Erstattung von Kosten im Verwaltungsrecht aus Sicht des Anwalts A

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Erstattung von Kosten im Verwaltungsrecht aus Sicht des Anwalts A
Erstattung von Kosten im Verwaltungsrecht aus Sicht des Anwalts
August 2008 - Inhalte sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Gewähr - RA Rolf Krüger, Kiel
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Erstattung von Kosten im Verwaltungsrecht aus Sicht des Anwalts
Inhaltsübersicht des Skriptes:
A. Kostentragungspflichten nach einem Verwaltungsprozess ................................................... 1
I.
II.
Der Verwaltungsprozess endet mit einer Gerichtsentscheidung ............................................................... 1
Der Verwaltungsprozess endet durch Erledigung der Hauptsache ........................................................... 1
B. Kostentragungspflichten nach einem isolierten Vorverfahren .............................................. 2
I.
II.
III.
IV.
Kostentragungspflicht der Behörde........................................................................................................... 2
Kostengrundentscheidung der Behörde .................................................................................................... 2
Kostenfestsetzungsentscheidung der Behörde .......................................................................................... 3
Rechtsschutz gegen die Kostenentscheidung............................................................................................ 3
C. Kostentragungspflichten außerhalb von Verwaltungsprozess und Vorverfahren ................. 3
I.
II.
A.
I.
Rücknahme und Änderung eines Verwaltungsaktes ................................................................................. 3
Ermittlungsverfahren ................................................................................................................................ 4
Kostentragungspflichten nach einem Verwaltungsprozess
Der Verwaltungsprozess endet mit einer Gerichtsentscheidung
Die erstattungsfähigen Kosten (§ 162 Abs. 1 VwGO) trägt der Unterliegende (§ 154 Abs. 1 VwGO1). Teilweises
Obsiegen führt zu einer Kostenquote (§ 155 Abs. 1VwGO).
§ 154 VwGO Kostentragung
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. ...
§ 155 VwGO Kostenverteilung
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die
Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz
auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. ...
§ 162 VwGO Erstattungsfähige Kosten
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. ...
II.
Der Verwaltungsprozess endet durch Erledigung der Hauptsache
Ein Gerichtsverfahren ist rechtshängig (§§ 81, 90 VwGO), die Beschwer fällt aber, bevor das Gericht entscheidet, weg.
Bei übereinstimmender Erledigungserklärung entscheidet das Gericht nicht mehr in der Sache sondern per
Beschluss nur noch über die Kostentragungspflichten (§ 161 Abs. 2 VwGO).
§ 161 VwGO Entscheidung über die Kosten
... (2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem
Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. ...
Entscheidend für die Erledigung der Hauptsache sind allein die Erledigungserklärungen. Das Verfahren wird
analog § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO deklaratorisch eingestellt. Das Gericht entscheidet lediglich noch nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten des Rechtsstreits.
Ermessenskriterien:
- Wer hat die Erledigung herbeigeführt (gibt Kläger auf oder stellt Beklagter klaglos)?
- Wessen Sphäre ist die Erledigung zuzurechnen?
- Wie waren die Erfolgsaussichten der Klage?
Bei bloß einseitiger Erledigungserklärung (Kläger erklärt für erledigt, Beklagter schließt sich nicht an) entscheidet das Gericht durch Feststellungsurteil. Der Klagantrag muss auf Feststellung, dass ein erledigendes
Ereignis eingetreten ist, umgestellt werden. Es handelt sich hierbei um eine Klageänderung sui generis, sodass
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vgl. auch § 193 SGG, § 135 FGO und auch vergleichend §§ 465, 467 StPO, § 91 ZPO
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die Zustimmung des Beklagten und ein besonderes Feststellungsinteresse (= Kosteninteresse) entbehrlich sind.
Im Feststellungsurteil zur Erledigung entscheidet das Gericht auch über die Kosten gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.
B.
Kostentragungspflichten nach einem isolierten Vorverfahren
Endet das Vorverfahren, ohne dass es zu einem Klagverfahren kommt (= isoliertes Vorverfahren) richtet sich die
Erstattungspflicht nach den Vorschriften der entsprechend dem Rechtsgebiet anzuwendenden Verwaltungsverfahrensgesetze und eben nicht nach den entsprechenden Gerichtsordnungen.
I.
Kostentragungspflicht der Behörde
1. Erfolgreicher Widerspruch
Die Rechtsverfolgungskosten des Widerspruchsführers sind dem Grunde nach von der Behörde zu tragen, wenn
der Widerspruch erfolgreich war (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG2).
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§ 80 VwVfG Erstattung von Kosten im Vorverfahren
(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu
erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach
§ 45 unbeachtlich ist. ...
Erfolgreich ist ein Widerspruch, wenn ihm
•
durch die Ausgangsbehörde abgeholfen wurde oder
•
von der Widerspruchsbehörde stattgegeben wurde.
2. Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten
Im Vorverfahren angefallene Rechtsanwaltskosten sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war (§ 80 Abs. 2 Satz 1 VwVfG4).
§ 80 VwVfG Erstattung von Kosten im Vorverfahren
... (2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn
die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. ...
Notwendig ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen
und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen. Zu berücksichtigen sind dabei neben dem Bildungs- und Kenntnisstand des Bürgers Schwierigkeit und Bekanntheitsgrad der
einschlägigen Rechtsmaterie sowie die wirtschaftliche Bedeutung der Sache. Im Interesse der Waffengleichheit
zwischen Widerspruchsführer und Widerspruchsbehörde wird die Notwendigkeit in der Regel bejaht, wenn der
Sachverhalt nicht sofort eindeutig beantwortbare Tat- oder Rechtsfragen aufwirft.
II.
Kostengrundentscheidung der Behörde
Im Falle der Abhilfe durch die Ausgangsbehörde hat diese von Amts wegen gemäß § 72 VwGO über die Kostentragungspflicht dem Grunde und über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren zu entscheiden. Hilft die Ausgangsbehörde nicht ab, entscheidet aber die Widerspruchsbehörde zu Gunsten
des Widerspruchsführers, dann hat diese gemäß § 73 Abs. 3 Satz 3 VwGO über die Kosten zu entscheiden.
§ 72 VwGO Abhilfe durch Behörde
Hält die Behörde den Widerspruch für begründet, so hilft sie ihm ab und entscheidet über die Kosten.
§ 73 VwGO Widerspruchsbescheid
(3) ... Der Widerspruchsbescheid bestimmt auch, wer die Kosten trägt.
Beachte:
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Über die Kosten ist nur zu entscheiden, wenn auch über den Widerspruch sachlich entschieden
wird (vgl. §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Eine Regelung zur Kostenerstattung bei vorheriger
vgl. auch z.B. § 120 Abs. 1 LVwG-SH, § 63 Abs. 1 SGB X
§ 80 VwVfG gilt seit dem 1.1.1977; die entsprechende Vorschrift im Sozialrecht (§ 63 SGB X) gilt erst seit dem 1.1.1981.
Vorher gab es keine Kostenerstattungspflicht der Behörde in einem erfolgreichen isolierten Vorverfahren.
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vgl. auch z.B. § 120 Abs. 2 LVwG-SH, § 63 Abs. 2 SGB X
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Erledigung des Widerspruches ist in § 80 VwVfG nicht enthalten. Der Widerspruchsführer hat in
diesem Fall die Kosten selbst zu tragen.
III.
Kostenfestsetzungsentscheidung der Behörde
Sobald die Behörde entweder in dem Abhilfe- oder dem Widerspruchsbescheid über die Kosten entschieden hat,
hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen5 (§
80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) auf Antrag in einem erneuten, selbständigen Verwaltungsverfahren festzusetzen (§ 80
Abs. 3 Satz 1 VwVfG).
§ 80 VwVfG Erstattung von Kosten im Vorverfahren
(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat ( § 73 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ) die Kostenentscheidung getroffen, so obliegt die Kostenfestsetzung der
Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder
eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.
IV.
Rechtsschutz gegen die Kostenentscheidung
Die Kostengrundentscheidung ist Klagegegenstand nach § 79 VwGO. Sie kann aber bei sachlicher Unrichtigkeit mit Anfechtungsklage oder bei gänzlichem Fehlen mit Verpflichtungsklage jeweils ohne vorherigen Widerspruch auch isoliert angegriffen werden mit der Folge, dass der Widerspruchsbescheid in der Sache bestandskräftig wird.
Die sich anschließende Kostenfestsetzungsentscheidung hingegen kann nach vorherigen Widerspruch nur mit
der Verpflichtungsklage gerichtet auf Erlass einer neuen Kostenfestsetzungsbescheides berichtigt werden.
C.
Kostentragungspflichten außerhalb von Verwaltungsprozess und Vorverfahren
Wenn es weder einen Verwaltungsprozess noch einen Verwaltungsakt und damit auch kein Vorverfahren gibt,
stellt sich die Frage, ob und wenn ja nach welcher Vorschrift die anwaltlichen Gebühren von der Behörde erstattet werden.
I.
Rücknahme und Änderung eines Verwaltungsaktes
Ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt wird nach Einschaltung eines Rechtsanwaltes von der
Ausgangsbehörde zurückgenommen und zu Gunsten des Widerspruchsführers geändert. Wer trägt die Kosten
des Rechtsanwaltes?
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§ 44 SGB X Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht
erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. ...
Beispiel - Berufsgenossenschaft:
Arbeitsunfall - Beitragsumlage - Eigenbelastung höher als Durchschnittsbelastung
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2.9.2003
Unser Mandant ist Inhaber einer Dachdeckerei. Einer seiner Arbeiter erleidet beim Anbringen von Dachlatten eine Verletzung seines Daumens.
14.4.2005
Die zuständige Berufsgenossenschaft erlässt für das Umlagejahr 2004 einen Beitragsbescheid, in dem Sie unseren Mandanten neben den laufenden Beiträgen zur Unfallversicherung einen Beitragszuschlag gemäß § 30 Abs. 1 Satzung BG-BAU von ca. 11.000,00
EUR auferlegt. Begründung: Sie habe Aufwendungen für den Arbeiter des Mandanten
erbracht.
Januar 2008
Der Mandant erfährt, dass der Arbeiter erfolglos gegen die BAU-BG auf Leistungen
geklagt hat. Diese hatte mit Bescheid vom 27.10.2004 die Leistungen aus der Unfallver-
z.B.: Anwaltskosten, Porto- und Telefonkosten des Widerspruchsführers, möglicherweise auch Reisekosten zu einem notwendigen Termin einschl. Verdienstausfall und evtl. auch die Kosten eines in Auftrag gegebenen Privatgutachtens, wenn
dessen Einholung zur Vorbereitung des Verfahrens oder zur Erlangung der erforderlichen Sachkunde geboten war
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vgl. auch § 48 VwVfG
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21.1.2008
13.2.2008
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sicherung abgelehnt, weil die Verletzung des Arbeiters von einer rheumatischen Vorerkrankung rühre und damit schicksalhaft sei. Nicht der Unfall sondern die Vorerkrankung
sei wesentlich für die Beschwerden des Arbeiters.
Unser Antrag an die BAU-BG: Den Beitragsbescheid vom 14.4.2005 zurückzunehmen
und den Mandanten neu zu bescheiden (§ 44 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X). Begründung:
Der Beitragszuschlag ist nicht angefallen. Die Eigenbelastung unseres Mandanten lag
nicht über der Durchschnittsbelastung. Die bei der Berechnung des Beitragszuschlages
zugrundegelegten Unfallbelastungen lagen nicht vor, weil sie tatsächlich nicht erbracht
wurden.
Änderungsbescheid der BAU-BG. Dem Beitragskonto unseres Mandanten werden ca.
11.000,00 EUR gutgeschrieben.
1. Anwendbarkeit der allgemeine Kostenvorschriften zum Vorverfahren
Die Anwendbarkeit der allgemeinen Kostenvorschriften, hier § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, für das isolierte Vorverfahren ist wegen des eindeutigen Gesetzeswortlautes beschränkt auf erfolgreiche Widersprüche. Für eine
analoge Anwendung der Kostenvorschriften bleibt kein Raum, da es keine planwidrige Lücke im Gesetz gibt7.
§ 63 SGB X Erstattung von Kosten im Vorverfahren
(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu
erstatten. ...
2. Allgemeiner Grundsatz einer Kostenerstattungspflicht bei Obsiegen
Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige, der seine Rechtsposition erfolgreich verteidigt, Anspruch auf Kostenerstattung hat. Eine generelle Kostenerstattungspflicht des Unterliegenden ist in den verschiedenen Verfahrensordnungen nicht vorgesehen. Dies ist vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden8.
3. Schadenersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB iVm. Art. 34 GG
Rechtsanwaltskosten können Gegenstand eines bürgerlichrechtlichen Schadenersatzanspruches sein9. Voraussetzung ist das Vorliegen von Verschulden des Beamten.
§ 839 BGB Haftung bei Amtspflichtverletzung
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus
entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden,
wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. ...
Art. 34 GG Amtspflichtverletzung
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die
Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. ...
II.
Ermittlungsverfahren
Drei behördliche Verfahren werden eingeleitet und nach Einschaltung eines Rechtsanwaltes eingestellt. Wer
trägt die Kosten des Rechtsanwaltes?
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SG Leipzig, Gerichtsbescheid vom 3.8.2007, S 8 AL 16/06: „Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil
vom 20.04.1983, Az: 5 a RKn 1/82, in: BSG SozR 3-1300, § 63 SGB X Nr. 1), der das erkennende Gericht folgt, ist die
Vorschrift des § 63 Abs. 1 SGB X über die Erstattung von Kosten des Vorverfahrens nicht entsprechend anwendbar für
Kosten eines Verwaltungsverfahrens, das die Rücknahme eines Verwaltungsaktes (Neufeststellungsverfahren) betrifft, obwohl dieses ebenfalls zum Verwaltungsverfahren im engeren Sinne gehört. Wenngleich durch das Verfahren zur Rücknahme
eines rechtswidrigen, hinsichtlich des Überprüfungsgegenstandes nicht begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 44 SGB X) im
Ergebnis das gleiche Ziel erreicht werden kann wie durch einen Widerspruch gegen einen unrichtigen Bescheid, reicht dies
allein nicht aus, beide Verfahren hinsichtlich der Kostenerstattung gleich zu behandeln. ... .“
8
BSG Urteil vom 31.5.2006, B 6 KA 62/04 R
9
BGH Urteil vom 19.1.2006, III ZR 82/05: „In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass Vorverfahrenskosten,
insbesondere für die Zuziehung eines Rechtsanwalts, die nicht im erfolgreichen Vorverfahren erstattet werden, Gegenstand
eines bürgerlichrechtlichen Schadensersatzanspruchs aus Amtspflichtverletzung sein können.“ mwN.
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Beispiel - Eine unsichere Autofahrt und deren Folgen:
Überprüfung der Fahreignung mit MPU - Vernehmung als Beschuldigter wegen Trunkenheit im Verkehr (§
316 StGB) - Anhörung im Bußgeldverfahren wegen des Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot mit Gefährdung anderer
25.1.2008
Unser Mandant, 67 Jahre alt, ein amputiertes Bein, fährt mit seinem Renault auf der B
202. Eine hinter ihm fahrende Verkehrsteilnehmerin ruft die Polizei an mit dem Verdacht, unser Mandant fahre betrunken Auto. Ein Funkstreifenwagen der Einsatzzentrale
nimmt die Verfolgung auf und setzt sich zwischen die Anzeigende und unseren Mandanten. Laut Polizeibericht beobachtet der Polizeibeamte, dass unser Mandant 60 km/h
fährt, die Fahrweise unsicher ist, er mindestens 2 mal ohne Grund bremst und die Linkskurven schneidet, wobei er mit der linken Fahrzeugseite bis zur Fahrzeugmitte über die
Mittellinie gelangt. Der Polizeibeamte setzt sich vor unseren Mandanten und lotst ihn
mit dem Leuchtsignal „Bitte folgen“ und „Stopp Polizei“ an eine Bushaltestelle.
Schließlich verbringt er unseren Mandanten in die nächstgelegene Polizeistation.
Auf Befragen gibt unser Mandant an, Medikamente zu nehmen. Er legt eine Liste seiner
Medikamente, die er für den Notfall bei sich trägt, vor, mit dem Hinweis darauf, dass
diese nicht aktuell sei. Auf der Liste noch aufgeführt, aber nicht eingenommen, sind
starke Schmerzmittel gegen die Phantomschmerzen im fehlenden Bein. Nach telefonischer Rücksprache mit der Bereitschaftsstaatsanwältin wird eine Blutprobe angeordnet
und entnommen. Da der Atemalkoholtest negativ ist, wird die Uni Kiel nur mit der Untersuchung des Blutes auf Drogen/Arzneimittel beauftragt.
8.2.2008
Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet gemäß § 11 Abs. 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) die
Beibringung eines medizinischen Gutachtens an und fordert unseren Mandanten in diesem Zusammenhang auf, sein Einverständnis dazu zu erklären, seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auf seine Kosten durch einen Amtsarzt begutachten zu lassen.
4.3.2008
Ergebnis zur Blutprobe: nachgewiesen wurden Amitriptylin (Antidepressivum) und
Metopolol (Bluthochdruckmittel), die auch bei normaler Dosierung die Reaktionsfähigkeit und Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen könnten.
5.3.2008
Amtsärztliche Untersuchung
15.3.2008
polizeiliche Anhörung auf der Polizeistation; der Mandant macht keine Angaben
19.3.2008
Untersuchungsergebnis des Amtsarztes: keine Bedenken gegen die Fahreignung
28.3.2008
Mitteilung der Fahrerlaubnisbehörde, dass diese aufgrund des vorgelegten amtsärztlichen
Gutachtens keinen Grund sehe, unserem Mandanten die Fahrerlaubnis zum Führen von
Kraftfahrzeugen zu entziehen.
31.3.2008
Einlassung von uns zur Strafsache: Die Hausärztin habe die Medikamente verschrieben
und keinen Hinweis darauf gegeben, dass unser Mandant nicht Auto fahren dürfe. Auch
der Amtsarzt habe die Medikamentenliste nicht beanstandet. Hinsichtlich der Fahrweise
des Mandanten ein Hinweis auf die schlechten Witterungsverhältnisse, hier ein Sturm.
24.4.2008
Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO
26.5.2008
Anhörungsschreiben der Bußgeldstelle zum Vorwurf des Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot mit Gefährdung anderer (§ 2 Abs. 2, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 StVG; 4.1.
BKat; § 19 OWiG); im Raum stehen 40,00 EUR Bußgeld plus 3 Punkte (4.1. BKat)
11.6.2008
Einlassung von uns zur Bußgeldsache: Den Zeugenaussagen seien keine Gefährdung
anderer Verkehrsteilnehmer zu entnehmen.
10.07.2008
Mitteilung der Bußgeldstelle: Einstellung gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 OWiG
§ 11 FeV Eignung
... (2) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen, kann
die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber anordnen. Bedenken gegen
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die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel
nach Anlage 4 oder 5 hinweisen.
1. Anwaltskosten im verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahren (Überprüfung der Fahreignung)
Eine Kostenerstattung durch die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 80 VwVfG scheitert daran, dass kein erfolgreicher Widerspruch gegeben ist. Es kann kein Vorverfahren betrieben werden, da kein Verwaltungsakt vorliegt.
Bei der Anordnung, auf eigene Kosten ein Gutachten beizubringen, handelt es sich um eine vorbereitende Maßnahme, die der Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die später zu treffende Entscheidung über die Entziehung
der Fahrerlaubnis dient. Der Betroffene kann die Rechtswidrigkeit der Anordnung vielmehr im Rahmen eines
Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens oder einer Klage auf Erstattung der Untersuchungskosten geltend machen10.
2. Anwaltskosten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB))
Ein Beschuldigter hat seine notwendigen Auslagen im Fall der Einstellung des außergerichtlichen Ermittlungsverfahrens selbst zu tragen. Eine Ausnahme davon bildet § 469 StPO, wonach gegebenenfalls dem Anzeigenden
die Kosten aufzuerlegen sind.
§ 469 StPO Kostentragungspflicht des Anzeigenden
(1) Ist ein, wenn auch nur außergerichtliches Verfahren durch eine vorsätzlich oder leichtfertig erstattete unwahre Anzeige veranlasst worden,
so hat das Gericht dem Anzeigenden, nachdem er gehört worden ist, die Kosten des Verfahrens und die dem Beschuldigten erwachsenen
notwendigen Auslagen aufzuerlegen. ...
3.
Anwaltskosten im Ermittlungsverfahren der Bußgeldstelle (Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot mit
Gefährdung anderer)
Im Ermittlungsverfahren einer Verwaltungsbehörde, auch bei Einstellung dieses, gibt es keine Kostenerstattung
der notwendigen Auslagen des Betroffenen. Die im Falle des Obsiegens einschlägige Vorschrift des § 105
OWiG iVm. mit StPO-Vorschriften greift nicht. Die in Betracht kommende entsprechende Vorschrift der StPO,
hier § 467 StPO, ist nicht anzuwenden. Sie wird im § 105 StPO nicht erwähnt.
§ 105 OWiG Kostenentscheidung
(1) Im Verfahren der Verwaltungsbehörde gelten § 464 Abs. 1 und 2 ,§ 464a, § 464c, soweit die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher betroffen sind, die §§ 464d, 465, 466, 467a Abs. 1 und 2 ,§ 469 Abs. 1 und 2 sowie die §§ 470, 472b und 473 Abs. 7 der Strafprozessordnung
sinngemäß, im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende ferner § 74 des Jugendgerichtsgesetzes. ...
§ 467 StPO Kostentragung bei Freispruch
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last. ...
4. Rechtsschutzversicherung
Im Beispiel hat der Mandant drei Verfahren zu bezahlen. Jedes bildet gebührenrechtlich eine gesonderte Angelegenheit. Da eine Rechtsschutzversicherung eintrittspflichtig ist, ist es angezeigt, die drei Verfahren auch als
solche zu betrachten und alle anfallenden Gebühren voll auszuschöpfen, wozu insbesondere auch die im RVG
vorgesehenen Extragebühren für die Einstellung der Verfahren zählen. Hinsichtlich der etwaig vereinbarten
Selbstbeteiligung ist daran zu denken, dass diese nur einmal anfällt. Zwar sind es drei Rechtsschutzfälle aber nur
ein Schadenfall, nämlich die Autofahrt unseres Mandanten am 25.1.2008.
10
BVerwG Beschluss vom 17.05.1994, 11 B 157/93