch Ruptur einer atherosklerotischen
Plaque getriggert, welche den Fokus für
eine lokale Thrombose mit nachfolgender distaler Embolisierung bis hin zum
Gefäßverschluss darstellen kann (1, 2).
Epidemiologie
Die genaue Prävalenz der KHK in
Deutschland ist nicht bekannt. Nach USamerikanischen Zahlen ist von einer
Prävalenz um 4 %, d. h. etwa 3,2 Mio.
Erkrankten auszugehen (3, 4). Als
Hinweis für die Häufigkeit einer symptomatischen stabilen KHK kann die im Jahr
2000 in Deutschland verordnete Zahl
von 775 Mio. definierter Tagesdosen
(DDD) eines Nitrat-Präparates herangezogen werden (entspricht 2,1 Mio.
DDD pro Tag) (5).
Die klinischen Manifestationen der
KHK – die Herzinsuffizienz, der Myokardinfarkt und Herzrhythmusstörungen –
stellen die häufigsten Todesursachen in
Deutschland dar (6). Die Inzidenz steigt
mit dem Lebensalter. 1999 wurden in
Deutschland mehr als 2,7 Mio. Patienten
wegen Herzkreislauferkrankungen stationär behandelt, darunter 850.000 wegen
symptomatischer ischämischer Herzkrankheiten. Die Prävalenz an Z. n. Herzinfarkt in Deutschland beträgt 2,45 %,
dies entspricht 24.500 Betroffenen pro
1 Mio. Einwohner (7). Zwischen dem
30.–59. Lj. kommen auf einen weiblichen Herzinfarktträger mehr als vier
männliche, zwischen dem 60.–79. Lj.
beträgt diese Relation nur noch etwa
1 zu 1,5. Aufgrund der demographischen
Entwicklung ist von einem Anstieg der
Herzinfarktinzidenz von 280.000 im Jahr
1998 auf > 340.000 im Jahr 2010 auszugehen (8). Die vorliegenden Leitlinien
betreffen daher eine Krankheit mit
großer Morbidität und Mortalität.
Prognose
In der US-amerikanischen FraminghamStudie wurde für Patienten mit chronisch stabiler Angina pectoris im Mittel
eine Sterblichkeit von 4 % pro Jahr
ermittelt (9). Die individuelle Prognose
richtet sich nach dem Ausmaß und der
Lokalisation der Koronarsklerose (z. B.
bei einer Hauptstammstenose < 70 %:
Einjahresletalität 9 %, bei Hauptstammstenose > 70 %: Einjahresletalität 28 %),
der linksventrikulären Funktionseinschränkung und der Kontrolle der
Risikofaktoren (10–12).
Definition und
Klassifikation
Schweregrad und Dauer der durch die
Koronaratherosklerose hervorgerufenen
Ischämie bestimmen die klinische
Verlaufsform der KHK:
Latente KHK: asymptomatische
Mangelversorgung, »stumme
Myokardischämie«, häufig bei
Diabetikern, Vorkommen aber auch
im Wechsel mit Angina pectoris.
Etwa ein Drittel der Patienten mit
gesicherter KHK weisen eine latente
KHK auf (13).
Stabile KHK (Angina pectoris):
reversible Beschwerden bei
Belastung oder Kälteexposition
Instabile KHK (Angina pectoris):
Beschwerden auch in Ruhe, rasch
zunehmende Intensität und Häufigkeit
Myokardinfarkt: ischämische
Myokardnekrose
Akutes Koronarsyndrom: Spektrum
von der instabilen Angina bis zum
manifesten Myokardinfarkt, bei dem
eine sofortige intensivmedizinische
Therapie erforderlich ist. Die
Diagnose wird durch die Schmerzanamnese (Ruheschmerz > 20 Min.),
EKG (ST-Streckenhebungen) und
serologische Marker für nekrotische
Kardiomyozyten gestellt (Troponin T
oder Troponin I in 40–50 % erhöht;
Kreatinkinase-Isoenzym CK-MB in
6 % erhöht). Bei etwa 1/3 der
Patienten mit erhöhtem Troponin T
entwickelt sich im weiteren Verlauf
ein transmuraler Myokardinfarkt (12,
14–17). Eine instabile Angina pectoris mit signifikanter TroponinErhöhung wird als NSTEMI (non-STelevation myocardial infarction)
bezeichnet.
Komplikationen: Rhythmusstörungen, ischämische Herzmuskelschädigung mit Linksherzinsuffizienz,
plötzlicher Herztod
Tabelle 1: Klassifikation der stabilen Angina pectoris (Canadian
Cardiovascular Society [CCS])
Schweregrad
Belastungstoleranz
CCS 1
Keine Angina pectoris bei Alltagsbelastung (Laufen,
Treppensteigen), jedoch bei plötzlicher oder längerer physischer Belastung
Angina pectoris bei stärkerer Anstrengung (schnelles Laufen,
Treppensteigen, Bergaufgehen, Treppensteigen nach dem
Essen, in Kälte, Wind oder psychischer Belastung)
Angina pectoris bei leichter körperlicher Belastung (normales
Gehen, Ankleiden)
Ruhebeschwerden
CCS 2
CCS 3
CCS 4
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
5
GRUNDLAGEN
Sonderform: Prinzmetal-Angina mit
Spasmen meist (nicht obligat) nicht
stenosierter Koronararterien und vorübergehenden ST-Streckenhebungen
Risikofaktoren: Alter, Geschlecht,
Rauchen, Fettstoffwechselstörungen,
Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Übergewicht, mangelnde körperliche Aktivität, Alkoholkonsum,
Familienanamnese (Atherosklerosemanifestation vor dem 55. Lj. bei
männlichen und vor dem 65. Lj. bei
weiblichen Verwandten ersten Grades)
Kardiale Vorgeschichte: Myokardinfarkt, Koronarinterventionen und
-operationen, Vitium cordis;
Arzneimittelanamnese
Begleit- und Folgeerkrankungen:
Atherosklerose der extrakardialen
Gefäße (zerebraler Insult, periphere
arterielle Verschlusskrankheit,
Nierenfunktionsstörung).
Hyperthyreose, erektile Dysfunktion.
Klassifikation nach klinischer
Symptomatik
Gemäß der Belastungstoleranz werden
nach der Canadian Cardiovascular Society
(CCS) verschiedene Schweregrade der
stabilen Angina pectoris unterschieden
(Tabelle 1).
Diagnostik
Basisdiagnostik
6
Die wesentlichen Ziele der Basisdiagnostik sind (3, 4):
die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK bei
Patienten mit typischen und atypischen Angina-pectoris-Beschwerden
als Grundlage für die Indikation zu
einer weiterführenden Diagnostik
(Tabelle 2)
die Ermittlung des kardiovaskulären
Risikoprofiles zur Planung der
Therapie
Körperliche Untersuchung
Gründlicher Status: insbes. Herzauskultation (Aortenstenose?); Lungenauskultation (pulmonalvenöse
Stauung?); Gefäßstatus (peripher,
Karotis); Größe, Gewicht (BMI) und
Taillen-/Hüftumfang; Haut (selten
Xanthelasmen).
Anamnese
Thorakale Beschwerden/Schmerzen:
Auslöser (insbes. körperliche Belastung
[s. Tabelle 1], Aufregung, Mahlzeiten,
Kälte); Lokalisation, Dauer, Charakter
(bewegungs- und atemunabhängig),
Ansprechen auf Nitrate; Dyspnoe;
Herzrhythmusstörungen; körperliche
Leistungsfähigkeit
Technische Untersuchungen
Blutdruckmessung
Ruhe-EKG mit 12 Ableitungen
Laboruntersuchungen
Kleines Blutbild
Vollständiger Nüchtern-Lipidstatus:
Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin,
Triglyzeride und LDL-Cholesterin
Gelegenheitsblutzucker; bei bekannten
Diabetikern: HbA1c
Zusätzlich vor einer Koronarangiographie:
Kreatinin i. S.
Elektrolyte i. S. (Na+, K+)
TSH
Gerinnungsparameter (partielle
Thromboplastinzeit [PTT],
Thromboplastinzeit [Quick, INR])
Die Basisdiagnostik ermöglicht eine
Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für
das Vorliegen einer stenosierenden KHK
(Tabelle 2). Die KHK verläuft allerdings
über viele Jahre asymptomatisch. Daher
sollte auch bei Patienten ohne Anginapectoris-Beschwerden im Rahmen der
Basisdiagnostik das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses ermittelt werden.
Bei hohem Risiko, insbesondere bei
Diabetikern, kann die weiterführende
Diagnostik einer stummen Myokardischämie notwendig sein. Die Abschätzung des kardiovaskulären Risikos
ist die Basis für die Behandlung der
kardiovaskulären Risikofaktoren. Patienten
mit einem hohen KHK-Risiko können
von einer aggressiven Behandlung ihrer
Risikofaktoren in ähnlicher Weise wie
Patienten mit gesicherter KHK profitieren. Aufgrund der kontinuierlichen
Pathogenese der KHK wird für diese
Patientengruppe die alte Trennung von
Primär- und Sekundärprävention heute
zunehmend relativiert (4, 21).
Zur Risikoabschätzung wurden verschiedene Instrumente mit unterschied-
Tabelle 2: Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer stenosierenden KHK in % (18–20)
Alter
Atypische Angina pectoris
Typische Angina pectoris
Männer
Männer
ohne Risiko- mit
faktoren
Diabetes
Rauchen
Hyperchol.
Frauen
Frauen
ohne Risiko- mit
faktoren
Diabetes
Rauchen
Hyperchol.
Männer
Männer
ohne Risiko- mit
faktoren
Diabetes
Rauchen
Hyperchol.
Frauen
Frauen
ohne Risiko- mit
faktoren
Diabetes
Rauchen
Hyperchol.
35
8
59
2
39
30
88
10
78
45
21
70
5
43
51
92
20
79
55
45
79
10
47
80
95
38
82
65
71
86
20
51
93
97
56
84
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
GRUNDLAGEN
Abbildung 1: PROCAM-Risiko-Score. Die Addition der Punkte in der linken Kolumne ergibt die Gesamtpunktezahl und
das zugehörige Risiko. Für nicht diabetische Frauen ist das ermittelte Risiko durch 4 zu dividieren. Eine elektronische
Version des PROCAM-Risiko-Scores findet sich im Internet (www.chd-taskforce.de).
Anzahl der Punkte für die jeweiligen
Risikofaktoren
Absolutes 10-Jahres-Risiko eines akuten
koronaren Ereignisses für jede Punktzahl (%)
Alter (männlich: 35-65 Jahre; weiblich: 45-65 Jahre)
35–39
40–44
45–49
50–54
55–59
60–65
0
6
11
16
21
26
LDL-Cholesterin
mg/dl
< 100
100–129
130–159
160–189
≥ 190
mmol/l
< 2,59
2,59–3,36
3,37–4,13
4,14–4,91
≥ 4,92
0
5
10
14
20
HDL-Cholesterin
mg/dl
< 35
35–44
45–54
≥ 55
mmol/l
< 0,91
0,91–1,16
1,17–1,41
≥ 1,42
11
8
5
0
Triglyzeride
mg/dl
< 100
100–149
150–199
≥ 200
mmol/l
< 1,14
1,14–1,70
1,71–2,27
≥ 2,28
0
2
3
4
Systolischer Blutdruck (mmHg)
< 120
120–129
130–139
140–159
≥ 160
0
2
3
5
8
Rauchen während der letzten 12 Monate
Ja
Nein
8
0
Diabetes mellitus bekannter Diabetes oder
nü-BZ ≥ 120 mg/dl (6,66 mmol/l)
Ja
Nein
6
0
Myokardinfarkt in der Familie vor dem 60. Lj.
