44-49 Pilates
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44-49 Pilates
Pilates ist mehr als nur ein Turnprogramm. Die vor rund 80 Jahren entwickelten Übungen sind simpel – und sehr wirksam. Sporttherapeuten und Ärzte schwören auf die Methode, die auch als Fitness-Programm immer mehr Anhänger findet. Text: Stella Cornelius-Koch Fitness-Trend aus de K eine Frage: Pilates liegt voll im Trend. In den USA längst der Renner, wird die Übungsmethode auch in Europa immer beliebter. Auch wenn Hollywood-Stars wie Madonna, Sharon Stone oder Kim Catrell («Sex and the City») darauf schwören: Pilates ist mehr als nur ein Fitness-Modetrend: So geniesst die bereits in den 1920er-Jahren vom Deutschen Joseph Hubertus Pilates entwickelte Methode bei Medizinern und Sporttherapeuten gleichermassen hohes Ansehen. In der Rehabilitation ist sie oft sogar fester Bestandteil des Therapieprogramms. 44 Natürlich | 8-2006 Das Geheimnis liegt in der Tiefe «Das Geheimnis des Pilates-Trainings ist, dass hierbei die wirbelsäulennahe Muskulatur vom Rumpfbereich in die Peripherie, also von innen nach aussen, gestärkt wird», erklärt Eileen Wanke, Sportmedizinerin an der Humboldt-Universität Berlin und zertifizierte PilatesTrainerin. Dadurch wird die tiefer liegende Muskulatur, die bei anderen Sportarten häufig vernachlässigt wird, sanft, aber gezielt trainiert. Die Muskeln werden jedoch nicht getrennt voneinander beansprucht, son- dern es wird der gesamte Körper mit einbezogen. «Wichtig ist, dass die Haltung des Rumpfes millimetergenau erfolgt und mit der Atmung koordiniert wird.» Hierbei wird – im Gegensatz zu anderen Methoden – beim Anspannen der Muskeln ausgeatmet und beim Entspannen eingeatmet. Da man bei den Übungen seitengleich in den Achsen arbeitet, lassen sich so genannte Muskeldysbalancen, wie sie bei einseitigen Belastungen häufig vorkommen, wieder ausgleichen. Die Haltung und Beweglichkeit des Körpers verbessert sich. Zudem kann man gesundheitlichen Foto: F1online Naturheilkunde GESUNDHEIT komplett neuen Körper haben.» Wie bei allen ganzheitlichen Verfahren sind wissenschaftliche Untersuchungen jedoch noch rar und deren Aussagekraft begrenzt. Eine US-Studie an der Florida Atlantic University in Dawie belegt die Wirkung bei Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Im Rahmen der Untersuchung hatten 22 Patienten drei Monate lang entweder wöchentlich eine Stunde Pilates-Bodenübungen absolviert oder waren weiterhin ihren normalen täglichen Aktivitäten nachgegangen. Zwar hatten sich nach Studien-Ende auch hier die Beschwerden etwas gebessert; in der Pilates-Gruppe war der schmerzlindernde Effekt jedoch deutlich ausgeprägter. Pilates auf dem Prüfstand Die nachweisbaren Pilates-Effekte sollen aber auch im deutschsprachigen Raum schon bald eine wissenschaftliche Grundlage erhalten. So hat am Institut für Rehabilitation und Behindertensport der Sporthochschule Köln vor kurzem eine Pilotstudie begonnen. Ziel der Untersuchung ist es herauszufinden, ob ein regelmässiges Pilates-Training die Lebensqualität von gesunden Menschen verbessert. Später soll dies auch bei 500 Übungen zur Auswahl Wie Pilates wirkt, davon sollte man sich am besten selbst überzeugen. Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig: So gibt es über 500 verschiedene Übungen; die meisten davon konzentrieren sich auf das so genannte «Powerhouse» – die Körpermitte zwischen Becken und Brustkorb. So glaubte Pilates, dass ein stabiler Kern hilft, den Druck der anfälligeren Gliedmassen abzufangen. Entsprechend wird viel Wert auf die Haltung der Wirbelsäule und des Beckens gelegt. Nach einer kurzen meditativen Vorbereitungsphase (das kann eine Körperreise mit geschlossenen Augen sein) werden je nach Schwierigkeitsgrad verschiedene Übungen durchgeführt. Hierbei steht nicht das häufige