„Darum gehet hin und machet alle Völker zu meinen Jüngern...“ (Mt

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„Darum gehet hin und machet alle Völker zu meinen Jüngern...“ (Mt
Es gilt das gesprochene Wort
Sperrfrist: Dienstag, 2.5.2006, 13 Uhr
Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
„Darum gehet hin und machet alle Völker zu meinen Jüngern...“ (Mt 28,19)
Perspektiven zur theologischen Grundlegung christlicher Mission
Eröffnungsvortrag beim Internationalen Kongress der Katholischen Kirche in
Deutschland „WeltMission“, veranstaltet von der Deutschen Bischofskonferenz in
Zusammenarbeit mit dem Deutschen Katholischen Missionsrat am 2. Mai 2006 in Freising
In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist immer wieder versucht worden, dem oft diskreditierten Grundgedanken der Mission einen neuen Auftrieb und eine frische Überzeugungskraft zu
verleihen. Dieser Prozess war mühsam und langsam. Schließlich aber hat dieses Vorhaben
doch mehr und mehr an Boden gewonnen.
So war es an der Zeit, einen neuen Anlauf zu unternehmen und die bisher gewonnenen Erkenntnisse zu bündeln. Dies hat dazu geführt, dass die Deutsche Bischofskonferenz nach längerer Vorbereitung am 23. September 2004 bei ihrer Herbst-Vollversammlung in Fulda ein
umfangreiches Grundsatzdokument mit dem Titel „Allen Völkern Sein Heil“ und dem Untertitel „Die Mission der Weltkirche“ verabschieden konnte.1
Studientag und Verabschiedung des Dokuments waren in vieler Hinsicht auch sonst vorbereitet worden.2
1
2
Allen Völkern Sein Heil. Die Mission der Weltkirche = Die deutschen Bischöfe 76, 23. September 2004, hrsg.
vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn o.J. (2004). Die Deutsche Bischofskonferenz hat dazu einen Studientag abgehalten, der durch ein umfangreiches Referat von Prof. P. Dr. Michael Sievernich SJ,
Mainz, eingeleitet wurde: Zur theologischen Bedeutung der Weltmission in der Gegenwart (Manuskript, 20
Seiten).
Vgl. H. de Lubac, Le fondement théologique des missions, Paris 1946 (jetzt in: Théologie dans l´histoire II,
Paris 1990, 159-219; M.-D. Chenu, Von der Freiheit eines Theologen = Collection Chenu 3, Mainz 2005, 165
ff. Zum Thema auch K. Lehmann, Umkehr zum Leben für alle. Ursprung und Tragweite der missionarischen
Grunddimension des christlichen Glaubens. Eröffnungsreferat bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen
Bischofskonferenz in Fulda, 20. September 2004 = Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 25,
Bonn o.J. (2005), jetzt auch in: Karl Kardinal Lehmann, Zuversicht aus dem Glauben. Die Grundsatzreferate
des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit den Predigten der Eröffnungsgottesdienste, Freiburg
i.Br. 2006, 476-498 (Lit.), vgl. die dazugehörige Predigt „Allen alles werden um des Evangeliums willen“,
ebd., 472-475. Dazu auch schon früher: K. Lehmann, Vom Ursprung der Mission im Lebensgeheimnis Jesu
Christi. Zur theologischen Begründung des Missionsauftrags der Kirche, in: La Mission – Die Sendung der
Kirche am Vorabend des dritten Jahrtausends. Dokumente des Missionskolloquiums vom 22.-23. Oktober
1998 in Freiburg i.Ü., Fribourg 1999, 7-14; vgl. auch schon: Karl Lehmann, Neuer Mut zum Kirchesein, Freiburg i.Br. 1982.
1
In vieler Hinsicht ist auch die Wiedergewinnung der missionarischen Grunddimension der
Kirche den großen Dokumenten der letzten Jahrzehnte zu danken: Ad Gentes. Das KonzilsDekret über die Missionstätigkeit der Kirche (1965), Evangelii nuntiandi Papst Pauls VI.
(1975) und besonders Redemptoris missio von Papst Johannes Paul II. (1990)3.
Vor diesem Hintergrund möchte ich nun eine theologische Grundlegung versuchen, die eine
gewisse Kenntnis von „Allen Völkern Sein Heil“ voraussetzt, zugleich jedoch aber auch
nichts von den Grundthemen der folgenden Referate vorwegnehmen möchte, wo es um die
Missionstheologien der Völker, um die Verbreitung des Christentums, um die missionarische
Spiritualität, um Mission im Kontext von Politik und Gesellschaft und schließlich um die
Mission in der Begegnung und Konfrontation charismatischer und pentecostaler Bewegungen
aber auch um das Verhältnis von Mission und interreligiösem Dialog4 geht. So sind dann auch
die Voraussetzungen geschaffen, um die Frage zu stellen, was unsere Seelsorge in missionarischer Hinsicht von der Weltkirche lernen kann und welche Konsequenzen dies hat für die
Pastoral in unserem Land.
Ich fühle mich so auch entlastet, um nun die theologische Dimension zu entfalten.
I. Trinitarische Begründung der Mission
Angesichts der Wichtigkeit des Gottesverständnisses erscheint es mir jedoch als notwendig,
gleichsam ein Vorspiel zur Erörterung des Missionsgedankens vorauszuschicken. Dabei kann
dies ohnehin nur eine Skizze sein. Der vorösterliche Jesus ist der Bote des Vaters. Gott thront
nicht in seliger Selbstgenügsamkeit. Er ist nicht „olympisch“, d.h. bleibt nicht in seiner unberührbaren und seligen Souveränität. Bei den Griechen sind die Götter nicht zuletzt darum selig, weil sie selbstgenügsam in sich bleiben und schweigen. Die Absolutheit wird mit seiner
Erhabenheit über Welt und Geschichte zum Ausdruck gebracht. Im christlichen Glauben behält er zwar seine aus ihm selbst kommende und durch nichts bedingte Ursprünglichkeit, verbleibt aber nicht in Autarkie, sondern wendet sich der Welt und den Menschen in der Schöpfung und in der Geschichte zu.5 Gott tritt schon im Alten Bund aus sich heraus, um mit den
Menschen zu sein. Er kommt auf uns zu und lädt uns ein, Friede und Gemeinschaft mit ihm
selbst zu stiften und geschwisterliche Gemeinschaft unter den Menschen herzustellen. Er ist
wirklich ein Emmanuel, ein Gott-mit-uns. Gott selbst ist der Ursprung aller Mission, denn er
3
Vgl. die genauen Angaben in: Allen Völkern Sein Heil, 70-74; zu „Ad Gentes“ vgl. neuerdings den Kommentar von P. Hünermann, in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, hrsg. von
P. Hünermann und B.J. Hilberath, Band 4, Freiburg i.Br. 2005, 219-336 (Bibliographie 330-336).
4
Dazu: K. Lehmann, Das Christentum – eine Religion unter anderen? – Zum Interreligiösen Dialog aus katholischer Perspektive, in: Zuversicht aus dem Glauben, 397-435 (Lit.); M. Crociata (Hg.), Teologia delle religioni.
La questione del metodo, Roma 2006; H. J. Münk und M. Durst (Hg.), Christliche Theologie und Weltreligionen = Theologische Berichte XXVI, Fribourg 2003.
5
Vgl. ausführlicher dazu K. Lehmann, Kirchliche Dogmatik und biblisches Gottesbild, in: J. Ratzinger (Hg.),
Die Frage nach Gott (QD 56), Freiburg i. Br. 1972 u.ö., 116–140 (mehrere Übersetzungen).
2
sendet uns aus dem Schweigen der Ewigkeit sein Wort der Wahrheit, er sendet die Propheten
als lebendiges Zeugnis seiner Zuwendung zu uns, erweckt sie und leitet sie durch den Geist
der Wahrheit. In diesem Sinne gibt es zweifellos auch eine tiefe trinitarische Begründung der
Mission, die stärker in der ökonomischen Trinität sichtbar wird, die freilich wiederum durch
die immanente Trinität begründet bleibt.
Das Interesse Gottes an der Welt wird im Zug der Heilsgeschichte immer offenkundiger.
Auch die jüdische Theologie hat bekanntlich diese Kondeszendenz Gottes in seinem Wort, in
der Tora, in der Schechina und vielen Erweisen seiner Güte zur Welt bezeugt. Nicht zuletzt
darauf spielt der Anfang des Hebräerbriefes an: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott
einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn.“ (Hebr 1,1f.) Es gibt in diesem Sinne dann auch eine sehr konsequente Christologie der Sendung, die vielleicht am stärksten erkennbar wird in Gal 4,4: „Als
aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“. Er ist Gottes Mission. Als Sohn bezeugt er
am tiefsten und ganz authentisch den Willen des Vaters. Jesu Weg ist nichts anderes als Sendung vom Vater her.
Diese Sendung des Sohnes hat ein Ziel, nämlich die Liebe Gottes zum Menschen und zur
Welt offenbar zu machen. Die Herrschaft Gottes ist nicht die Durchsetzung irgendeiner
Macht, sondern letztlich ist es die ganz andere Herrschaft der suchenden Liebe. In unüberbietbarer Form hat es der große Theologe Johannes formuliert: „Denn Gott hat die Welt so
sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zu
Grunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“ (Joh 3,16 f.)