Ja
4
Nein
0
Gesamtpunktezahl
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
≥ 60
10-J.-Risiko (%)
< 1,0
1,1
1,2
1,3
1,4
1,6
1,7
1,8
1,9
2,3
2,4
2,8
2,9
3,3
3,5
4,0
4,2
4,8
5,1
5,7
6,1
7,0
7,4
8,0
8,8
10,2
10,5
10,7
12,8
13,2
15,5
16,8
17,5
19,6
21,7
22,2
23,8
25,1
28,0
29,4
≥ 30,0
Für Männer und Frauen ist bei bereits bestehenden kardiovaskulären Erkrankungen oder
Hochdruckfolgen das Risiko > 20 %.
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
7
GRUNDLAGEN
Tabelle 3: Indikationen für ein Belastungs-EKG (3, 20, 20a, 21, 26, 27)
Evidenz und/oder allgemeiner Konsens, dass Maßnahme nützlich und effektiv ist
Patienten mit mittlerer Wahrscheinlichkeit für eine KHK (auch Patienten
mit komplettem Rechtsschenkelblock und ST-Streckensenkung < 1 mm im
Ruhe-EKG) nach Alter, Symptomen und Geschlecht
Patienten mit Verdacht auf eine KHK oder bekannter KHK mit signifikanten
Veränderungen des klinischen Bildes
Divergierende Meinung über Nützlichkeit/Effektivität
Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine KHK (nach Alter,
Symptomen, Geschlecht)
Patienten mit niedriger Wahrscheinlichkeit für eine KHK (nach Alter,
Symptomen, Geschlecht)
ST-Streckensenkung < 1 mm im Ruhe-EKG unter Digitalismedikation
Linksventrikuläre Hypertrophiezeichen und ST-Streckensenkungen < 1 mm
im Ruhe-EKG
Vasospastische Angina pectoris
Keine Indikationen
8
Frischer (akuter) Myokardinfarkt bzw. instabile Angina
Schwere Begleiterkrankungen mit eingeschränkter Lebenserwartung
Patienten mit geplanter operativer Revaskularisation
Tabelle 4: Indikationen für eine Echokardiographie (21)
Indikation belegt:
Ausschluss und/oder Quantifizierung einer valvulären/myokardialen
Erkrankung
Abklärung der LV-/RV-Funktion bei Dyspnoe/Thoraxschmerz unklarer Genese
In der Infarktnachsorge zur Prognose und Risikoabschätzung
Tabelle 5: Indikationen für eine Belastungs-Echokardiographie oder
Belastungs-Myokardszintigraphie (21)
Patienten mit stabiler Angina pectoris und einer KHK-Wahrscheinlichkeit von
10–90 % (Tabelle 2), bei denen ein Belastungs-EKG nicht möglich oder
nicht aussagekräftig ist (z. B. Prä-Exzitationssyndrom, Schrittmacher-EKG,
ST-Senkung in Ruhe, kompletter Linksschenkelblock)
Identifikation der Ischämie-induzierenden Stenose und der Vitalität des
Myokards bei Patienten mit Angina nach einer vorausgegangenen
Revaskularisierungsmaßnahme, mit mehreren Koronarstenosen oder nach
Myokardinfarkt bei therapeutischer Konsequenz
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
lichen Vorteilen und Nachteilen entwickelt: so z. B. der neuseeländische
Cardiovascular Disease Risk-Benefit
Prediction Guide, die Sheffield-Tables,
die gemeinsamen Empfehlungen der
Second Joint Task Force of European and
other Societies on Coronary Prevention,
die Joint British Recommendations, das
dänische PRECARD-Programm und der
deutsche PROCAM-Risiko-Score.
Die AkdÄ hat sich für ihre Leitlinien
zur Übernahme des PROCAM-RisikoScores (Abbildung 1) entschieden, da
dieser auf Daten einer deutschen
Population (PROCAM-Studie, Münster)
basiert (22). Vergleichende Untersuchungen hatten gezeigt, dass die
Daten aus der Framingham-Studie, die
den meisten Risikoscores zugrunde
liegen, das Risiko für deutsche
Populationen um etwa 50 % deutlich
überschätzen (23). Daher sollten
Instrumente zur Abschätzung des
kardiovaskulären Risikos möglichst auf
den epidemiologischen Daten des
Herkunftslandes des Patienten beruhen.
Als die Leitlinien der AkdÄ zur
Therapie von Fettstoffwechselstörungen, der stabilen KHK und der arteriellen
Hypertonie erstellt wurden, wurde versucht, die Aussagekraft des PROCAMRisikoscores durch Hinzufügen weiterer
deutscher Daten aus der MONICA/
KORA-Studie zu optimieren. Es ließ sich
dadurch keine Verbesserung der prädiktiven Aussagekraft des PROCAM-RisikoScores erreichen. Durch den gepoolten
Datensatz beider Studien wurde allerdings das Verhältnis der Absolutrisiken
von Männern : Frauen = 4 : 1 von PROCAM mit guter Validität bestätigt, d. h.
das nach PROCAM errechnete Risiko ist
für Frauen durch vier zu dividieren. Dies
gilt jedoch nicht für Diabetikerinnen,
deren errechnetes Risiko dem der
Männer entspricht. Der Endpunkt
Schlaganfall war in der PROCAM-Studie
zu selten, in der MONICA-Studie überhaupt nicht erfasst, sodass sich aus
diesen Daten das Risiko nicht errechnen
lässt. Dennoch geht die Erhöhung des
koronaren Risikos auch mit einem
Ansteigen des kardiovaskulären Gesamtrisikos einher (Faustregel: kardiovaskuläres Gesamtrisiko = koronares
Risiko x 4/3) (22). Daher kann, auch
nach dem Vorgehen der British
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
GRUNDLAGEN
Hypertension Society, die Ermittlung des
koronaren Risikos durchaus als pragmatischer Prädiktor kardiovaskulärer
Ereignisse inkl. Schlaganfall angesehen
werden (24).
Weiterführende Diagnostik
Technische Untersuchungen
Röntgenaufnahme des Thorax
Diese dient dem Ausschluss extrakardialer Ursachen thorakaler Beschwerden
bei unklarer klinischer Situation. Sie ist
bei Patienten mit stabiler KHK nicht routinemäßig indiziert.
Belastungs-EKG
Die Sensitivität von Belastungs-EKGUntersuchungen beträgt etwa 70 %, die
Spezifität schwankt zwischen 70–85 %;
der positive prädiktive Wert liegt bei
70 %. Daher kann ein negatives
Belastungs-EKG eine KHK nicht ausschließen. Insbesondere bei nicht hinreichender Belastung bzw. hohem klinischen Verdacht oder hohem familiären
Risiko sollte die Diagnostik erweitert
werden (Tabelle 2) (21, 25, 26). Ernste
Komplikationen (Tod, Myokardinfarkt)
treten in < 1/2500 der Untersuchungen
auf (26).
Echokardiographie
(Indikationen s. Tabelle 4)
Langzeit-EKG
Das Langzeit-EKG ist zur alleinigen
Ischämiediagnostik nicht indiziert, ggf.
ist es geeignet bei V. a. arrhythmiebedingte Angina pectoris bzw. bei V. a.
Prinzmetal-Angina.
Belastungs-Echokardiographie, Belastungs-Myokardszintigraphie
Belastungsuntersuchungen dienen der
Identifizierung einer Koronarstenose
und der Beurteilung ihrer hämodynamischen Relevanz. Sie können auch Durchblutungsstörungen
infolge
von
Spasmen oder Mikroangiopathien erfassen. Die Beurteilung der regionalen
Kontraktilität bzw. Durchblutung erfolgt
unter körperlicher oder medikamentöser
Belastung.
Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT),
Computertomographie
Die MRT erlaubt eine nicht-invasive
Beurteilung des Schweregrades einer
KHK sowie die Identifikation vitalen
Myokards bei regional oder global eingeschränkter Pumpfunktion. Bei Schrittmacherträgern ist die MRT kontraindiziert.
Die Computertomographie ermöglicht
die Detektion und Quantifizierung des Kalzifizierungsgrades im Rahmen einer Atherosklerose der Koronararterien. Aufgrund
der derzeitigen Datenlage sowie der unzureichenden Bestimmung des Schweregrades kann der Stellenwert dieser Verfahren für die Diagnostik der KHK noch nicht
abschliessend bewertet werden.
Tabelle 6: Indikationen zur Koronarangiographie (20a, 21)
Evidenz und/oder allgemeiner Konsens, dass Maßnahme nützlich und effektiv ist:
Patienten mit stabiler Angina pectoris der CCS Klasse III und IV oder
Patienten mit akutem Koronarsyndrom
Patienten mit Hochrisikomerkmalen (Herzinfarktrisiko > 20 % in zehn
Jahren, s. Abbildung 1) bei der nicht-invasiven Vortestung, unabhängig von
der Schwere der Angina pectoris
Patienten mit Hochrisikomerkmalen und typischen Beschwerden, trotz einer
antianginösen Medikation
Patienten mit Hochrisikomerkmalen und positivem Ischämienachweis trotz
antianginöser Medikation (CCS II), auch bei fehlenden Beschwerden
Patienten nach überlebtem plötzlichem Herztod oder mit malignen ventrikulären Herzrhythmusstörungen
Patienten mit einer ungeklärten Herzinsuffizienz
Patienten mit einer hohen Vortest-Wahrscheinlichkeit, bei denen die nichtinvasive Diagnostik keinen zuverlässigen Ausschluss ergeben hat
Divergierende Meinung über Nützlichkeit/Effektivität:
Patienten mit einer niedrigen oder mittleren Vortest-Wahrscheinlichkeit
(Tabelle 2), bei denen die nicht-invasive Diagnostik keinen zuverlässigen
Ausschluss ergeben hat
Patienten mit einer mittleren oder hohen Vortest-Wahrscheinlichkeit
(Tabelle 2), bei denen eine nicht-invasive Testung aufgrund einer
Behinderung oder von Erkrankungen nicht möglich ist
Patienten, bei denen berufsbedingt ein sicherer Ausschluss einer KHK bei
entsprechendem Verdacht unabdingbar ist (z. B. Piloten, Feuerwehr)
Indikation im Einzelfall:
Patienten mit stabiler Angina (CCS-Klasse I oder II) mit gutem Ansprechen
auf medikamentöse Therapie und fehlendem Ischämienachweis
Keine Indikation zur Koronarangiographie:
nach Intervention (Bypass-Operation, Angioplastie) ohne wieder aufgetretene Angina pectoris oder anderen Ischämienachweisen oder
Zusatzindikationen
bei fehlender Bereitschaft des Patienten zu einer weiterführenden Therapie
(Bypass-Operation, Angioplastie)
bei fehlender therapeutischer Konsequenz
bei Patienten mit einer hohen Komorbidität, bei denen das Risiko der
Koronarangiographie größer ist als der Nutzen durch die Sicherung der
Diagnose
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
9
GRUNDLAGEN
Invasive Verfahren
10
Koronarangiographie (Indikationen s.
Tabelle 6)
Die
Linksherzkatheteruntersuchung
ermöglicht die definitive Diagnose der
KHK und die Bestimmung der linksventrikulären Pumpfunktion. Die präzise
Lokalisation und Quantifizierung der
Koronarstenosen ist die Voraussetzung
für eine Revaskularisation durch Angioplastie oder Bypass-Operation. Die
Durchführung einer Angioplastie (z. B.
PTCA und Stent) sollte einzeitig im
selben Untersuchungsgang angestrebt
werden. Neben Herzklappenfehlern
können folgende seltene Ursachen einer
Angina pectoris diagnostiziert werden:
dilatative Koronaropathie, HOCM,
Koronarspasmen, kongenitale Anomalien
der Koronararterien, Kawasaki-Krankheit, primäre Dissektion, und strahlungsinduzierte Koronaropathie (28).
