Evaluationsbericht Bürgerhaushalt Jena
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Evaluationsbericht Bürgerhaushalt Jena
Evaluationsbericht Bürgerhaushalt Jena Endversion Prof. Dr. Norbert Kersting Dipl.-Pol. Stefan Busse Dipl.-Sozialwiss. Sebastian H. Schneider Münster und Halle (Saale), im April 2013 Kontaktdaten Prof. Dr. Norbert Kersting Lehrstuhl für Kommunal- und Regionalpolitik Institut für Politikwissenschaft Westfälische Wilhelms-Universität Münster Scharnhorststr. 100, 48151 Münster Tel.: +49 251 83-25399 Mail: [email protected] Inhaltsverzeichnis Kurz-Zusammenfassung ............................................................................................................................ 1 Einleitung: Bürgerhaushalte in Deutschland ........................................................................................... 3 1. Evaluation des Bürgerhaushalts Jena .................................................................................................. 5 1.1 Evaluationskriterien ............................................................................................................................. 5 1.2 Erhebungsmethoden und Form der Auswertung ................................................................................ 7 1.3 Verfahrensdarstellung ......................................................................................................................... 9 1.4 Rechtlicher Rahmen.......................................................................................................................... 10 1.5 Ziele des Bürgerhaushalts Jena ....................................................................................................... 12 1.6 Leitfragen der Evaluation .................................................................................................................. 13 1.7 Themen ............................................................................................................................................. 14 1.8 Themenbezogenes Beteiligungsinteresse und Beteiligungsbedarf .................................................. 15 1.9 Mobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit ............................................................................................. 20 2. Beteiligungsangebote und Nutzung ................................................................................................... 22 2.1 Postalische Befragung und Internetbefragung ................................................................................. 22 2.2 Vor-Ort-Veranstaltungen ................................................................................................................... 30 2.3 Zusätzliche digitale Kommunikations- und Beteiligungsangebote .................................................... 32 2.4 Bekanntheit, (Nicht-)Beteiligung und Beteiligungsabsicht ................................................................ 34 3. Beteiligungsergebnisse, Wirkungen und Rechenschaft .................................................................. 36 3.1 Beteiligungsergebnisse ..................................................................................................................... 36 3.2 Wirkung des Verfahrens auf die kommunale Haushaltspolitik.......................................................... 38 3.3 Rechenschaftslegung........................................................................................................................ 39 4. Allgemeine Einschätzung des Verfahrens und möglicher Optionen der Weiterentwicklung ....... 40 4.1 Allgemeine Einschätzung .................................................................................................................. 40 4.2 Bewertung möglicher Veränderungen am Verfahren ....................................................................... 47 5. Fazit ........................................................................................................................................................ 49 6. Perspektiven und Handlungsempfehlungen ...................................................................................... 51 6.1 Allgemeine Handlungsempfehlungen ............................................................................................... 51 6.2 Weiterentwicklungsoptionen für das aktuelle Verfahren ................................................................... 52 6.3 Mögliche Verfahrensänderungen ...................................................................................................... 53 6.4 Festigung einer kommunalen Beteiligungskultur .............................................................................. 55 Literatur ...................................................................................................................................................... 57 Anhang ....................................................................................................................................................... 59 Kurz-Zusammenfassung Neue Beteiligungsinstrumente werden derzeit in vielen deutschen Kommunen eingerichtet. Besonders populär sind Bürgerhaushalte, die in mehr als 100 Städten und Gemeinden genutzt werden und überwiegend als elektronisches Vorschlagswesen mit Priorisierungsfunktion eingesetzt werden. Jena greift dagegen in seinem Bürgerhaushalt auf den Typ „Bürgerumfrage“ zurück. Dabei kann dem Verfahren eine hohe Qualität und Transparenz attestiert werden. Die Evaluation hat das Bürgerbeteiligungsverfahren im Hinblick auf seine Qualität anhand von drei Leitfragen untersucht: 1. Wie intensiv werden die Bürger im Bürgerbeteiligungsverfahren an der lokalen Haushaltspolitik beteiligt? (Beteiligung als Konsultation) Die Beteiligungshöhe und -struktur ist für deutsche Bürgerhaushalte typisch, allerdings fließen die Präferenzen der Jenaer Bürger, die über die konsultative Beteiligung gewonnen wurden, kaum in die Haushaltspolitik ein: ● ● ● ● 2. Positiv hervorzuheben ist die Verwendung einer Zufallsstichprobe, die die üblichen Probleme der sozialen Selektivität bei der Beteiligung an Bürgerhaushalten eindämmt Aufgrund der Fokussierung auf eine Umfrage mit wenigen Fragen können die teilnehmenden Bürger ihre eigenen Präferenzen nur in eingeschränktem Maße äußern Die Teilnehmer können kaum eigene Ideen und Vorschläge einfließen lassen Seit 2010 zeigen die Beteiligungsergebnisse eher Tendenzen anstatt klare Handlungsempfehlungen auf und führen nicht zwingend zu Entscheidungen des Stadtrats Werden die Bürger angemessen über die städtische Haushaltspolitik sowie über das Verfahren und seine Wirkung informiert? (Information und Rechenschaftslegung) Das Verfahren gewährleistet eine zugleich umfangreiche und angemessene Information der Bürger. Während das Verfahren an sich besonders transparent ist, bestehen Probleme mit der Rechenschaftslegung über die Wirkung der Ergebnisse: ● ● ● ● Durch die recht große Zufallsstichprobe wurden die meisten Bürger Jenas über die Beteiligungsmöglichkeit informiert Die Broschüre ist überwiegend klar strukturiert und die Präsentation der Inhalte besitzt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen notwendiger Information und überschaubarer Aufbereitung Das Verfahren, seine Ergebnisse und das Handeln der Beteiligten werden äußerst transparent aufbereitet Ohne eine Übertragung der Ergebnisse in Vorlagen der Verwaltung oder der Fraktionen kann nur schwer eine Rechenschaftslegung erfolgen 1 Das Verfahren ist insbesondere im Hinblick auf die Qualität der politischen Information und trotz einer eher begrenzten Beteiligung der Bürger am politischen Geschehen als effektiv und effizient zu bezeichnen. Mit seiner finanziellen Ausstattung ist es im Vergleich zu anderen Bürgerhaushalten nicht als überfinanziert zu betrachten. Der Bürgerhaushalt der Stadt Jena stellt ein gelungenes Instrument dar, um der Bürgerschaft themenbezogen Informationen bereitzustellen und Stimmungsbilder zu erheben. 3. Wie kann das Bürgerbeteiligungsverfahren verbessert werden? In Jena sollte ein öffentlicher Diskurs über Bürgerbeteiligung im Allgemeinen und den Bürgerhaushalt im Speziellen eröffnet werden. Dies könnte durch einen extern moderierten Prozess wie z.B. eine “Zukunftswerkstatt” unterstützt werden. Dabei ergeben sich aus Sicht der Autoren zwei grundsätzliche Möglichkeiten der weiteren Entwicklung: Beibehaltung und Verbesserung des Verfahrens „Bürgerumfrage“ ● ● ● ● ● ● ● ● Die Limitationen der Verfahrens sollten akzeptiert und der Informationscharakter des Verfahrens und seiner Ergebnisse betont werden Das Verfahren sollte prominent auf der Internetseite der Stadt Jena beworben und leichter aufzufinden sein Um eine stärkere Mobilisierung für die Bürgerversammlung und das Verfahren zu erreichen, sollte über Anreize wie Gutscheine oder gemeinnützige Preise (“Soziallotterie”) nachgedacht werden Eine Erhöhung der Anzahl von Broschüren könnte den Mobilisierungseffekt verstärken, würde aber das Ergebnis der Beteiligung kaum beeinflussen, so dass der Kostenzuwachs abgewogen werden muss Die Abstimmungsergebnisse aus unterschiedlichen Erhebungsformen (postalisch, online) sollten weiterhin separat ausgewertet werden Durch eine Straffung des Verfahrens könnten die Ergebnisse der Beteiligung früher vorliegen und dadurch länger in der kommunalen Politik diskutiert werden Der Umgang mit den Beteiligungsergebnissen sollte gemeinsam überfraktionell geregelt werden Es sollte komplementär versucht werden, den Haushalt auch für Laien verständlich darzustellen, z. B. durch Informationen zum Haushaltsplan oder in Form eines “Offenen Haushalts” Weiterentwicklung in ein detailliertes Vorschlagswesen Vorschläge sollten klar zuordenbare Sachfragen anstatt grober Tendenzaussagen ermöglichen. Dies kann das bisherige Problem der Rechenschaft abschwächen, würde aber nicht zwangsläufig zu mehr Beteiligung führen Die Vorschläge sollten von den Teilnehmern bewertet werden, sei es durch eine Skala (pro, contra, neutral) oder durch die Vergabe von Stimmen (bspw. drei oder fünf) Bei der Sammlung von Vorschlägen und der Bewertung könnten Stadtteile einbezogen werden, ggf. auch mit einem eigenen Budget für den Bürgerhaushalt Die Umfrage kann als repräsentatives Element beibehalten werden, während der Online-Dialog gestärkt werden sollte 2 Einleitung: Bürgerhaushalte in Deutschland Die Zahl der deutschen Kommunen mit Bürgerhaushalten hat in den letzten zwei Jahren rasant zugenommen. Dabei werden Bürgerhaushalte oft zu Unrecht als „Wünsch Dir was-Listen“ verunglimpft. Bürgerhaushalte in Deutschland sind in der Mehrzahl ein elektronisches Vorschlagswesen. 1 Diese werden sich in der kommenden Dekade neben elektronischen Kummerkästen in allen Kommunen etablieren. Kommunale Bürgerumfragen werden in den größeren Kommunen hinzukommen. Alle drei Beteiligungsformen sind nicht nur wichtige Instrumente privater sondern auch öffentlicher Unternehmen.2 Alle drei Elemente haben noch deutliches Verbesserungspotential. Bürgerhaushalte haben in den letzten Jahren in Deutschland einen enormen Aufschwung erhalten. Sie waren bereits in den 1980er Jahren zum einen in Lateinamerika, insbesondere in Brasilien und Peru, und zum anderem in Christchurch in Neuseeland initiiert worden. In Lateinamerika haben sie insbesondere die Funktion der Umverteilung und des Aufbaus sozialen Kapitals über die Entwicklung sozialer Projekte in den Armensiedlungen.3 In Neuseeland waren die Bürgerhaushalte ein Instrumente der Bürgerorientierung im Rahmen der Verwaltungsreform. Den Instrumenten aus dem globalen Süden gelang der Transfer nach Europa. In Europa setzten insbesondere Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien diese Bürgerhaushalte um. Diese Länder folgen eher der lateinamerikanischen Variante und bildeten Planungsinstrumente und Nachbarschaftsorganisationen mit eigenem Haushalt.4 Seit 2005 ist der Trend auch in Deutschland angekommen. Deutsche Kommunen folgen eher der Variante aus Neuseeland. Hier wird die New Public Management-Variante installiert. Nachdem mit den lokalen Agendaprozessen seit den 1990er Jahren lokale politische Beteiligung unter vielfältigen Labels revitalisiert wurde, setzte sich der Begriff „Bürgerhaushalt“ für unterschiedliche Beteiligungsinstrumente durch, die budgetrelevant waren. 2006 wurden etwa ein Dutzend Bürgerhaushalte registriert. Bis 2010 fanden nur etwa 30 Bürgerhaushalte statt. 2011 werden bereits über 50 Kommunen gezählt und Ende 2012 geht man von etwa 100 Bürgerhaushalten aus. Weitere Kommunen planen die Implementation. Allen Bürgerhaushalten ist gleich, dass sie Ideen sammeln, die in Haushaltberatungen hineinfließen. Sie beziehen sich auf den Gesamthaushalt oder Haushaltsbereiche. Dabei unterscheiden sie sich in die vier Typen Haushaltsrechner (z.B. in Hamburg, Leipzig), BudgetUmfragen (Jena), Stadtteilfonds (Lichtenberg) und haushaltsbezogenes Vorschlagswesen (z.B. Münster). Letzterer wird in der Mehrzahl der Kommunen eingesetzt. Über 4/5 aller deutscher Bürgerhaushalte sind ein elektronisches Vorschlagswesen. Bürgerhaushalte als haushaltsbezogenes Vorschlagswesen besitzen eine Informations- und Konsultationsphase (Sammelphase), eine Bewertungsphase und eine Rechenschaftsphase. Dieser Bürgerhaushaltstypus ist ein modernes elektronisches Vorschlagswesen, das postalische schriftliche Befragungen einsetzt, sporadisch Bürgerforen organisiert, aber vor allem Vorschläge über das Internet sammelt. In der Bewertungs- bzw. Priorisierungsphase erlauben 1 Vgl. Kersting 2012 Vgl. Kersting 2008 3 Vgl. Kersting et al. 2009 4 Vgl. Kersting & Woyke 2012 2 3 diese Bürgerhaushalte, dass die Haushaltsvorschläge über online- oder offline-Abstimmungen grob priorisiert werden, um so das Meinungsbild in der Bevölkerung zu erfassen und eine selektive Auswahl durch die Politik und Verwaltung zu verhindern. Eine Manipulation durch bestimmte Interessengruppen insbesondere in der Bewertungsphase wird schnell offensichtlich und wird im späteren Diskurs durch Rat oder Verwaltung korrigiert. Dennoch sollte eine hohe Verfahrenstransparenz im Vordergrund stehen und eine externe Evaluation erfolgen. Bislang erfolgt in der Regel keine Evaluation der Instrumente. So werden zum einen die Beteiligungsinstrumente weitergeführt ohne aus Fehlern oder von anderen Kommunen zu lernen. Zum anderen werden Instrumente eingestellt. Die externe Evaluation ermöglicht die Fehleranalyse, generiert aber auch Verbesserungsvorschläge und sorgt so für die erfolgreiche Umsetzung der Beteiligungsprojekte. Zumeist zeigt sich eine eher positive Resonanz in der Verwaltung gegenüber den oft sehr pragmatischen, detaillierten Vorschlägen der Bürger. Letztendlich bleibt das letztendliche Budgetrecht beim Rat. Dennoch ist die Kritik am Instrument in den Reihen der Ratsmitglieder oft am stärksten. Bei der Mehrzahl der deutschen Bürgerhaushalte handelt es sich vornehmlich um ein elektronisches Vorschlagswesen. In vielen Städten wird das Instrument aufgrund der Haushaltskrise nur noch als Sparhaushalt installiert. D.h., es werden häufig nur noch Sparvorschläge berücksichtigt. Deliberation, also die Diskussion einzelner Vorschläge zwischen den Bürgern, aber auch mit Vertretern aus Politik und Verwaltung, ist dabei unterschiedlich ausgeprägt. Während Oldenburg erst bei der dritten Durchführung eines Bürgerhaushalts Möglichkeiten zur Diskussion der Vorschläge anbot, haben Solingen, Essen und Köln dies schon wesentlich früher realisiert. In einigen Kommunen wird versucht auf Stadtteilebene Präsenzveranstaltungen zu organisieren (Münster, Potsdam). Die Gesamtbeteiligung ist unterschiedlich. Lünen konnte im Januar 2012 beispielsweise lediglich 125 von 87.500 Einwohnern (0,1 Prozent) mobilisieren, während Potsdam 8.750 von 156.900 (5,6 Prozent) und Berlin-Lichtenberg 10.490 von 263.400 Einwohnern (4,0 Prozent) zur Beteiligung bewegen konnten. 5 Als besonders schwierig werden Präsenzveranstaltungen (Bürgerforen, Auftaktveranstaltungen) angesehen, zu denen meist nur wenige Bürger erscheinen. Allerdings stießen Präsenzveranstaltungen beispielsweise in Berlin-Lichtenberg auf die größte Resonanz, während Internet- und postalische Befragung nur eine Nebenrolle spielen. Grundsätzlich zeigt sich eine deutliche Verzerrung hinsichtlich der hochgebildeten Beteiligten und Älteren. Jüngere engagieren sich eher im Internet. Unsere Städte sind zunehmend durch demographischen Wandel (graue Gesellschaft, multikulturelle Gesellschaft) und sozialen Wandel (Individualisierung, Mangel sozialen Kapital) und soziale Ungleichheit (Armut) geprägt. Lokale Politik ist mit sinkender Wahlbeteiligung und Protest konfrontiert und reagiert mit neuen politischen Beteiligungschancen. In Zukunft wird für die Kommunen die Wiederbelebung von lokalen Gemeinschaften im Vordergrund stehen. Nur hierüber werden negative Effekte sozialer, kultureller und ökonomischer Ungleichheiten abgemildert werden. Nur hierüber können zentrale Zukunftsaufgaben wie z.B. die Altenversorgung, Integration im Rahmen eines Diversity Management nachhaltig gelöst werden. Deshalb sind - neben der Online-Partizipation - auch Präsenzveranstaltungen zur Etablierung von Gemeinschaften in Stadtteilen und in den Nachbarschaften nötig. Neben dem 5 Daten entnommen aus Schneider 2012 4 elektronischen Vorschlagswesen mit wichtiger Agenda Setting-Funktion müssen Beteiligungsinstrumente zur Stadtteilorganisation wiederbelebt, entwickelt und in den Gemeindeordnungen verankert werden. Die Zukunft der Kommunikation zwischen Bürger, Politiker und Verwaltung liegt zum Teil im Internet, aber nicht nur dort. Online Partizipation ist auf die lange Sicht kostengünstig und zeigt schnelle Erfolge. Offline Beteiligung ist schwerer zu realisieren, aber erfolgreicher beim Aufbau von Sozialkapital. Die Kunst liegt in der Kombination beider Strategien. Viele Kommunen haben die Potentiale der Online- wie Offline-Beteiligung noch nicht entdeckt. 1. Evaluation des Bürgerhaushalts Jena Durch den Beschluss des Stadtrats vom 17.01.2012 soll der Jenaer Bürgerhaushalt einer intensiven Evaluation unterzogen und entsprechende Handlungsempfehlungen gegeben werden.6 “Das spezifische Verfahren, die Methode und die ausgewählten Themen sollen durch externe fachliche Evaluierung überprüft und fortentwickelt werden.”7 Dabei stehen sowohl technisch-praktische als auch demokratische bzw. politikwissenschaftliche Aspekte des Beteiligungsverfahrens und seiner verschiedenen Bestandteile im Fokus. Anhand einschlägiger Kriterien aus der politikwissenschaftlichen Forschung zu demokratischen Innovationen und mittels Methoden der qualitativen und quantitativen empirischen Sozialforschung werden diese Aspekte analysiert. Nachdem einleitend Kriterien der Evaluation vorgestellt werden, führen diese in Verbindung zu den Fragestellungen der Evaluation. 1.1 Evaluationskriterien Welche Kriterien sollten nun herangezogen werden, um ein solches Verfahren zu bewerten? Zunächst muss sich die Evaluation eines Prozesses an dessen Zielen orientieren. Hier treffen zwei verschiedene Zieldimensionen aufeinander. Zum einen die Ziele, die der Jenaer Bürgerhaushalt für sich definiert hat. Zum anderen die Ziele und Möglichkeiten, die im Allgemeinen mit einem solchen Verfahren verknüpft werden. Letztere resultieren primär aus den drei Elementen des “deutschen” Modells des Bürgerhaushalts, wie es im Verlauf des letzten Jahrzehnts in Deutschland Verbreitung gefunden hat: Information, Konsultation und Rechenschaft. 8 Der Rückgriff auf diese Kategorien sichert auch die Vergleichbarkeit mit weiteren deutschen Bürgerhaushalten ab. Auch bieten sie einen Anknüpfungspunkt zu der etablierten Typologie von Sintomer et al., die Bürgerhaushalte u.a. über das Vorhandensein einer eigenständigen öffentlichen Diskussion zu finanziellen Angelegenheiten versteht, über 6 Aus Gründen der Lesbarkeit werden nachfolgend männliche Personenbezeichnungen verwendet, wobei weibliche jeweils einbegriffen sind. 7 Beschlussvorlage Nr. 11/1387-BV, S. 1 8 Vgl. Holtkamp 2008 5 deren Ergebnisse eine Rechenschaftslegung erfolgt. 9 Diese Kriterien erscheinen im ersten Konzeptpapier zum Jenaer Bürgerhaushalt ebenfalls.10 An die genannten Eigenschaften und Zieldimensionen können wiederum demokratietheoretische Kriterien angelegt werden, an welchen sich neue Beteiligungsverfahren wie Bürgerhaushalte messen lassen müssen. In Anlehnung an Kersting 11 kann man hier unterscheiden: ● ● ● ● Offenheit und Repräsentativität Rationalität und Transparenz Machtkontrolle Effektivität / Effizienz Die erste Kategorie zielt dabei auf den Zugang zum konsultativen Prozess des Beteiligungsverfahrens ab. Komplette Offenheit führt häufig dazu, dass sich nur eine bestimmte, politisch sehr aktive Gruppe von Bürgern beteiligt. Kommen hingegen repräsentative Zufallsoder Quotenstichproben zum Einsatz, kann dieses Problem zwar gelöst werden, anderseits könnten sich die Nichtbeteiligten (auch in Form von Organisationen und Interessengruppen) ausgeschlossen fühlen. Dieses Dilemma lässt sich nicht gänzlich lösen. Für die Evaluation des Jenaer Bürgerhaushalts bedeutet dies, dass vor allem zu prüfen ist, inwieweit die Beteiligung an den Abstimmungen soziodemographisch repräsentativ ist. Die zweite Kategorie beinhaltet kompetente, ausgewogene Argumentation zwischen den beteiligten Bürgern und die Durchschaubarkeit des Verfahrensablaufs auf Basis ausreichender Information. Für die Bewertung des Jenaer Bürgerhaushalt dürfte letzteres von größerer Relevanz sein, da das Verfahren kaum deliberativ gestaltet ist, d. h., es legt seinen Schwerpunkt nicht auf das Diskutieren von Haushaltsvorschlägen, sondern zielt eher auf eine quantitative Abfrage von Präferenzen der Bürger ab. Zu prüfen ist, wie gut es dem aktuellen Instrument gelingt, dies zu bewerkstelligen. Die dritte Kategorie bezieht sich darauf, inwieweit die Politik die Vorschläge bzw. die Beteiligungsergebnisse aus dem Verfahren aufgreift. In dieser Hinsicht wird zu klären sein, welchen Einfluss die bisherigen Beteiligungsverfahren und -ergebnisse auf die Haushaltspolitik hatten und inwieweit der Aspekt der Rechenschaftslegung im Verfahren des Jenaer Bürgerhaushalts verwirklicht wird. Mit den Kriterien der vierten Kategorie wird schließlich danach gefragt, inwieweit die bisher genannten Ziele erreicht werden und ob der Aufwand der dafür aufgebrachten Ressourcen den erzielten Nutzen rechtfertigt. Der Untersuchungszeitraum bezieht sich insbesondere auf die Beteiligungsverfahren der Jahre 2008 bis 2011, da im Jahr 2007 noch keine inhaltliche Befragung im eigentlichen Sinn stattfand und das Verfahren des Jahres 2012 bei Erhebungsbeginn noch nicht vollständig abgeschlossen war, wodurch eine Bewertung der Wirkung hier unvollständig bleiben muss. 9 Vgl. Sintomer et al. 2010, S. 42f. Vgl. Konzeptpapier Bürgerhaushalt Jena 2006, S. 2 11 Vgl. Kersting 2008, S.283-286 10 6 Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass die “Messung” der zuvor benannten Kriterien keineswegs einfach ist. Häufig müssen deshalb mehrere “weiche”, qualitative Indikatoren herangezogen werden. Diese bieten einen größeren Spielraum für Interpretation als scheinbar “harte” quantitative Indikatoren. Zudem muss an dieser Stelle bereits festgestellt werden, dass diese Evaluation keine mechanischen Stellschrauben zur Anregung von Bürgerbeteiligung in Haushaltsfragen aufdecken kann.12 Das primäre Ziel dieser Evaluation soll daher darin liegen, die Diskussion um die Zukunft des Jenaer Bürgerhaushalts durch eine externe Bewertung des Verfahrens anzureichern. Diese wird durch Handlungsempfehlungen ergänzt, die weniger den definitiven Charakter unvermeidbarer Notwendigkeit als vielmehr den inspirierenden Charakter einer ergebnisoffenen Politikberatung besitzen sollen. 1.2 Erhebungsmethoden und Form der Auswertung Für die Datenerhebung, Auswertung und Interpretation im Rahmen der Evaluation wurden sowohl qualitative als auch quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung eingesetzt. Qualitative Methoden kamen in Form von Dokumentenanalysen sowie leitfadengestützten Experteninterviews und deren Auswertung zum Tragen. Als Dokumente wurden u.a. Publikationen des Bürgerhaushaltsverfahrens selbst und Protokolle kommunaler Gremien herangezogen die unter Gesichtspunkten der oben genannten Evaluationsziele Rückschlüsse auf das Verfahren und seine Wirkung ermöglichen. Die leitfadengestützten Experteninterviews dienten zum einen dazu, vorhandene Daten zu ergänzen und zum anderen anschauliche Einschätzungen beteiligter Akteure zu gewinnen. Zum anderen dienten sie dazu, die quantitative Datenerhebung vorzubereiten. Als Interviewpartner wurden Akteure der Verwaltung, der Politik, der AG Bürgerhaushalt sowie der FH Jena befragt. Deren Einschätzungen wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet und flossen in der Folge anonymisiert in den Bericht ein. Die Auswahl der befragten Experten 13 erfolgte aufgrund ihrer Rolle im Prozess des Bürgerhaushalts. Die Interviews wurden größtenteils im November und Dezember des Jahres 2012 durchgeführt. Grundlegend bezogen sich die Inhalte der halboffenen Befragung auf drei verbundene Grundthemen: die Ziele des Verfahrens, Eigenheiten des Beteiligungsverfahrens und seine Wirkung sowie die Zukunft des Verfahrens inklusive möglicher Entwicklungsszenarien. Der quantitative Teil der Erhebung richtete sich darauf, die Einschätzung des Verfahrens durch die beiden wichtigsten beteiligten Gruppen zu erheben. Dies sind auf der einen Seite die Bürger, an die sich der Bürgerhaushalt als Beteiligungsmöglichkeit richtet und auf der anderen Seite die Stadträte, denen das Votum der Bürger als Entscheidungsgrundlage dienen soll. Nur wenn der Bürgerhaushalt von diesen beiden Gruppen angenommen wird, kann er auch gelingen.14 12 Vgl. Streeck 2009 Als “Experten” werden hier alle Personen verstanden, die über spezielles Wissen über den untersuchten Gegenstand verfügen. Dies können auch Personen sein, die man im alltäglichen Sprachgebrauch nicht als “Experten” bezeichnen würde. 14 Sämtliche Fragebögen sind im Anhang dieses Berichts dokumentiert. Dort können Frageformulierungen und Antwortskalierungen entnommen werden. 13 7 Mit Blick auf die Bürger waren nicht nur die Einschätzung des Verfahrens, sondern darüber hinaus auch ihre Bewertung der Politik in Jena, der Informationsstand und –bedarf der Bürger sowie ihre Beteiligungsmotivation von Interesse. Aus diesem Grund wurden vom 14. Januar bis 14. Februar 2013 drei separate Befragungen mit identischem Fragewortlaut durchgeführt: Eine Befragung der im Onlineforum zum Jenaer Bürgerhaushalt registrierten Personen (online), eine Befragung der Bürger über die Webseite der Stadtverwaltung Jena (online) und eine Befragung der Besucher des Jenaer Bürgeramts (Papierfragebogen). Der Rücklauf bei der Befragung im Bürgeramt war allerdings zu gering, weshalb die Daten für weitere Analysen nicht herangezogen werden können.15 Hier muss jedoch auf die methodischen Einschränkungen der Onlineerhebung eingegangen werden. Bei der Befragung war es mangels einer Liste mit Mailadressen aller Bürger nicht möglich, den Befragten Zugangscodes oder individualisierte Weblinks zur Befragung zukommen zu lassen. Die Speicherung von IP Adressen ist aufgrund rechtlicher Regelungen nicht zulässig, Cookies (Informationen über den erfolgten Besuch einer Webseite) lassen sich im Web-Browser deaktivieren bzw. löschen. Aus diesem Grund kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Befragung durch Mehrfachteilnahmen manipuliert wurde. Die Ergebnisse sind deshalb mit Vorsicht zu interpretieren. Die Analysestrategie liegt auf uni- und bivariaten Auswertungen. Auf komplexe multivariate Analysen wird aus Gründen der Verständlichkeit und Lesbarkeit hingegen verzichtet. Es werden nur vollständig ausgefüllte Fragebögen ausgewertet. Für die offene Befragung liegen 179 gültige Fälle vor, für die Befragung im Onlineforum 16. Da im Onlineforum 46 Personen registriert sind (Stand 1. April 2013) kann in diesem Fall eine Ausschöpfungsquote errechnet werden, die bei rund 35 Prozent und in einem üblichen Rahmen für Onlinebefragungen liegt. Zur Erfassung der Einstellung der Ratsmitglieder der Stadt Jena zum Bürgerhaushalt wurden im Januar 2013 alle Ratsmitglieder per auf der Webseite der Stadt Jena angegebenen E-MailAdresse zu einer Onlinebefragung eingeladen. Nach zwei Wochen wurde eine Erinnerungsnachricht verschickt. Die E-Mails enthielten einen Zugangscode, sodass die Teilnahme nur der angeschriebenen Person möglich war und Mehrfachteilnahmen ausgeschlossen werden können. Von 46 angeschriebenen Ratsmitgliedern beteiligten sich 19, was eine Beteiligungsquote von etwa 41 Prozent ergibt. Dies kann im Vergleich mit ähnlich angelegten Befragungen als ein guter Wert angesehen werden.16 15 Mit Blick auf die Aussagekraft der Ergebnisse wäre es wünschenswert gewesen, eine repräsentativere Form der Befragung durchzuführen. Hier wären zwei Optionen denkbar, die für den Fall einer zukünftigen Evaluation in Betracht zu ziehen sind: 1) Die Befragung einer repräsentativen, aus dem Melderegister gezogenen Stichprobe von Bürgern. Eine solche Befragung könnte u.a. detaillierter darüber Aufschluss geben, wie bekannt der Bürgerhaushalt in der Stadt Jena ist. 2) Eine verfahrensbegleitende Befragung, bei der den verschickten Broschüren des Bürgerhaushalts ein Fragebogen beigelegt wird, der ggf. separat zurückgesendet werden kann. Hier kann man, bei signifikanter Kostenreduktiongegenüber Variante 1, u.a. Feedback darüber erhalten, wie Teilnehmer des Bürgerhaushalts das Verfahren bewerten. 16 Vgl. z. B. Egner et al. 2013, S. 176-177 8 1.3 Verfahrensdarstellung Der Bürgerhaushalt der Stadt Jena soll „Jenaer Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, bei der Erstellung des städtischen Haushaltes und damit bei der Verteilung der öffentlichen Mittel stärker als bisher mitzuwirken. Überdies soll der Bürgerhaushalt den Politikern bei ihren Entscheidungen über die städtischen Finanzen eine deutliche Orientierung geben“. Dies beinhaltet auch verstärkte Informationsarbeit zur kommunalen Haushaltslage und –politik und ein verbesserte Kommunikation zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft. Das Beteiligungsverfahren gestaltet sich dabei recht einfach. Jedes Jahr wird ein bestimmtes Thema (z. B. Investitionen oder Kultur) vorgegeben, zu dem im Anschluss die Bürgerinnen und Bürger befragt werden. Dabei wird ein Methodenmix eingesetzt, der im Jahr 2012 aus einer postalischen Befragung (Zufallsstichprobe n = 15.000; rund ein Monat Beantwortungszeit), Ausgabe von Fragebögen zum Selbstausfüllen in öffentlichen Einrichtungen und Institutionen (z. B. Tourismus-Information, Bürgerbüro) sowie der Möglichkeit zur Abstimmung per Internet bestand. Die Ergebnisse der Befragung werden dem Stadtrat im Anschluss vorgelegt. Das Budget für den Bürgerhaushalt sieht rund 25.000 € Sachmittel sowie eine ganze Personalstelle vor. Darüber hinaus existiert ein Onlinediskussionsforum, in dem über den Bürgerhaushalt und die kommunale Haushaltspolitik diskutiert werden kann. Zudem werden in diesem Forum aktuelle Informationen und Dokumente (z. B. Protokolle aus Stadtrat und Fachausschüssen, Ergebnisse der Abstimmungen usw.) aus den städtischen Gremien und zum Bürgerhaushalt veröffentlicht. Die Organisation obliegt in Jena einer Gruppe engagierter Bürgerinnen und Bürger (Arbeitsgruppe Bürgerhaushalt – AG BHH), die sich in Koordination mit der Verwaltung, vor allem über den bei der Stadt eingestellten Koordinator des Bürgerhaushalts, u.a. mit der Auswahl des jährlichen Themas (hier in Abstimmung mit dem Finanzausschuss), der Gestaltung der Broschüre, der Öffentlichkeitsarbeit und der Zusammenfassung der Ergebnisse befassen. Die AG BHH tagt in der Regel einmal pro Monat, wobei die Beteiligung an dieser Arbeitsgruppe allen Bürgerinnen und Bürger möglich ist bzw. auch explizit dazu aufgefordert wird. Um Missbrauch und Manipulation der Abstimmung vorzubeugen, sind im Verfahren Sicherheitsmechanismen vorhanden. So ist jeder Abstimmungsbogen mit einer fortlaufenden Nummer versehen. Bei der Onlineabstimmung ist eine gültige E-Mail-Adresse anzugeben, wobei Doppelanmeldungen u. ä. überprüft werden. Es erfolgt eine separate externe Auswertung nach Erhebungsmodus durch die Fachhochschule Jena. Zusätzlich wird bei der Auswertung der Abstimmungsfragebögen eine Analyse auf Unterschiede in Subgruppen (Altersgruppen, Geschlecht, Postleitzahlbezirke) durchgeführt. 9 1.4 Rechtlicher Rahmen Bürgerhaushalte zielen im Allgemeinen darauf ab, die Bürger an der Aufstellung des kommunalen Haushalts bzw. an der Gestaltung haushaltsrelevanter Leistungen der Kommune zu beteiligen. 17 Im Gegensatz zu Beteiligungsverfahren wie Einwohneranträgen 18 oder Bürgerbegehren und Bürgerentscheid 19 sind sie nicht formal geregelt. Bürgerhaushalte ersetzen weder den kommunalen Haushaltsplan, noch verändern sie grundlegend das Verfahren der Haushaltsaufstellung in den Kommunen. Solange dem Gemeinderat sein Letztentscheidungsrecht nicht entzogen wird, und die Beteiligung rein konsultativen Charakter besitzt, wird eine erweiterte Beteiligung allerdings auch nicht ausgeschlossen. Damit sind Bürgerhaushalte in ihrer derzeit in Deutschland praktizierten Form (Information, Konsultation, Rechenschaft) auch für Thüringer Kommunen rechtlich nicht zu beanstanden. Inwieweit die Ratsmitglieder der Stadt Jena ihren Entscheidungen die im Kontext des Bürgerhaushaltes entstandenen Vorschläge der Bürger zugrunde legen, bleibt ihnen überlassen. Sie sind nicht an Weisungen gebunden und lediglich dem Gesetz und ihren gemeinwohlbezogenen Überzeugungen verpflichtet. 20 Der konsultative Charakter des Verfahrens bietet jedoch die Gelegenheit, die Ratsmitglieder in Ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen und somit die repräsentative Demokratie zu stärken - gerade im elementaren Bereich der Finanzen. Ein konsultatives Beteiligungsinstrument wie der Bürgerhaushalt lebt also davon, dass die Unterstützung durch die gewählten Repräsentanten in einem ausreichenden Maß gegeben ist. Unabhängig von der Bewertung des Bürgerhaushalts gilt es daher zu klären, welche Einstellung die Ratsmitglieder zum Thema Bürgerbeteiligung allgemein haben. 17 Vgl. zur Einführung z. B. Holtkamp 2008 Vgl. § 16 ThürKO 19 Vgl. § 17 ThürKO 20 Vgl. § 24 Abs. 1 ThürKO 18 10 Grafik 1: Einstellung der Ratsmitglieder zu Bürgerbeteiligung. Skalenwerte 4 und 5 „stimme voll und ganz zu“ in Prozent (n = 19). Einwohnerinnen und Einwohner sollten die Möglichkeit haben, ihre Sichtweisen darzulegen, bevor wichtige kommunale Entscheidungen von den gewählten Repräsentantinnen und… 90 Einwohnerinnen und Einwohner sollten aktiv und direkt an wichtigen kommunalen Entscheidungen teilhaben können 69 Es fehlt an Kommunikationssystemen zur Bürgerbeteiligung 63 Lokale Referenden führen zu einer höheren Qualität öffentlicher Debatten 53 Politische Entscheidungen sollten nicht nur durch gewählte Gremien, sondern nach Verhandlungen mit Betroffenen getroffen werden 47 Die Ergebnisse von Kommunalwahlen sollten für die kommunale Politik entscheidend sein 42 Die Bürgerinnen und Bürger verfolgen nur Einzelinteressen 37 Die Bürgerinnen und Bürger engagieren sich kaum 26 Die Bürgerinteressen werden ausreichend berücksichtigt 26 Eine Erweiterung von Bürgerbeteiligung ist nicht möglich 11 Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt die Sachkenntnis zur Beteiligung 11 Politische Repräsentantinnen und Repräsentanten sollten entscheiden, wie sie es für richtig halten ‐ unabhängig von der Meinung der örtlichen Bevölkerung 11 Abgesehen vom Wählen sollten die Bürgerinnen und Bürger nicht die Möglichkeit erhalten, lokale Politik zu beeinflussen 5 0 20 40 60 80 100 Es ergibt sich ein recht eindeutiges Muster: Die Einstellung zu Bürgerbeteiligung ist insgesamt positiv. Aussagen, die ein eher elitäres Politikverständnis ausdrücken, sind am unteren Ende des Rankings positioniert. Auch „Schumpetersche“ Skepsis gegenüber den Fähigkeiten und der Motivation der Bürger findet kaum Zustimmung. Die Prozentwerte fallen bei diesen Fragen recht niedrig aus. Auch eine separate Frage nach der Wichtigkeit von Bürgerbeteiligung innerhalb der eigenen Partei (nicht tabelliert) ergibt, dass diesem Thema eine hohe Wichtigkeit zugeschrieben wird. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer deutschlandweiten Studie, in der sich 11 herausstellte, dass gerade Ratsmitglieder aus Thüringen ein beteiligungsorientiertes Demokratieverständnis vertreten. 21 Dabei ist jedoch in beiden Fällen eine gewisse Vorsicht angebracht, denn Bürgerbeteiligung ist derzeit en vogue, eventuelle Vorbehalte werden möglicherweise aus Gründen sozialer Erwünschtheit in Befragungen kaschiert.22 1.5 Ziele des Bürgerhaushalts Jena Auf Basis der Beschlussvorlage Nr. 06/0105-BV wurde die Verwaltung der Stadt Jena am 30.08.2006 durch den Rat beauftragt, ein Konzept für einen Bürgerhaushalt zu entwickeln. Am 11.10.2006 wurde das Konzept leicht abgeändert von einer Mehrheit des Jenaer Rates beschlossen23 und dieser Beschluss durch die Entscheidungen der Jahre 2008 24 und 200925 erneuert. Ergänzt werden diese Beschlüsse durch ein 2012 aktualisiertes Regelwerk, das die Ziele, den Ablauf, die Details und die Eckpunkte des Verfahrens (Umfrage, Online-Beteiligung, Rechenschaft) beschreibt und vom Finanzausschuss am 17.01.2012 beschlossen wurde. 26 Schon bei der Einführung und vor der Erarbeitung eines genauen Konzeptes wurde das grundlegende Ziel durch eine Vertreterin der Grünen wie folgt formuliert: “Ziel der Einführung eines Bürgerhaushaltes ist die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Haushaltsaufstellung und -verabschiedung.”27 Als weitere Ziele wurden benannt: ● ● ● ● “Erhöhung der Akzeptanz der finanziellen Möglichkeiten der Stadt” “Verbesserung des Dialogs mit den Bürgern” “Erhöhung der Transparenz der Haushaltsaufstellung” “Abbau von Politikverdrossenheit”28 Diese Ziele sind für deutsche Bürgerhaushalte als typisch einzuschätzen. Grundlegend finden sich diese Ziele auch im aktuellen Regelwerk des Bürgerhaushalts wieder, das folgende Ziele beschreibt:29 ● ● ● ● ● “die Bürgerbeteiligung bei politischen Entscheidungsprozessen der Stadt zu verstärken”, eine “bessere Information der Bürger über den städtischen Haushalt zu gewährleisten”, “ die Akzeptanz politischen Entscheidungen” erhöhen, “Mehr Transparenz”, “Intensivierung des Dialogs der Bürger mit Verwaltung und Politik”30 21 Vgl. Heinelt 2013, S. 116 Befragt wurden ein Ratsmitglied von der CDU, fünf von der SPD, sechs von Die Linke, eines von Bündnis 90/ Die Grünen, zwei von der FDP, drei von den freien Wählergruppen. Eine Person wollte schließlich keine Angabe machen. Fast zwei Drittel der Befragten waren Männer, im Schnitt waren sie rund 47 Jahre alt. Es muss daher angenommen werden, dass die Meinung der Christdemokraten und Grünen in den Ergebnissen unterrepräsentiert ist. 23 Vgl. Niederschrift 27. Sitzung des Jenaer Stadtrats 11.10.2006, S. 26-28 24 Vgl. Beschlussvorlage Nr. 08/1217-BV 25 Vgl. Beschlussvorlage Nr. 09/1797-BV 26 Vgl. Regelwerk in der von der AG Bürgerhaushalt beschlossenen Fassung vom 17.01.2012 27 Niederschrift 27. Sitzung des Jenaer Stadtrats 11.10.2006, S. 27 28 Ebd. 29 nachfolgend Regelwerk in der von der AG Bürgerhaushalt beschlossenen Fassung vom 17.01.2012 30 Ebd. 22 12 Zusätzlich werden noch Erwartungen an die Berücksichtigung der Beteiligungsergebnisse durch den Stadtrat sowie eine entsprechende Rechenschaft benannt, so dass sich die Ziele des Verfahrens sich auch hier an den typischen Zielen deutscher Bürgerhaushalte orientieren: ein Mehr an Information und Konsultation, über die im Anschluss eine Rechenschaftslegung erfolgt. Neben diesen offiziell dokumentierten bzw. kommunizierten Zielen, können aber auch andere Ziele von Relevanz sein, die inoffiziell oder gar unbewusst (z. B. Qualifizierung der Verwaltung, Bildung von Sozialkapital und sozialen Netzwerken) mit einem Verfahren verfolgt werden. Zudem sind selten alle Ziele eines Kataloges als gleichrangig anzusehen. So können sich im Zeitverlauf einige Ziele als besonders relevant erweisen, eventuell in Reaktion auf gescheiterte Ambitionen, aber auch auf unverhoffte Erfolge in bestimmten Bereichen, während andere an Bedeutung verlieren. In den Interviews wurden die oben dargestellten Zielsetzungen weitgehend bestätigt. Auf Seiten der Verwaltung wird dabei insbesondere die Möglichkeit einer Akzeptanzsteigerung durch Bürgerbeteiligung betont: „Das Hauptziel ist schon am Ende eine größere Akzeptanz zu finden für die Entscheidungen der Stadt und des Stadtrates zu den Schwerpunkten der Politik.“ Dieser Anspruch an Akzeptanz kann in Beteiligungsverfahren nur durch umfassende Information hergestellt werden. Dass dieses Ziel neben der eigentlichen Beteiligung immer relevanter wurde, äußerte auch ein Vertreter der AG: “Was für mich aber auch ein wesentlicher Punkt ist, ist dieser Informationsteil, im Prinzip diesen Haushalt den Leuten näherzubringen, verständlich rüberzubringen und ich denke mal, das haben wir in den letzten Jahren eigentlich ganz gut hingekriegt. Neben dem eigentlichen Verfahren.“ 1.6 Leitfragen der Evaluation In Verbindung der oben genannten allgemeinen Evaluationskriterien und den Kriterien, die sich aus der Zielsetzung des Verfahrens selbst ergeben, stellen sich für die Evaluation daher folgende leitenden Fragen: 1. Wie intensiv werden die Bürger im Bürgerbeteiligungsverfahren an der lokalen Haushaltspolitik beteiligt? (Beteiligung als Konsultation) 2. Werden die Bürger angemessen über die städtische Haushaltspolitik sowie über das Verfahren und seine Wirkung informiert? (Information und Rechenschaftslegung) 3. Wie kann das Bürgerbeteiligungsverfahren verbessert werden? 13 1.7 Themen Die ausgewählten Themenbereiche des Jenaer Bürgerhaushalts umfassten bisher: ● ● ● ● ● ● ● Meinungen und Vorschläge zum Thema Bürgerhaushalt Verwendung von Mehreinahmen aus dem Jahr 2007 Abstimmung über Investitionsprojekte der Fraktionen Abstimmung über Investitionsvorhaben 2009 – 2012 Freiwillige Leistungen des Verwaltungshaushalts Freiwillige Leistungen Bereich Kultur Finanzierung der Kindertagesstätten (2007) (2008/I) (2008/II) (2009) (2010) (2011) (2012) Während Verfahren des Vorschlagswesens oft kleinteilige Investitionen behandeln, wird in Jena versucht, die Ausstattung ganzer Bereiche bzw. Haushaltsteile (z. B. Verwaltungshaushalt) in den Blick zu nehmen. Wie in anderen Städten kann nur ein kleinerer Teil des Haushalts, insbesondere der der freiwilligen Leistungen Inhalt des Beteiligungsverfahrens werden. Bestimmte Bereiche müssen per se außen vor bleiben, wie es ein Mitarbeiter der Verwaltung erläuterte: „Nehmen Sie allein die Höhe der Gehälter der Beschäftigten der Stadtverwaltung. Die können Sie nicht einer allgemeinen Bürgerbefragung unterwerfen, da gibt es Tarifpartner, die den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst verhandeln. Da können jetzt nicht die Bürger der Stadt Jena sagen, dass die Beschäftigten der Stadtverwaltung mehr oder weniger verdienen“ Nach dem ersten Durchgang 2007, bei dem grundsätzliche Informationen abgefragt wurden, standen in den Jahren 2008 und 2009 Investitionsausgaben im Mittelpunkt. Ein Überschuss von 14 Millionen Euro aus dem Jahr 2007 brachte die Stadt Jena in die komfortable Position, die Bürger zu ihrer Verwendung zu befragen. Nachdem auf diese Weise Investitionen im Fokus standen, folgte für die darauffolgenden Jahre ein Wechsel in den Verwaltungshaushalt. Ein Mitglied der AG begründet dies so: „[..] wenn wir weiter bei Investitionen bleiben, dann wird das eine Wunschliste, ich weiß nicht wie lang, und keiner hat mehr einen Überblick. Weil das sind ja alles Sachen, die nicht innerhalb von einem Jahr realisierbar sind.“ Die hier bereits angedeutete Problematik einer Nachvollziehbarkeit wird später noch einmal in Bezug auf die Wirkungen des Verfahrens und die Rechenschaftslegung thematisiert werden. Auch in der Politik wird dieser Schritt als notwendig angesehen: „Das konnte natürlich nicht ewig so weiter gehen, weil irgendwann hat sich der Bereich auch erschöpft, insofern fand ich es auch richtig, den Versuch zu starten, sich mit komplexeren Themenstellungen auseinander zu setzen.“ Die Wahl der Themen kann nicht einzeln bewertet werden. Grundsätzlich wirkt sich vor allem aus, auf welchen spezifischen Gegenstand die Beteiligung mit welcher Fragestellung zielt. Hier sind besonders die Unterschiede zwischen einer Beteiligung an Investitionsentscheidungen und der zuletzt mehrfach erfolgten Bewertung von Leistungen und Gebühren zu nennen, wie später zu zeigen sein wird. 14 Seit dem Jahr 2011 wurde über ein Freifeld mit der Aufforderung „Hier können Sie weitere Vorschläge für Investitionen, Sparmaßnahmen oder sonstige Haushaltsänderungen in Jena unterbreiten“ erstmals ein thematisches Interesse bei den Teilnehmern abgefragt. In der quantitativen Auswertung der FH Jena wurden aus diesen Antworten Themenfelder konstruiert. Mit der Broschüre des Jahres 2012 wurde dann spezifischer gefragt: „Mit welchen Themen des städtischen Haushaltes sollte sich nach ihrer Meinung der Bürgerhaushalt in den nächsten Jahren befassen?“ Es bietet sich zukünftig an, in dieser oder anderer Form, mit den potentiell beteiligten Bürgern stärker in Kontakt zu treten, um sie schon bei der Themenwahl stärker einzubinden. Denn auch beim Verwaltungshaushalt sind die möglichen Themen endlich. 1.8 Themenbezogenes Beteiligungsinteresse und Beteiligungsbedarf In der Folge gibt unsere quantitative Bürgerbefragung trotz möglicher Verzerrung durch die Fallzahl und die Selbstselektion der Befragten einen Eindruck davon, wie die Jenaer Bürger und von ihnen insbesondere die, die sich für den Bürgerhaushalt interessieren, relevante Fragestellungen rund um den Bürgerhaushalt und seine Themen bewerten. Dazu gehört die Bewertung der Jenaer Politik, ihres Wissens sowie ihres Beteiligungs- und Mitsprachebedarfs in Bezug auf verschiedene Politikfelder und Themenbereiche, die in verschiedener Form auch schon Thema des Bürgerhaushalts waren. Diese Daten sollten als Anregungen für die themenbezogenen Weiterentwicklung des Verfahrens gesehen werden. Bewertung der Politik in Jena Wie bewerten die Bürger die Politik in der Stadt in verschiedenen Bereichen? Abgefragt wurden dabei vor allem Bereiche, die bereits Thema des Bürgerhaushalts waren. Die nachstehende Tabelle gibt einen Überblick. Tabelle 1: Bewertung Zufriedenheit Politikbereiche. Bürgerbefragung (Zeilenprozente, n = 179). Sehr gut Gut Befriedigend Ausreichend Mangelhaft Weiß nicht Bildung 12 40 30 7 11 1 Jugend 2 32 35 13 14 3 Kultur 15 40 24 11 10 2 Soziales 4 37 31 11 12 5 Sport 9 30 32 9 14 6 Investitionen und Großprojekte 6 27 25 14 24 4 Haushalt und Finanzen 12 29 29 17 11 3 Kindertagesstätten 9 32 24 10 19 7 15 Tabelle 2: Bewertung Zufriedenheit Politikbereiche. Befragung Onlineforum (Zeilenprozente, n = 16). Sehr gut Gut Befriedigen d Ausreichend Mangelhaft Weiß nicht Bildung - 63 38 - - - Jugend - 50 31 6 13 - Kultur 19 63 13 6 - - Soziales - 63 25 - 6 6 Sport - 44 19 6 25 6 Investitionen und Großprojekte 6 31 25 - 38 - Haushalt und Finanzen 13 50 - 31 6 - Kindertagesstätten 13 56 19 - 13 - Grafik 2: Ranking Zufriedenheit Politikbereiche (Antwortkategorien „gut“ und „sehr gut“ in Prozent). Kultur 81 54 Bildung 51 Kindertagesstätten 41 Soziales 41 63 69 63 Befragung Onlineforum 44 39 Sport Jugend Bürgerbefragung 50 34 38 33 Investitionen und Großprojekte Haushalt und Finanzen 63 41 0 20 40 60 80 100 Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Aufgrund unterschiedlicher Rundung der Prozentwerte kann es zu Abweichungen gegenüber den Tabellen kommen. 16 Fasst man die Antwortkategorien „gut“ und „sehr gut“ zusammen und überführt sie in ein Ranking, so ergibt sich das obenstehende Balkendiagramm. Maßgebend für die Reihung sind dabei die Ergebnisse der offenen Bürgerbefragung. Es ergibt sich dabei, dass die Zufriedenheit in spezifischen Politikbereichen (z. B. Kultur, Bildung) besser ausfällt. Am unteren Ende des Rankings stehen die Bereiche „Investitionen und Großprojekte“ und „Haushalt und Finanzen“, das heißt, gerade im Bereich, auf den der Bürgerhaushalt fokussiert, wird von den Befragten am schlechtesten bewertet. Die Befragten im Onlineforum sind jedoch in einigen Bereichen deutlich zufriedener. Wunsch nach Mitsprache Grafik 3: Wunsch nach Mitsprache in verschiedenen Politikbereichen (in Prozent). Investitionen und Großprojekte 88 67 Bildung 44 Haushalt und Finanzen 44 Kultur 44 39 19 Jugend 54 63 Befragung Onlineforum 38 Bürgerbefragung 31 34 Kindertagesstätten Soziales 25 Sport 26 0 In keinem der Bereiche 0 33 38 6 20 40 60 80 100 Anmerkung: Mehrfachnennungen möglich. Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Auch bei der Frage nach mehr Mitsprache in verschiedenen Politikbereichen stechen Investitionen und Großprojekte hervor, die von beiden Befragtengruppen am häufigsten erwähnt wurden. Auf den weiteren Rängen folgen Bildung sowie Haushalt und Finanzen. Daraus kann man ableiten, dass Bürgerbeteiligung besonders bei Großprojekten und Investitionen gewünscht wird. Dass die Mitglieder des Onlineforums den Bereich Haushalt und Finanzen um fast 20 Prozentpunkte häufiger angeben, darf abschließend keiner weiteren Erklärung. 17 Einschätzung Kenntnisstand in Politikbereichen Tabelle 3: Einschätzung Kenntnisstand Politikbereiche. Zeilenprozente (Bürgerbefragung, n = 179). Sehr gut Gut Befriedigend Ausreichend Mangelhaft Weiß nicht Bildung 13 52 26 6 2 1 Jugend 5 40 34 10 10 2 Kultur 10 42 31 11 5 2 Soziales 6 39 31 14 6 3 Sport 8 32 31 14 10 5 Investitionen und Großprojekte 12 33 30 13 10 2 Haushalt und Finanzen 8 34 29 18 8 3 Kindertagesstätten 12 43 20 13 9 3 Tabelle 4: Einschätzung Kenntnisstand Politikbereiche. Zeilenprozente (Onlineforum, n = 16)). Sehr gut Gut Befriedigend Ausreichend Mangelhaft Weiß nicht Bildung 13 63 25 - - - Jugend - 38 38 13 13 - Kultur 19 56 25 - - - Soziales 6 38 38 13 6 - Sport - 25 38 19 19 - Investitionen und Großprojekte - 44 38 6 13 - Haushalt und Finanzen 13 38 38 6 6 - Kindertagesstätten 25 31 31 6 6 - 18 Grafik 4: Ranking Kenntnisstand (Antwortkategorien „gut“ und „sehr gut“ in Prozent). Bildung 65 75 56 55 Kindertagesstätten Kultur 52 75 44 45 Investitionen und Großprojekte 38 Jugend Haushalt und Finanzen 25 Bürgerbefragung 45 43 Sport Befragung Onlineforum 50 40 44 45 Soziales 0 20 40 60 80 Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Aufgrund unterschiedlicher Rundung der Prozentwerte kann es zu Abweichungen gegenüber den Tabellen kommen. Bei der subjektiven Einschätzung des Kenntnisstandes in verschiedenen Politikbereichen lassen sich keine sonderlichen Auffälligkeiten feststellen. Dass die Befragten im Onlineforum ihren Kenntnisstand in vielen Bereichen besser einstufen, verwundert kaum, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit stärker politisch interessiert und involviert sind. Erwähnenswert scheint, dass die Bereiche „Kultur“ und „Kindertagesstätten“, die Bestandteil der letzten Bürgerhaushalte waren, recht weit oben im Ranking verortet sind. Dies kann auf einen positiven Informationseffekt des Bürgerhaushalts hinweisen, wobei erneut auf die Einschränkungen in den Daten hinzuweisen ist. Womöglich haben sich nur die ohnehin gut Informierten an der Befragung beteiligt. Zudem kann angenommen werden, dass Befragte ihren Kenntnisstand ungern als mangelhaft einstufen möchten. Informationsbedarf In welchen Politikbereichen wünschen die Befragten mehr Informationen? Die Ergebnisse sind relativ eindeutig. Die häufigste Nennung erfahren die Kategorien „Investitionen und Großprojekte“ sowie „Haushalt und Finanzen“, dies in beiden Befragtengruppen. Lediglich Bildungspolitik wird von den im Onlineforum registrierten Nutzern etwas häufiger genannt. 19 Grafik 5: Wunsch nach mehr Informationen in verschiedenen Politikbereichen (in Prozent). Investitionen und Großprojekte 70 88 63 63 Haushalt und Finanzen Bildung 69 47 38 39 Soziales 31 36 Jugend Kindertagesstätten 25 Kultur 25 Sport 25 Befragung Onlineforum Bürgerbefragung 31 31 44 6 8 Zu keinem der Bereiche 0 20 40 60 80 100 Anmerkung: Mehrfachnennungen möglich. Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Daraus lässt sich interpretieren, dass die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung besonders in den beiden erstgenannten Bereichen ihre Kommunikationsarbeit intensivieren können. Denkt man an Fallbeispiele wie das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, den Flughafen Berlin-Brandenburg oder auch als ein etwas länger zurückliegendes Beispiel der Protest gegen die Startbahn West am Frankfurter Flughafen, so sind es besonders Großprojekte, die zu politischen und letztlich gesellschaftlichen Konflikten führen. Daher bietet sich eine frühzeitige und vor allem transparente Kommunikationspolitik im Vorfeld größerer Projekte an.31. 1.9 Mobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit Für die Bürgerhaushaltsverfahren wurde über die Jahre ein als äußerst moderat, aber auch ausreichend zu bezeichnender Aufwand in der Bewerbung betrieben, für den verschiedenste Kanäle genutzt wurden. Zu den eigenen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit auf Basis der Pressearbeit der Stadtverwaltung und der AG kommt eine flankierende Berichterstattung in lokalen Medien hinzu, so in der Lokalpresse, im städtischen Privatfernsehsender “JenaTV” und auf dem Informationsportal “jenapolis.de”. 31 Vgl. Brettschneider 2011. 20 Seit 2011 wurden diese Maßnahmen etwas intensiviert und es wurden zusätzlich folgende Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit Gesamtkosten von 1.747 € finanziert: ● ● ● Facebook-Auftritt (Einrichtung Fanpage, Programmierung, Design etc.) - 1.500 € Druck 5.000 Flyer zur BBV-Bewerbung - 131 € Druck 100 Plakate zum Aushang in der Stadt zur BBV-Bewerbung - 116 € Im Jahr 2012 wurden zusätzlich zur Pressearbeit folgende Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt und mit Gesamtkosten von 2.280 € finanziert: ● ● Gestaltung Flyer und Plakate sowie Druck+Verteilung 5.000 Flyer und Druck 100 Plakate zur BBV-Bewerbung - 930 € Plakatwerbung in Straßenbahnen und Bussen auf allen städtischen Strecken vom 01.30.09.12 (Zeitraum der Abstimmungsphase) - 1.350 € Im Hinblick auf die Möglichkeiten einer stärkeren Mobilisierung herrscht bei den Befragten zum einen die Überzeugung vor, dass man die möglichen und vor allem angemessenen Optionen schon probiert hat. Zum anderen herrscht im Hinblick auf die bisher erreichte Aktivierung eine gewisse Enttäuschung vor, da die Beteiligung trotz intensivierter Bemühungen zuletzt eher sank, wie im Abschnitt über die Verfahrensnutzung noch zu sehen sein wird. Während die etablierten Kanäle der Pressearbeit scheinbar nicht ausreichen und großflächige Werbemaßnahmen auf Basis der Erfahrung von anderen Beispielen, wie dem Bürgerhaushalt der Stadt Frankfurt, nicht als effizient anzusehen sind, bietet sich die Suche nach anderen Kanälen der Mobilisierung an, wie es ein Stadtrat vorschlägt: „Da ist natürlich immer müßig darüber zu diskutieren, woran das liegt. Ob man mehr Werbung machen müsste, ob vielleicht auch die politische Klasse dieser Stadt hier die Werbetrommel rühren müsste. Von der Verwaltungsspitze und dem OB angefangen. Ob man sozusagen auch mit anderen Multiplikatoren in dieser Stadt besser zusammenarbeiten müsste, die eben das Thema auch mit in ihre Kreise streuen.“ Für die Mobilisierung ist nicht nur die kurzzeitige Bewerbung des Verfahrens während der Beteiligungsphase wichtig, sondern insbesondere eine möglichst ganzjährige Präsenz. Diese kann nur erreicht werden, wenn auf einfach zu nutzende Präsenzmöglichkeiten, wie z.B. ein Logo oder Banner auf der Homepage der Stadt Jena zurückgegriffen werden kann, das im Rahmen der Umstrukturierung des Homepagedesigns entfernt wurde. Ein mögliches neues Logo könnte wiederum partizipativ erstellt und ausgewählt werden, um die Identifikation mit dem Verfahren sowie seine Bekanntheit zu steigern. Das stärkere Engagement politischer Parteien könnte nicht nur der direkten Mobilisierung zuträglich sein, sondern den Bürgerhaushalt generell stärker zu einem Thema der politischen Öffentlichkeit in Jena machen. Zudem wird auch deutlich, dass abseits umfassender Werbemaßnahmen auch kleine Änderungen hilfreich sein können, wie sie ein Mitglied der AG beschreibt: „Also ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung war damals auf jeden Fall, das persönliche Anschreiben zu machen bei den Broschüren. Das hat einen richtigen Ruck gegeben.“ Dies zeigt das Potential kleinteiliger und teils kostenneutraler Änderungen, die jederzeit möglich sind, deren Wirkung aber überschaubar ist. Eine wesentliche Mobilisierungfunktion könnte, wie 21 von vielen Befragten angesprochen, von einer Erhöhung der verschickten Broschüren oder zusätzlichen Postwurfsendungen mit Flyern ausgehen. Inwieweit hier Aufwand und Nutzen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, könnte allerdings erst ein Test erweisen. Sollte Jena eine eigene Publikation einführen, wie sie andere Städte z.B. als “Amtsblatt” kennen, sollte diese unbedingt in die Mobilisierungsstrategie einbezogen werden. In der Folge wird bei der Darstellung und Bewertung der Beteiligungsformate sowie bei den Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Verfahrens auch auf spezifische Probleme und Möglichkeiten einer erweiterten Mobilisierung eingegangen. 2. Beteiligungsangebote und Nutzung 2.1 Postalische Befragung und Internetbefragung Kernelement des Jenaer Bürgerhaushalts ist die jährliche postalische Haushaltsbefragung in Kombination mit einer Online-Befragung. Mit dieser Gestaltung gehen sowohl Vor- als auch Nachteile einher, die in den folgenden Abschnitten diskutiert werden sollen. Ein Vertreter der Verwaltung weist diesbezüglich auf die Abwägungsprozesse hin, die letztlich zur Wahl eines postalischen Verfahrens der Befragung geführt haben: "Wer darf voten, von wo? Nur Jena oder von außen. Mehrfach geht natürlich gar nicht und so weiter, damit es repräsentativ ist. Das war erst mal ein mühsamer Prozess, das auch technisch so hinzukriegen, dass man es einigermaßen sicherstellen konnte. Wir sind im Ergebnis des Prozesses dabei geblieben, es mit Printmedien zu machen, weil es einfach fälschungssicherer ist und den Vorteil hat: der Bürger guckt eben doch nicht einfach alle Internetseiten durch, die es zu einem Thema gibt. Eine Broschüre kann man mal durchblättern.“ Wie stark dieses Angebot der verschiedenen Beteiligungswege angenommen wurde und wo mögliche Probleme sichtbar werden soll im Folgenden dargestellt werden. Die nachstehende Tabelle fasst die Beteiligungsquoten der Jahre 2007 bis 2012 in unterschiedlichen Kommunikationskanälen zusammen. 22 Gesamtüberblick Tabelle 5: Übersicht Verfahrensnutzung Bürgerhaushalt Jena 2007 – 2012. Jahr Thema Anmerkungen Abstimmungsmodus Anzahl Fragebögen Postalisch (Rücklaufquote in Klammern) Online Sonstiges 2007 Offene Befragung - - 3.200 372 (12,0%) 14 1 (Fragebogen aus Zeitung) 2008 /I 18 Vorschläge für Investitionen Umfrage der TLZ. Vergleichbarkeit sprobleme viele ungültige Stimmen 3 Vorschläge mit 3,2 und einem Punkt bewerten 5.000 (Faltblatt, davon 2.500 zufällig verteilt) 439 (8,8 %) unnummerierte, 240 (4,8%) nummerierte, 1.744 TLZ-Umfrage (107), Bürgerversammlung (643 Stimmzettel bei 100 Teilnehmern) 2008 /II 17 Investitionsvorschläge Verwendung Mehreinnahmen Internet, Faltblätter (zufällig, Fraktionen, Bürgeramt) Top-3-Priorisierung 7.500 Faltblätter 940, davon 907 gültig (12,1%) 4772, davon 580 ungültig 68 Fax/Kopie 2009 Investitionen 2009 - 2012 20 Investitionsvorschläge der Fraktionen Top 3Priorisierung, Gegenstimme 15.000 4.149 (27,7%) 953 151 2010 Förderung bestimmter Haushaltsbereiche graduelle Bewertung 15.000 2.350 (15,7%) 156 25 2011 Kultur graduelle Bewertung 15.000 2.394 (16,0%) 640 46 2012 Kindertagesstätten graduelle Bewertung 15.000 1.719 (11,5%) 360 27 Pro, contra, neutral Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena durch Arndt Lautenschläger, zum Teil mit Monika Seiffert, sowie Angaben des Fachbereichs Finanzen der Stadt Jena (2008/I) 23 Zunächst sind die im Gesamtüberblick erkennbaren Muster zu diskutieren. Auffällig sind die Schwankungen in den Rücklaufquoten zwischen den jeweiligen Jahren. Bei der ersten Durchführung im Jahr 2007 lag der Rücklauf bei 12 Prozent, die Rekordmarke liegt 2009 bei 27 Prozent. Insgesamt liegt die Beteiligung für postalische Umfragen im üblichen Rahmen. So nennt Diekmann einen Rücklauf von 20 Prozent bei einer Umfrage ohne Erinnerungsschreiben als Richtwert.32 Über die Gründe für die Schwankungen kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Beteiligung genau dann am höchsten war, als es um größere Investitionsprojekte ging. Man könnte vorsichtig interpretieren, dass sich die Bürger dann einbringen, wenn das Thema eine Relevanz für breite Bevölkerungsteile besitzt, z. B. im Hinblick auf das finanzielle Volumen und die Bedeutung für die Stadt Jena. Da viele Bürgerhaushalte nach einem ersten populären Verfahren mit sinkenden Teilnehmerzahlen zu kämpfen haben, könnten zudem Abnutzungseffekte eine Rolle spielen. Bei der Onlinebefragung sind ebenfalls deutliche Schwankungen festzustellen. Die deutlich höhere Beteiligung bei der Befragung zur Verwendung der Mehreinnahmen (2008) und zur Kulturförderung (2011) kann sicherlich darauf zurückgeführt werden, dass sehr gut vernetzte Gruppen ihre Anhänger mobilisieren konnten. So könnten z.B. Mitarbeiter versucht haben, Kürzungen am Etat ihrer Arbeitsstätte zu verhindern. Solche Effekte liegen in der hohen Selbstselektion bei der Beteiligung an Online-Umfragen begründet. Positiv zu bewerten ist jedoch, dass die Befragungen separat ausgewertet werden, sodass eventuelle Verzerrungen aufgedeckt werden können. Das gleiche gilt für die in öffentlichen Einrichtungen ausgelegten oder auf anderem Weg verbreiteten Abstimmungsbögen. Auch bei diesen schwankt die Beteiligung deutlich, das Minimum lag 2007 bei genau einem Bogen, das Maximum bei der Befragung zur Verwendung der Mehreinnahmen 2008 bei 953. Positiv festzuhalten ist, dass die Praxis der Verteilung von Abstimmungsbögen durch die Parteien bzw. Fraktionen eingestellt wurde. Von allen Beteiligten wird die Beteiligungszahl zumindest im Verhältnis zu anderen Kommunen als besonders hoch dargestellt, wie in dieser Aussage eines befragten Politikers: „Von außen betrachtet ist es hervorragend, verglichen mit anderen Prozessen ist Jena nach wie vor mit immer in der Top 3 gewesen, wenn es darum geht, wie viel Prozent der Menschen haben hier eigentlich mit daran teilgenommen.“ Dabei wird von den meisten Befragten der Rücklauf der repräsentativen Befragung, welcher in den bisherigen Verfahren zwischen 11,5% und 27,7% lag, mit der Beteiligungs- bzw. Aktivierungsquote gleichgesetzt. Letztere bildet das Verhältnis zwischen Wahlberechtigten bzw. Einwohnern und den Teilnehmern des Verfahrens ab. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl bewegt sich Jena im Jahr 2012 mit einer Quote von rund 2,0 (Rücklauf und Internetbeteiligung) im vorderen Mittelfeld der nachfolgend dargestellten Bürgerhaushalte: 32 S. Diekmann 2007, S. 516 24 Tabelle 6: Bürgerhaushalte in deutschen (Groß-)Städten 2012 (sortiert nach Einwohnerzahl).33 Stadt Verfahren Zeitfenster Beteiligungsphase Vorschläge (Bürger) Teilnehmerzahl (Quote) Kommentar Bonn (2005) Online; Themen „Sportförderung“ „Natur- und Landschaftspflege“ sowie Sparvorschläge 4 Wochen 245 1.556 / 327.913 (0,5) Deutlicher Rückgang der Nutzerzahl (2011: 12.793) und Vorschläge (2011: 1.602) Münster (2011) Methodenmix (Online, Bürgerversammlungen, postalische Befragung) 3 Monate 391 4.275 / 291.754 (1,5) Rücklauf postalische Befragung rund 33 % Osnabrück (2012) Online Ca. 7 Wochen 349 Ca. 1.000 / 165.021 (0,6) Kein direkter Effekt auf Haushalt 2013 Solingen (2010) Online (Vorschläge von Verwaltung und Bürgern) 3 Wochen 343 2.763 / 159.699 (1,7) Hohes Bildungsniveau bei Beteiligten; Dominanz 40-49 Jähriger Potsdam Methodenmix (Online, Versammlungen usw.) 6 Monate 545 Ca. 8.000 / 158.902 (5,0) - Darmstadt (2012) Onlinediskussionsforum 4 Wochen 170 113 / 149.052 (0,1) Themen „Neues Rathaus“, „Bezirksverwaltungen in den Stadtteilen“, „Ehrenamtliches Engagement“ und „Online-Bürgerhaushalt 2013“ Trier (2009) Online (Vorschlagssammlung und Abstimmung) 4 Wochen 355 (Bürger), 63(Ortsbeiräte) 2.771 / 105.675 (2,6) - Jena (2007) Postalische Befragung und Onlineabstimmung zu festem Themenbereich (Kindertagesstätten) - - 2.106 / 105.463 (2,0) 15.000 postalische Fragebögen (11,5 Rücklauf) Gütersloh (2010) Online 2 Monate (1 Monat Vorschlagsam mlung, 1 Monat Abstimmung) 157 282 / 96.758 (0,3) Rückgang der Beteiligung im Zeitverlauf (BHH seit) (2006) 33 Die Daten wurden auf den Internetseiten der entsprechenden Städte recherchiert [Stand: 25.12.2012]. Aufgrund von Neuanmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern können diese Zahlen sich jedoch laufend ändern. Sie wurden von Sebastian Schneider im Rahmen der Evaluation des Oldenburger Bürgerhaushalts 2012/2013 erhoben. Die Tabelle ist folglich in gleicher Form auch in dem sich momentan im Erscheinen befindenden Bericht enthalten. 25 Tabelle 6 (Fortsetzung): Bürgerhaushalte in deutschen (Groß-)Städten (sortiert nach Einwohnerzahl). Stadt Verfahren (BHH seit) Zeitfenster Beteiligungsp hase Vorschläge (Bürger) Teilnehmerzahl (Quote) Kommentar Worms (2011) Online 4 Wochen 230 1.055 / 81.967 (1,3) Fachämter stellen ebenfalls Vorschläge zur Diskussion Celle Online; Sparvorschläge 5 Wochen 116 91 / 69.972 (0,1) - (2010) Anmerkung: Für Celle wurde der Vorschlag mit den meisten Bewertungen herangezogen, da das Verfahren ohne Registrierung durchgeführt wird. Es handelt sich folglich um eine sehr konservative Schätzung des Anteils. Ausgangsbasis für die Tabelle ist die Datenbank auf www.buergerhaushalt.org. Dort kann auch eine Typologisierung der Verfahren abgerufen werden. Abseits der reinen Beteiligungszahlen ist für eine möglichst ausgewogene Beteiligung nicht zuletzt das Geschlechterverhältnis von Interesse. Im Gegensatz zu nicht verfügbaren Daten wie dem Bildungsgrad oder dem Einkommen, geben die Auswertungen der Fachhochschule Jena über diesen Punkt Auskunft. Tabelle 7: Nutzung des Beteiligungsverfahrens inklusive postalischer Befragung, Online-Verfahren und anderen Verteilungswegen (Auslage etc.) nach Geschlecht in Spaltenprozent. 2007 200834 200935 2010 2011 2012 Männlich 47,8 45,1 - 52,2 - 46,6 Weiblich 43,2 53,8 - 46,7 - 51,8 Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena. 34 35 Im Jahr 2007 und 2008 wurde nicht online befragt. Im Jahr 2009 wurden keine Daten über das Geschlecht der Teilnehmenden erhoben. 26 Tabelle 8: Nutzung der postalischen Befragung nach Geschlecht (Spaltenprozent). 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Männlich 47,8 45,1 - 52,0 46,3 45,9 Weiblich 43,2 53,8 - 48,0 53,7 52,3 Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena. Tabelle 9: Nutzung der Online-Befragung nach Geschlecht (Spaltenprozent). 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Männlich - - - 66,0 60,6 50,0 Weiblich - - - 34,0 39,4 49,2 Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena. Der Anteil derjenigen, die keine Angaben zum Geschlecht machten, wird ebenso nicht gesondert wiedergegeben wie die Einzeldaten anderer Verteilungswege der Broschüre (z.B. Auslage). Die Betrachtung der Beteiligung am Jenaer Bürgerhaushalt nach Geschlecht ergibt, dass sich mit Blick auf die Gesamtbeteiligung kein eindeutiges Muster zeigt. Mal überwiegen männliche Beteiligte, mal weibliche. Ein detaillierter Blick auf die postalische Abstimmung zeigt, dass sich Frauen in den letzten beiden Jahren etwas häufiger an der postalischen Abstimmung beteiligen, als es ihrem tatsächlichen Anteil in der Einwohnerschaft Jenas entspricht.36 Es lässt sich über die Jahre jedoch ebenfalls kein eindeutiges Muster erkennen. Bei der Onlinebefragung zeigt sich 2010 und 2011 eine für Online-Verfahren typische Dominanz männlicher Teilnehmer, während die Beteiligung von Frauen beim Thema “Kita” massiv ansteigt und die Geschlechterverteilung der Internetbefragung fast ausgleicht. Mit Blick auf die sich beteiligenden Altersgruppen zeigen sich in den Daten der Fachhochschule typische Muster. So ist durchgängig insbesondere die Kohorte der bis 29-jährigen unter den Nutzern der Onlinebefragung vertreten, während Personen ab einem Alter von 50 Jahren im Rücklauf der postalischen Befragung anteilig stärker vertreten sind als bei der Nutzung des Online-Verfahrens.37 36 Vgl. dazu z. B. die statistischen Quartalsberichte der Stadt Jena unter http://www.jena.de/statistik/bericht/bericht.php [15.02.2013] 37 Auf eine tabellarische Darstellung wurde verzichtet, da die Kohorten in den Endberichten der FH Jena teils unterschiedlich ausgewiesen wurden (z.B. 13-29 gegenüber 18-29). 27 Einzelbewertung: Methode der postalischen Befragung Die Komprimierung komplexer haushaltspolitischer Themenzusammenhänge in einen Fragebogen bzw. einzelne standardisierte Fragen bei Anvisierung von Ergebnissen, die für Politik und Verwaltung verwertbar sind, stellt eine besondere Herausforderung dar. Im Großen und Ganzen wurde diese erfolgreich bewältigt. Dennoch sollen die Abstimmungsbögen der einzelnen Jahre auf ihre Funktionalität überprüft werden. 38 Insbesondere für den Fall, dass bestimmte Themengebiete oder Formen der Befragung wieder aufgegriffen werden sollten, kann sich dies als nützlich erweisen. Das Faltblatt,39 das im zweiten Beteiligungsverfahren 2008 als Broschüre diente, zielte darauf ab, die Bewertung von 16 Investitionsprojekten zu erheben. Zusätzlich konnte ein eigener Vorschlag angegeben werden. Den drei wichtigsten Vorschlägen sollten dabei die Zahlen eins, zwei und drei vergeben werden. Die Ausfüllhinweise sind allerdings umständlich formuliert, weshalb angenommen werden kann, dass die Befragten Probleme bei der Beantwortung gehabt haben dürften. So ist die Vergabe der Zahl drei für den wichtigsten Vorschlag unplausibel, denn intuitiv würde man für diesen sicherlich die eins vergeben. Scherzhaft ließe es sich damit vergleichen, dass schließlich auch nicht der Tabellendritte deutscher Fußballmeister wird. Zudem könne auf Begriffe wie “Priorität” verzichtet werden, die ein erhöhtes Sprachverständnis voraussetzen und damit Teile der Bevölkerung ausschließen können. Alternativ böte sich die Vergabe von bis zu drei Stimmen an, die auf die Vorschläge verteilt werden können. Beim Fragebogen aus dem Jahr 200840 fallen einige Mängel in der Formulierung der Fragen und Antwortkategorien auf. So fehlen bei den Fragen nach der Aufmerksamkeit und dem Interesse an der Stadtpolitik bspw. Hinweise, ob Mehrfachantworten zulässig sind oder nicht. Zudem sind die Antwortkategorien nicht erschöpfend, da die Option einer offenen Antwort fehlt. Bei der letztgenannten Frage werden ferner simultan zwei Fragestimuli präsentiert: Interesse an Stadtpolitik und Teilnahme an Veranstaltungen. In Kombination mit den fehlenden Antworthinweisen kann diese für Befragte bei der Beantwortung problematisch werden und zu nicht validen Antworten führen. Bei der dritten Frage zur Bewertung des Informationsgehalts der Broschüre hätte die Antwortkategorien aus Gründen der Übersichtlichkeit besser untereinander präsentiert werden sollen. Der Fragebogen zur Abstimmung über die Investitionsvorhaben 2009 41 weist aus Sicht der Autoren missverständliche Hinweise zur Fragebeantwortung auf. Durch den Nachsatz “Hinweis: Bitte beachten Sie, dass pro Spalte und Zeile nur ein Kreuz erlaubt ist” entsteht der Eindruck, dass alle Vorschläge bewertet werden können, obwohl nur drei priorisiert werden sollen. 38 Vgl. dazu z. B. Porst 2008 Vgl. Faltblatt: Bürgerbeteiligung zu Investitionen 2009 bis 2012, abgerufen unter http://www.jena.de/fm/1727/faltblatt_investitionen_bhh_2008.pdf, [15.02.2013]. 40 Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2008, S. 15, abgerufen unter http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2008.pdf, [15.02.2013] 41 Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2009.pdf, S. 16 [15.02.2013]. 39 28 Die Fragebögen aus den Jahren 201042, 201143 und 201244 sind trotz unterschiedlicher Themen allesamt recht ähnlich gestaltet. Mittels einer abgestuften, kategorialen Antwortskala sollte angeben werden, ob bestimmte Haushaltsbereiche mehr oder weniger finanzielle Mittel zugewiesen bekommen sollen bzw. ob die Gebühren für Kindertagesstätten angehoben oder gesenkt werden sollen. In beiden Fällen bestand ebenfalls die Möglichkeit, die gegenwärtigen Haushaltsmittel bzw. Kosten als angemessen einzustufen. Die Formulierung der Fragen und Antwortkategorien ist als gut zu bewerten. Allerdings stellt die graduelle Abstufung ein Problem für die Bearbeitung der Befragungsergebnisse durch die Politik und Verwaltung dar, denn sie lassen einen beträchtlichen Interpretationsspielraum, was noch in Bezug auf Ergebnisse und Rechenschaftslegung zu diskutieren sein wird. Ferner kann vermutet werden, dass hochspezifische Themen wie Kindertagesstätten womöglich für breitangelegte postalische Befragungen zu komplex sind, sodass sich zu einem Großteil nur die Gruppe der direkt Betroffenen (Eltern) mit der Bürgerhaushaltsbroschüre auseinandersetzt.45 Auch wenn dies von den Befragten der AG eher kritisch gesehen wird, könnte eine Einbindung der Verantwortlichen für die Auswertung in die Fragebogenerstellung eine effektivere Verzahnung von Erhebung und Auswertung sicherstellen. Außerdem sollte bei der künftigen Themenwahl darauf geachtet werden, dass das Thema weder zu spezifisch noch zu allgemein ist. Ersteres senkt die Anreize für die breite Masse, sich zu beteiligen, zweiteres die Verwertbarkeit der Beteiligungsergebnisse. Neben dem Verzicht auf eine Ausgabe der Broschüren an Parteien und Interessengruppen wäre es sinnvoll, auch auf die Auslage eines Kontingents von Broschüren auf Bürgerversammlungen und in der Tourist-Information zu verzichten. An dieser Stelle könnten die vorhandenen Flyer verteilt werden, die auf das Online-Verfahren hinweisen. Eventuell ist so die Aktivierungshöhe sogar größer, da die Online-Teilnahme im Gegensatz zur Nutzung der Abstimmungskarte, die in diesem Fall ohne Rücksendeumschlag versandt werden müsste, sogar kostenlos ist. Einzelbewertung Online-Verfahren Das Onlineverfahren bringt die postalische Befragung im Wesentlichen unverändert in den digitalen Raum. Der Zugang per Registrierung ist ein in vielen Bürgerhaushalten diskutiertes Thema, da es eine mögliche Hürde für niedrigschwellige Beteiligung darstellt. Im Gegensatz zu anderen technischen Möglichkeiten von eher temporären IP-Sperren bis hinzu Cookies, wird so eine Manipulation allerdings am ehesten erschwert. Im Onlineforum zum Jenaer Bürgerhaushalt wurden ferner Probleme bei der OnlineAbstimmung im Jahr 2010 berichtet46. Auch solche Probleme können vermieden werden, indem 42 Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2010, S. 17, abgerufen unter http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2010.pdf, [15.02.2013]. 43 Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2011, S. 17, abgerufen unter http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2011.pdf, [15.02.2013]. 44 Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2012, S. 17, abgerufen unter http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2012.pdf, [15.02.2013]. 45 S. dazu auch die geringere Rücklaufquote bei der postalischen Befragung 2012. 46 S. dazu http://forum.jena.de/forbb/viewtopic.php?f=22&t=31 [15.02.2013] 29 die Abstimmungsfunktion vor Beginn der Abstimmungsphase ausführlich getestet wird. Dabei sind sowohl unterschiedliche Webbrowser (insb. MS Internet Explorer, Mozilla Firefox, Google Chrome und Apple Safari als weitverbreitete Browser) als auch Browserkonfigurationen (Cookies, Java Script usw.) und Bildschirmauflösungen zu berücksichtigen. In Zeiten der steigenden Nutzung des Internets über Mobiltelefone sollten auch sehr kleine Displayformate auf reibungslose Funktionalität untersucht werden. Die im Forum erwähnte Inaktivitätsspanne und die ordnungsgemäße Verlinkung der Abstimmung sind ebenfalls Parameter, die im Vorfeld immer sorgfältig überprüft werden sollten. Der Grund dafür liegt in einer möglicherweise abschreckenden Wirkung technischer Fehler auf potentiell interessierte Bürger. Immer wieder ist auch die Repräsentativität der Ergebnisse ein Kritikpunkt in der politischen Diskussion.47 Um solcher Kritik entgegenzutreten, sollten die Ergebnisse für die repräsentative Stichprobe aus Sicht der FH Jena eher nicht mit der auf Selbstselektion beruhenden Stichprobe aus der Onlinebefragung vermischt werden. 2.2 Vor-Ort-Veranstaltungen Außerhalb des eigentlichen Abstimmungsverfahrens wurden seit Einführung des Bürgerhaushalts auch Bürgerversammlungen angeboten. Solche Präsenzveranstaltungen sind insofern problematisch, als sie häufig nur wenige Besucher mobilisieren, was oft zu vergeblichem Aufwand und Kritik in den Presse führt.48 47 48 Vgl. dazu z. B. Masser et al. 2013, S. 85-92 Vgl z. B. Holtkamp 2008, S. 229-230. Beispiele für kritische Kommentare der lokalen Presse zeigen sich u. a. in Oldenburg, vgl. dazu Schneider 2012 30 Tabelle 10: Übersicht über Bürgerversammlungen im Zusammenhang mit dem Jenaer Bürgerhaushalt Jahr Ort / Termine Teilnehmer Anlass / Themen 2007 Drei Bürgerversammlungen insgesamt ca. 140 Personen Durchführung auf Basis von Stadtratsbeschluss (Nr. 07/0860-BV), jeweils eine Versammlung zu den Themen Stadtentwicklung, Familienpolitik, Schuldenabbau 2008 Vier Bürgerversammlungen insgesamt ca. 40-60 Verfahren des Bürgerhaushalts 2009 KuBuS Lobeda-West (09.11.09), Rathausdiele (16.11.09), Christliches Gymnasium (23.11.09), Regelschule Winzerla (30.11.09) ca. 15-20 pro Versammlung Entwicklung des Bürgerhaushalts in Jena, Ergebnisse der bisherigen Bürgerabstimmungen, Themen und Modalitäten des Bürgerbeteiligungsverfahrens 2009, zukünftige Schwerpunkte 2010 Volkshochschule Jena (27.04.2010) ca. 30 Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens 2009, Chancen zur Umsetzung Volkshochschule Jena (18.08.2010) ca. 40 Haushaltsbroschüre, Beteiligungsverfahren 2011 Volkshochschule Jena (08.09.2011) ca. 30 neue Haushaltsbroschüre, aktuelles Beteiligungsverfahren 2011, Weiterentwicklung des Jenaer Bürgerhaushalts 2012 Plenarsaal des alten Rathauses (05.09.2012) 31 bisherige Verfahren und Ergebnisse, neue Haushaltsbroschüre 2012, aktuelles Beteiligungsverfahren Plenarsaal des alten Rathauses (10.12.2012) ca. 30 Präsentation der Beteiligungsergebnisse 2012 Quelle: Homepage des Bürgerhaushalts Jena, Auskünfte der Stadtverwaltung Jena. Seit Bestehen des Bürgerhaushalts wurde mindestens einmal jährlich eine Präsenzveranstaltung aus Anlass des zeitgleichen oder in unmittelbarer zeitlicher Folge stattfindenden Beteiligungsverfahrens durchgeführt. Der Fokus liegt dabei darauf, das Beteiligungsverfahren im Allgemeinen und das aktuelle Verfahren im Speziellen zu erläutern und mit den Anwesenden darüber zu diskutieren. Zusätzlich gab es z. B. im Jahr 2009 Veranstaltungen, die sich mit den Ergebnissen des vergangenen Verfahrens auseinandergesetzt hatten. Eine solche Präsentation der Ergebnisse fand aber auch in öffentlichen Sitzungen der AG statt, so dass auf zusätzliche Versammlungen verzichtet wurde. 31 Bis auf die Termine des Jahres 2012 basieren die Zahlen der Teilnehmenden auf Schätzungen der Verwaltung. Deshalb kann keine Aussage über die die Zusammensetzung der Teilnehmer getroffen werden. In den Bürgerversammlungen 2012, insbesondere bei der Ergebnispräsentation setzten sich die Teilnehmer allerdings zum größten Teil aus Mitgliedern der AG Bürgerhaushalt, Mitarbeitern der Stadtverwaltung sowie der lokalen Presse zusammen. Nachdem die ersten Veranstaltungen noch als gut besucht zu bezeichnen sind, sank die Beteiligung in den Folgejahren schnell auf ein überschaubares Niveau, wie es ein Mitarbeiter der Verwaltung ausdrückt: „Das waren ja damals auch die hehren Versuche, als wir gestartet sind, dass wir in Bürgerforen da eine große Besucherzahl erreichen. Aber das wurde nie erreicht. Es hat mehrere Foren gegeben, die sehr schlecht besucht wurden.“ Die geringe Wahrnehmung der Vor-Ort-Angebote durch Bürger hat schließlich dazu geführt, dass die Zahl solcher Veranstaltungen kontinuierlich reduziert wurde und auf dezentrale Veranstaltungen verzichtet wird.49 Das scheinbar geringe Interesse an dieser Form der Veranstaltung muss allerdings nicht überraschen. In Jena dient die Bürgerversammlung vor allem als Mittel der Information sowie der Mobilisierung zur Teilnahme durch die Internetabstimmung bzw. durch Haushaltsbroschüren, die bei der Versammlung ausgelegt werden. Bürgern, die sich über die postalisch erhaltene Broschüre bzw. über das Online-Angebot bereits ausreichend bezüglich des Verfahrens und Fragen des städtischen Haushalts informiert fühlen, bieten sich also eher geringe Anreize für die Teilnahme an der Bürgerversammlung. Sollte die Funktion und der Status dieses Instrumentes im Prozess nicht geändert werden, erscheint die Durchführung einer einzigen jährlichen Veranstaltung durchaus als sinnvoll und angemessen. Durch die Bewerbung der Veranstaltung kann ein Werbeeffekt erzielt werden, der auch Teilnehmer für eine Online-Beteiligung aktiviert, die aber nicht bei der Veranstaltung erscheinen. Weiterhin wird Interessierten zumindest die Möglichkeit geboten, sich zu äußern und somit Feedback zum Verfahren zu geben, ohne an Sitzungen der AG Bürgerhaushalt teilzunehmen. Um das Interesse an dieser Veranstaltungsform selbst zu erhöhen, bietet sich im Rahmen des jetzigen Verfahrens bspw. die Einbindung partizipativerer Momente an. So könnten unter den Anwesenden z.B. Vorschläge für die Themen folgender Bürgerhaushalte gesammelt werden. Eine noch umfassende Aufwertung der Bürgerversammlungen ließe sich nur bei einer grundsätzlichen Umgestaltung des Verfahrens erreichen. 2.3 Zusätzliche digitale Kommunikations- und Beteiligungsangebote Neben den oben genannten Beteiligungsinstrumenten existieren weitere digitale Angebot, die prinzipiell in das Beteiligungsverfahren selbst eingebunden werden könnten, aber zur Zeit insbesondere eine Form der Öffentlichkeitsarbeit darstellen. 49 Ein ähnlicher Befund ist auch für andere Bürgerhaushalte festzustellen. So reduzierte Oldenburg zuerst die Anzahl der Bürgerforen von sechs auf zwei (Schneider 2012, S. 4). Beim dritten Durchgang des Bürgerhaushalts wurde dort komplett auf Präsenzveranstaltungen verzichtet. 32 Onlinediskussionsforum Bei Betrachtung der Nutzung des Onlinediskussionsforums fällt auf, dass sich nur eine geringe Zahl an Nutzern dort angemeldet hat. Statistisch gesehen werden zu jedem Thema lediglich rund 2,7 Beiträge abgegeben. Insgesamt deutet dies nicht darauf hin, dass das Forum sonderlich zur Diskussion der kommunalen Haushaltspolitik unter Bürgern genutzt wird. Höchstens die kontroverse Diskussion der Kulturausgaben im Jahr 2011 scheint ansatzweise die Beteiligung im Forum angeregt zu haben. Tabelle 11: Nutzung Onlinediskussionsforum zum Bürgerhaushalt Jena. Stand 01.04.2013 Themen Beiträge Mitglieder 120 324 46 Vielmehr scheint es, als diente es lediglich als Informationsplattform für den harten Kern der Bürgerhaushaltsaktiven und -sympathisanten. So bietet das Forum die Möglichkeit einer Verständigung der AG-BHH über Sitzungstermine sowie externe Veranstaltungen. Durch den freien Zugang zum Forum, der auch ohne Registrierung den Zugriff auf Gesprächsverläufe und Dokumente zulässt, wird für eine erweiterte Öffentlichkeit zumindest potentiell Transparenz in Bezug auf die Arbeit der Akteure des Bürgerhaushalts hergestellt. Dabei bleibt zu klären, welche Inhalte des Forums auch Teil der BHH-Homepage sein sollten. Auf letzterer finden sich nur die Protokolle der AG-BHH, während Sitzungsmaterialien und Teilnehmerlisten nur über das Forum abrufbar sind. Im Sinne der Übersichtlichkeit der Homepage sollte die bisherige Aufteilung beibehalten werden. Social-Networks: Facebook Als weitere Kommunikations- bzw. Interaktionsform bietet der Bürgerhaushalt der Stadt Jena eine eigene Facebook-Seite an.50 Sie übernimmt eine ähnliche Funktion wie das Onlineforum auf der Internetseite des Bürgerhaushalts. Es werden aktuelle Termine des Bürgerhaushalts bekannt gegeben, über Entscheidungen der Kommunalpolitik berichtet sowie Hinweise auf Beiträge und Veranstaltungen zu Bürgerhaushalten im Allgemeinen verbreitet. Die in der Regel geringe Anzahl an Kommentaren und “Gefällt mir”-Angaben (“Likes”) zu den einzelnen Beiträgen deuten jedoch darauf hin, dass auf der Seite kaum öffentlich sichtbare Interaktion stattfindet. Auch wenn sich so keine hohen Ansprüche von Mobilisierung und Web-2.0Interaktivität für das Verfahren ergeben, sind diese Zahlen als typisch zu bezeichnen. Etablierte Bürgerhaushalte, falls sie überhaupt vertreten sind, wie z. B. Potsdam (237 Likes)51 oder Hilden (202 Likes)52 kommen auf nicht wesentlich höhere Bekanntheit, während die wenigen anderen vertretenen Bürgerhaushalte noch weniger nachgefragt werden, wie z. B. Marzahn-Hellersdorf (23 bzw. 34 Likes)5354 oder Weimar (52 Likes)55. Selbst Metropolen wie die US-Städte New York 50 Vgl. http://www.facebook.com/pages/Bürgerhaushalt-Jena Vgl. http://www.facebook.com/pages/B%C3%BCrgerhaushalt-in-Potsdam/110882312283251 52 Vgl. http://www.facebook.com/Hildener.Buergerhaushalt 53 Vgl. http://www.facebook.com/BHH.MaHe 54 Vgl. http://www.facebook.com/misch.mit.mahell 51 33 (784 Likes)56 oder Chicago (296 Likes)57 können über Facebook keine umfassende Aktivierung realisieren, wenn man die typische Mechanik der “Likes” als Indikator für die Vernetzung einer Seite zugrunde legt.58 Um die Besucherfrequenz auf der Facebook-Seite dennoch zu erhöhen, böte es sich an, die Seite über weitere Jenaer Facebook-Seiten, wie z. B. von Vereinen, Ortsgruppen der Parteien, Veranstaltungsseiten, Zeitungen usw. bekannter zu machen. 2.4 Bekanntheit, (Nicht-)Beteiligung und Beteiligungsabsicht Von den 179 Befragten gaben fast 93 Prozent an, bereits vor der Befragung vom Jenaer Bürgerhaushalt gehört zu haben. Von diesen 166 Personen gaben wiederum rund 74 Prozent an, sich am Bürgerhaushalt beteiligt zu haben. An dieser Stelle ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Befragung nicht auf einer Zufallsstichprobe aus der Gesamtbevölkerung beruht, sondern die Teilnahme per Selbstselektion erfolgte. Daher kann der Prozentanteil nicht als Anteil in der Bevölkerung interpretiert werden. Von den 16 Befragten im Onlineforum gaben selbstverständlich alle an, den Bürgerhaushalt zu kennen. Am Jenaer Bürgerhaushalt beteiligt haben sich davon 15 Personen. Es stellt sich nun die Frage, welche Gründe die verbleibenden 25 Prozent (43 Personen) bzw. die verbleibende Person aus dem Onlineforum angaben, warum sie sich nicht am Bürgerhaushalt beteiligt haben. Das nachstehende Diagramm gibt einen Überblick. 55 Vgl. http://www.facebook.com/pages/B%C3%BCrgerhaushalt-Weimar/164357443579622 Vgl. http://www.facebook.com/PBNewYorkCity 57 Vgl. http://www.facebook.com/PBChi 58 Datenstand der Facebook-Angaben: 01.04.2013. 56 34 Grafik 6: Gründe für Nicht-Beteiligung am Jenaer Bürgerhaushalt. Nennungen in Prozent. Mehrfachantworten zulässig (Bürgerbefragung). 54 Fehlende Informationen 33 Keine Zeit 16 Sonstige Gründe Bürgerbefragung (n = 43) Die gebotenen Informationen zum Beteiliungsverfahren waren schwer verständlich 12 5 Kein Interesse an Beteiligung 0 Kein Interesse an Kommunalpolitik 0 10 20 30 40 50 60 Anmerkung: Die Fallzahl reduziert sich von 179 auf 43, da nur die Personen einbezogen werden, die sich bisher nicht am Jenaer Bürgerhaushalt beteiligt haben. Von den 16 Befragten aus dem Onlineforum gab lediglich eine Person an, sich bisher nicht am Bürgerhaushalt beteiligt zu haben. Unter „sonstige Gründe“ wurde in der offenen Bürgerbefragung genannt: ● ● ● ● ● ● ● „Bürgerhaushalt ist reine Geldverschwendung“ „Die Wünsche der Bürger werden eh nicht umgesetzt“ „Neu zugezogen“ „private Umstände, dieses Jahr keine Zeit für die Teilnahme an der Befragung ermöglichte“ „Rückkehr vor kurzem“ „Selten im I-Net“ „Unrelevante Punkte die zur Auswahl standen. Macht die Befragung uninteressant“ Auch wenn die Fallzahl recht gering ist, kann man aus den Daten vorsichtig interpretieren, dass die Informationsarbeit zum Bürgerhaushalt ausgebaut werden kann. Generell scheint es angebracht, bei den entsprechenden Materialien auf Anschaulichkeit und Verständlichkeit zu achten. Darüber soll an späterer Stelle dieses Berichts noch diskutiert werden. Eine künftige Beteiligung am Jenaer Bürgerhaushalt können sich fast alle Befragten vorstellen, sowohl unter den Befragten der offenen Befragung als auch im Onlineforum (s. nachstehende Tabelle). Dabei ist jedoch nochmals auf Selbstselektionseffekte hinzuweisen, da die Befragung mit hoher Wahrscheinlichkeit von am Bürgerhaushalt interessierten Bürgern wahrgenommen und beantwortet wurde. 35 Künftige Beteiligung Tabelle 12: Künftige Beteiligung am Jenaer Bürgerhaushalt (Spaltenprozent). Bürgerbefragung Onlineforum Ja 85 94 Nein 6 - Weiß nicht 10 6 Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. 3. Beteiligungsergebnisse, Wirkungen und Rechenschaft 3.1 Beteiligungsergebnisse Die nachfolgende Übersicht soll einer groben Übersicht über die bisherigen Beteiligungsergebnisse dienen, die weder Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, noch einer Wertung der Ergebnisse dienen soll. 36 Tabelle 13: Ergebnis der Bürgervoten. Jahr Pro Contra Anmerkungen / Details 2007 Familie/Soziales , BauWohnungswesen/Verkehr/öffentliche Einrichtungen, Verschuldung der Stadt; günstigerer Nahverkehr; bessere Radwege; Kinder u. Jugendliche; Ordnung u. Sauberkeit Verwaltung (Sparen bei Personal) Thematisch offene Bürgerbefragung; Jüngere pro Freizeit u. Sport; ältere pro Ordnung u. Sicherheit 2008/I Entschuldung, Radwegesystem, Straßenunterhalt - Bewertung der 18 Vorschläge zur Verwendung der Mehreinnahmen; ungültige Antworten enthielten Forderung nach Ausbau des Weststadions und Neubau einer Sporthalle 2008/II Sanierung Ostbad, Sozialer Wohnungsbau, Sanierung Schillerschule 2009 Haushaltskonsolidierung, sozialer Wohnungsbau, Radwege, Optimierung Verkehrsfluss, [Sport- und Mehrzweckhalle] Kongresshalle, Kunstrasenplatz Abstimmung über PLZ-Bereiche konstant; ländliche Viertel stärker für Konsolidierung; nur leichte Abweichungen bei Onlineabstimmung und sonstigen Stimmzetteln 2010 Bildung, Soziales, Jugend Kultur, Sport Frauen: pro Jugend, Kultur, Soziales. Jüngere Personen: pro Bildung und Jugend. Ältere: Kultur. Bei Einzelposten wurden Verpflegung in Schulen und Kitas sowie Qualitätssicherung in Kitas präferiert. 2011 Kein deutliches Bild. Förderung i. d. R. ausreichend bzw. etwas mehr zu fördern. Gleiches Ergebnis für Eigenbetrieb JenaKultur - Kein deutliches Bild. Förderung i. d. R. ausreichend bzw. etwas mehr zu fördern. Leichte Abneigung gegen Theater/Philharmonie. Frauen: für stärkere Förderung. Jüngere: für Veranstaltungen und Theater. Ältere: für Philharmonie. Cluster: Sparer, Förderer (Subgruppen: Unterschiede bei Musik-/Kunstschule u. Philharmonie). Online pro Eigenbetrieb, sonstige sehen die Förderung als ausreichend an 2012 Kein deutliches Bild. Bei jeder Frage votiert eine Mehrheit für die Beibehaltung des Status Quo, während Minderheiten gegenläufige Präferenzen haben, die als Tendenzen ausgelegt werden könnten. - ⅓ sehen Ausstattung der Kitas als zu niedrig an, rund 60% als ausreichend; 50% sehen Finanzierungsregelung als angemessen an, 10% wünschen Senkung des Freibetrags, 30% für eine Erhöhung; für ein aufwandsbezogene Gebühr sprechen sich 50% aus, 50% dagegen; 60% sprechen sich für eine Finanzierung durch Ausgabensenkung aus, 20% für Steuererhöhungen; Gespart werden sollte besonders bei der Verwaltung und bei Großprojekten Bewertung von 16 Vorschlägen der Fraktionen sowie einem eigenen Vorschlag zu Investitionsprojekten Quelle: Auswertungsberichte der Fachhochschule Jena durch Arndt Lautenschläger, zum Teil mit Monika Seiffert, sowie Angaben des Fachbereichs Finanzen (2008/I) 37 3.2 Wirkung des Verfahrens auf die kommunale Haushaltspolitik Wenn es um die Beteiligungsergebnisse und ihre Wirkung geht, beschreiben alle Befragten unisono das Ergebnis des Jahres 2009 als besonders folgenreich bzw. als das einzige mit wirklich greifbaren Auswirkungen. So betonen alle Befragten, dass die mit dem Bürgervotum verbundene Legitimation die Grundlage für umfangreiche Entschuldungsmaßnahmen bot, die auch eine freiwillige Schuldenbremse in der Hauptsatzung beinhalteten. Sie war neben Auswirkungen im Bereich des Radwegeausbaus und der Bildungsinvestitionen das relevanteste Ergebnis. So ein Mitarbeiter der Verwaltung: Die Bürger sich auch ganz klar, die Hälfte, sich für Entschuldung ausgesprochen hat. […] Wir haben tatsächlich, auch im Ergebnis des ersten Umfrageergebnisses 2008, ein Entschuldungskonzept eingeführt, wir haben ein Verschuldungsverbot in die Hauptsatzung aufgenommen. […] Der Prozess ist auch wirklich sehr konsequent angepackt worden und das liegt auch an dem Rückenwind, den wir durch die Bürgerbefragung hatten im Rahmen des ersten Bürgerhaushaltes, dem ersten.“ Neben der unbestrittenen Wirkung des Beteiligungsergebnisses geht die inhaltliche Bewertung der verfolgten Maßnahmen insbesondere im Bereich der politischen Parteien auseinander. Hier stehen sich Befürworter und Gegner einer solch strikten Sparpolitik gegenüber. Die Eindeutigkeit einer Abstimmung über verschiedene Investitionsvorschläge hat in einem solchen Verfahren aber auch ihre Grenzen. Schon knapp nach dem erstplatzierten Vorschlag “Entschuldung” bot die Anzahl der Bürger, die für die einzelnen Vorschläge votierte, bereits Anlass für Diskussionen: „Dann zeigte sich, nach der ersten Bürgerbefragung gab es einen gewissen Streit zwischen Koalition und Opposition. Wer sich bestätigt fühlt und wer nicht in seinen politischen Ansichten. Die statistische Grundlage wurde ab Platz 4 so dünn also 167 Leute oder so, dass man damit auch nicht mehr so ganz große Politik machen konnte.“ Eine reine Abstimmung zu Vorschlägen der Verwaltung bzw. der Fraktionen, zu denen sich die Bürger nicht weiter äußern können, kann, wie im Fall des Verfahrens 2008 zu den Mehreinnahmen aber auch den Eindruck einer direktdemokratischen Abstimmung erwecken, so die Kritik des Zuständigen von “buergerhaushalt.org”, Oliver Märker. 59 Kommt es hier zu Abweichungen im Votum des Stadtrats, kann dies schnell zu neuem Verdruss führen. Durch den Wechsel von Investitionen zu Sachkostenausgaben unterscheiden sich die Ergebnisse und Wirkungen der jüngeren Verfahren allerdings von denen der Jahre 2008 und 2009. Im Gesamtblick werden die Ergebnisse der Jahre 2010, 2011 und 2012, wie insbesondere in den Interviews mit Vertretern aus Politik und Verwaltung deutlich wird, als eher unbrauchbar für direkt ableitbare Entscheidungen eingeschätzt, da sie keine klaren Sachverhalte in „harten Zahlen“ produzieren, sondern graduell abgestufte Einschätzungen. Hier liegt ein Problem für den Stadtrat, das ein Mitarbeiter der Verwaltung im Hinblick auf die Ergebnisse herausstellt: 59 Vgl. http://www.buergerhaushalt.org/article/jena-ergebnisse-der-b%C3%BCrgervoten-ignoriert, [17.03.2013] 38 "Aber mal ein bisschen mehr, ein bisschen weniger, das wird nichts, da bleibt jeder bei seiner Spielwiese." Die befragten Ratsmitglieder geben zwar an, dass sie die Ergebnisse in ihre Entscheidungsfindung einfließen lassen, insbesondere die Befragten der AG Bürgerhaushalt betonen aber, dass die ihrer Meinung nach durchaus vorhandenen Ergebnisse nur sehr selektiv wahrgenommen werden. Dies bestätigt auch ein Befragter aus der Politik, der es nicht zuletzt auf den Interpretationsspielraum zurückführt, den die Ergebnisse bieten: “Wenn man das politisch gut gebrauchen kann für die Legitimation eigener Beschlüsse, dann zieht man es heran. Ansonsten ist es glaube ich weitgehend unberücksichtigt.” Von vielen Befragten wird in diesem Kontext auch ein direkter Zusammenhang zwischen den nicht unbedingt leicht anschlussfähigen Beteiligungsergebnissen und den ausbleibenden Entscheidungen des Stadtrates konstatiert, wie es ein Mitarbeiter der Verwaltung beschreibt: „Insgesamt muss man feststellen, dass der Stadtrat von den Tendenzen, das sind ja eigentlich Tendenzaussagen, die man rausziehen kann, nicht sehr viel umgesetzt hat. Also Entschuldung ist noch das drastischste.“ 3.3 Rechenschaftslegung Wo auch immer die Gründe für eine geringe Wirkung des Verfahrens liegen: Die Probleme, diese Wirkungen der Beteiligungsverfahren ab 2010 zu benennen, beeinflussen direkt die Möglichkeit, Rechenschaft abzulegen. Seit den ersten Verfahren wird versucht, über den Umgang von Politik und Verwaltung mit den Ergebnissen der Beteiligung zu informieren. Bis 2011 geschah dies unter anderem in den Broschüren, die das jährliche Verfahren beleuchten. Aufgrund der längeren Dauer von Umsetzungen im Investitionsbereich hieß es in der Broschüre des Verfahrens 2008/II zu den Wirkungen des Verfahrens 2007 und 2008/I nur: “Die Hinweise und die Kritik zu den vorgestellten Vorschlägen und weiteren Themen wurden ausgewertet und den Verantwortlichen übergeben. Die wertvollen Vorschläge zur Verbesserung des Verfahrens der Bürgerbeteiligung werden bei der weiteren Arbeit berücksichtigt”60 Während in den Broschüren des Jahres 2009 61 und 2010 62 dann eine Rechenschaftslegung über den bisherigen Umsetzungstand im Bereich Investitionen gegeben werden konnte, wird seit 2011 auf eine solche Darstellung verzichtet und nur noch das reine Beteiligungsergebnis des Vorjahres vorgestellt. In der dadurch fehlenden Rechenschaftslegung sehen vor allem Befragte der AG und der Politik das größte Problem des Verfahrens, das noch andere negative Wirkungen nach sich ziehen kann, wie es ein Befragter aus den Reihen der AG zutreffend formuliert: “Wie gesagt die Rechenschaftslegung habe ich vielleicht schon zehnmal erwähnt, aber das ist sozusagen wirklich die Sache, die denke ich mal wirklich die Bürger davon überzeugen kann da 60 Haushaltsbroschüre der Stadt Jena 2008 http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2008.pdf, S.3f. [15.02.2013] 61 Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2009.pdf, S. 5f. [15.02.2013] 62 Vgl. Haushaltsbroschüre der Stadt Jena http://www.jena.de/fm/1727/bhh_broschuere_2010.pdf, S. 4ff. [15.02.2013] 39 abzustimmen. Weil natürlich auch Politikverdrossenheit daraus resultiert, dass die Bürger sagen: "Ja ja, die machen sowieso was sie wollen und hören nicht auf uns." Einige der Gesprächspartner sahen auch, dass es Kommunen, die Verfahren des Vorschlagswesens (mit oder ohne feste Budgets) anwenden, leichter fällt, eine Rechenschaftslegung zu gewährleisten, wie es ein befragter Politiker betont: "Also diese Art, wie es in Lichtenberg [läuft], ist natürlich hinsichtlich der Auswertung und der Umsetzung viel einfacher, als wenn man sich z.B. ein Thema aus dem Verwaltungshaushalt nimmt und versucht, das jetzt irgendwie auszuwerten.“ Insbesondere bei der erneuten Behandlung von Investitionsentscheidungen könnten Ergebnisse des Verfahrens in Verwaltungsvorlagen transferiert werden, über deren Behandlung dann klar Rechenschaft abgelegt werden kann. 4. Allgemeine Einschätzung des Verfahrens und möglicher Optionen der Weiterentwicklung 4.1 Allgemeine Einschätzung Insgesamt bewerten die meisten in den Interviews befragten Akteure das Verfahren vor dem Hintergrund seiner langjährigen Praxis zumindest partiell als Erfolg, wobei vor allem die verstärkte Öffentlichkeit für das Thema Finanzen als positiv angesehen wird, wie es ein Mitarbeiter der Verwaltung betont: „Positiv ist, dass die Frage von Haushaltsentscheidungen und damit auch notwendigen Prioritätensetzungen stärker in das öffentliche Bewusstsein gekommen sind. Das ist ja auch Absicht des Bürgerhaushalts. Die Vorstellung, dass die ganze Stadt den Haushalt von vorn bis hinten kennt ist natürlich Illusion. Es ist dann leider nur doch ein gewisser Prozentsatz, der das aktiv wahrnimmt. Aber das finde ich generell sehr positiv. Mehr Erkenntnisse über den Haushalt“ Vor allem bei Vertretern der Politik und der AG Bürgerhaushalt fällt das Urteil kritischer aus. Neben Erfolgen der bisherigen Informationsleistung kritisieren sie primär die fehlende Wirkung des Verfahrens auf die Haushaltspolitik der Stadt Jena, wie es auch ein Befragter aus der Politik zum Ausdruck bringt: “Es ist aber auch nicht so, dass es dann irgendwelche Auswirkungen hätte auf Haushaltsentscheidungen. Also ich habe eher das Gefühl, das läuft nebenbei und ist auch eine Art 'Bürgerberuhigungshaushalt', fließt aber mittlerweile nicht mehr in Entscheidungen des Stadtrates ein.” Auch in den, im Anhang wiedergegebenen Freifeldantworten aus der Befragung von Bürgern und Rat wiederholen sich, neben Vorwürfen der Ignorierung oder gar Instrumentalisierung des Verfahrens an verschiedene Akteure, die bereits genannten Kritikpunkte, wobei die Aussagen aus der Bürgerschaft eher von einem positiveren Tenor getragen sind. Nach den bisherigen Einzeleinschätzungen zu verschiedenen Verfahrenselementen, soll es nachfolgend um die Einschätzungen der beiden wichtigsten Gruppen im Prozess Bürgerhaushalt gehen: zum einen die Stadträte, an die sich die Ergebnisse des 40 Beteiligungsverfahrens richten und zum anderen die Bürger selbst, ohne deren Teilnahme kein Bürgerhaushalt funktionieren kann. Rat Bewertung der Leistungsfähigkeit des Bürgerhaushalts Wie bewerten nun die Ratsmitglieder, abseits von Einzelmeinungen, die Leistungsfähigkeit des Jenaer Bürgerhaushalts in verschiedenen Bereichen? Das nachstehende Balkendiagramm liefert eine Antwort. Am stärksten wird die Wirkung hinsichtlich der Erhöhung des politischen Interesses und Aktivität eingestuft. Die Prozentwerte liegen beide bei ungefähr 60 Prozent. Die Prozentwerte der folgenden Aussagen („Items“) liegen allesamt deutlich niedriger. Dies bedeutet konkret, dass die Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Schaffung von Entscheidungshilfen für die Politik und der Erhöhung der Transparenz der Jenaer Haushaltspolitik deutlich skeptischer eingeschätzt werden. Das gleiche gilt für die Lieferung von umsetzbaren Beteiligungsergebnissen, die bessere Verwendung städtischer Gelder und die Schaffung von Akzeptanz für unbeliebte politische Entscheidungen. Die negativ formulierten Aussagen finden insgesamt eher geringe Zustimmung unter den Ratsmitgliedern. Vor allem einer möglichen Einschränkung der Kompetenzen des Rates und einer Verkomplizierung der Haushaltsplanung, aber auch der Verursachung unnötiger Kosten durch den Bürgerhaushalt wird kaum zugestimmt. Interessant ist jedoch, dass die Aussage „[..] dient lediglich starken, organisierten Gruppen“ etwas höhere Zustimmung zukommt. Dies deutet darauf hin, dass in diesem Bereichen eine gewisse Skepsis unter den Ratsmitgliedern vorherrscht, man also annimmt, dass das Verfahren anfällig für eine “Übernahme” durch organisierte Interessen ist. 41 Grafik 7: Bewertung Eigenschaften Bürgerhaushalt durch Ratsmitglieder. Skalenwerte 4 und 5 „stimme voll und ganz zu“ in Prozent (n = 19). Erhöht das politische Interesse der Bürger 69 Erhöht die politische Beteiligung der Bürger in Politik und gesellschaftlichen Fragestellungen 56 Dient lediglich starken, organisierten Gruppen 42 Weckt unerfüllbare Erwartungen 33 Werden Entscheidungshilfen für die Politik geschaffen 32 Macht die städtische Haushaltspolitik nachvollziehbarer 32 Liefert umsetzbare Beteiligungsergebnisse 26 Die finanzielle Lage (Einnahmen, Ausgaben) der Stadt wird von Politik und Verwaltung für die Bürger verständlich dargestellt 22 Schafft Verständnis für unbeliebte, aber notwendige politische Entscheidungen 21 Verursacht unnötige Kosten 16 Der Bürgerhaushalt schränkt die Kompetenzen des Rates ein 16 Führt zur besseren Verwendung städtischer Gelder Prozent 11 Der Bürgerhaushalt macht die Haushaltsplanung komplizierter 0 0 20 40 60 80 100 Anmerkung: Der vollständige Fragewortlaut kann dem Fragebogen im Anhang entnommen werden. Da die Aussagen in identischer Formulierung auch für die Onlinebefragung der Bürger vorliegen, sollen die Daten späterer Stelle dieses Berichts verglichen werden, sodass eventuelle unterschiedliche Wahrnehmungen des Bürgerhaushalts deutlich werden können. Bewertung der Funktionen des Bürgerhaushalts Die nächste zu beantwortende Frage ist, welche Wichtigkeit die Ratsmitglieder bestimmten Funktionen des Bürgerhaushalts beimessen. Auch dazu wurde eine Fragenbatterie abgefragt. Das nachstehende Balkendiagramm gibt einen Überblick über die beiden aufaddierten höchsten Skalenwerte in Prozent. 42 Grafik 8: Bewertung Funktionen des Bürgerhaushalts durch Ratsmitglieder. Skalenwerte 4 und 5 „wichtig“ in Prozent (n = 19). Einbringen von Vorschlägen durch die Bürger 89 Information der Bürger über den städtischen Haushalt 84 Anregung einer öffentlichen Diskussion über den kommunalen Haushalt 79 Erhebung eines Meinungsbilds unter den Bürgern Prozent 63 Kontrolle der Kommunalpolitik und ‐ verwaltung durch die Bürger 42 0 20 40 60 80 100 Große Wichtigkeit lassen die Ratsmitglieder den Funktionen „Einbringen von Vorschlägen durch die Bürger“, „Information der Bürger“ und „Anregung einer öffentlichen Diskussion über den kommunalen Haushalt“ zukommen. Die Prozentwerte tendieren deutlich in Richtung oberes Ende der Skala. Überraschend ist, dass der Prozentwert für das Einbringen von Vorschlägen sehr hoch ausfällt, obwohl im Jenaer Modell das Einreichen von Vorschlägen durch die Bürger nicht angedacht ist. Auch dass die Erhebung eines Meinungsbilds zwar eine recht hohe Wichtigkeit zugemessen bekommt, aber nicht an der Spitze des Rankings positioniert ist, ist etwas verwunderlich, denn schließlich scheint dies die primäre Aufgabe einer Umfrage. Der Jenaer Bürgerhaushalt entspricht im Wesentlichen einer Umfrage. Dass die Kontrolle von Politik und Verwaltung am unwichtigsten ist, ist abschließend keine sonderliche Überraschung. Bewertung des Bürgerhaushalts Wie bewerten die Ratsmitglieder den Bürgerhaushalt allgemein? Dazu wurde eine Skala mit Schulnoten von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ vorgelegt. Die nachstehende Tabelle gibt einen Überblick. Tabelle 14: Bewertung des Bürgerhaushalts durch Ratsmitglieder (n = 19). Prozent Sehr gut Gut Befriedigend Ausreichend Mangelhaft - 26,3 47,4 5,3 21,1 43 Die Ratsmitglieder geben zum Großteil dem Bürgerhaushalt die Note „befriedigend“, fast ein Viertel der Befragten vergibt sogar die Note „mangelhaft“. Daraus lässt sich ableiten, dass unter den Ratsmitgliedern Skepsis gegenüber dem Bürgerhaushalt vorherrscht. Ob dies für das Gelingen eines Bürgerhaushalts zuträglich ist, kann zumindest infrage gestellt werden. Sieht man sich das Parteienspektrum der Befragten genauer an, ist es zudem nicht unwahrscheinlich, dass sich die Ratsmitglieder beteiligt haben, die dem Verfahren aus politischer Sicht noch am aufgeschlossensten gegenüberstehen.63 Bürger Bewertung der Leistungsfähigkeit des Bürgerhaushalts Zur Bewertung des Verfahrens ist es wichtig, zu wissen, wie die Bürger die Leistungsfähigkeit des Beteiligungsverfahrens einschätzen. In der Befragung wurden daher Aussagen über verschiedene Aspekte des Bürgerhaushalts zur Bewertung mit einer fünfstufigen Zustimmungsskala vorgelegt. Das nachstehende Balkendiagramm gibt einen Überblick. 63 Vgl. Fußnote 22. 44 Grafik 9: Bewertung der Leistungsfähigkeit des Jenaer Bürgerhaushalts. Skalenwerte 4 und 5 „Stimme voll und ganz zu” in Prozent. 50 Erhöht das politische Interesse der Bürger 63 Erhöht die politische Berteiligung der Bürger in Politik und gesellschaftlic hen Fragestellungen 56 62 Werden Entscheidungshilfen für die Politik geschaffen 94 59 67 Liefert umsetzbare Beteiligungsergebnisse 46 Macht die städtische Haushaltspolitik nachvollziehbarer 73 37 Führt zur besseren Verwendung städtischer Gelder 27 37 Schafft Verständnis für unbeliebte, aber notwendige politische Entscheidungen Befragung Onlineforum 56 Bürgerbefragung 36 Dient lediglich starken, organisierten Gruppen 19 28 13 Weckt unerfüllbare Erwartungen 26 Die finanzielle Lage (Einnahmen, Ausgaben) der Stadt wird von Politik und Verwaltung verständlich dargestellt 28 25 0 Verursacht unnötige Kosten 17 Die Politik nimmt die Ergebnisse aus dem Bürgerhaushalt ernst 19 17 0 20 40 60 80 100 Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Der vollständige Fragewortlaut kann dem Fragebogen im Anhang entnommen werden. Ein erster Blick auf das Diagramm zeigt, dass die Befragten in der offenen Bürgerbefragung das Verfahren etwas skeptischer bewerten, was sich durch in der Regel höherer Prozentwerte bei den negativ formulierten Aussagen und niedrigeren bei den positiv formulierten ausdrückt. Dies verwundert nicht, da anzunehmen ist, dass sich im Onlineforum zum Jenaer Bürgerhaushalt starke Befürworter des Verfahrens registrieren, die es positiver bewerten. Im Detail betrachtet erfährt besonders eine Wirkung hinsichtlich der Erhöhung des politischen Interesses und der politischen Aktivität, aber auch die Schaffung von Entscheidungshilfen für die Politik und umsetzbarer Beteiligungsergebnisse hohe Zustimmung. Die negativen Aussagen („unnötige Kosten“, „dient organisierten Gruppen“, „weckt unerfüllbare Erwartungen“) finden hingegen nur schwache Zustimmung, sie positionieren sich am unteren Ende des Balkendiagramms. Daraus lässt sich ableiten, dass die Befragten negative 45 Eigenschaften nicht sonderlich stark gewichten. Dies ist als positiv für das Beteiligungsverfahren anzusehen. Besonders hervorzuheben ist, dass beide Befragtengruppen der Aussage, dass die Politik die Beteiligungsergebnisse ernst nimmt, nur sehr schwach zustimmen. Daraus lässt sich Kritik ablesen. Es scheint daher geraten, die Beteiligungsergebnisse in Fachausschüssen und Stadtrat ausführlicher zu diskutieren sowie eine gründliche Rechenschaftslegung über die Behandlung der Beteiligungsergebnisse anzustreben. Auch die eher geringe Zustimmung zur Aussage “Die finanzielle Lage (Einnahmen, Ausgaben) der Stadt wird von Politik und Verwaltung für die Bürger verständlich dargestellt” erfährt nur geringe Zustimmung. Dies kann als zukünftiger Handlungsauftrag verstanden werden. Vergleich der Bewertung der Bürger und Ratsmitglieder Grafik 10: Vergleich Bewertung des Bürgerhaushalts Bürger und Ratsmitglieder. Skalenwerte 4 und 5 „Stimme voll und ganz zu“ in Prozent. Erhöht die politische Beteiligung der Bürger in Politik und gesellschaftlichen Fragestellungen 62 56 59 Werden Entscheidungshilfen für die Politik geschaffen 32 62 Erhöht das politische Interesse der Bürger 69 46 Liefert umsetzbare Beteiligungsergebnisse 26 37 Macht die städtische Haushaltspolitik nachvollziehbarer 32 37 Führt zur besseren Verwendung städtischer Gelder 11 Schafft Verständnis für unbeliebte, aber notwendige politische Entscheidungen 36 21 28 Dient lediglich starken, organisierten Gruppen 42 26 Weckt unerfüllbare Erwartungen 33 Die finanzielle Lage (Einnahmen, Ausgaben) der Stadt wird von Politik und Verwaltung für die Bürger verständlich dargestellt 25 22 17 16 Verursacht unnötige Kosten 0 Bürger 20 40 60 80 100 Rat Anmerkung: Bürgerbefragung n =179, Ratsbefragung n = 19. Der vollständige Fragewortlaut kann dem Fragebogen im Anhang entnommen werden. 46 Ein erster Blick auf das Balkendiagramm ergibt, dass sich die in der Onlinebefragung befragten Jenaer bei den meisten Eigenschaften in ihrer Meinung kaum von den Befragten Ratsmitgliedern unterscheiden. Beide Befragtengruppen sehen das größte Potential des Bürgerhaushalts in der Erhöhung des politischen Interesses und der Aktivität, wobei die Ratsmitglieder die Frage zu politischem Interesse etwas deutlicher befürworten. Deutliche Unterschiede treten bei der Schaffung von Entscheidungshilfen, der Lieferung von umsetzbaren Beteiligungsergebnissen, der besseren Verwendung städtischer Gelder sowie der Schaffung von Verständnis für unbeliebte politische Entscheidungen. In allen Fällen sehen die Bürger die Leistungsfähigkeit des Bürgerhaushalts positiver. Zu betonen ist, dass beide Gruppen im Bürgerhaushalt keinen unnötigen Kostenfaktor sehen. Der Prozentwert tendiert recht deutlich zum unteren Ende der Skala, was geringe Zustimmung zu der Aussage impliziert. Der Aussage, dass das Verfahren lediglich organisierten Interessen dient, wird abschließend etwas stärker von den Ratsmitgliedern zugestimmt. 4.2 Bewertung möglicher Veränderungen am Verfahren Weiterhin wurden den Befragten Bürgern die drei mögliche Modifikationen Beteiligungsverfahrens zur Bewertung mit einer Schulnotenskala vorgelegt. des Tabelle 15: Bewertung Verfahrensänderung. Zeilenprozente (Bürgerbefragung, n = 179). Sehr gut Gut Befriedigend Ausreichend Mangelhaft Weiß nicht Eingabe von eigenen Vorschlägen für Einspar-, Einnahmeoder Ausgabemöglichkeiten ohne thematische Beschränkung 29 36 20 6 7 3 Abstimmung über die Verteilung eines festen Betrags (Bürgerbudget) 25 34 22 5 7 7 Bürgerversammlungen in den Stadtteilen 24 33 23 5 8 7 47 Tabelle 16: Bewertung Verfahrensänderung. Zeilenprozente (Befragung Onlineforum, n = 16). Sehr gut Gut Befriedigend Ausreichend Mangelhaft Weiß nicht Eingabe von eigenen Vorschlägen für Einspar-, Einnahmeoder Ausgabemöglichkeit en ohne thematische Beschränkung 13 44 13 13 13 6 Abstimmung über die Verteilung eines festen Betrags (Bürgerbudget) 25 25 13 6 25 6 Bürgerversammlung en in den Stadtteilen 19 38 6 6 19 13 Grafik 11: Bewertung Verfahrensänderung (Antworten „gut“ und „sehr gut“ in Prozent). 56 57 Bürgerversammlungen in den Stadtteilen 50 Abstimmung über die Verteilung eines festen Betrags (Bürgerbudget) Befragung Onlineforum 59 Eingabe von eigenen Vorschlägen für Einspar‐, Einnahme‐ oder Ausgabemöglichkeiten ohne thematische Beschränkung Bürgerbefragung 56 64 0 10 20 30 40 50 60 70 Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Aufgrund unterschiedlicher Rundung der Prozentwerte kann es zu Abweichungen gegenüber den Tabellen kommen. In beiden Befragtengruppen finden mögliche Veränderungen des Beteiligungsverfahrens große Zustimmung, wobei die Bürgerbefragung etwas stärkere Befürwortung der offenen Eingabe von Vorschlägen sowie des Bürgerbudgets aufweist. Über die Eigenschaften, Stärken und Schwächen dieser Modifikationen soll an späterer Stelle des vorliegenden Berichts im Abschnitt Handlungsempfehlungen diskutiert werden. 48 5. Fazit Zu Beginn dieses Berichts wurden leitende Fragen und Kriterien genannt, die zur Bewertung des Jenaer Bürgerhaushalts herangezogen werden sollen. In diesem Abschnitt ist nun zu prüfen, inwieweit diese erfüllt werden. 1. Wie intensiv werden die Bürger im Bürgerbeteiligungsverfahren an der lokalen Haushaltspolitik beteiligt? Mit Blick auf die Erwartungen, die mit der Beteiligung der Bürger verbunden werden sollte besonderes Augenmerk sollte auf das ursprüngliche Konzeptpapier aus dem Jahre 2006 gerichtet werden. Schon auf der Titelseite findet sich ein Logo mit dem Titel “Bürgerhaushalt. In Jena entscheiden Sie mit!”. Dies suggeriert, ebenso wie das “Mitentscheiden” auf nachfolgenden Publikationen, dass die Bürger tatsächlich über den Haushaltsplan (mit-)entscheiden, obwohl lediglich eine Meinung zu bestimmten Haushaltsbereichen eingeholt wird. Dies kann Erwartungen erzeugen, die das konsultative Verfahren letztlich enttäuschen muss. Besonders im Vergleich mit der Großzahl anderer deutscher Bürgerhaushalte können die teilnehmenden Bürger ihre eigenen Präferenzen allerdings nur in überschaubarem Maße einbringen. Dies ist auf die Form der Umfrage und ihre bisherige Fokussierung auf eine kleinere Zahl von Fragen zurückzuführen, die es nicht erlauben, detailliertere Willensäußerungen abzugeben, wie es in einer klassischen Bürgerumfrage der Fall wäre. Auch können die Teilnehmer keine eigenen Vorschläge inklusive einer Erklärung einbringen. Der anvisierte Dialog kommt daher nur eingeschränkt zustande. Eine erhöhte Machtkontrolle wird in deutschen Bürgerhaushalten grundsätzlich kaum ermöglicht, denn die Beteiligungsergebnisse haben lediglich einen empfehlenden Charakter für Verwaltung und Rat. Zudem hatte der Bürgerhaushalt (insbesondere seit 2010) kaum Relevanz für die tatsächliche Haushaltspolitik in Jena, von der Reduzierung des Schuldenstandes und einiger Investitionsprojekte abgesehen. Darüber, inwieweit die Ergebnisse zumindest in die Willensbildung des Rats einfließen, kann hier kein belastbarer Nachweis geführt werden. Durch die Kombination von postalischer Befragung per Zufallsstichprobe und selbstrekrutierter Befragung im Internet bzw. mit ausgelegten Fragebögen können allerdings sowohl Offenheit als auch Repräsentativität als erfüllt angesehen werden. Da jedoch die auf Selbstrekrutierung beruhende Befragungen anfällig für Manipulationen durch gut organisierte Interessengruppen sind, ist zu empfehlen, die postalische Befragung stärker in der Diskussion in den städtischen Gremien zu gewichten, auch wenn bei dieser sicherlich erhöhtes Politikinteresse oder persönliche Betroffenheit für die Beteiligung ausschlaggebend sind und sie somit nicht gänzlich repräsentativ ist. In jedem Fall ist einer Vermischung der Ergebnisse aus unterschiedlich repräsentativen Quellen weiterhin zu vermeiden. 49 2. Werden die Bürger angemessen über die städtische Haushaltspolitik sowie über das Verfahren und seine Wirkung informiert? Der zentrale Punkt der Information über die Jenaer Haushaltspolitik ist bereits gut gelöst. Hier ist zunächst der Aspekt der Mobilisierung für die Konsultation wichtig. Durch die große Zufallsstichprobe (n = 15.000) wird eine breite Masse erreicht. So ist davon auszugehen, dass im Laufe der Zeit die meisten Bürger Jenas von der Beteiligungsmöglichkeit erfahren haben. Die Umfragen der FH Jena zu den Verfahren 2008 und 2009 belegen ferner, dass die Broschüre neben dem Informationsangebot lokaler Zeitungen die mit Abstand wichtigste Informationsquelle zum Bürgerhaushalt ist. Zudem ist die Broschüre klar strukturiert und die Präsentation der Inhalte besitzt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen notwendiger Information und überschaubarer Aufbereitung. So kann eine gezielte Information der Bürger zu haushaltsrelevanten Themen erfolgen, ohne dass versucht wird, den gesamten Haushalt erklären zu wollen. Hier besitzt das Jenaer Verfahren gegenüber einem klassischen Vorschlagswesen eine besondere Stärke, die dazu beiträgt, die Bürger in besonderem Maß über die kommunale Haushaltspolitik zu informieren. Die Auswertungsberichte der FH Jena bieten nicht zuletzt dem Rat ein differenziertes Bild des Bürgervotums. Das Verfahren an sich und dabei insbesondere die postalische Befragung, kann als rational und transparent bezeichnet werden: Rational insofern, als es ermöglicht, effektiv und effizient die Präferenzen der Bürger zu einer kleinen Zahl von Fragen zu erheben und in den Stadtrat zu leiten. Transparent ist es insofern, als die Ergebnisse der Befragung für alle Interessierten nachvollziehbar sind. Gestärkt wird die Transparenz durch die externe Auswertung, die durch die Fachhochschule Jena durchgeführt wird. Auch die Öffentlichkeit der AG samt ihrer Protokolle sowie die verwaltungsseitige Aufbereitung des Prozesses sind als vorbildlich zu bezeichnen. Im Bereich der Rechenschaftslegung zeigt das Beteiligungsverfahren allerdings Schwächen, da es in seiner jetzigen, umfragebasierten Form keine günstigen Voraussetzungen bietet, um Entscheidungen des Stadtrates hervorzubringen, die eindeutig den Ergebnissen des Beteiligungsverfahrens zuzuschreiben sind. Wenn es nach dem Beteiligungsverfahren nicht dazu kommt, dass Fraktionen oder die Verwaltung die Ergebnisse direkt in Form eines Antrags aufnehmen, hat das Ergebnis lediglich einen informativen Wert. An dieser Stelle wird es sich auch nicht als wirksam erweisen, die Notwendigkeit einer Rechenschaftslegung durch den Stadtrat im Regelwerk des Bürgerhaushalts zu verankern. Auch lassen sich spätere Veränderungen nicht eindeutig auf die Ergebnisse der Befragung zurückführen, wenn diese nicht mehr als Begründung herangezogen wird. Insgesamt ist das Verfahren im Hinblick auf Effekte der politischen Information und trotz der eher begrenzten Beteiligung der Bürger am politischen Geschehen als effektiv und effizient zu bezeichnen. Mit seiner finanziellen Ausstattung von rund 25.000 € und einer halben bzw. ganzen Personalstelle für den Koordinator des Bürgerhaushalts ist es im Vergleich mit anderen Bürgerhaushalten nicht als überfinanziert zu betrachten. Sollte man sich zukünftig für eine Veränderung in Richtung eines aufwändigeren Verfahrens, z. B. im Sinne eines 50 Vorschlagswesens entscheiden, würde es nötig werden, die finanziellen Mittel signifikant aufzustocken.64 Der Bürgerhaushalt der Stadt Jena stellt ein gelungenes Instrument dar, um der Bürgerschaft themenbezogen Informationen bereitzustellen und Stimmungsbilder zu erheben. 6. Perspektiven und Handlungsempfehlungen Die vorausgegangene Analyse der Stärken und Schwächen führt zu den folgenden Handlungsempfehlungen und Optionen der Weiterentwicklung des Bürgerhaushalts. 3. Wie kann das Bürgerbeteiligungsverfahren verbessert werden? 6.1 Allgemeine Handlungsempfehlungen Zunächst sind grundlegende Handlungsempfehlungen voranzustellen. Aus Sicht der Autoren sollte in Jena ein öffentlicher Diskurs über Bürgerbeteiligung im Allgemeinen und den Bürgerhaushalt im Speziellen eröffnet werden. Vor allem für die Kommunikation der direkt mit dem Verfahren befassten Akteure, also dem Stadtrat, der AG Bürgerhaushalt und der Verwaltung über die Zukunft des Verfahrens, bietet sich ein von neutralen Akteuren extern moderierter Prozess wie z.B. eine “Zukunftswerkstatt” an. In einem solchen Verfahren können (auf Basis der nun öffentlicheren Meinungen, Einschätzungen und Handlungsempfehlungen des Evaluationsberichtes) Optionen entwickelt, diskutiert und abgewogen werden. Durch die Neutralität der Moderation würde sich aber auch die Gelegenheit ergeben, bestehende Missverständnisse zwischen den Beteiligten aus Politik, Verwaltung und Bürgerschaft aufzulösen. Insbesondere das Engagement der AG Bürgerhaushalt sollte in diesem Rahmen gewürdigt und prioritär weiter unterstützt werden. Als Fazit der vorangegangenen Bewertung, insbesondere im Hinblick auf die Problematik der Qualität der Beteiligungsergebnisse, des Umgangs mit ihnen sowie der dadurch erschwerten Rechenschaftslegung, ergeben sich für die Autoren zwei Grundsätzliche Möglichkeiten der weiteren Entwicklung: 64 Es wird an dieser Stelle auf einen Vergleich der finanziellen Ausstattung mit anderen Kommunen verzichtet, da es kaum belastbare Informationen zur finanziellen Ausstattung von Bürgerhaushalten gibt. Den Spitzenwert nimmt allerdings der Bürgerhaushalt von Frankfurt/Main ein, der im ersten Jahr ohne Personalkosten geschätzte 800.000 € und 250.000 € im Folgejahr kostete. Das Problem dabei ist, verschiedene Kostenstellen (Personal, Werbung, Technik, Umfragen usw.) zu ermitteln. 51 1. Behält man das Verfahren in dieser Form bei, sollten seine Grenzen akzeptiert und kommuniziert werden. Die Erwartung an das Verfahren sollte dann von umfassender Beteiligung im Sinne einer Mitbestimmung auf die umfassende Information gerichtet werden, die es bereits vorbildlich leistet. Werden Beteiligungsergebnisse generiert, sollte sich der Stadtrat stärker fraktionsübergreifend darüber verständigen, in welcher Form diese auch Entscheidungen zugeführt werden können. 2. Die Form der Beteiligung könnte die eines Vorschlagswesens annehmen, in dem klar zuordenbare Sachfragen und nicht graduell anzulegende Sachkosten auf Basis von Vorschlägen der Bürgerschaft, aber möglicherweise auch der Verwaltung bzw. des Stadtrats behandelt werden. Hier könnte, wie bei anderen Verfahren, die Umfrage als repräsentatives Element einer zwischengelagerten Erhebung genutzt werden. 6.2 Weiterentwicklungsoptionen für das aktuelle Verfahren Neben der besseren Verständigung aller Beteiligten, sollte bei der Beibehaltung des aktuellen Verfahrens dennoch auf einige Anpassungen geachtet werden, die sich z.B. positiv auf den Rücklauf auswirken könnten. Neben zahlreichen Vorschlägen, die die Autoren schon im jeweiligen thematischen Kontext bzw. im Fazit offeriert haben, sollen hier noch weitere Optionen benannt werden. Mögliches Verbesserungspotenzial liegt in der Präsentation im Internet. Vor allem auf der Webseite der Stadt Jena sollte das Verfahren leichter zu finden sein, bspw. durch einen gut sichtbaren Banner. Der bisherige Weg über die Kategorien “Stadt & Verwaltung”, “Stadtverwaltung”, “Dezernat II - Finanzen, Sicherheit & Bürgerservice” wirkt hingegen sehr kompliziert, “spontane” Besuche auf der Webseite zum Jenaer Bürgerhaushalt werden erschwert. Zudem werden Personen, die den Bürgerhausalt nicht kennen, so nicht auf ihn aufmerksam werden. Mit dem Neuaufbau der Bürgerhaushaltsseite selbst, infolge der Veränderungen der Hauptseite, wurden erste Akzente einer übersichtlicheren Aufbereitung aktueller Informationen und archivierter Informationen verwirklicht, die weiter verfolgt werden sollten. Zur Verbesserung der Befragung könnte man Aspekte der Tailored Design Methode zur Gestaltung von postalischen Umfragen aufgreifen. 65 Ziel dieser Methode ist es, die vier zentralen Fehlerquellen von Umfragen zu minimieren: coverage error, sampling error, nonresponse error und measurement error. Da im Rahmen des Jenaer Bürgerhaushalts mit einer Zufallsstichprobe gearbeitet wird, gilt es, besonders den nonresponse error, also die systematische Antwortverweigerung bestimmter Gruppen einzudämmen bzw. den Abstimmungsbogenrücklauf zu erhöhen. Viele Vorschläge, wie z. B. eine offizielles Layout der Broschüren, Ansprache durch eine öffentlichen Autoritätsperson (Oberbürgermeister), hochwertiges Papier etc. wurden in den bisherigen Befragungen bereits umgesetzt. Dennoch bieten sich zwei wesentliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten: Zum einen könnten kleine Anreize (“incentives”) geschaffen werden, die zur Beteiligung motivieren. Denkbar sind zum Beispiel das Beilegen eines Gutscheins für eine städtische Einrichtung (Schwimmbad, Bibliothek, Theater usw.) oder aber eine Verlosung eines Gewinnes. Auch dabei kann auf 65 Vgl. Dillman et al. 2009, S. 15-40. 52 städtische Leistungen gesetzt werden, wie z. B. eine Jahreskarte für das örtliche Schwimmbad oder Theater usw. Eine zweite Variante davon könnte auch eine Art “Soziallotterie” sein: Es werden bspw. drei Gewinner gezogen, die dann die Möglichkeit haben, einen bestimmten Betrag an öffentliche oder wohltätige Einrichtungen zu verteilen. 66 Zum anderen könnte mit Erinnerungsnachrichten der Rücklauf erhöht werden. Dabei könnte versucht werden, technische Lösungen zu finden, die es ermöglichen, die unnötige Versendung von Erinnerungsnachrichten an Personen, die den Abstimmungsbogen bereits ausgefüllt zurückgeschickt haben zu unterbinden. Bei beiden Varianten sollte jedoch stets darauf geachtet werden, dass die Anonymität der Beteiligten gewahrt wird. Lose für Gewinnspiele oder eine Soziallotterie können den postalischen Broschüren beigelegt werden und die Gewinnnummer öffentlich bekannt gegeben werden. Die Übergabe der Gewinne erfolgt dann zwischen Stadtverwaltung und Gewinner. Selbstverständlich sollte der Gewinner auf Wunsch anonym bleiben können, z. B. in Hinblick auf Medienberichte. In Kombination mit für eine breite Masse relevanten Themen sollte sich so der Rücklauf bzw. die Beteiligung steigern lassen. Um eine höhere Wirkung der Beteiligungsergebnisse zu erzielen, könnte das Verfahren insgesamt gestrafft und zeitlich nach vorn verlegt werden, so dass die Ergebnisse nicht erst im Dezember, also mitten oder gar am Ende der Haushaltsberatungen publik werden. Eine Erhöhung der Anzahl von Broschüren könnte den Mobilisierungseffekt verstärken, würde aber das Ergebnis der Beteiligung kaum beeinflussen, so dass der zu erwartende Kostenzuwachs abgewogen werden muss. Um die Intention der Informationsverbesserung nachhaltiger zu gestalten, sollten jegliche Formen in Betracht gezogen werden, den Haushalt permanent sowie auch für Laien verständlich darzustellen. Sei es durch Erläuterungen zum Entwurf oder seine Darstellung im Sinne eines offenen Haushalts. Bisher kann nur das über 800 Seiten starke Dokument des Haushaltplans eingesehen werden.67 An dieser Stelle muss keine direkte Verknüpfung solcher Bemühungen mit dem Verfahren Bürgerhaushalt erfolgen, außer dass die Broschüre des Bürgerhaushalts und die Homepage auf solche Angebote verweisen sollten. Es kann nur zu Entscheidungen eine umfassende Rechenschaftslegung erfolgen, wenn es Entscheidungen gibt. Daher sollte sich das Beteiligungsverfahren, so es denn keine Initiativvorschläge der Bürger zulässt, möglichst auf abgrenzbare Gegenstände beziehen, die absehbar Inhalt der Entscheidungsfindung von Politik und Verwaltung sein werden. 6.3 Mögliche Verfahrensänderungen Vorschlagswesen Mit der Fokussierung auf die Form einer Umfrage besteht ein grundlegender Unterschied zu dem in Deutschland weit verbreiteten Ansatz des Vorschlagswesens, der es Bürgern, je nach Filterung durch das Verfahren, direkt ermöglicht, ihre Anliegen in die kommunale Politik einzubringen. Der Wechsel in ein solches Verfahren könnte für den Bürgerhaushalt Jena das Problem mit der Rechenschaftslegung abschwächen, würde aber, wie im Vergleich der Beteiligungszahlen ersichtlich wurde, nicht zwangsläufig zu mehr Beteiligung führen. 66 67 Auch unter Beteiligten der Onlineabstimmung könnten Gewinne verlost werden. S. http://www.jena.de/statistik/haushalt/startseite.php [18.03.2013] 53 Für ein Vorschlagswesen kann empfohlen werden, die Vorschläge, die die Teilnehmer einbringen, durch sie selbst bewerten zu lassen, sei es durch eine Skala (pro, contra, neutral) oder durch die Vergabe von Stimmen (bspw. drei oder fünf). Nur so lassen sich Prioritäten der Bürger ermitteln und die Beteiligungsergebnisse anschlussfähig für die weitere Bearbeitung durch Verwaltung und Politik machen. Da Vorschläge häufig den direkten Nahraum der Bürger betreffen, also z. B. Straßen und Nachbarschaften, bietet es sich an, der räumlichen Struktur der Stadt Rechnung zu tragen und die Vorschlagssammlung und/oder Abstimmung an diese anzupassen, sodass dadurch auch stadtteilbezogene Vorschläge eine Chance auf Erfolg haben. Dies kann den Anreiz zur Beteiligung durchaus erhöhen. Über die besondere Nähe zum Wohnraum der Bürger und ihren alltäglichen Problemen, bietet sich so die Möglichkeit dauerhaft Sozialkapital und soziale Netzwerke zu generieren. Hier könnten sich allerdings Probleme mit der Anzahl der Jenaer Ortsteile sowie ihren bereits vorhandenen Strukturen ergeben. Indem man den erfolgreichsten Einsendungen der Bürger, wie auch immer sie herausgefiltert und angeordnet werden (z. B. durch Priorisierung in Top-Listen wie in Köln oder Potsdam), in eine eigene Beschlussvorlage überführt, lässt sich für jeden der Weg der Vorschläge transparent verfolgen. Zudem lässt sich auf diese Weise eine äußerst effektive Rechenschaft gewährleisten, da es definitiv zu Entscheidungen kommt - wie auch immer diese ausfallen. Neben dem stadtteilbezogenen Fokus ist es auch denkbar, ein festes Budget mit einem Teil des Verfahrens bzw. dem ganzen Verfahren zu verknüpfen. Vor allem in eher stadtteilbezogenen Konzepten wie dem von Berlin-Lichtenberg werden nicht alle Entscheidungen im Bürgerhaushaltsverfahren von Ratsvertretern getroffen. Hier ergibt sich dann kein rechtlicher und politischer Konflikt mit der Arbeit des Stadtrats, wenn dieser ein sog. “Stadtteil-” bzw. “Bürgerbudget” jährlich auf Grundlage einer Vorlage beschließt. Größere Kostenpunkte, die im Laufe des Vorschlagsverfahrens aufkommen, können dann außerhalb des Budgets zur Disposition gestellt und dem Stadtrat vorgelegt werden.68 Verhältnis zu anderen Formen des Umgangs mit den Interessen und Anliegen der Bürger Abseits von Abwägungen im Rahmen des “deutschen Modells” von Bürgerhaushalten kann auch überlegt werden, inwieweit andere Beteiligungsformen komplementär zu einer Zielerreichung beitragen können. Vor allem gegenüber Bürgerhaushalten mit geringen Beteiligungsquoten und hohen Kosten kann die Alternative einer umfassenden und repräsentativ gestalteten Umfrage von Interesse sein. Durch ebenso gezielte wie umfangreiche Befragungen kann zu einer fundierten Entscheidungsfindung des Stadtrats und der Verwaltung beigetragen werden. Das von Wissenschaftlern der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer in Modellprojekten erprobte Instrument des “Bürgerpanels”69 setzt auf die Regelmäßigkeit solcher Befragungen. Der Vorteil liegt vor allem darin, dass die Präferenzen einer repräsentativen Stichprobe zu mehreren Zeitpunkten erhoben werden und sich so auch Veränderungsprozesse und Reaktionen auf gesellschaftliche und politische Ereignisse in einer Kommune auf der 68 Inwieweit ein solches Modell erfolgreich sein kann, wird sich in den nächsten Jahren in BerlinLichtenberg zeigen: http://www.buergerhaushalt-lichtenberg.de/ [27.01.2013] 69 Vgl. Klages et al. 2008 54 Individualebene abbilden lassen. Allerdings stellen sie eher den Ausgangspunkt als den Endpunkt einer Kultur der erweiterten Beteiligung dar. Mit seiner Fokussierung auf das Instrument der schriftlichen Befragung besitzt der Bürgerhaushalts-Prozess in Jena also einen soliden Ausgangspunkt für eine kontinuierliche Erweiterung der angebotenen Beteiligungsmöglichkeiten - sei es im Rahmen eines veränderten Bürgerhaushalts oder in anderen Politikfeldern wie der Stadt- und Raumplanung. Bei einer Entwicklung in Richtung eines Vorschlagswesens sollte überlegt werden, ob sich nicht zumindest komplementär auch die Etablierung eines elektronischen Kummerkastens lohnt.70 Viele Vorschläge, die im Rahmen solcher Verfahren eingebracht werden, beziehen sich auf kleinteilige, räumlich sehr fokussierte Missstände, die sich bei einer zentralen Erfassung und dezentralen Weiterleitung an den zuständigen Fachbereich kurzfristig lösen lassen. So kann der weiterführende Beteiligungsprozess für die Behandlung von Sachverhalten reserviert werden, die ein erhöhtes öffentliches Interesse vermuten lassen bzw. durch ihr Finanzvolumen einer öffentlichen Abwägung bedürfen. 6.4 Festigung einer kommunalen Beteiligungskultur Ein wichtiges Ziel des Jenaer Bürgerhaushalts wird von allen Beteiligten in der Förderung von Bürgerbeteiligung und dem davon ausgehenden positiven Effekt auf inaktive und scheinbar politikverdrossene Bürger gesehen. Um dieses Ziel langfristig und nachhaltig zu verfolgen ist es ratsam, bestehende Beteiligungsangebote auszuweiten und zu koordinieren. Ein erster Schritt kann bereits die zentrale Bündelung der Darstellung von formellen, für die Bürger oft sehr aufwendigen (Einwohnerantrag, Bürgerbegehren/ Bürgerentscheid) und informellen Beteiligungsangeboten (Stadtentwicklung: Eichsplatz, Bürgerhaushalt etc.) auf dem Internetportal der Stadt, um die Bürger der Stadt Jena über ihre Beteiligungsmöglichkeiten zu informieren. So können erste Hemmschwellen für mehr aktive Beteiligung, die in einem Informationsmangel begründet liegen, gesenkt werden. Als Vorbild könnte unter anderem Leipzig dienen, wo alle kommunalen Beteiligungsangebote auf einer Seite anschaulich konzentriert werden. Ferner sollten weitere Kommunikationskanäle genutzt werden, um auch Personen ohne Netzzugang und Personen, die nicht den Internetauftritt der Stadt Jena besuchen, zu erreichen. Eine bessere Verankerung der Bürgerbeteiligungsangebote in den Strukturen der Politik und Verwaltung kann z.B. durch eigene Beauftragte oder Geschäftsbereiche erreicht werden. In vielen Großstädten sind bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen worden. Einige Beispiele sollen im Folgenden benannt werden, sodass diese als Inspirationsquelle genutzt werden können. 70 S. z.B. http://maerker.brandenburg.de/brandenburg [19.01.2013] 55 Als mögliche Variante können die folgenden Fallbeispiele dienen: ● ● ● Bürgerbeauftragter (Leipzig)71 Ombudsmann/-frau für Bürgerinitiativen (Dortmund)72 Bürgerbeteiligungsbüro (Potsdam)73 Darüber hinaus bietet es sich an, stärker mit zivilgesellschaftlichen Akteuren (Vereine, Nichtregierungsorganisationen etc.) zu kooperieren. Diese können als Promotoren für das Beteiligungsverfahren fungieren sowie seine Bekanntheit und die Legitimität erhöhen.74 Befunde aus anderen Ländern stützen die These, dass die Aktivität von solchen Akteuren immens wichtig für den Erfolg von Bürgerbeteiligung ist. 75 Dabei ist den Autoren selbstverständlich bewusst, dass auch bei diesen Organisationen Ressourcen nicht beliebig verfügbar sind. 71 72 http://www.leipzig.de/de/buerger/politik/buergerbeteilig/ [19.01.2013[ http://www.dortmund.de/de/rathaus_und_buergerservice/buergerinteressen/ombudsstelle/start_os/index.html [19.01.2013] http://www.potsdam.de/cms/beitrag/10086130/282600/ [19.01.2013] 74 Vgl. Patsias et al. 2012, S. 6 75 Vgl. Font & Galais 2011, S. 943 73 56 Literatur Brettschneider, Frank (2011). Kommunikation und Meinungsbildung bei Großprojekten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 61, S. 40-47. Diekmann, Andreas (2007). Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 18. Auflage. Reinbek: Rowohlt Verlag. Dillman, Don A./ Smyth, Jolene D./ Christian, Leah Melani (2009). Internet, Mail, and MixedMode Surveys. The Tailored Design Method. 3rd Edition. Hoboken, New Jersey: Wiley & Sons. Egner, Björn/ Krapp, Max-Christopher/ Heinelt, Hubert (Hrsg.) (2013). Das deutsche Gemeinderatsmitglied- Problemsichten – Einstellungen – Rollenverständnis. Wiesbaden: Springer VS Font, Joan/ Galais, Carolina (2011). The Qualities of Local Participation: The Explanatory Role of Ideology, External Support and Civil Society as Organizer. International Journal of Urban and Regional Research 35(5), S. 932-948. Heinelt, Hubert (2013). Welches Demokratieverständnis haben deutsche Ratsmitglieder und wie schlägt es sich in ihren Handlungsorientierungen nieder? In: Egner, Björn/ Krapp, MaxChristopher/ Heinelt, Hubert (Hrsg.). Das deutsche Gemeinderatsmitglied- Problemsichten – Einstellungen – Rollenverständnis. Wiesbaden: Springer VS, S. 105-128. Holtkamp, Lars (2008). Bürgerhaushalt. In: Kersting, Norbert (Hrsg.). 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Der Bürgerhaushalt in Europa - eine realistische Utopie? ; zwischen partizipativer Demokratie, Verwaltungsmodernisierung und sozialer Gerechtigkeit. Wiesbaden: VS Verlag. Streeck, Wolfgang (2009). Man weiß es nicht genau: Vom Nutzen der Sozialwissenschaften für die Politik. MPIfG Working Paper 09/11. Köln: Max Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Taubert, Nils/ Krohn, Wolfgang/ Knobloch, Tobias (2010). Evaluierung des Kölner Bürgerhaushalts. Endbericht. Bielefeld: Universität Bielefeld. Institut für Wissenschaftsund Technikforschung. Auswertungsberichte FH Jena Die folgenden Auswertungsberichte von Arndt Lautenschläger und Kollegen wurde für Sekundäranalysen und Recherchen herangezogen. Der letzte Zugriff erfolgte am 1.12.2012. 2007: www.jena.de/fm/41/Bericht_BHH%202007.pdf 2008/I: http://www.jena.de/fm/1727/auswertung_buergerbeteil_1_2008.pdf 2008/II: www.jena.de/fm/41/Zwischenauswertung_Investitionen 2009.pdf 2009: http://www.jena.de/fm/1727/auswertung_buergerbeteiligung_2009.pdf 2010: http://www.jena.de/fm/1727/endbericht_beteiligung_bhh_2010.pdf 2011: http://www.jena.de/fm/1727/auswertung_beteiligung_bhh_2011.pdf 2012: http://www.jena.de/fm/1727/Auswertung%20Beteiligungsverfahren%202012.pdf Internetquellen Sämtliche Quellen aus dem Internet sind in den Fußnoten dokumentiert. 58 Anhang Soziodemographie der Befragten aus der quantitativen Befragung Abschließend soll auf die Soziodemographie der Befragten eingegangen werden. Es zeigt sich, dass vor allem Männer im mittleren Lebensabschnitt und mit hohem formalem Bildungsniveau Interesse an der Befragung hatten. Dies deckt sich mit Befunden zur Beteiligung an Bürgerhaushalten und Erkenntnissen der politischen Partizipationsforschung allgemein. Tabelle A1: Soziodemographie der Befragten (Spaltenprozente). Bürgerbefragung Befragung Onlineforum Männlich Weiblich 69 31 94 6 Realschule Fachabitur Abitur Hochschule/ Universität Sonstige Keine Angabe 15 5 16 62 2 1 6 6 13 75 - 07743 07745 07747 07749 Sonstige Postleitzahlen 32 25 17 18 9 31 19 31 6 13 Alter in Jahren Mittelwert (Min. – Max.) 40,2 (19 – 71) 43,2 (24 – 59) Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Bei den sonstigen Postleitzahlen handelt es sich in der Regel um an Jena angrenzende Gemeinden. Diese Fälle wurden bewusst nicht aus der Auswertung ausgeschlossen, da diese Personen durch Herkunft, Familie, Beruf und Freizeit mit hoher Wahrscheinlichkeit einen starken Bezug zur Stadt Jena aufweisen. 59 Parteipräferenz der Befragten aus der quantitativen Befragung Tabelle A2: Parteipräferenz. Mehrfachantworten möglich. Nennungen in Spaltenprozent. Bürgerbefragung Befragung Onlineforum Ergebnis Kommunalwahl 2009 CDU 14 13 19,0 SPD 28 13 25,2 FDP 6 6 11,0 Bündnis 90/ Die Grünen 29 25 10,1 Die Linke 17 25 20,2 Bürger für Jena 8 13 10,2 Freie Wähler Thüringen e. V. 2 - 2,4 Die Guten 5 6 1,8 Sonstige 9 31 - Ich würde mich nicht an der Kommunalwahl beteiligen 5 - - Möchte ich nicht angeben 9 13 - Anmerkung: Bürgerbefragung n = 179, Befragung Onlineforum n = 16. Aufgrund des Thüringischen Kommunalwahlrechts, das Kumulieren und Panaschieren, also das Anhäufen und Verteilen mehrerer Stimmen auf verschiedene Parteien bzw. Kandidaten, erlaubt, wurde danach gefragt, welche Partei(en) man bei der nächsten Kommunalwahl wählen würde. Es zeigt sich jedoch in beiden Datensätze eine Dominanz von eher linksorientierten Parteien (SPD; Grüne, die Linke). 60 Offene Antworten der Ratsmitglieder Tabelle A3: Probleme der Bürgerbeteiligung am Haushalt. Offene Antworten. Die Bürger, die Vorschläge einbringen, kennen zum Teil nicht den gesamten Haushalt. Haushalte sind Kompromisse bzw. der Haushaltsschluss erfordert Zwänge und komplexe Interaktionen, die durch eine Befragung nicht abgebildet werden können. Das größte Problem sehe ich darin, dass die Ergebnisse des Bürgerhaushaltes in der Haushaltsplanung von einigen Fraktionen negiert werden und somit nicht die entsprechende Berücksichtigung erfahren. Schade! Das Problem besteht bei der Befragung zum Haushalt, dass nur auf einen bestimmten Bereich der Stadt ( Kita - Kultur usw. ) die Befragung erfolgt, ohne die anderen Probleme bzw. Zusammenhänge im Haushalt der Stadt darzustellen. Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist in der eigenen Entscheidung zum Haushalt eine Hilfe, kann einem die eigenen Entscheidung der Abwägung zum Gesamthaushalt in der Haushaltsdiskussion dem Stadtratsmitglied nicht abnehmen. Die Bürger sind nicht an der Haushaltsplanung beteiligt, da ihnen Fragen vorgelegt werden, die nicht vom Bürger kommen und die Ergebnisse nicht eindeutig auswertbar sind und somit auch für den Stadtrat viel Interpretation zulassen. Die Auswahl der Themen entspricht nicht immer den aktuellen Fragestellungen im Rahmen der Haushaltsdiskussion. Die Fragen des Umfragebogens sind oft tendenziell. An den konkreten Diskussionen sind nur relativ wenige Bürger/innen beteiligt, so dass nicht wirklich von einem Bürgerhaushalt gesprochen werden kann. Öffentlichkeitswirksam wird er überwiegend durch die Bürgerbefragung, die sich jeweils auf ein konkretes Thema innerhalb des Haushaltes und nicht den Haushalt insgesamt bezieht. Der Stadtrat ist auch nicht an die Vorschläge gebunden, was bei Ablehnung die Motivation verringert. Der Jenaer Bürgerhaushalt entwickelte sich verwaltungsunabhängig und hatte in den ersten Jahren direkten Einfluss auf die Haushaltspolitik des Stadtrates, das ist vorbei seit der Bürgerhaushalt direkt dem Dezernat Finanzen zugeordnet ist. Der Bürgerhaushalt wird seither als Objekt an sich verwaltet und hat kaum noch Öffentliche Präsenz ,ich finde es schade ,sozusagen Tod durch verwalten. Bürgerhaushalte sollten sich lediglich auf investive Vorhaben beschränken. Bzgl. des Verwaltungshaushaltes machen Bürgerhaushalte keinen Sinn. Ergebnisse werden nach meiner Erfahrung dann nicht mehr umgesetzt. Bei investiven Vorhaben kann die Politik zumindest eine Prioritätenreihung zur Kenntnis nehmen, die man in politische Entscheidungen einbeziehen kann. Zudem sind Bürgerhaushalte mit Sach- und Personalkosten verbunden, die sich defizitäre Kommunen langfristig nicht leisten können. Zeitmangel: gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema erfordert verfügbare Zeitbudgets der Bürger und die Bereitschaft, diese dann der Beschäftigung mit diesem Thema zuzuführen mehr Kommunikation und Öffentlichkeitswerbung notwendig, mehr Bürgergespräche, z.B. mit Seniorenvereinen, Bürgerinitiativen, Beiräten, zu wenig übersichtliche Problemdarstellungen und Angaben durch die Stadtverwaltung, Haushaltssituation in Presse nur als persönliche Statements OB u. Finanzdezernent sichtbar gemacht, keine Gesamtsicht bei Bürgern Es werden teils Erwartung geweckt, die die Verwaltung nicht erfüllen will. Beteiligung wird als Selbstzweck oder für eine Agenda, die höhere Weihen erfahren soll, genutzt. 61 Irrige Annahme mancher Teilnehmer, direkt materiell entscheiden zu können Interpretation der Ergebnisse durch Politik / Verwaltung entlang eigener Interessen. Ich sehe keine Probleme. Die Fragestellung und Antwortmöglichkeiten sollten so gestaltet sein, dass ein tatsächliches Votum erfolgen kann, Es sollten keine Wunschlisten vorliegen, Folgen von Entscheidungen sichtbarer und Notwendigkeiten eines Haushaltes klarer formuliert werden. In der Erarbeitung der Themen und Fragen durch die AG Bürgerhaushalt sollten weniger Parteipolitik (aktuell durch die Piraten) erfolgen, sondern eine bessere Vertretung der Bürger erfolgen. Bürgerhaushaltspolitik sollte von ihren Akteuren nicht als Bühne außerparlamentarische Opposition missverstanden werden und von den Stadträten nicht als Stärkung ihrer Kompetenzen, Bürgerhaushalt kann nur in einem miteinander beider Seiten ein Erfolg werden, Von der AG erwarte ich dabei eine stärkere Selbstreflektion und Eigenkritikfähigkeit. Zu undifferenzierte Fragestellungen führen zu kaum verwertbaren Ergebnissen. Mögliche Unterlaufung der Entscheidungskompetenz. Beschränkung auf einen jährlichen Schwerpunktbereich, z.B. Kita oder Kultur. Politische Steuerung durch den Finanzdezernenten, der Konsolidierung bzw. Einsparungen durchsetzen will, d. h. Instrumentalisierung zur Legitimation von Einsparungen im freiwilligen Bereich bei Sozialem und Kultur. Kreis der Befragten ist zu gering. Anmerkung: Es ist der exakte Wortlaut aufgeführt. Auf eine Korrektur von Rechtschreibung und Grammatik wurde verzichtet. Offene Kommentare zum Bürgerhaushalt (Bürger) Tabelle A4: Offene Kommentare zum Bürgerhaushalt. Den Bürgerhaushalt nicht bloß auf bestimmte Themen reduzieren und die Ergebnisse auch richtig in die Haushaltsplanung einfließen lassen. Ein Bürgerhaushalt sollte dazu beitragen, sowohl die Defizite, Forderungen und Prioritäten bei der Entwicklung des sozialen Gemeinwesens herauszustellen, ein Stadtentwicklungsplan sollte mit entwickelt werden, Jena 2020 Vollbefragung aller Jenaer_Innen zur besseren Akzeptanz des Instruments (BH) - Offene Fragestellungen welche die Kreativität anregen - Nicht in Detailfragen verlieren - Eventuell Investitionstopf vorsehen der direkt durch die Bürger vergeben wird Die Idee, über ein bestimmtes, festes Budget im Haushalt die Bürger direkt und bindend (d.H. ohne Veränderungsmöglichkeit des Stadtrates) entscheiden zu lassen, sollte weiter nachgedacht werden, Fragestellungen sollen so konkret sein, dass Voten ablesbar sind, umso konkreter, desto besser Akteure sollten dran bleiben Anmerkung: Es ist der exakte Wortlaut aufgeführt. Auf eine Korrektur von Rechtschreibung und Grammatik wurde verzichtet. 62 Politischer Kontext Um den Kontext des Jenaer Bürgerhaushalts zu verdeutlichen, sind im Folgenden die politischen Entwicklungen seit 1999 in Form der Wahlergebnisse dargestellt. Tabelle A5: Wahlen Stadtrat Jena (1999 – 2009). Prozent (1999) Sitze (1999) Prozent (2004) Sitze (2004) Prozent (2009) Sitze (2009) SPD 23,1 10 19,0 9 25,2 11 Die Linke 21,4 9 24,2 11 20,2 9 CDU 24,7 10 22,9 10 19,0 9 FDP 13,4 6 9,1 4 11,0 5 Bürger für Jena 9,6 4 12,5 6 10,2 5 Die Grünen 7,9 3 12,2 6 10,1 5 Freie Wähler Thüringen - - - - 2,4 1* Die Guten - - - - 1,8 1* Fraktionslos - - - 1 - - Beteiligung 53,0 43,8 54,5 Oberbürgermeister Seit 2006: Albrecht Schröter (SPD) Tabelle A6: Beteiligung Wahl Oberbürgermeister (2000 – 2012). Prozent 2000 2000 Stichwahl 2006 2006 Stichwahl 2012 2012 Stichwahl 40,9 32,8 42,8 32,1 46,1 33,6 63 Haushaltslage der Stadt Jena Abbildung A1: Entwicklung der Haushaltslage der Stadt Jena (1990-2012). Quelle: Berichtsvorlage Stadt Jena 12/1514-BE 14.03.2012, S. 4. 64 Anhang B – Befragungsinstrumente Fragebogen Bürger (pdf-Export aus Umfragesoftware EFS Survey) 65 66 67 68 69 Fragebogen Ratsmitglieder 70 71 72 73