II. Der Heilswille Gottes
Dieser erste Aufriss muss noch näher geklärt werden. Dabei geht es vor allem um das Verhältnis Jesu zu so etwas wie Mission.6 Die Frage, ob Jesus die Mission gewollt hat, muss in
einer gestuften Reflexion beantwortet werden. Einmal verstand sich Jesus selbst als der Gesandte, der den Auftrag hat, das Gnadenjahr des Herrn auszurufen (vgl. Lk 4,18 f.) und die
verlorenen Schafe des Hauses Israel zu sammeln (vgl. Mt 25,24). Der Ruf zu einer elementaren Umkehr und zum Glauben an das Evangelium (vgl. Mk 1,15) eröffnet bereits einen weiten
Horizont. In der Unbeschränktheit dieses Rufes liegt ein universales Element, das zugleich so
etwas wie einen ersten missionarischen Impuls gibt. Etwas Ähnliches kündigt sich im Verständnis der Jüngerschaft Jesu an. Zur Berufungserzählung (vgl. Mk 1,16-18) gehört auch die
Indienstnahme der Berufenen. Diese Dienstbereitschaft findet ihre konkrete Gestalt in der
6
Zum vielfältigen Begriffsfeld von Mission vgl. immer noch Th. Ohm, Machet zu Jüngern alle Völker, Freiburg
i. Br. 1962, 37ff.
3
Aussendung der Jünger. Für die Aussendungsrede gibt es zwei Fassungen (vgl. Mk 6,6b13/Lk 9,1-6 und in Lk 10,1-12,Q). Matthäus hat diese beiden Überlieferungsstränge miteinander verbunden und auch noch Sondergut eingefügt. Wenn man von den nachösterlichen Überlagerungen absieht, geht aus Lk 9,1 f. und Mt 10,7 f. hervor, dass es sich um einen Auftrag
zur Weiterverkündigung der Gottesherrschaft handelt, die auch das Wirken zeichenhafter
Wunder einschließt.
Ein wichtiges Element dabei ist die Übertragung von Vollmacht an die Jünger. Wie Jesus
selbst seine „Vollmacht“ („exousia“) vom Vater erhalten hat, so überträgt er diese auf seine
Jünger. Sie nehmen teil an seinem Auftrag und haben bereits in der vorösterlichen Zeit Teil an
der Verkündigung dieser Botschaft und an der Verwirklichung der dazugehörigen Handlungen, die Jesus vollbringt (vgl. auch Lk 9,60). In dieser Aussendung durch den irdischen Jesus
ist eine wichtige Voraussetzung gegeben für die nachösterliche Aufgabe der Jünger. Man hat
darauf hingewiesen, dass hier auch erste Ansätze für so etwas wie eine Traditionsbildung erkennbar werden, denn das selbstständige Handeln der Jünger schließt ja eine zuverlässige und
genaue Kenntnis der von Jesus verkündigten Botschaft ein. Schon hier kann man einen wichtigen Akzent im Begriff und Verständnis von „Apostel“ feststellen, wie die Zwölf wenigstens
teilweise genannt werden (vgl. Lk 6,13 und Mt 10,2-4). Denn die Apostel haben von hier her
gesehen eine wichtige Doppelstellung: Einmal sind es die Gesandten, wie das Wort vom
Griechischen her sagt; zum anderen sind sie eben als Apostel, die den vorösterlichen und den
nachösterlichen Jesus aus der Nähe kennen und bei ihm sind, Zeugen der Wahrheit und der
Authentizität seiner Botschaft, was im Sprachgebrauch der Kirche eben später immer wieder
aufscheint: Das Apostolische ist Grund und Maßstab nicht nur für die Jesuszeit, sondern auch
bleibendes Kriterium für die Gründung und Geschichte der Kirche aller Zeiten.
So hat auch die Einsetzung der Zwölf eine doppelte Bedeutung. Der Zwölfer-Kreis ist in Entsprechung zu den zwölf Söhnen Jakobs als den Stammvätern Israels eingesetzt worden. Die
„Zwölf“ sind die Repräsentanten des endzeitlich erneuerten Gottesvolkes. Hier gibt es Kontinuität und Diskontinuität in einem. Die Zusammengehörigkeit besteht darin, dass es um ein
erneuertes Israel geht. Aber dies kann nicht einfach die Fortsetzung der Geschichte des alten
Gottesvolkes oder eine Wiederherstellung der alten Stämme sein. Es wird ein neues Israel
gesammelt. Darum werden auch neue „Stammväter“ eingesetzt. Dabei geht es Jesus jedoch
nicht um die im Alten Testament und im Judentum bekannte Vorstellung vom „heiligen
Rest“, vielmehr orientiert er sich am Gedanken des zu sammelnden, eschatologischen Gottesvolkes. Beim Übergang in den griechischen Sprachgebrauch wird dies unter Berücksichtigung
der Übersetzungstradition der Septuaginta „ekklesia“ genannt.7
7
Vgl. J. Hainz, Art. Kirche, in: Neues Bibel-Lexikon, Bd. II, Zürich 1995, 480–486 (Lit.).
4
Dies heißt freilich auch, dass die Erneuerung von Israel ausgeht. Es ist der Heilsbringer für
die Völker (vgl. Jes 2,2 f.). Jesu Wirken gilt in erster Linie den im Land zerstreuten Juden.
Israel ist für ihn immer noch das Bundesvolk, das die Verheißung hat und weiter behalten
wird. Dies ist aber nicht von vornherein gleichzusetzen mit einer negativen Ausgrenzung der
übrigen Völker. Eine scharfe Fixierung des Beginns der Heidenmission auf das angebliche
Ausscheiden Israels aus der Rolle als Heilsmittler legt Gegensätze nahe, die so von der Schrift
her nicht vertretbar sind. Jesus begegnet bei seinen Wanderungen gerade durch Galiläa der
heidnischen Bevölkerung. In den Evangelien ist dies besonders in der Erzählung von der Syrophönizierin (vgl. Mk 7,24-30) und in der Geschichte des Hauptmanns von Kafarnaum (vgl.
Mt 8,5-13/Lk 7,1-10,Q) festgehalten. Ja, schließlich hat Jesus Menschen in seinen Anhängerund Jüngerkreis aufgenommen, die religiös und sozial als ausgestoßen galten. Er hat in der
Gestalt des Simon Kananäus (vgl. Mk 3,18) einen Zeloten in den Kreis der Zwölf aufgenommen. Dies ist für Jesu Botschaft und sein Wirken von grundlegender Bedeutung, denn es geht
ihm um eine radikale Erneuerung allen menschlichen Daseins und der Lebensgemeinschaft.
So werden die traditionellen Grenzen von Jesus bewusst in mehrerer Hinsicht überschritten.
Darum darf die zweifellos vorhandene Konzentration der Sendung auf Israel nicht als eine
negative Ausgrenzung der übrigen Völker begriffen werden. Es ist daher auch richtig, wenn
man von einem „Heilsuniversalismus“ Jesu gesprochen hat und wenn man den universalen
Missionsauftrag nach Ostern durchaus im Einklang mit dem Willen des irdischen Jesus sieht.8
Hinsichtlich der Stellung Jesu zu den Heiden und besonders zu einer „Heidenmission“ gibt es
viele unterschiedliche Antworten der Exegeten: Die Heidenmission sei völlig außerhalb des
Horizontes Jesu; die Bekehrung der Heiden sei von ihm selbst erst im endzeitlichen Handeln
Gottes erwartet worden; er habe die Heidenmission für die nachösterliche Zeit angekündigt;
er sei der erste Heidenmissionar gewesen. F. Hahn verweist hier auf die aufschlussreichen
Erzählungen in Mk 7,24-30 und Lk 7,1-10. „Bei aller Konzentration auf Israel und das eschatologisch erneuerte Gottesvolk wird im Blick auf die Heiden das grenzüberschreitende Handeln Jesu erkennbar. Vermutlich hat er nicht ohne Grund sein Wirken über Galiläa hinaus
ausgedehnt, wo ihm auch Heiden begegnet sind. So kam es offensichtlich schon bei seinem
vorösterlichen Wirken zur Annahme und Aufnahme von Heiden, ohne dass damit eine programmatische Tätigkeit unter den Heiden oder eine Aussendung der Jünger zu den Heiden
verbunden gewesen ist.“9 Auch die zweifellos nachösterlich beeinflusste Fassung in Jesu Re8
A. v. Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 41924, 48
u. ö.; O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, Tübingen 31963, 50ff.; D. Bosch, Die Heidenmission in der Zukunftsschau Jesu (AThANT 36), Zürich 1959, 193, 111ff.; O. Betz, Art. Mission, in: TRE XXIII,
25; J. Ernst, Mission nach der Weisung des Neuen Testaments, in: Zur Mission herausgefordert. Evangelisierung als kirchlicher Auftrag. Festschrift für Generalvikar Bruno Kresing zum 70. Geburtstag, hg. von T. Schäfers, Paderborn 1999, 35–48.