Grundsätzlich besteht eine Indikation
zur Koronarangiographie immer dann,
wenn ein Patient von einer Revaskularisation profitieren könnte. Eine Revaskularisation verbessert die Prognose von
Patienten mit instabiler Angina pectoris
und hohem Risiko (Troponin T positiv)
und bei Patienten mit höhergradigem
Ischämienachweis oder höhergradig
eingeschränkter (EF < 35 %) LV-Funktion
(jährliches Sterblichkeitsrisiko: > 3 %) (3,
11, 29–32). Bei Patienten mit instabiler
Angina pectoris und mittlerem Risiko
(kein Troponin-Anstieg, bekannte KHK
oder transiente ischämietypische EKGVeränderungen) führt eine katheterinterventionelle Revaskularisation im
Vergleich zur medikamentösen Therapie
lediglich zu einer signifikanten Reduktion der Angina-pectoris-Symptomatik,
während sich eine Reduktion von
Myokardinfarkten und Todesfällen nicht
nachweisen lässt (33). Bei Patienten mit
stabiler Angina pectoris und erhaltener
LV-Funktion sowie fehlendem objektivem
Ischämienachweis (jährliches Sterblichkeitsrisiko: < 1 %) ist eine Verbesserung
der Prognose durch eine Revaskularisation im Vergleich zur medikamentösen
Therapie nicht belegt (34–39). Die
Patienten werden in der Regel durch die
Revaskularisation aber beschwerdefrei.
Kriterien für eine Überweisung zum
Facharzt können sein:
hoher Schweregrad der Angina pectoris (CCS 3–4)
Hochrisikopatienten, für die eine
weitergehende invasive Diagnostik
und Therapie in Frage kommen
vorangegangener Myokardinfarkt,
Arrhythmien, V. a. symptomatisches
Klappenvitium
vorangegangene Bypass-Operation
oder Koronarangioplastie
rasch zunehmende Beschwerden
trotz medikamentöser Therapie
unsichere oder atypische
Symptomatik
Patienten mit therapeutisch schlecht
einstellbaren Begleiterkrankungen
(z. B. arterielle Hypertonie, Diabetes
mellitus, familiäre Hypercholesterinämie)
Differenzialdiagnose
Im Einzelfall sind bei der Diagnose pektanginöser Beschwerden verschiedene
Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen (Tabelle 7).
Grundsätzlich sollte bei jedem V. a.
eine Angina pectoris ein fachärztliches
Konsilium erwogen werden. Besondere
Tabelle 7: Wichtige Differenzialdiagnosen
Kardiovaskuläre Erkrankungen
akuter Myokardinfarkt, Perimyokarditis,
Aortendissektion, Kardiomyopathie,
Aortenklappenstenose
Pneumologische Erkrankungen
Lungenembolie, Pleuritis, Pneumonie,
Pneumothorax, Mediastinalerkrankungen,
Neoplasien
Erkrankungen der Nerven und
des Bewegungsapparates
HWS- und BWS-Syndrom,
Interkostalneuralgie, Tietze-Syndrom,
Morbus Zoster, Myopathien
Gastrointestinale Erkrankungen
Refluxösophagitis, Hiatushernie, Ösophagusdivertikel, Ösophagusspasmus,
Achalasie, Ulcus ventriculi/duodeni,
Roemheld-Syndrom, Pankreatitis,
Cholezystopathien, subdiaphragmaler
Abszess, Milzinfarkt
Vegetative und psychische
Erkrankungen
Funktionelle Herzbeschwerden, Depression,
Panikattacken, hinter denen sich primäre
Tachykardien verbergen können
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
THERAPIE
Ziele und Indikationsstellung zur Therapie/
Prävention
Abbildung 2: Differenzialindikation zur Therapie der stabilen Angina pectoris
stabile Angina pectoris
Die wesentlichen Ziele der Behandlung/Prävention der stabilen Angina
pectoris sind:
Steigerung der Lebensqualität durch
Verminderung der Angina-pectorisHäufigkeit und -Beschwerden sowie
Verbesserung der Belastungsfähigkeit
und Verminderung von KHK-assoziierten psychischen Erkrankungen
(Depression, Angsttörungen)
Prävention von Folgeerkrankungen
der KHK, insbesondere Myokardinfarkt und Herzinsuffizienz
Reduktion der Sterblichkeit
Risiko-Evaluation
Anamnese und körperliche Untersuchung; koronare Risikofaktoren; Ruhe-EKG
hohe KHKWahrscheinlichkeit
(> 90 %, s. Tabelle 2)
Die Strategie zur Modifikation der
Risikofaktoren richtet sich nach dem
individuellen Gesamtrisiko des Patienten.
Dabei sollte für jeden Patienten eine
systematische Risikostratifizierung durchgeführt werden (Abbildung 2).
Die nicht-medikamentösen Therapiemöglichkeiten (Lebensstiländerungen)
bilden immer die Grundlage des
Risikofaktoren-Managements. Die
kontinuierliche Aufklärung, Beratung
und Schulung sind wesentliche
Elemente des Risikofaktoren-Managements, an dem alle behandelnden
Ärzte beteiligt sind.
Koronare Revaskularisation
Bei Patienten mit stabiler Angina pectoris
ist eine koronare Revaskularisation durch
perkutane Koronarangioplastie oder
koronare Bypass-Operation in Betracht
zu ziehen. Hierbei muss im fachärztlichen Konsil anhand einer Risikostratifizierung ermittelt werden, welche
Patienten von revaskularisierenden Eingriffen profitieren können (Tabelle 8).
Die therapeutischen Maßnahmen
können unterschieden werden in:
Behandlung des akuten Anginapectoris-Anfalls
Prophylaxe von Angina-pectorisAnfällen
Prävention der KHK
mittlere KHKWahrscheinlichkeit
(10–90 %, s.Tabelle 2)
geringe KHKWahrscheinlichkeit
(< 10 %, s. Tabelle 2)
Ischämiediagnostik
Primärprävention
negativ
positiv
bei Persistenz der
Beschwerden
Verlaufskontrolle und
Ausschluss extrakardialer Ursachen
Indikation zur
Koronarangiographie?
(s. Tabelle 6)
ja
11
Koronarangiographie
nein
medikamentöse
Therapie
Anfallskupierung
Anfallsprophylaxe
keine Interventionsmöglichkeit
negativ
Revaskularisation
(PTCA/Stent,
koronarer Bypass)
Prävention
Tabelle 8: Indikation zur Revaskularisation (21)
Hauptstammstenose (LCA), koronare 3-Gefäßerkrankung und koronare
1- und 2-Gefäßerkrankung mit Beteiligung des proximalen Ramus interventricularis anterior (RIVA). Die Reduktion der Mortalität durch eine BypassOperation im Vergleich zur medikamentösen Therapie ist vor allem bei eingeschränkter linksventrikulärer Funktion gesichert.
Koronarstenosen jeglicher Lokalisation, wenn der Patient trotz optimaler
Therapie symptomatisch ist oder ein Ischämienachweis für ein bedeutsames
Perfusionsareal vorliegt
manifeste Herzinsuffizienz bei ischämischer Kardiomyopathie mit
Ischämienachweis
maligne Rhythmusstörungen ischämischer Genese
mindestens 50 %ige Stenose an Koronargefäßen bei Herzoperationen anderer
Indikation (z. B. Klappenoperation)
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
THERAPIE
Bei der Wirkstoffauswahl sind neben
der Beachtung der Kontraindikationen
prinzipiell folgende Kriterien zu berücksichtigen:
Beleg der Wirksamkeit anhand klinischer Endpunkte, d. h. Reduktion
von Morbidität und Mortalität*,
Beleg der Wirkung hinsichtlich
Besserung von Symptomatik und
Belastungstoleranz,
Eignung von Wirkungsmechanismus
bzw. Wirkungsprofil für die individuelle Indikationsstellung,
individuelle Wirkung und Verträglichkeit,
Patientenpräferenzen.
stoffen (z. B. Sildenafil, Vardenafil,
Tadalafil) ist kontraindiziert.
Anwendungsbeschränkungen
bestehen bei der hypertrophen
obstruktiven Kardiomyopathie,
Pericarditis constrictiva, Perikardtamponade, Herzinfarkt und
Linksherzinsuffizienz mit niedrigen
Füllungsdrucken, Aorten- und
Mitralstenose, orthostatischen
Kreislaufregulationsstörungen und
Erkrankungen mit erhöhtem intrakraniellen Druck.
Behandlung des akuten
Angina-pectoris-Anfalls
Die wichtigsten Maßnahmen zur
Prophylaxe
von
Angina-pectorisAnfällen sind die Implementierung der
Prophylaxe von Anginapectoris-Anfällen
medikamentösen und nicht-medikamentösen Sekundärprävention und die
Koronar-Revaskularisation (33). Darüber
hinaus kommen Betarezeptorenblocker,
Kalziumantagonisten und Nitrate zum
Einsatz.
Pharmakotherapie
Betarezeptorenblocker
z. B. Atenolol, Bisoprolol, Metoprolol
Wirkung und Wirksamkeit
Betarezeptorenblocker senken
den kardialen Sauerstoffbedarf
durch Hemmung der Katecholaminwirkung auf Herzfrequenz, Kontraktilität
und Blutdruck. Sie vermindern hierdurch bei langfristiger Gabe die Anginapectoris-Symptome und verbessern
12
Mittel der Wahl zur symptomatischen
Behandlung des akuten Angina-pectoris-Anfalls sind Nitrate (s. auch
Abschnitt »Nitrate«). Sublinguales
Glyceroltrinitrat (GTN) führt in der
Regel zur Kupierung eines Anginapectoris-Anfalls in wenigen Minuten.
Sublinguales Isosorbiddinitrat
(ISDN) wirkt beim akuten Anfall
nicht ganz so schnell wie GTN
(GTN: 1 Min., ISDN: 5 Min.). Die
kurzwirkenden Nitrate können auch
prophylaktisch kurz vor einer
Belastung eingesetzt werden (4, 12,
35–37, 40).
UAW: In etwa 40 % kommt es zu
Kopfschmerzen, die meist nach
wiederholtem Gebrauch nachlassen.
Selten kann es durch eine ausgeprägte Blutdrucksenkung auch zu
Kollapszuständen kommen. Weitere
Nebenwirkungen treten hauptsächlich durch die Blutdrucksenkung auf
(z. B. Schwindel, Benommenheit).
Kontraindikationen: Bei kardiogenem Schock oder ausgeprägter
Hypotonie (systolischer Blutdruck 90 mmHg) dürfen Nitrate nicht eingenommen werden. Die Kombination
mit Phosphodiesterase-5-Hemm-
* Hierzu ist anzumerken, dass leider keine Endpunktstudien mit der Zielpopulation stabile KHK vorliegen.
Die vorhandenen klinischen Studien erfassen Patienten
nach Myokardinfarkt, mit arterieller Hypertonie oder
Hypercholesterinämie, die allerdings oft zusätzlich
eine KHK aufwiesen, wobei eine Übertragbarkeit nicht
unbedingt und lediglich in Analogie gegeben ist.
