Evaluationsbericht Bürgerhaushalt Jena

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Evaluationsbericht Bürgerhaushalt Jena
Evaluationsbericht
Bürgerhaushalt Jena
Endversion
Prof. Dr. Norbert Kersting
Dipl.-Pol. Stefan Busse
Dipl.-Sozialwiss. Sebastian H. Schneider
Münster und Halle (Saale), im April 2013
Kontaktdaten
Prof. Dr. Norbert Kersting
Lehrstuhl für Kommunal- und Regionalpolitik
Institut für Politikwissenschaft
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Scharnhorststr. 100, 48151 Münster
Tel.: +49 251 83-25399
Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
Kurz-Zusammenfassung ............................................................................................................................ 1 Einleitung: Bürgerhaushalte in Deutschland ........................................................................................... 3 1. Evaluation des Bürgerhaushalts Jena .................................................................................................. 5 1.1 Evaluationskriterien ............................................................................................................................. 5 1.2 Erhebungsmethoden und Form der Auswertung ................................................................................ 7 1.3 Verfahrensdarstellung ......................................................................................................................... 9 1.4 Rechtlicher Rahmen.......................................................................................................................... 10 1.5 Ziele des Bürgerhaushalts Jena ....................................................................................................... 12 1.6 Leitfragen der Evaluation .................................................................................................................. 13 1.7 Themen ............................................................................................................................................. 14 1.8 Themenbezogenes Beteiligungsinteresse und Beteiligungsbedarf .................................................. 15 1.9 Mobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit ............................................................................................. 20 2. Beteiligungsangebote und Nutzung ................................................................................................... 22 2.1 Postalische Befragung und Internetbefragung ................................................................................. 22 2.2 Vor-Ort-Veranstaltungen ................................................................................................................... 30 2.3 Zusätzliche digitale Kommunikations- und Beteiligungsangebote .................................................... 32 2.4 Bekanntheit, (Nicht-)Beteiligung und Beteiligungsabsicht ................................................................ 34 3. Beteiligungsergebnisse, Wirkungen und Rechenschaft .................................................................. 36 3.1 Beteiligungsergebnisse ..................................................................................................................... 36 3.2 Wirkung des Verfahrens auf die kommunale Haushaltspolitik.......................................................... 38 3.3 Rechenschaftslegung........................................................................................................................ 39 4. Allgemeine Einschätzung des Verfahrens und möglicher Optionen der Weiterentwicklung ....... 40 4.1 Allgemeine Einschätzung .................................................................................................................. 40 4.2 Bewertung möglicher Veränderungen am Verfahren ....................................................................... 47 5. Fazit ........................................................................................................................................................ 49 6. Perspektiven und Handlungsempfehlungen ...................................................................................... 51 6.1 Allgemeine Handlungsempfehlungen ............................................................................................... 51 6.2 Weiterentwicklungsoptionen für das aktuelle Verfahren ................................................................... 52 6.3 Mögliche Verfahrensänderungen ...................................................................................................... 53 6.4 Festigung einer kommunalen Beteiligungskultur .............................................................................. 55 Literatur ...................................................................................................................................................... 57 Anhang ....................................................................................................................................................... 59 Kurz-Zusammenfassung
Neue Beteiligungsinstrumente werden derzeit in vielen deutschen Kommunen eingerichtet.
Besonders populär sind Bürgerhaushalte, die in mehr als 100 Städten und Gemeinden genutzt
werden und überwiegend als elektronisches Vorschlagswesen mit Priorisierungsfunktion
eingesetzt werden. Jena greift dagegen in seinem Bürgerhaushalt auf den Typ „Bürgerumfrage“
zurück. Dabei kann dem Verfahren eine hohe Qualität und Transparenz attestiert werden.
Die Evaluation hat das Bürgerbeteiligungsverfahren im Hinblick auf seine Qualität anhand von
drei Leitfragen untersucht:
1.
Wie intensiv werden die Bürger im Bürgerbeteiligungsverfahren an der lokalen
Haushaltspolitik beteiligt? (Beteiligung als Konsultation)
Die Beteiligungshöhe und -struktur ist für deutsche Bürgerhaushalte typisch, allerdings fließen
die Präferenzen der Jenaer Bürger, die über die konsultative Beteiligung gewonnen wurden,
kaum in die Haushaltspolitik ein:
●
●
●
●
2.
Positiv hervorzuheben ist die Verwendung einer Zufallsstichprobe, die die üblichen
Probleme der sozialen Selektivität bei der Beteiligung an Bürgerhaushalten eindämmt
Aufgrund der Fokussierung auf eine Umfrage mit wenigen Fragen können die
teilnehmenden Bürger ihre eigenen Präferenzen nur in eingeschränktem Maße äußern
Die Teilnehmer können kaum eigene Ideen und Vorschläge einfließen lassen
Seit 2010 zeigen die Beteiligungsergebnisse eher Tendenzen anstatt klare
Handlungsempfehlungen auf und führen nicht zwingend zu Entscheidungen des
Stadtrats
Werden die Bürger angemessen über die städtische Haushaltspolitik sowie über das
Verfahren und seine Wirkung informiert? (Information und Rechenschaftslegung)
Das Verfahren gewährleistet eine zugleich umfangreiche und angemessene Information der
Bürger. Während das Verfahren an sich besonders transparent ist, bestehen Probleme mit der
Rechenschaftslegung über die Wirkung der Ergebnisse:
●
●
●
●
Durch die recht große Zufallsstichprobe wurden die meisten Bürger Jenas über die
Beteiligungsmöglichkeit informiert
Die Broschüre ist überwiegend klar strukturiert und die Präsentation der Inhalte besitzt
ein ausgewogenes Verhältnis zwischen notwendiger Information und überschaubarer
Aufbereitung
Das Verfahren, seine Ergebnisse und das Handeln der Beteiligten werden äußerst
transparent aufbereitet
Ohne eine Übertragung der Ergebnisse in Vorlagen der Verwaltung oder der Fraktionen
kann nur schwer eine Rechenschaftslegung erfolgen
1
Das Verfahren ist insbesondere im Hinblick auf die Qualität der politischen Information und trotz
einer eher begrenzten Beteiligung der Bürger am politischen Geschehen als effektiv und
effizient zu bezeichnen. Mit seiner finanziellen Ausstattung ist es im Vergleich zu anderen
Bürgerhaushalten nicht als überfinanziert zu betrachten. Der Bürgerhaushalt der Stadt Jena
stellt ein gelungenes Instrument dar, um der Bürgerschaft themenbezogen Informationen
bereitzustellen und Stimmungsbilder zu erheben.
3.
Wie kann das Bürgerbeteiligungsverfahren verbessert werden?
In Jena sollte ein öffentlicher Diskurs über Bürgerbeteiligung im Allgemeinen und den
Bürgerhaushalt im Speziellen eröffnet werden. Dies könnte durch einen extern moderierten
Prozess wie z.B. eine “Zukunftswerkstatt” unterstützt werden. Dabei ergeben sich aus Sicht der
Autoren zwei grundsätzliche Möglichkeiten der weiteren Entwicklung:
Beibehaltung und Verbesserung des Verfahrens „Bürgerumfrage“
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●
●
●
●
●
Die Limitationen der Verfahrens sollten akzeptiert und der Informationscharakter des
Verfahrens und seiner Ergebnisse betont werden
Das Verfahren sollte prominent auf der Internetseite der Stadt Jena beworben und
leichter aufzufinden sein
Um eine stärkere Mobilisierung für die Bürgerversammlung und das Verfahren zu
erreichen, sollte über Anreize wie Gutscheine oder gemeinnützige Preise
(“Soziallotterie”) nachgedacht werden
Eine Erhöhung der Anzahl von Broschüren könnte den Mobilisierungseffekt verstärken,
würde aber das Ergebnis der Beteiligung kaum beeinflussen, so dass der
Kostenzuwachs abgewogen werden muss
Die Abstimmungsergebnisse aus unterschiedlichen Erhebungsformen (postalisch,
online) sollten weiterhin separat ausgewertet werden
Durch eine Straffung des Verfahrens könnten die Ergebnisse der Beteiligung früher
vorliegen und dadurch länger in der kommunalen Politik diskutiert werden
Der Umgang mit den Beteiligungsergebnissen sollte gemeinsam überfraktionell geregelt
werden
Es sollte komplementär versucht werden, den Haushalt auch für Laien verständlich
darzustellen, z. B. durch Informationen zum Haushaltsplan oder in Form eines “Offenen
Haushalts”
Weiterentwicklung in ein detailliertes Vorschlagswesen

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

Vorschläge sollten klar zuordenbare Sachfragen anstatt grober Tendenzaussagen
ermöglichen. Dies kann das bisherige Problem der Rechenschaft abschwächen, würde
aber nicht zwangsläufig zu mehr Beteiligung führen
Die Vorschläge sollten von den Teilnehmern bewertet werden, sei es durch eine Skala
(pro, contra, neutral) oder durch die Vergabe von Stimmen (bspw. drei oder fünf)
Bei der Sammlung von Vorschlägen und der Bewertung könnten Stadtteile einbezogen
werden, ggf. auch mit einem eigenen Budget für den Bürgerhaushalt
Die Umfrage kann als repräsentatives Element beibehalten werden, während der
Online-Dialog gestärkt werden sollte
2
Einleitung: Bürgerhaushalte in Deutschland
Die Zahl der deutschen Kommunen mit Bürgerhaushalten hat in den letzten zwei Jahren rasant
zugenommen. Dabei werden Bürgerhaushalte oft zu Unrecht als „Wünsch Dir was-Listen“
verunglimpft. Bürgerhaushalte in Deutschland sind in der Mehrzahl ein elektronisches
Vorschlagswesen. 1 Diese werden sich in der kommenden Dekade neben elektronischen
Kummerkästen in allen Kommunen etablieren. Kommunale Bürgerumfragen werden in den
größeren Kommunen hinzukommen. Alle drei Beteiligungsformen sind nicht nur wichtige
Instrumente privater sondern auch öffentlicher Unternehmen.2 Alle drei Elemente haben noch
deutliches Verbesserungspotential.
Bürgerhaushalte haben in den letzten Jahren in Deutschland einen enormen Aufschwung
erhalten. Sie waren bereits in den 1980er Jahren zum einen in Lateinamerika, insbesondere in
Brasilien und Peru, und zum anderem in Christchurch in Neuseeland initiiert worden. In
Lateinamerika haben sie insbesondere die Funktion der Umverteilung und des Aufbaus sozialen
Kapitals über die Entwicklung sozialer Projekte in den Armensiedlungen.3 In Neuseeland waren
die Bürgerhaushalte ein Instrumente der Bürgerorientierung im Rahmen der Verwaltungsreform.
Den Instrumenten aus dem globalen Süden gelang der Transfer nach Europa. In Europa
setzten insbesondere Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien diese Bürgerhaushalte
um. Diese Länder folgen eher der lateinamerikanischen Variante und bildeten
Planungsinstrumente und Nachbarschaftsorganisationen mit eigenem Haushalt.4 Seit 2005 ist
der Trend auch in Deutschland angekommen. Deutsche Kommunen folgen eher der Variante
aus Neuseeland. Hier wird die New Public Management-Variante installiert.
Nachdem mit den lokalen Agendaprozessen seit den 1990er Jahren lokale politische
Beteiligung unter vielfältigen Labels revitalisiert wurde, setzte sich der Begriff „Bürgerhaushalt“
für unterschiedliche Beteiligungsinstrumente durch, die budgetrelevant waren. 2006 wurden
etwa ein Dutzend Bürgerhaushalte registriert. Bis 2010 fanden nur etwa 30 Bürgerhaushalte
statt. 2011 werden bereits über 50 Kommunen gezählt und Ende 2012 geht man von etwa 100
Bürgerhaushalten aus. Weitere Kommunen planen die Implementation.
Allen Bürgerhaushalten ist gleich, dass sie Ideen sammeln, die in Haushaltberatungen
hineinfließen. Sie beziehen sich auf den Gesamthaushalt oder Haushaltsbereiche. Dabei
unterscheiden sie sich in die vier Typen Haushaltsrechner (z.B. in Hamburg, Leipzig), BudgetUmfragen (Jena), Stadtteilfonds (Lichtenberg) und haushaltsbezogenes Vorschlagswesen (z.B.
Münster). Letzterer wird in der Mehrzahl der Kommunen eingesetzt. Über 4/5 aller deutscher
Bürgerhaushalte sind ein elektronisches Vorschlagswesen.
Bürgerhaushalte als haushaltsbezogenes Vorschlagswesen besitzen eine Informations- und
Konsultationsphase (Sammelphase), eine Bewertungsphase und eine Rechenschaftsphase.
Dieser Bürgerhaushaltstypus ist ein modernes elektronisches Vorschlagswesen, das
postalische schriftliche Befragungen einsetzt, sporadisch Bürgerforen organisiert, aber vor allem
Vorschläge über das Internet sammelt. In der Bewertungs- bzw. Priorisierungsphase erlauben
1
Vgl. Kersting 2012
Vgl. Kersting 2008
3
Vgl. Kersting et al. 2009
4
Vgl. Kersting & Woyke 2012
2
3
diese Bürgerhaushalte, dass die Haushaltsvorschläge über online- oder offline-Abstimmungen
grob priorisiert werden, um so das Meinungsbild in der Bevölkerung zu erfassen und eine
selektive Auswahl durch die Politik und Verwaltung zu verhindern. Eine Manipulation durch
bestimmte Interessengruppen insbesondere in der Bewertungsphase wird schnell offensichtlich
und wird im späteren Diskurs durch Rat oder Verwaltung korrigiert. Dennoch sollte eine hohe
Verfahrenstransparenz im Vordergrund stehen und eine externe Evaluation erfolgen. Bislang
erfolgt in der Regel keine Evaluation der Instrumente. So werden zum einen die
Beteiligungsinstrumente weitergeführt ohne aus Fehlern oder von anderen Kommunen zu
lernen. Zum anderen werden Instrumente eingestellt. Die externe Evaluation ermöglicht die
Fehleranalyse, generiert aber auch Verbesserungsvorschläge und sorgt so für die erfolgreiche
Umsetzung der Beteiligungsprojekte.
Zumeist zeigt sich eine eher positive Resonanz in der Verwaltung gegenüber den oft sehr
pragmatischen, detaillierten Vorschlägen der Bürger. Letztendlich bleibt das letztendliche
Budgetrecht beim Rat. Dennoch ist die Kritik am Instrument in den Reihen der Ratsmitglieder oft
am stärksten. Bei der Mehrzahl der deutschen Bürgerhaushalte handelt es sich vornehmlich um
ein elektronisches Vorschlagswesen. In vielen Städten wird das Instrument aufgrund der
Haushaltskrise nur noch als Sparhaushalt installiert. D.h., es werden häufig nur noch
Sparvorschläge berücksichtigt. Deliberation, also die Diskussion einzelner Vorschläge zwischen
den Bürgern, aber auch mit Vertretern aus Politik und Verwaltung, ist dabei unterschiedlich
ausgeprägt. Während Oldenburg erst bei der dritten Durchführung eines Bürgerhaushalts
Möglichkeiten zur Diskussion der Vorschläge anbot, haben Solingen, Essen und Köln dies
schon wesentlich früher realisiert. In einigen Kommunen wird versucht auf Stadtteilebene
Präsenzveranstaltungen zu organisieren (Münster, Potsdam). Die Gesamtbeteiligung ist
unterschiedlich. Lünen konnte im Januar 2012 beispielsweise lediglich 125 von 87.500
Einwohnern (0,1 Prozent) mobilisieren, während Potsdam 8.750 von 156.900 (5,6 Prozent) und
Berlin-Lichtenberg 10.490 von 263.400 Einwohnern (4,0 Prozent) zur Beteiligung bewegen
konnten. 5 Als besonders schwierig werden Präsenzveranstaltungen (Bürgerforen,
Auftaktveranstaltungen) angesehen, zu denen meist nur wenige Bürger erscheinen. Allerdings
stießen Präsenzveranstaltungen beispielsweise in Berlin-Lichtenberg auf die größte Resonanz,
während Internet- und postalische Befragung nur eine Nebenrolle spielen. Grundsätzlich zeigt
sich eine deutliche Verzerrung hinsichtlich der hochgebildeten Beteiligten und Älteren. Jüngere
engagieren sich eher im Internet.
Unsere Städte sind zunehmend durch demographischen Wandel (graue Gesellschaft,
multikulturelle Gesellschaft) und sozialen Wandel (Individualisierung, Mangel sozialen Kapital)
und soziale Ungleichheit (Armut) geprägt. Lokale Politik ist mit sinkender Wahlbeteiligung und
Protest konfrontiert und reagiert mit neuen politischen Beteiligungschancen. In Zukunft wird für
die Kommunen die Wiederbelebung von lokalen Gemeinschaften im Vordergrund stehen. Nur
hierüber werden negative Effekte sozialer, kultureller und ökonomischer Ungleichheiten
abgemildert werden. Nur hierüber können zentrale Zukunftsaufgaben wie z.B. die
Altenversorgung, Integration im Rahmen eines Diversity Management nachhaltig gelöst werden.
Deshalb sind - neben der Online-Partizipation - auch Präsenzveranstaltungen zur Etablierung
von Gemeinschaften in Stadtteilen und in den Nachbarschaften nötig. Neben dem
5
Daten entnommen aus Schneider 2012
4
elektronischen Vorschlagswesen mit wichtiger Agenda Setting-Funktion müssen
Beteiligungsinstrumente zur Stadtteilorganisation wiederbelebt, entwickelt und in den
Gemeindeordnungen verankert werden. Die Zukunft der Kommunikation zwischen Bürger,
Politiker und Verwaltung liegt zum Teil im Internet, aber nicht nur dort. Online Partizipation ist
auf die lange Sicht kostengünstig und zeigt schnelle Erfolge. Offline Beteiligung ist schwerer zu
realisieren, aber erfolgreicher beim Aufbau von Sozialkapital. Die Kunst liegt in der Kombination
beider Strategien. Viele Kommunen haben die Potentiale der Online- wie Offline-Beteiligung
noch nicht entdeckt.
1. Evaluation des Bürgerhaushalts Jena
Durch den Beschluss des Stadtrats vom 17.01.2012 soll der Jenaer Bürgerhaushalt einer
intensiven Evaluation unterzogen und entsprechende Handlungsempfehlungen gegeben
werden.6
“Das spezifische Verfahren, die Methode und die ausgewählten Themen sollen durch externe
fachliche Evaluierung überprüft und fortentwickelt werden.”7
Dabei stehen sowohl technisch-praktische als auch demokratische bzw. politikwissenschaftliche
Aspekte des Beteiligungsverfahrens und seiner verschiedenen Bestandteile im Fokus. Anhand
einschlägiger Kriterien aus der politikwissenschaftlichen Forschung zu demokratischen
Innovationen und mittels Methoden der qualitativen und quantitativen empirischen
Sozialforschung werden diese Aspekte analysiert. Nachdem einleitend Kriterien der Evaluation
vorgestellt werden, führen diese in Verbindung zu den Fragestellungen der Evaluation.
1.1 Evaluationskriterien
Welche Kriterien sollten nun herangezogen werden, um ein solches Verfahren zu bewerten?
Zunächst muss sich die Evaluation eines Prozesses an dessen Zielen orientieren. Hier treffen
zwei verschiedene Zieldimensionen aufeinander. Zum einen die Ziele, die der Jenaer
Bürgerhaushalt für sich definiert hat. Zum anderen die Ziele und Möglichkeiten, die im
Allgemeinen mit einem solchen Verfahren verknüpft werden. Letztere resultieren primär aus den
drei Elementen des “deutschen” Modells des Bürgerhaushalts, wie es im Verlauf des letzten
Jahrzehnts in Deutschland Verbreitung gefunden hat: Information, Konsultation und
Rechenschaft. 8 Der Rückgriff auf diese Kategorien sichert auch die Vergleichbarkeit mit
weiteren deutschen Bürgerhaushalten ab. Auch bieten sie einen Anknüpfungspunkt zu der
etablierten Typologie von Sintomer et al., die Bürgerhaushalte u.a. über das Vorhandensein
einer eigenständigen öffentlichen Diskussion zu finanziellen Angelegenheiten versteht, über
6
Aus Gründen der Lesbarkeit werden nachfolgend männliche Personenbezeichnungen verwendet, wobei
weibliche jeweils einbegriffen sind.
7
Beschlussvorlage Nr. 11/1387-BV, S. 1
8
Vgl. Holtkamp 2008
5
deren Ergebnisse eine Rechenschaftslegung erfolgt. 9 Diese Kriterien erscheinen im ersten
Konzeptpapier zum Jenaer Bürgerhaushalt ebenfalls.10
An die genannten Eigenschaften und Zieldimensionen können wiederum demokratietheoretische Kriterien angelegt werden, an welchen sich neue Beteiligungsverfahren wie
Bürgerhaushalte messen lassen müssen. In Anlehnung an Kersting 11 kann man hier
unterscheiden:
●
●
●
●
Offenheit und Repräsentativität
Rationalität und Transparenz
Machtkontrolle
Effektivität / Effizienz
Die erste Kategorie zielt dabei auf den Zugang zum konsultativen Prozess des
Beteiligungsverfahrens ab. Komplette Offenheit führt häufig dazu, dass sich nur eine bestimmte,
politisch sehr aktive Gruppe von Bürgern beteiligt. Kommen hingegen repräsentative Zufallsoder Quotenstichproben zum Einsatz, kann dieses Problem zwar gelöst werden, anderseits
könnten sich die Nichtbeteiligten (auch in Form von Organisationen und Interessengruppen)
ausgeschlossen fühlen. Dieses Dilemma lässt sich nicht gänzlich lösen. Für die Evaluation des
Jenaer Bürgerhaushalts bedeutet dies, dass vor allem zu prüfen ist, inwieweit die Beteiligung an
den Abstimmungen soziodemographisch repräsentativ ist.