Wiederholen, sondern vielmehr die exakte Ausübung im Vordergrund. «Wichtig ist, dass man den Übungen die volle Aufmerksamkeit schenkt», sagt Sandra Beer vom PilatesStudio «Zeitlos» in Bremen. «Entscheidend ist zudem, dass das Powerhouse während des gesamten Übungsablaufs gehalten wird, auch wenn die Arme und Beine sich weiter bewegen.» Den Abschluss einer Übungsstunde bildet wieder eine Entspannungsphase. Anfänger lernen in der Regel zunächst ein Grundprogramm, auf das leicht aufgebaut werden kann. Die Übungen werden m Gefangenenlager Beschwerden, wie Schulter-, Nacken- und Rückenschmerzen, wirkungsvoll vorbeugen oder gesundheitliche Beschwerden lindern. Und nicht zuletzt steigt mit dem Training das Körperbewusstsein. Training dämpft den Schmerz Dass regelmässiges Pilates-Training schon nach kurzer Zeit Erfolge bringt, bestreitet niemand. Schon Joseph Pilates sagte: «Nach 10 Stunden werden Sie sich besser fühlen, nach 20 Stunden besser aussehen und nach 30 Stunden einen Personen mit gesundheitlichen Beschwerden untersucht werden. Erste Ergebnisse werden in diesem Herbst erwartet. Die Studie der Sporthochschule wird nicht die einzige bleiben: Den Einfluss eines regelmässigen Pilates-Trainings auf verschiedene Fertigkeiten, wie zum Beispiel Koordination und Kraft, möchte demnächst auch Eileen Wanke an der Berliner Humboldt-Universität untersuchen – auch hier zunächst bei gesunden Menschen und später im Vergleich zu Patienten, die sich RehabilitationsMassnahmen unterziehen müssen. meist am Boden durchgeführt und können durch verschiedene Hilfsmittel wie Rollen, Metallringe, dehnbare Bänder, Bälle und Geräte ergänzt werden. Der Übende selbst braucht kein spezielles Outfit: «Wichtig sind bequeme Kleidung, ein Handtuch oder eine Decke und je nachdem warme Socken», so Sandra Beer. Pilates ist nicht gleich Yoga Wichtig zu wissen: Pilates sollte nicht mit Yoga verwechselt und in einen Topf geworfen werden. «Während Pilates westlicher und körperlicher orientiert ist, geht Natürlich | 8-2006 45 Naturheilkunde GESUNDHEIT Pilates-Übungen zum Ausprobieren 2. Übung «Roll up» (Aufrollen): Diese Übung stärkt die Bauchund Hüftmuskulatur und macht die Wirbelsäule beweglicher. Nehmen Sie in Rückenlage die neutrale Stellung der Wirbelsäule ein. Die Beine sind gestreckt, die Zehen angezogen und die Arme über den Kopf ausgestreckt. Heben Sie beim Einatmen die Arme an, bis sie zur Decke zeigen. Beim Ausatmen das Kinn leicht zur Brust ziehen und nach und nach die 1. Übung «The Hundred» (Die Hundert): Die bekannteste Pilates-Übung stärkt die Rücken- und Bauchmuskulatur. Ausserdem fördert sie die Sauerstoffaufnahme und regt den Kreislauf an. Legen Sie sich auf den Rücken, die Beine hüftbreit auseinander, die Arme liegen neben dem Körper mit den Handflächen nach unten. Richten Sie das Becken auf, indem Sie Ihr Schambein etwas in Richtung Decke bewegen. Der Abstand zwischen der Lendenwirbelsäule und der Unterlage wird hierdurch etwas geringer. Machen Sie sich ganz lang. Beim Ausatmen mit Hilfe der Bauchmuskulatur Kopf und Schultern von der Matte lösen, Arme heben und Beine strecken. Das Becken bleibt aktiv, der Rücken streckt in den Boden. Beginnen Sie beim Einatmen mit den Armen fünf Pumpbewegungen. Beim Ausatmen folgen erneut fünf Pumpbewegungen. Wiederholen Sie das Ganze zehnmal. Zum Schluss Wirbel für Wirbel abrollen und in die Ausgangsposition zurückkehren. Wirbel langsam bis zum Sitzen aufrollen. Den Oberkörper weiter nach vorne neigen (der Rücken darf dabei rund werden). Wichtig: Der Abstand zwischen Ohren und Schultern bleibt die ganze Zeit gross. Beim Einatmen langsam Wirbel für Wirbel wieder abrollen, bis Sie die Ausgangsposition erreichen. Übung fünfmal wiederholen. 