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
Tabelle 9: Vorgehen bei Angina-pectoris-Anfall
Akutbehandlung mit Nitraten
Ausschluss eines akuten Koronarsyndromes (Ruhe-Angina > 20 Min. oder
ischämische EKG-Veränderungen oder positiver Troponin-Test), bei V. a. ein
akutes Koronarsyndrom sofortige Klinikeinweisung (vgl. Tabelle 10)
Hypertonie, Tachykardie und Herzrhythmusstörungen behandeln (Therapie
der ersten Wahl: Betarezeptorenblocker)
Auslöser suchen
Überprüfung der Dauerbehandlung
Angiographie indiziert? (Tabelle 6)
Risikofaktoren behandeln
Nachsorge
Tabelle 10: Maßnahmen bei V. a. akutes Koronarsyndrom (21)
Sofortige Klinikeinweisung
Kontinuierliches Rhythmusmonitoring, Legen einer peripher-venösen
Verweilkanüle, Sauerstoffgabe (4–8 l/Min.) über Nasensonde
Acetylsalicylsäure (ASS) 500 mg intravenös, sofern der Patient nicht bereits
oral behandelt ist
Gabe von Glyceroltrinitrat 0,4–0,8 mg sublingual als Spray oder als
Zerbeißkapsel
Kontraindikationen sind zu beachten (systolischer Blutdruck < 100 mmHg).
Wiederholung unter Blutdruckkontrolle in Abständen von wenigen Minuten
bei Bedarf. Alternativ Gabe von Glyceroltrinitrat 1–3 mg/h intravenös über
Infusionspumpe
Bei therapierefraktärer Ruhe-Angina Opiate, vor allem Morphin in wiederholten Einzeldosen von 3–5 mg i. v. in Abständen von einigen Minuten bis
zur weitgehenden Schmerzfreiheit. Intramuskuläre Injektionen sind
grundsätzlich zu unterlassen!
Bei Hypertonie, Tachykardie oder nitrorefraktärer Ruhe-Angina pectoris
zusätzliche Gabe eines Betarezeptorenblockers (Kontraindikationen beachten)
Heparin 70 IE/kg als Bolus (alternativ niedermolekulare Heparine) bei instabiler
Angina pectoris und NSTEMI
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
THERAPIE
die Belastungstoleranz. Betarezeptorenblocker haben sich in der Sekundärprävention nach Myokardinfarkt als
prognostisch günstig erwiesen. Bei
Patienten mit Hypertonie reduzieren sie
nachweislich die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Obwohl speziell
für Patienten mit stabiler Angina
pectoris keine entsprechenden Daten
vorliegen, werden diese Ergebnisse als
Indikatoren für eine vorteilhafte
Wirksamkeit auch bei KHK-Patienten
akzeptiert (38, 41-60).
Weitere Hinweise
Aufgrund der günstigen Daten zur
Verbesserung von Symptomatik und
Belastungstoleranz sowie aufgrund ihrer
präventiven Wirksamkeit werden Betarezeptorenblocker als Arzneimittel der
ersten Wahl bei der Behandlung der
stabilen Angina pectoris angesehen.
Beta1-selektive Rezeptorenblocker
ohne partialagonistische bzw. intrinsische sympathomimetische Aktivität
(paA, ISA) sollten bei dieser Indikation bevorzugt eingesetzt werden.
Betarezeptorenblocker senken die
Mortalität von Patienten mit Herzinsuffizienz. Bei diesen Patienten ist
eine einschleichende Dosierung
notwendig (42, 59, 61).
Die Dosierung sollte so titriert werden, dass eine Reduktion der
Herzfrequenz in Ruhe auf 55–60
Schläge pro Minute erreicht wird.
Beta1-selektive Rezeptorenblocker
sind bei Patienten mit KHK und
Diabetes mellitus oder COPD nicht
kontraindiziert, sondern für die
Reduzierung kardiovaskulärer
Ereignisse von Vorteil (60, 62–65).
Betarezeptorenblocker sollten ausschleichend abgesetzt werden. Ein
Absetzen vor Operationen ist nicht
erforderlich.
Kalziumantagonisten
z. B. Diltiazem, Verapamil, Amlodipin,
Nicardipin, Nifedipin, Nisoldipin
Wirkung und Wirksamkeit
Kalziumantagonisten wirken bei
der Behandlung der Angina pectoris insbesondere durch Verringerung
von Kontraktilität und Nachlast. Langwirkende oder Retardformulierungen
kurzwirkender Kalziumantagonisten verbessern bei Dauermedikation Symptomatik und Belastungstoleranz bei
Angina pectoris im gleichen Ausmaß
wie Betarezeptorenblocker (41, 66–68).
Die Datenlage zur Beeinflussung
kardiovaskulärer
Ereignisse
durch langwirkende Kalziumantagonisten aus randomisierten kontrollierten
Studien ist widersprüchlich (3, 41, 46,
69–75).
Tabelle 11: Betarezeptorenblocker. Dosierung; wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), Arzneimittelinteraktionen (IA) und Kontraindikationen (KI) (pd: pharmakodynamische IA, pk: pharmakokinetische IA)
Wirkstoff
Tagesdosis (mg)
Wichtige UAW, IA, KI
50–100
UAW: Bradykardie, Verzögerung der
beta1-selektive Rezeptorenblocker
Atenolol
Bisoprolol
5–10
AV-Überleitung, Bronchokon-
Metoprolol
50–100
striktion, Vasokonstriktion, (»kalte«
Extremitäten)
IA:
Cimetidin und Chinidin erhöhen die
Wirkung lipophiler Betarezeptorenblocker (pk). Nichtsteroidale
Antiphlogistika (pd), Phenobarbital und
Rifampicin (pk) vermindern die
Wirkung von Betarezeptorenblockern.
Betarezeptorenblocker verlängern (und
maskieren) Antidiabetika-bedingte
Hypoglykämien (pd), vermindern die
Wirkung von Antiasthmatika (pd), verzögern die kardiale Erregungsleitung
bei Gabe herzwirksamer Substanzen
(Asystolie bei Kombination mit
Verapamil, pd), verstärken das
Clonidin-Absetzsyndrom (pd).
KI:
absolut: AV-Block, Bradykardie, SickSinus-Syndrom, Asthma bronchiale;
Depression
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
13
THERAPIE
Weitere Hinweise
Kalziumantagonisten sollten zur
Prophylaxe von Angina pectoris als
Mittel der zweiten Wahl angesehen
werden, ggf. als Kombinationspartner
für Betarezeptorenblocker, wenn mit
diesen keine ausreichende Symptomreduktion erzielt werden kann.
Im Allgemeinen ist eine Herzinsuffizienz als Kontraindikation für
Kalziumantagonisten zu beachten
(42, 61, 75).
Bei Bradykardie, Sick-Sinus-Syndrom,
AV-Überleitungsstörungen oder
Betarezeptorenblocker-Gabe sind
Nicht-Dihydropyridine (z. B.
Verapamil, Diltiazem) wegen der
Gefahr lebensbedrohlicher bradykarder
Rhythmusstörungen zu vermeiden.
Kalziumantagonisten sind wirksam
bei der symptomatischen
Behandlung einer vasospastischen
Angina (Prinzmetal-Angina) (28).
myokardialen Sauerstoffverbrauch. In
sublingualer Applikation haben sich
Glyceroltrinitrat und Isosorbiddinitrat als
wirksam zur Kupierung eines Anginapectoris-Anfalls erwiesen. Langwirkende
Nitrate verbessern die Symptomatik und
Belastungstoleranz bei Angina pectoris
(76–87).
Nitrate
Glyceroltrinitrat (GTN), Isosorbiddinitrat
(ISDN), Isosorbidmononitrat (ISMN),
Pentaerythrityltetranitrat (PETN)
Belege für eine Reduktion klinischer Endpunkte (kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität) durch
Nitrate liegen nicht vor.
Wirkung und Wirksamkeit
Nitrate senken durch Reduktion
von Vor- und Nachlast den
Tabelle 12: Kalziumantagonisten. Dosierung; wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), Arzneimittelinteraktionen (IA) und Kontraindikationen (KI) (pd: pharmakodynamische IA, pk: pharmakokinetische IA)
Wirkstoff
Tagesdosis (mg)
Wichtige UAW, IA, KI
Kalziumantagonisten
Verapamil-/Diltiazemtyp
Diltiazem ret.
Verapamil ret.
180–240 (–360)
240–480
UAW: bradykarde Rhythmusstörungen,
Obstipation, Flush, Beinödeme
IA:
keine gleichzeitige Gabe mit
Betarezeptorenblockern
KI:
SA- oder AV-Block 2.–3. Grades,
Sinusknotensyndrom, Bradykardie,
Schock, akuter Myokardinfarkt,
Herzinsuffizienz, Schwangerschaft u.
Stillzeit
5 (–10)
UAW: Flush, Kopfschmerz, Tachykardie
und Arrhythmie (sympathotone
Gegenregulation), Angina pectoris
(kontraindiziert bei instabiler Angina
pectoris und Zustand nach akutem
Myokardinfarkt < 4 Wo.), Gingivahyperplasie, Beinödeme
IA:
Cimetidin, Ranitidin und Grapefruit-Saft
erhöhen die Wirkung von
Dihydropyridinen (pk). Phenobarbital
und Rifampicin vermindern die
Wirkung von Kalziumantagonisten (pk).
Diltiazem, Verapamil und Nicardipin
erhöhen die Ciclosporin-Konzentration
(pk). Kombination von Betarezeptorenblockern mit Verapamil, Diltiazem kann
zu lebensbedrohlichen bradykarden
Rhythmusstörungen führen.
KI:
akuter Myokardinfarkt, instabile
Angina pectoris, Schwangerschaft u.
Stillzeit, HOCM, Aortenstenose;
Herzinsuffizienz
14
Dihydropyridine
Amlodipin
Nicardipin
60 (–90)
Nifedipin ret.
40 (–80)
Nisoldipin
10
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Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
THERAPIE
Weitere Hinweise
Schnellwirkende Nitrate sind
Mittel der ersten Wahl zur Anfallskupierung.
Langwirkende Nitrate sind für die
Prophylaxe von Angina-pectorisAnfällen wie Kalziumantagonisten als
Therapeutika der zweiten Wahl
anzusehen. Sie können bei Kontraindikationen für Betarezeptorenblocker sowie bei unzureichender
antianginöser Wirkung einer Monotherapie mit Betarezeptorenblockern
in Kombination mit diesen eingesetzt
werden. Es besteht eine synergistische
antianginöse Wirkung in Kombination
mit Betarezeptorenblockern.
Der Effekt von Nitratpflastern ist
nur für eine intermittierende
Applikation belegt.
Der Nitrattoleranz muss durch entsprechende Dosierungsvorgaben mit
einem Nitrat-freien Intervall von
8–12 Stunden begegnet werden.
In der Nitratpause bleiben kurzwirkende Nitrate wirksam (88–96).
Aus Studien mit kleinen
Patientenzahlen gibt es Hinweise auf
eine verminderte Toleranzentwicklung von PETN (97, 98).
Vorsicht ist bei hypertrophischer
obstruktiver Kardiomyopathie
(HOCM) und Aortenstenose geboten.
Tabelle 13: Nitrate. Dosierung; wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), Arzneimittelinteraktionen (IA) und
Kontraindikationen (KI) (pd: pharmakodynamische IA, pk: pharmakokinetische IA)
Wirkstoff
Nitrate
Kurzwirkend
Glyceroltrinitrat Spray
(GTN)
Tagesdosis (mg)
Einzeldosis (ED) (mg)
Wichtige UAW, IA, KI
ED 0,4 (–1,2)
UAW: vasomotorische Kopfschmerzen,
orthostatische Dysregulation, Hypotension, Flush, Benommenheit
IA:
schwerste Hypotonien mit
Phosphodiesterasehemmern
(Sildenafil, Vardenafil, Tadalafil) (pd)
KI:
ausgeprägte Hypotonie bzw.
Kreislaufversagen, Einnahme von
Phosphodiesterasehemmern
(Sildenafil, Vardenafil, Tadalafil).
HOCM, Aortenstenose.
Glyceroltrinitrat Zerbeißkaps.
(GTN)
ED 0,8
Glyceroltrinitrat Tropfen
(GTN)
ED 0,4–0,8
Langwirkend
Isosorbiddinitrat ret.
