Blockkonversatorium Staatshaftungsrecht I. ABLAUF 1. Einleitung

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Blockkonversatorium Staatshaftungsrecht I. ABLAUF 1. Einleitung
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STAATSHAFTUNGSRECHT
Konversatorium 04/2009
Ass. jur. Anja-Franziska Vobl
Blockkonversatorium Staatshaftungsrecht
I. ABLAUF
1. Einleitung: Was ist Staatshaftungsrecht? Kurze Charakteristik des Staatshaftungsrechts.
2. Besprechung von 4 Themenkomplexen
- Lösung von Fällen mit paralleler abstrakter Besprechung der jeweiligen
Anspruchsgrundlagen + ihrer Voraussetzunge
II. THEMENKOMPLEXE
1. Primärrechtsschutz jedweden Rechtsguts durch Geltendmachung von
Folgenbeseitigungsansprüchen als Unterfall der grundrechtlichen Schutzansprüche vor den
Verwaltungsgerichten
2. Primärrechtsschutz des Eigentums im Fall einer unverhältnismäßige Inhalts- und
Schrankenbestimmung vor dem (Bundes)Verfassungsgericht
Recht der öffentlichen Ersatzleistungen
3. Rechtsgüterspezifische Sekundäranspruche von „Sonderopfern“ auf Entschädigung vor
den Zivilgerichten
4. Rechtsgüterindifferenter Sekundäranspruch auf Schadensersatz aus Amtshaftung vor
den Zivilgerichten
IV. Ausgelassen und examensrelevant
Anspruch wegen staatlicher Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts. Vgl. u.a.
Baldus/Grzeszick/Wienhus, Staatshaftungsrecht, 2.Aufl. 2007, S.65-73)
Tipp: Schreiben Sie sich in Vorbereitung auf das Staatsexamen ein eigenes Skript oder
formulieren eigene Karteikarten, um so Ihr Verständnis und Wissen zu überprüfen und zu
vertiefen. Bilden Sie kleine Arbeitsgruppen und erklären sich gegenseitig Gelerntes. Lernen
ist Wiederholen.
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Was ist Staatshaftungsrecht?
Staatshaftungsrecht ist…
• …vor allem Richterrecht (in den „alten“ Bundesländern).
da keine oder nur fragmentarische Anspruchsgrundlagen in den Gesetzen
aufgrund der Rechtsweggarantie des Art. 19 IV 1 GG hat die Rechtsprechung
Anspruchsgrundlagen und deren Voraussetzungen, sehr oft aus Einzelfallentscheidungen,
entwickelt.
- vielfache Kritik der Lit. wegen Rechtsunsicherheit, Verschiebung der Zuständigkeit der
Legislative auf die Judikative, der Budgethoheit des Parlaments
- 1981 Erlass eines Staathaftungsgesetzes durch den Bund, galt nur vom 1.1.1982 bis
18.10.1982, vom BVerfG wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes für nichtig
erklärt wurde. seit GG-Novellierung 1994: Kompetenz aus Art.74 I Nr.25 GG
- in Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern gilt das Staatshaftungsgesetz der DDR vom 12.Mai
1969 aufgrund Einigungsvertrag als Landesrecht, Berlin und Sachsen haben es aufgehoben, Sachsen-Anhalt
durch das Gesetz zur Regelung von Entschädigungsansprüchen ersetzt.
• …Vorrangiger Bestandsschutz vor der Gewährung von Ansprüchen auf
(Schadensersatz, Entschädigung)
Ersatz
Vorrang des Primärrechtschutzes vor dem Sekundärrechtschutz
negativ formuliert: Verbot des Duldens der staatlichen Rechtsgüterbeeinträchtigung und
Verlangen finanziellen Ersatzes aufgrund dieser
positiv formuliert: Pflicht des Bürgers zunächst den Verwaltungsrechtsweg auszuschöpfen,
um die Rechtsgutsbeeinträchtigung rückgängig zu machen, bevor ein Surrogat für diese,
also finanzieller Ausgleich, verlangt werden kann.
Die Verfassungsbeschwerde gehört nicht zum Rechtsweg (BVerfGE 79, 365 (367)).
BVerfGE 58, 300 (310) Naßauskiesungsentscheidung:
„Der Betroffene hat kein Wahlrecht, ob er sich gegen einen rechtswidrigen Akt (...) zur Wehr
setzen oder unmittelbar Entschädigung verlangen will. Lässt er den Eingriffsakt unanfechtbar
werden, so verfällt seine Entschädigungsklage der Abweisung. Wer von den ihm durch das
Grundgesetz gewährten Möglichkeiten keinen Gebrauch macht, kann wegen eines etwaigen,
von ihm selbst herbeigeführten Rechtsverlustes nicht anschließend von der öffentlichen Hand
Geldersatz verlangen.“
• …das Recht der öffentlichen Ersatzleistungen, das öffentlich-rechtliche Ansprüche
umfasst, über die die Zivilgerichte entscheiden.
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Themenkomplex 1:
Primärrechtsschutz durch Folgenbeseitigungsansprüche
Fall Biolandwirtschaft
Biobauer B betreibt in der unterfränkischen Gemeinde G seit 14 Jahren eine biologische
Landwirtschaft. Der Acker, den B bewirtschaftet, steht in seinem Eigentum. Als B nach 14
Tagen von seinem Urlaub auf Rügen zurückkommt, entdeckt er zu seinem großen Erstaunen,
dass ca. 200 qm seiner knapp 700 qm großen Ackerfläche mit einem 2 Meter hohen stabilen
Zaum eingezäunt sind, an dem ein Schild mit der Aufschrift „Kommunale Mülldeponie –
Betreten verboten!“ angebracht ist. Als B sogleich Bürgermeister Wichtig im Rathaus
aufsucht, erklärt dieser, dass die 200 qm-Fläche des B für die Errichtung einer kommunale
Hausmülldeponie benötigt würde. Zur Begründung der Einzäunung führt W aus, dass hier
das öffentliche Interesse an einer kommunalen Abfallentsorgung, die Interessen des B
überwiegen würde. B müsse seinen Grundstücksteil der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.
Das würde ihm selbstverständlich auch noch schriftlich mitgeteilt. G hatte, vertreten durch
W, vor einem halben Jahr erfolglos versucht, B zum Verkauf dieses Grundstückteils zu
bewegen. Darüber hinaus äußert W, als er B im Beisein zweier Mitarbeiter verabschiedet,
dass er sich seit längerem sehr, sehr wundere, wie B es sich aus den Einnahmen seines
beschaulichen Betriebes mittlerweile leisten könne, zwei Mal im Jahr in den Urlaub zu fahren
und auch noch sein Haus ausbauen zu können. Empört und aufgebracht verlässt B das
Rathaus. Sein Freund F, mit dem er sich abends auf dem Frühlings-Weinfest trifft, versucht B
zu beruhigen, er habe gehört, dass Enteignungen immer entschädigt werden müssten. B
beruhigt dies in keiner Weise, er brauche die 200 qm große Fläche doch. Auf dieser baue er
seit 9 Jahren ertragsreich Dinkel an, dessen Verkauf ihm einen wesentlichen Teil
regelmäßiger Einnahmen sichere. Nachdem F und B Weinglas für Weinglas geleert haben
und sich aufmachen, das Weinfest zu verlassen, erkennen sie den ebenfalls angetrunkenen
W. der ihnen zuruft, da sei ja auch B, der grüne Betrüger. Als B am nächsten Morgen mit
Kopfschmerz aufwacht, beschließt er nach Einnahme einer Kopfschmerztablette, dass ihm
das Verhalten der Gemeinde zur Genüge reiche, er nun einen Anwalt aufsuchen werde und
sich gegen alles zur Wehr setzen werde.