3. Übung «Swimming» (Schwimmen) aus dem Vierfüsslerstand: Hierbei wird neben der tiefen Bauch- und der Rückenmuskulatur auch die Muskulatur an Oberarmen, Gesäss und Oberschenkeln trainiert. Gehen Sie in den Vierfüsslerstand. Die Arme befinden sich in senkrechter Linie zu den Schultern. Ober- und Unterschenkel bilden einen 90-Grad-Winkel. Die Position der Wirbelsäule ist neutral. Heben Sie den rechten Arm und das linke Bein, bis sie mit der Wirbelsäule eine gerade Linie bilden. Achten Sie darauf, dass Sie sich dabei in die Länge strecken und das Becken gerade bleibt. Nun Arm und Bein wieder senken und die Seite wechseln. Je zehnmal wiederholen. 4. Übung «Side Lifting» (seitliches Beinheben) aus dem Unterarmstütz: Eine Übung, die die Bauch-, Rücken- und Gesässmuskulatur stärkt sowie den Rumpf stabilisiert. Legen Sie sich auf die linke Seite mit dem linken Unterarm nach vorne aufgelegt und dem linken Unterschenkel nach hinten zeigend. Heben Sie sich nun vom Boden ab, und bringen Sie die rechte Hand zum Kopf. Das rechte Bein ist gestreckt. Heben Sie nun das rechte Bein seitlich bis etwa Schulterhöhe an. Halten Sie den Rumpf dabei möglichst stabil. Das rechte Bein wieder sinken lassen. Die Bewegung zehnmal durchführen und anschliessend die Seite wechseln. Natürlich | 8-2006 47 Fotos: Stella Cornelius-Koch Die folgenden Übungen sind zum «Hineinschnuppern» in die Pilates-Methode gedacht. Vorsicht: Auch ein Buch kann das Üben bei einem professionellen Trainer nicht ersetzen. Pilates-Trainerin Sandra Beer: «Gerade zu Beginn können sich viele Fehler einschleichen, bei denen der Kursleiter korrigierend zur Seite stehen sollte.» Foto: zvg GESUNDHEIT Naturheilkunde Joseph Hubertus Pilates: Boxer, Zirkusartist und Gesundheitslehrer Der Deutsche Joseph Hubertus Pilates (1880– 1967) hat das nach ihm benannte Trainingssystem bereits in den 1920er-Jahren entwickelt. Pilates litt als Kind an Asthma, Rachitis und rheumatischem Fieber. Fest dazu entschlossen, seinen Gesundheitszustand zu verbessern und seine körperlichen Beschwerden zu überwinden, widmete er sich mit Erfolg dem körperlichen Training. Schon bald wies Pilates einen derart athletischen Körper auf, dass er für anatomische Lehrtafeln Modell stand. Auf der Suche nach körperlicher Perfektion beschäftigte sich Pilates auch mit fernöstlichen Methoden wie Yoga und Tai Chi. Besonders fasziniert war er von der dabei notwendigen Konzentration und der wichtigen Rolle der Atmung. Aus diesen Faktoren entwickelte er schliesslich seine eigene Trainings-Technik, die vor allem auf präzisen und kontrollierten Bewegungsabläufen basiert und für die er später den Begriff «Contrology» prägte. Fitness im Gefangenenlager 1912 ging Pilates nach England, wo er seinen Lebensunterhalt als Boxer, Zirkusartist und Lehrer für Selbstverteidigung der Polizeimannschaft von Scotland Yard verdiente. Obwohl er bei Ausbruch des 1. Weltkrieges zusammen mit anderen Deutschen auf der Isle of Man interniert wurde, hielt dies Pilates nicht davon ab, gemeinsam mit seinen Mitgefangenen Sport zu treiben. Als sein Lager eine verheerende GrippeEpidemie beinahe unbeschadet überstand, führte man dies auch auf den guten Fitnesszustand der Lagerinsassen zurück. Pilates wurde medizinischer Berater des Krankenhauses der Isle of Man, wo er mit Hilfe von zweckentfremdeten Krankenhausbetten, Federn, Seilen, Tüchern und einfachen Holzgestellen mit den Patienten Dehn-, Streckund Kräftigungsübungen durchführte. Trainer für Stars und Sternchen Weltweite Berühmtheit erlangte Pilates, nachdem er – nach einer kurzen Rückkehr nach Deutschland – im Jahr 1926 den Boxer Max Schmeling nach New York begleitete. Gemeinsam mit seiner späteren Frau Clara, die er während der Überfahrt kennen lernte, gründete Pilates ein Studio im Haus des New York City Ballets am Broadway, wo seine neuartige Trainingsmethode bei Tänzern, Künstlern und Schauspielern regen Anklang fand. Pilates, von dem es trotz seiner Berühmtheit nur wenige Bilder gibt, unterrichtete bis zu seinem Tod im Jahr 1967. Bis heute wird seine Methode immer wieder an neue medizinische und physiologische Erkenntnisse angepasst und ergänzt. Die ursprünglichen Bodenübungen bilden jedoch bis heute das Herzstück der Methode. Foto: F1online Hoch das Bein: Nicht alle Pilates-Übungen sind einfach auszuführen 48 Natürlich | 8-2006 es beim Yoga auch um geistige und spirituelle Ansprüche», sagt Beer, die sowohl Pilates als auch Yoga unterrichtet. «Ausserdem ist die bei den Methoden eingesetzte Atemtechnik teilweise sehr unterschiedlich, auch wenn in beiden Fällen eine tiefe Atmung zum Einsatz kommt, die das Zwerchfell bewegt.» Da es jedoch auch einige Parallelen gibt – zum Beispiel die Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur –, kann es sinnvoll sein, einzelne Elemente miteinander zu verbinden. In manchen Fällen werden die Methoden sogar kombiniert und so genannte «Yogilates-Kurse» angeboten. Im Gegensatz zu manch anderen Workouts eignet sich Pilates-Fitness für jedermann. Auch wer weniger sportlich oder schon älter ist, kann oft schon nach kurzer Zeit Erfolge verbuchen. Selbst Menschen mit koronaren Herzerkrankungen, wie Angina pectoris, können von Pilates profitieren, da hierbei keine Pressatmung erfolgt und das Herz-KreislaufSystem nicht überlastet wird, erklärt die Ärztin Eileen Wanke. Vorsicht ist jedoch geboten bei akuten Rückenbeschwerden und Bandscheibenvorfällen. Naturheilkunde GESUNDHEIT Speziell geeignet ist Pilates Mehr als ein Frauensport • für Sportler, um einseitige Belastungen des Körpers – etwa durch Tennisspielen – auszugleichen • für Menschen mit Haltungsproblemen oder einseitigen Belastungen und Fehlhaltungen (beispielsweise infolge von Schreibtisch- oder Fliessbandarbeit) • bei Stress, da das Training gleichzeitig ablenkt und entspannt • zur Vorbeugung von Rückenschmerzen • zum Trainingsaufbau nach Sportverletzungen und längerer Trainingspause • für Schwangere • zur Vorbeugung von Osteoporose (Knochenschwund) • zur Vorbeugung von Inkontinenz (Blasenschwäche), da bei jeder Übung immer auch der Beckenboden aktiviert wird Übrigens: Pilates ist kein reiner Frauensport, auch wenn die Kursteilnehmer überwiegend weiblich sind. Sportmedizinerin Wanke: «Männer profitieren von Pilates mindestens genauso.» Ein möglicher Grund für den hohen weiblichen Anteil an Kursteilnehmern: Frauen sind im Allgemeinen offener, kommen jedoch manchmal auch mit falschen Erwartungen in die Stunden. So hoffen viele, durch Pilates schnell ein paar Pfunde abnehmen zu können. Doch das ist ein Irrtum: «Ebenso wenig wie Pilates auf die Ausdauer wirkt, lässt sich damit eine Gewichtsabnahme erreichen», so Eileen Wanke. Zwar könne das Training sehr anstrengend sein. Dennoch werde dabei kaum Fett verbrannt. Für die Figur ist Pilates dennoch ideal, glaubt die Medizinerin: «Man wird dank Pilates optisch schlanker, weil sich die Muskeln anders herausbilden.» ■ Infobox Adressen: In der Schweiz sind die Pilates-Übungsangebote derzeit noch dünn gesät. Erschwerend bei der Suche kommt hinzu, dass die Bezeichnung Pilates als Trainingsmethode markenrechtlich geschützt ist. Unter den Internetadressen der folgenden vier grossen Pilates-Schulen können jedoch qualifizierte Trainer in der Schweiz gefunden werden: • Body Control Pilates: www.bodycontrol.co.uk • Pilates Method Alliance: www.pilatesmethodalliance.org • Pilates Polestar: www.pilatespolestar.ch • Stott Pilates: www.stottpilates.com Tipp: Interessierte sollten auch bei Sportvereinen, Ballettschulen oder Fitness-Studios nachfragen, dort aber besonders auf die Ausbildung des Kursleiters achten. Literatur • Bimbi-Dresp: «Das grosse Pilates-Buch», Verlag Gräfe und Unzer 2006, ISBN: 3-7742-7209-3, Fr. 34.90 Natürlich | 8-2006 49