(ISDN) ret.
40–60–80 (–120)
Isosorbiddinitrat
(ISDN)
40–60 (–80)
Isosorbidmononitrat ret.
(ISMN) ret.
40–60 (–80)
Isosorbidmononitrat
(ISMN)
40–60 (–80)
Pentaerythrityltetranitrat
(PETN)
100–240
Tabelle 14: Molsidomin. Dosierung; wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), Arzneimittelinteraktionen (IA)
und Kontraindikationen (KI) (pd: pharmakodynamische IA, pk: pharmakokinetische IA)
Wirkstoff
Tagesdosis (mg)
Wichtige UAW, IA, KI
Molsidomin
2–4–6–12 (–16)
UAW, IA, KI wie bei Nitraten
Molsidomin ret.
8–16 (–24)
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
15
THERAPIE
Aufgrund der gemeinsamen Pathogenese besteht bei vielen Patienten
mit erektiler Dysfunktion eine KHK.
Hier sollte eine Evaluation des
kardiovaskulären Risikos erfolgen
(Anamnese, ggf. Belastungsuntersuchung). Umgekehrt sollte die
Anamnese von Patienten mit V. a.
KHK eine erektile Dysfunktion
einschließen (99). Die Interaktion
von Nitraten mit Phosphodiesterase5-Hemmstoffen (z. B. Sildenafil,
Vardenafil, Tadalafil) kann zu lebensbedrohlichem Blutdruckabfall führen.
Molsidomin
Wirkung und Wirksamkeit
Molsidomin hat eine den Nitraten vergleichbare Wirkung, jedoch ohne
sichere Toleranzentwicklung. Es wird –
z. B. abends appliziert – zur Überbrückung einer Nitratpause eingesetzt, welche zur Vermeidung einer
Nitrattoleranz erforderlich ist. Allerdings
ist die Datenlage zu Molsidomin vergleichsweise beschränkt (40, 100).
16
Belege für eine Reduktion klinischer Endpunkte (kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität) liegen
nicht vor.
Weitere Hinweise
Wie auch bei den Nitraten kann es
bei Molsidomin besonders zu Beginn
der Behandlung zu Kopfschmerzen
kommen. Bei höherer Dosierung
ggf. Abfall des Blutdrucks, Schwindelanfälle, Übelkeit, Kollaps.
Wegen des relativ langsamen
Wirkeintritts (ca. 20 Min. nach
Applikation) eignet es sich nur zur
Angina-Prophylaxe, nicht dagegen
zur Anfallskupierung.
Aufgrund tierexperimentell gefundener karzinogener Effekte ist die
Anwendung von Molsidomin bei
stabiler Angina pectoris nur bei
gleichzeitig bestehender Linksherzinsuffizienz zugelassen, wenn andere
Antianginosa nicht angezeigt sind,
nicht wirken oder unverträglich sind,
sowie bei Patienten im höheren Alter.
Die Übertragbarkeit der tierexperimentellen Ergebnisse auf den Menschen
konnte allerdings weitgehend ausgeschlossen werden (40).
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
Trapidil
Dem unspezifischen PhosphodiesteraseInhibitor Trapidil werden antiproliferative,
Thrombozyten-hemmende und vasodilatierende Eigenschaften zugesprochen.
Die genauen Wirkmechanismen sind
nicht bekannt.
Kleine Studien weisen darauf hin,
dass
bei
Patienten
nach
Myokardinfarkt
ein
kombinierter
Endpunkt aus verschiedenen kardiovaskulären Ereignissen durch Trapidil reduziert wird. Im Unterschied zu ASS zeigte
sich allerdings kein Einfluss auf die ReInfarktrate (101).
Es finden sich Hinweise aus kleinen Studien mit kurzer Laufzeit,
dass Trapidil bei Patienten mit KHK antianginöse Eigenschaften besitzen könnte
(102).
Die aufgrund kleiner PTCAStudien postulierte Senkung der
Re-Stenoserate nach PTCA hat sich in
einer größeren Studie bei Patienten
nach koronarer Stentimplantation nicht
bestätigt (103).
Medikamentöse Maßnahmen
ohne hinreichende Belege zur
Wirksamkeit
Für die folgenden Mittel und
Maßnahmen fehlen hinreichende
Belege zur Wirksamkeit aus klinischen
Studien als Begründung für eine therapeutische Anwendung:
Theophyllin, Papaverin, sog.
Koronardilatatoren
Chelattherapie
Homöopathie
Phytotherapie (z. B. Ammi visnaga,
Crataegus)
»Hormonersatztherapie« (HRT)
Berichte über kardioprotektive Wirkungen der sog. Hormonersatztherapie
entstammen nicht-intervenierenden
Studien. Kontrollierte Studien zur
Primär- als auch zur Sekundärprävention
erbrachten einen Anstieg des kardiovaskulären Risikos (104–110). Detailliertere
Informationen s. Empfehlungen der
AkdÄ zur Hormontherapie im Klimakterium (111).
Primär- und Sekundärprävention der koronaren
Herzkrankheit
Rauchen
Ein Drittel der Bevölkerung raucht
(112). Mehr als 20 % der 20- bis
49-jährigen Männer sind starke
Raucher mit einem Zigarettenkonsum > 20 pro Tag (113).
Ca. 30 % der Raucher haben im
letzten Jahr einen Aufhörversuch
unternommen. Dies ist ein Hinweis
auf das bestehende Präventionspotenzial (112).
Nichtintervenierende Studien weisen
auf eine höhere Gesamtletalität und
vermehrte kardiovaskuläre Ereignisse
bei Zigarettenrauchern hin. Das relative Risiko eines starken Rauchers ist
5,5fach erhöht (114). Ein Rauchstopp
führt zur Risikominderung hinsichtlich
koronarer Ereignisse und Sterblichkeit
(115).
Für die Wirksamkeit einiger nichtmedikamentöser Verfahren zur
Raucherentwöhnung wie z. B. ärztliche
Beratung, Selbsthilfeinterventionen, aber
insbesondere auch verhaltenstherapeutische Methoden gibt es gute Belege
(116–118).
Für andere nicht-medikamentöse
Verfahren wie Hypnose, Akupunktur oder reduziertes Rauchen liegen
keine hinreichenden Wirksamkeitsnachweise vor (117).
Da auch die physische Abhängigkeit
zu behandeln ist, bieten sich neben
den nachweislich wirksamen nichtmedikamentösen Verfahren zusätzliche pharmakotherapeutische
Maßnahmen an, die zu einer
Minderung der Entzugserscheinungen führen. Zur Tabakentwöhnung
sind in Deutschland Nikotin in verschiedenen Darreichungsformen
(Kaugummi, Pflaster, Nasalspray,
Inhaler, Sublingualtabletten) und
Bupropion zugelassen.
Die Wirksamkeit von Nikotin und
Bupropion hinsichtlich der Verbesserung der Abstinenzrate ist anhand
klinischer Studien nachgewiesen (117).
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
THERAPIE
Die Sicherheit der Nikotinsubstitutionstherapie erscheint auch für
die Anwendung bei Patienten mit
stabiler Angina pectoris hinreichend
belegt. Im Vergleich zur Nikotinsubstitutionstherapie liegen zu
Bupropion bislang nur begrenzte
Langzeiterfahrungen vor.
Interventionsstudien zur Morbidität oder Mortalität liegen für die
stabile KHK nicht vor.
Die Aufgabe des Rauchens ist die
wichtigste Einzelmaßnahme bei
Patienten mit Gefäßerkrankungen!
In Einrichtungen des Gesundheitswesens sollte grundsätzlich
nicht geraucht werden.
Weitere Hinweise s. Empfehlungen der
AkdÄ zur Therapie der Tabakabhängigkeit (117).
Weitere Informationen s. unter Fettstoffwechselstörungen, arterielle Hypertonie
bzw. in den jeweiligen Therapieempfehlungen der AkdÄ zu diesen
Erkrankungen (42, 128).
Alkohol
Nach den Ergebnissen von Beobachtungsstudien ist moderater
Alkoholkonsum nicht mit einem
erhöhten, sondern möglicherweise
mit einem etwas geringeren kardiovaskulären Risiko verbunden. Bei
höherem Alkoholkonsum (> 30
g/Tag) nimmt das Gesamtrisiko
jedoch zu (129–137).
Daher wird eine Reduktion des
Alkoholkonsums für Männer auf
< 30 g/Tag** und für Frauen < 20
g/Tag empfohlen (21).
Ernährung
Durch eine zielgerichtete Ernährungsumstellung kann das koronare Risiko signifikant gesenkt werden. Es wird eine
fettarme (Cholesterin < 300 mg/Tag)
und ballaststoffreiche (> 20 g/Tag)
Ernährung empfohlen, die reich an
Früchten, Gemüse und Kohlenhydraten
ist, und vor allem wenig gesättigte Fette
enthält (gesättigte Fettsäuren < 10 %
der Gesamtkalorien) (115, 120). Aus
Post-Infarkt-Studien liegen Hinweise vor,
dass eine »mediterrane« Ernährung
Mortalität und Re-Infarktrate senken
kann (121, 122).
Folsäure senkt den Risikofaktor
Homozystein und reduziert möglicherweise die Re-Stenoserate nach
Angioplastie. Endpunktbelege aus
Interventionsstudien stehen hierzu
jedoch noch aus (123, 124).
Für Vitamin E, C oder Betacaroten liegen keine hinreichenden und konsistenten Daten vor, die
eine Absenkung des Risikos für
Herzerkrankungen belegen (125–127).
Ernährungsempfehlungen für Patienten
mit Angina pectoris:
reichlich Gemüse und Früchte
öfters Fisch
Individuell angepasste Trainingsprogramme bilden die Grundlage
der kardiologischen Rehabilitation
und der ambulanten Herzgruppen.
wenig gesättigte Fette zugunsten
ungesättigter Fette und stärkehaltiger Produkte
Körperliche Aktivität
23,5 % der Männer und 15,4 % der
Frauen betätigen sich > 2 Std. pro
Woche sportlich (112).
Kontrollierte Studien belegen eine
erhöhte Belastungstoleranz und eine
Verbesserung von Ischämie-Parametern
bei trainierten Patienten mit stabiler
Angina pectoris im Vergleich zur
Kontrollgruppe (138, 139). Sowohl
moderate (Spazierengehen) als auch
intensive körperliche Aktivität stellen
einen unabhängigen positiven
Prognosefaktor für kardiovaskuläre
Ereignisse dar (140–142).
Ergebnisse aus Interventionsstudien
zur Sekundärprävention mit klinischen
Endpunkten zur Morbidität oder
Mortalität sind nicht vorhanden.
Über optimale Art, Ausmaß, Dauer
und Frequenz der körperlichen
Betätigung liegen keine hinreichenden Daten vor. Als Anhalt dient ein
regelmäßiges aerobes Ausdauertraining (3–7 x pro Woche, je
15–60 Min.) bei 40–60 % der
maximalen Leistungsfähigkeit und
im ischämiefreien Bereich (21).
** 1 g Alkohol = 7,1 kcal; Alkoholgehalt gebräuchlicher
Getränke in g/100 ml: Bier 2–5; Wein 6–11; Sekt 7–10;
Branntwein 32–50
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Übergewicht
Eine Adipositas (Body-Mass-Index >
30 kg/m2) weisen rund jede und
jeder fünfte Deutsche auf. Zwei
Drittel der Bevölkerung sind übergewichtig (BMI > 25 kg/m2) (112,
113).
Nichtintervenierende Studien weisen
auf ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Übergewicht
hin. Übergewicht erhöht die Inzidenz
der Risikofaktoren Hypertonie,
Diabetes mellitus und Hyperlipidämie. Kleinere aktuelle Studien weisen
darüber hinaus auf eine Bedeutung
der Adipositas als unabhängigen
Risikofaktor hin. Eine Gewichtsreduktion verbessert Hypertonie,
Diabetes mellitus und Hyperlipidämie und ist damit ein basaler
Bestandteil der KHK-Prävention.