9
F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments, Bd. I/II, Tübingen 2002, hier Bd. I, 86; zum Thema vgl. bes. auch
Bd. II, 625–658. F. Hahn hat sich von seinen ersten Arbeiten an mit dem Missionsthema befasst. Ihm verdanke
ich viele Einsichten. Vgl. Das Verständnis der Mission im Neuen Testament (WMANT 13), Neukirchen 1963,
2
1965; Mission in neutestamentlicher Sicht (Missionswissenschaftliche Forschungen. NF 8), Erlangen 1999
5
de vom Weltgericht (vgl. Mt 25,31-46) lässt für F. Hahn erkennen, „dass es für Jesus keine
prinzipielle Beschränkung auf Israel gab, dass vielmehr alle Menschen, die in Jesu Sinn leben
und handeln, der Heilsgemeinschaft zugerechnet werden, während andere, die sich zu Unrecht
auf ihn berufen, ausgeschlossen sind (vgl. Mt 7,21 f.). Bei aller Offenheit geht es um einen
klaren und unübersehbaren Mittelpunkt, das eschatologisch erneuerte Gottesvolk, das angesichts der anbrechenden Gottesherrschaft zusammengerufen wird.“10 Der Anbruch der Gottesherrschaft verheißt auch deren Vollendung. Dasselbe gilt auch für die anfängliche Sammlung des Gottesvolkes (vgl. Mt 8,11 f.; Lk 13,29). Es wird also durchaus die Offenheit der
Jüngergemeinschaft betont. Es gibt Menschen, die von außen dazukommen. Diese Vollendung sieht Jesus besonders in der endzeitlichen Tischgemeinschaft (vgl. Mk 14,25; Mt 26,29).
An dieser Stelle müssen noch zwei Grundgedanken fortgeführt und stärker nachgetragen werden. Die Nachfolge-Erzählungen haben nicht nur eine einmalige historische Bedeutung, sondern haben auch Gültigkeit für die nachösterliche Zeit. Dies ist sehr klar in der synoptischen
Tradition ausgesprochen. Jesus ist auch nach Tod und Auferstehung der einzige Meister (vgl.
Mt 23,8). Im Johannesevangelium gibt es nach F. Hahn eine weiterführende Überlegung, indem deutlich gemacht wird, „dass der Ruf in die Nachfolge nicht bloß von Jesus selbst ausgeht (so Joh 1,43), sondern stellvertretend auch von seinen Jüngern, die einen Neuberufenen
zu Jesus hinführen“11 (vgl. 1,40 f. 45). So ist die Nachfolgetradition erhalten, aber sie wird im
vierten Evangelium zugleich auch in eine inhaltliche Parallele gebracht mit „Glauben“ (vgl.
z.B. den Übergang in 1,50; 6,35). Bei Paulus ist das Wort vom „Glauben“ ganz in den Vordergrund getreten zur umfassenden Bestimmung des Jünger- bzw. Christseins. Eine andere
Komponente in der fortschreitenden Reflexion besteht in der Tatsache, dass sich vor allem im
hellenistischen Bereich der frühen Kirche der Begriff der „ekklesia“ an der Stelle des Gottesvolksgedankens durchzusetzen begonnen hat. Er bezieht sich auf die konkrete Ortsgemeinschaft. Dabei ist es aber aufschlussreich, dass sich der Grundaspekt der universalen Gemeinschaft auch im Begriff „ekklesia“ erhalten hat. Dies wird besonders erkennbar im Wort „Kirche Jesu Christi“. „Damit wurde zweifellos an die Vorstellung Jesu angeknüpft, wonach es im
Zusammenhang mit der Proklamation der anbrechenden Gottesherrschaft um die Sammlung
des eschatologischen Gottesvolkes geht. In nachösterlicher Zeit wurde daraus die von Jesus
gestiftete Heilsgemeinschaft.“12 Damit ist vor allem die Zeit zwischen Ostern und der Parusie
gemeint. Schließlich ist so von Anfang an die dreigestufte Bedeutung und unterschiedliche
Reichweite des Wortes „ekklesia“ gegeben, das die aktuale Versammlung der Gemeinschaft
der Glaubenden, die konkrete Ortsgemeinde und die weltweite Glaubensgemeinschaft meint.
Mindestens ist eine solche Tendenz deutlich bei Paulus erkennbar.
(hier eine Sammlung verschiedener Veröffentlichungen von 1971–1998); Ders., Studien zum Neuen Testament
= Wissenschaftliche Untersuchungen zum NT 191/192, Tübingen 2006 (Reg.).
10
F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments I (Anm. 9), 87.
11
Ebd., 88.
12
Ebd., 89 f.
6
Es gehört zum Gesamtbefund, dass die Zwölf, die teilweise ganz mit den „Aposteln“ gleichgesetzt worden sind, zweifellos bei aller Offenheit der Jüngergemeinschaft eine Sonderstellung innehaben. Die Apostel haben eine geschichtliche Einmaligkeit, weil sie von dem auferstandenen Herrn selbst als Boten des Evangeliums eingesetzt worden sind. Unter den Jüngern
Jesu und den Aposteln spielt dabei Simon Petrus von Anfang an eine herausragende Rolle. Er
hat sie auch in der nachösterlichen Zeit behalten. Durch die Verleihung des Kephas-Namens
(„Fundamentalfelsen“) und die Tatsache, dass er wohl der erste Auferstehungszeuge gewesen
ist (vgl. 1 Kor 15,5 und Lk 24,34), ist er „der maßgebende Repräsentant der sich bildenden
Urgemeinde geworden“.13 „Was für Jesu eigenes Wirken kennzeichnend war, die Heilszuwendung und die Befreiung aus der Macht der Sünde, das ist nun die wesentliche Aufgabe
und Funktion der nachösterlichen ‚Kirche Christi’ ... Petrus partizipiert wie der ganze Zwölfer-Kreis an der Einmaligkeit der Geschichte Jesu, und er repräsentiert zugleich die Vollmacht, die der nachösterlichen Kirche insgesamt und auf Dauer übertragen ist.“14
III. In der Nachfolge Jesu Christi zu den Menschen
Der missionarische Dienst im Sinn der Verkündigung des Evangeliums ist in Jesu eigener
Sendung und Vollmacht begründet. Der Auftrag an die Jünger bedeutet Partizipation an seiner
Vollmacht und dient der Weiterverkündigung der Heilsbotschaft. Die weltweite Verkündigung des Evangeliums (vgl. Mk 13,10) ist ein besonderes und spezifisches Element der Zeit
zwischen Anbruch und Vollendung des Heils, also der Zeit der Kirche. So ist der nachösterliche Missionsauftrag schon in der Aussendung zu Lebzeiten Jesu vorweggenommen. Wenn
auch diese Sendung primär und nach dem Matthäusevangelium sogar ausschließlich (vgl. 10,5
f.) auf Israel bezogen war, so hat der universale Auftrag, der ansatzweise im Verhalten des
irdischen Jesus punktuell schon aufscheint, seine Wurzel im Sendungsauftrag des irdischen
Jesus, kommt aber nun nach Ostern voll zur Geltung.
Dies zeigen rasch die zentralen Texte (vgl. Mt 28,18-20; Lk 24,46-49; Apg 1,8; Mk 16,15 f.;
Joh 20,21 f.).15 Es ist erstaunlich, wie sehr der universale Aspekt der Sendung in den meisten
Texten betont wird (vgl. z.B. besonders auch Mk 16,15). Wenn davon nicht die Rede ist, darf
sie, wie z.B. im Johannesevangelium, vorausgesetzt werden. Die Sendung der Jünger wird
hier ausdrücklich mit der eigenen Sendung Jesu in eine parallele Beziehung gesetzt (vgl.
20,21). In diesem Zusammenhang gibt es auch – ähnlich wie bei Lukas – eine Verbindung der
schon öfter angesprochenen Beauftragung der Jünger mit der Verleihung des Heiligen Geis13
Ebd., 90.
Ebd., 91. – Vgl. nun M. Hengel, Der unterschätzte Petrus. Zwei Studien, Tübingen 2006.
15
Exemplarisch wird der Sinn von Mt 28,16–20 in der Predigt beim Eröffnungsgottesdienst zur HerbstVollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 21. September 2004 dargelegt; dokumentiert in: Zuversicht aus dem Glauben, a.a.O., 472 ff..
14
7
tes: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist.“ (20,21 f.) Die universale Sendung erscheint eindeutiger in anderen Passagen des vierten Evangeliums. Nach 3,16 hat Gott
Jesus in die Welt gesandt, um diese zu retten. Darum ist er der „Retter der Welt“ (4,42c).
Während sich 20,21 f. auf die anwesenden Jünger bezieht, sollen doch alle durch das Wort der
Jünger zum Glauben kommen (vgl. 17,20 ff.).
Das Nebeneinander dieser verschiedenen Texte zeigt in eins eine hohe Gemeinsamkeit, aber
auch eine verschiedene Entfaltung. „Die Gewissheit der österlichen Sendung gründet in der
Überzeugung der Gemeinde, dass mit Jesu Auferstehung und seiner Einsetzung zur Rechten
Gottes die den Jüngern erteilte Vollmacht in universalem Horizont verstanden und durchgeführt werden muss.“16
Diese Einsicht hat sich wohl erst schrittweise, aber doch schon in einer unerhört kurzen Zeit
und beinahe explosionsartig durchgesetzt. Ich bin jedoch der Meinung, man sollte den Ursprung der Mission nicht nur mit dem Ostergeschehen allein in Beziehung setzen, sondern
man sollte hier den engeren Zusammenhang zwischen der Passion, dem Tod und der Auferstehung Jesu besser beachten und keinesfalls auseinanderreißen. Im Grunde gilt dies auch für
den weiteren und tieferen Kontext der Himmelfahrt Jesu und der Geistverleihung an Pfingsten. Im Rahmen dieses Beitrags möchte ich dies nicht ausführlicher darlegen.
Für das Gemeinte wähle ich die bekannte biblische Kurzformel, die – mindestens implizit – so
etwas wie eine Synthese aller Hauptaspekte des Erlösungsgeschehens ist. Dies ist das vorpaulinische und paulinische „Für uns“ (vgl. 1 Kor 15,3; 2 Kor 5,14; Röm 8,32; Gal 1,4; 2,20;
Röm 5,6; 14,15). Die Formel findet sich in allen Schichten des Neuen Testaments und kann
mit Sicherheit in die älteste uns erreichbare urchristliche Traditionsbildung zurückgeführt
werden, wobei der Unterschied zwischen „hellenistischer“ und „palästinisch-jüdischer“ Herkunft in der Forschung eher an Gewicht verloren hat. Trotz ihrer Allgegenwart in den verschiedenen Schichten des Neuen Testaments ist die Formulierung ziemlich konstant. Die unterschiedliche Ausgestaltung ist kein schlüssiges Gegenargument: für uns, für alle, für die
Sünden, für den Nächsten, für mich, für Gottlose. Bei allen unterschiedlichen Fassungen besteht doch die feste Überzeugung, dass das „Für uns“ die innere Achse aller soteriologischen
Aussagen darstellt. Es ist bereits als ein zentrales Motiv in der vorösterlichen JesusGeschichte erkennbar. Im Einsatz Jesu für die Armen und Sünder gibt es so etwas wie einen
Vorentwurf des „Für uns“ bzw. „Für alle“. Jesus ist der Mensch für die anderen. Er ist, wie H.
Schürmann unermüdlich aufzeigte, in seinem ganzen Wesen „Pro-Existenz“. Damit ist eine
grundlegende Lebensrichtung, ein inneres Gefälle im Auftreten und Verhalten Jesu gemeint.
Es wäre ganz töricht, wie es leider immer wieder geschehen ist, diese Pro-Existenz nur anth16
F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments II (Anm. 9), 629.
8
ropologisch, gleichsam von unten im Sinne einer nur sozial orientierten Solidarität zu verstehen. Es ist immer schon deutlich, dass dieser totale Einsatz Jesu Christi nicht bloß vor Gott
erfolgt und im Willen des Vaters gründet, sondern dass er auch diesen Einsatz für Gott, in
seinem Namen und darum auch für alle Menschen auf sich nimmt. Ohne die tiefe und letzte
Verwurzelung des Lebens und Wirkens Jesu, des ganzen Evangeliums in der Sendung und im
Willen des Vaters gibt es diese universale Hingabe für alle nicht.17 Jesus ist der Mensch, der
sich für die anderen selbstlos weggibt. Dabei kommen Person und Sache zu einer völligen
Deckung. In Jesu Pro-Existenz wird der Einsatz Gottes „für uns“ anschaulich und wirklich.
Zweifellos gibt es diesen Bogen einer wenigstens impliziten Soteriologie von dem sich verzehrenden Wirken des irdischen Jesus zugunsten der Armen und Sünder über die Hingabe im
Abendmahl bis in die Passion hinein. Dadurch wird auch die öfter behauptete Dichotomie
zwischen der Basileia-Botschaft Jesu und der Heilsbedeutung seines Todes relativiert. Zwischen dem Wirken und Leiden Jesu wird eine tiefe Einheit aufgezeigt, selbst wenn während
der öffentlichen Tätigkeit Jesu stärker das aktive Selbsthandeln betont wird und im Gegensatz
dazu die Passion mehr von der Hinnahme des über Jesus verfügten Geschicks bestimmt wird,
das er allerdings sich freiwillig zu Eigen macht. Der Tod Jesu wird zu einem Zeichen dafür,
dass der irdische Jesus seine Solidarität mit den Armen und Sündern bis in das Äußerste
durchhielt.
Dabei ist an dieser Stelle auch nochmals alle Sorgfalt walten zu lassen. Denn die zur Interpretation auch in der Verkündigung immer wieder angeführte Kategorie Solidarität reicht in der
konkreten Anwendung oft nicht aus, um die Grundaussage „Für uns“ adäquat zu übersetzen.
Denn „Für uns“ heißt nicht nur „um unsertwillen“, „zu unseren Gunsten“, sondern nicht minder „an Stelle von uns“, „in unserer Stellvertretung“. Der Tod Jesu ist nicht das zufällige, tragische Mittel oder gar „Material“ der Erlösung. Vielmehr ist der Tod Jesu der Vollzug der
Erlösung. Paulus ist durchaus nicht im Unrecht, wenn er das ganze irdische Leben Jesu, gewiss äußerst komprimiert, im „Tod“ konzentriert. In diesem Sinne ist die aktive Pro-Existenz
des irdischen Jesus ein Vorschein des Geheimnisses der Passion. Das Sterben Jesu am Kreuz,
das Begräbnis als Besiegelung des Totseins und der „Höllenabstieg“ Jesu Christi loten die
äußerste Tiefe der Verlorenheit Jesu und damit des Menschen aus, erhellen freilich zugleich
alle Dimensionen der vollbrachten Erlösung.18
Jetzt wird deutlich, aus welcher Tiefe die Erlösung allen Menschen zuteil geworden ist. Freilich muss man hier auch an eine Missdeutung erinnern, die genannt werden muss. Es gibt den
Tod Jesu „für alle“. Jesus Christus ist für alle Menschen gestorben. Die Kirche hat durch viele
Jahrhunderte hindurch immer wieder theologische Versuche zurückgewiesen, diese Universalität des Erlösungstodes Jesu Christi einzuschränken auf die Menschen, die der Kirche ange17
Statt vieler Literaturhinweise vgl. K. Lehmann, „Er wurde für uns gekreuzigt“. Eine Skizze zur Neubesinnung
in der Soteriologie, in: Theologische Quartalsschrift 162 (1982), 298–370, bes. 305–317 (ebd. Lit.).
18
Zu einer weiteren Vertiefung von Stellvertretung und Sühne vgl. ebd., 311ff.
9
hören, die getauft sind, die „Frommen“ usw. Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis, dass die Kirche diesen Versuchen bis heute widerstanden hat und die Reichweite der Erlösung wirklich in
ihrer universalen Geltung bestehen ließ. Sie bleibt dabei auch den dargelegten Grunddaten der
Heiligen Schrift treu, wie sie vor allem auch in 1 Tim 2,4 zum Ausdruck kommen: „Gott will,
dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ Das Zweite
Vatikanische Konzil hat in eindrucksvoller Weise diese Hoffnung auf das Heil aller Menschen vertieft.19 Aber es ist ein tödliches Missverständnis, wenn man aus diesen Aussagen
eine falschen Konsequenzen zieht. Gesagt ist nämlich nicht, dass deswegen alle Menschen
auch schon faktisch gerettet werden. Die Erlösung ist in keiner Weise irgendein Mechanismus, der das Heil von Jesus her automatisch auf die Menschheit im Ganzen überträgt. Die
Theologie muss sich immer dagegen wehren, Gottes Mitteilung der Gnade naturalistisch zu
verstehen, wie wenn ein Gewitter unterschiedslos Wasser ausschüttet. Aber für uns heutige
Menschen ist auch eine mechanische Vorstellung verführerisch, als ob es in diesem Bereich
subjektlose Prozesse geben könnte. Die Bibel spricht in diesem Zusammenhang von Anfang
an im Sinne einer personalen Aufforderung und einer entsprechend personal strukturierten
Antwort. Gott sendet jedem seine Gnade als Anruf und Einladung, sich auf dieses Geschenk
einzulassen. Aber nur wer die Einladung auch im Leben realisiert und sie damit persönlich
akzeptiert, wird von Gott gerechtfertigt und von der Sünde befreit. Darum gibt es besonders
beim hl. Paulus auch den fundamentalen Unterschied zwischen dem Indikativ und dem Imperativ der Zuwendung des Heils. So wiederholt Paulus im Galaterbrief mehrfach, dass Christus
uns zur Freiheit gerufen und befreit hat. Aber unmittelbar danach kommt die Aufforderung:
„Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (5,1)
oder: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für
das Fleisch, sondern dient einander in Liebe.“ (5,13) Gabe und Aufgabe gehören eng zusammen.
Wer diese Differenz nicht wahrt, sondern einebnet, missversteht die Rede vom Heil grundlegend. Es gibt dann nur noch das, was M. Luther „billige Gnade“ nennt. Damit würde aber
auch der Gedanke der Mission völlig ausgehöhlt. Denn die Mission lebt ja davon, dass Jesus
Christus für alle gestorben ist, uns von unseren Sünden befreit hat, wir dieses Geschenk durch
Glaube und Taufe annehmen und in diesem neuen Leben wandeln. Diese Gnade Gottes muss
als wirkliche Einladung – ein schlechteres Wort dafür ist „Angebot“ – allen Menschen mitgeteilt werden. Die Differenz zwischen dem von Jesus verdienten Geschenk der Gnade für alle
und dem Ernst der Aneignung dieser Gnade durch jeden einzelnen Menschen macht Mission
19
Vgl. dazu K. Rahner, Atheismus und implizites Christentum, in: Ders., Schriften zur Theologie VIII, Einsiedeln 1967, 187–212; K. Lehmann, Pastoraltheologische Maximen christlicher Verkündigung an den Ungläubigen von heute, in: Concilium 3 (1967), 208–217 (auch in den anderen Ausgaben). Auf die schwierige Frage
einer „Apokatastasis panton“ kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu J. Chr. Janowski, Allerlösung.