Hinweis: Es ist davon auszugehen, dass die Enteignung rechtswidrig (nicht nichtig) ist (im
bayerischen Abfallrecht fehlt, anders als bspw. in NRW, bereits die Ermächtigungsgrundlage
für eine Enteignung). Es ist weiterhin davon auszugehen, dass der Acker auch noch im
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung umzäunt und gegen jedwedes Betreten
abgesichert ist.
Aufgabe: Die Erfolgsaussichten der Klagen gegen alle möglicherweise in Betracht
kommenden hoheitlichen Eingriffe sind zu prüfen. Nicht zu prüfen ist die vorbeugende
Unterlassungsklage.
Zu allen primären Schutzansprüchen, vgl. u.a. Übersicht in Ossenbühl, Staatshaftungsrecht,
5.Aufl., S.292.
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Allgemeiner und spezielle Folgenbeseitigungsansprüche
I. Rechtsgüterschutz des Folgenbeseitigungsanspruchs
− rechtsgüterindifferent: Schutz aller Individualrechtsgüter
II. Rechtsweg, § 40 I 1 VwGO, Verwaltungsgerichtsbarkeit
III. Anspruchsgrundlage
− Grundrechte, Art. 20 III GG, Art.19 IV GG, Analogie zu §§ 1004, 862 BGB
− BVerwG: gewohnheitsrechtlich anerkannter Anspruch
IV. Inhalt
1. Allgemeiner FBA:
Grundsatz: Ausgleich in natura durch Wiederherstellung des früheren Zustandes
Davon zu Unterscheiden:
a) gradueller Unterschied zur Naturalrestitution iSv § 249 I BGB,
wonach der Zustandes herzustellen, der hypothetisch , d.h. mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit bestehen würde, wenn die Schädigung nicht eingetreten wäre.
anders als hier gewährt FBA keinen entgangenen Gewinn.
Beispiel: rechtswidriges Abschleppen eines Transporttaxis, so dass Kundentermin nicht
eingehalten werden konnte und Verdienst entging, kein Ersatz durch FBA
Weiterhin zu Unterscheiden:
b) kein mittelbarer Folgenausgleich
Unmittelbare Folgen = solche, die Hoheitsträger herbeiführen wollte, deren Eintritt er
gerade bezweckte.
Mittelbare Folgen= solche, die vom Hoheitsträger nicht beabsichtigt waren oder die von
ihm auch nicht unmittelbar beeinflussbar waren
Bsp. rechtswidrige Obdachloseneinweisung in eine Villa. durch Verhalten des Obdachlosen
entstehen Schäden an den Fenstern, so dass diese repariert werden müssen. Unmittelbare
Folgenbeseitigung = Verweisung des Obdachlosen aus der Villa, Einweisung
wollte/entschied die Behörde. Weder gewollt, noch von der Behörde unmittelbar
beeinflussbar war die Sachbeschädigung
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FBA ausnahmsweise Ausgleich in Geld
wenn:
1) Wiederherstellung zwar tatsächlich möglich, aber mit unverhältnismäßig hohem
Aufwand verbunden, im Vergleich zur erlittenen Werteinbuße UND
2) Mitverschulden des Betroffenen
Bsp. Fall Einfriedungsmauer
Dazu NJW 1989, 2484
Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Ausnahmefälle schwierig, da Rspr. bei nur 1) „krassen
Missverhältnis“ FBA gänzlich (s.u. Ausschlussgründe)
2. Anspruch auf Widerruf hoheitlicher Äußerungen als speziellerFBA
−
praktisch bedeutsamste Variante des FBA
−
zielt auf öffentliche Berichtigung, Gegendarstellung
−
typisch Widerruf geschäftsschädigender oder sonstiger rechtsverletzender Äußerungen
Bsp. Warnung der Bundesregierung vor jugendgefährdenden Sekten, Information des
Verbraucherschutzministeriums über vergiftete Lebensmittel
IV. Anspruchsvoraussetzungen
1. Allgemeiner FBA:
a) Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts
− eines Grundrechts
− eines einfachgesetzlichen Anspruchs
b) hoheitliches Handeln
− nur Eingriffe der (die Gesetze) vollziehenden Gewalt
− bzgl. Judikative spezielle prozessrechtliche Regelungen
− eindeutig hoheitlich, soweit in Formen des Verwaltungsrechts, Verwaltungsakt,
öffentlich-rechtlicher Vertrag, Satzung, RVO, gehandelt wird
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− bei schlichtem Verwaltungshandeln, Realakten zum privatrechtlichen Handeln durch
Abstellen auf den Sachzusammenhang abzugrenzen
−
hoheitliches Handeln i.d.R. rechtswidrig, aber keine Tatbestandsvoraussetzung
c) Herbeiführen eines rechtswidrigen Zustandes
− i.d.R. Ableitung des rw Zustandes aus Rwk des Eingriffs
d) Maßgeblicher Zeitpunkt (Andauern des rechtswidrigen Zustandes)
- es reicht nicht aus, dass ein rechtswidriger Zustand in der Vergangenheit bestand
(nachträglich legalisiert), im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestehen
2. Anspruch auf Widerruf hoheitlicher Äußerungen:
a) Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts
i.d.R. Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 I iVm Art. 1 I GG, der
Berufsfreiheit durch Angriff des wirtschaftlichen Rufs, des einfachgesetzlichen Rechts am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Konkretisierug von Artt. 12 und 14 GG
b) Behaupten einer rechtswidrigen Tatsache durch einen Hoheitsträger
aa) Tatsache - Abgrenzung von Meinungsäußerungen
Unterscheidung im Einzelfall möglicherweise schwierig!
- differenzierte Rspr. zum presserechtlichen GegendarstellungsA
* Tatsachenbehauptungen sind dem Beweis zugänglich.
* Schwierigkeiten bei Vermengung
* verwaltungsrechtliche Rspr. Orientierung am BGH:
bb) rechtswidrig:
- wenn keine Ermächtigungsgrundlage vorhanden
- mögliche Grundlagen: Art. 65 S.2 GG, Art. 46 GG, § 8 Produktsicherheitsgesetz
„Warnung vor nicht sicheren Produkten
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V. Allgemeiner FBA: - Keine Ausschlussgründe
1. Keine Unmöglichkeit der Folgenbeseitigung
- keine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit (bei nachträglich geänderter
Rechtslage)
2. Keine unzulässige Rechtsausübung
− wenn Legalisierung des als rechtswidrig anerkannten und andauernden Zustandes im
Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs unmittelbar bevorsteht
3. Keine Verjährung, § 195 BGB regelmäßig drei Jahre ab Kenntnis, eventuell bei
Eigentumsbeeinträchtigungen, § 197 I Nr.1 BGB
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Lösung Fall Biobauer
Vorüberlegungen:
1. Laut Sachverhalt möchte sich B gegen „alles“ rechtlich wehren. Deshalb sind vorab die
jeweiligen Streitgegenstände herausarbeiten, um mit der Lösung beginnen zu können.
Was steht in Streit?
a) die Beanspruchung des Grundstückteils des B durch die Gemeinde
aa) Enteignung als Rechtsakt
bb) Einzäunung des Grundstückteils als Realakt
b) die Äußerung des Bürgermeisters im Rathaus im Beisein zweier Mitarbeiter, er wundere
sich sehr, wie viel sich B mittlerweile aus den Einnahmen seines beschaulichen Betriebes
leisten könne
c) der Zuruf des Bürgermeisters auf dem Weinfest, B sei ein „grüner Betrüger“
2. Weiterhin ist vorab zu klären, ob der Hinweis des Freundes, dass eine Enteignung
entschädigungspflichtig sei, für die Lösung relevant sein kann.
Antwort: Nein, der Grundsatz des Vorranges des Primärrechtsschutzes ist zu beachten!
Gutachten: Erfolgsaussichten der Klage(n vgl. B. Objektive Klagehäufung unklar)
Obersatz:
Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn alle Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen und sie
begründet sind.
A. Sachurteilsvoraussetzungen
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I 1 VwGO
1. Öffentlich-rechtlicher Charakter der Streitigkeit
Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist, bestimmt sich
grundsätzlich nach den entwickelten Abgrenzungstheorien.
a) Abwehr der Beanspruchung des Grundstückteils des B durch die Gemeinde
aa) Abwehr der Enteignung
-
nach der Subordinationstheorie (+) B und enteignende Gemeinde im ÜberUnterordnungsverhältnis
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nach der herrschenden modifizierten Subjektstheorie ist der Verwaltungsrechtsweg
anzunehmen, wenn die streitentscheidenden Normen ausschließlich einen Träger
öffentlicher Gewalt verpflichten. Normen des Abfallrechts = öffentlich-rechtliche
Zwischenergebnis: ör-Streitigkeit (+)
bb) Realakt: Vollzug der Enteignung durch Einzäunung, also Realakt
Realakte sind rechtlich neutral, zur Einordnung als privatrechtliches oder öffentlich
rechtliches Handeln ist auf den Sachzusammenhang abzustellen. Hier Zweck der
Einzäunung: Errichtung einer kommunalen Hausmülldeponie, damit Umsetzung von
Abfallrecht, damit von öffentlich-rechtlichen Normen des Bayerischen Abfallrechts und des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, Sachzusammenhang öffentlich-rechtlich (+)
Zwischenergebnis: ör-Streitigkeit (+)
b) Abwehr der Äußerung des Bgm im Rathaus
Fraglich ist, ob es sich bei der Abwehr der Verwunderungsaussage des Bgm, durch
Widerrufsverlangen, um eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Streitigkeit
handelt. Äußerungen sind Realakte, weshalb wiederum ist auf den Sachzusammenhang
abzustellen ist. Hier kommt es darauf an, ob W seine Äußerung als Bürgermeister oder als
Privatperson abgegeben hat.
−
pro Äußerung als Privatmann: erst beim Verabschieden geäußert, möglicherweise wollte
sich W als Privatmann äußern.
ABER: darauf kommt es nicht an.
−
nach dem Rechtsgedanken der §§ 133, 157 BGB auf den objektiven Empfängerhorizont
eines Bürgers an. B hatte W als Vertreter der Gemeinde im Rathaus aufgesucht und
genau in dieser Funktion war W B auch gegenübergetreten. Das Verabschieden schloss
das Gespräch über die Enteignung ab, die Äußerung bezog sich zudem genau auf das
landwirtschaftliche Unternehmen, das hier von der Enteignung betroffen ist, zudem
waren zwei Mitarbeiter der Gemeinde zugegen und die Äußerung wurde im Rathaus,
dem Arbeitsort des Bürgermeisters und dem Sitz der Gemeinde getätigt, daher nach dem
Sachzusammenhang, öffentlich-rechtlicher Charalter der Äußerung.
Zwischenergebnis: ör-Streitigkeit (+)
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c) Abwehr der Aussage des Bürgermeisters, B sei ein grüner Betrüger
Hier hat Bgm die Äußerung als Privatmann auf einem Weinfest abgegeben, für einen
Sachzusammenhang zum öffentlichen Recht gibt es keine Anhaltspunkte. Es handelt sich hier
um eine private Streitigkeit zwischen B und dem Bgm, so dass B den Widerruf der Äußerung
des „grünen Betrügers“ vor den Zivilgerichten geltend machen muss.
Zwischenergebnis: B ist davon abzuraten, den Widerruf dieser Äußerungen vor den
Verwaltungsgerichten einzuklagen, da die Äußerung des Bgm privatrechtlichen Charakter
hat. Hinweise: Allerdings würde ein solcher Antrag nicht als unzulässig abgewiesen, sondern
von Amts wegen an das zuständige ordentliche Gericht verwiesen, §§ 173 VwGO, ..., § 17a II
GVG.
2. nichtverfassungsrechtlicher Art (+)
3. keine abdrängende Sonderzuweisung der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit an
Zivilgerichte (nur kurz ausführen, aber in jedem Fall ausführen)
a) keine Sonderzuweisung nach § 40 II 1 VwGO
Hier: nach Rechtsberatung durch Sie keine Geltendmachung von Sekundäransprüchen,
sondern Versuch des Primärrechtsschutzes
b) Art. 14 III 4 GG?
Hier: keine Streitigkeit über Höhe der Entschädigung e rechtmäßigen Enteignung, also
ordentlicher Rechtsweg (-)
c) Art. 34 S.3GG? (-)
II. Statthafte Klageart(en)
Die statthaften Klagearten (§ 44 VwGO) richten sich nach dem klägerischen Begehren, § 88
VwGO.
a) Abwehr der Beanspruchung des Grundstückteils des B durch die Gemeinde
aa) Mit der Abwehr der Enteignung begehrt B die Aufhebung eines Verwaltungsakts iSv Art.
35 S.1 BayVwVfG, so dass hier die Anfechtungsklage, § 42 I 1 Alt.1 VwGO die statthafte
Klagart ist.
bb) Bezüglich der Beseitigung des Zauns und tatsächlichen Freigabe des Grundstücks ist
Eventualantrag für den Fall der gerichtlichen Aufhebung der Enteignung zu stellen, dass das
Gericht die Freigabe des Grundstücks durch Abbau des Zaunes anordnet, vgl. § 113 I 2
VwGO.
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b) Abwehr der Äußerung des Bgm im Rathaus
B begehrt den Wideruf der Äußerung des Bgm, folglich die Vornahme eines Realakts, so
dass die allgemeine Leistungsklage, die gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, aber in den §§
43 II, 111, 113 V, VwGO als bestehend vorausgesetzt und mittlerweile gewohnheitsrechtlich
anerkannt ist, statthaft ist.
III. Klagebefugnis, § 42 II VwGO direkt und analog
1. Anfechtungsantrag, § 42 II VwGO direkt anwendbar, Verletzung des Eigentumsrechts des
B möglich, Art.14 GG
Annexantrag: möglicher Vollzugsbeseitigungsanspruch bereits aufgrund der Möglichkeit der
Aufhebung der Enteignung
2. Antrag auf Widerruf der Äußerung, Anspruch aus § 1004 BGB analog, aus Art.12 GG, aus
Art.2 I iVm Art.1 I GG ist möglich
IV. Erfolglos durchgeführtes Widerspruchsverfahren notwendig?
Der Widerspruch gegen VAe ist in Bayern nur in bestimmten Fällen statthaft und selbst in
diesen keine Pflicht, vgl. Art. 15 I BayAGVwGO, anzuwenden über § 68 I 2 Alt.1 VwGO
(„Gesetz dies bestimmt“).
V. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis für den Widerrufsantrag
keine einfachere und gleichzeitg gleich effektivere rechtliche Geltendmachung möglich
Hinweis: Hier wurden nur die speziell zu diskutierenden Sachurteilsvoraussetzungen
aufgeführt. In der Klausur sind diese vollständig aufzuführen (Beteiligungsfähigkeit etc.),
aber nur sehr kurz (1-2 Sätze).
B. Objektive Klagehäufung, § 44 VwGO?
Normzweck: Prozessökonomie
I. Identität der Parteien (+)
II. Zusammenhang?
- rechtlicher oder tatsächlicher Art
- wenn den unterschiedlichen Klagebegehren ein einheitlicher Lebensvorgang
zugrunde liegt
- immer dann (+), wenn weitgehend gleiche Sachverhalts- und Rechtsfragen, hier
deshalb fraglich
Bei der Bejahung von § 44 VwGO kann großzügig verfahren werden, da Gericht Möglichkeit
der Prozesstrennung, § 93 S.2 VwGO.
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C. Begründetheit
Die Anträge sind begründet, wenn sie gegen den richtigen Beklagten gerichtet sind und
1. Die Enteignung rechtswidrig ist und B dadurch in seinen Rechten verletzt, § 113 I 1 VwGO
2. Der Anspruch auf Beseitigung des Vollzugs der Enteignung im Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung besteht.
3. Der Anspruch auf Widerruf besteht.
I. Passivlegitimation
Passivlegitimiert ist in allen drei Fällen die Gemeinde.
Antrag 3: Insbesondere wäre bei Anspruchsbejahung nicht der Bürgermeister
höchstpersönlich verpflichtet, seine Äußerung zu berichtigen, sondern die Gemeinde G, der
Widerruf hätte in ihrem Namen zu erfolgen.
II. Rechtswidrigkeit der Enteignung (+) laut SV + subjektive RV (+)
III. Anspruch auf Vollzugsfolgenbeseitigung
1. Anspruchsgrundlage
Grundrechte, Art. 19 IV GG, BVerwG: gewohnheitsrechtlich anerkannt.
Beachte: § 113 I 2 VWGO ist keine Anspruchsgrundlage, sondern nur eine prozessrechtliche
Regelung zur Statthaftigkeit eines speziellen Antrags.
Beim speziellen VollzugsFBA, der auf Rückgängigmachung des Vollzugs des rechtswidrigen
und erfolgreich angefochtenen VA´s gerichtet ist, sind die ersten drei Voraussetzungen
immer einfach/automatisch zu bejahen. Näher zu prüfen sind nur die 4.positive
Voraussetzung, dass der rechtswidrige Zustand, also der Vollzug auch noch im Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung besteht und dass die zwei Ausschlussgründe der
Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit der Beseitigung nicht vorliegen. Verjährt kann der VollzugsFBA nicht sein, da der zugrundeliegende VA hier erfolgreich angefochten wurde und
demnach steht auch keine unmittelbare Legalisierung bevor, d.h.:
2. Anspruchsvoraussetzungen
a) Andauern des Vollzugs? Hier: laut Hinweises des Sachverhalts (+)
b) Keine Unmöglichkeit der Beseitigung des Zaunes und Absperrung des Grundstücks (+)
c) Keine Unzumutbarkeit der Wiederherstellung (+), kein Hinweis auf unverhältnismäßig
hohe Kosten der Zaunbeseitigung
Zwischenergebnis: Anspruch (+)
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III. Anspruch auf Widerruf
1. Anspruchsgrundlage
Grundrechte, § 1004 BGB analog, gewohnheitsrechtlich als spezieller FBA anerkannt
2. Anspruchsvoraussetzungen
a) Behaupten einer Tatsache durch einen Träger hoheitlicher Gewalt
−
Bürgermeister Träger hoheitlicher Gewalt (+)
−
P: Tatsache oder Werturteil ?
W äußerte laut SV, „dass er sich seit längerem sehr, sehr wundere, wie B es sich aus dem
Einnahmen seines beschaulichen Betriebes mittlerweile leisten könne, zwei Mal im Jahr in
den Urlaub fahren könne und auch noch sein Haus auszubauen“.
−
Werturteile: geäußert wird die eigene Meinung, subjektive Äußerung
−
Tatsachenbehauptung: objektive Äußerung, dem Beweis zugänglich
Hier: keine Tatsachenbehauptung aufgrund des subjektiven Bezuges
(Voraussetzungen b) Grundrechtseingriff und c) Rechtswidrigkeit der Äußerung mangels
Rechtfertigung durch Ermächtigungsgrundlage daher nicht mehr relevant, auch nicht mehr
anzusprechen, hier nur Hinweis für Skriptverwender)
Zwischenergebnis: Anspruch (-)
Endergebnis: Die Anfechtungsklage und der Annexantrag auf Folgenbeseitigung hätten
Aussicht auf Erfolg, zu diesen ist B also zu raten. Abzuraten ist B von der rechtlichen
Schritten gegen die Äußerungen des W, da diese keinen Erfolg versprechen.
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Themenkomplex 2:
Primärrechtsschutz gegen
unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung
Bezeichnung dieser Fallkonstellation oft als Ausgleichspflichtige Inhalts- und
Schrankenbestimmung
Hinweis:
Die Bezeichnung der Fallgruppe in Skripten und Lehrbüchern darf nicht zum Fehlschluss
führen, dass es sich bei dieser um die Prüfung finanzieller Ersatzansprüche handelt.
Klausurtypisch sind hier die Fälle des Primärrechtsschutzes: Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit eines Schrankengesetzes innerhalb einer Verfassungsbeschwerde,
Art.93 I Nr.4a GG oder einer Konkreten Normenkontrolle, Art.100 I GG.
Fall Denkmalschutz
E ist Eigentümer einer seit Jahren leer stehenden Villa, deren Unterhaltskosten jährlich
150.000,00 € betragen. Jahrelange Versuche um Vermietung, Verpachtung oder Verkauf
gelangen nicht. E kann die Villa nicht nutzen, trägt aber jährlich die Unterhaltskosten.
Aufgrund Erlasses einer neuen Fassung des Denkmalschutzgesetzes wird die Villa des E
Kulturdenkmal. Nach § 2 des DenkSchG ist der Eigentümer eines Kulturdenkmals
verpflichtet, dieses im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten und zu pflegen. Nach § 3 I
DenkSchG bedarf der Abriss des Kulturdenkmals der Genehmigung. Diese ist gem. § 3 II
DenkSchG zu versagen, wenn der Abriss nicht im öffentlichen Interesse steht.
Ausnahmetatbestände für Härtefälle enthält das Gesetz nicht. A beantragt bei der
zuständigen Behörde die Genehmigung zum Abriss der Villa. Die Genehmigung wird
aufgrund des fehlenden öffentlichen Interesses, im Einklang mit § 3 II DenkSchG abgelehnt.
Die Klage des E auf Erteilung der Abrissgenehmigung war in allen verwaltungsgerichtlichen
Instanzen erfolglos. E erhebt Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht mit der
Begründung, die Versagung einer Abrissgenehmigung verletze ihn in seinem Grundrecht aus
Art. 14 GG.
Hinweis: Von der formellen Rechtmäßigkeit der Novellierung ist auszugehen.
Aufgabe: Die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde des E ist zu prüfen.
Inhalts- und Schrankenbestimmung
1. Was bedeutet Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums?
Art. 14 I 1, 2 GG: Das Eigentum wird gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die
Gesetze bestimmt.
Art. 14 GG normengeprägtes Grundrecht: Verfassungsrechtlich als Eigentum geschützt ist,
was das Gesetz, also die Inhalts- und Schrankenbestimmung als Eigentum definiert.
„Bei der Bestimmung der Rechtsstellung des Grundstückseigentümers nach Art. 14 I 2
wirken bürgerliches Gesetz und öffentlich-rechtliche Gesetze gleichrangig zusammen.“
(Leitsatz BVerfGE 58, 305).
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Durch die Inhalts- und Schrankenbestimmung wird das verfassungsrechtlich geschützte
Eigentum bestimmt, dessen Weite (Inhalt) und Enge (Schranke).
sog. Wandelbarer Eigentumsbegriff
wandelbar durch Novellierungen oder erstmaligen Erlassen von Gesetzes
2. Wie ist die Inhalts- und Schrankenbestimmung von der Enteignung zu unterscheiden?
Mit der Entscheidung des BVerfGE 58, 300 „Nassauskiesung“ vom 15.07.1981 wesentliche
Änderung der Kriterien zur Unterscheidung der Schrankenbestimmung von der
Enteignung.
Nassauskiesungsfall:
Der Kläger betrieb als Rechtsnachfolger eine seit 1936 bestehenden Kiesbaggerei auf einem
Grundstück, das in seinem Eigentum stand. Die Abbauflächen lagen in einer
Wasserschutzzone, die durch die, aufgrund des Wasserhaushaltgesetzes erlassene,
Wasserschutz-Verordnung festgesetzt wurde. Infolgedessen benötigte K zur Fortsetzung
des Kiesabbaus eine Erlaubnis nach dem WHG, die von der zuständigen Behörde abgelehnt
wurde. Nach erfolglosem Widerspruch erhob K keine Klage vor dem VG, sondern versuchte
vor den Zivilgerichten eine Entschädigung einzuklagen, mit der Begründung, es handele sich
bei der Versagung der Erlaubnis um eine entschädigungspflichtige Enteignung. Das LG gab
den Entschädigungsansprüchen statt, das Land NRW erhob letztlich Revision vor dem BGH,
der das Verfahren nach Art. 100 GG aussetzte.
Das Bundesverfassungsgericht entschied hier
1. ausdrücklich den Vorrang des Primärrechtschutzes (vgl.o. Einleitung)
2. dass die Inhalts- und Schrankenbestimmung und die Enteignung von einander in
ihren Zulässigkeitsanforderungen zu unterscheidene, jeweils eigenständige
Rechtsinstitute sind.
Vor Nassauskiesungsentscheidung:
„schlug“ eine im Einzelfall unzumutbare Schrankenbestimmung in die Enteignung als
schwerere Schranke „um“
Schrankenbestimmung und Enteignung wurden nur durch Intensität und Schwere des
Eingriffs voneinander unterschieden,
BVerwG: Schweretheorie
Je schwerer der Eingriff, um so eher eine Enteignung. fließende Übergänge, Überschreitung
von Eingriffsschwellen.
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BGH: Sonderopfertheorie
Keine Schrankenbestimmung mehr, sondern eine Enteignung, wenn dem Betroffenen ein
Sonderopfer (Art. 3 GG) abverlangt wurde.
Mit Nassauskiesungsentscheidung
Zwei völlig unterschiedliche, gegensätzliche Eingriffsformen
Enteignung
gezielter konkret-individueller
Zugriff auf das Eigentum
„aufgrund Gesetz“
Schrankenbestimmung
generell-abstrakte Bestimmung der
Pflichten des Eigentümers
nur „durch Gesetze“, Art. 14 I 2
d.h. durch Administrativakt (VA)
und „durch Gesetz“
also unmittelbar durch Gesetz
nach dem BVerfG Legalenteignung nur als Ausnahme
= sog. formaler Enteignungsbegriff.
Art. 14 III GG
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Lösung Fall Denkmalschutz
Obersatz:
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn E durch die Versagung der Genehmigung in
seinem Grundrecht aus Art.14 GG verletzt ist, Art. 93 I Nr.4a GG.
P: Verletzung des Eigentumsrechts des E aus Art. 14 GG
I. Schutzbereich, Art. 14 I 1 GG
Eigentum sind alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung
in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach
eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben kann (BVerfGE 83,
201 ff.)
E hat das Eigentumsrecht an der Villa. Damit steht E auch das Recht, seine Villa grundlos
jederzeit abzureißen, aus Art. 14 I 1 GG zu. Der Schutzbereich von Art. 14 ist betroffen.
II. Eingriff
Indem die Behörde und die Verwaltunsgsgerichte die Erteilung der Abrissgenehmigung
versagten, beschränkten sie das Verfügungsrecht des E. Ein Eingriff in das Eigentumsrecht
aus Art. 14 ist gegeben.
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
1. Schranke
Die Versagung der Abrissgenehmigung müsste in Übereinstimmung
Voraussetzungen ihrer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ergangen sein.
mit
den
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Laut SV deckt sich die Versagung mit § 3 II DenkSchG, dies sogar nach Ansicht aller
Verwaltungsgerichte, vor denen E geklagt hatte.
2. Schranken-Schranken
§ 3 Denkmalschutzgesetz müsste nicht nur formell, sondern auch materiell rechtmäßig sein,
konkret, da das Verfügungsrecht von Eigentümern von Kulturdenkmälern beschränkend, in
Übereinstimmung mit den Voraussetzungen mit Art. 14 GG erlassen worden sein.
a) Qualifizierung von § 3 DenkSchG
Zu bestimmen ist, ob es sich bei § 3 Denkmalschutzgesetz um eine, nach dem BVerfG nur
ausnahmsweise zu erlassene, Legalenteignung iSv Art. 14 III oder um eine
Schrankenbestimmung iSv Art. 14 I 2 GG handelt, da Art. 14 GG an beide Rechtsinstitute
unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen festlegt.
Hier jetzt die Abgrenzung wie oben:
Vor der Nassauskiesungsentscheidung wurde…
…, so dass Enteignung bejaht worden wäre…
Seit der Nassauskiesungsentscheidung wird…, vgl.o.
….
Subsumtion nach „neuen“ Kriterien:
- § 3 DenkSchG Bindung generell, da aller Eigentümer von Kulturdenkmälern in ihrem
Abrissrecht, an abstrakte Voraussetzungen
- gezielter Entzgug konkret-individueller Rechtspositionen (-)
b) Zulässigkeitsanforderungen an Inhalts- und Schrankenbestimmung
Eigentumsbindungen müssen stets verhältnismäßig sein BVerfGE 58, 137.
Hinweis: BVerfG prüft in Art. 14 GG auch den Gleichheitssatz nach Art.3 GG - Sonderopfer im
Vergleich zu anderen Eigentümern, was mit Hinweis auf das BVerfG auch in der Klausur
geprüft werden kann.
Verhältnismäßigkeit von § 3 DenkSchG
1) Legitimer Zweck
Schutz von Kulturdenkmälern als Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang (+)
2) Geeignetheit des Genehmigungsvorbehaltes zur Zweckerreichung (+)
3) Erforderlichkeit (+)/(-)
§ 3 DenkSchG darf nicht über das zur Verfolgung des Ziels notwendige Maß hinausgehen.
Das Erforderlichkeitsverbot wäre verletzt, wenn der Schutz der Kulturdenkmäler durch ein
gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, dass das betroffene Grundrecht deutlich
weniger beschränkt.
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4) Angemessenheit/Übermaßverbot (-)
Zur Bejahung der Angemessenheit von Inhalts- und Schrankenbestimmung stets
Härtefallregelungen in Form von Ausnahme- oder Ausgleichsregelungen erforderlich.
Hier liegt ein solcher Härtefall vor, der mangels Härtefallregelung nicht angemessen durch §
3 DenkSchG bewältigt werden kann.
E hat für seine Villa keine sinnvolle Nutzungsmöglichkeit, Veräußerung nicht möglich, sehr
hohe Unterhaltkosten, Privatnützigkeit nahezu vollständig beseitigt ist. Aus dem Recht wird
eine Last, die E hier allein im öffentlichen Interesse zu tragen haben soll, ohne dafür die
Vorteile einer privaten Nutzung genießen zu können.
Mangels Vorhandensein
verfassungswidrig.
von
Ausnahme-
oder
Ausgleichsregelungen
ist
§
3
Ergebnis: § 3 DenkSchG ist mit Art. 14 GG unvereinbar. E ist in seinem Grundrecht aus Art.
14 GG verletzt und bedarf zum Abriss seiner Villa keiner Genehmigung.
Bundesverfassungsgericht wird dem Gesetzgeber eine Frist setzen, innerhalb derer dieser
entscheiden muss, ob er das DenkSchG mit Hilfe von Befreiungs- und Ausgleichsregelungen
aufrechterhalten will.
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Themenkomplex 3:
Öffentlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch Sekundärrechtsschutz vor den Zivilgerichten
Fall Gefährliche Speichelprobe
In einer Kleinstadt geschahen mehrfach sexuelle Übergriffe auf minderjährige Opfer. Um den
Täter zu finden, rief die Polizei alle männlichen Bewohner der Stadt auf, eine Speichelprobe
abzugeben. Auch M folgte dem Aufruf, zu diesem Zweck ins Polizeipräsidium zu kommen.
Die Probe wurde mit Hilfe eines Wattestäbchens durch Abstrich von der Zunge entnommen.
Wenige Tage später entzündeten sich die Zunge und Mundhöhle des M sehr schmerzhaft.
Dem Polizeibeamten, der die Probe entnahm, ist jedoch kein Vorwurf zu machen. Er hatte
das Stäbchen aus einer vermeintlich sterilen Verpackung entnommen. M, der selbstständig
tätig ist, verlangt die Heilbehandlungskosten. Außerdem fordert er ein angemessenes
Schmerzensgeld und erhebt dazu Klage vor dem Landgericht der Kleinstadt.
Aufgabe: Hat M Anspruch auf Entschädigung und Schmerzensgeld?
Modifizierter Fall aus Baldus/Grzeszick/Wienhus, Staatshaftungsrecht, S.75.
Aufopferungsanspruch auf Entschädigung
I.
Rechtsgüterschutz
- nur immaterielle Rechtsgüter
- insbesondere Leben, Gesundheit, Freiheit
- nach Rechtsprechung nicht Berufsfreiheit.
II. Anspruchsgrundlage
- Verbindung von Gewohnheitsrecht und Richterrecht, hergeleitet aus dem Rechtsgedanken
der §§ 74, 75 ALR
§ 75 ALR
„(Dagegen) ist der Staat denjenigen, welcher seine besondern Rechte und Vortheile den
Wohl des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen.“
III. Rechtsweg
§ 40 II 1 VwGO, abdrängende Sonderzuweisung an die Zivilgerichte
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IV. Anspruchsvoraussetzungen
1. Beeinträchtigung eines nicht-vermögenswerten Rechts
2.
Keine spezialgesetzliche Entschädigungsregelung
§§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz (Sartorius Ergänzungsband Nr. 285)
3. Hoheitlicher Eingriff durch hoheitlichen Zwang
- auszuschließen bei Freiwilligkeit oder Selbstverschuldung des Betroffenen
- hoheitlicher Zwang bereits bei psychischen Einwirkungen wie Gewissenszwang oder
psychologisches Abfordern (Merkblätter über Schutzimpfung von Kindern) zu bejahen
- Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Eingriffs unerheblich
4. Gemeinwohlbezogenheit des Eingriffs
5. Sonderopfer
Ein Sonderopfer liegt vor, wenn der Geschädigte im Vergleich zu Dritten, eine über das
hoheitlich bezweckte und normale Maß hinaus gehende Einbuße erlitten hat.
Leitlinien der Rechtsprechung:
- Opfer, die vom Gesetz gewollt, sind hinzunehmen.
P: Liegt die besondere Belastung außerhalb der Willensentscheidung des Gesetzgebers?
Beispiel: Pockenimpfung BGHZ 9, 83, 87f. Querschnittslähmung als Impfschaden.
- Rechtswidrigkeit der Maßnahme = Indiz
- keine Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos
Beispiel: Turnunterricht. BGHE: hier nur allgemeines Lebensrisiko. Unfall hätte sich auch in
der Freizeit ereignen können. (wohl kritisch zu beurteilen, „Pufferzone“ des BGH).
6. Vermögensschadens
7. Entschädigungsumfang
Rechtsprechung als Orientierung § 9 BVG
- Heilbehandlung
- Krankenbehandlung
- Geschädigtenrente
- Pflegezulage
- Bestattungsgeld
- Hinterbliebenerente
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V. Keine Ausschlussgründe
1. Kein erhebliches Mitverschulden, § 254 BGB analog
2. Keine Verjährung, § 195 BGB analog
Lösung Fall
M kann die geltend gemachten Schäden verlangen, wenn die Voraussetzungen des
Aufopferungsanspruchs vorliegen.
I. Rechtsgrundlage, §§ 74, 75 EinlPrALR
Richterlich anerkannt.
II. Anspruchsvoraussetzungen
1. Beeinträchtigung eines nicht-vermögenswerten Rechts
Gesundheit (+)
2.
keine spezialgesetzliche Regelung (+)
3. Beeinträchtigung durch hoheitlichen Eingriff/
Hoheitlicher Zwang
M hat sich hier freiwillig dem Speicheltest unterzogen, weshalb der hoheitliche Zwang
fraglich ist. Jedoch reicht zur Bejahung dieser Voraussetzung die psychische Einwirkung auf
den Hoheitsträger. Rechtlicher Zwang nicht erforderlich.
4. Gemeinwohlbezogenheit des Eingriffs
Strafverfolgung (+)
5. Sonderopfer
M im Vergleich zu den anderen Männern des Dorfes, denen Speichelprobe mit
Wattestäbchen aus steriler Verpackung entnommen, ungleich behandelt. M hat hier eine
nicht beabsichtigte und den anderen Männern nicht zugemutete Belastung erlitten. Ein
Sonderopfer liegt vor.
6. Vermögensschaden
Ein Vermögensschaden muss infolge der Rechtsgutsbeeinträchtigung entstanden sein. Hier
Heilbehandlungskosten (+)
Schmerzensgeld als Ausgleich eines immateriellen Schadens: „Schmerz“ nicht
erstattungsfähig. (Nur mittels Amtshaftungsanspruch durchsetzbar, hier aber kein
Verschulden).
III. Keine Ausschlussgründe (+)
für Mitverschuldens nach § 254 BGB oder Verjährung keine Anhaltspunkte im SV
Ergebnis:
M kann die Heilbehandlungskosten ersetzt verlangen. Schadensersatz hingegen nicht.
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Themenkomplex 4:
Schadensersatz aus Amtshaftung - Sekundärrechtsschutz
Fall BSE-Tests
Die kreisfreie Stadt S beauftragte als zuständige untere Verwaltungsbehörde, das private
Labor L, mit den nach dem Fleischhygienegesetz übertragenen Aufgaben, insbesondere mit
der Durchführung von BSE-Tests. Nach dem Fleischhygiengesetz ist das zum Verzehr von
Menschen bestimmte Fleisch über 24 Monate alter Rinder auf BSE zu testen und darf erst
dann in den Verkehr gebracht werden, wenn der BSE-Test negativ ausgefallen ist. Bei einer
Überprüfung des L durch das zuständige Regierungspräsidium wurde festgestellt, dass die
Tests weder ordnungsgemäß durchgeführt noch dokumentiert wurden. Aufgrund der
deshalb entstandenen erheblichen Zweifeln an der Validität der vorangegangen
Testergebnisse wurde der K-GmbH, einem privaten Schlachthof, die bereits erteilte
Tauglichkeitsgenehmigung wieder entzogen. Die entsprechenden Partien Rindfleisch durften
mithin auch nicht in den Verkehr gebracht werden. K konnte deshalb Lieferverpflichtungen
nicht einhalten, wodurch ihr erhebliche Schäden entstanden. K verlangt vom Bundesland als
Rechtsträger der Verwaltungsbehörde Schadensersatz.
Aufgabe: Zu prüfen ist, ob K Schadensersatz aus Amtshaftung erfolgreich geltend machen
kann.
Schadensersatz wegen Amtshaftung
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I. Rechtsgüterschutz
rechtsgüterindifferent, Schutz jedweden Rechtsguts
II. Rechtsweg
Zivilgerichtsbarkeit § 40 II 1VwGO, Art. 34 S. 3 GG,
III. Anspruchsinhalt
Schadensersatz in Geld, §§ 249 ff., 842 ff. BGB, d.h.
auch Schmerzensgeld und Ersatz des entgangenen Gewinns.
IV. Anspruchsgrundlage
§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG als einheitliche Rechtsgrundlage
- Ursprünglich, bei Erlass des BGB: Amtshaftung = persönliche Haftung des Beamten nach §
839 BGB
BGB § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung:
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm, einem Dritten gegenüber,
obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu
ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch
genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(Zweck des Satz 2: Schutz des ursprünglich persönlich haftenden Beamten).
(2) (…)
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig
unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden
(normierter Grundsatz des Vorranges des Primärrechtsschutzes).
Durch Art. 34 GG Überleitung der persönlichen Haftung auf den Staat und Erweiterung des
Beamtenbegriffs, also des Kreises der (ursprünglich) persönlich Haftenden:
Art. 34 GG Haftung bei Amtspflichtverletzung
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem
Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den
Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.
V. Anspruchsvoraussetzungen
1. Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes
enge Voraussetzung des „Beamten im staatsrechtlichen Sinn“ gemäß § 839 BGB durch
jüngeren und verfassungsrechtlichen Artikel 34 GG modifiziert
Jeder, der in Ausübung eines öffentlichen Amtes handelt, ist Beamter i.S. der einheitlichen
Anspruchsgrundlage.
= so genannter haftungsrechtlicher Beamtenbegriff
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Dabei handelt jeder in Ausübung eines öffentlichen Amtes, der hoheitlich tätig wird.
Einfach zu bejahen, wenn Beamte im statusrechtlichen Sinn oder Angestellte des
öffentlichen Dienstes tätig wurden.
Klausurrelevanter:
-
Private werden zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingeschaltet (wie im Klausurfall
das Labor L). Zwischen Privaten und Hoheitsträgern wird ein privatrechtlicher
Dienstvertrag geschlossen.
Private als Beamte im haftungsrechtlichen Sinn
Beliehene (+)
dch Gesetz oder aufgrund
Gesetz Übertragung
hoheitlicher Kompetenzen
zur eigenverantwortlichen
Wahrnehmung.
Beispiel: TÜV, Impfarzt.
Haftung des Verleihenden!
Verwaltungshelfer
im engeren
im weiteren Sinn
einzelfallabhängg
Labor,
Abschleppunternehmen.
Kriterien:
Eingriffsverwaltung
Weisungsgebundenheit
Sachnähe zur hoheitli Aufgabe
2. dadurch Verletzung einer Amtspflicht
Amtspflichten
hier nur beispielhafte Aufzählung, siehe dazu näher
Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5.Aufl., S.43 ff.
- Amtspflicht zu rechtmäßigem Handeln, Art. 20 III GG
- Amtspflicht zur Erteilung richtiger Auskünfte
- Amtspflicht zur Erteilung vollständiger Auskünfte
- Amtspflicht zu rascher Sachentscheidung
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3. Drittgerichtetheit der Amtspflicht
= (materielle) Haftungsbeschränkung, die der prozessualen Beschränkung nach § 42 II VwGO
(Schutznormtheorie) ähnelt: Anspruchssteller soll nur dann einen Anspruch haben, wenn die
verletzte Pflicht auch den Zweck hat, den Anspruchssteller zu schützen.
Dreischrittprüfung:
1) Drittbezogenheit der konkreten Amtspflicht überhaupt
Eine Amtspflicht ist drittbezogen, wenn sie nicht nur im Interesse der Allgemeinheit oder der
Behörde besteht, sondern einen individualisierbaren, von der Allgemeinheit abgrenzbaren
Personenkreis erfasst.
Beispiel: Aufsichtspflicht von Lehrern dient
a) dem Schutz des individualisierbaren, von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises
der Schüler
b) dem Schutz der Personen, die unreif handelnden Schülern während des Unterrichts in
Kontakt kommen können.
Beispiel: Pflicht zur rechtmäßigen Erteilung der Baugenehmigung dient
dem Interesse des Bauherrn, im Vertrauen darauf ein Gebäude in Übereinstimmung mit
öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu errichten.
2) Persönlicher Anwendungsbereich
Subsumtion, ob Anspruchsteller unter den geschützten Personenkreis fällt.
3) Sachlicher Anwendungsbereich
ob die beschädigten Rechtsgüter auch vom Schutz der Amtspflicht erfasst werden sollten.
Vielfache Kritik der Rechtsunsicherheit, fehlenden Abstraktionsfähigkeit.
4. Verschuldete Amtspflichtverletzung, § 276 BGB
− nicht auf die entstandenen Schaden bezogen
Def. Verschulden ist das objektiv pflichtwidrige und subjektiv vorwerfbare Verhalten eines
Zurechnungsfähigen.
−
abstrakt auf die Kenntnisse und Einsichten eines Amtswalters abzustellen, der die für die
Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlichen Kenntnisse und
Einsichten hat, einschließlich die für das jeweilige Amt erforderlichen Rechts- und
Verwaltungskenntnisse
Bsp. An die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Beamten einer Obersten Landesbehörde zur
Erteilung einer atomrechtlichen Genehmigung können höhere Anforderungen gestellt
werden als an einen Beamten einer unterer Verwaltungsbehörde.
5. Adäquat kausaler Schaden
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−
−
Ass. jur. Anja-Franziska Vobl
wenn der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch die
Amtspflichtverletzung verursacht wurde
alle adäquat verursachten Schadenspositionen, einschließlich Vermögensschäden,
ersatzfähig
VI. Keine Haftungsausschlüsse
1. § 839 I 2 BGB
restriktiv auszulegen. Zu diskutieren, wenn der Geschädigte eine Versicherung
abgeschlossen hat, die ansonsten für den Schaden aufkommen würde. In der Regel schließt
ein solcher Anspruch gegen die Versicherung nicht den Anspruch gegen den Staat aus. Dient
dem Schutz des Geschädigten und nicht der Entlastung des Staates.
2. § 839 III BGB
Ausdruck des Vorranges des Primärrechtsschutzes: alle verwaltungsrechtlichen RM, auch
formlose (bspw. Dienstaufsichtsbeschwerde).
3. Keine Verjährung,
3 Jahre, §§ 195, 199 BGB analog.
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Lösung Fall BSE-Tests
Die Klage vor dem Landgericht, das hier sachlich unabhängig vom Streitwert, nach § 1 ZPO
i.V.m. § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG zuständig ist, hat Aussicht auf Erfolg, wenn K Anspruch auf
Ersatz der ihr entstanden Schäden hat.
I. Anspruchsgrundlage, § 839 BGB iVm Art. 34 GG
1. Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes
Vorliegend wurde das private Labor L tätig, um die Tests auf BSE am Fleisch der K
durchzuführen.
Fraglich ist, ob das private Labor L als „Beamter“ i.S.d. der einheitlichen Anspruchsgrundlage
überhaupt in Betracht kommt.
L untersuchte hier das Fleisch auf BSE. Gemäß §1 des Fleischhygienegesetzes besteht die
amtliche Untersuchungspflicht von Rindern vor und nach der Schlachtung, wenn ihr Fleisch
zum Genuss für Menschen bestimmt ist. Folglich nahm L die Aufgaben für das Bundesland
wahr, das L mit diesen auch beauftragt hat.
Der Amtshaftung liegt der so genannte haftungsrechtliche Beamtenbegriff zugrunde. Jeder,
auch jeder Private, der hoheitliche Aufgaben wahrnehmen darf und in Ausführung dieser
handelt, kommt als haftungsrechtlicher Beamter in Betracht.
L ist hier als selbstständiges Unternehmen als Verwaltungshelfer im weiten Sinne zu
qualifizieren. Ob solche als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne handeln, ist für den
jeweiligen Einzelfall gesondert zu beantworten. Für die Bejahung sprechen
Weisungsabhängigkeit, die Übertragung BSE-Tests, die eine Behörde mangels Kompetenz
und technischen Vorrichtungen idR übertragen muss, die staatliche Überwachungs- und
damit Einflussnahmemöglichkeit der Behörde.
Labor hier Beamter im haftungsrechtlichen Sinne (+)
2. Verletzung der Untersuchungspflicht (+)
- zwar Behörde hier eventuell ihrer Kontrollpflicht nicht nachgekommen, kommt hier aber
auf übertragene Untersuchungspflicht an
- Labor L laut SV: unsachgemäße Durchführung und Dokumentation der BSE-Tests, also
Verletzung der Untersuchungspflicht (+)
3. Drittgerichtetheit der Untersuchungspflicht
1) Drittbezogenheit der Untersuchungspflicht (+)
Schützt Fleischverzerrer.
2) Persönlicher Anwendungsbereich auf K?
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Gerade aber auch K als Gewerbetreibender und Eigentümer der Rinder muss auf
ordnungsgemäße Untersuchung seiner Rinder vertrauen dürfen (etwas mehr zu diskutieren).
3) Sachlicher Anwendungsbereich (+)
4. Verschulden
- bezieht sich nur auf Amtspflicht, nicht auf die Herbeiführung des Schadens.
- hier objektiv-pflichtwidriges und subjektiv vorwerfbare fehlerhafte Kontrolle und
Dokumentation (+)
5. Kausaler Schaden
- K schadensersatzpflichtig gegenüber seinen Vertragspartnern aufgrund Vertragsverletzung
der Lieferverträge
- adäquate Schäden (+)
III. Keine Haftungsausschlüsse
1. § 839 I 2 BGB, restriktiv auszulegen:
Haftpflichtversicherungen dienen nicht der Entlastung des Staates vor finanzieller
Inanspruchnahme, sondern ausschließlich dem Versicherten selbst. Bei Inanspruchnahme
muss Versicherter mit höherem Beitragssatz, Schlechterstellung rechnen, eventuell auch
Selbstbehalt.
2. § 839 III BGB Ausdruck des Vorranges des
Primärrechtsschutzes: Hier kein Primärrechtsschutz möglich, weil nicht sinnvoll.
3. Keine Verjährung (+) kein Anhaltspunkt im Sachverhalt
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Da Staatshaftungsrecht Richterrecht ist, lesen Sie regelmäßig aktuelle Entscheidungen!
Staatshaftungsrecht ist in der Praxis ein sehr spannendes Rechtsgebiet.
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-
Baldus/Grzeszick/Wienhus, Staatshaftungsrecht, 2.Aufl. 2007.
Schmalz – Staatshaftungsrecht Fälle und Lösungen,
Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5.Auflage
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Fleischhygienegesetz
Vom 30. Juni 2003, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2003 Teil I Nr. 32, S. 1242 vom 14.
Juli 2003, durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2003 Teil I Nr. 39, S. 1585 vom 08.
August 2003, durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004 Teil I Nr. 4, S. 88 vom 28.
Januar 2004, durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004 Teil I Nr. 24, S. 934 vom 13.
Mai 2004, zuletzt geändert durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004 Teil I Nr. 57, S.
2688 vom 9. November 2004, berichtigt durch durch Bundesgesetzblatt Jahrgang
2004 Teil I Nr. 72, S. 3657 vom 27. Dezember 2004 – mittlerweile aufgehoben
§1 Untersuchungspflicht
(1) Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, andere Paarhufer, Pferde, andere Einhufer, Kaninchen,
die als Haustiere gehalten werden, unterliegen, wenn ihr Fleisch zum Genuss für Menschen
bestimmt ist, vor und nach der Schlachtung einer amtlichen Untersuchung (Schlachttier-und
Fleischuntersuchung); dies gilt entsprechend für Haarwild, das auf andere Weise als durch
Erlegen getötet wird. Erlegtes Haarwild unterliegt unbeschadet des Satzes 3 bei gleicher
Zweckbestimmung nur der Fleischuntersuchung. Die Schlachttier- und Fleischuntersuchung
kann bei Hauskaninchen, die Fleischuntersuchung bei erlegtem Haarwild unterbleiben, wenn
keine Merkmale festgestellt werden, die das Fleisch als bedenklich zum Genuss für
Menschen erscheinen lassen, und
1. das Fleisch zum eigenen Verbrauch verwendet oder unmittelbar an einzelne natürliche
Personen zum eigenen Verbrauch abgegeben wird oder
2. das erlegte Haarwild unmittelbar nach dem Erlegen in geringen Mengen an nahegelegene
be- oder verarbeitende Betriebe zur Abgabe an Verbraucher zum Verzehr an Ort und Stelle
oder zur Verwendung im eigenen Haushalt geliefert wird.
Fleisch von Hunden, Katzen, anderen hundeartigen und katzenartigen Tieren (Caniden und
Feliden) sowie von Affen darf zum Genuss für Menschen nicht gewonnen werden.
(2) Schweine und Einhufer, deren Fleisch zum Genuss für Menschen verwendet werden soll,
sind nach der Schlachtung amtlich auch auf (…)