Ergebnisse aus Interventionsstudien,
die durch Gewichtsreduktion bei
Adipositas unabhängig von den
genannten Risikofaktoren eine
Verminderung der kardiovaskulären
Morbidität oder Mortalität belegen,
sind allerdings nicht vorhanden
(125, 144–147).
Patienten mit Adipositas und
stabiler Angina pectoris sollen im
Hinblick auf eine Gewichtsreduktion
individuell beraten und behandelt
werden.
Arterielle Hypertonie
Die Prävalenz einer Hypertonie beträgt
bei Männern 29,7 % und bei Frauen
26,9 %. Hypertonie erhöht die Inzidenz
und Morbidität einer KHK (112, 113,
148, 149).
Als Therapieziel werden wie auch bei
Patienten mit Diabetes mellitus oder
Niereninsuffizienz Ruheblutdruckwerte
< 130/80 mmHg empfohlen (21, 42,
43, 148, 149).
Die Wirksamkeit im Sinne einer
Reduktion von kardiovaskulärer
Morbidität und Mortalität sowie der
Gesamtletalität ist für einzelne Antihypertensivagruppen in unterschiedlichem Maße belegt. Bei vergleichbarer
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
17
THERAPIE
Blutdrucksenkung (Surrogatparameter)
kann die Wirksamkeit auf diese klinischen Endpunkte unterschiedlich sein.
Dies sollte bei der Wirkstoffauswahl
berücksichtigt werden.
Die
beste
Datenlage
zur
Wirksamkeit anhand klinischer
Endpunkte (Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität)
existiert für Diuretika, Betarezeptorenblocker und ACE-Hemmer. Diese
Wirkstoffe werden daher als Therapeutika
der ersten Wahl zur Monotherapie der
unkomplizierten Hypertonie angesehen
(4, 42, 43, 111, 44–49, 60, 75, 148,
149).
18
Betarezeptorenblocker
sind
auch wirksam in der Prophylaxe
der Angina pectoris (s. o.) und werden
daher bei Patienten mit stabiler KHK
und Hypertonie als Therapie der ersten
Wahl angesehen. Betarezeptorenblocker
senken die Sterblichkeit von Patienten
nach Myokardinfarkt und bei Herzinsuffizienz (38, 44, 47–54, 149,
151–154).
ACE-Hemmer wirken günstig bei
Patienten mit stabiler KHK und
Herzinsuffizienz, nach Myokardinfarkt
und bei diabetischer Nephropathie (35,
41, 42, 59, 61, 149, 155–159).
Der ACE-Hemmer Ramipril senkte in der HOPE-Studie die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität bei
Patienten mit vaskulären Erkrankungen
sowie bei Patienten mit Diabetes mellitus und einem weiteren vaskulären
Risikofaktor. Bei den Patienten bestand
keine nachweisbare Einschränkung der
LV-Funktion, und die Ausgangsblutdruckwerte lagen im normotonen Bereich (im
Mittel < 140/80 mmHg) (156). Weitere
Studien sind jedoch notwendig um zu
klären, ob ACE-Hemmer die Progression
der Atherosklerose unabhängig von der
Blutdrucksenkung beeinflussen (160).
Nach
gegenwärtiger
Studienlage
gehören AT1-Antagonisten bei Patienten
mit stabiler KHK nicht zu den
Arzneimitteln der ersten Wahl. Die
Indikationen sind denen der ACEHemmern vergleichbar. Es liegen für
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
AT1-Antagonisten keine Ergebnisse zu
einer den ACE-Hemmer überlegenen
Wirksamkeit vor. Sie sind daher in der
Regel indiziert, wenn bei erforderlicher
Hemmung des Renin-AngiotensinSystems mit ACE-Hemmern (z. B.
Herzinsuffizienz, Nephropathie) keine
ausreichende Wirkung erzielt werden
kann oder bei deren Unverträglichkeit,
z. B. bei Hustenreiz (42, 161–165).
Die Datenlage zur Beeinflussung
kardiovaskulärer Ereignisse durch
langwirkende Kalziumantagonisten
aus randomisierten kontrollierten
Studien ist widersprüchlich (3, 41, 46,
70–75). Daher gehören langwirkende
Kalziumantagonisten bei Patienten mit
stabiler KHK trotz ihrer antianginösen
Wirkung nicht zu den Mitteln der ersten
Wahl zur Behandlung einer arteriellen
Hypertonie, können jedoch bei Kontraindikationen
gegenüber
anderen
Substanzen oder in Kombination eingesetzt werden.
Der Kalziumantagonist Amlodipin
zeigte in der ALLHAT-Studie bei
Patienten mit arterieller Hypertonie und
mindestens einem weiteren kardiovaskulären Risikofaktor im Vergleich mit
dem Thiaziddiuretikum Chlortalidon
und dem ACE-Hemmer Lisinopril die
gleiche Reduktion der kardiovaskulären
Mortalität (75). Über 50 % der eingeschlossenen Patienten wiesen eine KHK
auf. Der sekundäre Endpunkt Herzinsuffizienz wurde unter Amlodipin im
Vergleich zu Chlortalidon häufiger beobachtet. Das Thiazid war im Vergleich zu
Amlodipin und Lisinopril in Bezug auf
sekundäre Endpunkte überlegen.
Bei allen Patienten mit KHK und
arterieller Hypertonie muss der
Blutdruck regelmäßig kontrolliert
und behandelt werden. Therapieziel: Senkung der Ruheblutdruckwerte < 130/80 mmHg.
Betarezeptorenblocker sind wirksam zur Prophylaxe der Angina
pectoris.
Patienten nach Myokardinfarkt
und Patienten mit eingeschränkter
Myokardfunktion sollten mit ACEHemmern und Betarezeptorenblockern behandelt werden.
Weitere Hinweise zur Diagnostik und
Therapie s. Empfehlungen der AkdÄ zur
Therapie der arteriellen Hypertonie (42).
Hyperlipidämie
Über ein Drittel der 18- bis 79-jährigen
Männer und Frauen in Deutschland
haben einen Cholesterinspiegel > 250
mg/dl. LDL-Cholesterin und Triglyzeride
sowie erniedrigte HDL-Cholesterinspiegel stellen unabhängige kardiovaskuläre Risikofaktoren dar (PROCAM)
(22, 113). Unter den behandelbaren
kardiovaskulären Risikofaktoren kommt
den Lipiden nach dem Zigarettenrauchen die wichtigste Bedeutung zu
(118, 167).
Eine lipidsenkende Therapie mit
HMG-CoA-Reduktasehemmern
(Statinen) senkt bei Patienten mit stabiler KHK sowohl die kardiovaskuläre
Morbidität und Mortalität als auch die
Gesamtmortalität. Statine vermindern
Komplikationen der Atherosklerose wie
Schlaganfall und pAVK. Nach aktueller
Datenlage ist hierbei von einem
Klasseneffekt der Statine auszugehen.
Die absolute Risikoreduktion hängt vom
globalen Risiko eines Patienten ab
(Abbildung 1). Es wurde gezeigt, dass
auch Patienten mit KHK und LDLAusgangswerten < 100 mg/dl von einer
Behandlung mit Statinen profitieren
(ASCOT, HPS) (3, 4, 35, 104, 128,
167–171, 182–185).
Lipidsenkende Arzneimittel der zweiten Wahl sind Fibrate und Anionenaustauscher (128).
Eine Kombinationstherapie mit
Statinen und dem Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib
verstärkt die cholesterinsenkende Wirkung. Über klinische
Wirksamkeit und UAW liegen noch
keine ausreichenden Daten vor
(186–189).
Bei Patienten mit KHK wird eine
Senkung des LDL-Cholesterins auf
< 100 mg/dl empfohlen. Als Mittel
der ersten Wahl werden Statine
eingesetzt.
Ausführliche Hinweise s. Empfehlungen
der AkdÄ zur Therapie von Fettstoffwechselstörungen (128).
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
THERAPIE
Diabetes mellitus
erforderlichen Zielparameter anzustreben (60).
Beobachtungsstudien weisen auf ein
3- bis 10fach erhöhtes Risiko für
kardiovaskuläre Morbidität und
Mortalität bei Diabetes mellitus Typ
1 hin, bei Typ 2 Diabetikern ist das
Risiko 2- bis 4fach erhöht. 80 % der
Patienten mit Diabetes versterben an
vaskulären Komplikationen. In den
USA weisen 25 % aller Patienten mit
Myokardinfarkt eine diabetische
Stoffwechsellage auf. In Bezug auf
das kardiovaskuläre Risiko wird
Diabetes mellitus daher als KHKÄquivalent angesehen, d. h. es
gelten die Lipid- und Blutdruckzielwerte der Sekundärprävention,
unabhängig davon, ob bereits eine
stenosierende KHK dokumentiert ist
(149, 190, 191).
Trotz unzureichender Datenlage ist
in Anbetracht des hohen kardiovaskulären Risikos bei gemeinsamem
Auftreten von stabiler Angina pectoris
und Diabetes mellitus, aber auch in
Anbetracht der möglichen Prävention mikrovaskulärer Komplikationen
eine konsequente Einstellung auf die
Auf der Grundlage der in Tabelle 15 aufgeführten Zielgrößen sind mit dem
Patienten individuelle Therapieziele zu
vereinbaren.
Therapie des Diabetes mellitus: s.
Empfehlungen der AkdÄ zur Therapie
des Diabetes mellitus (192).
Thrombozytenfunktionshemmer
Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel
Wirkung und Wirksamkeit
Thrombozytenfunktionshemmer
wirken über ihre aggregationshemmenden Eigenschaften antithrombotisch. Acetylsalicylsäure (ASS) hemmt
die Cyclooxygenase und die Synthese
von Thromboxan-A2 in Thrombozyten.
ASS (75–325 mg/Tag) reduziert bei
Patienten mit hohem kardiovaskulären
Risiko oder stabiler Angina pectoris das
Risiko nichttödlicher Myokardinfarkte
und Schlaganfälle sowie der vaskulären
und der gesamten Mortalität um etwa
ein Drittel (193–199). Wirksamkeitsunterschiede im genannten Dosisbereich
fanden sich nicht.
Die Wirksamkeit von Clopidogrel
im Vergleich zu ASS wurde in der
CAPRIE-Studie an 19.185 Patienten mit
kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall, pAVK) über einen
Beobachtungszeitraum von ein bis drei
Jahren untersucht. Im Gesamtkollektiv
fand sich hierbei für den kombinierten
Endpunkt (ischämischer Schlaganfall,
Herzinfarkt, vaskulär bedingter Tod)
unter Clopidogrel (5,32 %) im Vergleich
zu ASS (5,83 %) eine geringfügige,
aber statistisch signifikante (p = 0,043)
Reduktion des absoluten Risikos
(–0,51 %). Vergleichende Studien bei
Patienten mit stabiler KHK liegen nicht
vor (195, 200).
Weitere Hinweise
Jeder Patient mit einer stabilen
Angina pectoris sollte lebenslang mit
einem Thrombozytenfunktionshemmer behandelt werden, sofern
keine Kontraindikation vorliegt.