Annäherung an eine entdualisierte Eschatologie = Neukirchener Beiträge zu systematischen Theologie, Bd. 23,
2 Teilbände, Neukirchen-Vluyn 2000; H. U. v. Balthasar, Kleiner Diskurs über die Hölle, Ostfildern 21987.
10
überhaupt erst notwendig. Es kommt gerade in allem, was die Mission tut, auf dieses Gefälle
an. Auch darum gehören Mission und Pastoral eng zusammen.
Auch aus diesem Grund scheint es mir wichtig zu sein, nicht zu schnell die Begründung der
Mission nur in der Auferstehung zu sehen. Wir dürfen den Tod Jesu „für uns“, d.h. an unserer
Stelle und für unsere Sünden, nicht überspringen, wenn wir ernsthaft von Mission sprechen
wollen. Dies gilt auch vom Zusammenhang zwischen Mission und Kirche. Man muss den
christologischen Primat in allen Dimensionen verfolgen und in seiner Bedeutung gleichsam
ausziehen. Dies gilt zunächst für Himmelfahrt und Pfingsten. Das Moment der Erhöhung unterstreicht die Raum und Zeit überschreitende Tragweite und Fülle der Erlösung. Der Geist ist
der Beistand und das Medium, in dem allein Versöhnung im Sinne Jesu Christi sich ereignen
kann. Das Pneuma, das in besonderer Weise zwischen Heil und Geschichte vermittelt, wird
sogar das innere Lebensprinzip des erlösten Menschen. Zuvor aber entlässt der Geist aus sich
die Kirche, aus Juden und Heiden gebildet, als seine erste Frucht. Pfingsten macht diese Stiftung offenkundig. Die Strukturen der Erlösung zeigen sich auch in allem, was Jesus Christus
nachfolgt: Auch die Kirche ist nicht für sich, sondern um der anderen Willen da, was besonders exemplarisch in Maria realisiert wird und auf eigene Weise in allen Charismen, Diensten
und Ämtern verwirklicht werden soll. Schließlich gewinnen Versöhnung und Frieden – besonders in den Deuteropaulinen – auch über den Raum der Ekklesia hinaus in den weltlichen
und weltweiten Dimensionen Bedeutung. Der Gang der Geschichte lässt jedoch nicht vergessen, dass Versöhnung nur am Kreuz und durch das Blut Jesu Christi erkauft werden kann.
Alle Erlösung ist in der Vorläufigkeit der Geschichte und der Brüchigkeit der menschlichen
Existenz nur „Angeld“ und reale Verheißung für eine letzte Vollendung und ewige Herrlichkeit. Alle Phasen und Momente im dynamischen Prozess des Erlösungsvollzugs sind hier versammelt: Das irdische Leben und die Passion, der Tod mit dem „Höllenabstieg“ und die Verlassenheit Jesu, die Auferstehung und die Erhöhung, das Sitzen zur Rechten des Vaters und
die Geistverleihung an Pfingsten gehören grundlegend zueinander. Man darf kein Glied herausbrechen oder überhöhen oder vernachlässigen. Sie sind wirklich alle gleichursprünglich.
Man kann diese Überlegungen von verschiedener Seite her vertiefen. Die Heilige Schrift bietet in den verschiedenen theologischen Entwürfen dazu einen großen Reichtum mit vielen
Hilfen. Ich möchte an dieser Stelle nur ein Beispiel nennen: Im Johannesevangelium spielt die
Sendung eine entscheidende Rolle. Dies gilt nicht nur für die Sendung der Jünger durch Jesus,
wie sie besonders in den Abschiedsreden zur Darstellung kommt. Es gibt eine tiefe Zurückführung aller Sendung auf Gott den Vater. Nur weil der Sohn vom Vater gesendet ist, vor
seiner Menschwerdung am Herzen des Vaters ruhte (vgl. Joh 1,18) und schließlich nach der
Auferstehung und Erhöhung beim Vater eine gleichrangige Machtstellung einnimmt („sitzet
zur Rechten des Vaters“), darum kann er auch wirklich an Gottes Stelle Leben weitergeben,
11
das nicht zerstört werden kann, und auch Gericht halten (vgl. Joh 3,35 f.; 5,19 ff.). So ist der
Gottessohn gerade als der Menschgewordene vom Vater gesandt.20
In diesem Sinne reicht jede Mission tief in das Geheimnis des Dreifaltigen Gottes. Dies ist ein
alter Grundsatz in der Begründung des Missionsauftrags. Mission und Kirche erhellen sich
gegenseitig in ihrem wirklichen Verständnis.21 „Der Missionsauftrag wird von Jesus ausdrücklich mit der Sendung verknüpft, die er von seinem Vater empfangen hat. Auftrag, Autorität und Gewalt („exousia“) entspringen dem Geheimnis des dreieinigen Gottes und werden
von Christus an die Apostel weitergegeben (Mt 28,18); die Sendung, die dem Sohn im ewigen
Ratschluss des Vaters übertragen ist, wird in die Geschichte eingesenkt und durch die Jünger
in ihr weitergetragen (vgl. Joh 20,21). Auf diese Weise entspringt und gründet die Sendung
der Kirche, über die geschichtliche Vermittlung Jesu, im Reichtum des dreieinigen transzendenten Gottes. Die ‚Sendungen’, von denen die Trinitätstheologie immer gesprochen hat, bilden die Wurzel und den letzten Grund der Sendung der Kirche. Dies ist ein typischer Gedanke
der katholischen Theologie, bei dem zu verweilen den Vätern des Zweiten Vatikanums besondere Freude und Genugtuung war (vgl. Ad gentes 2.3.4 usw.). Auch die protestantische
Theologie hat diesen wertvollen Gedanken wieder aufgenommen.“22
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das in das sehr spät verabschiedete Missionsdekret
„Ad gentes“ (AG) viele Erkenntnisse in geglückter Form einbringen konnte, haben diese Gedanken wieder aufgenommen und vertieft: das Apostolische Schreiben „Evangelii nuntiandi“
als Ergebnis der Weltbischofssynode 1974 und besonders die bis heute noch zu wenig beachtete Enzyklika „Redemptoris missio“ vom 7. Dezember 1990. Vielleicht darf man auch noch
das Dokument des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog und der Kongregation für
die Evangelisierung der Völker „Dialog und Verkündigung“ vom 19. Mai 1971 nennen. Genauere Interpretationen und Literaturhinweise auf andere Texte finden sich in dem Dokument
„Allen Völkern Sein Heil“.
IV. Der Auftrag der Kirche
Damit ist deutlich geworden, in welchem Ausmaß und in welcher Tiefe Jesus Christus, Kirche
und Mission zusammengehören. Man kann diesen Zusammenhang trotz aller notwendigen
Unterscheidungen nicht genügend hervorheben. So versteht sich auch, dass unser heutiger
20
Dieser Grundgedanke ist gut herausgearbeitet bei J. Becker, Johanneisches Christentum. Seine Geschichte und
Theologie im Überblick, Tübingen 2004, bes. 126ff.; vgl. auch J. A. Bühner, Der Gesandte und sein Weg im 4.
Evangelium (WUNT 2/2), Tübingen 1977; T. Okure, The Johannine Approach to Mission (WUNT 2/31),
Tübingen 1988; Chr. Hoegen-Rohls, Der nachösterliche Johannes = WUNT 2/84, Tübingen 1996.
21
Vgl. dazu das Kapitel „Kirche als Missio“ bei G. Greshake, Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie,
Freiburg i. Br. 1997, 400–410, bes. 404ff.
22
P. Rossano, Theologie der Mission, in: Mysterium Salutis, hg. von J. Feiner / M. Löhrer, Bd. IV/1, Einsiedeln
1972, 503–534, Zitat: 505f. Es ist dabei aufschlussreich, dass diese „Theologie der Mission“ bei der Behandlung der Wesenseigenschaften der Kirche zwischen der Katholizität und der Apostolizität behandelt wird.
12
Begriff von Mission erst im 16. Jahrhundert auftaucht. Damit wird auch das Fehlen des förmlichen Begriffs „Mission“ im Neuen Testament verständlicher. Die Dualität Kirche – Mission
existiert im Neuen Testament nicht. Die Kirche hätte kaum das Bewusstsein gehabt, eine
zweifache Aktion durchzuführen, eine „ad extra“ und eine „ad intra“. Natürlich wurde das
Problem vor allem wegen der Missionierung von Juden und Heiden bald akut. Aber im Kern
ist es keine Frage, dass Mission für die Kirche keine zusätzliche, zweitrangige oder nachträgliche Aufgabe darstellt; sondern Mission ist konstitutiv für die Kirche. Darum ist es die Zusammenfassung eines langen Weges, wenn das Zweite Vatikanische Konzil sagt, dass „die
ganze Kirche missionarisch und das Werk der Evangelisation eine Grundpflicht des Gottesvolkes ist“ (AG 35). Ja, man kann sagen, dass die Kirche in ihrem Wesen missionarisch ist.23
Dies ist eine grundlegende Errungenschaft der Ekklesiologie des 20. Jahrhunderts.24 Man wird
nicht sagen können, dass dies schon genügend in das theologische und kirchliche Bewusstsein
aufgenommen worden ist.
Selbstverständlich hat die kirchliche Tradition auch in schwierigen und bedrängenden Zeiten
um die Notwendigkeit der Mission gewusst. Man hat dies verschieden ausgedrückt. So hat
man vom „Missionsbefehl“ gesprochen. Dieser findet sich in der Tat in unterschiedlicher
Form in den österlichen Erscheinungserzählungen.25 In einer wirklichen Befehlsform findet
sich der so genannte Missionsbefehl bei Mt 28,19 und Mk 16,15b.26 Man kann also ein biblisches Fundament gar nicht leugnen. Aber es ist doch die Gefahr einer Verkürzung, wenn man
das Verständnis der Mission im Neuen Testament zu sehr auf diese Aussagengattung hin engführt. Ein solches Verständnis legt auch heute auf Grund der Geschichte nahe, Mission als
Einbahnstraße und individualistisch zu verstehen. Wenn man aber diesen Begriff zu vermeiden sucht, dann darf man nicht die Dringlichkeit des Aufrufs Jesu entschärfen.27 Wenn man
23
Vgl. dazu die genauen Untersuchungen von S. Mazzolini, La Chiesa è essenzialmente missionaria. Il rapporto
„natura della Chiesa” –“missione della Chiesa” nell’iter della costituzione de Ecclesia (1959–1964) = Analecta
Gregoriana 267, Roma 1999; P. Rossano, Teologia cristiana delle religioni e della missione ‘Ad Gentes’, hg.
von M. Dhavamony (Documenta missionalia 27), Roma 2002 (Erinnerungsgabe für Pietro Rossano 10 Jahre
nach seinem Tod); P. Gaia, Piero Rossano. Una vita per il dialogo, Cuneo 2003.
24
Es ist ein besonderes Geschenk der Ökumene, dass das Zweite Vatikanische Konzil und der Weltkirchenrat
gleichzeitig und auf je eigenen und verschiedenen Wegen zu diesen Einsichten kamen. Dies kann hier nicht im
Einzelnen dargestellt werden.
25
Vgl. dazu auch K. Lehmann, Die Erscheinungen des Herrn. Thesen zur hermeneutischen Struktur der Ostererzählungen, in: H. Feld / J. Nolte (Hg.) Wort Gottes in der Zeit. Festschrift für K. H. Schelke zum 65. Geburtstag, Düsseldorf 1973, 361–377.
26
Dazu H.-J. Findeis, Art. Missionsbefehl I, in: Lexikon für Theologie und Kirche VII, Freiburg i. Br. 31998,
299.
27
Zum neueren Missionsverständnis vgl. J. Schütte (Hg.), Mission nach dem Konzil, Mainz 1967; H. Bürkle,
Missionstheologie, Stuttgart 1979; ders., Die Mission der Kirche = Amateca 13, Paderborn 1998; G. Collet,
Das Missionsverständnis der Kirche in der gegenwärtigen Diskussion, Mainz 1984. Evangelischerseits wäre zu
nennen H.-W. Gensichen, Glaube für die Welt. Theologische Aspekte der Mission, Göttingen 1971; Th. Sundermeier / H. J. Becken / B. H. Willeke (Hg.), Fides pro mundi vita. Missionstheologie heute, Göttingen 1980;
W. Huber, Auf dem Weg zu einer missionarischen Kirche. Ein Zwischenbericht, in: Evangelische Theologie
58 (1998) 461–479 (das ganze Heft 6/1998 ist dem Thema „Missionarische Gemeinde“ gewidmet); ders., Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, Gütersloh 1998. Vgl. auch die
einschlägigen Artikel in den neueren theologischen Lexika (LThK, RGG, TRE, EKL usw.).
13
den Begriff „Missionsbefehl“ auch von den Inhalten der biblischen Botschaft her versteht,
dann richtet er sich auch gegen manche Missbräuche in der Missionsgeschichte. Auf jeden
Fall muss man den problematisierten Begriff interpretieren.
Das hiermit gelegte Fundament müsste nun in den einzelnen Dimensionen missionarischer
Aktivität entfaltet werden. Dies ist im Einzelnen nicht möglich und geschieht auch in anderen
Beiträgen. Aber es sollen doch einige wichtigere Perspektiven wenigstens angedeutet werden,
die das Gesagte ein wenig fortführen.
•
Die Mission hat einen eigenen unverwechselbaren Auftrag in der Kirche. Die Verkündigung und Ausbreitung des Glaubens kann durch nichts anderes ersetzt werden. Mission
hat gewiss etwas mit dem integralen Heil zu tun, das Leib und Seele, unsere konkretgeschichtliche Welt und die soziale Situation betrifft. Es geht um den ganzen Menschen.
Die Geschichte der Mission ist immer auch die Geschichte der Befreiung des Menschen
aus Weltflucht oder aus Dämonenangst, aus magischer Abhängigkeit und vielen Formen
des Aberglaubens. Es geht um die Gewinnung der Freiheit der Menschen im Umgang mit
der Welt. Auch die früheren Missionare haben nicht nur nach der himmlischen Seele des
Menschen gefahndet, sondern sich um Krankheiten gekümmert, Schulen gebaut, Hospitäler errichtet und Wasserleitungen gelegt. Hier liegt der notwendige Zusammenhang von
missionarischer Verkündigung und der Hilfe für den Menschen. Missionsschule, Krankenstation und handwerklich-technische Unterweisung sind Ausdruck dieses inneren Zusammenhangs. Aber niemals kann die humanitäre Hilfe den missionarischen Auftrag ersetzen. Beide Dimensionen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Integration gelingt jedoch nur dann, wenn die Unersetzlichkeit und Eigenständigkeit des Missionarischen anerkannt wird. Darum kann die Mission keine verkappte Entwicklungshilfe in
anderem Gewand sein. Die einzelnen Werke dienen gewiss dem einen und ganzen Menschen, aber sie dürfen dabei ihre je spezifische Aufgabe, die sie voneinander unterscheidet, nicht verwischen. Letztlich bringt die Mission etwas, was niemand in der Welt zu geben vermag: das Leben Gottes selbst. Der Mensch kann nur durch Gott selbst von der
Angst vor dem Tod, von der Gefangenschaft in Hass und Feindschaft, von seiner ewigen
Friedlosigkeit und von der Knechtschaft der Sünde befreit werden. Nur Gott schenkt dem
Menschen ewiges Leben, das ihm nicht mehr genommen werden kann. Dies ist der Weg
der Umkehr. Diese will nicht Knechtung und Herrschaft, sondern die Freiheit der Liebe
und die Freude der Wahrheit. Es geht also um eine Umkehr zum Leben für alle28.
•
Wenn Gott zum Menschen kommt und in der Menschwerdung unsere menschliche Situation annimmt, dann muss die Kirche im Auftrag Gottes die Menschen auch an dem Ort
28
Vgl. K. Lehmann, Umkehr zum Leben für alle. Ursprung und Tragweite der missionarischen Grunddimension
des christlichen Glaubens, in: Ders., Zuversicht aus dem Glauben, a.a.O., 476-498.
14
aufsuchen, wo sie wohnen und leben. Dies gilt nicht nur für ihre physische Existenz, sondern besonders auch für ihre Sprache und Kultur. Die befreiende Botschaft des Evangeliums hat beim Apostelkonzil zu Jerusalem auch zur Konsequenz, „den Heiden, die sich zu
Gott bekehren, keine Lasten aufzubürden.“ (Apg 15,19) Gerade durch Gottes Geist lassen
sich die Bindungen des Menschen an seine Kultur, an seine Gewohnheiten, seine Sprache
und seine Rasse, vor allem, wenn sie einengen, aufbrechen, überwinden und so für das
Evangelium Gottes bereiten. Das Evangelium will darum in den verschiedenen Kulturen
verwurzelt werden und Fuß fassen. Nur dann kann es wirklich voll, ohne Verkrampfungen, die Lebenswelt der Adressaten erreichen. Es kommt dann alles darauf an, dass das
Genuine der christlichen Botschaft nicht preisgegeben wird, sondern in der Unterscheidung der Geister seine ursprüngliche Kraft behält und das Welt- und Menschenverständnis
neu prägt. Es geht also nicht nur um Akkomodation und Assimilation, auch nicht nur um
Inkulturation, sondern um die Integration als Unterscheidung des Christlichen. Dies kann
ein langer Prozess sein, bei dem auch momentane Fehl- und Umwege nicht ganz auszuschließen sind.29
•
Die Mission nimmt den Adressaten der Botschaft als ebenbürtigen Partner an. Dies
kommt hauptsächlich in der Annahme der Freiheit des anderen zur Sprache. Der Glaube
ist wirklich nur personaler Glaube, wenn er auch frei übernommen ist. Darum sind
Zwangstaufen, auch wenn man zu anderen Zeiten andere Mentalitäten in Rechnung stellt,
im Grunde ein schrecklicher Irrweg. Die Verkündigung der Mission ist immer und zuerst
eine Einladung durch Gott. Es kommt darum auch auf die Reaktion des Adressaten an. Er
muss seine Fragen und Antworten einbringen können. Das Ja des Glaubens muss mit personaler Überzeugungskraft gesprochen werden. Darum muss die Mission sowohl im Blick
auf den Einzelnen als auch hinsichtlich der Völker dialogisch sein. Dieses Wort darf nicht
mit Unverbindlichkeit gleichgesetzt werden.30 Auch der Dialog bleibt eine Anrede Gottes,
indem dieser voll und ganz das Evangelium zur Sprache bringt. Diese Herausforderung
verlangt immer auch Entscheidung. Darum mindert der Dialog nicht die Ernsthaftigkeit
und den Anspruch der Wahrheit.
V. Der Träger der Mission
Es bleibt noch ein wichtiges Thema zu behandeln, denn der Träger der Mission muss genauer
bestimmt werden. Die erste Antwort darauf ist gerade nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil relativ einfach. Mission ist eine Grundaufgabe und eine Grundpflicht der ganzen Kirche,
alle haben eine missionarische Verantwortung. Aber es dauert erfahrungsgemäß nicht lange,
29
Vgl. dazu K. Lehmann, Katholische Weltanschauung. Integration und Unterscheidung (Fünf Vorlesungen zu
R. Guardini, Berlin 2004/2005), im Druck: Herder, Freiburg i.Br. (2006).
30
Vgl. dazu K. Lehmann, Vom Dialog als Form der Kommunikation und Wahrheitsfindung in der Kirche heute,
in: Ders., Zuversicht aus dem Glauben, a.a.O., 205-219.
15
bis man in den einzelnen Missionaren bzw. Missionarinnen und in den Missionsgemeinschaften zwei herausragende Träger entdeckt, die das ganze Gottesvolk auch wieder entlasten. Die
Konzilstexte haben hier etwas Wichtiges geleistet, indem sie die Gesamtverantwortung der
Kirche für die Mission, aber auch die Grundpflicht zu einem missionarischen Denken bei vielen einzelnen Trägern eingeschärft haben. So gibt es in den Texten des Konzils eine missionarische Verantwortung aller Dienste und Ämter in der Kirche. Beim Priester und besonders
beim Bischof, kommt dies auch in den neu geschaffenen Weihetexten mit aller Deutlichkeit
zur Geltung, obgleich dies in unserem Bewusstsein noch schwach entwickelt ist. In unserer
modernen Welt wäre es außerdem töricht, wenn wir nicht die Professionalität der Missionsgesellschaften nutzen würden, die den einzelnen Missionar oft erst in die Lage versetzen, in
schwierigen Situationen und Kontexten missionarisch tätig zu werden. Hier gibt es manche
Blauäugigkeit, die die institutionellen Vorbedingungen von Mission heute im Sinne der
Weltmission unterschätzen.
Es gibt gewisse stereotype Begriffe, mit denen wir gewöhnlich die missionarische Tätigkeit
beschreiben, dazu gehört z.B. der Begriff der Missionspredigt. Man glaubte, dass der heute
weitgehend dominierende Begriff der Missionspredigt ausreichend das „Spezifische“ christlicher Mission zur Geltung bringt. Mit Blick auf die Quellen ist man dann aber auch oft erstaunt, dass man trotz der Bedeutung der Mission keine oder nur sehr wenige Missionspredigten im strengen Sinn findet. So haben wir z.B. vom heiligen Bonifatius zwar viele Briefe, aber
keine einzige Missionspredigt im förmlichen Sinne. Wir müssen also die missionarische Tätigkeit auf andere Weise erschließen.31 Manche überlieferten Missionspredigten sind außerdem ziemlich stilisiert und literarisch gestaltet. In den Wir-Berichten (vgl. z.B. 16,11–15) und
Predigten der Apostel-Geschichte können wir noch verschiedene Stränge entdecken, literarisch gestaltete Predigten und Berichte, die offenbar nahe an der Wirklichkeit sind. Gerade
evangelische Forscher sind vielleicht zusätzlich durch den Primat der Wortverkündigung und
des Wortes in den reformatorischen Kirchen verführt, die „Missionspredigt“ zur Hauptquelle
und zum Kriterium missionarischer Tätigkeit zu machen.
Die Historiker enttäuschen uns auch noch in einer anderen Hinsicht. Sie machen uns auch für
die Frühzeit darauf aufmerksam, dass man vielleicht erst auf die Ausbreitung des christlichen
Glaubens in vielen Formen schauen sollte. So spricht W. Reinbold32 lieber von einem
„Wachstum der Kirche durch einen Prozess stetiger Gärung“. Er spricht für die Kirche der
ersten drei Jahrhunderte von einer „nicht-missionarischen Form der Ausbreitung des Christen31
Vgl. L. E. von Padberg, Mission und Christianisierung. Formen und Folgen bei Angelsachsen und Franken im
7. und 8. Jahrhundert, Stuttgart 1995; Ders., Die Inszenierung religiöser Konfrontationen. Theorie und Praxis
der Missionspredigt im frühen Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 51), Stuttgart 2003;
Ders., Bonifatius. Missionar und Reformer (Reihe Wissen 2319), München 2003; Ders., Christianisierung im
Mittelalter, Darmstadt 2006.
32
Propaganda und Mission im ältesten Christentum. Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der
frühen Kirche (FRLANT 188), Göttingen 2000, 342ff.
16
tums durch individuelle Propaganda und die bloße Existenz über das Imperium verstreuter,
zumeist kleiner Ekklesiai“33. So ist Reinbold auch überzeugt, dass der heilige Paulus als Apostel der Völker eher eine „atypische Figur“ gewesen ist und dass „Missionare und Propagandisten im geringeren Maße typisch für die Anfänge der Kirche gewesen sind, als es in
manchen frühchristlichen Quellen und in einem nicht geringen Teil der gegenwärtigen Literatur den Anschein hat.“34
Nun könnte man sagen, dass dies nichts Neues ist. Denn schon A. v. Harnack hat in seinem
auch heute noch lesenswerten zweibändigen Werk „Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten“35 dargelegt, dass man sich den Vorgang der „Missionierung“ anders vorstellen muss, als wir dies gewöhnlich tun. Natürlich gab es Missionare,
die man schon in den ersten Wanderpredigern finden kann. Das Erfolgsgeheimnis des christlichen Glaubens liegt für Harnack in einer einzigartigen Verbindung von „Einfachheit“ und
„Transparenz“ der christlichen Botschaft mit einer ganz erstaunlichen Anpassungsfähigkeit.
Nun braucht hier nicht die Gesamtkonzeption mit den fragwürdigen Grundannahmen Harnacks kritisiert zu werden.36 Aber er hat doch wohl mit Recht darauf hingewiesen, dass die
Ausbreitung des christlichen Glaubens in hohem Maß auch und gerade durch Frauen und
Männer geschah, die einerseits in der Gesellschaft wirkten als Zeugen des Glaubens, meist
unauffällig und indirekt, anderseits vor allem aber auch durch Menschen unterwegs, darunter
ganz besonders Kaufleute, Soldaten und andere Reisende.37 Mit diesem Befund kann man
auch die oben schon genannten Feststellungen über die Rolle einer gezielten Mission und über
die Missionspredigt in überzeugender Weise vermitteln.
Die schon genannte Untersuchung von W. Reinbold geht hier – vielleicht auch ein wenig übertreibend – weiter, indem sie noch stärker auf die alltäglichen Begegnungen, die Bedeutung
der so genannten Mikrokommunikation abhebt. „Das Christentum breitet sich aus zwischen
Ehepartnern, Eltern und Kindern, Sklavenherr(inn)en und Sklav(inn)en, Geschwistern, Verwandten, Bekannten, Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden, Nachbarinnen
und Nachbarn, im Umfeld des alltäglichen Lebens der Gemeinden, später auch zwischen Leh-
33
Ebd., 342. Ich sehe hier von einem näheren Eingehen auf den Begriff der Propaganda ab. Der Autor weiß, dass
es ein „strittiger Terminus“ (10) ist. Es bleibt die Frage nach einer geeigneteren Sprache. Die Kategorie Zeuge
eignet sich jedenfalls besser.
34
Ebd., 343.
35
A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 41924
(Erstauflage: 1902).
36
Vgl. dazu mit Lit. Chr. Markschies, Warum hat das Christentum in der Antike überlebt? (Forum. Theologische
Literaturzeitung, Bd. 13), Leipzig 2004, 36–41; Ders., Das antike Christentum, München 2006, 13 f., 21-26,
52-56.
37
Vgl. dazu über v. Harnack hinaus: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, Bd. I: Die Alte Kirche, hg. von
H. Frohnes / U. W. Knorr, München 1974; als Bd. II. erschien: Die Kirche des früheren Mittelalters. Erster
Halbband, hrsg. von K. Schäferdiek, München 1978. Soweit ich sehe, gibt es leider keine Folgebände. Zur antiken Welt vgl. Chr. Markschies, Zwischen den Welten wandern, Strukturen des antiken Christentums, Frankfurt a. M. 1997, 22001, 53 ff. u.ö.(jetzt verändert in: Ders., Das antike Christentum, a.a.O.).
17
rer und Schülern, am Rande der Martyrien usw. Missionare und Missionarinnen sind alle diese Personen nicht, und Predigten spielen bei den Konversionen nur dann eine Rolle, wenn ein
wortgewaltiger Redner auf Außenstehende in der Versammlung so großen Eindruck macht,
dass es mittelbar oder unmittelbar zu Taufen kommt ... Man kommt miteinander am Rande
der Versammlung ins Gespräch, eine persönliche Bindung entsteht, das Gespräch wird fortgesetzt, es kommt zur Taufe, das Haus folgt, das Umfeld wird infiziert usw. Auch in der Mission spielen die kleinen privaten und halb öffentlichen Kontakte die entscheidende Rolle – allesamt Vorgänge, die mit dem Begriff der ‚Missionspredigt’ nicht zureichend erfasst werden.“38
Diese Analyse erscheint zunächst als wenig glaubwürdig, denn wie konnten die Christen bald
an den entlegensten Orten präsent werden und schließlich eine bedeutende gesellschaftliche
Kraft darstellen? Man wird also im Einzelnen durchaus differenzieren.39 Aber insgesamt vereinigt diese Überzeugung viele Gesichtspunkte, die wir bisher zusammengetragen haben über
das Verhältnis von Kirche und Mission, über die Wichtigkeit des Lebenszeugnisses der Christen, über die Vielfältigkeit der missionarischen Wirkungen, über den Stellenwert der Missionspredigt und überhaupt über die sehr verschiedenen Träger des missionarischen Zeugnisses.
Es ist aber auch ein Ergebnis von hoher Tragweite für unsere heutige Situation. Denn viele
erwarten einen missionarischen Aufbruch immer noch und immer wieder von den hauptamtlichen Trägern des kirchlichen Lebens, besonders wenn sie in leitender Verantwortung stehen.
Ihre Bedeutung soll gerade in einer differenzierten und professionell aufgebauten Gesellschaft
gewiss nicht unterschätzt werden. Aber es ist doch entscheidend, dass viel mehr als bisher mit
aller Deutlichkeit gesehen wird, dass die Christen überhaupt – es geht im Evangelium ja um
alle Jünger – in der Tat ihres Lebens und auch im Wort Zeugnis ablegen von der Hoffnungskraft ihres Glaubens. Wir haben die Christen in unseren zivilisierten Ländern viel zu sehr daran gewöhnt, dass die Hauptamtlichen jeder Art sich um dieses missionarische Glaubenszeugnis in hohem Maß bemühen. In Wirklichkeit gibt es viele Situationen und Kontexte unseres
heutigen Lebens, wo auch ein verlängerter Arm des kirchlichen Amtes nicht hinreicht. Hier
kommt es auf die einzigartige Wahrnehmung, Verantwortung und Zeugniskraft des einzelnen
Christen und von Gruppen an, die hier viel eher eine Chance zu lebendigen Begegnungen mit
der Möglichkeit des „Ansteckens“ haben. Man denke nur an Ehe und Familie, Freundeskreise
und die Berufswelt. Die Ämter und Dienste sind viel mehr dazu da, um die Christen – einzeln,
als Gruppe oder als Gemeinde – für dieses Lebenszeugnis elementar zu stärken und besser zu
befähigen.40
38
Ebd., 345.
W. Reinbold, ebd., 346–353, erläutert seine Hypothesen auch noch durch andere Daten, die hier nicht näher
berichtet werden müssen. Dabei geht es auch um die zahlenmäßigen Größenordnung der Christen.
40
Zur Wichtigkeit des Zeugnis-Begriffs vgl. K. Lehmann „Ihr werdet meine Zeugen sein ...“ Die missionarische
Herausforderung des christlichen Glaubens heute, in: Ders., Glauben bezeugen, Gesellschaft gestalten, Freiburg i. Br. 1993, 351–546 (Lit.).
39
18
Wir haben in der Deutschen Bischofskonferenz in den letzten Jahren viel getan, um auf dem
Fundament solcher Überlegungen eine missionarische Seelsorge zu stärken.41 Es ist ein glückliches Zusammentreffen, dass auch die Evangelische Kirche in Deutschland seit etwa derselben Zeit ähnliche Bemühungen unternimmt.42 Das Thema hat große Konjunktur, wenngleich
auch gelegentlich gegenüber einer recht allgemeinen missionarischen Seelsorge die Weltmission in den Hintergrund rückt.43 Es ist darum gut, wenn die Diskussion weiter fortschreitet.44
Darum hat die Deutsche Bischofskonferenz ein schon lange bestehendes Desiderat erfüllt und
ein umfangreiches Dokument erarbeitet und veröffentlicht, das gerade die schon lange vernachlässigte Weltmission neu ins Auge fasst: „Allen Völkern Sein Heil“.
Bei dieser Konkretisierung muss es auch um eine neue Spiritualität des kirchlichen Lebens
und Dienstes in missionarischer Absicht gehen. Der Kirche sind im letzten Jahrhundert dafür
große heilige Frauen und Männer geschenkt worden, die ich nur noch zu erwähnen brauche:
Therese von Lisieux, Charles de Foucauld, Madeleine Delbrêl. Ich möchte aber auch eine so
herausragende Bewegung wie die Gemeinschaft Sant’Egidio nennen.45 Viele wären hinzuzufügen, vor allem auch aus der großen Schar der in den letzten Jahrzehnten selig und heilig
gesprochenen Männer und Frauen.
Ist diese konstitutive Bedeutung von Mission für die Kirche mit dem missionarischen Verantwortungsbewusstsein aller nicht eine Selbstverständlichkeit? Warum nehmen wir sie dann
unzureichend wahr? In diesem Zusammenhang nehmen wir wieder auch Texte im Neuen Testament wahr, die zwar die Würde des Christseins hervorheben, zugleich aber warnen, dass wir
in die Haltung eines hohlen Stolzes kommen und unser Christsein als Grund für ein – wie
immer geartetes – Überlegenheitsgefühl verwenden. Wir haben alle Grund, gegenüber einer
jeden Verflachung den „Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubens“ aufzugeben oder
gegen ein billiges Linsengericht zu verspielen,46 zu vertiefen und zu verteidigen. Wenn wir
hier einen falschen Dünkel haben und vergessen, dass wir das Heil in „Furcht und Zittern“
(Phil 2,12; vgl. Hebr 12,21) wirken, dann kann uns leicht das verheißene Reich genommen
und anderen übergeben werden, wie es in der Schrift (vgl. Mt 8,11 und Lk 13,28 f.) heißt:
41
Zentral dafür ist „Zeit zur Aussaat“. Missionarisch Kirche sein = Die deutschen Bischöfe 68, Bonn o. J. (2000)
und die dazugehörigen entfaltenden Dokumente seit 2000.
42
Das Evangelium unter die Leute bringen. Zum missionarischen Dienst der Kirche in unserem Land, hg. vom
Kirchenamt der EKD, Hannover 2000 (vgl. weitere Lit.: 52–55).
43
M. Sievernich SJ stellt dies mit Recht kritisch in seiner Besprechung heraus von: Deutschland – Missionsland,
hg. von M. Sellmann (QD 206), Freiburg i. Br. 2004, dazu M. Sievernich, Rezension in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 88, 2004, 191/192.
44
Von evangelischer Seite vgl. den umfangreichen Literatur- und Situationsbericht „Religionen – Mission –
Ökumene“, in: Verkündigung und Forschung 49 (2004), Heft 1.
45
Vgl. zuletzt A. Riccardi, Gott hat keine Angst. Die Kraft des Evangeliums in einer Welt des Wandels, Würzburg 2003. Hier wären auch die Anstöße K. Rahners zu nennen, vgl. zusammenfassend mit Literatur M. Sievernich, Karl Rahners Neuinterpretation der Mission, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 88 (2004) 158–173.
46
Vgl. dazu K. Lehmann, Absolutheit des Christentums als philosophisches und theologisches Problem, in: W.
Kasper (Hg.), Absolutheit des Christentums (QD 79), Freiburg i. Br. 1977, 13–38.
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„Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; die aber, für die das Reich bestimmt war, wurden hinausgeworfen in
die äußerste Finsternis; dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen.“ Diese Warnungen sollten wir im Wettbewerb und im Dialog der Religionen und Konfessionen nicht
vergessen.
M. Delbrêl hat auch hier den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie schreibt: „Wenn unser
Christenleben allgemein so unfähig bleibt, die Welt zu durchdringen und deren feindliche
Kräfte zu überwinden, so deshalb, weil es nicht restlos und ausschließlich christliches Leben
ist; wenn unser Christenleben bei seinem Einsatz in der Welt oft zerbröckelt, aus dem Gleichgewicht gerät oder seine Gestalt einbüßt, wenn es sich mehr als normal verbraucht, so deshalb, weil es nicht restlos und ausschließlich christliches Leben ist.“47 Und während des Zweiten Weltkrieges schrieb sie in einem erst jetzt veröffentlichten kleinen Band mit geistlichen
Aphorismen: „Wenn unser Zeugnis oft so mittelmäßig ist, dann rührt dies daher, dass wir
nicht wahrnehmen, dass man für das Leben und Wirken als Zeuge denselben Heroismus haben muss wie für ein Leben als Märtyrer.“48 Diese Worte mögen im ersten Augenblick düster
und eher resignativ klingen. In Wirklichkeit stärken sie unseren eigenen Glauben und unser
ureigenes Bekenntnis. Wir spüren dann beim Thema „Mission“, dass wir vielfach selbst gemeint sind: Nostra res agitur! Es geht bei Mission um unsere ureigene Sache.
47
48
Gebet in einem weltlichen Leben (Beten heute 4), Einsiedeln 1964, 100.
M. Delbrêl, Missionnaires sans bateau. Les Racines de la Mission, Saint-Maur 2000, 65 (hier zitiert nach einer
eigenen Übersetzung).Vgl. auch : Dies., Chiesa, Ateismo, Evangelizzazione = Classici dell´Evangelizzazione,
Fossano 2005. Vgl. zu den genannten Gestalten V. Conzemius, Gottes Spurensucher. Zwanzig christliche Profile der Neuzeit, Freiburg i. Br. 2002, bes. 281ff. Für die deutsche Situation vgl. zusammenfassend: J. Wanke,
Auskunftsfähiges Christentum – Überlegungen zu einer missionarischen Präsenz der Kirche in Deutschland,
in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 88 (2004), 174–181.
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