Die zweite Kategorie beinhaltet kompetente, ausgewogene Argumentation zwischen den
beteiligten Bürgern und die Durchschaubarkeit des Verfahrensablaufs auf Basis ausreichender
Information. Für die Bewertung des Jenaer Bürgerhaushalt dürfte letzteres von größerer
Relevanz sein, da das Verfahren kaum deliberativ gestaltet ist, d. h., es legt seinen
Schwerpunkt nicht auf das Diskutieren von Haushaltsvorschlägen, sondern zielt eher auf eine
quantitative Abfrage von Präferenzen der Bürger ab. Zu prüfen ist, wie gut es dem aktuellen
Instrument gelingt, dies zu bewerkstelligen.
Die dritte Kategorie bezieht sich darauf, inwieweit die Politik die Vorschläge bzw. die
Beteiligungsergebnisse aus dem Verfahren aufgreift. In dieser Hinsicht wird zu klären sein,
welchen Einfluss die bisherigen Beteiligungsverfahren und -ergebnisse auf die Haushaltspolitik
hatten und inwieweit der Aspekt der Rechenschaftslegung im Verfahren des Jenaer
Bürgerhaushalts verwirklicht wird.
Mit den Kriterien der vierten Kategorie wird schließlich danach gefragt, inwieweit die bisher
genannten Ziele erreicht werden und ob der Aufwand der dafür aufgebrachten Ressourcen den
erzielten Nutzen rechtfertigt.
Der Untersuchungszeitraum bezieht sich insbesondere auf die Beteiligungsverfahren der Jahre
2008 bis 2011, da im Jahr 2007 noch keine inhaltliche Befragung im eigentlichen Sinn stattfand
und das Verfahren des Jahres 2012 bei Erhebungsbeginn noch nicht vollständig abgeschlossen
war, wodurch eine Bewertung der Wirkung hier unvollständig bleiben muss.
9
Vgl. Sintomer et al. 2010, S. 42f.
Vgl. Konzeptpapier Bürgerhaushalt Jena 2006, S. 2
11
Vgl. Kersting 2008, S.283-286
10
6
Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass die “Messung” der zuvor benannten Kriterien
keineswegs einfach ist. Häufig müssen deshalb mehrere “weiche”, qualitative Indikatoren
herangezogen werden. Diese bieten einen größeren Spielraum für Interpretation als scheinbar
“harte” quantitative Indikatoren. Zudem muss an dieser Stelle bereits festgestellt werden, dass
diese Evaluation keine mechanischen Stellschrauben zur Anregung von Bürgerbeteiligung in
Haushaltsfragen aufdecken kann.12 Das primäre Ziel dieser Evaluation soll daher darin liegen,
die Diskussion um die Zukunft des Jenaer Bürgerhaushalts durch eine externe Bewertung des
Verfahrens anzureichern. Diese wird durch Handlungsempfehlungen ergänzt, die weniger den
definitiven Charakter unvermeidbarer Notwendigkeit als vielmehr den inspirierenden Charakter
einer ergebnisoffenen Politikberatung besitzen sollen.
1.2 Erhebungsmethoden und Form der Auswertung
Für die Datenerhebung, Auswertung und Interpretation im Rahmen der Evaluation wurden
sowohl qualitative als auch quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung eingesetzt.
Qualitative Methoden kamen in Form von Dokumentenanalysen sowie leitfadengestützten
Experteninterviews und deren Auswertung zum Tragen. Als Dokumente wurden u.a.
Publikationen des Bürgerhaushaltsverfahrens selbst und Protokolle kommunaler Gremien
herangezogen die unter Gesichtspunkten der oben genannten Evaluationsziele Rückschlüsse
auf das Verfahren und seine Wirkung ermöglichen.
Die leitfadengestützten Experteninterviews dienten zum einen dazu, vorhandene Daten zu
ergänzen und zum anderen anschauliche Einschätzungen beteiligter Akteure zu gewinnen. Zum
anderen dienten sie dazu, die quantitative Datenerhebung vorzubereiten. Als Interviewpartner
wurden Akteure der Verwaltung, der Politik, der AG Bürgerhaushalt sowie der FH Jena befragt.
Deren Einschätzungen wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet und flossen in
der Folge anonymisiert in den Bericht ein. Die Auswahl der befragten Experten 13 erfolgte
aufgrund ihrer Rolle im Prozess des Bürgerhaushalts. Die Interviews wurden größtenteils im
November und Dezember des Jahres 2012 durchgeführt. Grundlegend bezogen sich die Inhalte
der halboffenen Befragung auf drei verbundene Grundthemen: die Ziele des Verfahrens,
Eigenheiten des Beteiligungsverfahrens und seine Wirkung sowie die Zukunft des Verfahrens
inklusive möglicher Entwicklungsszenarien.
Der quantitative Teil der Erhebung richtete sich darauf, die Einschätzung des Verfahrens durch
die beiden wichtigsten beteiligten Gruppen zu erheben. Dies sind auf der einen Seite die
Bürger, an die sich der Bürgerhaushalt als Beteiligungsmöglichkeit richtet und auf der anderen
Seite die Stadträte, denen das Votum der Bürger als Entscheidungsgrundlage dienen soll. Nur
wenn der Bürgerhaushalt von diesen beiden Gruppen angenommen wird, kann er auch
gelingen.14
12
Vgl. Streeck 2009
Als “Experten” werden hier alle Personen verstanden, die über spezielles Wissen über den
untersuchten Gegenstand verfügen. Dies können auch Personen sein, die man im alltäglichen
Sprachgebrauch nicht als “Experten” bezeichnen würde.
14
Sämtliche Fragebögen sind im Anhang dieses Berichts dokumentiert. Dort können
Frageformulierungen und Antwortskalierungen entnommen werden.
13
7
Mit Blick auf die Bürger waren nicht nur die Einschätzung des Verfahrens, sondern darüber
hinaus auch ihre Bewertung der Politik in Jena, der Informationsstand und –bedarf der Bürger
sowie ihre Beteiligungsmotivation von Interesse. Aus diesem Grund wurden vom 14. Januar bis
14. Februar 2013 drei separate Befragungen mit identischem Fragewortlaut durchgeführt: Eine
Befragung der im Onlineforum zum Jenaer Bürgerhaushalt registrierten Personen (online), eine
Befragung der Bürger über die Webseite der Stadtverwaltung Jena (online) und eine Befragung
der Besucher des Jenaer Bürgeramts (Papierfragebogen). Der Rücklauf bei der Befragung im
Bürgeramt war allerdings zu gering, weshalb die Daten für weitere Analysen nicht
herangezogen werden können.15
Hier muss jedoch auf die methodischen Einschränkungen der Onlineerhebung eingegangen
werden. Bei der Befragung war es mangels einer Liste mit Mailadressen aller Bürger nicht
möglich, den Befragten Zugangscodes oder individualisierte Weblinks zur Befragung
zukommen zu lassen. Die Speicherung von IP Adressen ist aufgrund rechtlicher Regelungen
nicht zulässig, Cookies (Informationen über den erfolgten Besuch einer Webseite) lassen sich
im Web-Browser deaktivieren bzw. löschen. Aus diesem Grund kann nicht ausgeschlossen
werden, dass die Befragung durch Mehrfachteilnahmen manipuliert wurde. Die Ergebnisse sind
deshalb mit Vorsicht zu interpretieren. Die Analysestrategie liegt auf uni- und bivariaten
Auswertungen. Auf komplexe multivariate Analysen wird aus Gründen der Verständlichkeit und
Lesbarkeit hingegen verzichtet. Es werden nur vollständig ausgefüllte Fragebögen ausgewertet.
Für die offene Befragung liegen 179 gültige Fälle vor, für die Befragung im Onlineforum 16. Da
im Onlineforum 46 Personen registriert sind (Stand 1. April 2013) kann in diesem Fall eine
Ausschöpfungsquote errechnet werden, die bei rund 35 Prozent und in einem üblichen Rahmen
für Onlinebefragungen liegt.
Zur Erfassung der Einstellung der Ratsmitglieder der Stadt Jena zum Bürgerhaushalt wurden im
Januar 2013 alle Ratsmitglieder per auf der Webseite der Stadt Jena angegebenen E-MailAdresse zu einer Onlinebefragung eingeladen. Nach zwei Wochen wurde eine
Erinnerungsnachricht verschickt. Die E-Mails enthielten einen Zugangscode, sodass die
Teilnahme nur der angeschriebenen Person möglich war und Mehrfachteilnahmen
ausgeschlossen werden können. Von 46 angeschriebenen Ratsmitgliedern beteiligten sich 19,
was eine Beteiligungsquote von etwa 41 Prozent ergibt. Dies kann im Vergleich mit ähnlich
angelegten Befragungen als ein guter Wert angesehen werden.16
15
Mit Blick auf die Aussagekraft der Ergebnisse wäre es wünschenswert gewesen, eine repräsentativere
Form der Befragung durchzuführen. Hier wären zwei Optionen denkbar, die für den Fall einer
zukünftigen Evaluation in Betracht zu ziehen sind:
1) Die Befragung einer repräsentativen, aus dem Melderegister gezogenen Stichprobe von Bürgern.
Eine solche Befragung könnte u.a. detaillierter darüber Aufschluss geben, wie bekannt der
Bürgerhaushalt in der Stadt Jena ist.
2) Eine verfahrensbegleitende Befragung, bei der den verschickten Broschüren des Bürgerhaushalts
ein Fragebogen beigelegt wird, der ggf. separat zurückgesendet werden kann. Hier kann man, bei
signifikanter Kostenreduktiongegenüber Variante 1, u.a. Feedback darüber erhalten, wie Teilnehmer
des Bürgerhaushalts das Verfahren bewerten.
16
Vgl. z. B. Egner et al. 2013, S. 176-177
8
1.3 Verfahrensdarstellung
Der Bürgerhaushalt der Stadt Jena soll „Jenaer Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, bei der
Erstellung des städtischen Haushaltes und damit bei der Verteilung der öffentlichen Mittel
stärker als bisher mitzuwirken. Überdies soll der Bürgerhaushalt den Politikern bei ihren
Entscheidungen über die städtischen Finanzen eine deutliche Orientierung geben“. Dies
beinhaltet auch verstärkte Informationsarbeit zur kommunalen Haushaltslage und –politik und
ein verbesserte Kommunikation zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft. Das
Beteiligungsverfahren gestaltet sich dabei recht einfach. Jedes Jahr wird ein bestimmtes Thema
(z. B. Investitionen oder Kultur) vorgegeben, zu dem im Anschluss die Bürgerinnen und Bürger
befragt werden. Dabei wird ein Methodenmix eingesetzt, der im Jahr 2012 aus einer
postalischen Befragung (Zufallsstichprobe n = 15.000; rund ein Monat Beantwortungszeit),
Ausgabe von Fragebögen zum Selbstausfüllen in öffentlichen Einrichtungen und Institutionen
(z. B. Tourismus-Information, Bürgerbüro) sowie der Möglichkeit zur Abstimmung per Internet
bestand. Die Ergebnisse der Befragung werden dem Stadtrat im Anschluss vorgelegt. Das
Budget für den Bürgerhaushalt sieht rund 25.000 € Sachmittel sowie eine ganze Personalstelle
vor.
Darüber hinaus existiert ein Onlinediskussionsforum, in dem über den Bürgerhaushalt und die
kommunale Haushaltspolitik diskutiert werden kann. Zudem werden in diesem Forum aktuelle
Informationen und Dokumente (z. B. Protokolle aus Stadtrat und Fachausschüssen, Ergebnisse
der Abstimmungen usw.) aus den städtischen Gremien und zum Bürgerhaushalt veröffentlicht.
Die Organisation obliegt in Jena einer Gruppe engagierter Bürgerinnen und Bürger
(Arbeitsgruppe Bürgerhaushalt – AG BHH), die sich in Koordination mit der Verwaltung, vor
allem über den bei der Stadt eingestellten Koordinator des Bürgerhaushalts, u.a. mit der
Auswahl des jährlichen Themas (hier in Abstimmung mit dem Finanzausschuss), der
Gestaltung der Broschüre, der Öffentlichkeitsarbeit und der Zusammenfassung der Ergebnisse
befassen. Die AG BHH tagt in der Regel einmal pro Monat, wobei die Beteiligung an dieser
Arbeitsgruppe allen Bürgerinnen und Bürger möglich ist bzw. auch explizit dazu aufgefordert
wird.
Um Missbrauch und Manipulation der Abstimmung vorzubeugen, sind im Verfahren
Sicherheitsmechanismen vorhanden. So ist jeder Abstimmungsbogen mit einer fortlaufenden
Nummer versehen. Bei der Onlineabstimmung ist eine gültige E-Mail-Adresse anzugeben,
wobei Doppelanmeldungen u. ä. überprüft werden. Es erfolgt eine separate externe Auswertung
nach Erhebungsmodus durch die Fachhochschule Jena. Zusätzlich wird bei der Auswertung der
Abstimmungsfragebögen eine Analyse auf Unterschiede in Subgruppen (Altersgruppen,
Geschlecht, Postleitzahlbezirke) durchgeführt.
9
1.4 Rechtlicher Rahmen
Bürgerhaushalte zielen im Allgemeinen darauf ab, die Bürger an der Aufstellung des
kommunalen Haushalts bzw. an der Gestaltung haushaltsrelevanter Leistungen der Kommune
zu beteiligen. 17 Im Gegensatz zu Beteiligungsverfahren wie Einwohneranträgen 18 oder
Bürgerbegehren und Bürgerentscheid 19 sind sie nicht formal geregelt. Bürgerhaushalte
ersetzen weder den kommunalen Haushaltsplan, noch verändern sie grundlegend das
Verfahren der Haushaltsaufstellung in den Kommunen. Solange dem Gemeinderat sein
Letztentscheidungsrecht nicht entzogen wird, und die Beteiligung rein konsultativen Charakter
besitzt, wird eine erweiterte Beteiligung allerdings auch nicht ausgeschlossen. Damit sind
Bürgerhaushalte in ihrer derzeit in Deutschland praktizierten Form (Information, Konsultation,
Rechenschaft) auch für Thüringer Kommunen rechtlich nicht zu beanstanden. Inwieweit die
Ratsmitglieder der Stadt Jena ihren Entscheidungen die im Kontext des Bürgerhaushaltes
entstandenen Vorschläge der Bürger zugrunde legen, bleibt ihnen überlassen. Sie sind nicht an
Weisungen gebunden und lediglich dem Gesetz und ihren gemeinwohlbezogenen
Überzeugungen verpflichtet. 20 Der konsultative Charakter des Verfahrens bietet jedoch die
Gelegenheit, die Ratsmitglieder in Ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen und somit die
repräsentative Demokratie zu stärken - gerade im elementaren Bereich der Finanzen.
Ein konsultatives Beteiligungsinstrument wie der Bürgerhaushalt lebt also davon, dass die
Unterstützung durch die gewählten Repräsentanten in einem ausreichenden Maß gegeben ist.
Unabhängig von der Bewertung des Bürgerhaushalts gilt es daher zu klären, welche Einstellung
die Ratsmitglieder zum Thema Bürgerbeteiligung allgemein haben.
17
Vgl. zur Einführung z. B. Holtkamp 2008
Vgl. § 16 ThürKO
19
Vgl. § 17 ThürKO
20
Vgl. § 24 Abs. 1 ThürKO
18
10
Grafik 1: Einstellung der Ratsmitglieder zu Bürgerbeteiligung. Skalenwerte 4 und 5 „stimme voll
und ganz zu“ in Prozent (n = 19).
Einwohnerinnen und Einwohner sollten die Möglichkeit haben,
ihre Sichtweisen darzulegen, bevor wichtige kommunale
Entscheidungen von den gewählten Repräsentantinnen und…
90
Einwohnerinnen und Einwohner sollten aktiv und direkt an
wichtigen kommunalen Entscheidungen teilhaben können
69
Es fehlt an Kommunikationssystemen zur Bürgerbeteiligung
63
Lokale Referenden führen zu einer höheren Qualität
öffentlicher Debatten
53
Politische Entscheidungen sollten nicht nur durch gewählte
Gremien, sondern nach Verhandlungen mit Betroffenen
getroffen werden
47
Die Ergebnisse von Kommunalwahlen sollten für die
kommunale Politik entscheidend sein
42
Die Bürgerinnen und Bürger verfolgen nur Einzelinteressen
37
Die Bürgerinnen und Bürger engagieren sich kaum
26
Die Bürgerinteressen werden ausreichend berücksichtigt
26
Eine Erweiterung von Bürgerbeteiligung ist nicht möglich
11
Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt die Sachkenntnis zur
Beteiligung
11
Politische Repräsentantinnen und Repräsentanten sollten
entscheiden, wie sie es für richtig halten ‐ unabhängig von der
Meinung der örtlichen Bevölkerung
11
Abgesehen vom Wählen sollten die Bürgerinnen und Bürger
nicht die Möglichkeit erhalten, lokale Politik zu beeinflussen
5
0
20
40
60
80
100
Es ergibt sich ein recht eindeutiges Muster: Die Einstellung zu Bürgerbeteiligung ist insgesamt
positiv. Aussagen, die ein eher elitäres Politikverständnis ausdrücken, sind am unteren Ende
des Rankings positioniert. Auch „Schumpetersche“ Skepsis gegenüber den Fähigkeiten und der
Motivation der Bürger findet kaum Zustimmung. Die Prozentwerte fallen bei diesen Fragen recht
niedrig aus. Auch eine separate Frage nach der Wichtigkeit von Bürgerbeteiligung innerhalb der
eigenen Partei (nicht tabelliert) ergibt, dass diesem Thema eine hohe Wichtigkeit zugeschrieben
wird. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer deutschlandweiten Studie, in der sich
11
herausstellte, dass gerade Ratsmitglieder aus Thüringen ein beteiligungsorientiertes
Demokratieverständnis vertreten. 21 Dabei ist jedoch in beiden Fällen eine gewisse Vorsicht
angebracht, denn Bürgerbeteiligung ist derzeit en vogue, eventuelle Vorbehalte werden
möglicherweise aus Gründen sozialer Erwünschtheit in Befragungen kaschiert.22
1.5 Ziele des Bürgerhaushalts Jena
Auf Basis der Beschlussvorlage Nr. 06/0105-BV wurde die Verwaltung der Stadt Jena am
30.08.2006 durch den Rat beauftragt, ein Konzept für einen Bürgerhaushalt zu entwickeln. Am
11.10.2006 wurde das Konzept leicht abgeändert von einer Mehrheit des Jenaer Rates
beschlossen23 und dieser Beschluss durch die Entscheidungen der Jahre 2008 24 und 200925
erneuert. Ergänzt werden diese Beschlüsse durch ein 2012 aktualisiertes Regelwerk, das die
Ziele, den Ablauf, die Details und die Eckpunkte des Verfahrens (Umfrage, Online-Beteiligung,
Rechenschaft) beschreibt und vom Finanzausschuss am 17.01.2012 beschlossen wurde. 26
Schon bei der Einführung und vor der Erarbeitung eines genauen Konzeptes wurde das
grundlegende Ziel durch eine Vertreterin der Grünen wie folgt formuliert:
“Ziel der Einführung eines Bürgerhaushaltes ist die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an
der Haushaltsaufstellung und -verabschiedung.”27
Als weitere Ziele wurden benannt:
●
●
●
●
“Erhöhung der Akzeptanz der finanziellen Möglichkeiten der Stadt”
“Verbesserung des Dialogs mit den Bürgern”
“Erhöhung der Transparenz der Haushaltsaufstellung”
“Abbau von Politikverdrossenheit”28
Diese Ziele sind für deutsche Bürgerhaushalte als typisch einzuschätzen. Grundlegend finden
sich diese Ziele auch im aktuellen Regelwerk des Bürgerhaushalts wieder, das folgende Ziele
beschreibt:29
●
●
●
●
●
“die Bürgerbeteiligung bei politischen Entscheidungsprozessen der Stadt zu verstärken”,
eine “bessere Information der Bürger über den städtischen Haushalt zu gewährleisten”,
“ die Akzeptanz politischen Entscheidungen” erhöhen,
“Mehr Transparenz”,
“Intensivierung des Dialogs der Bürger mit Verwaltung und Politik”30
21
Vgl. Heinelt 2013, S. 116
Befragt wurden ein Ratsmitglied von der CDU, fünf von der SPD, sechs von Die Linke, eines von
Bündnis 90/ Die Grünen, zwei von der FDP, drei von den freien Wählergruppen. Eine Person wollte
schließlich keine Angabe machen. Fast zwei Drittel der Befragten waren Männer, im Schnitt waren sie
rund 47 Jahre alt. Es muss daher angenommen werden, dass die Meinung der Christdemokraten und
Grünen in den Ergebnissen unterrepräsentiert ist.
23
Vgl. Niederschrift 27. Sitzung des Jenaer Stadtrats 11.10.2006, S. 26-28
24
Vgl. Beschlussvorlage Nr. 08/1217-BV
25
Vgl. Beschlussvorlage Nr. 09/1797-BV
26
Vgl. Regelwerk in der von der AG Bürgerhaushalt beschlossenen Fassung vom 17.01.2012
27
Niederschrift 27. Sitzung des Jenaer Stadtrats 11.10.2006, S. 27
28
Ebd.
29
nachfolgend Regelwerk in der von der AG Bürgerhaushalt beschlossenen Fassung vom 17.01.2012
30
Ebd.
22
12
Zusätzlich werden noch Erwartungen an die Berücksichtigung der Beteiligungsergebnisse durch
den Stadtrat sowie eine entsprechende Rechenschaft benannt, so dass sich die Ziele des
Verfahrens sich auch hier an den typischen Zielen deutscher Bürgerhaushalte orientieren: ein
Mehr an Information und Konsultation, über die im Anschluss eine Rechenschaftslegung erfolgt.
Neben diesen offiziell dokumentierten bzw. kommunizierten Zielen, können aber auch andere
Ziele von Relevanz sein, die inoffiziell oder gar unbewusst (z. B. Qualifizierung der Verwaltung,
Bildung von Sozialkapital und sozialen Netzwerken) mit einem Verfahren verfolgt werden.
Zudem sind selten alle Ziele eines Kataloges als gleichrangig anzusehen. So können sich im
Zeitverlauf einige Ziele als besonders relevant erweisen, eventuell in Reaktion auf gescheiterte
Ambitionen, aber auch auf unverhoffte Erfolge in bestimmten Bereichen, während andere an
Bedeutung verlieren.
In den Interviews wurden die oben dargestellten Zielsetzungen weitgehend bestätigt. Auf Seiten
der Verwaltung wird dabei insbesondere die Möglichkeit einer Akzeptanzsteigerung durch
Bürgerbeteiligung betont:
„Das Hauptziel ist schon am Ende eine größere Akzeptanz zu finden für die Entscheidungen der
Stadt und des Stadtrates zu den Schwerpunkten der Politik.“
Dieser Anspruch an Akzeptanz kann in Beteiligungsverfahren nur durch umfassende
Information hergestellt werden. Dass dieses Ziel neben der eigentlichen Beteiligung immer
relevanter wurde, äußerte auch ein Vertreter der AG:
“Was für mich aber auch ein wesentlicher Punkt ist, ist dieser Informationsteil, im Prinzip diesen
Haushalt den Leuten näherzubringen, verständlich rüberzubringen und ich denke mal, das
haben wir in den letzten Jahren eigentlich ganz gut hingekriegt. Neben dem eigentlichen
Verfahren.“
1.6 Leitfragen der Evaluation
In Verbindung der oben genannten allgemeinen Evaluationskriterien und den Kriterien, die sich
aus der Zielsetzung des Verfahrens selbst ergeben, stellen sich für die Evaluation daher
folgende leitenden Fragen:
1. Wie intensiv werden die Bürger im Bürgerbeteiligungsverfahren an der lokalen
Haushaltspolitik beteiligt? (Beteiligung als Konsultation)
2. Werden die Bürger angemessen über die städtische Haushaltspolitik sowie über das
Verfahren und seine Wirkung informiert? (Information und Rechenschaftslegung)
3. Wie kann das Bürgerbeteiligungsverfahren verbessert werden?
13
1.7 Themen
Die ausgewählten Themenbereiche des Jenaer Bürgerhaushalts umfassten bisher:
●
●
●
●
●
●
●
Meinungen und Vorschläge zum Thema Bürgerhaushalt
Verwendung von Mehreinahmen aus dem Jahr 2007
Abstimmung über Investitionsprojekte der Fraktionen
Abstimmung über Investitionsvorhaben 2009 – 2012
Freiwillige Leistungen des Verwaltungshaushalts
Freiwillige Leistungen Bereich Kultur
Finanzierung der Kindertagesstätten
(2007)
(2008/I)
(2008/II)
(2009)
(2010)
(2011)
(2012)
Während Verfahren des Vorschlagswesens oft kleinteilige Investitionen behandeln, wird in Jena
versucht, die Ausstattung ganzer Bereiche bzw. Haushaltsteile (z. B. Verwaltungshaushalt) in
den Blick zu nehmen. Wie in anderen Städten kann nur ein kleinerer Teil des Haushalts,
insbesondere der der freiwilligen Leistungen Inhalt des Beteiligungsverfahrens werden.
Bestimmte Bereiche müssen per se außen vor bleiben, wie es ein Mitarbeiter der Verwaltung
erläuterte:
„Nehmen Sie allein die Höhe der Gehälter der Beschäftigten der Stadtverwaltung. Die können
Sie nicht einer allgemeinen Bürgerbefragung unterwerfen, da gibt es Tarifpartner, die den
Tarifvertrag im öffentlichen Dienst verhandeln. Da können jetzt nicht die Bürger der Stadt Jena
sagen, dass die Beschäftigten der Stadtverwaltung mehr oder weniger verdienen“
Nach dem ersten Durchgang 2007, bei dem grundsätzliche Informationen abgefragt wurden,
standen in den Jahren 2008 und 2009 Investitionsausgaben im Mittelpunkt. Ein Überschuss von
14 Millionen Euro aus dem Jahr 2007 brachte die Stadt Jena in die komfortable Position, die
Bürger zu ihrer Verwendung zu befragen.
Nachdem auf diese Weise Investitionen im Fokus standen, folgte für die darauffolgenden Jahre
ein Wechsel in den Verwaltungshaushalt. Ein Mitglied der AG begründet dies so:
„[..] wenn wir weiter bei Investitionen bleiben, dann wird das eine Wunschliste, ich weiß nicht
wie lang, und keiner hat mehr einen Überblick. Weil das sind ja alles Sachen, die nicht innerhalb
von einem Jahr realisierbar sind.“ Die hier bereits angedeutete Problematik einer
Nachvollziehbarkeit wird später noch einmal in Bezug auf die Wirkungen des Verfahrens und
die Rechenschaftslegung thematisiert werden. Auch in der Politik wird dieser Schritt als
notwendig angesehen:
„Das konnte natürlich nicht ewig so weiter gehen, weil irgendwann hat sich der Bereich auch
erschöpft, insofern fand ich es auch richtig, den Versuch zu starten, sich mit komplexeren
Themenstellungen auseinander zu setzen.“
Die Wahl der Themen kann nicht einzeln bewertet werden. Grundsätzlich wirkt sich vor allem
aus, auf welchen spezifischen Gegenstand die Beteiligung mit welcher Fragestellung zielt. Hier
sind besonders die Unterschiede zwischen einer Beteiligung an Investitionsentscheidungen und
der zuletzt mehrfach erfolgten Bewertung von Leistungen und Gebühren zu nennen, wie später
zu zeigen sein wird.
14
Seit dem Jahr 2011 wurde über ein Freifeld mit der Aufforderung „Hier können Sie weitere
Vorschläge für Investitionen, Sparmaßnahmen oder sonstige Haushaltsänderungen in Jena
unterbreiten“ erstmals ein thematisches Interesse bei den Teilnehmern abgefragt. In der
quantitativen Auswertung der FH Jena wurden aus diesen Antworten Themenfelder konstruiert.
Mit der Broschüre des Jahres 2012 wurde dann spezifischer gefragt: „Mit welchen Themen des
städtischen Haushaltes sollte sich nach ihrer Meinung der Bürgerhaushalt in den nächsten
Jahren befassen?“
Es bietet sich zukünftig an, in dieser oder anderer Form, mit den potentiell beteiligten Bürgern
stärker in Kontakt zu treten, um sie schon bei der Themenwahl stärker einzubinden. Denn auch
beim Verwaltungshaushalt sind die möglichen Themen endlich.
1.8 Themenbezogenes Beteiligungsinteresse und Beteiligungsbedarf
In der Folge gibt unsere quantitative Bürgerbefragung trotz möglicher Verzerrung durch die
Fallzahl und die Selbstselektion der Befragten einen Eindruck davon, wie die Jenaer Bürger und
von ihnen insbesondere die, die sich für den Bürgerhaushalt interessieren, relevante
Fragestellungen rund um den Bürgerhaushalt und seine Themen bewerten. Dazu gehört die
Bewertung der Jenaer Politik, ihres Wissens sowie ihres Beteiligungs- und Mitsprachebedarfs in
Bezug auf verschiedene Politikfelder und Themenbereiche, die in verschiedener Form auch
schon Thema des Bürgerhaushalts waren. Diese Daten sollten als Anregungen für die
themenbezogenen Weiterentwicklung des Verfahrens gesehen werden.
Bewertung der Politik in Jena
Wie bewerten die Bürger die Politik in der Stadt in verschiedenen Bereichen? Abgefragt wurden
dabei vor allem Bereiche, die bereits Thema des Bürgerhaushalts waren. Die nachstehende
Tabelle gibt einen Überblick.
Tabelle 1: Bewertung Zufriedenheit Politikbereiche. Bürgerbefragung (Zeilenprozente, n = 179).
Sehr gut
Gut
Befriedigend
Ausreichend
Mangelhaft
Weiß nicht
Bildung
12
40
30
7
11
1
Jugend
2
32
35
13
14
3
Kultur
15
40
24
11
10
2
Soziales
4
37
31
11
12
5
Sport
9
30
32
9
14
6
Investitionen
und
Großprojekte
6
27
25
14
24
4
Haushalt und
Finanzen
12
29
29
17
11
3
Kindertagesstätten
9
32
24
10
19
7
15
Tabelle 2: Bewertung Zufriedenheit Politikbereiche. Befragung Onlineforum (Zeilenprozente, n = 16).
Sehr gut
Gut
Befriedigen
d
Ausreichend
Mangelhaft
Weiß nicht
Bildung
-
63
38
-
-
-
Jugend
-
50
31
6
13
-
Kultur
19
63
13
6
-
-
Soziales
-
63
25
-
6
6
Sport
-
44
19
6
25
6
Investitionen und
Großprojekte
6
31
25
-
38
-
Haushalt und
Finanzen
13
50
-
31
6
-
Kindertagesstätten
13
56
19
-
13
-
Grafik 2: Ranking Zufriedenheit Politikbereiche (Antwortkategorien „gut“ und „sehr gut“ in Prozent).
Kultur
81
54
Bildung
51
Kindertagesstätten
41
Soziales
41
63
69
63
Befragung Onlineforum
44
39
Sport
Jugend
Bürgerbefragung
50
34
38
33
Investitionen und Großprojekte
Haushalt und Finanzen
63
41
0
20
40
60
80
100
Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Aufgrund unterschiedlicher
Rundung der Prozentwerte kann es zu Abweichungen gegenüber den Tabellen kommen.
16
Fasst man die Antwortkategorien „gut“ und „sehr gut“ zusammen und überführt sie in ein
Ranking, so ergibt sich das obenstehende Balkendiagramm. Maßgebend für die Reihung sind
dabei die Ergebnisse der offenen Bürgerbefragung. Es ergibt sich dabei, dass die Zufriedenheit
in spezifischen Politikbereichen (z. B. Kultur, Bildung) besser ausfällt. Am unteren Ende des
Rankings stehen die Bereiche „Investitionen und Großprojekte“ und „Haushalt und Finanzen“,
das heißt, gerade im Bereich, auf den der Bürgerhaushalt fokussiert, wird von den Befragten am
schlechtesten bewertet. Die Befragten im Onlineforum sind jedoch in einigen Bereichen deutlich
zufriedener.
Wunsch nach Mitsprache
Grafik 3: Wunsch nach Mitsprache in verschiedenen Politikbereichen (in Prozent).
Investitionen und Großprojekte
88
67
Bildung
44
Haushalt und Finanzen
44
Kultur
44
39
19
Jugend
54
63
Befragung Onlineforum
38
Bürgerbefragung
31
34
Kindertagesstätten
Soziales
25
Sport
26
0
In keinem der Bereiche
0
33
38
6
20
40
60
80
100
Anmerkung: Mehrfachnennungen möglich. Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16.
Auch bei der Frage nach mehr Mitsprache in verschiedenen Politikbereichen stechen
Investitionen und Großprojekte hervor, die von beiden Befragtengruppen am häufigsten erwähnt
wurden. Auf den weiteren Rängen folgen Bildung sowie Haushalt und Finanzen. Daraus kann
man ableiten, dass Bürgerbeteiligung besonders bei Großprojekten und Investitionen
gewünscht wird. Dass die Mitglieder des Onlineforums den Bereich Haushalt und Finanzen um
fast 20 Prozentpunkte häufiger angeben, darf abschließend keiner weiteren Erklärung.
17
Einschätzung Kenntnisstand in Politikbereichen
Tabelle 3: Einschätzung Kenntnisstand Politikbereiche. Zeilenprozente (Bürgerbefragung, n = 179).
Sehr gut
Gut
Befriedigend
Ausreichend
Mangelhaft
Weiß nicht
Bildung
13
52
26
6
2
1
Jugend
5
40
34
10
10
2
Kultur
10
42
31
11
5
2
Soziales
6
39
31
14
6
3
Sport
8
32
31
14
10
5
Investitionen
und
Großprojekte
12
33
30
13
10
2
Haushalt und
Finanzen
8
34
29
18
8
3
Kindertagesstätten
12
43
20
13
9
3
Tabelle 4: Einschätzung Kenntnisstand Politikbereiche. Zeilenprozente (Onlineforum, n = 16)).
Sehr gut
Gut
Befriedigend
Ausreichend
Mangelhaft
Weiß nicht
Bildung
13
63
25
-
-
-
Jugend
-
38
38
13
13
-
Kultur
19
56
25
-
-
-
Soziales
6
38
38
13
6
-
Sport
-
25
38
19
19
-
Investitionen und
Großprojekte
-
44
38
6
13
-
Haushalt und
Finanzen
13
38
38
6
6
-
Kindertagesstätten
25
31
31
6
6
-
18
Grafik 4: Ranking Kenntnisstand (Antwortkategorien „gut“ und „sehr gut“ in Prozent).
Bildung
65
75
56
55
Kindertagesstätten
Kultur
52
75
44
45
Investitionen und Großprojekte
38
Jugend
Haushalt und Finanzen
25
Bürgerbefragung
45
43
Sport
Befragung Onlineforum
50
40
44
45
Soziales
0
20
40
60
80
Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Aufgrund unterschiedlicher
Rundung der Prozentwerte kann es zu Abweichungen gegenüber den Tabellen kommen.
Bei der subjektiven Einschätzung des Kenntnisstandes in verschiedenen Politikbereichen
lassen sich keine sonderlichen Auffälligkeiten feststellen. Dass die Befragten im Onlineforum
ihren Kenntnisstand in vielen Bereichen besser einstufen, verwundert kaum, da sie mit großer
Wahrscheinlichkeit stärker politisch interessiert und involviert sind. Erwähnenswert scheint,
dass die Bereiche „Kultur“ und „Kindertagesstätten“, die Bestandteil der letzten Bürgerhaushalte
waren, recht weit oben im Ranking verortet sind. Dies kann auf einen positiven
Informationseffekt des Bürgerhaushalts hinweisen, wobei erneut auf die Einschränkungen in
den Daten hinzuweisen ist. Womöglich haben sich nur die ohnehin gut Informierten an der
Befragung beteiligt. Zudem kann angenommen werden, dass Befragte ihren Kenntnisstand
ungern als mangelhaft einstufen möchten.
Informationsbedarf
In welchen Politikbereichen wünschen die Befragten mehr Informationen? Die Ergebnisse sind
relativ eindeutig. Die häufigste Nennung erfahren die Kategorien „Investitionen und
Großprojekte“ sowie „Haushalt und Finanzen“, dies in beiden Befragtengruppen. Lediglich
Bildungspolitik wird von den im Onlineforum registrierten Nutzern etwas häufiger genannt.
19
Grafik 5: Wunsch nach mehr Informationen in verschiedenen Politikbereichen (in Prozent).
Investitionen und Großprojekte
70
88
63
63
Haushalt und Finanzen
Bildung
69
47
38
39
Soziales
31
36
Jugend
Kindertagesstätten
25
Kultur
25
Sport
25
Befragung Onlineforum
Bürgerbefragung
31
31
44
6
8
Zu keinem der Bereiche
0
20
40
60
80
100
Anmerkung: Mehrfachnennungen möglich. Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16.
Daraus lässt sich interpretieren, dass die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung besonders
in den beiden erstgenannten Bereichen ihre Kommunikationsarbeit intensivieren können. Denkt
man an Fallbeispiele wie das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, den Flughafen Berlin-Brandenburg
oder auch als ein etwas länger zurückliegendes Beispiel der Protest gegen die Startbahn West
am Frankfurter Flughafen, so sind es besonders Großprojekte, die zu politischen und letztlich
gesellschaftlichen Konflikten führen. Daher bietet sich eine frühzeitige und vor allem
transparente Kommunikationspolitik im Vorfeld größerer Projekte an.31.
1.9 Mobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit
Für die Bürgerhaushaltsverfahren wurde über die Jahre ein als äußerst moderat, aber auch
ausreichend zu bezeichnender Aufwand in der Bewerbung betrieben, für den verschiedenste
Kanäle genutzt wurden.
Zu den eigenen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit auf Basis der Pressearbeit der
Stadtverwaltung und der AG kommt eine flankierende Berichterstattung in lokalen Medien
hinzu, so in der Lokalpresse, im städtischen Privatfernsehsender “JenaTV” und auf dem
Informationsportal “jenapolis.de”.
31
Vgl. Brettschneider 2011.
20
Seit 2011 wurden diese Maßnahmen etwas intensiviert und es wurden zusätzlich folgende
Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit Gesamtkosten von 1.747 € finanziert:
●
●
●
Facebook-Auftritt (Einrichtung Fanpage, Programmierung, Design etc.) - 1.500 €
Druck 5.000 Flyer zur BBV-Bewerbung - 131 €
Druck 100 Plakate zum Aushang in der Stadt zur BBV-Bewerbung - 116 €
Im Jahr 2012 wurden zusätzlich zur Pressearbeit folgende Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit
durchgeführt und mit Gesamtkosten von 2.280 € finanziert:
●
●
Gestaltung Flyer und Plakate sowie Druck+Verteilung 5.000 Flyer und Druck 100
Plakate zur BBV-Bewerbung - 930 €
Plakatwerbung in Straßenbahnen und Bussen auf allen städtischen Strecken vom 01.30.09.12 (Zeitraum der Abstimmungsphase) - 1.350 €
Im Hinblick auf die Möglichkeiten einer stärkeren Mobilisierung herrscht bei den Befragten zum
einen die Überzeugung vor, dass man die möglichen und vor allem angemessenen Optionen
schon probiert hat. Zum anderen herrscht im Hinblick auf die bisher erreichte Aktivierung eine
gewisse Enttäuschung vor, da die Beteiligung trotz intensivierter Bemühungen zuletzt eher
sank, wie im Abschnitt über die Verfahrensnutzung noch zu sehen sein wird.
Während die etablierten Kanäle der Pressearbeit scheinbar nicht ausreichen und großflächige
Werbemaßnahmen auf Basis der Erfahrung von anderen Beispielen, wie dem Bürgerhaushalt
der Stadt Frankfurt, nicht als effizient anzusehen sind, bietet sich die Suche nach anderen
Kanälen der Mobilisierung an, wie es ein Stadtrat vorschlägt:
„Da ist natürlich immer müßig darüber zu diskutieren, woran das liegt. Ob man mehr Werbung
machen müsste, ob vielleicht auch die politische Klasse dieser Stadt hier die Werbetrommel
rühren müsste. Von der Verwaltungsspitze und dem OB angefangen. Ob man sozusagen auch
mit anderen Multiplikatoren in dieser Stadt besser zusammenarbeiten müsste, die eben das
Thema auch mit in ihre Kreise streuen.“
Für die Mobilisierung ist nicht nur die kurzzeitige Bewerbung des Verfahrens während der
Beteiligungsphase wichtig, sondern insbesondere eine möglichst ganzjährige Präsenz. Diese
kann nur erreicht werden, wenn auf einfach zu nutzende Präsenzmöglichkeiten, wie z.B. ein
Logo oder Banner auf der Homepage der Stadt Jena zurückgegriffen werden kann, das im
Rahmen der Umstrukturierung des Homepagedesigns entfernt wurde. Ein mögliches neues
Logo könnte wiederum partizipativ erstellt und ausgewählt werden, um die Identifikation mit dem
Verfahren sowie seine Bekanntheit zu steigern.
Das stärkere Engagement politischer Parteien könnte nicht nur der direkten Mobilisierung
zuträglich sein, sondern den Bürgerhaushalt generell stärker zu einem Thema der politischen
Öffentlichkeit in Jena machen. Zudem wird auch deutlich, dass abseits umfassender
Werbemaßnahmen auch kleine Änderungen hilfreich sein können, wie sie ein Mitglied der AG
beschreibt: „Also ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung war damals auf jeden Fall,
das persönliche Anschreiben zu machen bei den Broschüren. Das hat einen richtigen Ruck
gegeben.“
Dies zeigt das Potential kleinteiliger und teils kostenneutraler Änderungen, die jederzeit möglich
sind, deren Wirkung aber überschaubar ist. Eine wesentliche Mobilisierungfunktion könnte, wie
21
von vielen Befragten angesprochen, von einer Erhöhung der verschickten Broschüren oder
zusätzlichen Postwurfsendungen mit Flyern ausgehen. Inwieweit hier Aufwand und Nutzen in
einem ausgewogenen Verhältnis stehen, könnte allerdings erst ein Test erweisen. Sollte Jena
eine eigene Publikation einführen, wie sie andere Städte z.B. als “Amtsblatt” kennen, sollte
diese unbedingt in die Mobilisierungsstrategie einbezogen werden. In der Folge wird bei der
Darstellung und Bewertung der Beteiligungsformate sowie bei den Empfehlungen zur
Weiterentwicklung des Verfahrens auch auf spezifische Probleme und Möglichkeiten einer
erweiterten Mobilisierung eingegangen.
2. Beteiligungsangebote und Nutzung
2.1 Postalische Befragung und Internetbefragung
Kernelement des Jenaer Bürgerhaushalts ist die jährliche postalische Haushaltsbefragung in
Kombination mit einer Online-Befragung. Mit dieser Gestaltung gehen sowohl Vor- als auch
Nachteile einher, die in den folgenden Abschnitten diskutiert werden sollen.
Ein Vertreter der Verwaltung weist diesbezüglich auf die Abwägungsprozesse hin, die letztlich
zur
Wahl
eines
postalischen
Verfahrens
der
Befragung
geführt
haben:
"Wer darf voten, von wo? Nur Jena oder von außen. Mehrfach geht natürlich gar nicht und so
weiter, damit es repräsentativ ist. Das war erst mal ein mühsamer Prozess, das auch technisch
so hinzukriegen, dass man es einigermaßen sicherstellen konnte. Wir sind im Ergebnis des
Prozesses dabei geblieben, es mit Printmedien zu machen, weil es einfach fälschungssicherer
ist und den Vorteil hat: der Bürger guckt eben doch nicht einfach alle Internetseiten durch, die
es zu einem Thema gibt. Eine Broschüre kann man mal durchblättern.“
Wie stark dieses Angebot der verschiedenen Beteiligungswege angenommen wurde und wo
mögliche Probleme sichtbar werden soll im Folgenden dargestellt werden. Die nachstehende
Tabelle fasst die Beteiligungsquoten der Jahre 2007 bis 2012 in unterschiedlichen
Kommunikationskanälen zusammen.
22
Gesamtüberblick
Tabelle 5: Übersicht Verfahrensnutzung Bürgerhaushalt Jena 2007 – 2012.
Jahr
Thema
Anmerkungen
Abstimmungsmodus
Anzahl Fragebögen
Postalisch
(Rücklaufquote
in Klammern)
Online
Sonstiges
2007
Offene
Befragung
-
-
3.200
372 (12,0%)
14
1 (Fragebogen aus Zeitung)
2008
/I
18 Vorschläge
für
Investitionen
Umfrage der
TLZ.
Vergleichbarkeit
sprobleme viele ungültige
Stimmen
3 Vorschläge mit
3,2 und einem
Punkt bewerten
5.000 (Faltblatt,
davon 2.500 zufällig
verteilt)
439 (8,8 %)
unnummerierte,
240 (4,8%)
nummerierte,
1.744
TLZ-Umfrage (107),
Bürgerversammlung (643
Stimmzettel bei 100
Teilnehmern)
2008
/II
17
Investitionsvorschläge
Verwendung
Mehreinnahmen
Internet,
Faltblätter
(zufällig,
Fraktionen,
Bürgeramt)
Top-3-Priorisierung
7.500 Faltblätter
940, davon 907
gültig (12,1%)
4772, davon 580
ungültig
68 Fax/Kopie
2009
Investitionen
2009 - 2012
20 Investitionsvorschläge der
Fraktionen
Top 3Priorisierung,
Gegenstimme
15.000
4.149 (27,7%)
953
151
2010
Förderung
bestimmter
Haushaltsbereiche
graduelle
Bewertung
15.000
2.350 (15,7%)
156
25
2011
Kultur
graduelle
Bewertung
15.000
2.394 (16,0%)
640
46
2012
Kindertagesstätten
graduelle
Bewertung
15.000
1.719
(11,5%)
360
27
Pro, contra, neutral
Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena durch Arndt Lautenschläger, zum Teil mit Monika Seiffert, sowie Angaben des
Fachbereichs Finanzen der Stadt Jena (2008/I)
23
Zunächst sind die im Gesamtüberblick erkennbaren Muster zu diskutieren. Auffällig sind die
Schwankungen in den Rücklaufquoten zwischen den jeweiligen Jahren. Bei der ersten
Durchführung im Jahr 2007 lag der Rücklauf bei 12 Prozent, die Rekordmarke liegt 2009 bei 27
Prozent. Insgesamt liegt die Beteiligung für postalische Umfragen im üblichen Rahmen. So
nennt Diekmann einen Rücklauf von 20 Prozent bei einer Umfrage ohne Erinnerungsschreiben
als Richtwert.32 Über die Gründe für die Schwankungen kann an dieser Stelle nur spekuliert
werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Beteiligung genau dann am höchsten war, als es
um größere Investitionsprojekte ging. Man könnte vorsichtig interpretieren, dass sich die Bürger
dann einbringen, wenn das Thema eine Relevanz für breite Bevölkerungsteile besitzt, z. B. im
Hinblick auf das finanzielle Volumen und die Bedeutung für die Stadt Jena. Da viele
Bürgerhaushalte nach einem ersten populären Verfahren mit sinkenden Teilnehmerzahlen zu
kämpfen haben, könnten zudem Abnutzungseffekte eine Rolle spielen.
Bei der Onlinebefragung sind ebenfalls deutliche Schwankungen festzustellen. Die deutlich
höhere Beteiligung bei der Befragung zur Verwendung der Mehreinnahmen (2008) und zur
Kulturförderung (2011) kann sicherlich darauf zurückgeführt werden, dass sehr gut vernetzte
Gruppen ihre Anhänger mobilisieren konnten. So könnten z.B. Mitarbeiter versucht haben,
Kürzungen am Etat ihrer Arbeitsstätte zu verhindern. Solche Effekte liegen in der hohen
Selbstselektion bei der Beteiligung an Online-Umfragen begründet. Positiv zu bewerten ist
jedoch, dass die Befragungen separat ausgewertet werden, sodass eventuelle Verzerrungen
aufgedeckt werden können. Das gleiche gilt für die in öffentlichen Einrichtungen ausgelegten
oder auf anderem Weg verbreiteten Abstimmungsbögen. Auch bei diesen schwankt die
Beteiligung deutlich, das Minimum lag 2007 bei genau einem Bogen, das Maximum bei der
Befragung zur Verwendung der Mehreinnahmen 2008 bei 953. Positiv festzuhalten ist, dass die
Praxis der Verteilung von Abstimmungsbögen durch die Parteien bzw. Fraktionen eingestellt
wurde.
Von allen Beteiligten wird die Beteiligungszahl zumindest im Verhältnis zu anderen Kommunen
als besonders hoch dargestellt, wie in dieser Aussage eines befragten Politikers: „Von außen
betrachtet ist es hervorragend, verglichen mit anderen Prozessen ist Jena nach wie vor mit
immer in der Top 3 gewesen, wenn es darum geht, wie viel Prozent der Menschen haben hier
eigentlich mit daran teilgenommen.“
Dabei wird von den meisten Befragten der Rücklauf der repräsentativen Befragung, welcher in
den bisherigen Verfahren zwischen 11,5% und 27,7% lag, mit der Beteiligungs- bzw.
Aktivierungsquote gleichgesetzt. Letztere bildet das Verhältnis zwischen Wahlberechtigten bzw.
Einwohnern und den Teilnehmern des Verfahrens ab. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl bewegt
sich Jena im Jahr 2012 mit einer Quote von rund 2,0 (Rücklauf und Internetbeteiligung) im
vorderen Mittelfeld der nachfolgend dargestellten Bürgerhaushalte:
32
S. Diekmann 2007, S. 516
24
Tabelle 6: Bürgerhaushalte in deutschen (Groß-)Städten 2012 (sortiert nach Einwohnerzahl).33
Stadt
Verfahren
Zeitfenster
Beteiligungsphase
Vorschläge
(Bürger)
Teilnehmerzahl (Quote)
Kommentar
Bonn
(2005)
Online; Themen
„Sportförderung“ „Natur- und
Landschaftspflege“ sowie
Sparvorschläge
4 Wochen
245
1.556 /
327.913 (0,5)
Deutlicher Rückgang der
Nutzerzahl (2011:
12.793) und Vorschläge
(2011: 1.602)
Münster
(2011)
Methodenmix (Online, Bürgerversammlungen, postalische
Befragung)
3 Monate
391
4.275 /
291.754 (1,5)
Rücklauf postalische
Befragung rund 33 %
Osnabrück
(2012)
Online
Ca. 7 Wochen
349
Ca. 1.000 /
165.021 (0,6)
Kein direkter Effekt auf
Haushalt 2013
Solingen
(2010)
Online (Vorschläge von
Verwaltung und Bürgern)
3 Wochen
343
2.763 /
159.699 (1,7)
Hohes Bildungsniveau
bei Beteiligten;
Dominanz 40-49
Jähriger
Potsdam
Methodenmix (Online,
Versammlungen usw.)
6 Monate
545
Ca. 8.000 /
158.902 (5,0)
-
Darmstadt
(2012)
Onlinediskussionsforum
4 Wochen
170
113 /
149.052 (0,1)
Themen „Neues
Rathaus“, „Bezirksverwaltungen in den
Stadtteilen“,
„Ehrenamtliches
Engagement“ und
„Online-Bürgerhaushalt
2013“
Trier
(2009)
Online (Vorschlagssammlung
und Abstimmung)
4 Wochen
355 (Bürger),
63(Ortsbeiräte)
2.771 /
105.675 (2,6)
-
Jena
(2007)
Postalische Befragung und
Onlineabstimmung zu festem
Themenbereich
(Kindertagesstätten)
-
-
2.106 /
105.463 (2,0)
15.000 postalische
Fragebögen (11,5
Rücklauf)
Gütersloh
(2010)
Online
2 Monate (1
Monat
Vorschlagsam
mlung, 1
Monat
Abstimmung)
157
282 /
96.758 (0,3)
Rückgang der
Beteiligung im
Zeitverlauf
(BHH seit)
(2006)
33
Die Daten wurden auf den Internetseiten der entsprechenden Städte recherchiert [Stand: 25.12.2012].
Aufgrund von Neuanmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern können diese Zahlen sich jedoch laufend
ändern. Sie wurden von Sebastian Schneider im Rahmen der Evaluation des Oldenburger
Bürgerhaushalts 2012/2013 erhoben. Die Tabelle ist folglich in gleicher Form auch in dem sich
momentan im Erscheinen befindenden Bericht enthalten.
25
Tabelle 6 (Fortsetzung): Bürgerhaushalte in deutschen (Groß-)Städten (sortiert nach Einwohnerzahl).
Stadt
Verfahren
(BHH seit)
Zeitfenster
Beteiligungsp
hase
Vorschläge
(Bürger)
Teilnehmerzahl (Quote)
Kommentar
Worms
(2011)
Online
4 Wochen
230
1.055 /
81.967 (1,3)
Fachämter stellen
ebenfalls Vorschläge zur
Diskussion
Celle
Online; Sparvorschläge
5 Wochen
116
91 /
69.972 (0,1)
-
(2010)
Anmerkung: Für Celle wurde der Vorschlag mit den meisten Bewertungen herangezogen, da das Verfahren ohne
Registrierung durchgeführt wird. Es handelt sich folglich um eine sehr konservative Schätzung des Anteils.
Ausgangsbasis für die Tabelle ist die Datenbank auf www.buergerhaushalt.org. Dort kann auch eine Typologisierung
der Verfahren abgerufen werden.
Abseits der reinen Beteiligungszahlen ist für eine möglichst ausgewogene Beteiligung nicht
zuletzt das Geschlechterverhältnis von Interesse. Im Gegensatz zu nicht verfügbaren Daten wie
dem Bildungsgrad oder dem Einkommen, geben die Auswertungen der Fachhochschule Jena
über diesen Punkt Auskunft.
Tabelle 7: Nutzung des Beteiligungsverfahrens inklusive postalischer Befragung, Online-Verfahren und
anderen Verteilungswegen (Auslage etc.) nach Geschlecht in Spaltenprozent.
2007
200834
200935
2010
2011
2012
Männlich
47,8
45,1
-
52,2
-
46,6
Weiblich
43,2
53,8
-
46,7
-
51,8
Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena.
34
35
Im Jahr 2007 und 2008 wurde nicht online befragt.
Im Jahr 2009 wurden keine Daten über das Geschlecht der Teilnehmenden erhoben.
26
Tabelle 8: Nutzung der postalischen Befragung nach Geschlecht (Spaltenprozent).
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Männlich
47,8
45,1
-
52,0
46,3
45,9
Weiblich
43,2
53,8
-
48,0
53,7
52,3
Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena.
Tabelle 9: Nutzung der Online-Befragung nach Geschlecht (Spaltenprozent).
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Männlich
-
-
-
66,0
60,6
50,0
Weiblich
-
-
-
34,0
39,4
49,2
Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena. Der Anteil derjenigen, die keine Angaben zum
Geschlecht machten, wird ebenso nicht gesondert wiedergegeben wie die Einzeldaten anderer
Verteilungswege der Broschüre (z.B. Auslage).
Die Betrachtung der Beteiligung am Jenaer Bürgerhaushalt nach Geschlecht ergibt, dass sich
mit Blick auf die Gesamtbeteiligung kein eindeutiges Muster zeigt. Mal überwiegen männliche
Beteiligte, mal weibliche. Ein detaillierter Blick auf die postalische Abstimmung zeigt, dass sich
Frauen in den letzten beiden Jahren etwas häufiger an der postalischen Abstimmung beteiligen,
als es ihrem tatsächlichen Anteil in der Einwohnerschaft Jenas entspricht.36 Es lässt sich über
die Jahre jedoch ebenfalls kein eindeutiges Muster erkennen. Bei der Onlinebefragung zeigt
sich 2010 und 2011 eine für Online-Verfahren typische Dominanz männlicher Teilnehmer,
während die Beteiligung von Frauen beim Thema “Kita” massiv ansteigt und die
Geschlechterverteilung der Internetbefragung fast ausgleicht.
Mit Blick auf die sich beteiligenden Altersgruppen zeigen sich in den Daten der Fachhochschule
typische Muster. So ist durchgängig insbesondere die Kohorte der bis 29-jährigen unter den
Nutzern der Onlinebefragung vertreten, während Personen ab einem Alter von 50 Jahren im
Rücklauf der postalischen Befragung anteilig stärker vertreten sind als bei der Nutzung des
Online-Verfahrens.37
36
Vgl. dazu z. B. die statistischen Quartalsberichte der Stadt Jena unter
http://www.jena.de/statistik/bericht/bericht.php [15.02.2013]
37
Auf eine tabellarische Darstellung wurde verzichtet, da die Kohorten in den Endberichten der FH Jena
teils unterschiedlich ausgewiesen wurden (z.B. 13-29 gegenüber 18-29).
27
Einzelbewertung: Methode der postalischen Befragung
Die Komprimierung komplexer haushaltspolitischer Themenzusammenhänge in einen
Fragebogen bzw. einzelne standardisierte Fragen bei Anvisierung von Ergebnissen, die für
Politik und Verwaltung verwertbar sind, stellt eine besondere Herausforderung dar. Im Großen
und Ganzen wurde diese erfolgreich bewältigt. Dennoch sollen die Abstimmungsbögen der
einzelnen Jahre auf ihre Funktionalität überprüft werden. 38 Insbesondere für den Fall, dass
bestimmte Themengebiete oder Formen der Befragung wieder aufgegriffen werden sollten,
kann sich dies als nützlich erweisen.
Das Faltblatt,39 das im zweiten Beteiligungsverfahren 2008 als Broschüre diente, zielte darauf
ab, die Bewertung von 16 Investitionsprojekten zu erheben. Zusätzlich konnte ein eigener
Vorschlag angegeben werden. Den drei wichtigsten Vorschlägen sollten dabei die Zahlen eins,
zwei und drei vergeben werden. Die Ausfüllhinweise sind allerdings umständlich formuliert,
weshalb angenommen werden kann, dass die Befragten Probleme bei der Beantwortung
gehabt haben dürften. So ist die Vergabe der Zahl drei für den wichtigsten Vorschlag
unplausibel, denn intuitiv würde man für diesen sicherlich die eins vergeben. Scherzhaft ließe
es sich damit vergleichen, dass schließlich auch nicht der Tabellendritte deutscher
Fußballmeister wird. Zudem könne auf Begriffe wie “Priorität” verzichtet werden, die ein
erhöhtes Sprachverständnis voraussetzen und damit Teile der Bevölkerung ausschließen
können. Alternativ böte sich die Vergabe von bis zu drei Stimmen an, die auf die Vorschläge
verteilt werden können.
Beim Fragebogen aus dem Jahr 200840 fallen einige Mängel in der Formulierung der Fragen
und Antwortkategorien auf. So fehlen bei den Fragen nach der Aufmerksamkeit und dem
Interesse an der Stadtpolitik bspw. Hinweise, ob Mehrfachantworten zulässig sind oder nicht.
Zudem sind die Antwortkategorien nicht erschöpfend, da die Option einer offenen Antwort fehlt.
Bei der letztgenannten Frage werden ferner simultan zwei Fragestimuli präsentiert: Interesse an
Stadtpolitik und Teilnahme an Veranstaltungen. In Kombination mit den fehlenden
Antworthinweisen kann diese für Befragte bei der Beantwortung problematisch werden und zu
nicht validen Antworten führen. Bei der dritten Frage zur Bewertung des Informationsgehalts der
Broschüre hätte die Antwortkategorien aus Gründen der Übersichtlichkeit besser untereinander
präsentiert werden sollen.
Der Fragebogen zur Abstimmung über die Investitionsvorhaben 2009 41 weist aus Sicht der
Autoren missverständliche Hinweise zur Fragebeantwortung auf. Durch den Nachsatz “Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass pro Spalte und Zeile nur ein Kreuz erlaubt ist” entsteht der Eindruck,
dass alle Vorschläge bewertet werden können, obwohl nur drei priorisiert werden sollen.
38
Vgl. dazu z. B. Porst 2008
Vgl. Faltblatt: Bürgerbeteiligung zu Investitionen 2009 bis 2012, abgerufen unter
http://www.jena.de/fm/1727/faltblatt_investitionen_bhh_2008.pdf, [15.02.2013].
40
Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2008, S. 15, abgerufen unter
http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2008.pdf, [15.02.2013]
41
Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2009.pdf, S. 16
[15.02.2013].
39
28
Die Fragebögen aus den Jahren 201042, 201143 und 201244 sind trotz unterschiedlicher Themen
allesamt recht ähnlich gestaltet. Mittels einer abgestuften, kategorialen Antwortskala sollte
angeben werden, ob bestimmte Haushaltsbereiche mehr oder weniger finanzielle Mittel
zugewiesen bekommen sollen bzw. ob die Gebühren für Kindertagesstätten angehoben oder
gesenkt werden sollen. In beiden Fällen bestand ebenfalls die Möglichkeit, die gegenwärtigen
Haushaltsmittel bzw. Kosten als angemessen einzustufen. Die Formulierung der Fragen und
Antwortkategorien ist als gut zu bewerten. Allerdings stellt die graduelle Abstufung ein Problem
für die Bearbeitung der Befragungsergebnisse durch die Politik und Verwaltung dar, denn sie
lassen einen beträchtlichen Interpretationsspielraum, was noch in Bezug auf Ergebnisse und
Rechenschaftslegung zu diskutieren sein wird. Ferner kann vermutet werden, dass
hochspezifische Themen wie Kindertagesstätten womöglich für breitangelegte postalische
Befragungen zu komplex sind, sodass sich zu einem Großteil nur die Gruppe der direkt
Betroffenen (Eltern) mit der Bürgerhaushaltsbroschüre auseinandersetzt.45
Auch wenn dies von den Befragten der AG eher kritisch gesehen wird, könnte eine Einbindung
der Verantwortlichen für die Auswertung in die Fragebogenerstellung eine effektivere
Verzahnung von Erhebung und Auswertung sicherstellen. Außerdem sollte bei der künftigen
Themenwahl darauf geachtet werden, dass das Thema weder zu spezifisch noch zu allgemein
ist. Ersteres senkt die Anreize für die breite Masse, sich zu beteiligen, zweiteres die
Verwertbarkeit der Beteiligungsergebnisse.
Neben dem Verzicht auf eine Ausgabe der Broschüren an Parteien und Interessengruppen
wäre es sinnvoll, auch auf die Auslage eines Kontingents von Broschüren auf
Bürgerversammlungen und in der Tourist-Information zu verzichten. An dieser Stelle könnten
die vorhandenen Flyer verteilt werden, die auf das Online-Verfahren hinweisen. Eventuell ist so
die Aktivierungshöhe sogar größer, da die Online-Teilnahme im Gegensatz zur Nutzung der
Abstimmungskarte, die in diesem Fall ohne Rücksendeumschlag versandt werden müsste,
sogar kostenlos ist.
Einzelbewertung Online-Verfahren
Das Onlineverfahren bringt die postalische Befragung im Wesentlichen unverändert in den
digitalen Raum. Der Zugang per Registrierung ist ein in vielen Bürgerhaushalten diskutiertes
Thema, da es eine mögliche Hürde für niedrigschwellige Beteiligung darstellt. Im Gegensatz zu
anderen technischen Möglichkeiten von eher temporären IP-Sperren bis hinzu Cookies, wird so
eine Manipulation allerdings am ehesten erschwert.
Im Onlineforum zum Jenaer Bürgerhaushalt wurden ferner Probleme bei der OnlineAbstimmung im Jahr 2010 berichtet46. Auch solche Probleme können vermieden werden, indem
42
Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2010, S. 17, abgerufen unter
http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2010.pdf, [15.02.2013].
43
Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2011, S. 17, abgerufen unter
http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2011.pdf, [15.02.2013].
44
Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2012, S. 17, abgerufen unter
http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2012.pdf, [15.02.2013].
45
S. dazu auch die geringere Rücklaufquote bei der postalischen Befragung 2012.
46
S. dazu http://forum.jena.de/forbb/viewtopic.php?f=22&t=31 [15.02.2013]
29
die Abstimmungsfunktion vor Beginn der Abstimmungsphase ausführlich getestet wird. Dabei
sind sowohl unterschiedliche Webbrowser (insb. MS Internet Explorer, Mozilla Firefox, Google
Chrome und Apple Safari als weitverbreitete Browser) als auch Browserkonfigurationen
(Cookies, Java Script usw.) und Bildschirmauflösungen zu berücksichtigen. In Zeiten der
steigenden Nutzung des Internets über Mobiltelefone sollten auch sehr kleine Displayformate
auf reibungslose Funktionalität untersucht werden. Die im Forum erwähnte Inaktivitätsspanne
und die ordnungsgemäße Verlinkung der Abstimmung sind ebenfalls Parameter, die im Vorfeld
immer sorgfältig überprüft werden sollten. Der Grund dafür liegt in einer möglicherweise
abschreckenden Wirkung technischer Fehler auf potentiell interessierte Bürger.
Immer wieder ist auch die Repräsentativität der Ergebnisse ein Kritikpunkt in der politischen
Diskussion.47 Um solcher Kritik entgegenzutreten, sollten die Ergebnisse für die repräsentative
Stichprobe aus Sicht der FH Jena eher nicht mit der auf Selbstselektion beruhenden Stichprobe
aus der Onlinebefragung vermischt werden.
2.2 Vor-Ort-Veranstaltungen
Außerhalb des eigentlichen Abstimmungsverfahrens wurden seit Einführung des
Bürgerhaushalts auch Bürgerversammlungen angeboten. Solche Präsenzveranstaltungen sind
insofern problematisch, als sie häufig nur wenige Besucher mobilisieren, was oft zu
vergeblichem Aufwand und Kritik in den Presse führt.48
47
48
Vgl. dazu z. B. Masser et al. 2013, S. 85-92
Vgl z. B. Holtkamp 2008, S. 229-230. Beispiele für kritische Kommentare der lokalen Presse zeigen
sich u. a. in Oldenburg, vgl. dazu Schneider 2012
30
Tabelle 10: Übersicht über Bürgerversammlungen im Zusammenhang mit dem Jenaer Bürgerhaushalt
Jahr
Ort / Termine
Teilnehmer
Anlass / Themen
2007
Drei Bürgerversammlungen
insgesamt ca.
140 Personen
Durchführung auf Basis von
Stadtratsbeschluss (Nr. 07/0860-BV),
jeweils eine Versammlung zu den
Themen Stadtentwicklung,
Familienpolitik, Schuldenabbau
2008
Vier Bürgerversammlungen
insgesamt ca.
40-60
Verfahren des Bürgerhaushalts
2009
KuBuS Lobeda-West
(09.11.09),
Rathausdiele (16.11.09),
Christliches Gymnasium
(23.11.09),
Regelschule Winzerla
(30.11.09)
ca. 15-20 pro
Versammlung
Entwicklung des Bürgerhaushalts in
Jena, Ergebnisse der bisherigen
Bürgerabstimmungen, Themen und
Modalitäten des
Bürgerbeteiligungsverfahrens 2009,
zukünftige Schwerpunkte
2010
Volkshochschule Jena
(27.04.2010)
ca. 30
Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens
2009, Chancen zur Umsetzung
Volkshochschule Jena
(18.08.2010)
ca. 40
Haushaltsbroschüre,
Beteiligungsverfahren
2011
Volkshochschule Jena
(08.09.2011)
ca. 30
neue Haushaltsbroschüre,
aktuelles Beteiligungsverfahren 2011,
Weiterentwicklung des Jenaer
Bürgerhaushalts
2012
Plenarsaal des alten
Rathauses (05.09.2012)
31
bisherige Verfahren und Ergebnisse,
neue Haushaltsbroschüre 2012,
aktuelles Beteiligungsverfahren
Plenarsaal des alten
Rathauses (10.12.2012)
ca. 30
Präsentation der Beteiligungsergebnisse
2012
Quelle: Homepage des Bürgerhaushalts Jena, Auskünfte der Stadtverwaltung Jena.
Seit Bestehen des Bürgerhaushalts wurde mindestens einmal jährlich eine
Präsenzveranstaltung aus Anlass des zeitgleichen oder in unmittelbarer zeitlicher Folge
stattfindenden Beteiligungsverfahrens durchgeführt. Der Fokus liegt dabei darauf, das
Beteiligungsverfahren im Allgemeinen und das aktuelle Verfahren im Speziellen zu erläutern
und mit den Anwesenden darüber zu diskutieren. Zusätzlich gab es z. B. im Jahr 2009
Veranstaltungen, die sich mit den Ergebnissen des vergangenen Verfahrens
auseinandergesetzt hatten. Eine solche Präsentation der Ergebnisse fand aber auch in
öffentlichen Sitzungen der AG statt, so dass auf zusätzliche Versammlungen verzichtet wurde.
31
Bis auf die Termine des Jahres 2012 basieren die Zahlen der Teilnehmenden auf Schätzungen
der Verwaltung. Deshalb kann keine Aussage über die die Zusammensetzung der Teilnehmer
getroffen werden. In den Bürgerversammlungen 2012, insbesondere bei der
Ergebnispräsentation setzten sich die Teilnehmer allerdings zum größten Teil aus Mitgliedern
der AG Bürgerhaushalt, Mitarbeitern der Stadtverwaltung sowie der lokalen Presse zusammen.
Nachdem die ersten Veranstaltungen noch als gut besucht zu bezeichnen sind, sank die
Beteiligung in den Folgejahren schnell auf ein überschaubares Niveau, wie es ein Mitarbeiter
der Verwaltung ausdrückt:
„Das waren ja damals auch die hehren Versuche, als wir gestartet sind, dass wir in Bürgerforen
da eine große Besucherzahl erreichen. Aber das wurde nie erreicht. Es hat mehrere Foren
gegeben, die sehr schlecht besucht wurden.“
Die geringe Wahrnehmung der Vor-Ort-Angebote durch Bürger hat schließlich dazu geführt,
dass die Zahl solcher Veranstaltungen kontinuierlich reduziert wurde und auf dezentrale
Veranstaltungen verzichtet wird.49
Das scheinbar geringe Interesse an dieser Form der Veranstaltung muss allerdings nicht
überraschen. In Jena dient die Bürgerversammlung vor allem als Mittel der Information sowie
der Mobilisierung zur Teilnahme durch die
Internetabstimmung bzw. durch
Haushaltsbroschüren, die bei der Versammlung ausgelegt werden. Bürgern, die sich über die
postalisch erhaltene Broschüre bzw. über das Online-Angebot bereits ausreichend bezüglich
des Verfahrens und Fragen des städtischen Haushalts informiert fühlen, bieten sich also eher
geringe Anreize für die Teilnahme an der Bürgerversammlung.
Sollte die Funktion und der Status dieses Instrumentes im Prozess nicht geändert werden,
erscheint die Durchführung einer einzigen jährlichen Veranstaltung durchaus als sinnvoll und
angemessen. Durch die Bewerbung der Veranstaltung kann ein Werbeeffekt erzielt werden, der
auch Teilnehmer für eine Online-Beteiligung aktiviert, die aber nicht bei der Veranstaltung
erscheinen. Weiterhin wird Interessierten zumindest die Möglichkeit geboten, sich zu äußern
und somit Feedback zum Verfahren zu geben, ohne an Sitzungen der AG Bürgerhaushalt
teilzunehmen.
Um das Interesse an dieser Veranstaltungsform selbst zu erhöhen, bietet sich im Rahmen des
jetzigen Verfahrens bspw. die Einbindung partizipativerer Momente an. So könnten unter den
Anwesenden z.B. Vorschläge für die Themen folgender Bürgerhaushalte gesammelt werden.
Eine noch umfassende Aufwertung der Bürgerversammlungen ließe sich nur bei einer
grundsätzlichen Umgestaltung des Verfahrens erreichen.
2.3 Zusätzliche digitale Kommunikations- und Beteiligungsangebote
Neben den oben genannten Beteiligungsinstrumenten existieren weitere digitale Angebot, die
prinzipiell in das Beteiligungsverfahren selbst eingebunden werden könnten, aber zur Zeit
insbesondere eine Form der Öffentlichkeitsarbeit darstellen.
49
Ein ähnlicher Befund ist auch für andere Bürgerhaushalte festzustellen. So reduzierte Oldenburg zuerst
die Anzahl der Bürgerforen von sechs auf zwei (Schneider 2012, S. 4). Beim dritten Durchgang des
Bürgerhaushalts wurde dort komplett auf Präsenzveranstaltungen verzichtet.
32
Onlinediskussionsforum
Bei Betrachtung der Nutzung des Onlinediskussionsforums fällt auf, dass sich nur eine geringe
Zahl an Nutzern dort angemeldet hat. Statistisch gesehen werden zu jedem Thema lediglich
rund 2,7 Beiträge abgegeben. Insgesamt deutet dies nicht darauf hin, dass das Forum
sonderlich zur Diskussion der kommunalen Haushaltspolitik unter Bürgern genutzt wird.
Höchstens die kontroverse Diskussion der Kulturausgaben im Jahr 2011 scheint ansatzweise
die Beteiligung im Forum angeregt zu haben.
Tabelle 11: Nutzung Onlinediskussionsforum zum Bürgerhaushalt Jena.
Stand
01.04.2013
Themen
Beiträge
Mitglieder
120
324
46
Vielmehr scheint es, als diente es lediglich als Informationsplattform für den harten Kern der
Bürgerhaushaltsaktiven und -sympathisanten. So bietet das Forum die Möglichkeit einer
Verständigung der AG-BHH über Sitzungstermine sowie externe Veranstaltungen. Durch den
freien Zugang zum Forum, der auch ohne Registrierung den Zugriff auf Gesprächsverläufe und
Dokumente zulässt, wird für eine erweiterte Öffentlichkeit zumindest potentiell Transparenz in
Bezug auf die Arbeit der Akteure des Bürgerhaushalts hergestellt. Dabei bleibt zu klären,
welche Inhalte des Forums auch Teil der BHH-Homepage sein sollten. Auf letzterer finden sich
nur die Protokolle der AG-BHH, während Sitzungsmaterialien und Teilnehmerlisten nur über das
Forum abrufbar sind. Im Sinne der Übersichtlichkeit der Homepage sollte die bisherige
Aufteilung beibehalten werden.
Social-Networks: Facebook
Als weitere Kommunikations- bzw. Interaktionsform bietet der Bürgerhaushalt der Stadt Jena
eine eigene Facebook-Seite an.50 Sie übernimmt eine ähnliche Funktion wie das Onlineforum
auf der Internetseite des Bürgerhaushalts. Es werden aktuelle Termine des Bürgerhaushalts
bekannt gegeben, über Entscheidungen der Kommunalpolitik berichtet sowie Hinweise auf
Beiträge und Veranstaltungen zu Bürgerhaushalten im Allgemeinen verbreitet. Die in der Regel
geringe Anzahl an Kommentaren und “Gefällt mir”-Angaben (“Likes”) zu den einzelnen
Beiträgen deuten jedoch darauf hin, dass auf der Seite kaum öffentlich sichtbare Interaktion
stattfindet. Auch wenn sich so keine hohen Ansprüche von Mobilisierung und Web-2.0Interaktivität für das Verfahren ergeben, sind diese Zahlen als typisch zu bezeichnen. Etablierte
Bürgerhaushalte, falls sie überhaupt vertreten sind, wie z. B. Potsdam (237 Likes)51 oder Hilden
(202 Likes)52 kommen auf nicht wesentlich höhere Bekanntheit, während die wenigen anderen
vertretenen Bürgerhaushalte noch weniger nachgefragt werden, wie z. B. Marzahn-Hellersdorf
(23 bzw. 34 Likes)5354 oder Weimar (52 Likes)55. Selbst Metropolen wie die US-Städte New York
50
Vgl. http://www.facebook.com/pages/Bürgerhaushalt-Jena
Vgl. http://www.facebook.com/pages/B%C3%BCrgerhaushalt-in-Potsdam/110882312283251
52
Vgl. http://www.facebook.com/Hildener.Buergerhaushalt
53
Vgl. http://www.facebook.com/BHH.MaHe
54
Vgl. http://www.facebook.com/misch.mit.mahell
51
33
(784 Likes)56 oder Chicago (296 Likes)57 können über Facebook keine umfassende Aktivierung
realisieren, wenn man die typische Mechanik der “Likes” als Indikator für die Vernetzung einer
Seite zugrunde legt.58
Um die Besucherfrequenz auf der Facebook-Seite dennoch zu erhöhen, böte es sich an, die
Seite über weitere Jenaer Facebook-Seiten, wie z. B. von Vereinen, Ortsgruppen der Parteien,
Veranstaltungsseiten, Zeitungen usw. bekannter zu machen.
2.4 Bekanntheit, (Nicht-)Beteiligung und Beteiligungsabsicht
Von den 179 Befragten gaben fast 93 Prozent an, bereits vor der Befragung vom Jenaer
Bürgerhaushalt gehört zu haben. Von diesen 166 Personen gaben wiederum rund 74 Prozent
an, sich am Bürgerhaushalt beteiligt zu haben. An dieser Stelle ist noch einmal darauf
hinzuweisen, dass die Befragung nicht auf einer Zufallsstichprobe aus der Gesamtbevölkerung
beruht, sondern die Teilnahme per Selbstselektion erfolgte. Daher kann der Prozentanteil nicht
als Anteil in der Bevölkerung interpretiert werden. Von den 16 Befragten im Onlineforum gaben
selbstverständlich alle an, den Bürgerhaushalt zu kennen. Am Jenaer Bürgerhaushalt beteiligt
haben sich davon 15 Personen. Es stellt sich nun die Frage, welche Gründe die verbleibenden
25 Prozent (43 Personen) bzw. die verbleibende Person aus dem Onlineforum angaben, warum
sie sich nicht am Bürgerhaushalt beteiligt haben. Das nachstehende Diagramm gibt einen
Überblick.
55
Vgl. http://www.facebook.com/pages/B%C3%BCrgerhaushalt-Weimar/164357443579622
Vgl. http://www.facebook.com/PBNewYorkCity
57
Vgl. http://www.facebook.com/PBChi
58
Datenstand der Facebook-Angaben: 01.04.2013.
56
34
Grafik 6: Gründe für Nicht-Beteiligung am Jenaer Bürgerhaushalt. Nennungen in Prozent.
Mehrfachantworten zulässig (Bürgerbefragung).
54
Fehlende Informationen
33
Keine Zeit
16
Sonstige Gründe
Bürgerbefragung (n = 43)
Die gebotenen Informationen zum
Beteiliungsverfahren waren schwer
verständlich
12
5
Kein Interesse an Beteiligung
0
Kein Interesse an Kommunalpolitik
0
10
20
30
40
50
60
Anmerkung: Die Fallzahl reduziert sich von 179 auf 43, da nur die Personen einbezogen werden, die
sich bisher nicht am Jenaer Bürgerhaushalt beteiligt haben. Von den 16 Befragten aus dem Onlineforum
gab lediglich eine Person an, sich bisher nicht am Bürgerhaushalt beteiligt zu haben.
Unter „sonstige Gründe“ wurde in der offenen Bürgerbefragung genannt:
●
●
●
●
●
●
●
„Bürgerhaushalt ist reine Geldverschwendung“
„Die Wünsche der Bürger werden eh nicht umgesetzt“
„Neu zugezogen“
„private Umstände, dieses Jahr keine Zeit für die Teilnahme an der Befragung
ermöglichte“
„Rückkehr vor kurzem“
„Selten im I-Net“
„Unrelevante Punkte die zur Auswahl standen. Macht die Befragung uninteressant“
Auch wenn die Fallzahl recht gering ist, kann man aus den Daten vorsichtig interpretieren, dass
die Informationsarbeit zum Bürgerhaushalt ausgebaut werden kann. Generell scheint es
angebracht, bei den entsprechenden Materialien auf Anschaulichkeit und Verständlichkeit zu
achten. Darüber soll an späterer Stelle dieses Berichts noch diskutiert werden.
Eine künftige Beteiligung am Jenaer Bürgerhaushalt können sich fast alle Befragten vorstellen,
sowohl unter den Befragten der offenen Befragung als auch im Onlineforum (s. nachstehende
Tabelle). Dabei ist jedoch nochmals auf Selbstselektionseffekte hinzuweisen, da die Befragung
mit hoher Wahrscheinlichkeit von am Bürgerhaushalt interessierten Bürgern wahrgenommen
und beantwortet wurde.
35
Künftige Beteiligung
Tabelle 12: Künftige Beteiligung am Jenaer Bürgerhaushalt (Spaltenprozent).
Bürgerbefragung
Onlineforum
Ja
85
94
Nein
6
-
Weiß nicht
10
6
Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16.
3. Beteiligungsergebnisse, Wirkungen und Rechenschaft
3.1 Beteiligungsergebnisse
Die nachfolgende Übersicht soll einer groben Übersicht über die bisherigen
Beteiligungsergebnisse dienen, die weder Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, noch einer
Wertung der Ergebnisse dienen soll.
36
Tabelle 13: Ergebnis der Bürgervoten.
Jahr
Pro
Contra
Anmerkungen / Details
2007
Familie/Soziales , BauWohnungswesen/Verkehr/öffentliche
Einrichtungen, Verschuldung der Stadt;
günstigerer Nahverkehr; bessere
Radwege; Kinder u. Jugendliche;
Ordnung u. Sauberkeit
Verwaltung
(Sparen bei
Personal)
Thematisch offene Bürgerbefragung; Jüngere
pro Freizeit u. Sport; ältere pro Ordnung u.
Sicherheit
2008/I
Entschuldung, Radwegesystem,
Straßenunterhalt
-
Bewertung der 18 Vorschläge zur Verwendung
der Mehreinnahmen; ungültige Antworten
enthielten Forderung nach Ausbau des
Weststadions und Neubau einer Sporthalle
2008/II
Sanierung Ostbad, Sozialer
Wohnungsbau, Sanierung
Schillerschule
2009
Haushaltskonsolidierung, sozialer
Wohnungsbau, Radwege, Optimierung
Verkehrsfluss, [Sport- und
Mehrzweckhalle]
Kongresshalle,
Kunstrasenplatz
Abstimmung über PLZ-Bereiche konstant;
ländliche Viertel stärker für Konsolidierung; nur
leichte Abweichungen bei Onlineabstimmung
und sonstigen Stimmzetteln
2010
Bildung, Soziales, Jugend
Kultur, Sport
Frauen: pro Jugend, Kultur, Soziales. Jüngere
Personen: pro Bildung und Jugend. Ältere:
Kultur. Bei Einzelposten wurden Verpflegung in
Schulen und Kitas sowie Qualitätssicherung in
Kitas präferiert.
2011
Kein deutliches Bild. Förderung i. d. R.
ausreichend bzw. etwas mehr zu
fördern. Gleiches Ergebnis für
Eigenbetrieb JenaKultur
-
Kein deutliches Bild. Förderung i. d. R.
ausreichend bzw. etwas mehr zu fördern.
Leichte Abneigung gegen
Theater/Philharmonie. Frauen: für stärkere
Förderung. Jüngere: für Veranstaltungen und
Theater. Ältere: für Philharmonie. Cluster:
Sparer, Förderer (Subgruppen: Unterschiede
bei Musik-/Kunstschule u. Philharmonie).
Online pro Eigenbetrieb, sonstige sehen die
Förderung als ausreichend an
2012
Kein deutliches Bild. Bei jeder Frage
votiert eine Mehrheit für die
Beibehaltung des Status Quo, während
Minderheiten gegenläufige Präferenzen
haben, die als Tendenzen ausgelegt
werden könnten.
-
⅓ sehen Ausstattung der Kitas als zu niedrig
an, rund 60% als ausreichend; 50% sehen
Finanzierungsregelung als angemessen an,
10% wünschen Senkung des Freibetrags, 30%
für eine Erhöhung; für ein aufwandsbezogene
Gebühr sprechen sich 50% aus, 50% dagegen;
60% sprechen sich für eine Finanzierung durch
Ausgabensenkung aus, 20% für
Steuererhöhungen; Gespart werden sollte
besonders bei der Verwaltung und bei
Großprojekten
Bewertung von 16 Vorschlägen der Fraktionen
sowie einem eigenen Vorschlag zu
Investitionsprojekten
Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena durch Arndt Lautenschläger, zum Teil mit Monika
Seiffert, sowie Angaben des Fachbereichs Finanzen (2008/I)
37
3.2 Wirkung des Verfahrens auf die kommunale Haushaltspolitik
Wenn es um die Beteiligungsergebnisse und ihre Wirkung geht, beschreiben alle Befragten
unisono das Ergebnis des Jahres 2009 als besonders folgenreich bzw. als das einzige mit
wirklich greifbaren Auswirkungen. So betonen alle Befragten, dass die mit dem Bürgervotum
verbundene Legitimation die Grundlage für umfangreiche Entschuldungsmaßnahmen bot, die
auch eine freiwillige Schuldenbremse in der Hauptsatzung beinhalteten. Sie war neben
Auswirkungen im Bereich des Radwegeausbaus und der Bildungsinvestitionen das relevanteste
Ergebnis. So ein Mitarbeiter der Verwaltung:
Die Bürger sich auch ganz klar, die Hälfte, sich für Entschuldung ausgesprochen hat. […] Wir
haben tatsächlich, auch im Ergebnis des ersten Umfrageergebnisses 2008, ein
Entschuldungskonzept eingeführt, wir haben ein Verschuldungsverbot in die Hauptsatzung
aufgenommen. […] Der Prozess ist auch wirklich sehr konsequent angepackt worden und das
liegt auch an dem Rückenwind, den wir durch die Bürgerbefragung hatten im Rahmen des
ersten Bürgerhaushaltes, dem ersten.“
Neben der unbestrittenen Wirkung des Beteiligungsergebnisses geht die inhaltliche Bewertung
der verfolgten Maßnahmen insbesondere im Bereich der politischen Parteien auseinander. Hier
stehen sich Befürworter und Gegner einer solch strikten Sparpolitik gegenüber.
Die Eindeutigkeit einer Abstimmung über verschiedene Investitionsvorschläge hat in einem
solchen Verfahren aber auch ihre Grenzen. Schon knapp nach dem erstplatzierten Vorschlag
“Entschuldung” bot die Anzahl der Bürger, die für die einzelnen Vorschläge votierte, bereits
Anlass für Diskussionen:
„Dann zeigte sich, nach der ersten Bürgerbefragung gab es einen gewissen Streit zwischen
Koalition und Opposition. Wer sich bestätigt fühlt und wer nicht in seinen politischen Ansichten.
Die statistische Grundlage wurde ab Platz 4 so dünn also 167 Leute oder so, dass man damit
auch nicht mehr so ganz große Politik machen konnte.“
Eine reine Abstimmung zu Vorschlägen der Verwaltung bzw. der Fraktionen, zu denen sich die
Bürger nicht weiter äußern können, kann, wie im Fall des Verfahrens 2008 zu den
Mehreinnahmen aber auch den Eindruck einer direktdemokratischen Abstimmung erwecken, so
die Kritik des Zuständigen von “buergerhaushalt.org”, Oliver Märker. 59 Kommt es hier zu
Abweichungen im Votum des Stadtrats, kann dies schnell zu neuem Verdruss führen.
Durch den Wechsel von Investitionen zu Sachkostenausgaben unterscheiden sich die
Ergebnisse und Wirkungen der jüngeren Verfahren allerdings von denen der Jahre 2008 und
2009. Im Gesamtblick werden die Ergebnisse der Jahre 2010, 2011 und 2012, wie
insbesondere in den Interviews mit Vertretern aus Politik und Verwaltung deutlich wird, als eher
unbrauchbar für direkt ableitbare Entscheidungen eingeschätzt, da sie keine klaren
Sachverhalte in „harten Zahlen“ produzieren, sondern graduell abgestufte Einschätzungen. Hier
liegt ein Problem für den Stadtrat, das ein Mitarbeiter der Verwaltung im Hinblick auf die
Ergebnisse herausstellt:
59
Vgl. http://www.buergerhaushalt.org/article/jena-ergebnisse-der-b%C3%BCrgervoten-ignoriert,
[17.03.2013]
38
"Aber mal ein bisschen mehr, ein bisschen weniger, das wird nichts, da bleibt jeder bei seiner
Spielwiese."
Die befragten Ratsmitglieder geben zwar an, dass sie die Ergebnisse in ihre
Entscheidungsfindung einfließen lassen, insbesondere die Befragten der AG Bürgerhaushalt
betonen aber, dass die ihrer Meinung nach durchaus vorhandenen Ergebnisse nur sehr selektiv
wahrgenommen werden. Dies bestätigt auch ein Befragter aus der Politik, der es nicht zuletzt
auf den Interpretationsspielraum zurückführt, den die Ergebnisse bieten:
“Wenn man das politisch gut gebrauchen kann für die Legitimation eigener Beschlüsse, dann
zieht man es heran. Ansonsten ist es glaube ich weitgehend unberücksichtigt.”
Von vielen Befragten wird in diesem Kontext auch ein direkter Zusammenhang zwischen den
nicht unbedingt leicht anschlussfähigen Beteiligungsergebnissen und den ausbleibenden
Entscheidungen des Stadtrates konstatiert, wie es ein Mitarbeiter der Verwaltung beschreibt:
„Insgesamt muss man feststellen, dass der Stadtrat von den Tendenzen, das sind ja eigentlich
Tendenzaussagen, die man rausziehen kann, nicht sehr viel umgesetzt hat. Also Entschuldung
ist noch das drastischste.“
3.3 Rechenschaftslegung
Wo auch immer die Gründe für eine geringe Wirkung des Verfahrens liegen: Die Probleme,
diese Wirkungen der Beteiligungsverfahren ab 2010 zu benennen, beeinflussen direkt die
Möglichkeit, Rechenschaft abzulegen. Seit den ersten Verfahren wird versucht, über den
Umgang von Politik und Verwaltung mit den Ergebnissen der Beteiligung zu informieren. Bis
2011 geschah dies unter anderem in den Broschüren, die das jährliche Verfahren beleuchten.
Aufgrund der längeren Dauer von Umsetzungen im Investitionsbereich hieß es in der Broschüre
des Verfahrens 2008/II zu den Wirkungen des Verfahrens 2007 und 2008/I nur:
“Die Hinweise und die Kritik zu den vorgestellten Vorschlägen und weiteren Themen wurden
ausgewertet und den Verantwortlichen übergeben. Die wertvollen Vorschläge zur Verbesserung
des Verfahrens der Bürgerbeteiligung werden bei der weiteren Arbeit berücksichtigt”60
Während in den Broschüren des Jahres 2009 61 und 2010 62 dann eine Rechenschaftslegung
über den bisherigen Umsetzungstand im Bereich Investitionen gegeben werden konnte, wird
seit 2011 auf eine solche Darstellung verzichtet und nur noch das reine Beteiligungsergebnis
des Vorjahres vorgestellt.
In der dadurch fehlenden Rechenschaftslegung sehen vor allem Befragte der AG und der Politik
das größte Problem des Verfahrens, das noch andere negative Wirkungen nach sich ziehen
kann, wie es ein Befragter aus den Reihen der AG zutreffend formuliert:
“Wie gesagt die Rechenschaftslegung habe ich vielleicht schon zehnmal erwähnt, aber das ist
sozusagen wirklich die Sache, die denke ich mal wirklich die Bürger davon überzeugen kann da
60
Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2008 http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2008.pdf, S.3f.
[15.02.2013]
61
Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2009.pdf, S. 5f.
[15.02.2013]
62
Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2010.pdf, S. 4ff.
[15.02.2013]
39
abzustimmen. Weil natürlich auch Politikverdrossenheit daraus resultiert, dass die Bürger
sagen: "Ja ja, die machen sowieso was sie wollen und hören nicht auf uns."
Einige der Gesprächspartner sahen auch, dass es Kommunen, die Verfahren des
Vorschlagswesens (mit oder ohne feste Budgets) anwenden, leichter fällt, eine
Rechenschaftslegung zu gewährleisten, wie es ein befragter Politiker betont:
"Also diese Art, wie es in Lichtenberg [läuft], ist natürlich hinsichtlich der Auswertung und der
Umsetzung viel einfacher, als wenn man sich z.B. ein Thema aus dem Verwaltungshaushalt
nimmt und versucht, das jetzt irgendwie auszuwerten.“
Insbesondere bei der erneuten Behandlung von Investitionsentscheidungen könnten
Ergebnisse des Verfahrens in Verwaltungsvorlagen transferiert werden, über deren Behandlung
dann klar Rechenschaft abgelegt werden kann.
4. Allgemeine Einschätzung des Verfahrens und möglicher Optionen
der Weiterentwicklung
4.1 Allgemeine Einschätzung
Insgesamt bewerten die meisten in den Interviews befragten Akteure das Verfahren vor dem
Hintergrund seiner langjährigen Praxis zumindest partiell als Erfolg, wobei vor allem die
verstärkte Öffentlichkeit für das Thema Finanzen als positiv angesehen wird, wie es ein
Mitarbeiter der Verwaltung betont:
„Positiv ist, dass die Frage von Haushaltsentscheidungen und damit auch notwendigen
Prioritätensetzungen stärker in das öffentliche Bewusstsein gekommen sind. Das ist ja auch
Absicht des Bürgerhaushalts. Die Vorstellung, dass die ganze Stadt den Haushalt von vorn bis
hinten kennt ist natürlich Illusion. Es ist dann leider nur doch ein gewisser Prozentsatz, der das
aktiv wahrnimmt. Aber das finde ich generell sehr positiv. Mehr Erkenntnisse über den
Haushalt“
Vor allem bei Vertretern der Politik und der AG Bürgerhaushalt fällt das Urteil kritischer aus.
Neben Erfolgen der bisherigen Informationsleistung kritisieren sie primär die fehlende Wirkung
des Verfahrens auf die Haushaltspolitik der Stadt Jena, wie es auch ein Befragter aus der Politik
zum Ausdruck bringt:
“Es ist aber auch nicht so, dass es dann irgendwelche Auswirkungen hätte auf
Haushaltsentscheidungen. Also ich habe eher das Gefühl, das läuft nebenbei und ist auch eine
Art 'Bürgerberuhigungshaushalt', fließt aber mittlerweile nicht mehr in Entscheidungen des
Stadtrates ein.”
Auch in den, im Anhang wiedergegebenen Freifeldantworten aus der Befragung von Bürgern
und Rat wiederholen sich, neben Vorwürfen der Ignorierung oder gar Instrumentalisierung des
Verfahrens an verschiedene Akteure, die bereits genannten Kritikpunkte, wobei die Aussagen
aus der Bürgerschaft eher von einem positiveren Tenor getragen sind.
Nach den bisherigen Einzeleinschätzungen zu verschiedenen Verfahrenselementen, soll es
nachfolgend um die Einschätzungen der beiden wichtigsten Gruppen im Prozess
Bürgerhaushalt gehen: zum einen die Stadträte, an die sich die Ergebnisse des
40
Beteiligungsverfahrens richten und zum anderen die Bürger selbst, ohne deren Teilnahme kein
Bürgerhaushalt funktionieren kann.
Rat
Bewertung der Leistungsfähigkeit des Bürgerhaushalts
Wie bewerten nun die Ratsmitglieder, abseits von Einzelmeinungen, die Leistungsfähigkeit des
Jenaer Bürgerhaushalts in verschiedenen Bereichen? Das nachstehende Balkendiagramm
liefert eine Antwort. Am stärksten wird die Wirkung hinsichtlich der Erhöhung des politischen
Interesses und Aktivität eingestuft. Die Prozentwerte liegen beide bei ungefähr 60 Prozent. Die
Prozentwerte der folgenden Aussagen („Items“) liegen allesamt deutlich niedriger. Dies
bedeutet konkret, dass die Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Schaffung von
Entscheidungshilfen für die Politik und der Erhöhung der Transparenz der Jenaer
Haushaltspolitik deutlich skeptischer eingeschätzt werden. Das gleiche gilt für die Lieferung von
umsetzbaren Beteiligungsergebnissen, die bessere Verwendung städtischer Gelder und die
Schaffung von Akzeptanz für unbeliebte politische Entscheidungen.
Die negativ formulierten Aussagen finden insgesamt eher geringe Zustimmung unter den
Ratsmitgliedern. Vor allem einer möglichen Einschränkung der Kompetenzen des Rates und
einer Verkomplizierung der Haushaltsplanung, aber auch der Verursachung unnötiger Kosten
durch den Bürgerhaushalt wird kaum zugestimmt. Interessant ist jedoch, dass die Aussage „[..]
dient lediglich starken, organisierten Gruppen“ etwas höhere Zustimmung zukommt. Dies deutet
darauf hin, dass in diesem Bereichen eine gewisse Skepsis unter den Ratsmitgliedern
vorherrscht, man also annimmt, dass das Verfahren anfällig für eine “Übernahme” durch
organisierte Interessen ist.
41
Grafik 7: Bewertung Eigenschaften Bürgerhaushalt durch Ratsmitglieder. Skalenwerte 4 und 5 „stimme
voll und ganz zu“ in Prozent (n = 19).
Erhöht das politische Interesse der Bürger
69
Erhöht die politische Beteiligung der Bürger in Politik
und gesellschaftlichen Fragestellungen
56
Dient lediglich starken, organisierten Gruppen
42
Weckt unerfüllbare Erwartungen
33
Werden Entscheidungshilfen für die Politik
geschaffen
32
Macht die städtische Haushaltspolitik
nachvollziehbarer
32
Liefert umsetzbare Beteiligungsergebnisse
26
Die finanzielle Lage (Einnahmen, Ausgaben) der
Stadt wird von Politik und Verwaltung für die Bürger
verständlich dargestellt
22
Schafft Verständnis für unbeliebte, aber notwendige
politische Entscheidungen
21
Verursacht unnötige Kosten
16
Der Bürgerhaushalt schränkt die Kompetenzen des
Rates ein
16
Führt zur besseren Verwendung städtischer Gelder
Prozent
11
Der Bürgerhaushalt macht die Haushaltsplanung
komplizierter
0
0
20
40
60
80
100
Anmerkung: Der vollständige Fragewortlaut kann dem Fragebogen im Anhang entnommen werden.
Da die Aussagen in identischer Formulierung auch für die Onlinebefragung der Bürger
vorliegen, sollen die Daten späterer Stelle dieses Berichts verglichen werden, sodass eventuelle
unterschiedliche Wahrnehmungen des Bürgerhaushalts deutlich werden können.
Bewertung der Funktionen des Bürgerhaushalts
Die nächste zu beantwortende Frage ist, welche Wichtigkeit die Ratsmitglieder bestimmten
Funktionen des Bürgerhaushalts beimessen. Auch dazu wurde eine Fragenbatterie abgefragt.
Das nachstehende Balkendiagramm gibt einen Überblick über die beiden aufaddierten höchsten
Skalenwerte in Prozent.
42
Grafik 8: Bewertung Funktionen des Bürgerhaushalts durch Ratsmitglieder. Skalenwerte 4 und 5
„wichtig“ in Prozent (n = 19).
Einbringen von Vorschlägen durch die
Bürger
89
Information der Bürger über den
städtischen Haushalt
84
Anregung einer öffentlichen Diskussion
über den kommunalen Haushalt
79
Erhebung eines Meinungsbilds unter den
Bürgern
Prozent
63
Kontrolle der Kommunalpolitik und ‐
verwaltung durch die Bürger
42
0
20
40
60
80
100
Große Wichtigkeit lassen die Ratsmitglieder den Funktionen „Einbringen von Vorschlägen
durch die Bürger“, „Information der Bürger“ und „Anregung einer öffentlichen Diskussion über
den kommunalen Haushalt“ zukommen. Die Prozentwerte tendieren deutlich in Richtung oberes
Ende der Skala. Überraschend ist, dass der Prozentwert für das Einbringen von Vorschlägen
sehr hoch ausfällt, obwohl im Jenaer Modell das Einreichen von Vorschlägen durch die Bürger
nicht angedacht ist. Auch dass die Erhebung eines Meinungsbilds zwar eine recht hohe
Wichtigkeit zugemessen bekommt, aber nicht an der Spitze des Rankings positioniert ist, ist
etwas verwunderlich, denn schließlich scheint dies die primäre Aufgabe einer Umfrage. Der
Jenaer Bürgerhaushalt entspricht im Wesentlichen einer Umfrage. Dass die Kontrolle von Politik
und Verwaltung am unwichtigsten ist, ist abschließend keine sonderliche Überraschung.
Bewertung des Bürgerhaushalts
Wie bewerten die Ratsmitglieder den Bürgerhaushalt allgemein? Dazu wurde eine Skala mit
Schulnoten von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ vorgelegt. Die nachstehende Tabelle gibt einen
Überblick.
Tabelle 14: Bewertung des Bürgerhaushalts durch Ratsmitglieder (n = 19).
Prozent
Sehr gut
Gut
Befriedigend
Ausreichend
Mangelhaft
-
26,3
47,4
5,3
21,1
43
Die Ratsmitglieder geben zum Großteil dem Bürgerhaushalt die Note „befriedigend“, fast ein
Viertel der Befragten vergibt sogar die Note „mangelhaft“. Daraus lässt sich ableiten, dass unter
den Ratsmitgliedern Skepsis gegenüber dem Bürgerhaushalt vorherrscht. Ob dies für das
Gelingen eines Bürgerhaushalts zuträglich ist, kann zumindest infrage gestellt werden. Sieht
man sich das Parteienspektrum der Befragten genauer an, ist es zudem nicht unwahrscheinlich,
dass sich die Ratsmitglieder beteiligt haben, die dem Verfahren aus politischer Sicht noch am
aufgeschlossensten gegenüberstehen.63
Bürger
Bewertung der Leistungsfähigkeit des Bürgerhaushalts
Zur Bewertung des Verfahrens ist es wichtig, zu wissen, wie die Bürger die Leistungsfähigkeit
des Beteiligungsverfahrens einschätzen. In der Befragung wurden daher Aussagen über
verschiedene Aspekte des Bürgerhaushalts zur Bewertung mit einer fünfstufigen
Zustimmungsskala vorgelegt. Das nachstehende Balkendiagramm gibt einen Überblick.
63
Vgl. Fußnote 22.
44
Grafik 9: Bewertung der Leistungsfähigkeit des Jenaer Bürgerhaushalts. Skalenwerte 4 und 5 „Stimme
voll und ganz zu” in Prozent.
50
Erhöht das politische Interesse der Bürger
63
Erhöht die politische Berteiligung der
Bürger in Politik und gesellschaftlic hen
Fragestellungen
56
62
Werden Entscheidungshilfen für die Politik
geschaffen
94
59
67
Liefert umsetzbare Beteiligungsergebnisse
46
Macht die städtische Haushaltspolitik
nachvollziehbarer
73
37
Führt zur besseren Verwendung
städtischer Gelder
27
37
Schafft Verständnis für unbeliebte, aber
notwendige politische Entscheidungen
Befragung Onlineforum
56
Bürgerbefragung
36
Dient lediglich starken, organisierten
Gruppen
19
28
13
Weckt unerfüllbare Erwartungen
26
Die finanzielle Lage (Einnahmen,
Ausgaben) der Stadt wird von Politik und
Verwaltung verständlich dargestellt
28
25
0
Verursacht unnötige Kosten
17
Die Politik nimmt die Ergebnisse aus dem
Bürgerhaushalt ernst
19
17
0
20
40
60
80
100
Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Der vollständige Fragewortlaut
kann dem Fragebogen im Anhang entnommen werden.
Ein erster Blick auf das Diagramm zeigt, dass die Befragten in der offenen Bürgerbefragung das
Verfahren etwas skeptischer bewerten, was sich durch in der Regel höherer Prozentwerte bei
den negativ formulierten Aussagen und niedrigeren bei den positiv formulierten ausdrückt. Dies
verwundert nicht, da anzunehmen ist, dass sich im Onlineforum zum Jenaer Bürgerhaushalt
starke Befürworter des Verfahrens registrieren, die es positiver bewerten. Im Detail betrachtet
erfährt besonders eine Wirkung hinsichtlich der Erhöhung des politischen Interesses und der
politischen Aktivität, aber auch die Schaffung von Entscheidungshilfen für die Politik und
umsetzbarer Beteiligungsergebnisse hohe Zustimmung.
Die negativen Aussagen („unnötige Kosten“, „dient organisierten Gruppen“, „weckt unerfüllbare
Erwartungen“) finden hingegen nur schwache Zustimmung, sie positionieren sich am unteren
Ende des Balkendiagramms. Daraus lässt sich ableiten, dass die Befragten negative
45
Eigenschaften nicht sonderlich stark gewichten. Dies ist als positiv für das
Beteiligungsverfahren anzusehen.
Besonders hervorzuheben ist, dass beide Befragtengruppen der Aussage, dass die Politik die
Beteiligungsergebnisse ernst nimmt, nur sehr schwach zustimmen. Daraus lässt sich Kritik
ablesen. Es scheint daher geraten, die Beteiligungsergebnisse in Fachausschüssen und
Stadtrat ausführlicher zu diskutieren sowie eine gründliche Rechenschaftslegung über die
Behandlung der Beteiligungsergebnisse anzustreben. Auch die eher geringe Zustimmung zur
Aussage “Die finanzielle Lage (Einnahmen, Ausgaben) der Stadt wird von Politik und
Verwaltung für die Bürger verständlich dargestellt” erfährt nur geringe Zustimmung. Dies kann
als zukünftiger Handlungsauftrag verstanden werden.
Vergleich der Bewertung der Bürger und Ratsmitglieder
Grafik 10: Vergleich Bewertung des Bürgerhaushalts Bürger und Ratsmitglieder. Skalenwerte 4 und 5
„Stimme voll und ganz zu“ in Prozent.
Erhöht die politische Beteiligung der Bürger in Politik und
gesellschaftlichen Fragestellungen
62
56
59
Werden Entscheidungshilfen für die Politik geschaffen
32
62
Erhöht das politische Interesse der Bürger
69
46
Liefert umsetzbare Beteiligungsergebnisse
26
37
Macht die städtische Haushaltspolitik nachvollziehbarer
32
37
Führt zur besseren Verwendung städtischer Gelder
11
Schafft Verständnis für unbeliebte, aber notwendige
politische Entscheidungen
36
21
28
Dient lediglich starken, organisierten Gruppen
42
26
Weckt unerfüllbare Erwartungen
33
Die finanzielle Lage (Einnahmen, Ausgaben) der Stadt wird
von Politik und Verwaltung für die Bürger verständlich
dargestellt
25
22
17
16
Verursacht unnötige Kosten
0
Bürger
20
40
60
80
100
Rat
Anmerkung: Bürgerbefragung n =179, Ratsbefragung n = 19. Der vollständige Fragewortlaut kann dem
Fragebogen im Anhang entnommen werden.
46
Ein erster Blick auf das Balkendiagramm ergibt, dass sich die in der Onlinebefragung befragten
Jenaer bei den meisten Eigenschaften in ihrer Meinung kaum von den Befragten
Ratsmitgliedern unterscheiden. Beide Befragtengruppen sehen das größte Potential des
Bürgerhaushalts in der Erhöhung des politischen Interesses und der Aktivität, wobei die
Ratsmitglieder die Frage zu politischem Interesse etwas deutlicher befürworten. Deutliche
Unterschiede treten bei der Schaffung von Entscheidungshilfen, der Lieferung von umsetzbaren
Beteiligungsergebnissen, der besseren Verwendung städtischer Gelder sowie der Schaffung
von Verständnis für unbeliebte politische Entscheidungen. In allen Fällen sehen die Bürger die
Leistungsfähigkeit des Bürgerhaushalts positiver. Zu betonen ist, dass beide Gruppen im
Bürgerhaushalt keinen unnötigen Kostenfaktor sehen. Der Prozentwert tendiert recht deutlich
zum unteren Ende der Skala, was geringe Zustimmung zu der Aussage impliziert. Der Aussage,
dass das Verfahren lediglich organisierten Interessen dient, wird abschließend etwas stärker
von den Ratsmitgliedern zugestimmt.
4.2 Bewertung möglicher Veränderungen am Verfahren
Weiterhin wurden den Befragten Bürgern die drei mögliche Modifikationen
Beteiligungsverfahrens zur Bewertung mit einer Schulnotenskala vorgelegt.
des
Tabelle 15: Bewertung Verfahrensänderung. Zeilenprozente (Bürgerbefragung, n = 179).
Sehr gut
Gut
Befriedigend
Ausreichend
Mangelhaft
Weiß nicht
Eingabe von eigenen
Vorschlägen für
Einspar-, Einnahmeoder
Ausgabemöglichkeiten
ohne thematische
Beschränkung
29
36
20
6
7
3
Abstimmung über die
Verteilung eines festen
Betrags
(Bürgerbudget)
25
34
22
5
7
7
Bürgerversammlungen
in den Stadtteilen
24
33
23
5
8
7
47
Tabelle 16: Bewertung Verfahrensänderung. Zeilenprozente (Befragung Onlineforum, n = 16).
Sehr gut
Gut
Befriedigend
Ausreichend
Mangelhaft
Weiß nicht
Eingabe von eigenen
Vorschlägen für
Einspar-, Einnahmeoder
Ausgabemöglichkeit
en ohne thematische
Beschränkung
13
44
13
13
13
6
Abstimmung über
die Verteilung eines
festen Betrags
(Bürgerbudget)
25
25
13
6
25
6
Bürgerversammlung
en in den Stadtteilen
19
38
6
6
19
13
Grafik 11: Bewertung Verfahrensänderung (Antworten „gut“ und „sehr gut“ in Prozent).
56
57
Bürgerversammlungen in den Stadtteilen
50
Abstimmung über die Verteilung eines festen
Betrags (Bürgerbudget)
Befragung Onlineforum
59
Eingabe von eigenen Vorschlägen für Einspar‐,
Einnahme‐ oder Ausgabemöglichkeiten ohne
thematische Beschränkung
Bürgerbefragung
56
64
0
10
20
30
40
50
60
70
Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Aufgrund unterschiedlicher
Rundung der Prozentwerte kann es zu Abweichungen gegenüber den Tabellen kommen.
In beiden Befragtengruppen finden mögliche Veränderungen des Beteiligungsverfahrens große
Zustimmung, wobei die Bürgerbefragung etwas stärkere Befürwortung der offenen Eingabe von
Vorschlägen sowie des Bürgerbudgets aufweist. Über die Eigenschaften, Stärken und
Schwächen dieser Modifikationen soll an späterer Stelle des vorliegenden Berichts im Abschnitt
Handlungsempfehlungen diskutiert werden.
48
5. Fazit
Zu Beginn dieses Berichts wurden leitende Fragen und Kriterien genannt, die zur Bewertung
des Jenaer Bürgerhaushalts herangezogen werden sollen. In diesem Abschnitt ist nun zu
prüfen, inwieweit diese erfüllt werden.
1. Wie intensiv werden die Bürger im Bürgerbeteiligungsverfahren an der lokalen
Haushaltspolitik beteiligt?
Mit Blick auf die Erwartungen, die mit der Beteiligung der Bürger verbunden werden sollte
besonderes Augenmerk sollte auf das ursprüngliche Konzeptpapier aus dem Jahre 2006
gerichtet werden. Schon auf der Titelseite findet sich ein Logo mit dem Titel “Bürgerhaushalt. In
Jena entscheiden Sie mit!”. Dies suggeriert, ebenso wie das “Mitentscheiden” auf
nachfolgenden Publikationen, dass die Bürger tatsächlich über den Haushaltsplan
(mit-)entscheiden, obwohl lediglich eine Meinung zu bestimmten Haushaltsbereichen eingeholt
wird. Dies kann Erwartungen erzeugen, die das konsultative Verfahren letztlich enttäuschen
muss.
Besonders im Vergleich mit der Großzahl anderer deutscher Bürgerhaushalte können die
teilnehmenden Bürger ihre eigenen Präferenzen allerdings nur in überschaubarem Maße
einbringen. Dies ist auf die Form der Umfrage und ihre bisherige Fokussierung auf eine kleinere
Zahl von Fragen zurückzuführen, die es nicht erlauben, detailliertere Willensäußerungen
abzugeben, wie es in einer klassischen Bürgerumfrage der Fall wäre. Auch können die
Teilnehmer keine eigenen Vorschläge inklusive einer Erklärung einbringen. Der anvisierte
Dialog kommt daher nur eingeschränkt zustande.
Eine erhöhte Machtkontrolle wird in deutschen Bürgerhaushalten grundsätzlich kaum
ermöglicht, denn die Beteiligungsergebnisse haben lediglich einen empfehlenden Charakter für
Verwaltung und Rat. Zudem hatte der Bürgerhaushalt (insbesondere seit 2010) kaum Relevanz
für die tatsächliche Haushaltspolitik in Jena, von der Reduzierung des Schuldenstandes und
einiger Investitionsprojekte abgesehen. Darüber, inwieweit die Ergebnisse zumindest in die
Willensbildung des Rats einfließen, kann hier kein belastbarer Nachweis geführt werden.
Durch die Kombination von postalischer Befragung per Zufallsstichprobe und selbstrekrutierter
Befragung im Internet bzw. mit ausgelegten Fragebögen können allerdings sowohl Offenheit
als auch Repräsentativität als erfüllt angesehen werden. Da jedoch die auf Selbstrekrutierung
beruhende Befragungen anfällig für Manipulationen durch gut organisierte Interessengruppen
sind, ist zu empfehlen, die postalische Befragung stärker in der Diskussion in den städtischen
Gremien zu gewichten, auch wenn bei dieser sicherlich erhöhtes Politikinteresse oder
persönliche Betroffenheit für die Beteiligung ausschlaggebend sind und sie somit nicht gänzlich
repräsentativ ist. In jedem Fall ist einer Vermischung der Ergebnisse aus unterschiedlich
repräsentativen Quellen weiterhin zu vermeiden.
49
2. Werden die Bürger angemessen über die städtische Haushaltspolitik sowie über das
Verfahren und seine Wirkung informiert?
Der zentrale Punkt der Information über die Jenaer Haushaltspolitik ist bereits gut gelöst. Hier
ist zunächst der Aspekt der Mobilisierung für die Konsultation wichtig. Durch die große
Zufallsstichprobe (n = 15.000) wird eine breite Masse erreicht. So ist davon auszugehen, dass
im Laufe der Zeit die meisten Bürger Jenas von der Beteiligungsmöglichkeit erfahren haben.
Die Umfragen der FH Jena zu den Verfahren 2008 und 2009 belegen ferner, dass die
Broschüre neben dem Informationsangebot lokaler Zeitungen die mit Abstand wichtigste
Informationsquelle zum Bürgerhaushalt ist.
Zudem ist die Broschüre klar strukturiert und die Präsentation der Inhalte besitzt ein
ausgewogenes Verhältnis zwischen notwendiger Information und überschaubarer Aufbereitung.
So kann eine gezielte Information der Bürger zu haushaltsrelevanten Themen erfolgen, ohne
dass versucht wird, den gesamten Haushalt erklären zu wollen. Hier besitzt das Jenaer
Verfahren gegenüber einem klassischen Vorschlagswesen eine besondere Stärke, die dazu
beiträgt, die Bürger in besonderem Maß über die kommunale Haushaltspolitik zu informieren.
Die Auswertungsberichte der FH Jena bieten nicht zuletzt dem Rat ein differenziertes Bild des
Bürgervotums.
Das Verfahren an sich und dabei insbesondere die postalische Befragung, kann als rational
und transparent bezeichnet werden: Rational insofern, als es ermöglicht, effektiv und effizient
die Präferenzen der Bürger zu einer kleinen Zahl von Fragen zu erheben und in den Stadtrat zu
leiten. Transparent ist es insofern, als die Ergebnisse der Befragung für alle Interessierten
nachvollziehbar sind. Gestärkt wird die Transparenz durch die externe Auswertung, die durch
die Fachhochschule Jena durchgeführt wird. Auch die Öffentlichkeit der AG samt ihrer
Protokolle sowie die verwaltungsseitige Aufbereitung des Prozesses sind als vorbildlich zu
bezeichnen.
Im Bereich der Rechenschaftslegung zeigt das Beteiligungsverfahren allerdings Schwächen,
da es in seiner jetzigen, umfragebasierten Form keine günstigen Voraussetzungen bietet, um
Entscheidungen des Stadtrates hervorzubringen, die eindeutig den Ergebnissen des
Beteiligungsverfahrens zuzuschreiben sind. Wenn es nach dem Beteiligungsverfahren nicht
dazu kommt, dass Fraktionen oder die Verwaltung die Ergebnisse direkt in Form eines Antrags
aufnehmen, hat das Ergebnis lediglich einen informativen Wert. An dieser Stelle wird es sich
auch nicht als wirksam erweisen, die Notwendigkeit einer Rechenschaftslegung durch den
Stadtrat im Regelwerk des Bürgerhaushalts zu verankern. Auch lassen sich spätere
Veränderungen nicht eindeutig auf die Ergebnisse der Befragung zurückführen, wenn diese
nicht mehr als Begründung herangezogen wird.
Insgesamt ist das Verfahren im Hinblick auf Effekte der politischen Information und trotz der
eher begrenzten Beteiligung der Bürger am politischen Geschehen als effektiv und effizient zu
bezeichnen. Mit seiner finanziellen Ausstattung von rund 25.000 € und einer halben bzw.
ganzen Personalstelle für den Koordinator des Bürgerhaushalts ist es im Vergleich mit anderen
Bürgerhaushalten nicht als überfinanziert zu betrachten. Sollte man sich zukünftig für eine
Veränderung in Richtung eines aufwändigeren Verfahrens, z. B. im Sinne eines
50
Vorschlagswesens entscheiden, würde es nötig werden, die finanziellen Mittel signifikant
aufzustocken.64
Der Bürgerhaushalt der Stadt Jena stellt ein gelungenes Instrument dar, um der Bürgerschaft
themenbezogen Informationen bereitzustellen und Stimmungsbilder zu erheben.
6. Perspektiven und Handlungsempfehlungen
Die vorausgegangene Analyse der Stärken und Schwächen führt zu den folgenden
Handlungsempfehlungen und Optionen der Weiterentwicklung des Bürgerhaushalts.
3. Wie kann das Bürgerbeteiligungsverfahren verbessert werden?
6.1 Allgemeine Handlungsempfehlungen
Zunächst sind grundlegende Handlungsempfehlungen voranzustellen. Aus Sicht der Autoren
sollte in Jena ein öffentlicher Diskurs über Bürgerbeteiligung im Allgemeinen und den
Bürgerhaushalt im Speziellen eröffnet werden. Vor allem für die Kommunikation der direkt mit
dem Verfahren befassten Akteure, also dem Stadtrat, der AG Bürgerhaushalt und der
Verwaltung über die Zukunft des Verfahrens, bietet sich ein von neutralen Akteuren extern
moderierter Prozess wie z.B. eine “Zukunftswerkstatt” an. In einem solchen Verfahren können
(auf Basis der nun öffentlicheren Meinungen, Einschätzungen und Handlungsempfehlungen des
Evaluationsberichtes) Optionen entwickelt, diskutiert und abgewogen werden. Durch die
Neutralität der Moderation würde sich aber auch die Gelegenheit ergeben, bestehende
Missverständnisse zwischen den Beteiligten aus Politik, Verwaltung und Bürgerschaft
aufzulösen. Insbesondere das Engagement der AG Bürgerhaushalt sollte in diesem Rahmen
gewürdigt und prioritär weiter unterstützt werden.
Als Fazit der vorangegangenen Bewertung, insbesondere im Hinblick auf die Problematik der
Qualität der Beteiligungsergebnisse, des Umgangs mit ihnen sowie der dadurch erschwerten
Rechenschaftslegung, ergeben sich für die Autoren zwei Grundsätzliche Möglichkeiten der
weiteren Entwicklung:
64
Es wird an dieser Stelle auf einen Vergleich der finanziellen Ausstattung mit anderen Kommunen
verzichtet, da es kaum belastbare Informationen zur finanziellen Ausstattung von Bürgerhaushalten
gibt. Den Spitzenwert nimmt allerdings der Bürgerhaushalt von Frankfurt/Main ein, der im ersten Jahr
ohne Personalkosten geschätzte 800.000 € und 250.000 € im Folgejahr kostete. Das Problem dabei ist,
verschiedene Kostenstellen (Personal, Werbung, Technik, Umfragen usw.) zu ermitteln.
51
1. Behält man das Verfahren in dieser Form bei, sollten seine Grenzen akzeptiert und
kommuniziert werden. Die Erwartung an das Verfahren sollte dann von umfassender
Beteiligung im Sinne einer Mitbestimmung auf die umfassende Information gerichtet
werden, die es bereits vorbildlich leistet. Werden Beteiligungsergebnisse generiert, sollte
sich der Stadtrat stärker fraktionsübergreifend darüber verständigen, in welcher Form
diese auch Entscheidungen zugeführt werden können.
2. Die Form der Beteiligung könnte die eines Vorschlagswesens annehmen, in dem klar
zuordenbare Sachfragen und nicht graduell anzulegende Sachkosten auf Basis von
Vorschlägen der Bürgerschaft, aber möglicherweise auch der Verwaltung bzw. des
Stadtrats behandelt werden. Hier könnte, wie bei anderen Verfahren, die Umfrage als
repräsentatives Element einer zwischengelagerten Erhebung genutzt werden.
6.2 Weiterentwicklungsoptionen für das aktuelle Verfahren
Neben der besseren Verständigung aller Beteiligten, sollte bei der Beibehaltung des aktuellen
Verfahrens dennoch auf einige Anpassungen geachtet werden, die sich z.B. positiv auf den
Rücklauf auswirken könnten. Neben zahlreichen Vorschlägen, die die Autoren schon im
jeweiligen thematischen Kontext bzw. im Fazit offeriert haben, sollen hier noch weitere Optionen
benannt werden.
Mögliches Verbesserungspotenzial liegt in der Präsentation im Internet. Vor allem auf der
Webseite der Stadt Jena sollte das Verfahren leichter zu finden sein, bspw. durch einen gut
sichtbaren Banner. Der bisherige Weg über die Kategorien “Stadt & Verwaltung”,
“Stadtverwaltung”, “Dezernat II - Finanzen, Sicherheit & Bürgerservice” wirkt hingegen sehr
kompliziert, “spontane” Besuche auf der Webseite zum Jenaer Bürgerhaushalt werden
erschwert. Zudem werden Personen, die den Bürgerhausalt nicht kennen, so nicht auf ihn
aufmerksam werden. Mit dem Neuaufbau der Bürgerhaushaltsseite selbst, infolge der
Veränderungen der Hauptseite, wurden erste Akzente einer übersichtlicheren Aufbereitung
aktueller Informationen und archivierter Informationen verwirklicht, die weiter verfolgt werden
sollten.
Zur Verbesserung der Befragung könnte man Aspekte der Tailored Design Methode zur
Gestaltung von postalischen Umfragen aufgreifen. 65 Ziel dieser Methode ist es, die vier
zentralen Fehlerquellen von Umfragen zu minimieren: coverage error, sampling error,
nonresponse error und measurement error. Da im Rahmen des Jenaer Bürgerhaushalts mit
einer Zufallsstichprobe gearbeitet wird, gilt es, besonders den nonresponse error, also die
systematische Antwortverweigerung bestimmter Gruppen einzudämmen bzw. den
Abstimmungsbogenrücklauf zu erhöhen. Viele Vorschläge, wie z. B. eine offizielles Layout der
Broschüren, Ansprache durch eine öffentlichen Autoritätsperson (Oberbürgermeister),
hochwertiges Papier etc. wurden in den bisherigen Befragungen bereits umgesetzt. Dennoch
bieten sich zwei wesentliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten: Zum einen könnten kleine
Anreize (“incentives”) geschaffen werden, die zur Beteiligung motivieren. Denkbar sind zum
Beispiel das Beilegen eines Gutscheins für eine städtische Einrichtung (Schwimmbad,
Bibliothek, Theater usw.) oder aber eine Verlosung eines Gewinnes. Auch dabei kann auf
65
Vgl. Dillman et al. 2009, S. 15-40.
52
städtische Leistungen gesetzt werden, wie z. B. eine Jahreskarte für das örtliche Schwimmbad
oder Theater usw. Eine zweite Variante davon könnte auch eine Art “Soziallotterie” sein: Es
werden bspw. drei Gewinner gezogen, die dann die Möglichkeit haben, einen bestimmten
Betrag an öffentliche oder wohltätige Einrichtungen zu verteilen. 66 Zum anderen könnte mit
Erinnerungsnachrichten der Rücklauf erhöht werden. Dabei könnte versucht werden, technische
Lösungen zu finden, die es ermöglichen, die unnötige Versendung von Erinnerungsnachrichten
an Personen, die den Abstimmungsbogen bereits ausgefüllt zurückgeschickt haben zu
unterbinden. Bei beiden Varianten sollte jedoch stets darauf geachtet werden, dass die
Anonymität der Beteiligten gewahrt wird. Lose für Gewinnspiele oder eine Soziallotterie können
den postalischen Broschüren beigelegt werden und die Gewinnnummer öffentlich bekannt
gegeben werden. Die Übergabe der Gewinne erfolgt dann zwischen Stadtverwaltung und
Gewinner. Selbstverständlich sollte der Gewinner auf Wunsch anonym bleiben können, z. B. in
Hinblick auf Medienberichte. In Kombination mit für eine breite Masse relevanten Themen sollte
sich so der Rücklauf bzw. die Beteiligung steigern lassen.
Um eine höhere Wirkung der Beteiligungsergebnisse zu erzielen, könnte das Verfahren
insgesamt gestrafft und zeitlich nach vorn verlegt werden, so dass die Ergebnisse nicht erst im
Dezember, also mitten oder gar am Ende der Haushaltsberatungen publik werden. Eine
Erhöhung der Anzahl von Broschüren könnte den Mobilisierungseffekt verstärken, würde
aber das Ergebnis der Beteiligung kaum beeinflussen, so dass der zu erwartende
Kostenzuwachs abgewogen werden muss.
Um die Intention der Informationsverbesserung nachhaltiger zu gestalten, sollten jegliche
Formen in Betracht gezogen werden, den Haushalt permanent sowie auch für Laien
verständlich darzustellen. Sei es durch Erläuterungen zum Entwurf oder seine Darstellung im
Sinne eines offenen Haushalts. Bisher kann nur das über 800 Seiten starke Dokument des
Haushaltplans eingesehen werden.67 An dieser Stelle muss keine direkte Verknüpfung solcher
Bemühungen mit dem Verfahren Bürgerhaushalt erfolgen, außer dass die Broschüre des
Bürgerhaushalts und die Homepage auf solche Angebote verweisen sollten.
Es kann nur zu Entscheidungen eine umfassende Rechenschaftslegung erfolgen, wenn es
Entscheidungen gibt. Daher sollte sich das Beteiligungsverfahren, so es denn keine
Initiativvorschläge der Bürger zulässt, möglichst auf abgrenzbare Gegenstände beziehen, die
absehbar Inhalt der Entscheidungsfindung von Politik und Verwaltung sein werden.
6.3 Mögliche Verfahrensänderungen
Vorschlagswesen
Mit der Fokussierung auf die Form einer Umfrage besteht ein grundlegender Unterschied zu
dem in Deutschland weit verbreiteten Ansatz des Vorschlagswesens, der es Bürgern, je nach
Filterung durch das Verfahren, direkt ermöglicht, ihre Anliegen in die kommunale Politik
einzubringen. Der Wechsel in ein solches Verfahren könnte für den Bürgerhaushalt Jena das
Problem mit der Rechenschaftslegung abschwächen, würde aber, wie im Vergleich der
Beteiligungszahlen ersichtlich wurde, nicht zwangsläufig zu mehr Beteiligung führen.
66
67
Auch unter Beteiligten der Onlineabstimmung könnten Gewinne verlost werden.
S. http://www.jena.de/statistik/haushalt/startseite.php [18.03.2013]
53
Für ein Vorschlagswesen kann empfohlen werden, die Vorschläge, die die Teilnehmer
einbringen, durch sie selbst bewerten zu lassen, sei es durch eine Skala (pro, contra, neutral)
oder durch die Vergabe von Stimmen (bspw. drei oder fünf). Nur so lassen sich Prioritäten der
Bürger ermitteln und die Beteiligungsergebnisse anschlussfähig für die weitere Bearbeitung
durch Verwaltung und Politik machen. Da Vorschläge häufig den direkten Nahraum der Bürger
betreffen, also z. B. Straßen und Nachbarschaften, bietet es sich an, der räumlichen Struktur
der Stadt Rechnung zu tragen und die Vorschlagssammlung und/oder Abstimmung an diese
anzupassen, sodass dadurch auch stadtteilbezogene Vorschläge eine Chance auf Erfolg
haben. Dies kann den Anreiz zur Beteiligung durchaus erhöhen. Über die besondere Nähe zum
Wohnraum der Bürger und ihren alltäglichen Problemen, bietet sich so die Möglichkeit dauerhaft
Sozialkapital und soziale Netzwerke zu generieren. Hier könnten sich allerdings Probleme mit
der Anzahl der Jenaer Ortsteile sowie ihren bereits vorhandenen Strukturen ergeben.
Indem man den erfolgreichsten Einsendungen der Bürger, wie auch immer sie herausgefiltert
und angeordnet werden (z. B. durch Priorisierung in Top-Listen wie in Köln oder Potsdam), in
eine eigene Beschlussvorlage überführt, lässt sich für jeden der Weg der Vorschläge
transparent verfolgen. Zudem lässt sich auf diese Weise eine äußerst effektive Rechenschaft
gewährleisten, da es definitiv zu Entscheidungen kommt - wie auch immer diese ausfallen.
Neben dem stadtteilbezogenen Fokus ist es auch denkbar, ein festes Budget mit einem Teil des
Verfahrens bzw. dem ganzen Verfahren zu verknüpfen. Vor allem in eher stadtteilbezogenen
Konzepten wie dem von Berlin-Lichtenberg werden nicht alle Entscheidungen im
Bürgerhaushaltsverfahren von Ratsvertretern getroffen. Hier ergibt sich dann kein rechtlicher
und politischer Konflikt mit der Arbeit des Stadtrats, wenn dieser ein sog. “Stadtteil-” bzw.
“Bürgerbudget” jährlich auf Grundlage einer Vorlage beschließt. Größere Kostenpunkte, die im
Laufe des Vorschlagsverfahrens aufkommen, können dann außerhalb des Budgets zur
Disposition gestellt und dem Stadtrat vorgelegt werden.68
Verhältnis zu anderen Formen des Umgangs mit den Interessen und Anliegen der Bürger
Abseits von Abwägungen im Rahmen des “deutschen Modells” von Bürgerhaushalten kann
auch überlegt werden, inwieweit andere Beteiligungsformen komplementär zu einer
Zielerreichung beitragen können.
Vor allem gegenüber Bürgerhaushalten mit geringen Beteiligungsquoten und hohen Kosten
kann die Alternative einer umfassenden und repräsentativ gestalteten Umfrage von Interesse
sein. Durch ebenso gezielte wie umfangreiche Befragungen kann zu einer fundierten
Entscheidungsfindung des Stadtrats und der Verwaltung beigetragen werden.
Das von Wissenschaftlern der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer in
Modellprojekten erprobte Instrument des “Bürgerpanels”69 setzt auf die Regelmäßigkeit solcher
Befragungen. Der Vorteil liegt vor allem darin, dass die Präferenzen einer repräsentativen
Stichprobe zu mehreren Zeitpunkten erhoben werden und sich so auch Veränderungsprozesse
und Reaktionen auf gesellschaftliche und politische Ereignisse in einer Kommune auf der
68
Inwieweit ein solches Modell erfolgreich sein kann, wird sich in den nächsten Jahren in BerlinLichtenberg zeigen: http://www.buergerhaushalt-lichtenberg.de/ [27.01.2013]
69
Vgl. Klages et al. 2008
54
Individualebene abbilden lassen. Allerdings stellen sie eher den Ausgangspunkt als den
Endpunkt einer Kultur der erweiterten Beteiligung dar. Mit seiner Fokussierung auf das
Instrument der schriftlichen Befragung besitzt der Bürgerhaushalts-Prozess in Jena also einen
soliden Ausgangspunkt für eine kontinuierliche Erweiterung der angebotenen
Beteiligungsmöglichkeiten - sei es im Rahmen eines veränderten Bürgerhaushalts oder in
anderen Politikfeldern wie der Stadt- und Raumplanung.
Bei einer Entwicklung in Richtung eines Vorschlagswesens sollte überlegt werden, ob sich nicht
zumindest komplementär auch die Etablierung eines elektronischen Kummerkastens lohnt.70
Viele Vorschläge, die im Rahmen solcher Verfahren eingebracht werden, beziehen sich auf
kleinteilige, räumlich sehr fokussierte Missstände, die sich bei einer zentralen Erfassung und
dezentralen Weiterleitung an den zuständigen Fachbereich kurzfristig lösen lassen. So kann der
weiterführende Beteiligungsprozess für die Behandlung von Sachverhalten reserviert werden,
die ein erhöhtes öffentliches Interesse vermuten lassen bzw. durch ihr Finanzvolumen einer
öffentlichen Abwägung bedürfen.
6.4 Festigung einer kommunalen Beteiligungskultur
Ein wichtiges Ziel des Jenaer Bürgerhaushalts wird von allen Beteiligten in der Förderung von
Bürgerbeteiligung und dem davon ausgehenden positiven Effekt auf inaktive und scheinbar
politikverdrossene Bürger gesehen. Um dieses Ziel langfristig und nachhaltig zu verfolgen ist es
ratsam, bestehende Beteiligungsangebote auszuweiten und zu koordinieren.
Ein erster Schritt kann bereits die zentrale Bündelung der Darstellung von formellen, für die
Bürger oft sehr aufwendigen (Einwohnerantrag, Bürgerbegehren/ Bürgerentscheid) und
informellen Beteiligungsangeboten (Stadtentwicklung: Eichsplatz, Bürgerhaushalt etc.) auf
dem Internetportal der Stadt, um die Bürger der Stadt Jena über ihre Beteiligungsmöglichkeiten
zu informieren. So können erste Hemmschwellen für mehr aktive Beteiligung, die in einem
Informationsmangel begründet liegen, gesenkt werden. Als Vorbild könnte unter anderem
Leipzig dienen, wo alle kommunalen Beteiligungsangebote auf einer Seite anschaulich
konzentriert werden. Ferner sollten weitere Kommunikationskanäle genutzt werden, um auch
Personen ohne Netzzugang und Personen, die nicht den Internetauftritt der Stadt Jena
besuchen, zu erreichen.
Eine bessere Verankerung der Bürgerbeteiligungsangebote in den Strukturen der Politik und
Verwaltung kann z.B. durch eigene Beauftragte oder Geschäftsbereiche erreicht werden. In
vielen Großstädten sind bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen worden. Einige
Beispiele sollen im Folgenden benannt werden, sodass diese als Inspirationsquelle genutzt
werden können.
70
S. z.B. http://maerker.brandenburg.de/brandenburg [19.01.2013]
55
Als mögliche Variante können die folgenden Fallbeispiele dienen:
●
●
●
Bürgerbeauftragter (Leipzig)71
Ombudsmann/-frau für Bürgerinitiativen (Dortmund)72
Bürgerbeteiligungsbüro (Potsdam)73
Darüber hinaus bietet es sich an, stärker mit zivilgesellschaftlichen Akteuren (Vereine,
Nichtregierungsorganisationen etc.) zu kooperieren. Diese können als Promotoren für das
Beteiligungsverfahren fungieren sowie seine Bekanntheit und die Legitimität erhöhen.74 Befunde
aus anderen Ländern stützen die These, dass die Aktivität von solchen Akteuren immens
wichtig für den Erfolg von Bürgerbeteiligung ist. 75 Dabei ist den Autoren selbstverständlich
bewusst, dass auch bei diesen Organisationen Ressourcen nicht beliebig verfügbar sind.
71
72
http://www.leipzig.de/de/buerger/politik/buergerbeteilig/ [19.01.2013[
http://www.dortmund.de/de/rathaus_und_buergerservice/buergerinteressen/ombudsstelle/start_os/index.html
[19.01.2013]
http://www.potsdam.de/cms/beitrag/10086130/282600/ [19.01.2013]
74
Vgl. Patsias et al. 2012, S. 6
75
Vgl. Font & Galais 2011, S. 943
73
56
Literatur
Brettschneider, Frank (2011). Kommunikation und Meinungsbildung bei Großprojekten. In: Aus
Politik und Zeitgeschichte 61, S. 40-47.
Diekmann, Andreas (2007). Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden,
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Dillman, Don A./ Smyth, Jolene D./ Christian, Leah Melani (2009). Internet, Mail, and MixedMode Surveys. The Tailored Design Method. 3rd Edition. Hoboken, New Jersey: Wiley &
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Gemeinderatsmitglied- Problemsichten – Einstellungen – Rollenverständnis. Wiesbaden:
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Urban and Regional Research 35(5), S. 932-948.
Heinelt, Hubert (2013). Welches Demokratieverständnis haben deutsche Ratsmitglieder und wie
schlägt es sich in ihren Handlungsorientierungen nieder? In: Egner, Björn/ Krapp, MaxChristopher/ Heinelt, Hubert (Hrsg.). Das deutsche Gemeinderatsmitglied- Problemsichten
– Einstellungen – Rollenverständnis. Wiesbaden: Springer VS, S. 105-128.
Holtkamp, Lars (2008). Bürgerhaushalt. In: Kersting, Norbert (Hrsg.). Politische Beteiligung.
Einführung in dialogorientierte Instrumente politischer und gesellschaftlicher Partizipation.
Wiesbaden: VS Verlag, S. 222-235.
Kersting, Norbert (2008). Politische Beteiligung. Einführung in dialogorientierte Instrumente
politischer und gesellschaftlicher Partizipation. Wiesbaden: VS Verlag.
Kersting, Norbert (2008). Evaluation dialogischer Beteiligungsinstrumente. In: Kersting, Norbert
(Hrsg.). Politische Beteiligung. Einführung in dialogorientierte Instrumente politischer und
gesellschaftlicher Partizipation. Wiesbaden: VS Verlag.
Kersting, Norbert (Hrsg.) (2012). Electronic Democracy. Opladen: Verlag Barbara Budrich.
Kersting, Norbert/ Caulfield, Janice/ Olowu, Dele/ Nickson, Andrew/ Wollmann, Hellmut (2009).
Local Governance Reform in Global Perspective. Wiesbaden: VS Verlag.
Kersting, Norbert/ Woyke, Wichard (2012). Vom Musterwähler zum Wutbürger? Politische
Beteiligung im Wandel. Münster: Aschendorff Verlag.
Klages, Helmut / Daramus, Carmen / Masser, Kai (2008). Das Bürgerpanel - Ein Weg zu breiter
Bürgerbeteiligung. Speyer: Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung.
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Potentiale und Risiken webgestützter Bürgerhaushalte. Wiesbaden: Springer VS.
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Decentralization and Local Governance: the Montreal Participatory Budget in the Light of
‘Empowered Participatory Governance’. In: International Journal of Urban and Regional
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Oldenburg: Universität Oldenburg.
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realistische Utopie? ; zwischen partizipativer Demokratie, Verwaltungsmodernisierung und
sozialer Gerechtigkeit. Wiesbaden: VS Verlag.
Streeck, Wolfgang (2009). Man weiß es nicht genau: Vom Nutzen der Sozialwissenschaften für
die Politik. MPIfG Working Paper 09/11. Köln: Max Planck-Institut für
Gesellschaftsforschung.
Taubert, Nils/ Krohn, Wolfgang/ Knobloch, Tobias (2010). Evaluierung des Kölner
Bürgerhaushalts. Endbericht. Bielefeld: Universität Bielefeld. Institut für Wissenschaftsund Technikforschung.
Auswertungsberichte FH Jena
Die folgenden Auswertungsberichte von Arndt Lautenschläger und Kollegen wurde für
Sekundäranalysen und Recherchen herangezogen. Der letzte Zugriff erfolgte am 1.12.2012.
2007: www.jena.de/fm/41/Bericht_BHH%202007.pdf
2008/I: http://www.jena.de/fm/1727/auswertung_buergerbeteil_1_2008.pdf
2008/II: www.jena.de/fm/41/Zwischenauswertung_Investitionen 2009.pdf
2009: http://www.jena.de/fm/1727/auswertung_buergerbeteiligung_2009.pdf
2010: http://www.jena.de/fm/1727/endbericht_beteiligung_bhh_2010.pdf
2011: http://www.jena.de/fm/1727/auswertung_beteiligung_bhh_2011.pdf
2012: http://www.jena.de/fm/1727/Auswertung%20Beteiligungsverfahren%202012.pdf
Internetquellen
Sämtliche Quellen aus dem Internet sind in den Fußnoten dokumentiert.
58
Anhang
Soziodemographie der Befragten aus der quantitativen Befragung
Abschließend soll auf die Soziodemographie der Befragten eingegangen werden. Es zeigt sich,
dass vor allem Männer im mittleren Lebensabschnitt und mit hohem formalem Bildungsniveau
Interesse an der Befragung hatten. Dies deckt sich mit Befunden zur Beteiligung an
Bürgerhaushalten und Erkenntnissen der politischen Partizipationsforschung allgemein.
Tabelle A1: Soziodemographie der Befragten (Spaltenprozente).
Bürgerbefragung
Befragung Onlineforum
Männlich
Weiblich
69
31
94
6
Realschule
Fachabitur
Abitur
Hochschule/ Universität
Sonstige
Keine Angabe
15
5
16
62
2
1
6
6
13
75
-
07743
07745
07747
07749
Sonstige Postleitzahlen
32
25
17
18
9
31
19
31
6
13
Alter in Jahren Mittelwert
(Min. – Max.)
40,2
(19 – 71)
43,2
(24 – 59)
Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16.
Bei den sonstigen Postleitzahlen handelt es sich in der Regel um an Jena angrenzende
Gemeinden. Diese Fälle wurden bewusst nicht aus der Auswertung ausgeschlossen, da diese
Personen durch Herkunft, Familie, Beruf und Freizeit mit hoher Wahrscheinlichkeit einen
starken Bezug zur Stadt Jena aufweisen.
59
Parteipräferenz der Befragten aus der quantitativen Befragung
Tabelle A2: Parteipräferenz. Mehrfachantworten möglich. Nennungen in Spaltenprozent.
Bürgerbefragung
Befragung
Onlineforum
Ergebnis
Kommunalwahl
2009
CDU
14
13
19,0
SPD
28
13
25,2
FDP
6
6
11,0
Bündnis 90/ Die
Grünen
29
25
10,1
Die Linke
17
25
20,2
Bürger für Jena
8
13
10,2
Freie Wähler
Thüringen
e. V.
2
-
2,4
Die Guten
5
6
1,8
Sonstige
9
31
-
Ich würde mich
nicht an der
Kommunalwahl
beteiligen
5
-
-
Möchte ich nicht
angeben
9
13
-
Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16.
Aufgrund des Thüringischen Kommunalwahlrechts, das Kumulieren und Panaschieren, also das
Anhäufen und Verteilen mehrerer Stimmen auf verschiedene Parteien bzw. Kandidaten, erlaubt,
wurde danach gefragt, welche Partei(en) man bei der nächsten Kommunalwahl wählen würde.
Es zeigt sich jedoch in beiden Datensätze eine Dominanz von eher linksorientierten Parteien
(SPD; Grüne, die Linke).
60
Offene Antworten der Ratsmitglieder
Tabelle A3: Probleme der Bürgerbeteiligung am Haushalt. Offene Antworten.
Die Bürger, die Vorschläge einbringen, kennen zum Teil nicht den gesamten Haushalt.
Haushalte sind Kompromisse bzw. der Haushaltsschluss erfordert Zwänge und komplexe
Interaktionen, die durch eine Befragung nicht abgebildet werden können.
Das größte Problem sehe ich darin, dass die Ergebnisse des Bürgerhaushaltes in der
Haushaltsplanung von einigen Fraktionen negiert werden und somit nicht die entsprechende
Berücksichtigung erfahren. Schade!
Das Problem besteht bei der Befragung zum Haushalt, dass nur auf einen bestimmten Bereich der
Stadt ( Kita - Kultur usw. ) die Befragung erfolgt, ohne die anderen Probleme bzw. Zusammenhänge im
Haushalt der Stadt darzustellen. Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist in der eigenen
Entscheidung zum Haushalt eine Hilfe, kann einem die eigenen Entscheidung der Abwägung zum
Gesamthaushalt in der Haushaltsdiskussion dem Stadtratsmitglied nicht abnehmen.
Die Bürger sind nicht an der Haushaltsplanung beteiligt, da ihnen Fragen vorgelegt werden, die nicht
vom Bürger kommen und die Ergebnisse nicht eindeutig auswertbar sind und somit auch für den
Stadtrat viel Interpretation zulassen.
Die Auswahl der Themen entspricht nicht immer den aktuellen Fragestellungen im Rahmen der
Haushaltsdiskussion. Die Fragen des Umfragebogens sind oft tendenziell.
An den konkreten Diskussionen sind nur relativ wenige Bürger/innen beteiligt, so dass nicht wirklich
von einem Bürgerhaushalt gesprochen werden kann. Öffentlichkeitswirksam wird er überwiegend durch
die Bürgerbefragung, die sich jeweils auf ein konkretes Thema innerhalb des Haushaltes und nicht den
Haushalt insgesamt bezieht. Der Stadtrat ist auch nicht an die Vorschläge gebunden, was bei
Ablehnung die Motivation verringert.
Der Jenaer Bürgerhaushalt entwickelte sich verwaltungsunabhängig und hatte in den ersten Jahren
direkten Einfluss auf die Haushaltspolitik des Stadtrates, das ist vorbei seit der Bürgerhaushalt direkt
dem Dezernat Finanzen zugeordnet ist. Der Bürgerhaushalt wird seither als Objekt an sich verwaltet
und hat kaum noch Öffentliche Präsenz ,ich finde es schade ,sozusagen Tod durch verwalten.
Bürgerhaushalte sollten sich lediglich auf investive Vorhaben beschränken. Bzgl. des
Verwaltungshaushaltes machen Bürgerhaushalte keinen Sinn. Ergebnisse werden nach meiner
Erfahrung dann nicht mehr umgesetzt. Bei investiven Vorhaben kann die Politik zumindest eine
Prioritätenreihung zur Kenntnis nehmen, die man in politische Entscheidungen einbeziehen kann.
Zudem sind Bürgerhaushalte mit Sach- und Personalkosten verbunden, die sich defizitäre Kommunen
langfristig nicht leisten können.
Zeitmangel: gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema erfordert verfügbare Zeitbudgets der
Bürger und die Bereitschaft, diese dann der Beschäftigung mit diesem Thema zuzuführen
mehr Kommunikation und Öffentlichkeitswerbung notwendig, mehr Bürgergespräche, z.B. mit
Seniorenvereinen, Bürgerinitiativen, Beiräten, zu wenig übersichtliche Problemdarstellungen und
Angaben durch die Stadtverwaltung, Haushaltssituation in Presse nur als persönliche Statements OB
u. Finanzdezernent sichtbar gemacht, keine Gesamtsicht bei Bürgern
Es werden teils Erwartung geweckt, die die Verwaltung nicht erfüllen will. Beteiligung wird als
Selbstzweck oder für eine Agenda, die höhere Weihen erfahren soll, genutzt.
61
Irrige Annahme mancher Teilnehmer, direkt materiell entscheiden zu können Interpretation der
Ergebnisse durch Politik / Verwaltung entlang eigener Interessen.
Ich sehe keine Probleme.
Die Fragestellung und Antwortmöglichkeiten sollten so gestaltet sein, dass ein tatsächliches Votum
erfolgen kann, Es sollten keine Wunschlisten vorliegen, Folgen von Entscheidungen sichtbarer und
Notwendigkeiten eines Haushaltes klarer formuliert werden. In der Erarbeitung der Themen und Fragen
durch die AG Bürgerhaushalt sollten weniger Parteipolitik (aktuell durch die Piraten) erfolgen, sondern
eine bessere Vertretung der Bürger erfolgen. Bürgerhaushaltspolitik sollte von ihren Akteuren nicht als
Bühne außerparlamentarische Opposition missverstanden werden und von den Stadträten nicht als
Stärkung ihrer Kompetenzen, Bürgerhaushalt kann nur in einem miteinander beider Seiten ein Erfolg
werden, Von der AG erwarte ich dabei eine stärkere Selbstreflektion und Eigenkritikfähigkeit.
Zu undifferenzierte Fragestellungen führen zu kaum verwertbaren Ergebnissen.
Mögliche Unterlaufung der Entscheidungskompetenz.
Beschränkung auf einen jährlichen Schwerpunktbereich, z.B. Kita oder Kultur. Politische Steuerung
durch den Finanzdezernenten, der Konsolidierung bzw. Einsparungen durchsetzen will, d. h.
Instrumentalisierung zur Legitimation von Einsparungen im freiwilligen Bereich bei Sozialem und Kultur.
Kreis der Befragten ist zu gering.
Anmerkung: Es ist der exakte Wortlaut aufgeführt. Auf eine Korrektur von Rechtschreibung und
Grammatik wurde verzichtet.
Offene Kommentare zum Bürgerhaushalt (Bürger)
Tabelle A4: Offene Kommentare zum Bürgerhaushalt.
Den Bürgerhaushalt nicht bloß auf bestimmte Themen reduzieren und die Ergebnisse auch
richtig in die Haushaltsplanung einfließen lassen.
Ein Bürgerhaushalt sollte dazu beitragen, sowohl die Defizite, Forderungen und Prioritäten bei
der Entwicklung des sozialen Gemeinwesens herauszustellen, ein Stadtentwicklungsplan
sollte mit entwickelt werden, Jena 2020
Vollbefragung aller Jenaer_Innen zur besseren Akzeptanz des Instruments (BH) - Offene
Fragestellungen welche die Kreativität anregen - Nicht in Detailfragen verlieren - Eventuell
Investitionstopf vorsehen der direkt durch die Bürger vergeben wird
Die Idee, über ein bestimmtes, festes Budget im Haushalt die Bürger direkt und bindend (d.H.
ohne Veränderungsmöglichkeit des Stadtrates) entscheiden zu lassen, sollte weiter
nachgedacht werden,
Fragestellungen sollen so konkret sein, dass Voten ablesbar sind, umso konkreter, desto
besser
Akteure sollten dran bleiben
Anmerkung: Es ist der exakte Wortlaut aufgeführt. Auf eine Korrektur von Rechtschreibung und
Grammatik wurde verzichtet.
62
Politischer Kontext
Um den Kontext des Jenaer Bürgerhaushalts zu verdeutlichen, sind im Folgenden die
politischen Entwicklungen seit 1999 in Form der Wahlergebnisse dargestellt.
Tabelle A5: Wahlen Stadtrat Jena (1999 – 2009).
Prozent
(1999)
Sitze
(1999)
Prozent
(2004)
Sitze
(2004)
Prozent
(2009)
Sitze
(2009)
SPD
23,1
10
19,0
9
25,2
11
Die Linke
21,4
9
24,2
11
20,2
9
CDU
24,7
10
22,9
10
19,0
9
FDP
13,4
6
9,1
4
11,0
5
Bürger für
Jena
9,6
4
12,5
6
10,2
5
Die Grünen
7,9
3
12,2
6
10,1
5
Freie
Wähler
Thüringen
-
-
-
-
2,4
1*
Die Guten
-
-
-
-
1,8
1*
Fraktionslos
-
-
-
1
-
-
Beteiligung
53,0
43,8
54,5
Oberbürgermeister
Seit 2006: Albrecht Schröter (SPD)
Tabelle A6: Beteiligung Wahl Oberbürgermeister (2000 – 2012).
Prozent
2000
2000
Stichwahl
2006
2006
Stichwahl
2012
2012
Stichwahl
40,9
32,8
42,8
32,1
46,1
33,6
63
Haushaltslage der Stadt Jena
Abbildung A1: Entwicklung der Haushaltslage der Stadt Jena (1990-2012).
Quelle: Berichtsvorlage Stadt Jena 12/1514-BE 14.03.2012, S. 4.
64
Anhang B – Befragungsinstrumente
Fragebogen Bürger (pdf-Export aus Umfragesoftware EFS Survey)
65
66
67
68
69
Fragebogen Ratsmitglieder
70
71
72
73