Tabelle 15: Therapeutische Zielgrößen für erwachsene Diabetiker (192)
Indikator
Zielwertbereich
Blutglukose (kapillär)
nüchtern/präprandial
90–120 mg/dl (5,0–6,7 mmol/l)
1–2 Std. postprandial
130–160 mg/dl (7,2–8,9 mmol/l)
vor dem Schlafengehen
110–140 mg/dl (6,1–7,8 mmol/l)
HbA1c
6,5 %
Lipoproteine (Diabetiker mit makrovaskulären Erkrankungen)
Gesamt-Cholesterin
< 170 mg/dl (< 4,4 mmol/l)
LDL-Cholesterin
< 100 mg/dl (< 2,5 mmol/l)
HDL-Cholesterin
> 40 mg/dl (> 1,0 mmol/l)
Triglyzeride (nüchtern)
< 150 mg/dl (< 1,71 mmol/l)
Body mass index
< 25 kg/m2
Blutdruck
systolisch
130 mmHg
diastolisch
80 mmHg
LDL: low density lipoprotein; HDL: high density lipoprotein
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
19
THERAPIE
ASS stellt aufgrund der guten Belege
zur Wirksamkeit und auch hinsichtlich der geringen Kosten die Substanz
der ersten Wahl für die Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse
dar. Bei Kontraindikationen bzw.
Unverträglichkeit einer ASS-Gabe
wird die Behandlung mit
Clopidogrel empfohlen (200).
Die Häufigkeit unerwünschter
gastrointestinaler Wirkungen unter
ASS ist sowohl innerhalb des
genannten Dosisbereichs als auch
unter den verschiedenen galenischen
Darreichungsformen (einschließlich
»verkapselter« Präparationen) vergleichbar (201).
In der Prophylaxe gastrointestinaler
Nebenwirkungen unter Therapie mit
nichtsteroidalen Antiphlogistika haben
sich Omeprazol und Misoprostol als
wirksam erwiesen. H2 -Rezeptorenblocker sind weniger, Antazida nicht
effektiv.
Zusammenfassende
Empfehlung
Die wesentlichen Behandlungsziele
bei der stabilen Angina pectoris sind
die Verbesserung von Symptomatik,
Belastungstoleranz und Lebensqualität sowie die Prävention von
Ischämien, Myokardinfarkt,
Herzinsuffizienz und vorzeitiger
Sterblichkeit.
Bei der Diagnostik steht die Beurteilung des kardiovaskulären Risikos an
erster Stelle. Die Risikoeinstufung
und die Ermittlung des Schweregrades bilden die Grundlage für
Entscheidungen zu einer erweiterten
Diagnostik und bestimmen die
Indikation für Therapie und
Prävention. Im fachärztlichen Konsil
ist zu ermitteln, welche Patienten
von weiteren diagnostischen und
revaskularisierenden Eingriffen profitieren können.
Bei allen Patienten mit stabiler Angina
pectoris sind die Risikofaktoren für
Tabelle 16: Thrombozytenfunktionshemmer. Dosierung; wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), Arzneimittelinteraktionen (IA) und Kontraindikationen (KI) (pd: pharmakodynamische IA, pk: pharmakokinetische IA)
Wirkstoff
Tagesdosis (mg)
Wichtige UAW, IA, KI
Acetylsalicylsäure
(75–) 100 (–325)
UAW: Magenbeschwerden, Übelkeit,
Erbrechen, Durchfall, gastrointestinale
Blutungen, asthmoide Reaktionen, allerg.
Hautreaktionen bis hin zum Erythema
exsudativum multiforme, Kopfschmerzen,
Somnolenz, Störungen der Leber- und
Nierenfunktion, Hypoglykämie, Ödeme
IA:
Antikoagulanzien, Kumarinderivate,
Heparin, Kortikosteroide, Alkohol:
Verstärkung d. Blutungsrisikos (pd);
Digoxin, Barbiturate, Lithium: erhöhte
Plasmakonzentration (pk); nichtsteroidale Antiphlogistika: verstärkte
Wirkung bzw. UAW (pd); orale
Antidiabetika, Methotrexat, Sulfonamide:
verstärkte Wirkung (pd); Antihypertensiva, Diuretika, Urikosurika: verminderte
Wirkung (pd)
KI:
Ulkus, Asthma, Blutungsneigung,
Schwangerschaft, allergische Reaktion
auf ASS
Clopidogrel
75
UAW: Durchfall, Übelkeit, Dyspepsie,
Exanthem, Gelenkschmerzen,
Neutropenie, TTP (MoschcowitzSyndrom), Blutungen, Kopfschmerzen,
Benommenheit, Parästhesien
IA:
Acetylsalicylsäure, Fibrinolytika, nichtsteroidale Antiphlogistika: verstärkte
Wirkung (pd); Phenytoin, Tolbutamid,
nichtsteroidale Antiphlogistika: möglicherweise erhöhte Plasmakonzentrationen
dieser Arzneimittel (pk)
KI:
Schwere Leberfunktionsstörungen,
akute pathologische Blutungen, Stillzeit
20
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
THERAPIE
die Entstehung und Progression der
KHK zu behandeln. Hierbei sind
jeweils nicht-medikamentöse und
medikamentöse Maßnahmen zu
berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere Tabakabhängigkeit,
Fettstoffwechselstörungen,
Diabetes mellitus, arterielle
Hypertonie, Adipositas, Ernährung
und körperliche Aktivität.
Für die medikamentöse Langzeittherapie der stabilen Angina pectoris sind diejenigen Wirkstoffe als
Mittel der ersten Wahl anzusehen,
für die eine sekundärpräventive
Wirksamkeit im Sinne der
Reduktion der kardiovaskulären
Morbidität und Mortalität belegt
werden konnte:
1. Alle Patienten mit stabiler Angina
pectoris sollten mit Thrombozytenfunktionshemmern behandelt
werden. Acetylsalicylsäure ist
hierfür Mittel der ersten Wahl. Bei
Unverträglichkeit oder Kontraindikationen kommt Clopidogrel
zum Einsatz.
2. Bei Patienten mit KHK ist ein LDLCholesterin < 100 mg/dl anzustreben. Falls diätetische Maßnahmen nicht ausreichen, werden
Statine als Therapeutika der
ersten Wahl eingesetzt, da für sie
eine Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität
bewiesen wurde.
3. Zur medikamentösen Langzeitprophylaxe von Angina-pectorisAnfällen stehen Betarezeptorenblocker, Kalziumantagonisten,
Nitrate und Molsidomin zur
Verfügung. Betarezeptorenblocker sind hier als Mittel der
ersten Wahl anzusehen, da für sie
– im Gegensatz zu den anderen
Wirkstoffen – neben der günstigen
Beeinflussung von pektanginösen
Beschwerden und Belastungstoleranz auch eine sekundärpräventive Wirksamkeit nachgewiesen ist.
4. Patienten mit stabiler Angina
pectoris sollten über schnell
wirkendes Glyceroltrinitrat zur
Kupierung akuter Anfälle verfügen. Nitrate haben keinen
Einfluss auf die Mortalität der KHK.
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
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Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
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Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
ANHANG
Kurzgefasster LeitlinienReport zur Methodik
Weitergehende Ausführungen s. (1).
Die Erarbeitung der Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) erfolgt unter
wesentlicher Berücksichtigung der »Beurteilungskriterien für Leitlinien in der
medizinischen Versorgung – Beschlüsse
der Vorstände von Bundesärztekammer
und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Juni 1997« (2).
diges und verantwortliches ärztliches
Handeln im Individualfall weder einschränken noch ersetzen kann.
3. Adressaten
Die Empfehlungen/Leitlinien wurden,
entsprechend dem Geltungsbereich der
Arzneimittel-Richtlinien, vorrangig für
niedergelassene, hauptsächlich im allgemeinmedizinischen/hausärztlichen Bereich
tätige Ärzte konzipiert, können aber in
gleicher Weise auch dem in der Klinik
tätigen Arzt hilfreich sein.
1. Gründe
4. Autoren/Herausgeber
Formaler Anlass und Grundlage für die
Erarbeitung der Therapieempfehlungen
der Arzneimittelkommission sind die
Arzneimittel-Richtlinien, in deren Nr. 14
es heißt: »Es wird empfohlen, insbesondere die von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft erstellten
und in ›Arzneiverordnung in der Praxis‹
veröffentlichten Therapieempfehlungen
in der jeweils aktuellen Fassung zu berücksichtigen.« Inhaltlich entspricht es
zugleich der Grund- und Gründungsintention der Arzneimittelkommission, gesichertes Wissen der Pharmakotherapie
in die tägliche Verordnungspraxis zu
überführen, um bestehenden therapeutischen Defiziten zu begegnen.
Die Therapieempfehlungen/Leitlinien
werden herausgegeben von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Die bereits 1911 zur Förderung
einer rationalen Arzneimitteltherapie
gegründete Kommission ist heute ein
wissenschaftlicher Fachausschuss der
Bundesärztekammer und rekrutiert sich
aus Mitgliedern der verschiedensten
medizinischen Fachgebiete. Dies ist
wesentliche Grundlage für die interdisziplinäre Erstellung der Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission, in deren Arbeitsgruppen neben
den Vertretern der das Thema betreffenden Disziplinen immer auch Allgemeinmediziner, Pharmakologen und/oder
klinische Pharmakologen und ggf. Biometriker einbezogen sind. Mitglieder der
Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft unterzeichnen eine Erklärung
zur Unabhängigkeit von Interessenbindungen.
2. Ziele der Empfehlungen/
Leitlinien
Ziel der Empfehlungen/Leitlinien ist es,
soweit möglich, Transparenz zu schaffen,
welche therapeutischen »Endpunkte«
(Senkung von Letalität, Morbidität, symptomatische Besserung, Beeinflussung
von Surrogatparametern) mit den einzelnen Maßnahmen der Pharmakotherapie nach Aussage klinischer Studien zu
erreichen sind. Diese Transparenz ist
Voraussetzung für eine rationale und
wirtschaftliche Arzneitherapie und dient
dem grundlegenden Ziel aller Medizin,
nämlich der Sicherung und Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Patienten. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
ist sich dabei bewusst, dass derartige
Empfehlungen/Leitlinien niemals allen
Einzelfällen in der medizinischen Praxis
gerecht werden können. Sie sind als
eine solide Plattform der therapeutischen
Vernunft zu verstehen, die aber selbststän-
5. Träger/Finanzierung
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft wird finanziert von
Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung.
6. Themenauswahl
Um eine willkürliche Themenwahl zu
vermeiden, stützt sich die Arzneimittelkommission grundlegend auf die EVaSStudie (3), die Auskunft darüber gibt, mit
welchen 20 Hauptanliegen oder Hauptdiagnosen Patienten den allgemeinmedizinisch tätigen Arzt aufsuchen. Weitere
Gesichtspunkte zur Erstellung von Therapieempfehlungen sind vermutete therapeutische Defizite (z. B. Tumorschmerzbehandlung), Gebiete mit größeren the-
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
rapeutischen Unsicherheiten bei gleichzeitig hoher Prävalenz (z. B. Behandlung
von Rückenschmerzen oder funktionellen
Magen-Darm-Störungen) und Gebiete,
für die nachgewiesen wurde, dass durch
konsequente Behandlung eine Reduktion von Morbidität und/oder Letalität
zu erreichen ist (z. B. Therapie von Fettstoffwechselstörungen und der arteriellen Hypertonie). Der Beschluss zur Erarbeitung einer Therapieempfehlung wird
vom Vorstand der Arzneimittelkommission gefasst.
7. Erstellung und
Konsensusprozess
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission werden von den entsprechenden Fach- und allgemeinmedizinischen Mitgliedern nach einem festgelegten Procedere erarbeitet (Abbildung 1).
Themenauswahl, Aufstellung der Arbeitsgruppe und Literaturaufarbeitung
erfolgen wie unter 4., 6. und 8. skizziert.
Ein vom federführenden Autor erstelltes
Erstmanuskript wird innerhalb der
Arbeitsgruppe konsentiert und danach
einem Panel vorwiegend allgemeinmedizinisch-hausärztlich arbeitender Kollegen zur Kritik insbesondere hinsichtlich
der Praxistauglichkeit vorgelegt. Dies ist
ein Prozess, der einen persönlichen,
schriftlichen, z. T. auch anonymisierten
Meinungsabgleich und in der Folge
zahl- und umfangreiche Textmodifikationen beinhaltet. Auf dem seit mehreren Jahren hierfür institutionalisierten
»Therapie-Symposium« der Arzneimittelkommission wird das noch vorläufige
Papier der Öffentlichkeit zur Diskussion
gestellt und nachfolgend nationalen
oder internationalen wissenschaftlichen
Fachgesellschaften zur Begutachtung
und Abstimmung übergeben. Letztlich
muss die Therapieempfehlung vom Vorstand der Kommission im Konsens als
publikationsreif verabschiedet werden.
8. Identifizierung und
Interpretation der Evidenz
Am Anfang aller Überlegungen zur Evidenzermittlung für eine Therapieempfehlung steht die klinische Fragestellung,
für welche therapeutisch relevanten
Aussagen die Darstellung des Belegtheitsgrades anhand der Literatur wünschenswert bzw. erforderlich erscheint. Es folgt
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
27
ANHANG
eine Literaturrecherche, die abhängig
vom Gegenstand einen extensiven oder
auch nur ergänzenden Charakter z. B.
dann trägt, wenn, wie bei den Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission üblich, ausgewiesene Spezialisten
bereits über einen hinreichenden Fundus
verfügen. Die Recherchen werden mit
Datenbanken, wie z. B. Medline,
Cochrane Library, Drugdex, durchgeführt, enthalten aber auch Suchen in
den Internetangeboten z. B. der AHCPR,
der Canadian Medical Association, des
Scottish Intercollegiate Guidelines Network, des New Zealand Guidelines
Project sowie in den Internetseiten der
nationalen und internationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Gegenstand der Suche sind in der Regel publizierte randomisierte kontrollierte Studien,
Meta-Analysen, systematische Reviews,
ggf. auch als Bestandteil bereits existierender Leitlinien. Die Rechercheergebnisse werden nach Ein- und Ausschlusskriterien selektiert, die sich von der speziellen Fragestellung ableiten. Die
Bewertung der Studien hat allgemein-
gültigen biometrischen Anforderungen,
wie z. B. Eignung der Hauptzielkriterien
für die Aussage, hinreichende Fallzahl,
Repräsentativität der Studienpopulation,
relevante Dosierungen, Signifikanz des
Ergebnisses, Rechnung zu tragen, muss
aber erforderlichenfalls auch den Besonderheiten der Arzneimittelprüfung bei
bestimmten Erkrankungen gerecht werden (s. z. B. Empfehlungen der CPMPGuidelines für die Demenz). Systematische Fehler sind prinzipiell auf der Ebene
der Informationsselektion und -bewertung möglich. Es wird versucht, ihr Auftreten durch Sorgfalt bei der Recherche
und interpersonellen Abgleich bei der
Bewertung zu minimieren. Der Belegtheitsgrad wird anhand von vier Stufen
kategorisiert (s. Seite 2: Kategorien zur
Evidenz). Die Aussagen zur Evidenz
müssen prioritär in die entsprechenden
therapeutischen Überlegungen einbezogen werden, sind aber nur ein – wenn
auch sehr bedeutsames – Instrument im
Konzert der therapeutischen Entscheidung (s. a. Punkt 2. und Seite 2
»Evidenz in der Medizin«). Die Limitie-
rung evidenzbasierter Klassifizierungen
zeigt sich in Situationen, in denen keine
oder nur unzureichende klinische
Studien vorhanden sind, z. T. weil der
Durchführung, wie beispielsweise bei
der Tumorschmerztherapie, verständliche ethische Bedenken entgegenstehen.
9. Pharmakoökonomische
Aspekte
Die Arzneimittelkommission erkennt die
Bedeutung von Kostenaspekten im Sinne
einer wirtschaftlichen Arzneimittelverordnung. Bei unumstrittener Priorität
der Qualitätssicherung wird sich die Arzneimittelkommission daher auch Fragen
der Wirtschaftlichkeit nicht verschließen,
sofern sie sich mit den Prinzipien einer
rationalen Pharmakotherapie zum Wohle
der Patienten in Einklang bringen lassen.
In den Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission sind Einsparpotenziale implizit, denn auf lange Sicht ist
eine rationale Pharmakotherapie zumeist
auch eine rationelle Therapie. Hinsichtlich der Implementierung von KostenNutzen-Analysen muss jedoch betont
28
Abbildung 1: Vorgehen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) bei der Erstellung von
Therapieempfehlungen
Öffentliche Präsentation und Diskussion
auf Therapie-Symposien der AkdÄ
Diskussion und Konsensusfindung
in der Arbeitsgruppe
Literaturaufarbeitung
und Erstellung
eines ersten Manuskripts
Abstimmung mit
Hausärztepanel
Erstellung einer
Arbeitsgruppe
Abstimmung mit
wissenschaftlichen
Fachgesellschaften
Themenselektion
Vorstand der AkdÄ
Freigabe zur Publikation
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
ANHANG
werden, dass es für die meisten therapeutischen Interventionen bislang nur
eine unzureichende Datenlage gibt, die
eine sichere Abschätzung ökonomischer
Konsequenzen kaum gestattet (4).
Zudem ist auf die Gefahr hinzuweisen,
dass »mit Kosten-Nutzen-Analysen …
soziale und moralische Entscheidungen
pseudorational verdeckt« werden, »die
eigentlich normativer Natur und daher
nur politisch zu lösen sind« (5).
10. Gestaltung
Ein sorgfältig erarbeiteter Inhalt verlangt
eine adäquate Form. Obwohl keine gesicherten Erkenntnisse über den Einfluss
der Gestaltung auf die Wirkung von Leitlinien vorliegen, geht die Arzneimittelkommission davon aus, dass eine übersichtliche druckgraphische Gestaltung,
eine für alle Therapieempfehlungen gleiche Gliederung und eine konzise, aber
dennoch klare Diktion die Attraktivität
des Informationsangebots erhöhen und
damit auch die Bereitschaft fördern, sich
mit dem Thema auseinanderzusetzen.
11. Aktualisierung
Eine Überarbeitung und Neuauflage der
Empfehlungen ist in der Regel nach drei
Jahren vorgesehen. Dies ist auch abhängig vom Aktualisierungsbedarf und kann
daher früher, ggf. auch später, erfolgen
(6).
12. Abstimmungsprozess
mit wissenschaftlichen
Fachgesellschaften
Abstimmung wird in diesem Zusammenhang verstanden als Akzeptanz wesentlicher inhaltlicher Grundzüge, nicht
jedoch Meinungsidentität im Detail.
Hierbei wird selbstverständlich anerkannt, dass sich auch innerhalb der
Fachgesellschaften Mitglieder unterschiedlicher Auffassung finden können.
Die hier vorliegenden Therapieempfehlungen wurden inhaltlich abgestimmt mit der Deutschen Gesellschaft
für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung.
lungsleitlinie) »für den Praxisschreibtisch« und eine Patienteninformation
erstellt. Auf Anfrage können auch
Inhalte der Therapieempfehlungen (z. B.
Abbildungen und Tabellen) als
Overheadfolien
für
Fortund
Weiterbildung bezogen werden. Es ist
zentrales Anliegen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, die
wissenschaftlich fundierten Therapieempfehlungen einem möglichst großen
Ärztekreis als Leitfaden für die eigene
therapeutische Praxis zugänglich zu
machen. Diese Intention wird unterstützt durch den bereits zitierten
Hinweis in Nr. 14 der ArzneimittelRichtlinien des Bundesausschusses der
Ärzte und Krankenkassen. Ärzte, die die
Therapieempfehlungen der AkdÄ nicht
kostenfrei über ihre kassenärztlichen
Vereinigungen zugestellt bekommen,
können die Therapieempfehlungen
gegen eine Gebühr erhalten (s. letzte
Umschlagseite).
Die Therapieempfehlungen sind im
Internet unter www.akdae.de frei zugänglich. Die für Arzneimittelfragen zuständigen Mitarbeiter in den KVen werden
als Multiplikatoren einer rationalen Arzneimitteltherapie regelmäßig über die
erscheinenden Therapieempfehlungen
informiert. Die Arzneimittelkommission
hat weiter in einer Information an alle
Lehrstuhlinhaber für Pharmakologie und
Klinische Pharmakologie angeregt, die
Therapieempfehlungen in der Lehre zu
nutzen, um so bereits Studenten eine
evidenzbasierte Sicht der Pharmakotherapie nahezubringen.
1.
Lasek R, Müller-Oerlinghausen B: Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft – Ein Instrument zur
Qualitätssicherung in der Arzneimitteltherapie.
Z Ärztl Fortbild Qualitätssich 1997; 91 (4):
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2.
Bundesärztekammer
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Kassenärztliche
Bundesvereinigung: Beurteilungskriterien für
Leitlinien in der medizinischen Versorgung –
Beschlüsse der Vorstände von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Juni 1997. Deutsches Ärzteblatt 1997; 94:
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3.
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung
in der Bundesrepublik Deutschland: Die EvaSStudie. Eine Erhebung über die ambulante medizinische Versorgung in der Bundesrepublik
Deutschland. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag,
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4.
Scottish Intercollegiate Guidelines Network:
SIGN Guidelines – An introduction to SIGN
methodology for the development of evidencebased clinical guidelines, SIGN Publication
Number 39, 1999.
5.
Arnold M: Solidarität 2000 – Die medizinische
Versorgung und ihre Finanzierung nach der
Jahrtausendwende. Stuttgart: F. Enke, 1993.
6.
Shekelle PG, Ortiz E, Rhodes S et al.: Validity of
the Agency for Healthcare Research and Quality
Clinical Practice Guidelines. How quickly do
guidelines become outdated? JAMA 2001; 286:
1461–1467.
29
14. Evaluation
Die Evaluierung von Therapieempfehlungen hinsichtlich ihres Einflusses auf
Arzneiverordnung, Kosten und Beeinflussung verschiedener therapeutischer
Ziele wird zunächst im Rahmen von
Einzelprojekten angestrebt.
13. Implementierung und
Verbreitung
Auf der Grundlage der ausführlichen
Evidenz-gestützten Therapieempfehlung werden eine Kurzfassung (Hand-
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
IMPRESSUM
30
Herausgeber
Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft
Redaktion
Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft vertreten durch den Vorstand;
Prof. Dr. med. D. Höffler (v.i.S.d.P.),
Prof. Dr. med. R. Lasek,
Prof. Dr. med. H. K. Berthold
J. D. Tiaden, Arzt und Apotheker
Anschrift der Redaktion
Geschäftsstelle der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Postfach 41 01 25
50861 Köln
Telefon: 02 21 / 40 04 -528
Telefax: 02 21 / 40 04 -539
E-Mail: [email protected]
www.akdae.de
ISSN 0939-2017
Koronare Herzkrankheit ~ 1. Auflage 2004
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Telefax: 0 22 26 / 91 32 32
Hinweis
Die in den TE enthaltenen Dosierungsangaben sind Empfehlungen.
Sie müssen dem einzelnen Patienten
und seinem Zustand angepasst
werden. Die angegebenen Dosierungen wurden sorgfältig überprüft.
Da wir jedoch für die Richtigkeit
dieser Angaben keine Gewähr übernehmen, bitten wir Sie dringend,
die Dosierungsempfehlungen der
Hersteller zu beachten.
© Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft, Köln 2004
Die Therapieempfehlungen einschließlich
Handlungsleitlinie sind urheberrechtlich
geschützt. Jede Verwertung in anderen
als in den gesetzlich zugelassenen Fällen
bedarf der vorherigen Genehmigung
der AkdÄ.
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft