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Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz Vorwort
Mit dem Programm Städtebaulicher Denkmalschutz unterstützt die
Bundesregierung seit 1991 die Sicherung, den Erhalt und die zukunftsfähige Weiterentwicklung der baukulturell wertvollen Baustrukturen in
den historischen Städten der neuen Bundesländer. Nach 17 Jahren gemeinsamer Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen konnten annähernd zwei Drittel des ursprünglichen Sanierungsbedarfs gestillt werden. Ohne die Mitwirkung unzähliger privater Eigentümer
wäre dies nicht möglich gewesen.
„Eigentum verpflichtet“ – von diesem Grundsatz haben sich sowohl
„alte“ Eigentümer leiten lassen, die ihre Gebäude über die schwierige
DDR-Zeit gerettet hatten, als auch „neue“, die ihre Gebäude nach dem
gesellschaftlichen Umbruch zurückerhalten oder erworben haben.
Viele von ihnen haben ihre in historischen Stadtkernen und Stadtquartieren gelegenen alten Häuser mit hohem Aufwand und mit viel Liebe
saniert. So ist inzwischen vielerorts gut nachvollziehbar, dass ein solches Eigentümerbewusstsein immer zugleich auch dem Wohl der Allgemeinheit dient, denn nur attraktive Orte können den Bewohnerinnen
und Bewohnern einer Stadt Heimat sein und auch für Besucherinnen
und Besucher interessant werden. Die nach Jahrzehnten des Niedergangs in neuer Schönheit wiedererstandenen historischen Stadtbilder
und lebendigen Innenstädte belegen den beispiellosen Erfolg eines
umfassenden Revitalisierungsprozesses, der öffentlich gefördert wurde und an dem private und öffentliche Akteure mitgewirkt haben.
Dieser Handlungsleitfaden will gleichermaßen zur Stärkung der aktiven Bürgerkultur und der baukulturellen Qualitäten unserer Städte
beitragen. Zwölf Fallstudien zeigen fast durchgängig einen Ausgangszustand, der den Eigentümern anfangs viel Mut und Phantasie abverlangte. Im Nachhinein, so kann man es nachlesen, sind sie glücklich
über die getroffene Wahl und die gemeisterten Anstrengungen. Dazu
tragen im besonderen die einzigartigen Baudenkmale bei, die ein hohes Maß an Individualität und Selbstverwirklichung zugelassen und
das Wohnen in den eigenen vier Wänden in innerstädtischen Lagen
möglich gemacht haben. Die Beispiele machen außerdem deutlich: die
Sanierung von historischer Substanz ist auch für private Eigentümer
leistbar und dank unterschiedlicher Beratungs- und Förderangebote
ein kalkulierbares und lohnendes Unterfangen.
Die Protagonisten des Handlungsleitfadens berichten interessant und
anschaulich von ihren Erfahrungen und machen damit „Lust auf mehr“.
Die vorgestellten Initiativen sollen Verständnis dafür wecken, dass die
Entscheidung für eine Bestandsimmobilie ein gangbarer Weg ist, der
darüber hinaus zur Verwirklichung eines attraktiven und individuellen
Lebenskonzeptes führen kann. Dies trägt zur Entwicklung außergewöhnlicher städtischer Qualitäten bei, von denen alle profitieren. So
können sich die privaten Interessen des Einzelnen mit dem öffentlichen
Interesse am Erhalt des baukulturellen Erbes aufs Beste verbinden.
Wolfgang Tiefensee
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Inhalt
�
0
1
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Einführung
11
Prora
6
Neustrelitz
3
10
16
22
VordemAbriss
gerettet:
Scharrenin
Aschersleben
Sanierungund
Umnutzung:
Einbarockes
Bauensemblein
Brandenburg/Havel
Genossenschaftliches
Wohneninderalten
Eisenwarenhandlung:
DasKoch-Haus
inDessau
8
9
48
54
60
InvestiveMietverträge:EinAusweg
fürdieStadt,
Kunsthofe.V.und
Schraube-Museum
inHalberstadt
„Gestärktes“
Denkmaldurch
Privat:EineehemaligeStärkefabrik
inLeipzig
Einkleines
Paradies:
DasAntoniQ
inMühlhausen
7
Mecklenburg-Vorpommern
Güstrow
2
1
10
Brandenburg
2
Berlin
Brandenburg
Halberstadt
7
3
Quedlinburg
12
1
Dessau
Aschersleben
Sachsen-Anhalt
9
Mühlhausen
Thüringen
8
Leipzig
5
Grimma
Görlitz
Sachsen
4
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
�
4
5
6
30
36
42
Wirtschaftlichnicht
rentabel,abereinzigartig:Hallenhaus
GoldenerApfel
inGörlitz
„Oraetlabora“:
Jakobskapelle
Grimma
WenneinHaus,
danndieses:
Wohn-undGeschäftshausinGüstrow
10
11
12
68
72
78
StattEigenheimauf
dergrünenWiese
einDenkmalinder
Altstadt:DasDreiGenerationen-Haus
inNeustrelitz
HausDohrmann:
Teilderehemaligen
KdF-Anlage
ProraaufRügen
Einunkonventioneller
Weg:DerRingbauernhofinQuedlinburg
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Es ist die wiedergewonnene Schönheit
Es ist die wiedergewonnene Schönheit weitgehend intakter Städte
Ostdeutschlands, die in der gesamten Bundesrepublik den Blick für
das geschärft hat, was die Denkmalpflege seit langem unter dem
Begriff Ensembleschutz zusammengefasst hat und praktiziert. Der
Ensembleschutz, der auch an jeden einzelnen Hausbesitzer appelliert, sein Teil zur Gesamterscheinung beizutragen, ist sozusagen
der Hüter der Stadtidentität, ihrer Besonderheit, Lesbarkeit und der
Vertrautheit, die sie ihren Bewohnern und Gästen vermittelt.
Hausbesitzer, die vor einigen Jahren noch als Nostalgiker belächelt
wurden, die in unzeitgemäßer Weise an ihren antiquierten, angeblich zu teuren und unrentablen Altbauten festhielten, sehen sich inzwischen von der allgemeinen Entwicklung bestätigt: Das Prinzip
der Nachhaltigkeit ist nach schmerzlichen und teuren Erfahrungen
auch im Städtebau an die Stelle der vorherigen Wegwerfmentalität
getreten. Wir haben einsehen gelernt, dass viele der angeblich unpraktischen und Ressourcen verschlingenden Bauweisen und Unterhaltsmethoden früherer Generationen durchaus umweltfreundliche und energiesparende sind, beziehungsweise mit geringem Aufwand in diesem Sinne umgerüstet werden können. Und es ist alles
andere als Romantik, die nun Besitzer und Benutzer innerstädtischer
Häuser, die entgegen allen Trends an ihren angestammten Plätzen
festhielten, rehabilitieren: Im Zuge der elementaren demographischen Veränderungen, die unserer Bevölkerung und unsere Städte
schrumpfen lassen, hat sich der Trend umgekehrt, oder besser: Aus
einem Trend ist schlichte Notwendigkeit geworden. In den Kernstädten, worin sämtliche städtische Funktionen und Dienstleistungen
sich konzentrieren, liegt unsere Zukunft. Der Mensch lebt nicht von
Funktionen allein: Genau darin liegt auch der Wert historischer Ensembles, denn sie bieten neben dem unmittelbaren Nutzen ihre
Schönheit, Unverwechselbarkeit und vor allem Geborgenheit.
„Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selber.“ Dieser berühmte Ausspruch des Publizisten
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Karl Kraus aus dem Jahre 1909 ist inzwischen tausendfach widerlegt. Formuliert wurde er in einer Welt, die von historischen Städten
und ihrer Überfülle an Denkmalen geprägt war. Seit den verheerenden Verlusten an historischer Bausubstanz infolge des zweiten
Weltkriegs und dank der nicht minder verheerenden Folgen, die der
radikal moderne, anonymisierende Wiederaufbau Deutschlands im
Lebensgefühl der deutschen Gesellschaft zeitigte, wissen wir, wie
bedeutend Aussehen und Bestand der Orte sind, in denen wir leben.
„Haus ohne Hüter“, Heinrich Bölls legendärer Roman und „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, das ebenso legendäre Wort der Psychoanalytiker Margarete und Alexander Mitscherlichs, sind die
Schlüsselformeln einer städtebaulich und denkmalschützerisch
verfehlten Ära, die wir nun zu überwinden versuchen.
Durch das Engagement privater Hausbesitzer, denen die institutionalisierte Denkmalpflege, staatliche Förderprogramme und nicht
zuletzt auch das Programm Städtebaulicher Denkmalschutz zur
Seite standen, wurde deutlich, dass eine Stadt nicht von der Summe ihrer vereinzelten hochrangigen Wahrzeichen und Denkmäler
lebt, sondern vor allem aus der Fülle ihrer historischen Bauten,
über Generationen gewachsenen Plätze, Straßen und Gassen. Viele einzelne Häuser mögen für sich betrachtet unscheinbar wirken.
Doch als Teil eines Ganzen, als Glied einer Kette, die erst in der Vollständigkeit ihre wahre Schönheit zeigt, ist fast jedes historische
Haus einzigartig und unersetzlich.
Nehmen wir zum Beispiel Münster: Wie 90 Prozent der einst berühmten Altstadt ging dort 1943 auch der „Prinzipalmarkt“ zugrunde, jener berühmte, breit geschwungene Straßenzug, den steinerne Giebelhäuser und Spitzbogenarkaden des 16. und 17. Jahrhunderts säumten. Beim Wiederaufbau Münsters entschloss man sich
auf Drängen der Bürgerschaft, insbesondere aber auch der Hausbesitzer am Prinzipalmarkt, die Arkaden wiederaufzurichten und mit
vereinfachten steinernen Giebelwänden zu bebauen. Jedes einzelne
dieser in den fünfziger Jahren entstandenen Häuser ist äußerst
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
schlicht und vermag nicht mit dem Ornamentreichtum der zerstörten Vorgänger zu wetteifern. In ihrer Gesamtheit aber verbinden sich
die Bauten zu einem Ensemble, dank dem der berühmte Straßenzug seine Charakteristika wiedergewonnen hat und erneut gleichrangig neben der weltberühmten „Langgasse“ in Danzig steht.
Was in Münster mittlerweile zur Stadtgeschichte zählt, ist andernorts rührige Gegenwart: In Eisenach beispielsweise, in Quedlinburg
oder Schwerin gewinnen nach der vorangegangenen Restaurierung
der Hauptdenkmäler ganze Fassadenreihen ihr Gesicht zurück, wozu auch das Füllen von Abrisslücken durch zeitgenössische Bauten
zählt, die sich in Umriss und Proportionen ihren historischen Nachbarn anpassen. Welch treue Verbündete die Denkmalpflege in privaten Vereinen und Privatbesitzern haben kann, zeigt auch und vor
allem der Städtebau unserer Tage: Es sind nicht nur Verwertungsinteressen und die Jagd nach staatlichen Zuschüssen, die in zahllosen Groß- und Kleinstädten sowie Dörfern Ostdeutschlands ganze
historische Viertel, Altstadtkerne und Gründerzeitquartiere gerettet
haben. Mit bewundernswerter Fantasie, Geduld und Improvisation
haben sich beispielsweise in Stralsund junge Familien zusammengetan, um dort einsturzgefährdete Patrizierhäuser zu retten und für
ihre Zwecke zu nutzen. Was wäre die Frauenkirche ohne die private
Spendenlust gewesen? Und was wäre aus Dresdens bezaubernder
barocker Neustadt geworden, hätten es nicht viele private Bauherren riskiert, mit Unterstützung der kommunalen Denkmalpflege
Ensembles behutsam zu restaurieren, die anfangs jedermann für
rettungslos verfallen erklärt hatte? Das Holländische Viertel in Potsdam, Hans Poelzigs expressionistisches Kino Babylon in Berlin, die
spätgotischen Hallenhäuser in Görlitz oder das mittelalterliche Andreasviertel in Erfurt – all diese Kostbarkeiten wären verloren gewesen, hätten nicht private Initiativen sich für sie eingesetzt.
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ist aufgerufen, sich auf der Suche nach einem neuen Heim mit dem
Gedanken zu befassen, ein historisches Bauwerk zu beziehen und
auch die Kommunen, Bauwillige verstärkt auf leerstehende, städtebaulich wichtige Gebäude in ihrer Stadt aufmerksam zu machen.
So sollte es möglich sein, endlich die Allgemeinheit davon überzeugen zu können, dass nicht nur Staats- und Paradedenkmäler, sondern die meisten Bauwerke unseres baulichen Erbes unersetzbare
Werte sind, in denen es sich zudem gut leben lässt.
Warum all der Aufwand um historische Ortsbilder und Altbauten?
Die wohl hellsichtigste Antwort darauf formulierte der Philosoph
Friedrich Nietzsche schon 1874 in seinen „Unzeitgemässen Betrachtungen“. Darin schreibt er vom Wert der Historie für den Menschen, präziser: Für jene Bürger, die das Glück haben, in traditionsreichen alten Städten zu leben. Durchaus offen für die Mängel, die
jahrhundertealte Architektur aufweisen kann, schreibt Nietzsche
über das Lebensgefühl dieser Bürger: „Das Kleine, das Beschränkte, das Morsche und Veraltete erhält seine eigene Würde und Unantastbarkeit dadurch, dass die bewahrende und verehrende Seele des
antiquarischen Menschen in diese Dinge übersiedelt und sich darin ein heimisches Nest bereitet. Die Geschichte seiner Stadt wird
ihm zur Geschichte seiner selbst; er versteht die Mauer, das gethürmte Thor, die Rathsverordnung, das Volksfest wie ein ausgemaltes Tagebuch seiner Jugend und findet sich selbst in diesem Allen,
seine Kraft, seinen Fleiss, seine Lust, sein Urtheil, seine Thorheit und
Unart wieder. Hier liess es sich leben, sagt er sich, denn es lässt sich
leben, hier wird es sich leben lassen, denn wir sind zäh und nicht
über Nacht umzubrechen. So blickt er, mit diesem ‚Wir’, über das
vergängliche wunderliche Einzelleben hinweg und fühlt sich selbst
als den Haus-, Geschlechts- und Stadtgeist.“ In diesem Sinne will
dieses Buch dazu anregen, ein „Haus- und Stadtgeist“ zu werden.
Dieter Bartetzko
Dennoch: Die Revitalisierung historischer Ensembles ist (noch) kein
Selbstläufer, hier ist nach wie vor jeder Einzelne mit seinem privaten Engagement gefragt: Jede Familie und jeder Gewerbetreibende
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0
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Ein verwunschener Garten mit Obstbäumen mitten in der Stadt: Eine Qualität, die die Bauherren motivierte
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Was ist das Ziel?
Die Broschüre „Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz“ will für ein Anliegen mit Zukunft werben. Es
ist ein Anliegen, das vielfacher Anstrengungen lohnt und vieler enthusiastischer Akteure bedarf: Die Bewahrung und Revitalisierung
unseres baukulturellen Erbes in den historischen Stadtkernen.
Prachtvolle Kaufmannshöfe und schlichte Ackerbürgerhäuser, mittelalterliche Klostergebäude und gründerzeitliche Miethäuser – sie
alle gemeinsam bilden das historische Gedächtnis unserer Städte
und machen sie auch für die heutigen Nutzer zu attraktiven Wohnund Arbeitsorten.
Anhand von Beispielen wird auf den nachfolgenden Seiten anschaulich berichtet, worin die städtebaulichen, baugeschichtlichen oder
kulturhistorischen Werte dieses speziellen Erbes liegen können.
Wie sie aufgespürt und nutzbar gemacht wurden, ist Inhalt vieler
spannender Berichte von Eigentümern und Bauherren. Daneben
werden auch Informationen zu weiterführenden Aspekten von Stadterneuerung und Denkmalschutz angeboten. Viele Anregungen und
Hinweise sollen zu ähnlichen Vorhaben ermuntern, den Blick potenzieller Bauherren schärfen und auf wertvolle Objekte innerhalb der
historischen Städte lenken.
Die Ergebnisse zeigen vor allem, wie wichtig eine intakte und vitale
räumliche Umgebung für die Stadtbürger ist und wie wichtig wiederum engagierte Menschen für die Entwicklung lebenswerter Städte sind.
Das Antlitz vieler Altstädte hat in der jüngeren Vergangenheit durch
umfangreiche Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen bereits
enorm an Qualität und Ausstrahlung gewonnen. Dabei sind nicht
nur vertraute Wahrzeichen wie Stadttore, Kirchen und Rathäuser in
neuem Glanz erstanden. Es waren und sind vielmehr die unzähligen
privaten Sanierungsprojekte, die den einzigartigen und so vielfältigen Bestand an historischen Häusern und Ensembles in seinem
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räumlichen Zusammenhang wie in den schönen Details sichern.
Nur durch den privaten Einsatz vieler Eigentümer und Nutzer können die Vielgestaltigkeit und Maßstäblichkeit, kann die Nutzungsvielfalt in den historischen Stadtkernen erhalten oder wiederhergestellt werden. Darauf beruhen die Anziehungskraft der Altstädte,
ihre Atmosphäre und ihr Charme. Sie bieten jene Lebensqualität,
die zunehmend mehr Menschen fasziniert und dazu bewegt, Eigentum im Bestand der historischen Städte zu erwerben.
Viele sanierte Beispiele beweisen, dass gerade Altbauten jene Spielräume bieten können, die den heutigen Ansprüchen an eine individuelle Lebensgestaltung gerecht werden. Die präsentierten Projekte künden von der Fantasie, der Freude und dem Stolz der Eigentümer. Für alle gilt die Feststellung, dass es am Ende immer zwei Gewinner gab: Den Bauherren und die Stadt, die mit jedem noch so
kleinen Sanierungsobjekt an baukultureller Qualität und stadttypischer Identität gewonnen hat.
Die Beispiele zeigen, dass sich die Anstrengungen für die Bauherren lohnen und dass sich ihr persönlicher Mut auszahlt, der für die
nicht immer ganz einfachen Sanierungsprozesse gefordert war.
Die Begeisterung der Bauherren soll anstecken und Neugierde wecken. Ziel der Broschüre ist es, neue Interessenten oder noch unentschlossene Bauherren zum Engagement anzuregen. Denn geht
man mit offenen Augen über Plätze, durch Straßen und Gassen der
historischen Innenstädte, so lassen sich noch viele verborgene
Schätze finden, die auf Entdeckung und Wiederbelebung warten.
Warum gerade jetzt ?
Durch Bevölkerungsrückgang verursachter Leerstand und schwierige
ökonomische Rahmenbedingungen stellen den erfolgreich begonnenen Revitalisierungsprozess der historischen Stadtkerne derzeit vor
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
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Wenn man den Ausgangszustand betrachtet, ist die Unsicherheit vieler Bauherren gegenüber Bestandsobjekten verständlich. Die Publikation soll durch gute Beispiele Chan­
cen und Möglichkeiten zeigen und damit Mut und Motivation geben, es doch zu versuchen
neue Herausforderungen. Insbesondere in Ostdeutschland gibt es
einen großen Bestand an historisch wertvoller Bausubstanz, die aus
den genannten Gründen leer steht oder bereits vom Verfall bedroht
ist. Ihre Rettung und vor allem Nutzung ist ein dringendes Anliegen der
aktuellen Stadtentwicklung. Denn nur durch lebendige Innenstädte
kann eine dauerhafte Erhaltung historischer Stadtkerne und ihres
wertvollen Erbes auch für künftige Generationen gesichert werden.
Den privaten Akteuren einer Stadt – initiativ handelnden Menschen,
Eigentümern, Bewohnern und Nutzern – fällt dabei eine Schlüsselrolle zu, die jeder nach seinen persönlichen Möglichkeiten ausgestalten kann. Diese reichen vom Einsatz historischen Baumaterials
über den sorgfältigen Umgang mit dem eigenen Altbau bis hin zur
Entscheidung für den Erwerb einer Bestandsimmobilie anstelle eines Neubaus auf der so genannten „grünen Wiese“. Ebenso ist der
engagierte Einsatz im Rahmen bürgerschaftlicher Initiativen gefragt, beispielsweise für die Erhaltung abrissbedrohter Häuser oder
im Rahmen einer Altstadtinitiative.
Nicht erst seit Rohstoffkrise und prognostiziertem Klimawandel besteht zudem Konsens darüber, dass die Wiederverwendung von Vorhandenem die Einsparung von Energie und Rohstoffen zur Folge
hat. Das trifft in gleichem Maße auf die „Wiederverwendung“ von
historischen Gebäuden zu. Wie andere „Rohstoffe“ sind sie eine unwiederbringbare Ressource. Die Revitalisierung historischer Stadtkerne erscheint deshalb auch aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit dringend geboten.
Die Bewahrung des baukulturellen Erbes in den historischen Stadtkernen ist heute eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ersten Ranges, zu der sich Bund und Länder gemeinsam bekennen. Ohne aktiv handelnde Stadtbürger und Eigentümer wird diese Zukunftsaufgabe allerdings nicht zu bewältigen sein. In noch stärkerem Maße
als bisher kommt es deshalb darauf an, private Akteure, Eigentü-
mer und Nutzer für die Erhaltung und Revitalisierung unseres baukulturellen Erbes zu gewinnen und sie von den persönlichen Vorteilen zu überzeugen, die ihnen das Engagement im baulichen Bestand der historischen Stadtkerne bietet.
Was ist Städtebaulicher Denkmalschutz?
Die Erhaltung der historischen Stadtkerne erfuhr entscheidende
Impulse durch das Europäische Jahr für Denkmalschutz 1975, das
unter dem Motto „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ stand.
Der Wechsel in der bundesdeutschen Stadtentwicklung von Flächenabrissen und anschließender Neubebauung hin zu einer bestandserhaltenden Erneuerung in den Städten war bereits damals
nur möglich, weil sich unzählige Bürger und private Initiativen für
die Erhaltung und gegen den Abbiss der Altbausubstanz in den
Städten einsetzten. Seither ist die erhaltende Erneuerung zu einem
elementaren Bestandteil der bundesdeutschen Städtebaupolitik
geworden. Das schlägt sich nieder im umfassend entwickelten System der Städtebauförderung, die in der Bundesrepublik seit den
1970er Jahren auch grundgesetzlich verankert ist.
Ziel und Zweck dieser noch heute in Europa nahezu einmaligen Methode zur Unterstützung städtischer Entwicklung ist der stadtkulturelle und sozialräumliche Aufschwung der Städte. Das schließt neben der grundsätzlichen Erhaltung des Gebäudebestandes ebenso
dessen kontinuierliche Weiterentwicklung ein, so dass die Städte
auch in Zukunft attraktive Orte und vitale Zentren des menschlichen
Zusammenlebens sind. Um dies zu erreichen, unterstützt die Städtebauförderung zielorientiert und gebietsbezogen vor allem investive
Maßnahmen zur Sanierung von Gebäuden und baulichen Anlagen,
zur Verbesserung des sozialen Zusammenhalts oder zur Aufwertung öffentlicher Räume. So wurden seit 1971 mittlerweile 21 Milliarden Euro investiert, mit denen die Entwicklung von immerhin 2.100
Stadtquartieren in unterschiedlichsten Bereichen gefördert wurde.
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Egal ob im privaten Bereich oder im öffentlichen Raum, die Beispiele vermitteln eine einzigartige und individuelle Lebensqualität
Warum private Initiative?
Der Städtebauliche Denkmalschutz liefert dabei den Rahmen für
die spezielle Aufgabe der Bewahrung herausragender Zeugnisse
der Stadtbaukultur. Als Programmbereich der Städtebauförderung
entstanden, um den gravierenden städtebaulichen Missständen,
dem baulichen Verfall und den ökologischen Belastungen durch die
Wohnungs- und Städtebaupolitik der DDR zu begegnen, fördert das
Programm seit 1991 in den ostdeutschen Ländern – und ab 2009
auch in den westdeutschen Ländern – die Erhaltung und Revitalisierung von bau- und kunsthistorisch wertvollen Stadtkernen in ihrer baulichen Eigenart und stadtstrukturellen Geschlossenheit. Ziel
ist es, in Zeiten des Struktur- und Funktionswandels die Attraktivität der Stadtkerne für alle städtischen Nutzungen und damit die Lebendigkeit der Orte zu erhöhen.
Das Programm Städtebaulicher Denkmalschutz unterstützt Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen von Innenstadtquartieren, deren baulicher Bestand und städtebauliche Struktur gefährdet sind.
Hierzu stellt es den Eigentümern sanierungsbedürftiger Gebäude
neben fachlicher Beratung durch beauftragte Sanierungsexperten
auch finanzielle Mittel für Einzelvorhaben bereit. In der Mehrzahl
der Länder können sowohl öffentliche als auch private Eigentümer
gefördert werden.
Je nach Zustand der Substanz und Bedeutung des Gebäudes können
die Mittel eingesetzt werden für:
–� Sicherungsmaßnahmen zur Bestandsrettung,
–� Instandsetzung und Modernisierung,
–� Um- und Ausbauvorhaben oder auch
–� die Aufwertung des öffentlichen Raumes durch Umgestaltung
von Straßen, Wegen und Plätzen.
Nach inzwischen 17 Jahren gemeinsamer Anstrengungen von öffentlicher Hand und privaten Akteuren vor Ort konnten bis heute etwa
zwei Drittel des anfänglichen Sanierungsbedarfs in den historischen Stadtkernen Ostdeutschlands gestillt werden. Vielerorts belegen die wiedererstandenen Gebäude, Straßen- und Stadtbilder
den beispiellosen Erfolg des Programms Städtebaulicher Denkmalschutz. Die Ergebnisse sind Ausweis einer herausragenden denkmalpflegerischen Qualität bei der Sanierung, zeugen aber ebenso
von hoher Planungskultur. Und sie spornen dazu an, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen!
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Die Erfolgsgeschichte des Programms Städtebaulicher Denkmalschutz begann 1991. Die ihr zugrunde liegende Erhaltungsidee ist
natürlich viel älter. Sie gründet nicht zuletzt im traditionellen Bestreben der Menschen, ihr Eigentum zu pflegen und an kommende
Generationen weiter zu geben. Ebenso wie bereits die Entstehung
der historischen Städte ohne die Initiative unzähliger Bürger als
Bauherren und gewissenhafte Hüter des Ererbten nicht denkbar gewesen wäre, so sind heute die Erhaltung und Revitalisierung dieses
baukulturellen Erbes auf die private Initiative von Eigentümern und
Nutzern angewiesen.
Die folgenden Beispiele versuchen aus ganz unterschiedlichen
Blickwinkeln die Qualitäten eines Lebens in historischer Bausubstanz zu illustrieren. Sie weisen auf den „persönlichen Mehrwert”
und Zugewinn an Lebensqualität, den ein „Leben und Arbeiten in der
Stadt“ und im Denkmal verspricht. Zeitgewinn durch kurze Wege,
die Nähe wichtiger Versorgungseinrichtungen, ungewöhnliche Baustrukturen, differenzierte Raumqualitäten und ein abwechslungsreiches städtisches Umfeld sind Merkmale, die nur historische Innenstädte bieten können.
Viele Projekte wiesen in ihrer Ausgangslage komplizierte Rahmenbedingungen auf. Das betraf den Bauzustand oder die ungewohnte
Bau- und Raumstruktur. Nicht nur die Sanierung, sondern vor allem die Anpassung an die Wünsche der künftigen Nutzer erforderten deshalb viele Ideen und großes Engagement. Beides setzte eine
liebevolle Beziehung der Eigentümer zum Haus voraus, gepaart mit
Fantasie und dem Bewusstsein für den baukulturellen sowie kulturhistorischen Wert dieses einmaligen persönlichen Besitzes.
Die Erfahrungen zeigen, dass sich mit Neugier und Tatkraft tatsächlich bereits verloren geglaubte Schätze wiedergewinnen lassen, die
von den Akteuren als Lohn ihrer Mühen angesehen werden. Die Ergebnisse erregen Aufmerksamkeit und machen andere „Enthusiasten“ neugierig, so dass für weitere Objekte eine gute Chance besteht, demnächst auch als „Liebhaberstück“ entdeckt zu werden.
Vielleicht finden auch Sie dabei Ihr lang erträumtes Haus in der
Stadt? Wir wünschen beim Lesen und Entdecken viel Spaß!
Dagmar Tille, Jan Prömmel
Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner
0
Haus Dohrmann, Prora auf Rügen
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1
Aschersleben
Vor dem Abriss gerettet, ein Scharren
Lageplan Scharren
Lage in der historischen Innenstadt
Projektdaten
Objekt
Sanierung und Umnutzung der ehemaligen
Scharren (Marktstände) zum Café
Bauherr
Passage GbR Lindemann/Hain
Planung
Dipl.-Ing. Gernot Lindemann, Architektur und
Denkmalpflege, Rathausstraße 13, 10178 Berlin
Dipl.-Ing. Joachim Hain, Architektur + Systembau,
Holbeinstraße 4, 04229 Leipzig
Bauzeit
Notsicherung 2001, Bauzeit 2003 – 2004
Kosten
Ca. 400.000 Euro
Förderung
Programm Städtebaulicher Denkmalschutz:
84.570 Euro, Spenden Deutsche Stiftung
Denkmalschutz: 60.000 Euro
Kontakt
[email protected], Mobil 0171 5362639
1. Stadt und Haus
Die Stadt Aschersleben liegt am Nordrand des Harzes im Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt, ca. 50 km südwestlich von Magdeburg und
etwa 50 km nordwestlich von Halle/Saale. Mit knapp 26.000 Einwohnern ist Aschersleben heute die drittgrößte Stadt des Salzlandkreises. Sie war der Stammsitz der Askanier und ist – 753 erstmals urkundlich erwähnt – die älteste Stadt Sachsen-Anhalts.
Aschersleben ist eine der Städte, die in den letzten Jahren der ehemaligen DDR große Verluste durch beginnenden Abbruch von Bausubstanz in den Innenstädten hinnehmen mussten. Vor diesem Hintergrund erfuhr sie im Programm Städtebaulicher Denkmalschutz
eine besondere Förderung, die sich in engagierten Sanierungsanstrengungen niederschlug. Trotzdem weist die Stadt immer noch
deutliche strukturelle Rückstände gegenüber vergleichbaren Städten auf. Deshalb ist heute jedes realisierte Projekt zur Wiederbele-
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Rekonstruierte Fassade ohne Darstellung des rückwärtigen Gewandhauses
bung des vorhandenen baulichen Bestandes von besonderer Bedeutung und kann nicht hoch genug gelobt werden.
Ein solches Projekt sind die so genannten „Scharren“ auf dem Gelände des mittelalterlichen Marktplatzes, inmitten des historischen
Zentrums der Stadt. Die beiden noch vorhandenen Gebäude der
Scharren stellen ein Ensemble dar, das im Stadtraum optisch vermittelt zwischen der Haupteinkaufsstraße und der Stephanikirche.
Als gegenüberliegende, symmetrisch aufeinander bezogene Gebäude schließen sie eine schmale Gasse ein, die über viele Jahre ein
kaum noch wahrgenommenes Dasein inmitten der Stadt fristete.
Scharren waren ursprünglich befestigte, aneinander gereihte Marktstände, in denen kleine Handelsleute ihre Waren verkaufen konnten.
Der Begriff „Scharren“ kommt aus dem Mittldeutschen: Scharne,
scherne, schirne = schranne = Fleischbank. In dieser ursprünglichen
Nutzung begründen sich die ungewöhnlichen Gebäudestrukturen:
Das Erdgeschoss wird gebildet von ehemals 9 kleinen Einheiten, die
aus quadratischen Kammern von 2,70 m x 2,70 m Grundfläche, mit
je einem Fenster und einer Brettertür versehen, bestehen. Diese
Kammern dienten jedoch lediglich als Abstellraum für die Tische
und Bänke, die am Tage auf die Straße geräumt wurden, denn der
Verkauf fand im Freien statt.
Bereits 1633 wurden die Fleischscharren an diesem Ort als Anbauten an das mittelalterliche Gewandhaus erwähnt. Die Gebäude in ihrer heutigen Gestalt stammen aus dem Jahr 1838. Ursprünglich als
eingeschossige Kolonnaden im klassizistischen Stil erbaut, wurden
sie später aufgestockt. Wesentliches Gestaltungsmerkmal sind der
über einer Pfeilerstellung aus kannelierten Eichenpfeilern gelagerte profilierte Architrav und die mittig angeordneten Frontispize.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Historische Ansicht um 1900. Neben den Befunden,
die das Gebäude lieferte, war diese Abbildung die
Grundlage für die Rekonstruktion
1
NACH der Sanierung bilden die Kolonnaden der Scharren zusammen mit dem Straßenraum der Gasse nun einen ge­
mütlichen Aufenthaltsbereich, der von den Cafébesuchern gerne genutzt wird. Dahinter erhebt sich das Gewandhaus
Nach dem Verbot des Fleischverkaufs auf offener Straße verloren
die Ascherslebener Scharren ihre ursprüngliche Funktion. Die Buden gingen in Privatbesitz über und 1864 begann der Ausbau für
Wohnzwecke durch Unterkellerung und Aufsetzen des Obergeschosses. Mit 4 m Tiefe und 30 m Länge hat auch das Obergeschoss ungewöhnlich eigenwillige Proportionen, was daran liegt, dass es sich
zwangsweise am bestehenden Erdgeschoss orientieren musste.
Heute finden wir einen sanierten Scharren vor, der eine eindrucksvolle Vorstellung von der originalen Erscheinung dieses ungewöhnlichen Gebäudetyps gibt. Sein Pendant auf der anderen Seite ist in
Privatbesitz, jedoch bis heute leider unsaniert.
2. Interessen und Ziele
Für die neuen Eigentümer kam alles sehr plötzlich – sozusagen mit
einem Donnerschlag. Das rückwärtige Gewandhaus hatten sie bereits
saniert und waren vor Ort, als eines Tages der Abrissbagger vor den
zwar denkmalgeschützten, aber einsturzgefährdeten Scharren stand.
Durch engagiertes sofortiges Handeln konnte der Abriss dieser einzigartigen Anlage zunächst aufgeschoben und schließlich verhindert
werden. Den Erwerb des Ensembles hatten sie ursprünglich nicht
geplant – es ging den neuen Eigentümern einzig und allein um die Rettung des Denkmalbestandes.
„Wir haben das Gebäude dann umgehend auf unsere Kosten sta­
tisch gesichert und im März 2001 gekauft – für 30.000 DM, unver­
schämt teuer, aber es war ein Spekulationsobjekt. Das Objekt ‚ren­
tiert‘ sich in ca. 12 Jahren, die Einnahmen decken heute aber unse­
re Ausgaben, so dass es bei dauerhafter Vermietung schon heute
funktioniert.“ beschreibt Gernot Lindemann den „finanziellen Hin-
tergrund“ des Projektes. Es zeigt, dass es mit Hilfe von Fördermitteln möglich ist, selbst ein so umfangreiches und außergewöhnliches Vorhaben wirtschaftlich erfolgreich umzusetzen. Und auch die
neue Nutzung lässt sich ohne Abstriche im Umgang mit dem Denkmal vortrefflich realisieren!
3. Ausgangslage und Befund
Aufgrund seiner einfachen Bauart, ungewöhnlichen Geometrie und
Struktur hatte das Gebäude seit Mitte des 20. Jahrhunderts Nutzungsprobleme. 1955 sollte es daraufhin zum ersten Mal abgerissen werden. Hier konnte schon damals das Engagement von Bürgern den Abbruch verhindern. Eine Notsicherung wurde durchgeführt, das Gebäude wurde gerettet, wenngleich die Fassade aus
Mangel an Baumaterial ihre ursprüngliche Ansicht weitestgehend
verlor. Trotz dieser Sicherungsversuche im Jahr 1965 war der weitere Verfall kaum aufzuhalten, auch wenn das Gebäude inzwischen
unter Denkmalschutz gestellt worden war.
Nach weiterem Leerstand und ohne greifbare Nutzungsperspektive
sollte es 1998, inzwischen akut einsturzgefährdet, erneut abgerissen werden. Die Abbruchanordnung lag vor, der Abrissbagger stand
bereit, als die heutigen Eigentümer – wie bereits erwähnt – die drohende Gefahr bemerkten und den Abbruch erneut im allerletzten
Moment verhinderten. Sie sicherten das Gebäude umgehend auf eigene Kosten und kauften es schließlich im März 2001.
Neben der denkmalgerechten Grundsanierung bedurfte es insbesondere eines tragfähigen Nutzungskonzeptes für das Gebäude, für
dessen Entwicklung sich die späteren Bauherren mit dem Kauf des
Objektes verantwortlich zeigten.
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Aschersleben
Vor dem Abriss gerettet, ein Scharren
Blick von der Breiten Straße durch die sich verengende Gasse, am Ende die Stephanikirche: Zustand 2001 VOR und 2004 NACH der Sanierung
Blick von der Stephanikirche WÄHREND und NACH der Sanierung
Die Gebäudestruktur mit den vielen kleinen quadratischen Kammern und ebenso zahlreichen Türen schien auf den ersten Blick
nicht nutzbar, erfüllte einfach nicht die üblichen Nutzungsanforderungen, egal ob Einzelhandel, Dienstleistung oder Gewerbe. Die
Nutzungsmöglichkeiten waren durch die Raumstrukturen sehr beschränkt, aber nicht vorgegeben.
Um das Gebäude tatsächlich zu retten, musste jedoch innerhalb
kurzer Zeit ein auf das Denkmal abgestimmtes Sanierungs- und
Nutzungskonzept erarbeitet werden. Für die neuen Eigentümer
stand hierbei die Erhaltung der charakteristischen und einmaligen
Raumstruktur im Vordergrund: Eine Umnutzung der Scharren als
Café bot sich an – die Kammern wurden untereinander verbunden,
indem die Gefache der Zwischenwände entfernt wurden. So konnte
die ursprüngliche Struktur und Proportion des Außen- und Innenraumes tatsächlich erlebbar bleiben.
Ein wichtiger Bestandteil der Sanierungsplanung waren Bauforschung und Bestandsaufnahme. Ein umfangreiches Holzschutzgutachten sowie die detaillierte Rekonstruktion der Gliederungselemente wie Gesimse, Bekleidungen und Fenster nach historischem
Vorbild waren Grundvoraussetzung für eine Rekonstruktion des belegten Zustandes aus der Zeit um 1900.
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4. Maßnahmen und Ergebnisse
Durch die ideale Konstellation, Eigentümer, Bauherr und Architekt
in einer Person zu vereinen, war es möglich, den Bauablauf optimal
auf die Bedürfnisse des Denkmals einzustellen. Baugeschichtlich
bedeutende Befunde wie z.B. das feingliedrige neogotische Holzfenster konnten so rechtzeitig entdeckt, geborgen, restauriert und
wieder eingebaut werden. Auch die veranschlagten Sanierungsund Umnutzungskosten von 400.000 Euro konnten weitestgehend
eingehalten werden.
Die Fassade des Bauzustandes um 1900 konnte anhand der vorliegenden Abbildungen detailgetreu rekonstruiert werden. Bei der
Wiederherstellung der Fassade lieferte auch das gegenüberliegende spiegelbildliche Pendant der Scharren Anhaltspunkte für die
Ausprägung mancher Details. Moderne Bauelemente ergänzen die
historische und rekonstruierte Bausubstanz. Kontraste zwischen
Alt und Neu und zwischen den unterschiedlichen Bauepochen wurden herausgearbeitet.
Das in weiten Teilen stark geschädigte Fachwerk wurde, wo nötig,
erneuert. Im hinteren Bereich des Gebäudes waren Teile von Kellermauerwerk und -decke durch Wasserschäden beeinträchtigt und
teilweise eingestürzt. Auch die darüber befindliche Fachwerkkons-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
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Die Liebe zum Detail äußert sich an vielen Stellen im Gebäude – wie beispielsweise
bei den nach historischem Vorbild gefertigten Holzfenstern
WÄHREND der Sanierung: Die Fachwerkkonstruktion musste wegen Befall von
Echtem Hausschwamm teilweise komplett ersetzt werden
Harter Kontrast: Das gegenüberliegende Scharrengebäude ist noch unsaniert
Bei allen Maßnahmen wurde versucht, die Originalsubstanz soweit
wie möglich zu verwenden und damit zu bewahren – was bei einem
Haus, das ursprünglich mehr oder weniger „nur“ als Marktstand errichtet wurde, gar nicht so einfach war. Die einstige Errichtung der
Scharren war ursprünglich vermutlich nicht auf jahrhundertelanges
Bestehen ausgelegt, was sich in der Wahl einfacher Konstruktionen
und Materialien zeigt.
ersetzt werden mussten. Andere konnten, mit Metallklammern zusammengehalten, erhalten werden. Ursprünglich lagerten die Eichenpfeiler der Arkaden direkt auf den Steinsockeln auf. Das ist –
bauphysikalisch gesehen - eine unglückliche Lösung, da so die Fußpunkte durch Nässe (Spritzwasser und aufsteigende Feuchtigkeit
aus den Sandsteinsockeln) über die Jahre stark geschädigt wurden.
Hierfür wurde nun eine neue Detaillösung entwickelt: Die hölzernen
Pfeiler erhielten eigens dafür entwickelte Stahlfüße, die die baukonstruktiv erforderliche Trennung von Sockel und Pfeiler realisierte.
Die nun entstandene Fuge zwischen Stein und Holz wurde traditionell mit flüssigem Blei verschlossen, so dass sie das klassizistische
Erscheinungsbild nicht beeinträchtigt. Das Risiko der Durchfeuchtung des Holzes mit zwangsläufig erneutem Schädlingsbefall konnte so minimiert werden.
Nicht nur das hölzerne Fachwerk und die Pfeiler mussten umfassend saniert werden, auch die steinernen Fundamente waren in desolatem Zustand. Bei früheren Sanierungsversuchen hatte man die
Steinsockel mit Beton ummantelt. Als Ertüchtigung der Statik gedacht, schädigte der Reparaturversuch die Konstruktion jedoch
stärker, als er sie schützte. Jahrzehntelang eindringendes Wasser
schadete dem Stein so, dass einige Fundamentsockel durch neue
Eine große Herausforderung war auch die Bergung und Reparatur
des neogotischen Fensters mit seiner feingliedrigen Sprosseneinteilung. Es stammt aus der Zeit um 1850, als die Buden als Ladengeschäfte umgestaltet wurden. Ursprünglich vor der Fassade sitzend, wurde es bei den Reparaturarbeiten der 1960er Jahre in die
Fassade zurückversetzt. Nur so konnte es die vergangenen Jahrzehnte überdauern, denn so war es ein wenig witterungsgeschützer
truktion war bereits stark von Hausschwamm befallen. Dieser Bereich musste komplett erneuert werden. Nach der Schwammsanierung wurde auch das eingestürzte Kellermauerwerk mit den vorhandenen Bruchsteinen neu aufgebaut. Auf einer Trennschicht zum
Schutz gegen aufsteigende Feuchtigkeit wurde das Fachwerk in traditioneller Bauweise wieder hergestellt.
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Aschersleben
Vor dem Abriss gerettet, ein Scharren
Eine der neun kleinen Einheiten, die zu einem Marktstand gehörten
Detail eines Pfeilerfußes der Kolonnaden mit angesetztem neuen Fußpunkt: Das ver­
änderte baukonstruktive Detail des Fußpunktes ist nach außen nicht sichtbar
platziert. Allerdings hat es bei dieser Umsetzung einige Schäden
hinnehmen müssen. Nur durch die genaue Analyse des noch vorhandenen Holzes konnte die ursprüngliche Form rekonstruiert werden, so dass es heute wieder, wie vor 150 Jahren, vor der Fassade
sitzt. Auch andere Details wie der um 1900 eingebaute Ladenbereich
an der Gebäudeecke wurden erhalten und sorgfältig restauriert.
cher. „Die Bevölkerung konnte sich bereits während der Sanierung
mit dem Gebäude auseinandersetzen und identifizieren. Das half
uns letztendlich auch bei unserer Suche nach neuen Nutzern.“
Die zahlreichen Fenster und Oberlichter des Gebäudes wurden anhand noch vorhandener Originalsubstanz nachgebaut. Eine Besonderheit war der Bau von Musterfenstern, anhand derer technischer
Aufbau, Dichtigkeit, Beschaffenheit der Beschläge u. a. eingehend
getestet und optimiert wurden. Ergänzt wurden die Einfachfenster
durch zusätzliche Innenflügel, die den Wärmeschutz dieser Bauteile verbesserten. Die Verglasung der Fenster erfolgte mit historischem Glas, das aus Abbruchhäusern geborgen werden konnte –
detailgetreuer und liebevoller kann man mit dem sensiblen Thema
der Fenster bei einer Sanierung nicht umgehen!
Die historischen Brettertüren mussten unbedingt erhalten bleiben,
prägen sie doch den Charakter des Gebäudes erheblich. Um den
Wärmeschutz an dieser Stelle zu verbessern, wurden innenliegende Glastüren eingebaut. Diese Zusatzelemente sind bewusst kontrastreich modern gestaltet worden.
Im gesamten Sanierungsprozess wurde die Bevölkerung durch Veranstaltungen und Projekte aktiv einbezogen. Schüler begleiteten die
Arbeiten im Rahmen eines europäischen Denkmalprojektes. Zum
Abschluss wurde in dem Gebäude eine Ausstellung zur Bau- und
Alltagsgeschichte veranstaltet.
„Dass sich die Wiederbelebung dieses exponierten Ensembles
nicht hinter verschlossener Bauplane vollzog – die Baustelle war
offen einsehbar­, ist auch mit ein Grund dafür, dass sich das Café
heute großer Beliebtheit erfreut“, ist sich Gernot Lindemann si­
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Im Oktober 2004 eröffnete das „Café am Gewandhaus“ in den historischen Räumen. Es entwickelte sich schnell zu einem beliebten
Treffpunkt der Bürger der Stadt und ihrer Gäste. Gerade die historische Bausubstanz macht dabei den einzigartigen Charme des Cafés aus und hebt es als etwas Besonderes hervor.
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Heute sind die Ascherslebener Scharren die einzige komplett erhaltene Anlage dieser Art in Sachsen-Anhalt. Für die Stadt Aschersleben bedeutet die engagierte Erhaltung nicht nur die Rettung eines
hochkarätigen Einzeldenkmals. Sie ist zugleich ein außergewöhnlicher städtebaulicher Gewinn, denn das Stadtbild wäre um ein bedeutendes Denkmalensemble ärmer, wäre der Abbruch nicht verhindert worden. So tritt das einzigartige Ensemble nun wieder als
räumliche Verbindung von Breiter Straße und Stephanikirche auch
optisch in Erscheinung. Das schlägt sich schließlich auch darin nieder, dass die Bewohner der Stadt diesen stadträumlich besonderen
Bereich wieder wahrnehmen, aktiv nutzen und beleben.
Dieses Beispiel ermutigt zu der Hoffnung, dass es auch für jahrzehntelang vernachlässigte und schließlich dem Abriss geweihte
Gebäude Lösungen geben kann für deren nachhaltige und denkmalgerechte Nutzung. Natürlich bedarf es eines hohen Maßes an
Fantasie, Enthusiasmus und Fingerspitzengefühl, solchen Objekten
eine zukunftsfähige Perspektive zu verschaffen. Das vorliegende
Projekt gibt hierfür ein positives Beispiel und belegt, was insbesondere privates Engagement zu leisten vermag.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Das neogotische Fenster wurde nach Restaurierung wieder am historischen Platz
eingebaut
1
Blick in das Café NACH der Sanierung (OG): Die einzelnen Einheiten der ehemaligen
Verkaufseinheiten sind anhand der erhaltenen Fachwerkwände ablesbar
Weiterführende Informationen
Es ist zu hoffen, dass von den sanierten Scharren ein Anreiz ausgeht,
auch das gegenüberliegende Pendant zu sanieren und das einzigartige Ensemble für die Zukunft zu sichern. „Planungen gibt es vom
Eigentümer schon seit Jahren, passiert ist bisher allerdings
nichts.“ bedauert Gernot Lindemann die Situation des Gegenübers.
Das Naheliegendste wäre doch, die vorliegenden Erfahrungen und
gelungenen Details der abgeschlossenen Sanierung zu übernehmen – dies würde eine erhebliche Einsparung der Planungskosten
ermöglichen. Dass die abgeschlossene Sanierung des ersten Gebäudes sowohl aus Sicht des Gebäudes als auch aus Sicht der Nutzer wunderbar funktioniert, ist schließlich bereits bewiesen.
Neben dem privaten und städtebaulichen Mehrwert weist das Projekt auch einen gesondert erwähnenswerten sozialen Mehrwert auf:
Innerhalb eines europäischen Denkmalprojektes „denkmal aktiv –
Kulturerbe macht Schule“ begleiteten Gymnasialschüler mit ihren
Lehrerinnen der UNESCO-Schule Ascaneum Aschersleben ein
Schuljahr lang die Sanierungsarbeiten. So erforschten Schüler die
historischen Bauakten, dokumentierten den Bauablauf und erstellten kolorierte Ansichten der Fassade als Grundlage für die Entscheidungen zur Farbgebung. Ein anderes Schülerprojekt befasste
sich mit der Darstellung der Geschichte des Gebäudes in einem
Film. Historische Szenen, wie sie sich im Gebäude vor langer Zeit
abgespielt haben mögen, wurden von den Schülern in historischen
Gewändern nachgestellt und gefilmt. Auch beteiligten sich die Schüler an der Gestaltung der Ausstellung, die nach der abgeschlossenen Sanierung im Gebäude zu sehen war. Dazu kamen auch die ehemaligen Besitzer der Scharren. Nach mehr als 50 Jahren waren sie
nun wieder in ihrem Geburtshaus zu Gast. Sie überreichten den
neuen Eigentümern ein altes Straßenschild, das sie als Erinnerungsstück über all die Jahre aufbewahrt hatten.
Einbeziehung der Öffentlichkeit / Denkmalprojekte an Schulen
Im Rahmen der Beispielrecherche für diese Broschüre stießen wir
oft auf Eigentümer, die über sehr gute Erfahrungen mit der Einbeziehung der Öffentlichkeit in ihre Sanierungsvorhaben berichteten.
Hier wird deutlich, dass sich auch Interesse und Neugier anderer
Menschen positiv auf Initiative und Engagement privater Eigentümer und Bauherren auswirken. Im Falle der Scharren wirkt sich die
„natürlich gewachsene“ Popularität beispielsweise positiv auf die
Besucherzahlen aus. Bei anderen Objekten kann die Begeisterung
in der Bevölkerung für wieder hergestellte historische Gebäude
auch deren Schutz, z.B. vor Vandalismus mit sich bringen.
Insbesondere die Einbindung von Jugendlichen – sei es in Form von
Schüler- oder Studienprojekten oder durch Veranstaltungen während des Bauablaufes und aktive Integration in den Sanierungsprozess – trägt zu Wahrnehmung, Akzeptanz bis hin zu Faszination gegenüber dem baukulturellen Erbe der Städte bei.
Eine andere Form, den Gegenstand in die öffentliche Diskussion zu
bringen und Qualitätsmaßstäbe zu setzen, sind vielfältige Wettbewerbe und Preise für außergewöhnliche Sanierungsergebnisse, von
denen hier beispielhaft genannt werden sollen:
– Denkmalpflege- und Sanierungspreise,
– Bauherrenpreise,
– Städtebaupreise.
2006 wurden die Eigentümer „Passage GbR Lindemann/Hain“ mit einer Anerkennung im Rahmen des Europäischen Denkmalschutzpreises für die Sanierung und Umnutzung der Scharren ausgezeichnet.
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Brandenburg�
Sanierung und Umnutzung: Ein barockes Bauensemble
Lageplan Lindenstraße 3 und 4
Gebäude Lindenstraße 3, VOR und NACH der Sanierung
Dominsel
Altstadt
Neustadt
Lage in der
historischen Neustadt
Projektdaten
Objekt
Sanierung und Umnutzung eines barocken
Bauensembles
Bauherr
Uta Zerjeski und Martin Braunschweig,
Lindenstraße 3, 14776 Brandenburg an der Havel
Planung
braunschweig. architekten, Lindenstraße 3,
14776 Brandenburg (Havel)
Bauzeit
2005 – 2008
Kosten
Ca. 450.000 Euro
Förderung Städtebauförderung: ca. 60.000 Euro, Wohneigentumsbildung in innerstädtischen Altbauquartieren:
ca. 16.000 Euro, Förderprogramm Stadterneurung:
B.3.4. Förderung Abbruchmaßnahmen, Nebengelass: ca. 1.600 Euro, Materialförderung Hanf, Programm „Nachwachsende Rohstoff“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirschaft und
Verbraucherschutz: 500 Euro
Kontakt
Martin Braunschweig und Uta Zerjeski,
[email protected]
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1. Stadt und Haus
Brandenburg an der Havel ist mit rund 74.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt im Land Brandenburg. Ihre Entstehung verdankt sie
der exponierten Lage in einer ausgedehnten Fluss- und Seenlandschaft und der Verschmelzung dreier historischer Siedlungskerne,
die sich an beiden Ufern der Havel entwickelten. Ausgehend von einer Burg auf der Dominsel entstanden seit dem 12. Jahrhundert zunächst die Altstadt und dann die Neustadt. Zusammen bilden sie
den historischen Stadtkern Brandenburgs, in dem bis heute ein großer und geschlossener Baubestand aus allen Jahrhunderten erhalten ist. Die historischen Siedlungskerne Dominsel, Alt- und Neustadt sind als Denkmalbereiche geschützt, was der historischen Gebäudestruktur einen besonderen Status verleiht.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts erlangte Brandenburg (Havel) das
Image einer bedeutenden Industriestadt, was vor allem der Entwicklung der Stahlindustrie seit dem Zweiten Weltkrieg geschuldet
war. Bevor Berlin und Potsdam zu kurfürstlichen und später königlichen Residenzen aufstiegen, war die Stadt bis ins späte Mittelalter politischer und kultureller Mittelpunkt der Mark Brandenburg.
Dennoch gerieten die Werte der historischen Innenstadt allmählich
in Vergessenheit. Im Bewusstsein der Stadtbürger war der historische Stadtkern als qualitätvoller Wohnort zuletzt nicht mehr präsent. Immer mehr prägten leerstehende und verfallende Gebäude
das Bild der historischen Innenstadt. Um den Verfall zu stoppen,
wertvolle Bausubstanz zu erhalten und die Innenstadt wieder anziehend zu gestalten, hat die Kommune den historischen Stadtkern
1992 als Sanierungs- und Erhaltungsgebiet ausgewiesen.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
NACH der Sanierung: Straßenfassaden der Häuser Lindenstraße 3 (rechts) und 4 (links)
Zu den charakteristischen Siedlungsstrukturen der Innenstadt Brandenburgs gehört die Bebauung der Lindenstraße am Rande der historischen Neustadt. Sie ist geprägt von schlichten zweigeschossigen
Reihenhäusern, deren rückwärtige Grundstücke den Verlauf der einstigen Stadtmauer markieren. Die trauf- und giebelständigen Häuser
wurden im ausgehenden Barock errichtet und von Kleinhandwerkern
genutzt. Die erste Besiedlung der Grundstücke an der Stadtmauer
reicht jedoch noch weiter zurück und beginnt schon im Mittelalter.
Vorgestellt werden sollen die Gebäude Lindenstraße 3 und 4. Es sind
zweigeschossige, verputzte Fachwerkhäuser, die um 1780 als Wohnhäuser auf separaten Parzellen errichtet und Anfang des 19. Jahrhunderts zusammengelegt wurden. Ergänzt wird das Ensemble
durch ein im rückwärtigen Teil des Grundstücks gelegenes Werkstattgebäude aus Backstein. Es wurde um 1900 errichtet und ist über
eine Tordurchfahrt in Haus Nummer 3 von der Straße aus erreichbar.
Haus Nummer 3 ist ein eingetragenes Baudenkmal und besitzt einen
spätmittelalterlichen Gewölbekeller, der von einem Vorgängerbau
aus der Zeit um 1450 stammt.
Sanierungs­ und Erhaltungsgebiete
Sanierungs- und Erhaltungsgebiete und die entsprechenden Satzungen sind Instrumente der Stadtplanung, mit deren Hilfe eine Stadt die
Entwicklungsrichtung bestimmter Gebiete auch gesetzlich festlegen
kann. Damit können zugleich Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Eigentümer bei der Sanierung und Instandsetzung ihrer historischen Gebäude auch finanziell zu unterstützen. Empfänger der Fördermittel können sowohl öffentliche als auch private Bauherren sein.
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Grundriss und Ansicht der Vorderhäuser Linden­
straße 3/4 als Entwurf für behindertengerechten
Umbau an Haus Nummer 3, in dieser Form nicht
ausgeführt
Zu den maßgeblichen Fördermittelquellen gehören die so genannten „Bund-Länder-Programme“ der Städtebauförderung. Dazu zählen unter anderem die Programme Städtebauliche Sanierungs- und
Entwicklungsmaßnahmen, Städtebaulicher Denkmalschutz oder
„Stadtumbau Ost“. Bund, Länder und Kommunen fördern hierbei gemeinsam städtebaulich relevante Maßnahmen in den ausgewiesenen Sanierungs- oder Erhaltungsgebieten, indem sie einen bestimmten Teil der anfallenden Kosten übernehmen. Das kann z.B.
die Erhaltung der „Hülle“ (Dach und Fassade) bedeutender Einzelgebäude in einer Straßenzeile sein, deren zusammenhängendes
Erscheinungsbild von Bedeutung ist.
2. Interessen und Ziele
Seit 2003 suchte das Architektenpaar Martin Braunschweig und Uta
Zerjeski eine „familientaugliche“ Immobilie mit Grundstück in Brandenburg an der Havel, die unbedingt im historischen Stadtzentrum
liegen sollte: „Wir haben uns in der Stadt nach leerstehenden Im­
mobilien umgesehen. Das Stadtzentrum von Brandenburg (Havel)
ist durch seine Lage am Wasser und die einzigartigen historischen
Gebäude ausgesprochen attraktiv. Hier wollten wir unsere Vorstel­
lung vom Leben und Arbeiten unter einem Dach verwirklichen“, er­
innern sich die Eigentümer.
Die Begeisterung war groß, als das Paar bei seinen Streifzügen auf
das leer stehende Gebäudeensemble Lindenstraße 3 und 4 stieß und
anschließend die damaligen Eigentümer ausfindig machen konnte –
wenngleich die Liegenschaft mit insgesamt etwa 450 Quadratmetern
Nutzfläche zunächst für die Familie mit zwei Kindern als zu groß er-
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2
Brandenburg
Sanierung und Umnutzung: Ein barockes Bauensemble
Impressionen aus den Innenräumen des Gebäudeensembles Nr. 3 und 4 VOR der Sanierung
NACH der Sanierung: Alte Innentüren, Fenster und Fachwerkkonstruktionen wurden aufwändig aufgearbeitet oder mit bauzeitlich passendem Altholz ergänzt, so verbrei­
tet die erhaltene Bausubstanz mit modernen Elementen ein authentisches und behagliches Wohnambiente
schien. Doch dann entstand die Idee, die ohnedies beabsichtigte
Kombination von Wohnen und Arbeiten als ein „MehrgenerationenWohnen“ mit Büro umzusetzen: Sowohl die Eltern als auch die Großmutter des Bauherren ließen sich von der Idee überzeugen. Für sie
wurden weitere Wohnungen im Vorderhaus geplant, während das hofseitige Werkstattgebäude von den Bauherren selbst im Erdgeschoss
als Architekturbüro darüber als Wohnung genutzt wird. Auf diese Weise konnten alle zur Verfügung stehenden Flächen genutzt werden.
3. Ausgangslage und Befund
Die Gebäude Lindenstraße 3 und 4 wurden zuletzt als Wohngebäude genutzt. Seit dem Ende der 1980er Jahre standen die Wohnungen
zunehmend leer, die letzte Bewohnerin zog im Jahr 2003 aus. Durch
unzureichende und ausgebliebene Instandhaltungsmaßnahmen
hatte sich der Bauzustand in den letzten Jahrzehnten stark verschlechtert. Zwar zeigten die Gebäude in ihrem äußeren Erscheinungsbild keine gravierenden Schäden – das Gebäudeinnere machte
aber schnell deutlich, dass insbesondere die im Kern als Fachwerkbauten errichteten Vorderhäuser doch stark sanierungsbedürftig
waren: „Das Gebäudeinnere bot anfangs einen kuriosen Anblick:
Einige der Dielenböden hatten sich so stark verformt, dass in den
Zimmern Gefälle von bis zu 30 cm entstanden waren. Außerdem
führte die zurückgebliebene Ausstattung, Möblierung und Tape­
ten, ehemaliger Bewohner dazu, dass wir uns in die 1970er Jah­
ren zurückversetzt fühlten – als wäre die Zeit stehen geblieben.
Trotzdem waren wir uns schnell einig, dass die Gebäude die An­
18
strengung einer umfassenden Sanierung lohnen würden“, be­
schreiben die Bauherren rückblickend ihre ersten Eindrücke.
Vor allem musste die Schäden der tragenden Holzkonstruktion behoben werden – eine typische Sanierungsaufgabe bei verputzen
Fachwerkgebäuden. Um einen genauen Überblick über den Erneuerungsbedarf zu bekommen, wurden detaillierte Voruntersuchungen am Dach- und Fachwerk vorgenommen. Dabei wurde der Befall mit Hausschwamm offenbar. Ein Bodengutachten ergab, dass
auch die Fundamentierung Schäden aufwies, da die Gebäude über
einer instabilen Aufschüttung auf einem ehemaligen Havelarm errichtet worden waren.
Denkmalpflegerische Voruntersuchungen brachten aufschlussreiche Erkenntnisse zur Baugeschichte des Gebäudes ans Licht, die
die Leidenschaft der Eigentümer für ihr Haus noch vertieften: „Un­
sere beiden Häuser wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­
derts quasi aneinandergerückt, indem eine kleine Brandgasse
zwischen ihnen überbaut wurde“, weiß Frau Zerjeski heute.
Eine farbrestauratorische Untersuchung lieferte schließlich Hinweise auf die historischen Erscheinungsbilder der Gebäude. Für
eine originalgetreue Rekonstruktion der Außenansicht reichten diese Belege zwar nicht aus, dennoch wurde die neue Fassadengestaltung mit historischen Gestaltungsmerkmalen des Denkmalbereichs abgestimmt – zum Beispiel wurde für das Haus Nummer 4
eine traditionelle Kalkfarbe gewählt und in historischer Freskotechnik auf den noch feuchten Putz aufgebracht.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
2
Blick von Norden auf das Hofgebäude im Stadtmauerverlauf: Im Erdgeschoss haben die Eigentümer ihr eigenes Architekturbüro und im Obergeschoss ihre Wohnung
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Bereits frühzeitig hatten die Eigentümer, selbst Architekten, mit ersten Planungen begonnen, so dass die Bauphase sofort nach dem
Erwerb starten konnte. Provisorisch wurde in kurzer Zeit ein Gebäudeteil bewohnbar gemacht. Mit neuen Sanitäreinrichtungen und etwas Wandfarbe richteten sich die Bauherren somit im ersten Schritt
eine Art „Schaltstelle“ ein, von der sie den Umbau ihres Hauses vor
Ort beobachten und steuern konnten. „Einfach mal die Heizung
aufzudrehen, war damals zwar noch nicht möglich, ein einfacher
Ofen half uns aber über die Kälte. Und so hatten in jenem Winter
die Schneemänner auch endlich mal wieder richtige Kohleau­
gen“, erinnert sich Herr Braunschweig heute an diese nicht ganz
einfache Übergangszeit.
Die Sanierung des Holztragwerks und der Böden erfolgte unter
möglichst weitgehendem Erhalt und Aufarbeitung des Bestandes.
In Teilen musste das stärker geschädigte Material aber auch komplett ersetzt werden, etwa bei der Hoffassade des Hauses Nummer
3. Die Schwammsanierung des Hauses Nummer 4 konnte mittels
Heißlufttechnik erfolgreich durchgeführt werden. Die relativ gut erhaltenen Dächer wurden unter Erhalt der historischen Verformungen instand gesetzt.
Grundsatz aller Sanierungsarbeiten war es, mit der Originalsubstanz
behutsam umzugehen. Ziel war eine denkmalgerechte Sanierung unter weitgehender Bewahrung der wertvollen authentischen Bausubstanz. Wo Elemente ergänzt werden mussten oder neu hinzugefügt
wurden, entschieden sich die Architekten dagegen bewusst für eine
moderne Formensprache, um heutige Ergänzungen deutlich zu machen. Wichtig war ihnen jedoch, dass sich alles Neue dem Gesamterscheinungsbild der Gebäude unterordnet und die neuen Materialien
ebenso im Einklang mit dem Bestand stehen. So wurden zum Beispiel die alten Innentüren aufgearbeitet und wieder verwendet oder
die Holzergänzungen im Tragwerk mit bauzeitlich passendem Altholz ausgeführt. Erhaltene historische Fenster wurden ebenfalls
wiederaufgearbeitet, wogegen gestalterisch störende Einfachfenster der letzten Jahrzehnte durch hölzerne Nachbauten ersetzt
wurden, die sich mit ihrer Teilung wieder an historischen Vorbildern
orientieren und zugleich modernen Isolierstandards entsprechen.
In allen drei Gebäuden des Ensembles wurden die Sanitärbereiche
komplett erneuert und in die veränderten Grundrisse integriert.
Durch den Abriss eines Seitenflügels von Haus Nummer 3 wurden
die zuvor gebäudeübergreifenden Wohnungsgrundrisse getrennt
und beiden Gebäuden wieder gebäudescharf zugeordnet. Beim Entwurf der neuen Wohnungsgrundrisse folgten die Bauherren ihren
Bedürfnissen: Sie kombinierten beispielsweise im Obergeschoss
des Hofgebäudes offene, eher loftartige Wohnbereiche mit klassischen Zimmerteilungen für die Kinder. Durch den Abriss eines
Seitenflügels sowie einiger Schuppen und verfallener Remisen
konnte der Hof für seine Nutzer in eine private „grüne Oase“ inmitten des historischen Stadtzentrums verwandelt werden.
Die Finanzierung des Vorhabens stützte sich auf eine interessante
Mischung von Eigenmitteln und Fördermitteln, die die Bauherren
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2
Brandenburg
Sanierung und Umnutzung: Ein barockes Bauensemble
Ansicht des Hofgebäudes im Verlauf der Stadtmauer.
Ansicht des Hofgebäudes: Inmitten der Stadt bietet das Grundstück alle erdenklichen Vorzüge und
Freiräume für die Eigentümer und deren Familienmitglieder und ermöglicht die Realisierung
eines Mehrgenerationen­Hauses
für ihr Vorhaben erschließen konnten. Dazu zählen vor allem Fördermittel zur Stadterneuerung (Hüllenfördermittel, „B.3.2.“) ebenso wie Finanzmittel aus einem Landesprogramm zur Förderung des
Stadtumbaus durch Wohneigentumsbildung in innerstädtischen
Altbauquartieren. Planungsleistungen und der Innenausbau, bei
dem unter anderem auch Hanf als Baumaterial verwendet wurde,
konnten als Eigenleistungen der Bauherren erbracht werden. Die
Verwendung ökologischer Baustoffe brachte den Bauherren eine
Materialförderung aus dem Programm „Nachwachsende Rohstoffe“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ein.
Etwa ein Jahr nach Baubeginn war die Wohnung der Bauherren im
ersten Obergeschoss des Hofgebäudes bezugsfertig, im Sommer darauf auch das straßenseitige Gebäude Lindenstraße 4, so dass im Juli
2007 die Eltern und die Großmutter der Bauherren einziehen konnten. Im Oktober 2007 wurde schließlich der Traum der Bauherren, Leben und Arbeiten unter einem Dach zu verbinden, wahr: Die Eröffnung des Architekturbüros im Erdgeschoss des hofseitigen Werkstattgebäudes konnte gefeiert werden. Restarbeiten am denkmalgeschützten Gebäude Lindenstraße 3 laufen derzeit noch – sie sollen
bis September 2008 abgeschlossen sein. „Das Happy End ist noch
nicht ganz geschafft“, sagen die Bauherren, „aber wir arbeiten da­
ran.“ Schon jetzt werden allerdings entscheidende Vorteile deutlich,
die sich den neuen Eigentümern mit der Lindenstraße 3 – 4 bieten.
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Die Lindenstraße bietet mit ihrer zentralen Lage als kleine Seitenstraße ein ruhiges Wohnumfeld, das durch seine unmittelbare Nachbarschaft zur Dominsel und der Nähe zur Havel besonders attraktiv
ist. Durch den innerstädtischen Standort des neuen Eigenheims erschließen sich der Familie alle Vorteile der „kurzen Wege“, wie Herr
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Ansicht des Hofgebäudes vom Innenhof aus
Braunschweig betont: „Das Haus ist für uns ein mehrfacher Glücks­
fall: Wir wollten ein Büro und ein Eigenheim mit Garten, bekom­
men haben wir aber viel mehr: Ein geräumiges Anwesen mit Ge­
schichte und Flair im Zentrum von Brandenburg, Wohnen und Ar­
beiten unter einem Dach, Schulen und Kindergärten in fußläufiger
Entfernung. Auch Einkaufsmöglichkeiten und Kulturangebote lie­
gen vor der Haustür, so dass die Zeitersparnis enorm ist.“
Durch seine unterschiedlichen Bauteile eröffnet das Ensemble ganz
verschiedene Nutzungsmöglichkeiten: „Auf Entwicklungen und
Veränderungen innerhalb von Familie und Beruf können wir des­
halb in Zukunft flexibler reagieren“, freut sich Frau Zerjeski. Die
Einrichtung weiterer Einzelwohnungen, beispielsweise für die Kinder oder als abgeschlossene Mietwohnungen, ist ebenso möglich
wie die Zusammenlegung bislang getrennter Wohnungen oder eine
Erweiterung des Büros. Mit der Kombination von Wohnen und Arbeiten unter einem Dach entfallen die täglichen An- und Abfahrtswege zur Arbeitsstelle, und es ist jemand zu Hause, wenn die Kinder von der Schule kommen.
Das Mehrgenerationenkonzept sorgt für weitere Entlastung, da Hilfestellungen für die älteren Familienmitglieder ebenso wie Unterstützung bei der Betreuung der jüngeren Kinder unkompliziert möglich sind und quasi von der eigenen Wohnung aus erledigt werden
können. Trotzdem stehen für alle Familienmitglieder individuelle
„Rückzugsräume“ zur Verfügung.
Für die Stadt Brandenburg (Havel) stellt die Sanierung der Gebäude Lindenstraße 3-4 einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg
dar, den historischen Stadtkern als attraktives Stadtzentrum mit
vielfältiger Nutzung und gemischter Bewohnerschaft zu sichern.
Das Projekt erhielt im Rahmen des „Brandenburgischen Innen-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
2
Blick in die Lindenstraße: Neben dem Barockensemble Lindenstraße 3 und 4 gibt es noch viele weitere Gebäude, deren Sanierung und Belebung durch das eindrucksvolle
Ergebnis initialisiert werden können. Inzwischen wurden an den Häusern Nummer 6 und 7 erste Bautätigkeiten beobachtet…
stadtwettbewerbs 2006“ der Landesregierung deshalb eine Würdigung im Handlungsfeld „Wohnen in der Innenstadt“.
Mit dem Erhalt des Barockensembles wird außerdem erreicht, dass
die dynamische Entwicklung der Stadt anhand der überlieferten
Bauten und Straßen auch in den Randbereichen des Zentrums ablesbar bleibt, in diesem Fall als Zeugnis der frühindustriell-gewerblichen Stadtentwicklung auf dem mittelalterlichen Stadtgrundriss.
Damit wurde ein wichtiger Beitrag geleistet zum Erhalt der baukulturellen Vielfalt und letztlich Unverwechselbarkeit der Stadt Brandenburg (Havel).
Bereits das fast fertige Projekt zeigt deutlich, welche Potenziale im
historischen Bestand liegen. Der Mut und das Engagement von Martin Braunschweig und Uta Zerjeski machen das anschaulich – und
wirken ansteckend! Denn mittlerweile folgen auch andere Eigentümer dem Beispiel und beginnen schrittweise damit, weitere Häuser
der Straße zu revitalisieren. Dennoch gibt es noch etliche Gebäude
im Stadtzentrum von Brandenburg, die auf tatkräftige Eigentümer
mit neuen Ideen warten: „Wir sind also noch auf der Suche nach
netten Nachbarn!“, äußert sich Frau Zerjeski hoffnungsvoll.
Weiterführende Informationen
Wohneigentumsbildung in innerstädtischen Altbauquartieren
Zur Förderung von selbst genutztem Wohneigentum insbesondere
in innerstädtischen Altbauquartieren hat die Brandenburgische
Landesregierung am 02.02.2007 eine neue Förderrichtlinie erlassen
(WohneigentumInnenstadtR). Im Rahmen der Wohneigentumsförderung für private Haushalte werden damit Zuschüsse für die Bildung von innerstädtischem Wohneigentum gewährt, insbesondere
durch den Erwerb von Altbauten mit anschließender Modernisierung, durch Um- und Ausbau sowie Erweiterung, Baulückenschließung oder durch die behindertengerechte Anpassung.
Weiterführende Informationen auf den Internetseiten der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB):
www.ilb.de/rd/programme/218.php
Generationengerechtes Wohnen
Seit dem 05.09.2007 fördert die Brandenburgische Landesregierung
auch die generationengerechte Anpassung von Mietwohngebäuden
durch Modernisierung und Instandsetzung (GenerationsgerechtModInstR). Durch die Gewährung von Darlehen soll die Modernisierung
und Instandsetzung generationsgerechter Mietwohnungen zu sozial verträglichen Mieten gefördert werden. Dazu zählt auch die Umsetzung neuer Konzepte für Mehrgenerationswohnen, Wohngemeinschaften im Alter oder andere innovative Formen des Zusammenlebens und der Selbsthilfe im Alter.
Weiterführende Informationen des Ministeriums für Infrastruktur
und Raumordnung des Landes Brandenburg (MIR):
www.mir.brandenburg.de/cms/detail.php?id=81118&_siteid=32
Andere Bundesländer bieten ähnliche Programme:
Mecklenburg-Vorpommern:
www.lfi-mv.de/ie/foerderprogramme/wohnungsbaufoerderung.html
Sachsen-Anhalt:
www.ib-sachsen-anhalt.de/sites/wohnungsbau/bestand_erwerb.html
Freistaat Sachsen:
www.sab.sachsen.de/servlet/PB/menu/1038263_l1/index.html
Freistaat Thüringen:
www.aufbaubank.de/index.php?p=3&a=show&data[pid]=25&#download
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Dessau
Genossenschaftliches Wohnen in der alten Eisenwarenhandlung: Das Koch­Haus

N
Hum
Lage in Dessau­Nord
perd
inck
straß
e
Lageplan
Grundrisse des Objektes, die Struktur der ehemaligen Eisenwarenhandlung verdeutlichen
Projektdaten
Objekt
Sanierung und Umnutzung eines gründerzeitlichen
Kontor- und Lagergebäudes durch eine eigens für
das Objekt gegründete Wohnungsbaugenossenschaft (DAKSBAU e.G.)
Bauherr
DAKSBAU e.G., Humperdinckstr. 16, 06844 Dessau
Vorstand
Dr. Holger Schmidt
Planung
Architekturbüro ding.fest, Kantstr. 7, 06844 Dessau
Bauzeit
1997 – 2001
Kosten
Ca. 900.000 Euro
Förderung
Mitgliederdarlehen: ca. 12.500 Euro, Privatdarlehen:
ca. 37.500 Euro, Mietvorauszahlungen: 75.000 Euro,
Vergabe-SAM (Strukturanpassungsmaßnahme):
90.000 Euro, Kredit der KfW-Bank: 181.000 Euro,
Lohnkostenzuschuss des Landes Sachsen-Anhalt:
ca. 16.500 Euro, Eigenleistung (unbare Leistung):
45.000 Euro, Bankkredit: 300.000 Euro,
Investitionszulage: 35.000 Euro,
Genossenschaftsanteile: 150.000 Euro
Kontakt
Dr. Holger Schmidt, [email protected]
22
1. Stadt und Haus
Dessau ist seit 2007 Teil der kreisfreien Stadt Dessau-Rosslau und
mit ca. 77.400 Einwohnern die drittgrößte Stadt Sachsen-Anhalts.
Die Stadt entstand gegen Ende des 12. Jahrhunderts als Handelsplatz an der Kreuzung von Fernwegen und entwickelte sich in der
Folgezeit zu einer Ackerbürgerstadt. Ein starker wirtschaftlicher
Aufschwung im späten 17. Jahrhundert bewirkte den Ausbau der
Stadt zur barocken Residenz. Auch die Epoche der Aufklärung ging
nicht spurlos an Dessau vorüber: In der Folge prägten zahlreiche
klassizistische Bauten das Stadtbild. Mit der ab Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierung siedelten sich vielfältige
Industrien (Gas- und chemische Industrie, Maschinenbau) an, unter
denen der Flugzeugbau die größte Bedeutung erlangte.
In ihrer regionalen Einbettung ist die Stadt heute Teil einer bedeutenden Kulturlandschaft. Stadt und Umgebung bilden den Einzugsbereich gleich mehrerer UNESCO-Welterbestätten: Inmitten der UNESCO-geschützten Auenlandschaft „Biosphärenreservat – Mittlere
Elbe“, sind sowohl die „Bauhausstätten in Weimar und Dessau“ als
auch die Kulturlandschaft „Gartenreich Dessau-Wörlitz“ Welterbestätten, die das kulturelle Gewicht der Region bestimmen.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
3
Blick auf die Nordfassade der ehemaligen Eisenwarenhandlung NACH der Sanie­
rung: Die orientalisch bzw. maurisch anmutenden Dekor­ und Gestaltungselemente
machen den besonderen Reiz dieses Gebäudes aus
Blick von Südwesten: In Dessaus Stadtbild ist der Turm des Koch­Hauses schon von
weitem erkennbar
Ansicht Westfassade
Im Süden schließt sich eine historische Werkhalle an das Koch­Haus an, die den Mie­
tern derzeit viel Raum als Lager­ und Stellplatz bietet
Die Folgen verheerender Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg – in den
letzten Kriegstagen wurden rund 84 Prozent der Stadt zerstört – und
der nachfolgenden DDR-Baupolitik prägten das Stadtbild über viele
Jahrzehnte. Inzwischen ist Dessau jedoch auf dem Weg zu einer lebendigen Stadt mit eigenem Profil. Seit 1990 hat sich sowohl städtebaulich als auch architektonisch, infrastrukturell und funktionell
viel verändert. Zahlreiche Gebäude und Grünanlagen wurden saniert, Lücken geschlossen und insbesondere die Weiträumigkeit des
Zentrums durch den Bau vielgestaltiger Einkaufs- und Erlebnisbereiche verdichtet.
Ein Gebiet am Rande dieses Gründerzeitquartiers ist das sogenannte „Gasviertel“. Als traditionelles Industriegebiet nordöstlich des Dessauer Hauptbahnhofs erhielt es seinen Namen aufgrund der hier
1872 errichteten Zentralwerkstatt der Deutschen Continental-Gas
Gesellschaft, die Gaslampen, -kocher und -messgeräte hergestellt
hat. Zu den markanten Gebäuden des „Gasviertels“ zählt u.a. das Fabrikgebäude der einstigen „Koch’schen Eisenwarenhandlung“.
Ein wichtiger Beitrag ist die städtebauliche Sanierung von DessauNord. Hier befindet sich das einzige noch zusammenhängend erhaltene Viertel aus der Gründerzeit. Mit immerhin 65 Hektar ist das Sanierungsgebiet eine der größten städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen des Landes Sachsen-Anhalt. Allein von 1990 bis 1997 sind
Finanzmittel von Bund, Land und Stadt in Höhe von ca. 18 Millionen
Euro in die Sanierung des Gebietes Dessau-Nord geflossen. Die positive Wirkung auf das Gebiet ist heute unübersehbar.
Die ehemalige Eisenwarenhandlung „Wilhelm Koch KG“ wurde 1889
errichtet und befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum
ehemaligen Wörlitzer Bahnhof, der heute Teil des 2006 erbauten
Umweltbundesamtes (UBA) ist. Das stattliche dreigeschossige Eckgebäude in der Humperdinckstraße bildet mit seiner historisierenden Fassade im maurischen Stil und dem bereits weithin sichtbaren Eckturm ein Merkzeichen im Stadtbild. Insgesamt vier Gebäudeflügel – Haupthaus, zwei weitere Flügel und eine Werkhalle –
umfassen einen rechteckigen Innenhof.
23
3
Dessau
Genossenschaftliches Wohnen in der alten Eisenwarenhandlung: Das Koch­Haus
Blick in den rechteckigen Innenhof mit seinen Seitengebäuden und der Werkhalle im Hintergrund. Die Galerie des rechten Seitengebäudes wurde während der Sanierungs­
phase in Abstimmung mit der zuständigen Denkmalbehörde hinzugefügt und ermöglicht separate Zugänge zu den neu gestalteten Wohnungen
2. Interessen und Ziele
Auf der Suche nach räumlichen Möglichkeiten, um die Idee genossenschaftlichen Wohnens zu verwirklichen, gründeten 1998 elf begeisterte Dessauerinnen und Dessauer zusammen mit einem Verein die DAKSBAU Wohnungsgenossenschaft e.G.
Einige der späteren Genossenschaftsmitglieder, insbesondere ein
Verein, ein Architekturbüro und zwei Planungsbüros, hatten für ihre
Zwecke bereits vor Genossenschaftsgründung das Gebäude des
Wörlitzer Bahnhofs genutzt, das im Rahmen eines zweijährigen
Übergangsvertrags provisorisch hergerichtet worden war und nun
für die Übernahme durch das Umweltbundesamt (UBA) geräumt
werden musste. Die damit aufgeworfene Standortfrage ließ bei den
Nutzern und Mietern die Idee entstehen, gemeinsam eine neue Immobilie zu suchen. Das wiederum gab den Anlass, hierfür über die
Gründung einer Genossenschaft nachzudenken.
Mit der inzwischen leer stehenden Fabrik der „Koch’schen Eisenwarenhandlung“, kurz „Koch-Haus“ genannt, war recht bald eine
Immobilie gefunden. Der inzwischen dringende Bedarf an neuen
Wohn- und Büroräumen, aber auch der Wunsch, einen denkmalgeschützten, historischen Fabrikbau zu nutzen und so zum Schutz historischer Gebäude z. B. auch vor Vandalismusschäden beizutragen, mobilisierte eine „Kerngruppe“ aus den vormaligen Nutzern
des Wörlitzer Bahnhofgebäudes, das Projekt in Angriff zu nehmen.
Aufmerksam geworden auf das „Koch-Haus“ sind die späteren Mieter durch einen glücklichen Zufall: Holger Schmidt, Mitinitiator der
Genossenschaftsgründung, ist Mitglied im ortsansässigen Eisenbahnverein und kannte die zum Gebäudekomplex gehörende alte
Werkhalle, da sie vom Verein als Stellplatz für ausrangierte Eisenbahnen genutzt wurde. Neugierig, was es denn eigentlich mit dem verfallenden und abenteuerlich anmutenden „Anbau“ hinter der Werkhalle auf sich hatte, wurde nach näherer Erkundung für die Wohnraumsuchenden klar, dass sie ihr passendes Gebäude gefunden hatten und es sich bestens für ihre Bedürfnisse zu eignen schien.
24
„Eigentlich war die Fabrikanlage anfänglich viel zu groß für un­
ser Planungsbüro und die anderen Nutzer des Wörlitzer Bahn­
hofs“, besinnt sich Holger Schmidt, „aber dadurch entstand erst
recht der Wille, unbedingt ein passendes Konzept für die Umset­
zung unseres Projektes zu finden. Und somit kamen wir zu der
wunderbaren Idee, eine Genossenschaft zu gründen!“
Für das Gelingen warben die Akteure um Holger Schmidt weitere
Freunde und Bekannte als zukünftige Genossenschaftsmitglieder an.
Unter den neuen Mitgliedern fanden sich nicht nur zukünftige Mieter
für die ehemalige Fabrik, sondern auch weitere interessierte Dessauer, die von der innovativen Idee der Nutzbarmachung dieser Anlage
begeistert waren und das Projekt als Förderer unterstützen wollten.
Mit dieser Unterstützung konnte das leer stehende Baudenkmal, das
sich zu diesem Zeitpunkt in der Zwangsversteigerung befand, von der
DAKSBAU im Herbst 1998 schließlich ersteigert werden.
3. Ausgangslage und Befund
Als Zeugnis für die Dessauer Industriekultur stand das „KochHaus“ zwar unter Denkmalschutz, drohte aber dennoch zu verfallen, da der damalige Eigentümer, der die Liegenschaft Anfang der
1990er Jahre erworben hatte, in Konkurs gegangen war.
Nach notdürftigen Reparaturen der Kriegsschäden waren weitere
bauliche Maßnahmen erst wieder Anfang der 1990er Jahre durchgeführt worden, als in einen Gebäudeflügel der Fabrik Mietwohnungen eingebaut worden waren. Teilweise noch bis Ende 1997 vermietet, stellten diese seinerzeit den einzig nutzbaren Bereich der
Anlage dar. Nach dem Auszug der letzten Mieter oblag die Aufsicht
über das leer stehende Gebäude einem Immobilienverwalter, der
mittels verbarrikadierter Fenster und Türen versuchte, dem fortschreitenden Vandalismus Einhalt zu gebieten.
Trotz des hohen Sanierungsbedarfes waren Teile der vorhandenen
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
3
Details aus dem Treppenhaus des Vordergebäudes: Bauzeitliche historische Fenster und Türen
Bausubstanz noch in einem Zustand, der die Genossenschaftler
1998 zu einer provisorischen „Pionierbesiedlung“ ermutigte. Hieraus erwuchs die Chance, das Baugeschehen vor Ort betreuen zu
können, spontane Wünsche sofort zu artikulieren und gemeinsam
mit den Handwerkern individuelle Lösungen zu kreieren.
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Der entscheidende Schritt für das Gelingen dieses Projektes war die
Gründung einer Genossenschaft. Zu deren Gründung unter dem Namen „DAKSBAU e.G.“ erläutert der Mitgründer, Holger Schmidt: „Ei­
gentlich gab es keine nennenswerten Schwierigkeiten und Hin­
dernisse. Wir erhielten eine gute Beratung und inhaltliche Unter­
stützung durch die Prüfverbände. Zur guten Beratung kam eine
Förderung der Genossenschaftsgründung vom Land. Auch wenn
es kein allzu großer Teil war, war es in der Startphase doch hilf­
reich. Die Beantragung der Mittel war allerdings kompliziert und
die Förderung selbst war mit Anforderungen verbunden, denen
nachzukommen, anfangs schwer erschien. So war eine Satzung
erforderlich, die wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht hatten und
auch der Baubeginn durfte nicht vor Antragsbewilligung liegen,
was den Zeitplan etwas durcheinander brachte. Der Prozess zog
sich bis zu einem dreiviertel Jahr hin. Aus heutiger Sicht sind wir
aber auch darauf stolz, nicht vor den Hürden eines Fördermittel­
antrags kapituliert zu haben.“
Bald nach der Genossenschaftsgründung begannen die Akteure
des „Koch-Hauses“ mit der Realisierung des Projektes: Nach baulichen Voruntersuchungen des Bestandes und Ermittlung notwendiger Sanierungsmaßnahmen wurden die Mitglieder der Wohnungsgenossenschaft gemeinsam mit Freunden und Verwandten aktiv.
Mit enormer Eigenleistung wurden Gebäudeteile und -bereiche
nach und nach von bisherigen Nutzungsspuren befreit und ideen-
reich für neue neue Nutzungen hergerichtet. Auch Fragen der Energieeinsparung und Verwendung umweltfreundlicher Baustoffe
kamen nicht zu kurz: Das Thema der alternativen und nachhaltigen
Energieversorgung bewegte die Mieter und Bewohner der Humperdinckstraße seit April 2003. Aus den Aktivitäten des so genannten
Dessauer Energie-Tisches resultiert seither der Wunsch, einen
kleinen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten. Die Akteure errichteten hierzu eine 10 kW peak Photovoltaik Gemeinschaftsanlage, die aus der Humperdinckstraße 16, zwischen Güterbahnhof und
Umweltbundesamt, umweltfreundlichen Strom in das Netz der
städtischen DVV GmbH liefert. Die Anlage wird von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betrieben, in der sich acht Mitglieder zusammengefunden haben und das Pilotprojekt betreiben.
Weitere Informationen dazu finden sich unter www.daksbau.de/cms/
website.php?id=/buergerkraftwerk.html.
Im Ergebnis der Baumaßnahmen entstanden acht individuell gestaltete Wohnungen, sieben Büros und ein Laden für die Food-coop. Letztere bedeutet eine neuartige, ökologisch orientierte Geschäftsidee:
Personen und Haushalte schließen sich zusammen, um gemeinsam
große Mengen Lebensmittel direkt von den Erzeugern zu beziehen
und dadurch Mindestbestellmengen der Großhändler zu erreichen.
So wird es für landwirtschaftliche Erzeuger rentabel, die Food-coop zu
beliefern. Mitglieder einer Food-coop können somit meist preiswerter
– weil ohne Gewinnmarge des Einzelhandels – einkaufen und unterstützen außerdem mit der Direktvermarktung Bauern aus dem Umland, den fairen Handel und die ökologische Landwirtschaft.
Heute ist das „Koch-Haus“ mit einer Nutzfläche von rund 1150 m2
vollständig vermietet. Nicht alle Mieter sind Mitglieder der DAKSBAU e.G. Grundlage für Nutzung und Vermietung ist ein im Vorfeld
festgelegtes Nutzungskonzept, das der Gründung einer Wohngenossenschaft zu Grunde lag.
25
3
Dessau
Genossenschaftliches Wohnen in der alten Eisenwarenhandlung: Das Koch­Haus
Treppenhaus mit originalen Türen und Geländern aus der Entstehungszeit
Impressionen aus der Wohnung eines DAKSBAU­Mitgliedes
Die Mieter im Koch­Haus können sich ihren Wohnraum individuell gestalten und bereits beim (Aus­)Bau der Wohnungn ihre eigenen Ideen und Vorstellungen einbringen
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Durch die denkmalgerechte Sanierung des historischen „KochHauses“ hat das Gebäude auch nachweislich an Wert für die Mieter
und Nutzer gewonnen. Infolge eines behutsamen und ideenreichen
Umgangs mit der baulichen Substanz wird das Ergebnis den vielfältigen heutigen Ansprüchen der Mieter und Nutzer gerecht. Sie waren von Beginn an in die Planung und Realisierung eingebunden und
konnten so ihre individuellen Ideen kreativ umsetzen. Die Aussicht auf
einen „maßgeschneiderten“ Wohn- bzw. Arbeitsbereich führte bei
vielen der zukünftigen Eigentümer und Mieter zu einer hohen Bereitschaft zu Eigenleistungen beim Innenausbau. Johannes Schmidt,
Mieter im „Koch-Haus“ und DAKSBAU-Mitglied, erinnert sich: „Das
Genossenschaftsmodell hat uns von Beginn an zugesagt und wir
waren bei der Gestaltung unserer Wohnung von Anfang an dabei.
Unsere Eigenleistungen, also alles, was wir hier selbst gemacht
haben, wurden mit der zu zahlenden Miete verrechnet. Somit re­
duziert sich für uns die Miete für einen bestimmten Zeitraum, den
wir mit der DAKSBAU vereinbart haben.“
Mit Erwerb und Umnutzung des Objektes der „Koch’schen Eisenwarenhandlung“ hat die ehemalige Mieterschaft des Wörlitzer Bahnhofs gemeinsam mit hinzu geworbenen Mitgliedern und Mietinteressenten ihr passendes Objekt finden und bedarfsgerechten, individuellen Raum schaffen können. „Koch-Haus“-Bewohner Johan-
26
nes Schmidt war von Anfang an begeistert, als er von der DAKSBAU
hörte: „Ursprünglich war ich auf der Suche nach einer Tischler­
werkstatt. Über eine Kollegin erfuhr ich durch ‚Mundpropaganda’
von diesem Projekt. Jetzt lebe ich hier mit meiner Frau und meinen
zwei Töchtern. Besonders wertvoll ist für uns, dass wir etwas Indi­
viduelles und Eigenes haben, etwas, das wir quasi selber ‚geschaf­
fen’ haben. Meine Frau ist Töpferin, hat ihre Werkstatt in unserer
Wohnung und kann ‚zu Hause’ arbeiten. Das ist ideal – wo hat man
so was schon? Hier bleiben wir, hier ziehen wir jedenfalls nicht
mehr weg!“ steht für Familie Schmidt fest.
Eine wichtige Erkenntnis der Akteure der DAKSBAU e.G. ist, dass sich
das Genossenschaftsmodell offensichtlich insbesondere für Gründerzeitbauten gut eignet. Sie weisen in der Regel den erforderlichen Umfang an Nutzflächen auf, der eine Gründung sinnvoll werden lässt.
Neben dem Ziel, preiswerten und doch individuellen Wohn- und Arbeitsraum zu schaffen, beabsichtigten die Genossenschaftler auch,
einen Beitrag zum Erhalt historischer Spuren in Dessau zu leisten,
um Identität und positives Lebensgefühl zu wecken. Unter dem Motto „Arbeiten, Wohnen und Kultur unter einem Dach“ entwickelten
sich so genannte „Subotniks“, bei denen sich Mitglieder der Wohnungsgenossenschaft und zukünftigen Mieter des Hauses durch
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Vielgestaltige Fassadendetails
Blick aus einer Wohnung in den Innenhof
3
Neben dem Koch­Haus wartet ein noch unsaniertes Fabrikgebäude auf Interessenten
Der Innenhof bietet den idealen Platz und Rahmen für Feste und Veranstaltungen jeglicher Art oder für kulinarische Belohnungen nach getaner Arbeit, wie z.B. den „Subotniks“
Weiterführende Informationen
beispielhafte Eigenleistung, ehrenamtliche Mitarbeit und spontane
Unterstützungen gegenseitig halfen. Gerade diese gemeinschaftlichen Aktionen eröffneten dem Projekt immer neue Horizonte,
durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit in kulturelle Veranstaltungen, ökologische Initiativen, wie das Solar-Bürgerkaftwerk oder
die Idee zur Installation einer gemeinsamen trinkwassersparenden
Sanitär-Regenwassernutzungsanlage.
Neben der Genossenschaft bietet auch das Finanzierungsmodell
einen interessanten Ansatz. Es setzt sich unter anderem zusammen
aus Genossenschaftsanteilen, Privat- und Mitgliederdarlehen, Mietvorauszahlungen, Mitteln zur Beschäftigungsförderung durch die
Agentur für Arbeit (AA), KfW-Modernisierungsdarlehen, Investitionszulagen, Bankkrediten und Eigenleistungen. Hierzu und zu vielen weiteren Themen bieten die DAKSBAU-Mitglieder im „KochHaus“ durch das „Büro für Siedlungserneuerung“ und die „WohnBund-Beratung Dessau“ anderen Interessierten Hilfestellung und
fachliche Beratung bei der Realisierung ähnlicher Projekte und
Ideen und ermutigen Neugierige zur Nachahmung.
Das Projekt erhielt 2002 den 1. Preis für „Beispielgebende Lösungen
im Stadtumbau in Sachsen-Anhalt“.
Wie gründet man eine Genossenschaft?
Genossenschaften sind Formen gemeinsam organisierter Selbsthilfe mit großer Tradition.
Wie entstehen sie? „Eine Gruppe von Interessierten findet sich zusammen und verfasst eine Satzung. Mit dieser Satzung wendet sich
die Gruppe an den Prüfverband. Der Prüfverband ist wie ein Verein organisiert und berät bei jeglichen Fragen rund um das Thema Genossenschaftsgründung. Die weiteren Schritte sind die Prüfung der Satzung sowie der Wirtschaftlichkeit des Projektes durch den Prüfverband. Werden alle nötigen Anforderungen erfüllt, kann die Gruppe mit
der geprüften Satzung und einem Gründungsgutachten bei einem
Notar die Eintragung ihrer Genossenschaft in das Genossenschaftsregister beantragen.“ So erläuterte Holger Schmidt das Gründungsverfahren mit wenigen Worten.
An einer Genossenschaftsgründung Interessierte werden von den
Mitarbeitern des „Prüfungsverbandes der kleinen und mittelständischen Genossenschaften e.V.“ in sämtlichen Fragen beraten. Es
werden betriebswirtschaftliche, rechtliche und steuerliche Fragen
beantwortet und zahlreiche Gründungsinitiativen unterstützend begleitet. All dies kann jedoch nur Hilfe zur Selbsthilfe sein, die eigenverantwortliche Führung einer Genossenschaft bleibt unerlässlich.
Mehr dazu unter: www.pruefungsverband.de
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Das Antlitz vieler Altstädte hat in der jüngeren Vergangenheit durch umfangreiche Erhaltungs­ und Sanierungsmaßnahmen enorm an Qualität und Ausstrahlung gewonnen. Die guten Beispiele belegen, dass gerade Altbauten jene Spielräume bieten können, die den heutigen Ansprüchen an eine individuelle Lebensgestaltung gerecht werden. Die präsentierten Projekte künden durchweg von der Fantasie, der Freude und dem Stolz der Eigentümer.
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Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz Görlitz�
Wirtschaftlich nicht rentabel, aber einzigartig: Hallenhaus Goldener Apfel
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Lage in der historischen Altstadt
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Planung
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Kosten
Förderung Kontakt�
Sanierung und Umnutzung eines Hallenhauses
Dr. Hartmut Olbrich und Marius Winzeler
Dr. Hartmut Olbrich
2002 – 2003
Ca. 800.000 Euro
145.000 Euro, Investitionszulage: 65.000 Euro,
Bürgerhausprogramm des Freistaates Sachsen:
55.000 Euro , Deutsche Stiftung Denkmalschutz:
18.000 Euro , Altstadtstiftung Görlitz: 20.000 Euro
Dr. Hartmut Olbrich, [email protected]
1. Stadt und Haus
Görlitz ist mit gut 57.000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt des Freistaates Sachsen – und Grenzstadt zu Polen. Die historische Altstadt
blieb im Zweiten Weltkrieg von Zerstörungen fast völlig verschont.
Görlitz hat mit 3.500 größtenteils restaurierten Baudenkmälern eines
der besterhaltenen historischen Stadtgefüge in Deutschland.
Im Mittelalter war Görlitz eine überaus florierende Handelsstadt,
ihre privilegierte Stellung im Fernhandel führte zur Ansiedlung reicher Familien, die wiederum repräsentative Gebäude errichteten.
Die hochentwickelte Bautechnik, verbunden mit dem künstlerischen Anspruch der Bauherren, brachte im Mittelalter hohe Bauund Raumformen von einzigartiger Schönheit und Funktionalität
hervor. Im Gebiet um die Neißstraße konzentrieren sich die reichsten Handelshäuser der Stadt – Goethe bezeichnete sie als „Kaufmannsburgen“.
30
Lageplan
Das Gebäude „Goldener Apfel“ liegt inmitten der Görlitzer Altstadt.
Es handelt sich um ein so genanntes Hallenhaus, einen Vertreter
des für Görlitz typischen und stadtbildprägenden Typus eines ehemaligen Handelshauses. Die einstige Zweckbestimmung des Gebäudes ist heute wieder gut ablesbar. Das Erdgeschoss ist geprägt
von der großen, eineinhalbgeschossigen Halle: Hier wurden die
kostbaren Waren präsentiert, verkauft und die Wagenladungen neu
gepackt – das reich geschmückte Portal zum Straßenraum war breit
genug, um die Wagen einfahren zu lassen. Die ebenerdigen Räume
haben wehrhaften Charakter: Enorme Wandstärken und hoch liegende vergitterte Fenster dienten auch als Schutz der wertvollen
Waren vor Dieben. Das eigentliche Wohnen konzentrierte sich auf
die ebenfalls reich geschmückten Obergeschosse.
Ökonomisch gesehen, erscheinen Hallenhäuser aus heutiger Sicht
und unter heutigen Nutzungsaspekten unrentabel: Im konkreten
Fall stehen 400 m² Wohnfläche mehr als 200 m² Erschließungsflächen, bestehend aus Eingangshalle und Treppenhaus, dazu Keller
und Dachgeschoss, gegenüber. Dieses „Missverhältnis“ zwischen
nutzbarer Fläche und Erschließungsbereichen mag, aus rein wirtschaftlicher Sicht, abschreckend wirken. Gerade diese Besonderheit aber ist es, die das Haus besonders interessant macht. Es vermittelt eine Großzügigkeit, wie sie in Stadthäusern sonst nicht üblich ist. Vor dem Hintergrund der hohen Leerstandsquote auch bei
sanierter Substanz in der Görlitzer Altstadt ist ein solches Alleinstellungsmerkmal von großem Wert. Das erkannten die neuen Eigentümer und entschieden sich für dieses Gebäude.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
4
Im Längsschnitt gut erkennbar sind die ursprünglich eigenständigen Baukörper, aus
denen das Gebäude besteht: Versprünge in Dachkonstruktion und Fußbodenniveau
erzählen die Geschichte des Ensembles
Innenschnitte entlang der Fassaden, 2002: In diesem verformungsgerechten Auf­
maß sind Konstruktionsdetails, Verformungen und Rissbilder detailliert dargestellt
Das Objekt besteht im Kern aus drei Baukörpern unterschiedlicher
Epochen, was in den gezeichneten Plänen gut ablesbar ist. Den
Kern bildet das mittelalterliche, barock überformte Hallenhaus mit
seiner einzigartigen Raumorganisation und zahlreichen Details aus
der gesamten Baugeschichte. Dazu gehört die gotische Spitztonne
im Keller ebenso wie das Detail des Sichtbacksteinmauerwerks mit
Fugenstrich. Erhaltene und restaurierte Details, die von der 600-jährigen Wohn- und Lebensgeschichte des Hauses erzählen, sind beispielsweise Türeinfassungen und Kreuzgratgewölbe aus der Renaissancezeit, verrußte Küchengewölbe des Barock, beschlagene
Eisentüren, marmorierte Holzbalkendecken und Füllungsbretter
mit Blumenmalerei, vornehme Stuckspiegel mit bizarren Geometrien, handgestrichene Terrakottaplatten in großer Vielfalt, breite
Dielenbretter, fein profilierte Fenster mit Glas aus dem 18. und 19.
Jahrhundert, ausgetretene Treppenstufen, abgegriffene Geländer
und vieles mehr.
diesen Tag geöffnet – man könnte schon fast sagen, sie veranstal­
tete eine kleine Verkaufsmesse für den unsanierten Altbaube­
stand. Das Haus gefiel uns sofort.“ erinnert sich Hartmut Olbrich.
2. Interessen und Ziele
Den ursprünglich aus Franken stammenden Bauforscher und Architekten Dr. Hartmut Olbrich hat ein Arbeitsplatz in Dresden in die
Region gelockt. Zusammen mit seinem Schweizer Freund Marius
Winzeler hatte er sich entschieden, in der näheren Umgebung nach
einem Zuhause zu suchen.
„Wir suchten etwas Altes, etwas, aus dem wieder etwas Schönes
werden konnte. Wir wünschten uns ein Haus, das man noch ent­
wickeln kann. Zum Tag des offenen Denkmals 2000 kamen wir
nach Görlitz. Die Stadt hatte dieses und viele andere Häuser für
3. Ausgangslage und Befund
Dieses Hallenhaus vereinte anfangs alle Nachteile, die man sich für
einen Altbau vorstellen kann: Große, als Einzelperson oder Familie
kaum mit Leben zu füllende Grundrisse; das Haus stand leer, verfiel und war dazu ein mit Auflagen behaftetes hochkarätiges Denkmal. Unberechenbar eben. Renditeorientiert Denkende, ja selbst
Fachleute schüttelten entmutigend die Köpfe. Für die neuen Eigentümer war dieses Haus jedoch das Gesuchte und schließlich Auserwählte – sie hatten bereits in diesem Stadium Augen für die zahlreichen Vorteile und Besonderheiten dieses Objektes.
Das Dach war 1992 mit 100%iger Bundesförderung von der Stadt gesichert worden. Seitdem stand das Ensemble leer. Diese Investition
hatte das Haus vorläufig gesichert, trotzdem verfiel es aufgrund fehlender Nutzung weiter. Der Zustand im Gebäudeinneren war ruinös:
Die einst prächtigen Stuckdecken waren durchgebrochen, die Grundrisse durch Einbauten unkenntlich gemacht. Dennoch hatte sich ein
großer Teil originaler Substanz erhalten, die es zu bewahren galt.
Seine „Wiedergeburt“ verdankt das Gebäude dem Tag des offenen
Denkmals, der in Görlitz schon kurz nach der Wende groß ausgerichtetet wurde. Zahlreiche Baudenkmäler, auch unsanierte Gebäude im Besitz der Stadt, waren an diesem 17. September 2000 zugänglich – und so fand der „Goldene Apfel“ seine neuen Besitzer.
31
4
Görlitz
Wirtschaftlich nicht rentabel, aber einzigartig: Hallenhaus Goldener Apfel
Grundriss EG VORHER: Verformungsgerecht,
Fußböden und Decken sind in einem Plan dargestellt
Grundriss EG NACHHER: Die weitläufige Halle ist Erschließungs­
bereich mit Zugang zur Wohnungstreppe und Zugang zum Café
NACHHER: Das 1. OG (li, 66 m²) und das 1. Zwischengeschoss (148 m²), werden vom
Bauherren als Wohnung und Büro genutzt. Im 2. OG, ohne Abbildung, sind zwei re­
präsentative Mietwohnungen mit Stuckdecken und Türen aus der Barockzeit (um
1800) und eine Dachterrasse auf dem Anbau entstanden
Straßenansicht Neißstraße VOR der Sanierung 2001 und NACH der Sanierung 2007
„Als wir das Haus erwarben, waren die Nachbarhäuser noch nicht
saniert. Beide standen aber auch nicht zum Verkauf. Das eine be­
saß eine Görlitzer Familie, das andere hatte ein Arzt aus dem Wes­
ten gekauft. Diese Gruppe mit den drei Häusern war als einzige in
der Neißstraße – bis auf ein weiter entferntes Haus – noch nicht sa­
niert. Beide Nachbarhäuser wurden kurz nach unserem Baubeginn
ebenfalls begonnen“, reflektiert Hartmut Olbrich die Anfangszeit.
originalen Befunden aufgespürt, deren Erhaltung heute den Reichtum, das Alleinstellungsmerkmal des Gebäudes darstellen.
Dass Vorplanungen im Vorfeld zwar Zeit und Geld kosten, aber für
das Verständnis des Gebäudes und damit für die Erhaltung des Originalbestandes von unwiederbringlichem Wert sind, zeigt dieses
beispielhaft sanierte Gebäude.
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Bestandspläne existierten von dem Gebäude nur partiell aus den
1990er Jahren, als die Sanierung des Dachstuhls geplant wurde. Sie
waren jedoch eher grob und zeigten keine Details. Es fehlte die Planungsgrundlage für die Sanierung, die den tatsächlichen Bestand mit
all seinen über die Jahrhunderte gewachsenen Strukturen und Schäden im Zusammenhang darstellt. Grundlage für die Sanierung eines
solchen Denkmals sollte immer ein verformungsgerechtes Aufmaß
sein (siehe weiterführende Informationen). Hartmut Olbrich hat sich
im Rahmen der bauforscherischen Voruntersuchungen in liebevoller
Detailarbeit durch die Schichten der Zeit gearbeitet und eine Fülle von
32
Im Anschluss an die selbst durchgeführte Bestandsaufnahme nahm
der Eigentümer Kontakt zur TU Dresden auf. Es fand ein Entwurfsseminar statt, in dessen Mittelpunkt das Haus als Grundlage eines
denkmalgerechten Entwurfs stand. Junge Menschen hatten die
Möglichkeit, sich an einem „echten“ Objekt zu versuchen – nicht nur
mit „Luftschlössern“, wie es sonst häufig im Studium geschieht.
So können sie ohne Aufwand und sogar mit Gewinn in den Prozess
der „Denkmalrevitalisierung“ einbezogen werden.
„Die Ergebnisse des Entwurfsseminars an der Uni in Dresden er­
reichten die Baustelle zwar erst nach dem Baubeginn, herausge­
kommen sind aber sehr ungewöhnliche Ansätze – eine lohnende
Sache, wenn es um die Sammlung kreativer Nutzungsideen geht“,
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
4
Straßenansicht Kränzelstraße WÄHREND und NACH der Sanierung: Gut erkennbar sind die verschiedenen Gebäude, aus denen das Ensemble besteht
Gartenansicht VOR und NACH der Sanierung: Heute eine kleine Oase, prägend sowohl für den Garten­ als auch für den Straßenbereich ist die Außenmauer mit ihren Fen­
steröffnungen. Sie blieb bestehen, obwohl das eigentliche Haus nicht mehr vorhanden ist. Der ergänzte Anbau in moderner Formensprache nutzt die bestehenden Fenster­
öffnungen des Vorgängerbaus in der Straßenfassade
fasst Hartmut Olbrich die Ergebnisse des studentischen Entwurfsprojektes zusammen.
Der gesamte Bauablauf orientierte sich an der Erhaltung und Restaurierung der historischen Substanz. Akribisch wurde beinahe „jedes alte Krümelchen“ gesichert. Dabei hat nicht nur das „ganz Alte“
seine Existenzberechtigung – das Gebäude hat sich über die Jahrhunderte weiterentwickelt und all die Zutaten sind, wenn sie nicht
andere Befunde schädigen, erhaltenswert. Bis zu welchem Zeitalter die Originalbefunde gesichert werden, hängt sicherlich von den
Vorstellungen der Bauherren ab. In diesem Falle wurden die Spuren
des 19. Jahrhunderts ebenso erhalten wie die aus Mittelalter und
Barock.
Die straßenseitigen barocken Fenster wurden aufgearbeitet und der
Wärmeschutz durch gegengesetzte Winterfenster verbessert. Auch
die im 19. Jahrhundert hinzugekommenen Fenster blieben erhalten, ebenso aber auch der Versuch der 1960er Jahre, ein neobarockes Fenster zu bauen. Nicht die Vereinheitlichung des Fassaden-
bildes wurde angestrebt, sondern die individuelle Beschäftigung mit
dem Detail. Ein jedes Bauteil wird als Individuum verstanden, das
seine Existenzberechtigung hat. Dieser Sanierungsansatz macht
das Haus zu einem lebendigen Geschichtsbuch, zu einem exklusiv
bewohnbaren Denkmal, das seine Eigenheiten nicht zugunsten von
„Modernisierungsmaßnahmen“ einbüßen musste. Der qualitative
Mehrwert von sanierter, restaurierter Originalsubstanz (im Gegensatz zu rekonstruiertem Neuen) ist hier spürbar.
Die ursprünglich weitläufigen Grundrissstrukturen waren teilweise
bis zur Unkenntlichkeit verbaut. Das verformungsgerechte Aufmaß
ermöglichte das Verstehen des Gebäudes und die ursprüngliche,
charakteristische Raumorganisation konnte wiederhergestellt werden. Die Halle bildet nun wieder den zentralen „Verteiler“ im Gebäude, von dem aus die insgesamt vier Wohneinheiten erreichbar sind:
Es gibt eine Wohnung mit ca. 148 m², eine mit ca. 125 m², eine mit ca.
76 m² und eine mit ca. 66 m². Die Eigentümer selbst bewohnen zwei
Wohnungen (148 m2 und 66 m2). Dazu kommen der Cafébereich mit
100 m² sowie Keller und Dachboden.
33
4
Görlitz
Wirtschaftlich nicht rentabel, aber einzigartig: Hallenhaus Goldener Apfel
Eingangshalle VOR, WÄHREND und NACH der Sanierung: Die Halle ist der zentrale Raum des Ge­
bäudes und verleiht ihm seinen unverwechselbaren Charakter
Treppenaufgang zu Halle, Büro und Wohnungen in den Obergeschos­
sen, links und rechts davon Zugänge zu Café und Garten
EG: Aus dem düsteren Raum wurde ein gemütliches Café
Bibliothek und Saal im ersten OG erinnern an die Blütezeit von Görlitz
Auf die Frage, was Hartmut Olbrich heute anders machen würde,
erklärt er, mit einem Lachen in der Stimme (denn es sind zwei sehr
kleine Dinge): „Zwei Punkte hätte ich nachträglich lieber etwas
anders: Den Austritt aus der Küche zum Balkon, da ist uns die Stu­
fe nicht ganz gelungen – und die Heizungsart. Beheizt wird das
Objekt über eine Gastherme. Nach heutigem Kenntnisstand und
den technischen Innovationen der letzten Jahre würde ich ein
Blockheizkraftwerk im Keller bevorzugen. Wir überlegen, eine
Solaranlage mit Wärmetauscher im Dachgeschoss einzubauen.
Mal sehen. Sehr glücklich sind wir übrigens, bei der Sanierung ei­
nen Schornstein wieder in Betrieb genommen zu haben. Im Saal
und im Café gibt es mit Holz befeuerbare Öfen.“
ein rein menschliches Phänomen: Je ungewöhnlicher und schwieriger die Ausgangslage eines auf die Sanierung wartenden Gebäudes ist, desto länger dauert es, bis sich ein Interessent entschlossen hat. Doch wenn sich ein neuer Besitzer gefunden hat, ist dieser mit Leib und Seele dabei und nicht mehr aufzuhalten.
Die enormen Anteile an Eigenleistung werden selbstverständlich in die
ökonomischen Betrachtungen einbezogen, wie der Eigentümer selbst
erklärt: „Zur Wirtschaftlichkeit: Es rechnet sich alles ‚Plus Minus
Null’. Das liegt zum einen am hohen Eigenanteil, der unsere Bank­
aufwendungen gemäßigt hält – alles ist relativ. Dazu kommt der
durchaus hohe Standard im Ausbau, der uns Mieter beschert und
nicht zuletzt: Häuser, in denen die Besitzer selber wohnen, ‚funk­
tionieren’ zumeist besser. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Mieten
decken die Aufwendungen und es bleibt etwas übrig, um manche
Dinge noch in Ordnung bringen zu lassen, wie z.B. die historischen
Fenster Stück für Stück anständig restaurieren zu lassen. Das
Vor­Ort­Sein erspart uns die Verwaltungs­ und Hausmeisterkos­
ten und trägt zum ‚Wohl’ des Hauses bei. So ein Haus braucht je­
manden, der sich kümmert.“
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Der neue Eigentümer wohnt und arbeitet selbst in seinem Gebäude
und hat sich damit einen Traum erfüllt. Zentral, mitten im historischen Stadtkern gelegen und doch mit grüner Oase im kleinen aber
feinen Innenhof. Anfangs bedurfte es einer guten Portion an Fantasie, sich das einst ruinöse Gebäude „schönzugucken“. Doch es hat
sich gelohnt, die Mühe war nicht vergebens – sowohl die Bauherren
als auch die Mieter, die Feriengäste und die Cafébesucher fühlen
sich in diesem Haus wohl und lauschen den Geschichten, die das
Haus in jedem Winkel zu erzählen hat.
Die wirtschaftlichen Eigenheiten eines Hallenhauses wurden bereits thematisiert. Neben dem besonderen Raumgefüge, zeigt sich,
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Ein „gut“ saniertes Gebäude sichert dem Vermieter nicht nur die
Mieteinnahmen – es trägt darüber hinaus auch zur Verminderung
des Leerstandes und damit zur Aufwertung der städtebaulichen und
sozialen Umgebung bei. Im direkten Umfeld sind den Bauherren
keine Leerstandsprobleme bekannt – trotz einer durchschnittlichen
Leerstandsquote von fast 35 Prozent im Görlitzer Altstadtbereich.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
4
Obere Diele WÄHREND und NACH der Sanierung: In diesem Bereich wurden zwei ehemals eigenständige Gebäude miteinander verbunden, die ehemaligen Außenfenster
sind heute Öffnungen im Innenraum
Der städtebauliche Mehrwert dieses Projektes ist offensichtlich: Insbesondere ein Eckhaus ist von besonderer Bedeutung. Es markiert
eine Ecke, bildet einen Platz an der Straßenkreuzung – kurz, es
spielt in der Wahrnehmung eines Straßenzuges eine übergeordnete Rolle. Ein vorbildlich saniertes Eckgebäude trägt somit erheblich
zum geschlossenen historischen Stadtbild bei. Dieses Eckhaus ist
nicht zugunsten eines Parkplatzes „verschwunden“, wie leider so oft,
sondern erhält die in sich schlüssige Struktur einer gewachsenen historischen Straßenrandbebauung für kommende Generationen.
Weiterführende Informationen
Bauforschung, verformungsgerechtes Aufmaß,
Baualtersplan – was ist das?
Unter dem Begriff „Bauforschung“ kann man alles zusammenfassen, was mit der Erforschung, dem Verstehen eines historischen
Gebäudes zusammenhängt.
Die Bauforschung spielt im Umgang mit Denkmalen eine wichtige
Rolle. Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen über Stilformen,
Handwerkstechniken und Nutzungsstrukturen liefert eine baugeschichtliche Untersuchung auch Ergebnisse zu Schadensbildern
und deren Ursachen sowie zum Baualter einzelner Bauteile. Grundlage der bauhistorischen Untersuchung ist ein verformungsgerechtes Aufmaß. Dabei wird das Gebäude in Schnitten und Grundrissen
mit all seinen Details, Verformungen und Schadensbildern zeichnerisch erfasst. Die Entwicklungen in der Messtechnik gehen derzeit
rasant voran – bis vor kurzem wurden diese Pläne komplett per
Hand, sozusagen mit Meterstab und Wasserwaage erstellt. Mittlerweile ist eine solche Bauaufnahme dank computergestützter Scansysteme mit erheblicher Zeit- und Kostenersparnis möglich.
Im verformungsgerechten Aufmaß werden auch Schadensbilder im
Gesamtzusammenhang erkennbar und damit erklärbar – und nicht
selten können auf diese Weise Ursachen für Bauschäden ohne weitere kostspielige Untersuchungen lokalisiert werden. Rissbilder im
Gebäude, Schwächen im Fundamentbereich, nicht mehr tragfähige
Bauteile im Gebäudeinneren, durch Schädlingsbefall zerstörte Balkenköpfe, die zu Verformungen der Konstruktion führten – die Liste
ist beliebig erweiterbar. Die so gewonnenen Erkenntnisse über das
Gebäude beeinflussen die Sanierungsplanung maßgeblich und können – im Vorfeld erkannt – die Sanierungskosten erheblich senken.
Unliebsame Überraschungen können so zu einem Teil schon im
Vorfeld vermieden werden und den Bauablauf nicht mehr stören.
Bei einem hochkarätigen Denkmal sind auch Erkenntnisse über die
Bau- und Nutzungsgeschichte von Interesse. Auf der Grundlage des
Aufmaßes können Baualterspläne erstellt werden, die farblich die
unterschiedlichen Bauphasen des Gebäudes darstellen. Nachträglich eingezogene Wände, veränderte Raumkonzepte, zugesetzte
Tür- und Fensteröffnungen werden so nachvollziehbar. Für die Sanierungsplanung sind diese Ergebnisse von großer Bedeutung: um
ein Kosten sparendes Konzept zu erarbeiten, ist es sinnvoll, die historischen Raumorganisationen mit einzubeziehen. Derzeit nicht
sichtbare aber doch vorhandene Durchgänge können beispielsweise wieder ohne großen Aufwand geöffnet werden – Sturz und Gewände sind meist noch vorhanden. Ein neuer Wanddurchbruch ist
mit weit höheren Kosten und unter Umständen auch mit statischen
Konsequenzen verbunden.
Ist im Bauablauf keine große Eile geboten, können sich die Eigentümer eines historischen Gebäudes auch an die Universitäten wenden.
Das Fachgebiet für Bau- und Stadtbaugeschichte der TU Berlin betreut z. B. Doktor-, Diplom- und Seminararbeiten zu diesen Themen.
Kontakt: Prof. Johannes Cramer, TU Berlin,
Telefon: 030 31421946 [email protected]
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5
Grimma�
„Ora et labora“: Jakobskapelle
Lage am „Eingang” der historischen Altstadt
Lageplan
Projektdaten
Objekt Sanierung und Umnutzung einer spätmittelalterlichen Kapelle an städtebaulich bedeutender Stelle
am Rande des historischen Stadtkerns
Bauherr
Dipl.-Ing. Steffen Kayser,
Am See 32, 04668 Parthenstein
Planung
Architekturbüro Kayser, Dipl.-Ing. Steffen Kayser,
Pappisches Tor 1, 04668 Grimma
Bauzeit
2000 – 2001
Kosten
Ca. 242.000 Euro
Förderung Förderung als Einzeldenkmal mit Mitteln des
„Sächsischen Landesdenkmalfonds“: ca. 21.000 Euro,
Programm Städtebaulicher Denkmalschutz, Fördergebiet „Historischer Stadtkern“: ca. 24.000 Euro,
Deutsche Stiftung Denkmalschutz: ca. 63.000 Euro
Kontakt Dipl.-Ing. Steffen Kayser, [email protected]
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Die Jakobskapelle VOR der Sanierung: Erkennbar sind noch die historischen Fen­
stergewände aus dem Barock und das rundbogige Portal im EG
1. Stadt und Haus
Grimma (ca. 19.460 Einwohner) ist sorbischen Ursprungs und wurde 1065 erstmals urkundlich erwähnt. Die strategisch gute Lage an
der Mulde veranlasste 1170 Markgraf Otto den Reichen, eine Stadt
anzulegen. Ihre historische Anlage ist im Mittelalter verwurzelt: Der
historische Stadtkern entstand aus mehreren Teilen, der Oberstadt
(1170) mit Frauenkirche und Baderplan als Straßenmarkt, der um
1200 gegründeten Burg und der Unterstadt als planmäßiger Erweiterung um den quadratischen Neumarkt. 1241 erhält der Stadtkern
eine doppelte Stadtbefestigung, von der Reste bis heute vor allem an
der Muldenseite erhalten sind.
Im 14. Jahrhundert war Grimma ein wirtschaftlich florierender
Standort und konnte diesen Status auch dann noch erhalten, als sich
das wirtschaftliche Zentrum der Region immer mehr nach Leipzig
verlagerte. Das Grimmaer Schloss wurde im 15. Jahrhundert auf den
Resten einer älteren Anlage erbaut und diente dem sächsischen Königsgeschlecht der Wettiner als Nebenresidenz. Nach aufwändiger
Sanierung wird es demnächst die Justizbehörden und das Gericht
beherbergen.
Sanierung und Aufwertung des historischen Stadtzentrums spielen
in Grimma seit Beginn der 1990er Jahre eine wichtige Rolle. Das belegt die Vielzahl abgeschlossener und laufender Projekte, darunter
auch der mit großem bürgerschaftlichen Engagement vorangetriebene Wiederaufbau des bereits im 19. Jahrhundert geschliffenen
historischen Schlossturms. Er stellt einen markanten Punkt in der
Silhouette der Stadt dar.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
5
NACH der Sanierung: Der Sockel ist wieder steinsichtig und die neuen Sprossen­
fenster sind dem Aussehen der Kapelle im 18. Jahrhundert angepasst
Ansicht Schulstraße: Blick auf den ehemaligen Chor der Kapelle mit zwei bauzeit­
lichen Spitzbogenfenstern, die an die eindrucksvoll sakrale Nutzung erinnern
Die Flutkatastrophe im August 2002 bewirkte eine schmerzliche Zäsur in der Entwicklung der Stadt. Viele, z. T. gerade sanierte Häuser
der Innenstadt und auch die steinerne Brücke über die Mulde wurden zerstört oder stark beschädigt. Zur Schadensbeseitigung wurde
schließlich das ursprüngliche Sanierungsgebiet Grimmas, das bis
zur „Jahrhundertflut“ nur Teile des historischen Stadtkerns umfasste, auf das gesamte Altstadtgebiet ausgedehnt.
Nach den enormen Leistungen der Schadensbeseitigung geht es inzwischen wieder um das Hauptziel der Stadterneuerung: Die Erhaltung und Entwicklung einer Altstadt, die Raum und Qualitäten bietet
für ein attraktives und vitales Gemeinwesen. Neben der Erhaltung
wertvoller Bausubstanz in ihrer funktionalen und gestalterischen
Vielfalt geht es ebenso darum, Elemente eines zeitgemäßen Nutzungskomforts behutsam einzufügen.
takt der historischen Innenstadt“ dar, die man durch das ca. 50 m entfernt liegende Pappische Tor, ein ehemaliges Stadttor, erreicht.
Charakteristisch für die Innenstadt Grimmas sind eine Vielzahl markanter historischer Einzelgebäude und Bürgerhäuser aus Spätgotik,
Renaissance und Barock, die sich wie z.B. das „Döringsche Freihaus“ besonders am Grimmaer Markt konzentrieren. In diesen baugeschichtlichen Kontext fügt sich das hier vorzustellende Einzeldenkmal, die „Jakobskapelle“ am Pappischen Tor 1.
Ursprünglich zum ehemaligen Jakobshospital gehörend, befindet
sich das historische Kapellengebäude am westlichen Rand der malerischen Altstadt. In unmittelbarer Nähe zum historischen Wallgraben
gelegen, stellt die ehemalige Kapelle einen besonders reizvollen „Auf-
Ende des 15. Jahrhunderts bildete sich in Grimma eine Brüderschaft, die Elendsgilde. Diese erwarb das heutige Grundstück, um
darauf ein Hospital und eine Kapelle für Pilger zu errichten. Dem Bau
vorausgegangen war die Einholung einer kurfürstlichen Bestätigung
und die Befreiung von der Geschosssteuer sowie anderer Lasten. In
der Urkunde vom 12.03.1489 heißt es dazu: “...für arme Ellende pilgram ein Spitall und herberge in unserer Stat Gryme an dem
papprischen Thore mit dem Egkhawße eins kupfersmides gewest
anzurichten.“
Die ursprünglich eingeschossige Kapelle wurde in der Zeit von 1498
bis 1501/03 erbaut und 1505 dem heiligen Wolfgang geweiht. Das
Hospital erhielt den Namen des Heiligen Jakobus, Schutzheiliger
der Wallfahrer. Beide wurden jedoch nach der Reformation schon
wieder aufgelöst. Aus der wechselvollen Zeit nach der Reformation
stammt u. a. im Inneren der Einbau einer Geschossdecke mit Renaissanceprofilierungen an den Deckenbalken und Brettern der
Brettdecke. Als besonders historisches Zeugnis, auch in Hinsicht
auf die ursprüngliche sakrale Nutzung, lassen sich vor allem an der
Nordostfassade spitzbogige Fensteröffnungen erkennen. Im 18. Jahrhundert wurde die den Heiligen Wolfgang und Jacob geweihte Kapelle zu Wohnungen umgebaut, was schließlich auch äußerliche Veränderungen nach sich zog, wie z. B. die barocken Fenstergewände.
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5
Grimma
„Ora et labora“: Jakobskapelle
Blick von Osten auf die Kapelle VOR und NACH der Sanierung: Hier wird deutlich, welch wertvolle originale Bausub­
stanz durch den behutsamen Umgang mit dem Gebäude wiederhergestellt werden konnte: Die spitzbogigen Fenster
waren vom Wandputz zwischenzeitlich völlig verdeckt
2. Interessen und Ziele
Durch die eigene Arbeit an bedeutenden denkmalgeschützten Objekten in Grimma und Umgebung – darunter z.B. am Alten Rathaus
und der Frauenkirche – wurde der Bauherr inspiriert von den vielen
verborgenen Schätzen in Form einmaliger Bauwerke und schöner
baulicher Details in der Altstadt.
Schließlich sensibilisierte die Untere Denkmalbehörde der Stadt
den Planer für das Gebäude der „Jakobskapelle“ und dessen damaligen Zustand. Zurückblickend weiß der heutige Besitzer Steffen
Kayser: „Nur die sehr gute Zusammenarbeit mit der Unteren
Denkmalbehörde an anderen Objekten machte es möglich, die
Rahmenbedingungen für eine Wiederherstellung auch dieses Ge­
bäudes zuverlässig auszuloten und sich am Ende für das Objekt
zu begeistern. Ein solch bedeutendes und historisch wichtiges
Objekt als Bauherr selbst zu neuem Leben erwecken zu können,
machte für mich den großen Reiz des Abenteuers aus.“
Mit dem allmählichen „Kennenlernen“ des Gebäudes entstand die
Idee, das Objekt nicht nur denkmalgerecht zu sanieren, sondern es
umzubauen und für den eigenen Bedarf zu nutzen. In diesem Fall
schienen sich die zu erwartenden ca. 144 m2 Nutzfläche bestens als
Architektur- und Planungsbüro zu eignen.
Über Vermittlung eines befreundeten Denkmalpflegers konnte der
Bauherr das Gebäude vom damaligen Eigentümer erwerben. Damit
verweist das Beispiel auch auf die Bedeutung informeller Kontakte
zwischen Kommunen, Behörden und Privatleuten und zeigt, wie die
frühzeitige Kommunikation – ein vorbehaltloses Offenlegen von Interessen – Sanierungsprozesse auslösen und befördern kann. Der
Bauherr begann noch im gleichen Jahr mit der Sanierung der ehemaligen Jakobskapelle.
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NACH der Restaurierung: Das repräsentative Rund­
bogenportal mit aufwändigen Profilierungen
3. Ausgangslage und Befund
Zum Zeitpunkt des Erwerbs im Jahr 2000 befand sich das Baudenkmal in einem äußerst desolaten Zustand. Der Voreigentümer hatte
Grundstück und Objekt infolge seines Restitutionsanspruches von
der kommunalen Wohnungsgesellschaft zurückerhalten und war an
einer Neubebauung des Grundstücks interessiert. Statt Erhaltungsmaßnahmen beantragte er Mitte der 1990er Jahre den Abriss der Kapelle, was jedoch von der Unteren Denkmalbehörde abgelehnt wurde.
Die letzten Mieter hatten die als Wohnung genutzte einstige Kapelle 1992 verlassen. Danach stand das Gebäude über Jahre hinweg
leer und verfiel zusehends. Ein undichtes Dach verschärfte die Situation. „Der barocke Dachstuhl war nur noch zu Teilen erhalten, es
bestand offensichtlich dringender Handlungsbedarf“, erinnert
sich Herr Kayser an diese kritische Ausgangslage noch lebhaft. Neben Holzschäden in Dach und Geschossdecken waren inzwischen
auch die Fensterscheiben eingeschlagen. Das führte schließlich zu
immer größeren Mengen an Müll und Unrat im Inneren des Gebäudes. Auch äußerlich „litt“ das Denkmal. In der Fassade hatten sich
bereits starke Risse gebildet und Putz sowie Mauerwerk wiesen erhebliche Feuchteschäden auf.
Der geplanten Sanierung musste also ein verformungsgerechtes
Aufmaß vorausgehen. Als wichtige Planungsgrundlage für alle weiteren Schritte wurde diese Form der Bestandsdokumentation durch die
Untere Denkmalbehörde angefertigt. Weiterhin folgte eine dendrochronologische Untersuchung der ursprünglichen Raumdecke und der
restlichen Sparren des Dachstuhles, die dazu dient, das genaue Baualter der Kapelle zu ermitteln und dokumentarisch zu bestätigen.
Bei den Untersuchungen wurden auch Reste eines ehemals vorhandenen Ziergiebels zum Nachbargebäude gefunden, welcher von einem
noch älteren Vorgängerbau herrührt.
Aufgrund der schon optisch erkennbaren Fassadenschäden wurden
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
5
Die Jakobskapelle WÄHREND der Sanierung: Unter dem Verputz kommt das Bruch­
steinmauerwerk zum Vorschein
Die historische Wandmalerei „Jesus am Kreuz“ im Inneren des Hauses konnte durch
vorsichtige Restaurierung gesichert und erhalten werden
eine Untersuchung und anschließende Analyse des inneren und äußeren Bestandsputzes durchgeführt. Restauratorische Untersuchungen der Originalputze und der Farbfassungsreste konnten zudem
weitere Aufschlüsse über die bauzeitliche Farbgebung und Wandmalereien im Inneren des Gebäudes geben. Um diese Zeugnisse und
Überreste so authentisch und denkmalgerecht wie möglich zu bewahren, nahmen die restauratorischen Arbeiten am Ende mehr Zeit
in Anspruch, was dazu führte, dass Restauratoren und die neuen Nutzer der Kapelle schließlich parallel ihrer Arbeit nachgingen.
Im Erdgeschoss wurden die Räume in der vorgefunden Form beibehalten, lediglich die Treppe wurde so eingebunden, dass das Kapellenfenster wieder vollständig zugänglich war.
Auch äußerlich wurden die Kapellenfenster wieder freigelegt. Zur
Mauerwerkskomplettierung an der Kapellenfassade konnten Abbruchziegel im Klosterformat verwendet werden, wodurch die Kapelle einen lebendigen, historischen Charakter erhielt.
„Um so schonend wie möglich mit der Originalsubstanz umgehen
zu können, führten wir einen Großteil der Freilegungsarbeiten
und auch – leider – notwendige Abbrucharbeiten in Eigenleistung
durch“, erläutert Herr Kayser. „Somit konnten wir sicher gehen,
dass kein bauzeitliches Element oder Detail verloren ging.“
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Es war erklärtes Ziel der Stadt, dieses historische Zeugnis Grimmaer Kirchen- und Baugeschichte wieder in seinem ursprünglichen
Erscheinungsbild entstehen zu lassen. Zur Rettung des leerstehenden Gebäudes wurde zunächst eine denkmalpflegerische Zielstellung erarbeitet. Darauf aufbauend wurde sämtlich vorhandene Originalsubstanz freigelegt und weitgehend erhalten. Die Holzbalken
der Dachdecke (von 1495) wurden aufgearbeitet, von chemischem
Holzschutz befreit und im Raum sichtbar gelassen. Gleichermaßen
wurde mit den Holzbalkendecken aus der Renaissance über dem
Erdgeschoss verfahren. Sie wurden ebenso freigelegt und wo nötig,
anschließend komplettiert. Aus anderen Abbruchobjekten konnten
zwei barocke Türen geborgen und in die ehemalige Kapelle integriert werden. Dadurch wurden einerseits die historischen Türen bewahrt und andererseits der bauzeitliche Eindruck wiederhergestellt. Der Grundriss aus der Zeit der Renaissance wurde zumindest
im Obergeschoss raumwirksam wieder hergestellt. Die Kapelle war
in der Entstehungszeit jedoch eingeschossig, es exitierte keine Zwischendecke. Eine besondere Wirkung entstand im Obergeschoss
dadurch, dass 60 Prozent des bauzeitlichen Putzes freigelegt und
konserviert werden konnten. Auch späterer, aus dem Barock stammender Stuck blieb erhalten.
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Die Nutzung als Architekturbüro bezieht auch die Öffentlichkeit mit
ein. Besonders raffiniert ist, dass die Umnutzung so angelegt ist,
dass das Gebäude alternativ auch als Wohnhaus für eine Familie genutzt werden könnte.
Die bauhistorische Bedeutung und die ehemalige Funktion der Kapelle wird dem Bauherren und seinen Mitarbeitern tagtäglich bei ihrer Arbeit bewusst. Sei es durch die restauratorische Wiederherstellung der Malerei „Christus am Kreuz“ in den Innenräumen der Kapelle oder allein durch die original belassene ursprüngliche Farbfassung der Fenstergewände: „In einem solchen Gebäude mit dieser
Geschichte arbeiten zu dürfen, ist fast ein Vergnügen. Die Subs­
tanz gibt dem suchenden Auge in jedem Detail Halt“, schwärmen
die Bauherren heute.
Durch die Art der Instandsetzung konnte die ursprüngliche Funktion des Gebäudes nach Innen und Außen wieder sichtbar gemacht
werden. Das Gebäude an der Ecke Pappisches Tor/Schulstraße wirkt
dominant im städtebaulichen Raum. Es ist von den anliegenden
39
5
Grimma
„Ora et labora“: Jakobskapelle
Baualterspläne von Erd­ und Obergeschoss
Straßenbereichen gut einseh- und erlebbar. Mit der Erhaltung erfüllt es eine wichtige Funktion bei der Revitalisierung dieses städtebaulich bedeutsamen, lange aber unterbewerteten und vernachlässigten Altstadtbereichs.
Im Ergebnis besteht der Mehrwert der Vitalisierung des Gebäudes in
der Erfüllung drei wesentlicher Ziele. Erstens wurde ein für die Stadtgeschichte wichtiges und attraktives Gebäude vor dem sicheren Verfall gerettet. Durch die denkmalverträgliche Nutzung wird sein Fortbestand gewährleistet. Zweitens wurde der Zugangsbereich zur Altstadt von der westlichen Neustadt her attraktiver gestaltet. Dadurch
erfährt das bisher eher vernachlässigte Gebiet einen deutlichen Aufwertungsakzent. Drittens konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass
bei entsprechender Abstimmung und Abwägung ein behutsames Miteinander von alter Bausubstanz und modernen, zeitgemäßen Elementen eine denkmalgerechte Nutzung ermöglicht. Hierin liegt
schließlich der private Mehrwert für die Bauherren.
Die Erfüllung dieser drei Ansprüche ermöglichte schließlich eine öffentliche Förderung und den Einsatz von Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Nach Aufweitung des Erhaltungsgebietes
durch die Stadt über die Weber- und Nicolaistraße hinaus, konnten
für die Sanierung der ehemaligen Jakobskapelle im westlich angrenzenden Quartier Mittel aus dem Städtebauförderprogramm
Städtebaulicher Denkmalschutz eingesetzt werden.
Die Hilfen der öffentlichen Hand sind nur eine Seite der Medaille.
Bund, Länder und Kommunen sind zwar vielfach Förderer, Initiatoren oder Moderatoren der Stadtsanierung und -erneuerung. Hauptakteure in diesem Prozess sind jedoch die Bürger im Gebiet selbst,
die Grundstückseigentümer, Gewerbetreibenden und sonstigen privaten Investoren. Nur durch sie wird erreicht, dass ein Mehrfaches
des öffentlichen Fördervolumens aus privaten Quellen in die Stadtsanierung zurückfließt.
„Mit dem Beispiel unserer ‚Jakobskapelle’ konnten wir fortan viel
häufiger und erfolgreicher Bauherren überzeugen, wie lohnens­
wert es ist, Baudenkmale zu erhalten. Die unmittelbare Umge­
40
bung in diesem Teil Grimmas ist durch die in den Straßenraum
wirkende Kapelle sehr aufgewertet worden“, erzählt der Eigentümer, „viele Grimmaer haben gestaunt und drücken auch heute
noch ihre Begeisterung für die Bausubstanz aus.“
Mit dem Beispiel der ehemaligen Jakobskapelle hat die Stadt Grimma ein wichtiges Zeugnis der Stadtgeschichte zurück bekommen.
Für die Rettung dieses städtebaulich wichtigen, fast verlorenen Denkmals in Grimma wurde der Bauherr 2006 mit dem 2. „Bundespreis für
Handwerk in der Denkmalpflege“ ausgezeichnet.
Weiterführende Informationen
Vorbereitende Untersuchungen, Bestandsaufnahmen und
Gutachten – Last oder Lust für die Durchführung einer
Sanierungsmaßnahme?
Nicht nur die hier gezeigten Beispiele, sondern viele Projekte der
Sanierung und Wiederbelebung historischer Gebäude und Anlagen
demonstrieren in ihrem Verlauf, wie bedeutsam die Durchführung
von Bestandsuntersuchungen, gutachterlichen Analysen und Bewertungen im Vorfeld baulicher Maßnahmen tatsächlich ist. Oft als
unliebsame und teure Verzögerungen stigmatisiert, schaffen die Ergebnisse entsprechender Untersuchungen jedoch eine verbesserte
Planungssicherheit für den Eigentümer. Sie tragen zu einer Kostenersparnis bei, indem teure Umplanungen und Bauverzögerungen
durch spätere „Zufallsfunde“ im Bauprozess vermieden werden.
Durch Gutachten und vorbereitende Untersuchungen wird dem Eigentümer das Wissen der Experten zum denkmalpflegerischen
Wert eines Gebäudes erschlossen. Zugleich erhält er damit eine
fachwissenschaftlich fundierte Handlungsgrundlage für den angemessenen Umgang mit seinem Denkmal. Viele Beispiele zeigen,
dass das Wissen um solche Werte bei den Bauherren den Stolz auf
ihren besonderen „Schatz“ weckt.
Auf Freiwilligkeit oder fachlicher Empfehlung basierend, gibt es eine
Reihe von vorbereitenden Untersuchungen, die für ein denkmalge-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
5
Die Innenräume zeigen die gelungene Einfügung moderner Elemente in eine historische Umgebung: Bauzeitliche Fenster, Wandnischen und Balken harmonieren mit einer,
den neuen Bedürfnissen angepassten Innengestaltung
schütztes Gebäude relevant sind, aber auch für Bestandsgebäude
auf historischem Gelände oder in einem historischen Umfeld. Die
projektbegleitenden Fachleute, Planer, Architekten und Bauforscher, aber auch Vertreter der genehmigenden Behörden (vor allem
der Denkmalbehörden), haben die Fachkenntnis darüber und sollten den Bauherren rechtzeitig über entsprechende Erfordernisse
informieren.
Nachfolgend werden einige der häufigsten Untersuchungen und
Gutachten kurz erläutert. Nicht selten basiert ein grundlegendes
denkmalpflegerisches Gutachten auf den Ergebnissen solcher Spezialgutachten. Auf dieser Basis formuliert die Denkmalbehörde eine
denkmalpflegerische Zielstellung für die Sanierung des Denkmals.
Denkmalpflegerisches Gutachten: Städtebaulich-denkmalpflegerische Gutachten und Studien sind wesentliche Grundlage bei Planungen in stadtgeschichtlich wichtigen Bereichen. Diese Untersuchungen werden entweder an fachkundige Experten vergeben oder
durch das Stadtplanungsamt durchgeführt. Die Untersuchungen
zeigen die historischen Entwicklungslinien des Quartiers in ihrer
räumlich-baulichen Gestalt und geben wichtige Hinweise auf besonders wertvolle, erhaltungswürdige strukturelle Merkmale. Diese Merkmale fließen als Ziele in neue Planungen ein.
Dendrochronologisches Gutachten: Mit einem solchen Gutachten
wird die Altersbestimmung einer Holzprobe im Labor erzielt. Diese
wird durch eine Bohrung aus einem oder mehreren Balken, beispielsweise eines Dachstuhls, entnommen. Oft werden dabei auch
vorab Schäden an der tragenden Holzkonstruktion erkannt, die ansonsten erst im späteren Bauverlauf offenbar geworden wären.
Die Dendrochronologie ist eine wissenschaftliche Datierungsmethode, bei der die Jahresringe von Bäumen anhand ihrer unterschiedlichen Breite einer bestimmten, bekannten Wachstumszeit
zugeordnet werden. Mit Hilfe der Jahrringanalyse können Bauzeiten von Gebäuden sehr genau ermittelt werden. In der Regel wurde
der Baum im Winter vor Baubeginn geschlagen. Fehlen Jahresringe (Differenz zur Waldkante), sind nur Annäherungswerte möglich
(z. B. „+/– 10 Jahre“, „um/nach 1786“). Zeigt das Bauholz Bearbeitungsspuren (z.B. Nuten), die nicht mit der letzten Verwendung zusammenhängen („Zweitverwendung“), ist es also vorher schon einmal in einem anderen Bau verwendet worden. In diesem Fall liegt
das Fälldatum (Dendrodatum) in der Regel vor der Erbauungszeit
des untersuchten Gebäudes, das dann also jünger ist.
Verformungsgerechtes Aufmaß: Vermessung und Zeichnung eines
Gebäudes in seiner tatsächlichen, das heißt unter Umständen verformten, Erscheinung. Durchgebogene Balken im Fachwerk oder
im Dachstuhl werden entsprechend der derzeitigen Situation festgehalten. Damit dokumentiert das verformungsgerechte Aufmaß
einerseits die Spuren der Zeit am Denkmal und kann andererseits
als Grundlage für eine weiterführende Bauschadenskartierung und
ein statisches Sicherungskonzept dienen.
Farbrestauratorisches Gutachten: Untersuchung der am Objekt
befindlichen Farb- und Putzschichten durch einen Restaurator. An
ausgewählten Stellen, den so genannten Befundfenstern, werden
die übereinanderliegenden Farb- und Putzlagen schichtweise abgetragen. So kann Aufschluss gewonnen werden über die historischen
Erscheinungsbilder eines Zimmers oder einer Hausfassade in verschiedenen Epochen. Dabei können beispielsweise auch lange verdeckte, wertvolle Ausmalungen oder schmückende Darstellungen
wieder entdeckt werden. Die Ergebnisse dienen der Annäherung der
heutigen Ansicht an ein historisches Erscheinungsbild. Das reichhaltige Materialspektrum der Untergründe reicht von Kalkmörteln,
Putzen, Lehm, Ziegel, Terrakotta oder auch Stein.
Archäologisches Gutachten: Untersuchung des Erdreichs bzw. der
Kellerzone eines Gebäudes oder Grundstücks durch die Denkmalbehörden oder von diesen beauftragte Sachverständige zur Abklärung siedlungshistorisch wertvoller Spuren von Vorgängerbauten
oder historischen Vorgängernutzungen.
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Güstrow
Wenn ein Haus, dann dieses: Wohn­ und Geschäftshaus
Lage in der historischen Innenstadt
Lageplan
Projektdaten
Objekt
Sanierung eines mittelalterlichen
Wohn- und Geschäftshauses
Bauherr
Romy-Marina Metzger und Achim W. Hochbein,
Ringstraße 36, 18276 Groß Upahl
Planung
Architekturbüro Romy-Marina Metzger, Groß Upahl
Bauzeit
2003 – 2008
Kosten
Ca. 405.000 Euro
Förderung
Städtebauförderung: 128.700 Euro
Kontakt
[email protected], Telefon 038450 20018
Querschnitt: Deutlich erkennbar ist im Dachstuhl die um 1850 erfolgte Erhöhung der
Straßenfassade um die Höhe des Gesimses (linke Seite des Querschnitts)
1. Stadt und Haus
Güstrow ist mit mehr als 31.000 Einwohnern die siebtgrößte Stadt
Mecklenburg-Vorpommerns und Kreisstadt des gleichnamigen
Landkreises.
Die Geschichte der mittelalterlichen Residenzstadt Güstrow reicht
bis ins 12. Jahrhundert zurück. Das Güstrower Schloss gehört zu
den schönsten Renaissanceschlössern Norddeutschlands, im 16./17.
Jahrhundert residierten hier die mecklenburgischen Herzöge.
Im 19. Jahrhundert, zur Zeit des Klassizismus, erfuhr Güstrow durch
die Ansiedlung von Industrie- und Gewerbebetrieben einen wirtschaftlichen Aufschwung. 1850 wurde Güstrow an die Eisenbahnlinie angeschlossen – diese Entwicklung ist im Stadtbild deutlich ablesbar. Die Altstadt ist geprägt von Bürgerbauten aus verschiedenen
Epochen. Neben Bürgerbauten der Renaissance und des Barock
sind auch klassizistische Fassadengliederungen typisch. Häufig
sind hinter diesen einheitlichen Fassaden Baukörper aus dem
16./17. Jahrhundert verborgen, die sukzessive erweitert wurden und
schließlich im 19. Jahrhundert die heutige klassizistische Fassade
erhielten – wie auch das hier betrachtete Gebäude.
1991 wurde Güstrow Modellstadt der Städtebauförderung in den
neuen Ländern. Historischer Stadtkern und Schlossbereich wurden,
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bis auf wenige Ausnahmen, weitläufig saniert. Ein Beispiel eines
noch auf seine Sanierung wartenden Hauses war das Objekt in der
Burgstraße 7. Vor der Sanierung wurde das Gesamtstraßenbild der
Burgstraße durch die unsanierte Fassade dieses Gebäudes erheblich beeinträchtigt.
Die Burgstraße liegt im Herzen der Güstrower Altstadt zwischen
Marktplatz und Schlossbereich. Die klassizistischen, zwei- bis dreigeschossigen Fassaden der traufständigen Randbebauung bilden
ein einheitliches Straßenbild in diesem Quartier. Mit einer Fassadenlänge von mehr als 27 Metern ist dieses Gebäude besonders
wichtig für den Gesamteindruck der Burgstraße. Aufgrund seiner
Baumasse gehört das Wohn- und Geschäftshaus zu den dominanten Gebäuden der Güstrower Altstadt, fügt sich mit seiner klassizistischen Fassade jedoch harmonisch in das Ensemble ein.
Das zweieinhalbgeschossige Vorderhaus besitzt zwei rückwärtige
ungleiche Flügel – diese auch als „Kemladen“ bezeichneten Bauteile sind typisch für die Bebauungsstruktur norddeutscher Städte der
Hansezeit. Sie verdeutlichen, wie sich das Gebäudeensemble Burgstraße 7 über mehrere Jahrhunderte entwickelt hat. Tatsächlich
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Zustand der Straßenfassade VORHER und NACHHER: Die Fenster wur­
den nach Befund neu als isolierverglaste Holzkonstruktion mit histo­
rischen Rahmenbreiten gebaut
Dielenbereich VORHER: Verbaut durch eine nachträg­
liche Trennwand
6
Zustand des Eingangsbereiches VORHER und NACHHER: Die historische Tür konnte restauriert
werden. Die oberen drei Füllungen wurden durch eine Verglasung ersetzt. Alles, was original be­
wahrt werden konnte war, blieb: So auch die ausgetretene steinerne Schwelle, die ihre Geschichten
weiterhin erzählt
Dielenbereich NACHHER: Das Sichtfachwerk mit diagonalen Balken, Andreaskreuze genannt, ist bauzeitlicher Be­
fund, die historischen Türblätter waren noch aufzufinden, die Rahmen mussten jedoch angefertigt werden. Die Die­
le heute: Kosmetikstudio mit Verkauf
liegt sein Ursprung in einem Renaissancegebäude des 17. Jahrhunderts, das den größten Teil des Vorderhauses sowie einen der beiden Kemläden mit einem kreuzgewölbten Keller umfasste. Ein erster umfangreicher Umbau erfolgte im 18. Jahrhundert, bei dem vermutlich der zweite hofseitige Flügel errichtert und das Vorderhaus
auf seine heutige Breite erweitert wurde. Ihr aktuelles Erscheinungsbild erhielt die Burgstraße 7 wohl nach 1850, als alle Baukörper des Ensembles hinter einer klassizistischen Putzfassade vereinheitlichend verbunden wurden.
Über einem Sockel erheben sich das rustizierend verputzte Erd- und
das glatt verputzte Obergeschoss. Abgeschlossen wird die Fassade
von einem Drempelgeschoss mit klassizistischem Gesims. In der
mittigen Gebäudeachse befindet sich im Erdgeschoss die historische
Eingangstür. Die symmetrisch angeordneten Fensterreihen mit klassizistischer Verdachung werden jeweils durch einen vom Sockel bis
zur Traufe durchlaufenden korinthischen Pilaster gerahmt.
Obwohl die Stadt Güstrow bereits 1991 Modellstadt der Städtebauförderung in den neuen Bundesländern wurde und der historische Stadtkern ebenso wie der Schlossbereich seitdem erfolgreich
revitalisiert werden, steht die Sanierung bei einigen wenigen Objek-
ten noch aus. Darunter befand sich auch dieses Gebäude, dessen
mangelhafter Bauzustand das geschlossene Straßenbild der Burgstraße erheblich beeinträchtigte.
2. Interessen und Ziele
„Wenn ein Haus, dann dieses, das sagten wir uns immer, wenn wir
durch die Straßen spazierten. Wir kannten das Haus schon seit
vielen Jahren. Leider stand es nicht zum Verkauf, lange Zeit war
kein ‚Rankommen’ möglich. Die vorherige Eigentümerin hatte
sich völlig verschanzt, nicht einmal die Denkmalbehörde ließ sie
in ihr Haus. Und saniert hat sie es auch nicht.“ erinnert sich RomyMaria Metzger an die Zeit, in der ihr Haus für niemanden zugänglich war.
Anders als bei den meisten anderen Beispielen, wo die Bauherren mit
einer Idee im Kopf nach ihrem Objekt gesucht hatten, brachte hier das
Objekt die (künftigen) Bauherren auf Ideen: Selbst Architektin, fiel es
Frau Metzger nicht schwer, die Besonderheiten und den Wert des Ensembles trotz des schlechten Bauzustandes zu erkennen. Geteilt
wurde die wachsende Begeisterung aber auch von ihrem Ehemann,
der selbst beruflich gar nicht im Baubereich tätig ist.
43
6
Güstrow
Wenn ein Haus, dann dieses: Wohn­ und Geschäftshaus
Grundrisse NACH der Sanierung: Im EG mittig liegt die zentrale Diele, die als Laden genutzt wird. Die Wohneinheiten sind teils über das gemeinsame Treppenhaus erschlossen,
zwei Wohnungen im EG haben einen eigenen Zugang vom Hof. Die unterschiedlichen Wohneinheiten sind in der Beschriftung der Räume farblich differenziert
3. Ausgangslage und Befund
Die vorherige Eigentümerin hatte das Gebäude 1993 von der Stadt erworben, nutzte aber nur einen kleinen Teil der Flächen als Wohnung und Büro. Weitere Maßnahmen zur Grundsicherung des übrigen Bestandes und der Fassade blieben aus. Ein Brand richtete weitere Schäden an, so dass das Gebäude zusehends verfiel. Das Dach war an einigen Stellen undicht, was in den darunterliegenden Geschossen Feuchtigkeitsschäden verursacht hatte. Der Putz war abgeblättert, die Lehmwickeldecken geschädigt. Historische Bauelemente wie Fenster und Türen waren zwar noch weitgehend vorhanden, allerdings in sehr schlechtem Zustand. Es waren dringend Sicherungsmaßnahmen notwendig, um irreparable Schäden an der tragenden Substanz zu verhindern. „Ein wesentliches Problem bestand darin, dass vormals begonne­
ne Bauarbeiten nicht beendet werden konnten, wodurch zusätzli­
che Probleme für die spätere Sanierung entstanden.“ bedauert die
�
Eigentümerin – aber die Rettung kam gerade noch rechtzeitig.
�
Als das Gebäude im Jahr 2003 schließlich zwangsversteigert wurde, eröffnete sich für die heutigen Eigentümer endlich die Gelegenheit, ihren Traum wahr zu machen und das lange avisierte Haus auch tatsächlich zu erwerben.
�
Eine Besonderheit ist das ursprüngliche Kehlbalkendach mit doppelt liegendem Stuhl, das besonders gut erhalten war. Die Dachstühle der An- und Erweiterungsbauten hatten durch die schadhafte Dacheindeckung erhebliche Schäden. Sie wurde zimmermannsmäßig saniert. Das Kehlbalkendach war mit einem Sparrenabstand von mehr als 1,5 m für die damals übliche Rohrdeckung konstruiert worden. Die nachträgliche Bibereindeckung hat durch ihr viel höheres Eigengewicht schwere Schäden hinterlassen, denn die Dachkonstruktion war für eine massive Dachdeckung nicht ausgelegt. Die Hoffassade des östlichen Vorderhauses wurde vermutlich in den 1950er bis 1960er Jahren durch verputztes Mauerwerk ersetzt – erhebliche Feuchtigkeitsschäden an der entsprechenden Außenwand wiesen bereits vor der Sanierung auf zu erwartende Schäden hin. 44
Das im Wesentlichen erhaltene, durch Setzungen stark beschädigte Renaissancegebäude ist im Verlaufe der Jahrhunderte mehrfach
umgebaut worden, so dass Tür- und Fensteröffnungen teilweise
verändert wurden.
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Dank guter Zusammenarbeit mit der Stadt konnte schon kurz nach
dem Kauf mit der behutsamen, grundlegenden Sanierung begonnen werden. Die Arbeiten an Dach und Fassade konnten im Frühjahr 2004, sofort nach Vorlage der Denkmal- und förderrechtlichen
Genehmigungen beginnen. Sie waren bis zum Herbst abgeschlossen. Die Sanierung der Wohnungen und des Gewerberaumes erfolgen parallel und wird voraussichtlich 2008 abgeschlossen sein,
größtenteils geschieht das durch Eigenleistung der Bauherren.
Eine restauratorische Untersuchung zur Farbigkeit der Fassaden in
den verschiedenen Bauzuständen des Gebäudes wurde durch einen
Restaurator vorgenommen. Gleichzeitig wurde ein Konzept zur
Farbgestaltung der Fassaden, Türen und Fenster erstellt. Die Dokumentation der Baugeschichte wird zurzeit erarbeitet, Befunde wurden während der Sanierung gesichert.
Soweit wie möglich das Originale wieder zu verwenden, war oberste
Prämisse der Architektin. So konnten die historischen Fenster auf
der Gartenseite durch Gegensetzen neuer Fenster, welche den heutigen Anforderungen an Wärmeschutz etc. entsprechen, erhalten
bleiben. Straßenseitig wurden neue isolierverglaste Holzfenster nach
den historischen Abmessungen angefertigt. Die Abmessungen der
historischen Konstruktionselemente konnten beibehalten werden,
so dass sich diese neuen Fenster in das Fassadenbild einfügen. Historische Innentüren wurden, soweit vorhanden, restauriert und wiedereingebaut. Häufig waren die Rahmen nicht mehr vorhanden, wohl
aber die Türblätter. Die angefertigten Rahmen sind auch als neu erkennbar – ohne die Harmonie der Räume zu beeinträchtigen.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Zustand der Innenräume VOR der Sanierung
Innenraum einer Wohnung NACH der Sanierung
mit erhaltenen Gefachen einer Fachwerkwand
Im Innenraum wurden die aus Fachwerk errichteten Innenwände nach
historischem Vorbild saniert und blieben teilweise fachwerksichtig.
Um die historische Stuckfassade an der Straßenseite sowie den
Fachwerkgiebel im Hof sichtbar zu belassen, war es sowohl aus
denkmalpflegerischer Sicht als auch seitens der Bauherren nicht
gewünscht, eine Außendämmung anzubringen. Die Räume wurden
von innen gedämmt, ebenso die Decken und Fußböden. Heute nicht
mehr den Standards entsprechende Gebäudeteile konnten dank
sensibler Sanierungskonzepte erhalten werden.
Bei der Sanierung der Dachstühle der Kemladen wurden die vorhandenen Sparren, soweit möglich, durch Strecklatten verstärkt
und entlastet, um die anfallenden Lasten abtragen zu können. Im
Rahmen der Sanierung wurde das Dach mit einer Biberschwanzkronendeckung eingedeckt und dabei die wieder verwendbaren Ziegel des Daches hofseitig verlegt. Die fehlenden Ziegel wurden den
vorhandenen so gut als möglich angepasst, um die historische
Dachlandschaft der Güstrower Altstadt, auf die in den vergangenen
Jahren viel Wert gelegt wurde, wieder herzustellen.
Die sieben Wohnungen im Gebäude, die größtenteils in den 1960er
Jahren umgebaut worden waren, hatten eine umfangreiche Sanierung nötig, um den heutigen Ansprüchen gerecht zu werden und sie
für eine Vermietung attraktiv zu machen. Dennoch konnte diese Sanierung denkmalgerecht erfolgen. Größere Änderungen an den
Grundrissen konnten zudem vermieden werden. Durch Wiederherstellung historischer Eingangssituationen bekamen zwei Wohneinheiten wieder ihren eigenen Zugang. Im Erdgeschoß entstand wieder
eine Gewerbeeinheit. Die historische Diele erhielt durch Entfernen
jüngerer Zwischenwände ihre weitläufige Raumsituation zurück und
wird nun als Ladenfläche genutzt. Damit ist dieser zentrale Bereich
des Gebäudes auch für interessierte Besucher geöffnet, was ein ursächliches Anliegen der derzeitigen Eigentümer war.
6
VORHER und NACHHER: Zustand der Hoffassade des kleineren
Kemladens
Die Gebäudehülle ist bereits fertiggestellt, im Inneren sind die Baumaßnahmen nahezu abgeschlossen.
„Fehler sind mir bei der Planung und dem Bau nach zwanzig Jah­
ren Berufserfahrung in der Altbausanierung hoffentlich nicht pas­
siert“, sagt die Eigentümerin Romy-Marina Metzger schmunzelnd.
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Dieses Beispiel zeigt, dass selbst ein so großes Gebäude, durch privates Engagement und Eigenleistung zu retten ist. Diese Energie,
hartnäckig die „Rettung“ eines Denkmals zu verfolgen, wurzelt in
der Begeisterung für das historische Gemäuer.
Der private Mehrwert für die Bauherren liegt nicht zuletzt in dieser
Gewissheit, durch eigenes Tun den Verlust des bauhistorisch und
städtebaulich wertvollen Gebäudes abgewendet zu haben, eine
neue Perspektive für das Denkmal eröffnet zu haben und damit der
individuell gefühlten Verantwortung für den Erhalt des baukulturellen Erbes gerecht geworden zu sein. Diese Haltung zeigt sich auch
in der vorbildlich und mit Liebe zum historischen Detail durchgeführten Sanierung. Die Freude über das Ergebnis hält bei den Bauherren an.
Derzeit ist das eigene Architekturbüro der Bauherrin noch im Nachbarort ansässig, längerfristig ist ein Umzug ins eigene Haus geplant.
Die Wohnungen sind mittlerweile vermietet und in die große Diele im
Erdgeschoß ist ein Kosmetikstudio mit Verkaufsraum eingezogen.
Die Sanierung der Burgstraße 7 bewahrte ein wichtiges, stadtbildprägendes Gebäude vor dem Verfall und wirkte sich damit ausgesprochen positiv auf das städtebauliche Umfeld aus. Die Wiedereindeckung der Dachflächen entsprechend dem Stand um 1800 leistete einen sichtbaren Beitrag zur Wiederherstellung der historischen
Dachlandschaft der Güstrower Altstadt.
Eine Anerkennung dieser Verdienste erhielten die Eheleute im Rahmen der Verleihung des Bauherrenpreises 2007 der Stadt Güstrow.
45
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz Die Bewahrung und Revitalisierung historischer
Stadtkerne ist ein Anliegen mit Zukunft.
Nicht mehr nur Stadtplaner und Denkmalpfleger,
sondern zunehmend mehr Bürger sind sich
darüber im Klaren, dass es um die Gestaltung
der Lebensqualität unserer Städte geht. Und jeder
hat die Möglichkeit an der Erhaltung des Erbes
teilzuhaben und damit ein attraktives Lebens­
umfeld für sich und die Nachbarn zu gestalten.
7
Halberstadt
Investive Mietverträge: Ein Ausweg für die Stadt, Kunsthof e.V. und Schraube­Museum
Lageplan des
Ensembles:
Rot: Voigtei 48
Grün: Garten
Blau: Voigtei 50
Straßenansicht:
Historische Details
haben sich auch an
der Fassade nahezu
unzerstört erhalten
Projektdaten
Objekt
Sanierung und Umnutzung eines weitläufigen
Vierseithofes
Bauherr
Stadt Halberstadt
Mieter
Kunsthof e.V., incubula, Vereinscafé, Schraube-Museum
Planung
Architekturbüro Srocke, Halberstadt
Bauzeit
2001 – laufender Prozess
Kosten
Bislang 507.104 Euro
Förderung Programm Städtebaulicher Denkmalschutz,
Spenden Deutsche Stiftung Denkmalschutz,
Spenden, diverses, insgesamt 151.950 Euro
Kontakt� Kunsthof e.V., Ansprechpartner Matthias Ramme,
Telefon 03941 568623
1. Stadt und Haus
Halberstadt bildet nach der jüngsten Verwaltungsreform des Landes Sachsen-Anhalt gemeinsam mit den Städten Quedlinburg und
Wernigerode den Harzkreis. Die Stadt ist mit gut 39.000 Einwohnern
die fünftgrößte Stadt des Landes Sachsen-Anhalt.
Im Mittelalter gehörte Halberstadt zu den bedeutendsten und größten Städten in Deutschland. Um 804 Bischofssitz mit Burg auf dem
heutigen Domplatz, ist die Oberstadt seit dem 10. Jahrhundert
Marktort und erhielt 1184 Stadtrecht.
Vor der Zerstörung der Stadt im April 1945 verfügte der historische
Stadtkern aus Ober- und Unterstadt über einen einzigartigen Fachwerkbestand, von dem große Teile für immer verlorengingen. Umso
bedeutsamer ist hier die Erhaltung des noch vorhandenen Bestandes in der Unterstadt, in der sich das Gebäude Voigtei 48 befindet.
Das Ensemble befindet sich in der Altstadt von Halberstadt, in einem Viertel, das 1269 erstmals unter dem heute noch bestehenden
Namen „Voigtei“ erwähnt wurde. Der historische Stadtteil um die
48
Voigtei 48 herum entwickelte sich bereits im Mittelalter als Ackerbürgersiedlung. Neben den siedelnden Handwerkern und Kaufleuten entstanden hier unter anderem große Höfe mit bäuerlicher Wirtschaft sowie zwei Klöster. Im Gebiet der Voigtei sind zahlreiche der
alten Fachwerkbauten erhalten geblieben, darunter auch das Ensemble Voigtei 48 aus dem Jahr 1687, in dem heute der Kunsthof e.V.
ansässig ist.
Die Voigtei 48 ist ein vollständig erhaltener Vierseithof, dessen Fachwerkgebäude sich um einen kopfsteingepflasterten Innenhof gruppieren. Die beiden ältesten Bauwerke sind im Süden das dreietagige Wohnhaus und im Norden die große Scheune, im Westen und Osten wird der Hof von den beiden massiven, dreigeschossigen Fachwerkflügeln aus dem 17. bzw. 19. Jahrhundert flankiert. Rückwärtig
schließt sich ein kleiner Park mit altem Baumbestand an, der, nach
einer großen Beräumungsaktion, nun wieder ein kleines innerstädtisches Idyll bildet. Der ursprünglich ebenfalls zu dem Anwesen gehörige Obstgarten ist in jüngerer Vergangenheit zum öffentlichen
Spielplatz umgestaltet worden.
2. Interessen und Ziele
Privates Engagement für die Erhaltung und Nutzung von Baudenkmalen muss nicht mit deren käuflichem Erwerb beginnen. Das wird
deutlich am Beispiel der Voigtei 48 in Halberstadt.
Die Initiative einer anfangs kleinen Gruppe von Künstlern gab den
Anstoß zur Revitalisierung dieses einzigartigen Komplexes. Aus einem alten Domizil vertrieben, waren sie 2002 auf der Suche nach
neuen Räumlichkeiten für ihre Galerie – und fanden diese im Ensemble der Voigtei 48. Es folgten Verhandlungen zu Nutzungsmöglichkeiten mit dem Eigentümer, der Stadt. Schließlich wurde ein innovatives Konzept erarbeitet, auf dem sich ein Vertrag gründete, der das
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
7
Grundrisse EG, 1. und 2. OG mit farbig hinterlegten Nutzungsbereichen
Die ungewöhnliche Fassadenlänge prägt das Straßenbild: Die Fachwerkfassade ist noch unsaniert. Die Schilder­
sammlung gibt einen kleinen Einblick in die Fülle der Projektbeteiligten
städtische Eigentum und den Wunsch zur Nutzung der Gebäude
durch die privaten Initiatoren auch rechtmäßig verknüpfte. Es wurden so genannte „investive Mietverträge“ unterschrieben, zum Nutzen aller: Der Stadt, des Vereins und letztendlich auch der Gebäude.
Der Kunsthof wird getragen von einer Nutzergemeinschaft, derzeit
bestehend aus dem Hauptmieter und Initiator des Kunsthofes, dem
„Kunsthof e.V.“, den ansässigen Künstlern der Ateliergemeinschaft
„incubula“, den Werkstätten, der Galerie, dem „Schraube-Museum“
und dem seit Dezember 2007 vom Verein direkt betriebenen Kunstcafé. Ein Goldschmied hat neben der Werkstatt seinen Wohnsitz im
Gebäude – und agiert damit auch als „Nachtwächter“. Die übrigen
Künstler nutzen ihre Räume zum Arbeiten und für Ausstellungen.
Künstler aller Altersgruppen treffen sich hier, arbeiten gemeinsam
oder auch ungestört nebeneinander. Jüngste Künstlerin ist eine
16-jährige, die sich an „praktischer Kunst“ versuchen will. Hier gibt
es eine professionelle Siebdruckwerkstatt und eine Holzwerkstatt.
Auch drei ältere Damen haben den Ort für sich entdeckt, und verwirklichen dort ihren Traum und ihr Hobby.
„Insgesamt sind es derzeit 16 aktive Künstler, die den Laden
schmeißen. Hinzu kommen zwei bis drei ‚1­Euro­Jobber’, die den
Galeriebetrieb zu den Öffnungszeiten aufrechterhalten und sich
um notwendige Dinge wie Plakate für Veranstaltungen küm­
mern“, beschreibt Matthias Ramme die Gemeinschaft. Er selbst ist
einer der drei Vorstandsmitglieder des Kunsthof e.v. „Ich war von
Beginn an mit dabei. Meine Siebdruckwerkstatt hat sich mittler­
weile so etabliert, dass ich davon gut leben kann. In den vergan­
genen Jahren hat sich natürlich vieles geändert, man ist älter ge­
worden, hat nun eine Familie – der Enthusiasmus ist etwas ge­
dämpft. Es müssen neue Leute nachkommen, die Energie mit­
bringen. Die wird es geben, denn neben dem Kunsthof gibt es
keine weitere Künstlergemeinschaft in Halberstadt.“
Kleinteilige Straßenrandbebauung mit Fachwerkhäu­
sern auf der gegenüberliegenden Straßenseite
Darüber hinaus ist der Kunsthof ein offener Ort, an dem Kultur auch
öffentlich stattfindet. Veranstaltungen, Theater, Kino, Lesungen,
Ausstellungen, Workshops, Diskussionsrunden, Ferienprojekte,
Bauwochenenden etc. machen das Leben des Vereins für alle Altersgruppen Halberstadts greifbar.
Ein wesentlicher Bestandteil der Vereinsarbeit ist die Förderung der
regionalen Identität von künstlerisch, kulturell und sozial engagierten Menschen. Die Abwanderungszahl von jungen Menschen in
Sachsen-Anhalt gehört zu den höchsten in der Bundesrepublik.
Dies liegt nicht zuletzt an fehlender kultureller und wirtschaftlicher
Infrastruktur. Durch die Existenz des Kunsthofes, in dem gerade
junge Menschen ihre kreative Energien „ausleben“ und sich mit
Kunst und Kultur identifizieren können, konnten viele Menschen
dazu bewegt werden, sich für Halberstadt als Lebensmittelpunkt
und als Standort für den Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz im
Kunst- und Kultursektor zu entscheiden, sich für die Region als Kulturraum einzusetzen und zu engagieren.
3. Ausgangslage und Befund
Im Jahre 1980 übertrug Margarete Schraube als letzte direkte Nachfahrin einer traditionsreichen Halberstädter Familie ihr Anwesen
Voigtei 48 zu fünfzig Prozent auf die Stadt Halberstadt und zu fünfzig Prozent auf ihre Nichte, die ihren Anteil alsbald der Stadt verkaufte. Verbunden war das Erbe mit der Auflage, die Gebäude zukünftig ausschließlich zu kulturellen Zwecken zu nutzen.
Im Obergeschoss des östlichen Seitentrakts wurde 1984 aus dem
Nachlass der Margarete Schraube, der nicht nur die Gebäude umfasst, sondern die gesamte Innenausstattung der Wohnräume, ein
„Museum für bürgerliche Wohnkultur des 19. Jahrhunderts“ eingerichtet. Es existiert bis heute und ist der wesentliche Baustein des
gesamten Projektes. Das Lebensmotto der Halberstädter Familie –
49
7
Halberstadt
Investive Mietverträge: Ein Ausweg für die Stadt, Kunsthof e.V. und Schraube­Museum
Dort, wo sich zu Margarete Schraubes Zeiten der Verkaufsbereich
befand, ist heute die eigenständig betriebene Galerie eingerichtet
Im geräumigen Innenhof finden zahlreiche kulturelle Ereignisse statt: Theater, Lesungen und Musik­
veranstaltungen
Original erhaltene Details geben überall im Gebäude einen Einblick in die einstige Pracht dieses gutbürgerlichen Gebäudeensembles
getragen von der ständigen Vervollkommnung der Wohnkultur –
kann so in die Zukunft transportiert werden und vermittelt neben
historischem Wissen auch viele kreative Anregungen, die sich in den
Projektideen der neuen Bewohner wiederfinden. Sie tragen nun zur
Bewahrung regionaler Traditionen auf kultureller, sozialer und
städtebaulicher Ebene bei.
Bis zur politischen Wende waren die Wohnungen des Vorderhauses
vermietet. Dann kam es zum Leerstand des Ensembles Voigtei 48.
Die Fachwerkgebäude verfielen zusehends, die Vegetation bemächtigte sich des Gartens und des Innenhofes.
„Acht Jahre lang waren die Verantwortlichen der Stadt nicht auf
dem Gelände gewesen, als wir mit unserer Arbeit begannen – und
entsprechend sah es aus…“ beschreibt Matthias Ramme den Zustand des Ensembles.
Im Jahre 1992 war die Idee der künstlerischen Nutzung geboren.
Zunächst richtete das „Kunstforum“ in den ehemaligen Verkaufsräumen der Schraube´schen Färberei eine Galerie ein, seit 2002 ist
der Kunsthof e.V. an ihre Stelle getreten. Damit war der Grundstein
für Nutzung und Revitalisierung des Ensembles gelegt.
„Die Stadt, der Bürgermeister, alle sind uns wohl gesonnen, aber
manchmal nicht sehr aktiv. Einiges an Energie und Zeit geht auf den
langen Amtswegen verloren – der eine denkt, der andere hat sich
schon gekümmert – aber dann ist am Ende noch gar nichts passiert“,
reflektiert Matthias Ramme die Zusammenarbeit mit der Stadt. Und
50
etwas ironisch fügt er hinzu: „Die Goldmedaille ‚für bürgerschaftli­
ches Engagement’, die anlässlich der Wiederbelebung der Voigtei 48
verliehen wurde, hängt beim Bürgermeister im Büro.“
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Dieses Projekt ist in vielerlei Hinsicht „anders“ als viele Bauvorhaben im Altbaubestand – so auch in der Planung des Bauablaufs. Dort,
wo anderswo Termindruck entsteht, weil die alte Wohnung gekündigt ist und der Einzugstermin bevorsteht, ist hier der laufende Bauprozess und eine latente „Unfertigkeit“ Bestandteil des Nutzungskonzeptes. Für jeden, der Lust hat, in das Projekt mit einzusteigen,
ist noch Platz. Wer will, kann hier eine Nische finden und sich seinen
Bereich, seine Werkstatt oder sein Atelier einrichten. Parallel werden andere Räume schon seit langem genutzt, auch wenn sie für so
manchen Besucher noch längst nicht fertig erscheinen. Und viele
freuen sich über die alternativen Nutzungs- und Sanierungsformen,
die ihnen Räume geben, die Geschichten erzählen können, wo der
einstige Glanz aus Schraubes Zeiten noch spürbar ist.
Auch die ungewöhnliche Größe der Gebäude ist Teil des Konzeptes. Zu
groß kann ein Gebäude für diese Nutzung kaum sein – es bedarf „nur“
einer Mobilisierung von Interesse, Neugierde und Engagement.
Ein Projekt, das eine derartige kulturelle Nutzungsmischung erzielt,
bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Beschaffung von Fördermitteln
und Spenden. Möglich sind neben der Förderung des baulichen Sanierungsvorhabens auch finanzielle Unterstützungen für Kultur-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
7
Im Januar 2004 wurde mit Hilfe von „1­Euro­Jobbern” der rückwärtige Gartenbereich freigelegt, wobei erhebliche Schäden der Fachwerkschwelle sichtbar wurden: Die
Stadt stellte Gelder für die Sanierung bereit, die im August 2004 abgeschlossen war
und Begegnungsprojekte. Damit hat das Projekt mehrere voneinander unabhängige Standbeine, über die das leidige und doch notwendige Thema der Finanzierung geregelt werden kann.
Seit dem Abschluss des Mietvertrages zwischen dem Kunsthof e.V.
und der Stadt hat sich vieles getan: Alle Gebäude sind gesichert, Bereiche mit sofortigem Handlungsbedarf, wie beispielsweise der ehemals mit Hausschwamm befallene Gebäudebereich sind saniert.
Steht man in dem weitläufigen und doch sehr gemütlichen Innenhof,
so täuschen die sanierten Fachwerkfassaden über den größtenteils
„unfertigen“ Innenbereich hinweg. Aber auch das hat seinen Vorteil
für das Gebäude: Der Verfall ist abgewendet, die Originalsubstanz wie
Stuck, Kachelöfen und Fußböden aus der Erbauungszeit bleibt jedoch
bestehen. Mehr noch: Ihr Dasein wird von den Künstlern sehr geschätzt, denn das ist es, was das unvergleichliche Flair der Räume
ausmacht. Und es besteht keine Gefahr, dass die Originalität etwa
übertriebenen Modernisierungsansprüchen zum Opfer fällt.
Der Bereich des Schraube-Museums ist komplett denkmalgerecht
modernisiert und mit zeitgemäßer Museumstechnik ausgerüstet.
Die Fenster sind in der bauzeitlichen Aufteilung als Holzfenster
nachgebaut, die charakteristischen Eisenfenster im Erdgeschoss
blieben erhalten und wurden durch einen zusätzlichen, innen liegenden Flügel ertüchtigt. So konnte die Außenfassade ihr Erscheinungsbild wahren und trotzdem auch Ansprüchen an ein museumsgerechtes Raumklima im Inneren genügen.
Die Besonderheit dieses „Museums für bürgerliche Wohnkultur“ liegt
darin, dass es sich, genau genommen, nicht um ein Museum handelt.
Die Objekte sind alle aus dem Nachlass von Frau Schraube und gehören damit zum Gebäude. Nicht nur die Einrichtungsgegenstände,
die Teppiche und Öfen sind original. Der Salon wurde kürzlich mit Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz aufwendig saniert: Die
Tapeten aus der Zeit um 1900 waren durch starken Hausschwammbefall der Fachwerkkonstruktion bedroht. Heute präsentiert sich der
Salon wieder wie zu Lebzeiten Margarete Schraubes.
„Alles hier in diesem Raum ist wie zu Margaretes Zeiten. Nur auf
dem ovalen Esstisch fehlt die Hälfte des Gedecks – das hat die Nich­
te damals als Andenken an ihre Tante behalten. Wir hoffen jedoch,
dass auch die zweite Hälfte des Porzellans irgendwann den Weg
zurück auf diesen Tisch findet“, erklärt Hillmar Dehmel, einer der
vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter des Museums. Und er fährt mit vor
Begeisterung blitzenden Augen fort: „Gerade diese Authentizität
macht den Charme der Ausstellung aus und lässt den Alltag des 19.
Jahrhunderts so lebendig werden. Vergleichbare Sammlungen gibt
es nur an zwei anderen Orten in Deutschland.“
Bei einem alten Haus zeigen sich manche baulichen Schäden erst
nach und nach. So wurde die völlige Zerstörung der Schwelle des
Fachwerkgebäudes nach Abtragen der 50 cm starken Humusschicht
im Garten erkennbar. Zehn Hilfskräfte waren für einige Tage damit
beschäftigt, die aus nicht entsorgtem Laub entstandene Vegetationsschicht zu beseitigen.
„Der Boden war überdeckt mit vielen kleinen Bäumen, die sich
selbst ausgesät hatten. Tja, und die Schwelle der Scheune war ganz
51
7
Halberstadt
Investive Mietverträge: Ein Ausweg für die Stadt, Kunsthof e.V. und Schraube­Museum
Die Stube ist Bestandteil des Schraube­Museum
Im als Atelier und Werkstätten genutzten Vorderhaus bilden Kunst und historische
Räumlichkeiten ein kreatives Miteinander
und gar weg – wie Blumenerde! Das Bodenniveau war über die Jah­
re so weit angestiegen, dass die Schwelle im Erdreich untergegan­
gen war. Die Stadt hatte gerade noch etwas Geld übrig und beauf­
tragte eine Firma mit der Sanierung der Schwelle. So waren wir
das Problem schnell los“, erinnert sich Matthias Ramme.
erkundigte sich, ob das Geld denn reiche. Das tat es nicht. Sie spen­
dete uns kurzerhand den ganzen Betrag für den Baum“, erzählt Matthias Ramme und fährt fort „Solche Erlebnisse sind es, die uns in un­
serem Vorhaben bestätigen und zum Weitermachen anhalten.“
Ähnliche Probleme gibt es häufig, wenn Fachwerkgebäude nicht regelmäßig gewartet werden und der konstruktive Holzschutz nicht
mehr gewährleistet ist. Gerade im Fachwerkbau gibt es wenige,
leicht verständliche Regeln, die keine Mehrkosten verursachen, jedoch die Nachhaltigkeit einer Sanierung garantieren.
Die Sanierung der Voigtei 48 geht Stück für Stück voran – mal auf
Initiative der Stadt, mal ist es wieder der Kunsthof e.V., der einen Arbeitseinsatz ins Leben ruft und z.B. eine Lehmputzaktion startet.
Das gemeineinsame Arbeiten und die Sorge für das Gebäude sind,
neben der Kunst, die Dinge, die die Menschen an diesen Ort binden.
Die Vielzahl von verantwortlich handelnden Personen bedeutet auch
einen großen Pool an Ideen. Eines der aktuellen Projekte ist ein gemeinsam mit einer Universität entwickeltes Forschungsprojekt zur
zukünftigen Energieversorgung der Gebäude. Geplant ist die Versorgung des Ensembles unabhängig von den städtischen Betrieben,
um Kosten zu sparen. So wurde ein tragfähiges, alternatives „bionomisches Energiekonzept“ für das Ensemble erarbeitet, dessen
Umsetzung in Planung ist.
Neben Sanierungsmaßnahmen der Gebäude sind den Nutzern auch
Zeichen setzende Aktionen wichtig. Das Signal, dass hier etwas am
Entstehen ist, manifestiert sich beispielsweise in einer Aktion, die
zum Tag des offenen Denkmals 2002 ins Leben gerufen wurde.
„Von historischen Ansichten wussten wir, dass zu Schraubes Zei­
ten ein Nussbaum in der Hofmitte gestanden hatte. So einer sollte
dort wieder hin. Ein alter Waschzuber sollte symbolisieren, dass
das Wasser bereits vorhanden ist – der Baum hingegen fehlte noch.
Leider waren nicht viele Leute unserer Spendenaufforderung ge­
folgt. Aber wenige Tage nach dem Tag des offenen Denkmals kam
eine ältere Dame, die namentlich nicht genannt werden wollte, und
52
Die Beteiligung der Öffentlichkeit an Veranstaltungen zeigt, dass
immerhin ein ausgewählter Kreis Halberstädter Bürger großes Interesse an der Arbeit des Kunsthofes hat. Seit kurzem betreibt der
Verein auch das Kunstcafé selbst und hat es zu einem gemütlichen
Treffpunkt für Kunst- und Kulturinteressierte verwandelt. Wechselnde Ausstellungen sind in den Räumen zu sehen, sowohl von den
vor Ort ansässigen Künstlern, als auch von außerhalb.
„Das Kunstcafé wird gut angenommen. Aber es gibt eben nicht vie­
le Alternativen hier in Halberstadt“, blickt Tom zufrieden auf die letzen drei Monate zurück. Er betreibt das Café für den Verein und ist
selbst einer der drei Vorstände. Und mit Blick in die Zukunft fährt er
fort: „Eigentlich füllt mich das Café alleine nicht aus. Am liebsten
würde ich noch einen Hofladen eröffnen, mit regionalen Produkten.
Ist klar, dass man mit ökologischen Produkten nicht reich werden
kann, aber es bringt Kultur und interessante Leute an den Ort.“
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Der Mehrwert für alle Beteiligten liegt auf der Hand: Ohne geeignete
Räume wie das Ensemble der Voigtei 48 könnten ein Verein wie der
Kunsthof e.V. und alle anderen beteiligten Vereine weder entstehen
noch existieren. Die Räume, ihr Zustand und ihre Geschichte sowie
die zentrale innerstädtische Lage sind Voraussetzung für ein so vielschichtiges Projekt. Die Stadt alleine hätte das umfangreiche Objekt
vermutlich nicht erhalten können. Dieses Beispiel kann und soll
Kommunen – und anderen (Künstler-) Gruppen und Vereinen zeigen,
wo möglicherweise „Rettungswege“ für Denkmale in greifbarer Nähe
liegen können. Es soll zugleich Anreiz schaffen, diese kreativ anzunehmen. Das Projekt belegt auch, dass es sich lohnt, möglicherweise sogar offensiv die „Sorgenkinder” im Altbaubestand mit neuartigen
Vertragsansätzen (z. B. Investive Mietverträge s. u.) „anzupreisen“.
Das denkmalgeschützte Ensemble ist für die Stadt von hohem stadtgeschichtlichem und städtebaulichem Wert. Die Erhaltung der ge-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Das Fachwerk wurde saniert, die Gefache ausgemauert
Nach erfolgter Innendämmung mit Lehmsteinen konn­
te gefeiert werden
schlossenen Struktur der Voigtei ist neben der Gebäudesanierung
ein unersetzliches Glied in der Kette zur Bewahrung der ortstypischen städtebaulichen Qualität. Der „Kunsthof“ hat nicht nur das
Denkmal baulich gerettet. Als innerstädtischer Angelpunkt für die
kulturelle Szene Halberstadts hat er auch Stadtidentität entwickelt.
Diese alternative Nutzungsform bringt dem städtebaulichen Umfeld
die Option stärkerer Durchmischung, die mit aktuell üblichen Nutzungsformen der Altbausubstanz schwer erreicht werden kann.
Überwiegend Jugendliche, aber auch kulturell Interessierte unterschiedlichen Alters und vor allem unterschiedlicher sozialer Herkunft finden gemeinsam ihren Identifikationspunkt in der Innenstadt. Für das Stadtquartier bedeutet eine solche Mischung von
Nutzungs- und Bewohnerstruktur eine erhebliche Bereicherung.
Weiterführende Informationen
Investive Mietverträge
Das Modell der „investiven Mietverträge“ stellt für jede Stadt eine realistische Möglichkeit dar, leerstehenden Altbaubestand zu erhalten
und sukzessive zu sanieren. Allem zu Grunde liegt ein Mietverhältnis
zwischen der Stadt und einem Verein. Die Sanierung des Gebäudes
erfolgt größtenteils durch den Nutzer, der seine Arbeitsstunden sowie Materialkosten mit dem vereinbarten Mietzins verrechnet – und
auf diese Weise „kostenlos“ die Gebäude nutzt. Vereinsintern gibt es
ein Stundenkonto, auf das jeder einzelne Nutzer entsprechend seiner
genutzten Quadratmeterzahl tatsächliche Stunden „einzahlt“ oder
aber mit Geld ausgleicht. So besteht für den Verein die Möglichkeit,
Gelder für Baumaterial und spätere Mietzahlungen einzunehmen.
Finanzierungsmöglichkeiten für Vereine
Ein eingetragener, gemeinnütziger Verein hat gegenüber einer privaten Einzelperson diverse finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten:
– Bereitschaft engagierter Bürger, sich für eine „gute Sache“
ehrenamtlich einzusetzen.
– Eingetragene Vereine können Spendenquittungen ausstellen –
häufig ein Anreiz für die potenziellen Spender, denn die
Spenden sind steuerlich absetzbar.
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Matthias Ramme in seiner Siebdruckwerkstatt: Ihm und
anderen Künstlern verdankt der Kunsthof sein Leben
– Über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) des Arbeitsamtes können zeitlich befristet Arbeitskräfte, häufig auch gut
qualifizierte, kostengünstig zur Verfügung stehen.
– 1-Euro-Jobber können, ebenfalls über das örtliche Arbeitsamt,
für fast alle Tätigkeitsbereiche gefunden werden.
– Praktikumplätze für Studenten aus der Baubranche
(Architekten, Bauingenieure, etc.) aber auch für andere
Studiengänge (Sozialwissenschaften, Kulturwissenschaften, etc.)
Andere wegweisende Konzepte: Arbeitskreis Denkmalpflege e.V. / Offene Häuser e.V.
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Insbesondere nach der Wende sind zahlreiche Vereine entstanden, die sich der historischen Bausubstanz angenommen haben. Oft ist der Gründungsanlass die Erhaltung eines bestimmten Denkmals, die Sanierung und Nutzung dieses Gebäudes stehen im Vordergrund – wie dieses Halberstädter Beispiel zeigt.
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Andere Vereine, wie beispielsweise der Arbeitskreis Denkmalpflege e.V. und das Netzwerk Offene Häuser e.V. verfolgen das Erhalten,
Sanieren und Nutzen verschiedener Baudenkmale. Dabei ist das
Sanieren der Gebäude ein Prozess, der parallel zur Nutzung derselben stattfindet. Theaterprojekte finden beispielsweise gleichzeitig
mit Bauwochen statt. Ehrenamtliche, ABM-Kräfte, Freiwillige und
Workcamps mit Teilnehmern aus aller Welt erfahren gemeinsam,
was es bedeutet, Geschichte lebendig werden zu lassen und historische Gebäude wiederzubeleben.
„Damit lebendig wird, was lange wüst gelegen…“ – Die Idee der Offenen Häuser ist bislang nur auf ländliche Objekte, insbesondere
Gutsanlagen, begrenzt. Eine Ausweitung auf innerstädtischen Altbaubestand erscheint sehr sinnvoll – gerade für die Workcampteilnehmer aus aller Welt können innerstädtische Baustellen einen
ganz besonderen Reiz haben. Gebäude gibt es genügend – sie warten auf die nötige Portion privaten Engagements.
Infos/Kontakt: www.openhouses.de, Goetheplatz 9B, 99423 Weimar
Weitere Internetadressen zum Thema Vereine/Interessengemeinschaften und Denkmalnutzung: HausHalten Halle e.V.,
www.haushaltenhalle.de/Leipziger Selbstnutzer,
www.selbstnutzer.de
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8
Leipzig
„Gestärktes“ Denkmal durch Privat: Eine ehemalige Stärkefabrik
Lützne
r Str.
Lage in Leipzig­Lindenau
Lageplan
Grundrisse der ehemaligen Stärkefabrik: DG und 1. OG dienen den Eigentümern als
privater Wohnraum. Die Firma der Hausbesitzer hat ihre Büro­ und Arbeitsräume
im EG, ergänzt durch das UG, in dem sich Stellplätze für PKWs befinden
Projektdaten
Objekt
Sanierung und Umnutzung eines gründerzeitlichen
Fabrikkomplexes in Leipzig-Lindenau,
Lützner Straße 77–79
Bauherr
Teschner + Martin GbR,
Thomas Teschner und Carsten Martin
Planung
Dipl.-Ing. Christoph Schwan, Leonhardtstraße 20,
14057 Berlin und Dipl.-Ing. Martin Vogt,
Wörishofenerstraße 39, 70372 Stuttgart,
Bad Cannstatt, zusammen mit den Bauherren
Bauzeit
2003 – 2006, teils noch laufender Prozess
Kosten
Ca. 1.500.000 Euro inkl. Immobilienerwerb
(150 000 Euro, Vordergebäude,
Hofgebäude/Fabrik und Remise)
Förderung
Stadt Leipzig und KfW: ca. 185.000 Euro
Kontakt
Carsten Martin, [email protected];
Thomas Teschner, [email protected]
www.data-team.de, www.staerkefabrik.de
1. Stadt und Haus
Leipzig ist mit rund 510.000 Einwohnern die bevölkerungsreichste
Stadt in den neuen Ländern. Als bedeutender Verkehrsknotenpunkt
im Ballungsraum Leipzig-Halle ist sie Teil der Metropolregion
„Sachsendreieck“, die zu den wirtschaftsstärksten Räumen der
neuen Länder zählt.
Der Ursprung der Stadt reicht auf slawische Gründungen (um 900
n. Chr.) an Parthe und Elster zurück. Eine erste Blütezeit erlebte die
Stadt im Hochmittelalter. Schon damals entwickelte sich Leipzig zu
einem wichtigen Handelszentrum mit weitreichenden kaiserlichen
Messeprivilegien, begünstigt durch die Lage am Schnittpunkt der
Handelswege Via Regia und Via Imperii. Mit der Universitätsgründung und durch den sich entwickelnden Buchdruck erlangte die
Stadt weit über ihre Grenzen reichende geistig-kulturelle Bedeutung. Das schlägt sich nieder im Wandel des Stadtbildes und der Gebäudetypen. Um 1530 errichtet zum Beispiel der Kaufmann und
Universitätsdirektor Heinrich Stromer „Auerbachs Hof“. Nach dem
Dreißigjährigen Krieg sicherte sich Leipzig als Messestadt eine führende Rolle in Mitteleuropa. Mit dem Bau der Handelsbörse setzte
der Barock ein, der hier im 17. Und 18. Jahrhundert eine eigenständige, bürgerliche Ausprägung erfuhr. Mit prachtvollen Bürgerbau-
54
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
8
Aufnahme der ehemaligen Stärkefabrik mit ursprünglicher Hofpflasterung aus den
1950er Jahren
Das Fabrikgebäude NACH der Sanierung: Der linke Giebel über dem Eingang hat ei­
nen Aufbau erhalten, da an dieser Stelle im Inneren ein Aufzugsschacht verläuft
Historische Aufnahme aus den 1950erJahren als in der Stärkefabrik noch chemische
Produkte hergestellt wurden …
Zustand von Gebäude und Innenhof VOR
der Sanierung
ten entwickelte sich in dieser Zeit der Typus des Leipziger Handelshauses weiter, der die Innenstadt bis heute eindrucksvoll prägt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein rasanter
Wandel zur Industriestadt. Begünstigt durch die mit der Messe verbundenen Marktvorteile und die frühzeitige Eisenbahnanbindung entstanden neben der Verdichtung bestehender Vorstädte neue Industrievororte und in der Folge Villengebiete wie das „Waldstraßenviertel“
sowie zahlreiche Mietshausgebiete. Im Zuge der Industrialisierung
entwickelten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch die später eingemeindeten Leipziger Stadtteile Plagwitz und Lindenau zu den für
Leipzig charakteristischen Industriegebieten, in denen Wohn- und
großflächige Fabrikbauten dicht nebeneinander stehen. Zu ortstypischen Gewerbebauten zählen Gießereien, Druckereien und Gebäude
der Textilproduktion. Eines dieser gründerzeitlichen Industriebauten
ist das hier vorgestellte Projekt in der Lützner Straße in Lindenau. Es
wurde 1910 als zweigeschossiges Fabrikgebäude der Firma „Hoffmann und Schmidt Stärke Fabrik und chemische Produkte“ errichtet.
ger Zentrum und dem randstädtischen Stadtteil Grünau. Auf dem
Areal befinden sich fünf Gebäude: Zwei Vorderhäuser (Wohnhäuser)
zur Lützner Straße, die derzeit gesichert werden, sowie die sanierte
Hofbebauung, bestehend aus der ehemaligen Stärkefabrik, einem
Stallgebäude und einem Schuppen. Zu den besonderen Qualitäten
des Objektes gehört seine Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zum
Henriettenpark, einer städtischen Grünfläche. So liegt das Objekt
zentral in der Stadt, ist gut erreichbar und doch mitten „im Grünen“.
Das Objekt befindet sich im Hof des Grundstücks Lützner Straße 77 –
79, einer Haupteinfall- und Verbindungsstraße zwischen dem Leipzi-
Einer der beiden Zwerchgiebel im Detail
mit neuem Aufbau
Neben der historischen Backsteinfassade aus zweierlei farbigem
Klinker zählt der erhaltene Stahlbetonskelettbau zu den außergewöhnlichen Merkmalen des Objektes. Die mit schmuckvollen Putzspiegeln verzierte Klinkerfassade des Baus und die großzügig geschnittenen Innenräume sind herausragende Besonderheiten des
Gebäudes, die erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. Besonders interessant für die späteren Bauherren erwies sich vor allem
die Größe des Objektes: Es bietet mehr Fläche als die „typische
Werkstatt“ im Hinterhof, ohne jedoch eine Dimension anzunehmen,
die die Möglichkeiten privater Bauherren bei der Schaffung selbstgenutzten Eigentums übersteigen.
55
8
Leipzig
„Gestärktes“ Denkmal durch Privat: Eine ehemalige Stärkefabrik
Impressionen und Baudetails: Das historische Treppenhaus, die Stahlbetonkon­
struktion, ein Zackenfries an der Fassade und die Bauherren vor ihrem Objekt
2. Interessen und Ziele
Auf der Suche nach einem passenden Objekt im Leipziger Stadtgebiet, das Platz bieten sollte für die Kombination von Wohnen und Arbeiten unter einem Dach, waren Carsten Martin und Thomas Teschner, zwei Software-Entwickler aus dem Stuttgarter Raum, schon seit
einiger Zeit in Leipzig unterwegs. Ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten der „Stärkefabrik“ war deren angemessene Größe,
so dass sie nach dem Umbau sowohl einen großzügigen privaten
Wohn- als auch komfortablen Arbeitsbereich des firmeneigenen
Software- und Beratungshauses beherbergen konnte. Herr Teschner
erinnert sich noch lebhaft: „Mit wachen Augen durch die Stadt zu ge­
hen, hat leider nicht gereicht. Letztendlich fündig wurden wir am
Stand der Stadt Leipzig auf der ‚denkmal’ 2002, einer Fachmesse,
auf der unter anderem das Selbstnutzerprogramm der Stadt Leip­
zig vorgestellt wurde, über das wir von der Stärkefabrik erfuhren.“
Aus heutiger Sicht entwickelte sich die Entdeckung der leerstehenden Fabrik vom Zufall zum wahren Glücksfall, denn bereits vor dem
Umzug nach Leipzig hatten die Bauherren ein „großes Faible für
Baudenkmale und historische Substanz“, wie Herr Martin begeistert erzählt. Das schlägt sich nieder in einem ausgewiesenen Gespür für den Umgang mit Altbausubtanz. Der Erwerb der Stärkefabrik ließ den Traum Wirklichkeit werden, ein außergewöhnliches,
historisch bedeutsames Gebäude zu besitzen.
3. Ausgangslage und Befund
Die noch in den 1970er Jahren laufende Produktion von chemischen
Produkten in der Stärkefabrik wurde im Jahrzehnt darauf eingestellt.
Als Bestand des VEB USUS wurde der zweigeschossige Fabrikbau
schon zu DDR-Zeiten nur noch als Lager genutzt. Zum Zeitpunkt des
Erwerbs durch die jetzigen Eigentümer war nur noch eine einzige
Wohnung in einem der Vorderhäuser bewohnt. Die Dächer der Fabrikgebäude waren durchgebrochen und sämtliche Fensterscheiben
56
Ansicht der Fassade VOR und NACH der Sanierung
zerstört; eine Brandwand drohte einzustürzen. Wildwuchs und Gestrüpp an Fassade und Hofflächen ließen Gebäude und Gelände
kaum mehr erkennen. „Lediglich die historische Stahlbetonkonst­
ruktion befand sich in einem guten Zustand. Ansonsten war der Zu­
stand jedoch katastrophal“, berichtet Herr Martin rückblickend.
Bodengutachten und Probebohrungen bestätigten den Eindruck im
Nachhinein: Der bauzeitliche Beton befand sich in einem einwandfreien Zustand. Da es sich ursprünglich um eine Fabrik handelte,
gab es im Inneren glücklicherweise wenige tragende Trennwände.
Die vorhandenen Wände bestanden teils aus Holz, teils aus bereits
ausgewaschenen Rabitzwänden und konnten fast alle zugunsten einer Neugestaltung entfernt werden. Lediglich das Treppenhaus war
von massiven Mauern eingefasst.
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Während der gesamten Sanierungsphase galten Substanzerhalt
und -ergänzung als oberste Prämissen der Bauherren. Mit viel Liebe zum Detail bemühten sie sich darum, alle Originalwerte zu bewahren und Verluste gleichwertig zu ersetzen. „Im Gebäude wur­
den ausschließlich alte Türblätter und Türdrücker verwendet, die
sorgfältig aufgearbeitet wurden“, erzählt Herr Teschner, „die völ­
lig zerstörten Fenster wurden originalgetreu in Eiche massiv mit
echter Sprossung nachgebaut. In der Fassade wurden die zerstör­
ten Steine ausgetauscht, die Ziergiebel und Putzspiegel anhand
vorhandener historischer Fotos ergänzt beziehungsweise rekon­
struiert.“
Das Leitbild, alles bauzeitlich Vorhandene weiter zu verwenden und
damit zu erhalten, kam vor allem im Inneren des Gebäudes zum Tragen. Im Mittelpunkt des Erhaltungsinteresses stand die alte Stahlbetonkonstruktion aus dem Entstehungsjahr, die sichtbar herausgestellt wurde. Das bedeutete, neben wieder aufgearbeiteten Holz- und
Fensterelementen das gesamte „Innenleben“, „das heißt Decken­
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
8
Blick in das EG VORHER und NACHHER: Die nach der Sanierung ziegelsichtig belassenen Wandvorlagen dienen der optischen Akzentuierung und Strukturierung
felder und Stützen sowie die gesamte Stahlbetonkonstruktion bis
auf ‚kosmetische’ Ausbesserungen im Originalzustand beizube­
halten. Hierbei wurden die Stahlbetonelemente lediglich behut­
sam sandgestrahlt“, erläutern die Bauherren.
Die gestalterische und handwerkliche Qualität der Umgestaltungsmaßnahmen im Zusammenspiel mit der originären Materialität und
Struktur der Fabrik ergeben eine einzigartige Atmosphäre, die durch
die gezielte und harmonische Einbeziehung historischer Details,
wie das schmiedeeiserne Treppengeländer, unterstrichen wird. Die
Farbgebung der Türen und des Treppenhauses wurde mit Mineralfarben anhand vorgefundener Farbreste wiederhergestellt. Kastenfenster erhielten unter Verwendung der alten Mechanik die dazugehörigen Rollenläden.
Der erhaltungsorientierte Denkansatz der Bauherren schlägt sich
sogar in Analogien der Nutzung nieder: Im ehemaligen Kontor der
einstigen Fabrik befindet sich heute die Geschäftsleitung der Firma.
Nicht nur die historische Fassade wurde rekonstruiert. Auch die historische Hofpflasterung im Innenhof wurde unter der Asphaltdecke
freigelegt, was den Hofeindruck enorm verbessert. Nach der Entsiegelung wurden fehlende Steine ersetzt und weite Teile des Hofes
begrünt, so dass der alte Fabrikhof heute als Gartenparadies weiterlebt. Als Pendant zu dieser außenräumlichen Qualität tragen im
Dachgeschoss zwei Balkone und eine Dachterrasse zum Angebot
an Aufenthaltsmöglichkeiten im Freien bei.
Das Projekt verdankt seinen positiven Verlauf schließlich auch der kooperativen und unbürokratischen Zusammenarbeit mit der Stadt
Leipzig, die neben raschen Genehmigungsverfahren, Kontakte zwischen Bauherren, Denkmalpflege und anderen Verwaltungsbreichen
sowie der Initiative „Selbstnutzerprogramm Leipzig“ vermittelte und
schließlich auch eine Förderung des Projektes ermöglichte.
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Durch die Sanierung und denkmalpflegerische Inwertsetzung der alten Stärkefabrik konnten nicht nur die neuen Eigentümer ihre speziellen Wünsche umsetzen, auch die Stadt Leipzig profitierte von deren
Leidenschaft für historische Bausubstanz. Ein weiteres Baudenkmal
wurde vor dem Verfall gerettet, heute gehen motivierende Impulse für
die weitere Sanierung des Stadtteiles von diesem Projekt aus.
Die gegenwärtig aufstrebenden Leipziger Stadtteile Plagwitz und
Lindenau bieten den Bauherren des sanierten Fabrikgebäudes einen idealen Wohn- und Geschäftsstandort, mit vielen Kultureinrichtungen, Freizeitmöglichkeiten und Restaurants im direkten Umfeld.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung im Kontext einer Großstadt ist auch die gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel.
Schließlich trägt die Gestaltung der grünen Insel im Innenhof zur
Qualitätssteigerung des Wohnumfelds und zur Beseitigung „innenstadttypischer Defizite“ inmitten der Stadt bei.
Die authentische Fassade sorgt für Kontinuität im Stadtbild. Die
Kombination von Wohnen mit gewerblicher Nutzung bedeutet zudem eine kontinuierliche Belebung am Standort. Das Beispiel bietet auch anderen Firmen und Betrieben sowie deren Mitarbeitern
Anreize und Optionen, Lindenau als Arbeits- und Wohnstandort für
sich zu entdecken. Um anzuregen und Neugier zu wecken, stellen
die Eigentümer der Stärkefabrik ihre Räume und ihr Areal gern anderen als Veranstaltungsorte zur Verfügung.
Dieses gelungene Beispiel kann Mut machen, sich auch an größere
Bauvorhaben in vermeintlich komplizierten, industriell geprägten
Stadtteilen heranzuwagen und gibt Impulse zur weiteren Aufwertung des Quartiers. „Schön ist, dass das Ergebnis die eigenen Er­
wartungen noch weit übertroffen hat. Durch die bestehenden
Kontakte beim ‚Leipziger Selbstnutzerprogramm’ kamen sogar
internationale Gäste und Fachleute zu uns, die wir dann auf unse­
57
8
Leipzig
„Gestärktes“ Denkmal durch Privat: Eine ehemalige Stärkefabrik
VOR der Sanierung begutachtete Bauherr Carsten Martin die Innenräume: Abgese­
hen von Vandalismusschäden war zumindest die historische Stahlbetonkonstrukti­
on im Großen und Ganzen intakt
Das ehemalige Fabrikgebäude bietet in seiner Großzügigkeit hervorragenden Spiel­
raum für die Umsetzung kreativer Gestaltungsideen
rem Gelände herumführten und ihnen unser Modellprojekt vor­
stellten und dabei natürlich ganz viele Fragen beantworten konn­
ten“, schwärmt Herr Martin.
Um öffentlich wirksam zu werden, lädt die KfW-Förderbank darüber hinaus jährlich zu Wettbewerben ein. Der Wettbewerb widmet
sich jedes Jahr einem bestimmten Schwerpunktthema rund um das
Wohnen: 2004 beschäftigte er sich mit den Möglichkeiten der Energieeinsparung bei Renovierungen und Sanierungen. Im Jahr 2005
stand der KfW-Award unter dem Motto „Umbauen statt Neubauen
– Mehrwert durch Revitalisierung von Wohnimmobilien der 50erund 60er-Jahre“. 2006 ging es um „Neue Ideen für altersgerechtes
Wohnen im Eigentum“. Im vergangenen Jahr 2007 wurde „Die Wiederentdeckung der Stadt – urbanes Wohnen in den eigenen vier
Wänden“ thematisiert. Der diesjährige KfW-Award widmet sich dem
Thema „Gemeinschaftliches Bauen und Leben in der Stadt – Eigentum kreativ und kostengünstig gestalten“. Im Ergebnis prämiert die
KfW-Bank jährlich einen Wettbewerbssieger: www.kfw-foerderbank.de/DE_Home/KfW_Foerderbank/Gesellscha12/KfWAward96/KfW-Award_2008/index.jsp
Im Jahr 2006 erhielt das Projekt der Denkmaleigentümer Carsten
Martin und Thomas Teschner von der Kulturstiftung Leipzig den 1.
Preis des Hieronymus-Lotter-Preises für Denkmalpflege. Beim
Wettbewerb der KfW Förderbank im Jahr 2007, welcher unter dem
Motto „Die Wiederentdeckung der Stadt – urbanes Wohnen in den
eigenen vier Wänden“ stand, wurde die „Stärkefabrik“ mit dem 2.
Platz gewürdigt.
Mittlerweile haben sich die Eigentümer entschlossen, aufgrund des
großen Nachfrage- und Informationsbedarfs zu ihrem Objekt auf ihrer Firmenhomepage einen Extra-Link zur Stärkefabrik einzurichten. Hier können Informationen und Bilder des Fabrikgebäudes heruntergeladen werden. (www.staerkefabrik.de)
Weiterführende Informationen
Die KfW­Förderbank und der KfW­Award:
Die KfW-Förderbank, die „Kreditanstalt für Wiederaufbau“, ist eine
Bankengruppe, die neben einer ganzen Reihe unterschiedlicher
Förderprogramme auch günstige Finanzierungsmöglichkeiten anbietet. Jeder Bürger ist anspruchsberechtigt, beispielsweise wird
für bis zu 30 Prozent der Gesamtkosten ein Kredit an Einzelhaushalte vergeben, wobei die maximale Darlehenssumme 100.000 Euro
für den Immobilienkauf beträgt. Die Zinsen liegen meist deutlich
unter Marktniveau. Die KfW-Darlehen können nur bei einem privaten Kreditinstitut beantragt werden. Beratung findet man unter:
www.kfw-foerderbank.de/DE_Home/Bauen_Wohnen_Energiesparen/index.jsp
58
Mit der Förderdatenbank des Bundes im Internet gibt die Bundesregierung einen vollständigen und aktuellen Überblick über die Förderprogramme des Bundes, der Länder und der Europäischen Union: www.foerderdatenbank.de
Bürgerschaftliches Engagement in der Stadterneuerung –
Netzwerk von bürgerlichen Initiativen
Das Beispiel „PRO LEIPZIG“:
PRO LEIPZIG ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für den Erhalt
und die Erlebbarkeit der Werte von Stadt und Region Leipzig einsetzt
und für nachhaltige Entwicklungen streitet. Im Selbstverlag sind
bisher 160 Publikationen zu Themen der Stadt und ihres Umlandes
erarbeitet und herausgegeben worden, darunter z. B. das Stadtlexikon Leipzig von A bis Z. Der Verein betreibt eine umfangreiche Stadt-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
8
Unter größtmöglicher Beibehaltung der Originalsubstanz des Dachgeschosses konnte ein ungewöhnlicher und individueller Wohnraum gewonnen werden
forschung und ist immer ansprechbar, wenn Ideen und Anregungen
für ein lebendiges Leipzig gesucht werden. www.proleipzig.eu
2007 fand in Leipzig der Europäische Bürger- und Städtekongress
statt: www.projektleipzig.de/buergerde.pdf
Beratung und Auskünfte sowie eine Übersicht über sämtliche Bürgervereine und -initiativen der Stadt Leipzig unter:
www.leipzig.de/de/buerger/politik/buergerbeteilig/vereine/
Eine Übersicht über denkmalorientierte bürgerschaftliche Initiativen bietet: www.denkmal-netzwerk.de
Die europäische Messe „denkmal“ bietet alles rund ums Denkmal
Seit 1994 findet die „denkmal“ alle zwei Jahre in Leipzig statt. Als
europaweit einzige Messe behandelt und versteht sie die Denkmalpflege und Restaurierung als komplexes Thema. Mit der „denkmal“
leistet die Leipziger Messe einen Beitrag, um Bauschaffende, Industrieunternehmen, Handwerker, Restauratoren, Architekten, Ingenieure, Planer, Denkmalpfleger, Investoren, Projektentwickler, Kommunalpolitiker und Eigentümer historischer Gebäude zusammenzuführen. www.denkmal-leipzig.de
Die Messe ist, wie das Beispiel Leipzig-Lindenau zeigt, auch eine
Quelle für an denkmalgeschützten Immobilien Interessierte:
www.denkmal-boerse.de
Weitere Denkmalbörsen sind zu finden unter:
Sächsische Grundstücksauktionen AG:
www.immobilienauktionen-sachsen.de/de/index.html
Immobilienkatalog der Deutschen Bundesbahn:
www.bahnliegenschaften.de/
Die Immobilienplattform der Evangelischen Kirchen
in Deutschland: www.kirchengrundstuecke.de
Denkmaldatenbank im Großraum Halle/Leipzig und im
Land Brandenburg:
www.leerstehende-baudenkmale.de
www.weissenfels.de/bas_b_leerstandsboerse.html
www.mwfk.brandenburg.de/cms/detail.php?id=46927&_siteid=44
Baudenkmalbörsen der Landesämter für Denkmalpflege:
www.denkmalpflege-forum.de/Verkaufliche_Baudenkmaler/verkaufliche_baudenkmaler.html
Selbstnutzerprogramm der Stadt Leipzig
Neben dem Abriss und der Schaffung neuer Wohnumfeldqualitäten
geht es im Leipziger Stadtumbau auch um die Stärkung der Eigentumsbildung in denkmalgeschützten Altbauten und historischen
Gebäuden der Innenstadt. Dadurch sollen die Abwanderung ins
Stadtumland eingedämmt und die Altbauquartiere weiter gestärkt
werden. Die durch den Stadtumbauprozess entstehenden neuen innerstädtischen (Freiraum-) Qualitäten bieten. Ideale Ausgangsvoraussetzungen, auf die das Leipziger Selbstnutzer-Programm reagiert. Das Leipziger Selbstnutzerprogramm ist kein Förderprogramm. Als eine Initiative setzt es vielmehr auf Beratung, Gruppenmoderation, Marketing und Netzwerkbildung zu gegenseitiger Hilfe.
Ein wesentliches Potenzial des Programms liegt in der organisierten Herangehensweise, die auf Selbstorganisation baut unter teilweisem oder gänzlichem Verzicht auf einen Bauträger.
Auf Anregung der Initiative schließen sich Kaufinteressenten in
Gruppen zusammen, beauftragen gemeinsam einen Architekten,
der ihnen in baulicher Hinsicht professionelle Unterstützung bietet,
und übernehmen die übrigen Aufgaben weitgehend selbst.
www.selbstnutzer.de
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9
Mühlhausen
Lage des Ensembles an der Stadtmauer am westlichen Rand der Innenstadt
Ein kleines Paradies: Das AntoniQ
Lageplan
Projektdaten
Objekt
Sanierung und Umnutzung des Quartiers um das
ehemalige Antoniushospital
Bauherr
Knut Ewers, Holzstraße 13, 99974 Mühlhausen
Planung
Die Bauhütte, Mühlhausen
Bauzeit
2003 – 2008
Kosten
Ca. 585.000 Euro (bis Februar 2008)
Förderung
Städtebauförderung 40.000 Euro (Kirchengebäude)
Kontakt
Knut Ewers, [email protected], Tel. 03601 889700
Darstellung des Ensembles aus der Vogelperspektive, Beschreibung der Gebäude im
Text. Unter www.antoniq.de sind detaillierte Informationen und auch Grundrisse der
einzelnen Gebäude zu finden
1. Stadt und Haus
Im Mittelalter war Mühlhausen nach Erfurt die zweitmächtigste
Stadt im Thüringer Raum. Die architektonische Vielfalt, der gesamte historische Stadtkern mit der erhaltenen und begehbaren Stadtmauer zeugen von der wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung
der einstigen Reichsstadt. Heute ist Mühlhausen mit knapp 38.000
Einwohnern Kreisstadt des Unstrut-Hainich-Kreises.
Das Gelände des AntoniQ liegt im Nordwesten der Mühlhäuser Altstadt, direkt an der Stadtmauer. Gegründet wurde das Ensemble um
1207 als Hospital des Antoniter-Ordens. Die Ordensbrüder widmeten sich europaweit insbesondere der Pflege der am „Antoniusfeuer“ Erkrankten, einer im Mittelalter weit verbreiteten Krankheit. Im
15. Jahrhundert unterhielt der ursprünglich in Frankreich entstandene Orden in ganz Europa etwa 370 Spitale. Im 17. Jahrhundert
wurde erkannt, dass das Antoniusfeuer durch den Verzehr von mit
Mutterkornpilzen befallenem Roggen hervorgerufen wird. Infolgedessen ging die Krankheit stark zurück und der Antoniter-Orden
verlor an Bedeutung.
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Lebendig umreißt Knut Ewers, ein ungewöhnlicher und leidenschaftlicher Bauherr, die Geschichte „seines“ AntoniQ: „Das Anto­
niushospital entstand ab 1207, mit eigener Kirche. Die war damals
so wichtig wie heute Operationssäle und Intensivstationen. Es
zählt zu den frühesten dokumentierten Spitälern Deutsch­
lands.1649 brannte das ganze Antoniusstift ab – Liebeskummer in
der Nachbarschaft war Schuld! Es wurde gleich wieder aufgebaut,
vom Baumeister Reinhard Knorr, was heute noch auf einem Bal­
ken in der Kirche nachzulesen ist – natürlich auf Lateinisch. Die
Kirche diente später nach ihrer Profanisierung aber auch mal als
Befestigungsanlage, als Turnhalle, als Speisesaal und als Schrei­
nerei – richtig, jetzt sind wir in der Neuzeit angekommen.“
Auf dem ca. 3.600 m² großen Gelände stehen sechs Gebäude mit
insgesamt ca. 1.400 m² Nutzfläche. Das Ensemble bietet eine spannende Zeitreise durch die Baugeschichte: Weite Teile der mittelalterlichen Baukörper und Gebäude des 17.– 20. Jahrhunderts waren
und sind in originaler Substanz erhalten, darunter die um 1270 erbaute Antoniuskapelle.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Betritt man die Mühlhäuser Altstadt durch das Frauentor, so befindet sich gleich
links das AntoniQ – die Kirchturmspitze lugt bereits über die Stadtmauer
9
Luftaufnahme des Ensembles: Der Zugang erfolgt von der Holzstraße durch ein Holz­
tor links der Kirche
Die ehemalige Priorei ist eines der ältesten Gebäude des Ensembles: Die sichtbare Fachwerkfassade erzählt viele Geschichten von früheren Öffnungen und Nutzungen. Der
Innenraum beherbergt heute Seminarräume, drei Einzelzimmer und Sanitärbereiche
Und zur Namensgebung sagt der Bauherr: „AntoniQ“ ist die Abkür­
zung für Antoniusquartier. Antonius ist schon seit 800 Jahren der
Namenspatron – nur hieß es damals Antoniusstift. Heute aber ist
es kein Stift mehr, sondern eine Herberge – ein Quartier – für
Gruppen junger Leute. Darum: AntoniQ. Wenn Sie lieber Anton­IQ
daraus machen, ist es auch nicht verkehrt. Denn ein Besuch in An­
toniQ ist eine intelligente Entscheidung...“
Die Darstellung des Ensembles aus der Vogelperspektive gibt einen
Überblick über die verschiedenen Gebäude und ihre Nutzungsgeschichte:
Zur Antoniuskapelle (1), ca. 300 m², profanisiert und heute als Gemeinschaftsbereich genutzt erläutert der Bauherr selbst: „Nach
manch anderer Zwischennutzung ist die Kirche heute wieder ein
Raum der Begegnung! Hier gibt es eine Menge Platz in einer ver­
zaubernden Atmosphäre. Die entsteht durch die Höhe des Raums,
durch das durch schmale Fenster hereindringende gedämpfte
Licht, durch die Akustik, in der selbst ein Flüstern lange nachhallt
und ein Laut den ganzen Raum erfüllt. Hier kann man Theater
spielen, sich versenken und besinnen, herumtoben, kreativ sein,
Musik machen, Ruhe finden. In einer Ecke des Kirchenraumes
stehen einige Spielgeräte, eine Tischtennisplatte, ein Kicker,
‚Hubi der Hubschrauber’, ein Billardtisch. Auch eine Musikanlage
ist vorhanden. Für laute, schnelle Musik ist sie allerdings wegen
der sakralen Akustik ungeeignet, hierfür empfehle ich die Gewöl­
bekeller!“
Das Gruppenhaus Knorr (2) mit 333 m² Fläche auf zwei Etagen ist
seit Juli 2004 ein Beherbergungsgebäude mit Selbstversorgerküche
und 32 Betten in 2 bis 4-Bettzimmern mit Bad. Zwei davon sind rollstuhlgerecht. Es besteht eine direkte Verbindung zur Kirche. In diesem Gebäude haben im Mittelalter die Patienten des Hospitals gelegen. Seitdem wurde es mehrfach umgebaut, die vorgefundene
kleinteilige Zimmerstruktur legte eine Nutzung als Herberge nahe.
Der Sockel des mittelalterlichen Gebäudes besteht aus massivem
Bruchsteinmauerwerk. Darüber erhebt sich eine verzierte Fachwerkkonstruktion mit Lehmausfachungen.
Das Gruppenhaus Moritz (3) mit 362 m² Fläche und heute 32 Bet-
61
9
Mühlhausen
Ein kleines Paradies: Das AntoniQ
Kirche VOR der Sanierung: Das Bruchsteinmauerwerk
war in schlechtem Zustand, oberflächliche Verschmut­
zungen und absandende Steine prägten das Erschei­
nungsbild
Kirche und Hof NACH der Sanierung: Die Betonplatten
auf dem Fußboden sind einer einladenden Platzge­
staltung gewichen
Blick in den Kircheninnenraum auf die Empore: VOR, WÄHREND und NACH der Sanierung
ten in 12 Zimmern wurde erst 1892 als Fachwerkhaus gebaut, mit
zwei weiteren Schlafsälen darin. Zuvor stand hier ein kleineres Haus
aus dem Mittelalter, das abgebrannt ist. Es diente vermutlich den
Ordensschwestern als Wohnraum. Die Restaurierung war im Juli
2005 abgeschlossen, so dass die erste Gruppe einziehen konnte.
Zu Zeiten, als das Spital noch vom Antoniter-Orden betrieben wurde, war die „Priorei“ (4) die Wohnstätte des Priors. Die Sanierung
des ca. 250 m² umfassenden Innenraums wird im März 2008 zu weiten Teilen geschafft sein. Im Obergeschoss sind zwei Seminarräume und ein gemütlicher Aufenthaltsbereich entstanden, im Erdgeschoss gibt es Sanitärräume, die vom Garten- und Hofbereich zugänglich sind. Drei Einzel- bzw. Doppelzimmer mit Bad im Erdgeschoss werden in naher Zukunft den Abschluss der Sanierung des
gesamten Anwesens bilden.
Die Fachwerkhäuser (5, 6; 200 m²) bieten neben dem Wohnbereich
des Bauherren auch Räumlichkeiten für das Büro, die Gewerbeküche, die Waschküche, ein Zimmer für PraktikantInnen sowie eine
preiswerte, einfache Pilgerherberge. Knut Ewers fühlt sich wohl
dort. „Hier bin ich erreichbar und vor Ort, wann immer die Gäste
mich brauchen, hier kriege ich mit, wenn etwas passiert, und bin
doch auch weit genug abseits von den Gästen, damit sie sich nicht
allzu beobachtet fühlen. Und außerdem habe ich selbst hier auch
mal meine Ruhe.“
In den Werkstattschuppen (7) arbeiteten noch bis 2002 die Steinmetzen der Firma Huschenbeth Denkmalpflege. Heute kann die neu
entstandene Werkstatt von maximal zehn Personen für handwerkliche Projekte in Holz, Stahl oder Ton genutzt werden.
Besonders reizvoll ist die mittelalterliche Stadtmauer von Mühlhausen
(8), die zwar nicht zum AntoniQ gehört, es aber wunderschön umgibt.
62
2. Interessen und Ziele
Der Eigentümer, Knut Ewers, studierter Sozialpädagoge und „Weltenbummler“, lebt heute selbst in seinem Denkmal. Bis dahin war
es jedoch ein weiter Weg. Allem voran stand sein Entschluss, nach
vielen Jahren des Veranstaltens von Gruppenreisen kreuz und quer
durch Europa an einem schönen Ort anzukommen und wieder
„sesshaft“ zu werden. Ein dem AntoniQ vergleichbares Projekt hatte er bereits an der Nordsee entwickelt, jedoch in kleinerem Rahmen. Der Erlös aus dem Verkauf dieses Objektes ermöglichte es
ihm, sich schließlich auch für sich persönlich ein solch interessantes Objekt aufzubauen. Ein Dreivierteljahr ist er quer durch Deutschland gereist und hatte sich die verschiedensten Objekte angesehen.
Schließlich fand er das, was er suchte über das Internet. Die Stadt
Mühlhausen nutzt die zeitgemäßen Möglichkeiten und stellt ungenutzte, leer stehende Objekte in einer Immobilienbörse zum Kauf
ein, darunter auch die Gebäude des ehemaligen Antoniushospitals.
So war es möglich, dass der neue Besitzer sein „Traumobjekt“ aus
der Ferne finden konnte.
Das richtige Objekt war nun gefunden und es begann die Suche
nach einer günstigen Finanzierungsmöglichkeit. Kleinere, lokal ansässige Banken haben für solche Vorhaben häufig bessere, flexiblere Voraussetzungen.
„Es wollte jedoch keine Bank solch ein waghalsiges Projekt finan­
zieren. Eine große Bank erst recht nicht. Schließlich war es die VR
Bank Westthüringen, die als einzige den Mut hatte, mir eine Chan­
ce zu geben“, schildert Knut Ewers die nervenaufreibende Zeit.
3. Ausgangslage und Befund
Das Gebäude wurde zu DDR-Zeiten vom „VEB Denkmalpflege Mühlhausen“ genutzt und instand gehalten. Fast zehn Jahre nach der Pri-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
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An einigen Stellen wurden WÄHREND der Untersuchungen Malereien aus dem
Barock entdeckt, an zwei Stellen auch Originalfresken vermutlich aus der Bau­
zeit im 13. Jahrhundert. Die Befunde wurden als Sichtfenster erhalten
Nutzung der Kirche: Hochzeit, Chorprobe und festliche Tafel auf der Empore
vatisierung des Betriebes 1990 zog die Firma in geeignetere Räumlichkeiten um. Die Gebäude standen leer, eine geeignete Nachfolgenutzung hatte sich nicht gefunden, bis Knut Ewers das Ensemble entdeckte. Es war wie geschaffen für seine Vorstellungen: Ein kleines
„Dorf in der Stadt“ für die Gäste und Gruppen – das sollte es werden!
Die Dächer der Gebäude waren noch weitestgehend dicht – ein großer Pluspunkt. Trotzdem gab es in allen Gewerken viel zu tun.
Die Nutzung des Ensembles analog zu seiner ursprünglichen Funktion als Herberge konnte unnötige Umbaumaßnahmen verhindern.
Folgekosten und letztendlich auch der damit einhergehende Verlust
von Originalsubstanz konnten vermieden werden. Am Beispiel des
AntoniQ wird deutlich, dass es möglich ist, historische Gebäude mit
denkmalgerechten, Originalität bewahrenden und zugleich wirtschaftlichen Nutzungskonzepten in die Zukunft zu retten. Es zeigt, dass
auch Denkmale mit Eigenschaften, die auf den ersten Blick nicht für
eine zeitgemäße Nutzung geeignet erscheinen, durchaus nutzbar
sind, vor allem, wenn das Nutzungskonzept an den Bestand angepasst
ist. So wird der unwirtliche Gewölbekeller zum schallisolierten Probenraum, der Kirchenraum zum Gemeinschaftsraum, in beiden Fällen
ohne kritische Eingriffe in die historische Substanz. Und die kleinteilige Zimmerstruktur des Hospitals eignet sich hervorragend als Herberge, auch hier ohne größeren baulichen und finanziellen Aufwand.
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Sobald der Lasten-Nutzen-Übergang im Januar 2004 erfolgt war, wurde mit den Arbeiten begonnen. Schließlich war die erste Gruppe für Juli 2004 angemeldet…
�
Die Untere Denkmalschutzbehörde zeigte sich kooperativ, restau-
ratorische Untersuchungen lagen bereits aus früheren Nutzungsüberlegungen vor und wurden zur Verfügung gestellt. Die Umbaumaßnahmen konzentrierten sich dank des auf das Denkmal abgestimmten Nutzungskonzeptes auf wenige Details.
„Unser größter Eingriff in die Substanz war der Rückbau von spä­
ter eingefügten Trennwänden und der Einbau neuer Trennwände,
überwiegend zur Neugestaltung der Sanitärbereiche. Es gab einen
großen Bedarf an eben diesen. Die neuen Bereiche bauten wir mit
Holzständerwänden und Gipskartonbeplankung. So ist alles rever­
sibel und kann ohne Schädigung der Originalsubstanz bei Bedarf
entfernt werden“, beschreibt Knut Ewers die Umbaumaßnahmen.
Das Erhalten und Restaurieren der Originalsubstanz hatte höchste
Priorität. Der Einsatz von ökologischen Baumaterialien wurde einerseits dem Gebäude gerecht und ermöglichte andererseits die Integration von Laien als Helfer im Bauprozess, denn der Umgang mit
Lehm ist einfach zu erlernen. Die fachlich anspruchsvollen Arbeiten
führten Fachbetriebe aus der Umgebung der Stadt Mühlhausen
aus: Putzer, Maler, Steinmetzen, Holzfachfirmen, Heizungsbauer,
Fliesenleger und der ehemalige Nutzer des Gebäudes, die auf Denkmalpflege spezialisierte Firma „Huschenbeth Denkmalpflege“, beteiligten sich.
„Sanierung ist nicht gleich Sanierung. Und vor allem: Sanierung
ist nicht etwas, das plötzlich passiert und dann wieder vorbei ist
– Sanierung ist ein andauernder Prozess. Um das zu zeigen, soll­
te der Erhaltungsprozess eines Denkmalensembles für alle er­
lebbar und greifbar werden“, wünschte sich der Bauherr.
63
9
Mühlhausen
Ein kleines Paradies: Das AntoniQ
Haus Moritz: „Der Bauherr in der Grube… ” Um Platz für
die Zu­ und Abwasserleitungen zu schaffen, drückte
Knut Ewers die Fundamentsteine selbst heraus
Karolin Birkenfeld, die hier ihr freiwilliges Jahr in der
Denkmalpflege absolvierte und viel lernen und auspro­
bieren konnte: Wände verputzen, Holzbearbeitung etc.
Chau Zhu half spontan ein paar Tage mit: Er mauerte
u. a. einen Schacht für den Gewölbekeller, damit man
dort grillen kann
Eine Gruppe reisender Handwerker, die auch mit Hand
anlegten und sich dafür über Kost und Logis freuten –
wie es schon im Mittelalter üblich war
Jugendworkcamp: Den Lehm zu stampfen ist eine an­
strengende Tätigkeit, die in einer Gruppe allerdings viel
Spaß machen kann
Sanierung der Lehmwickeldecke durch Katharina Es­
ser, die ebenfalls ihr freiwilliges Jahr in der Denkmal­
pflege im AntoniQ absolvierte
Die Gestaltung des Bauprozesses in Form einer „gläsernen Baustelle“ unter Einbindung vieler unterschiedlicher Menschen machte nicht nur allen Beteiligten viel Spaß. Sie trug darüber hinaus zur
begeisterten Akzeptanz des Baustellenprojektes im Ort bei. Inzwischen ist im AntoniQ sogar eine von insgesamt zehn Jugendbauhütten Deutschlands eingerichtet.
Den Beteiligten wurde klar, was Denkmalpflege im Alltag bedeuten
kann. Ein wichtiges Ergebnis dieses Projektes ist die Sensibilisierung vieler Menschen für das Leben in und mit Denkmalen durch
den Eigentümer. Die lebendige Baustelle half Bewohnern, Besuchern und Nachbarn während der Bauzeit, Vorbehalte abzubauen
und Begeisterung für historische Substanz zu wecken.
Das Beispiel zeigt darüber hinaus, dass auch auf ungewöhnlichem
Weg ein enger Zeitplan einhaltbar ist: Baubeginn war im Januar 2004,
Ankunft der ersten Besucher-Gruppe war im Juli 2004. Punktgenau
zu ihrer Ankunft waren die ersten Unterkünfte und die Kirche fertig.
Im Januar 2005 konnten die Arbeiten am Haus Moritz beginnen. Der
Zeitrahmen war ebenfalls eng. Bereits ein halbes Jahr später sollte auch hier die erste Gruppe einziehen. Für dieses Objekt wurde ein
Monat mehr Bauzeit als für das Haus Knorr veranschlagt. Die Bauarbeiten, speziell das Einbringen der Fußböden, wurden leider im
Februar von einsetzendem und anhaltendem Frost unterbrochen.
64
Der Sanierungsprozess verlief in vielen Details komplizierter als im
Haus Knorr, obwohl dieses 300 Jahre älter ist. Hierbei wird deutlich,
das Komplikationen bei Restaurierung oder Sanierung nicht zwangsläufig vom Baualter eines Gebäudes abhängen müssen.
Der letzte Bauabschnitt, die Priorei, wurde im März 2008 fertiggestellt. Damit ist die Sanierung des Ensembles komplettiert – auch
wenn es da und dort immer wieder etwas zu sanieren geben wird.
Da es kaum möglich ist, auf alle baulichen Details in erforderlichem
Maße einzugehen, verweist der Bauherr gern auf die unzähligen Bilder, Beschreibungen und Grundrisse der Gebäude auf der Internetseite www.antoniq.de.
Das Leben im AntoniQ nimmt immer mehr Gestalt an im Sinne seiner ursächlichen Zweckbestimmung: Rückzug der Baustelle und
Entwicklung der Anlage als Ort vielfältiger Begegnungen. Sieben
Menschen arbeiten nun schon dort: Da ist der Hausmeister für fast
alle handwerklichen Dinge. Seine Frau sorgt für die Sauberkeit im
AntoniQ. Ein Koch betreibt sein eigenes Catering-Unternehmen in
einem Haus an der Straße, versorgt aber auch die Besuchergruppen. Dessen Frau kümmert sich um alle hauswirtschaftlichen Belange. Knut Ewers selbst widmet sich der Betreuung der Gruppen
und erledigt die nicht enden wollenden Verwaltungsaufgaben.
9
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Viel Platz ist weder in den Viererzimmern im Haus Moritz, noch in den Dreierzimmern im
Haus Knorr – aber durch kreative Raumgestaltung werden die Räume etwas ganz Beson­
deres. Wo gibt’s sonst eine Turnstange im Zimmer?
Für dieses Gebäudeensemble gibt es ein Happy End. Geholfen haben unzählige Menschen, verschiedenster Herkunft, Interessen und
�
Qualifikationen. Knut Ewers ist angekommen in seiner neuen Heimat und schwärmt: „Ich bin immer wieder dankbar, dass die Stadt mir ihren schönsten
Teil verkauft hat. Das AntoniQ ist ein kleines Paradies.“
2006 erhielt Knut Ewers für sein „AntoniQ“ den Thüringischen Denkmalschutzpreis. Ausgezeichnet wurde die qualitätvolle Sanierung
des Anwesens und die gelungene neue Nutzung.
Mittelalterliche Kellergewölbe: Erstklassige Atmosphä­
re für eine Disco, Gruselgeschichten oder als Proben­
raum für Bands. Und niemand hört was ...
städtebauliche Entwicklung der Stadt, und vor allem der historischen Innenstadt, erhebliche negative Folgen gehabt. Durch die ungewöhnliche Idee eines Akteurs konnte das Antoniusquartier in seiner einzigartigen Gesamtheit komplett erhalten und zum Schmuckstück umgewandelt werden.
Die Nutzungsidee lässt sich mit großer Sicherheit auch auf andere
schwierige und großflächige Gebäudestrukturen übertragen – Voraussetzung ist jedoch ein Bauherr wie Knut Ewers, der solche Ideen kreativ und willensstark verfolgt.
Weiterführende Informationen
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Die gute Auslastung des Quartiers und die wiederkehrenden Gruppen zeigen, dass sich das Konzept bewährt hat. Auf die Frage, ob es
irgendetwas gäbe, was er im Nachhinein anders gemacht hätte,
hieß es: „Nein, ehrlich gesagt, nichts. Die Zusammensetzung der
Gruppen hat sich etwas anders entwickelt als erwartet. Ich hatte
vermutet, dass mehr Jugendliche und Schulklassen das Angebot
annehmen – aber natürlich freue ich mich ebenso über Erwach­
senengruppen, Kochkurse, Seminargruppen und vieles andere,
was hier geschieht. Der eigentliche Reiz liegt in der Vielfalt der
Nutzungen, die meine eigene Fantasie oft übersteigt.“
Das AntoniQ in Mühlhausen ist inzwischen Ziel für viele Gäste, junge und alte Menschen aus verschiedenen Regionen und Städten –
auch hier dank intensiver Internetpräsenz. Das Quartier ist ein beliebter touristischer Anziehungspunkt für Menschen, die Alternativen suchen. Mit ca. 10.000 Übernachtungen bedeutet es für die
Stadt einen erheblichen Mehrwert wirtschaftlicher, kultureller und
sozialer Art.
Die Revitalisierung dieses (bau-)kulturell bedeutenden Quartiers
aus dem Mittelalter ist nicht nur ein Glücksfall für die wertvollen Gebäude, sondern für die gesamte Stadt Mühlhausen. Es schien anfangs kaum möglich, einen Nutzer für ein so umfangreiches Vorhaben zu finden. Der befürchtete Verfall des Ensembles hätte für die
Freiwilliges Jahr in der Denkmalpflege (FJD) und Jugendbauhütten
Freiwilligendienst ist bürgerschaftliches Engagement für junge Leute. Junge Menschen zu einer intensiven Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe zu bewegen, ist der Deutschen Stiftung Denkmalschutz
ein besonderes Anliegen. Wenn es gelingt, auch jungen Menschen die
Faszination historischer Bauten, alter Handwerkstechniken und Bauweisen zu vermitteln, hat die Vergangenheit eine Zukunft.
Die von der Stiftung ins Leben gerufenen „Jugendbauhütten“ bieten
seit einigen Jahren den Rahmen für ein „Freiwilliges Jahr in der
Denkmalpflege“. Anknüpfend an die Tradition der mittelalterlichen
Bauhütten bietet diese Sonderform des Freiwilligen Sozialen Jahres praktische Erfahrungen und eine erste berufliche sowie persönliche Orientierung. Innerhalb eines Jahres können Jugendliche im
Alter von 16 bis 26 Jahren in Handwerks- und Baubetrieben, denkmalpflegeorientierten Vereinen, bei Architektur- und Planungsbüros oder Denkmalbehörden mitarbeiten. Das FJD bietet die Gelegenheit, sich mit Fragen der Denkmalpflege theoretisch und praktisch vertraut zu machen in Tätigkeitsfeldern wie Unterstützung bei
der Sanierung von Gebäuden und Objekten, Lernen und Ausüben
traditioneller Handwerkstechniken und Restaurierungsarbeiten.
Die Dauer beträgt in der Regel 12 bis 18 Monate.
Neben der Jugendbauhütte im AntoniQ in Mühlhausen gibt es bislang neun weitere Jugendbauhütten.
www.denkmalschutz.de/jugendbauhuette oder www.ijgd.de
65
Nicht nur vertraute Wahrzeichen wie Stadttore, Kirchen und
Rathäuser, mittelalterliche Klostergebäude und prachtvolle
Kaufmannshöfe sind das historische Gedächtnis unserer Städte,
sondern auch die schlichten Ackerbürgerhäuser, gründerzeitlichen
Mietskasernen und privaten Wohnhäuser. Gemeinsam bilden
sie den vielfältigen und einzigartigen historischen Baubestand,
den es als Ensemble und im Detail zu sichern gilt.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz 10
Neustrelitz
Statt Eigenheim auf der grünen Wiese
ein Denkmal in der Altstadt: Das Drei­Generationen­Haus
Lageplan
Noch heute ist die Straßenfront der Seestraße in Neustrelitz geprägt von einer Reihe
sehr ähnlicher Baukörper aus der Entstehungszeit der barocken Residenzstadt
Grundriss EG VOR der Sanierung: Die Raumstrukturen wurden weitestgehend bei­
behalten. Dort, wo die Nutzung durch drei Familien Trennwände erforderte, wurden
Leichtbau­Wände erstellt, die jederzeit wieder entfernt werden können
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Projektdaten
Objekt
Sanierung eines barocken Wohngebäudes der
sternförmig angelegten Planstadt
Bauherren
Familie Ott, Seestraße 4, 17235 Neustrelitz
Planung
Mercur Bauplanungen Neustrelitz GmbH
Bauzeit
2002 – 2004
Kosten
306.900 Euro (ohne Erwerb)
Förderung
Programm Städtebaulicher
Denkmalschutz: 51.500 Euro
Kontakt
Sylvia Ott, Telefon 03981 443631
1. Stadt und Haus
Neustrelitz wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts zur Residenz des
neugegründeten Herzogtums von Mecklenburg-Strelitz ernannt. In
diesem Zusammenhang begann ab 1733 die Gestaltung der Stadt als
barocke Residenz auf sternförmigem Grundriss, in deren Zentrum ein
quadratischer Platz mit acht strahlenförmig abgehenden Straßen
liegt. Neustrelitz wurde als „Planstadt“ nach strengen Symmetrievorstellungen geplant und errichtet. Diese typische Struktur und viele
der barocken Gebäude blieben im Wesentlichen bis heute erhalten
und sind in ihrer Gesamtheit als Flächendenkmal geschützt.
Die Seestraße liegt im Zentrum der Stadt, sie verbindet den Marktplatz mit dem Zierker See. Im 18. Jahrhundert, als die Straße entstand,
war sie eine ruhige Straße, in der überwiegend Hofbeamte wohnten.
Das Denkmal Seestraße 4 ist ein barocker eingeschossiger Fachwerkbau mit verputzter Straßenfassade aus der Gründungszeit von
Neustrelitz um 1750. Hofseitig schließt sich ein historischer Anbau
an, in dem sich einst die Mägdekammern befanden. Durch Erweiterung des Gebäudes um einen modernen Wintergarten mit Dachterrasse konnten auch die Wünsche nach zeitgemäßem Wohnen erfüllt
werden. Insgesamt vier abgeschlossene Wohneinheiten sind auf de
Gesamtfläche von 303 m² entstanden. Der am Hang gelegene historische Hausgarten bietet den Bewohnern zudem eine weitere Qualität für das Wohnen in der Stadt.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Hofseitige Fachwerkfassade WÄHREND und NACH der Sanierung
10
Auf dem historischen Anbau entstand ein Wintergar­
ten, dessen moderne Formensprache bewusst einen
Kontrast zur historischen Substanz bildet
Die Seestraße 4 in den 1930er Jahren: Zustand beim Kauf 2002 und NACH der Sanierung. Die historischen Fenster wurden nach dem Bestand und nach historischen Abbil­
dungen rekonstruiert
2. Interessen und Ziele
Familie Ott, deren ursprüngliche Wohnvorstellungen ein Haus auf
der grünen Wiese waren, wurde durch die Initiative der Stadt auf die
historische Altbausubstanz aufmerksam gemacht – und verliebte
sich stehenden Fußes in das barocke Fachwerkhaus.
„Eigentlich waren wir auf der Suche nach einem Baugrundstück
am Stadtrand. Unser Traum war es, ein modernes Einfamilienhaus
zu bauen. Unsere Anfrage beim Bauamt bezog sich auf ein Bau­
grundstück. Wir wurden jedoch auf eine ganz andere Fährte ge­
lockt. Es gäbe sehr schöne Denkmale in der Innenstadt, hieß es...“,
erinnern sich die Eigentümer heute und betrachten liebevoll ihr wieder auferstandenes Denkmal. „Als wir das Haus zum ersten Mal sa­
hen, stand unser Entschluss fest: Das sollte es sein und kein ande­
res. Wir waren regelrecht verliebt – das gab uns jede Menge Kraft
für die doch etwas anstrengende Zeit auf der Baustelle!“
3. Ausgangslage und Befund
Das Gebäude war zwar bis zum Kauf von einem alleinstehenden älteren Herren bewohnt, jedoch in allen Bereichen stark sanierungsbedürftig. Das Fachwerk zeigte Schwammbefall, die tragenden Hölzer des Dachwerkes, insbesondere die Sparrenköpfe, waren in
schlechtem Zustand.
„Der letzte Mieter ist friedlich ausgezogen, nachdem wir das Haus
gekauft hatten. Es war uns wichtig, mit ihm in freundschaftlichem
Kontakt zu bleiben“, denkt Frau Ott zurück, „schließlich konnte er
uns noch viel über unser Haus erzählen. Leider ist er mittlerweile
verstorben. Ein Gemälde hat er uns vererbt, das hängt nun wieder
in der Wohnstube, wo es schon so viele Jahre gehangen hatte.“
Trotz des schlechten Bauzustandes war besonders im Inneren ein
großer Bestand an barocken Baudetails erhalten geblieben. Türen,
Beschläge, Ofeneinbauten und die historische Treppe waren außergewöhnliche Zeugnisse für die Wohnkultur um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Diese zu erhalten war denkmalpflegerische Auflage, aber
kein empfundener „Zwang“ für die Bauherren, denn sie nahmen diese „Regeln“ dankbar an und verstanden sie als Hilfestellung beim Planungsprozess. Die Allgegenwärtigkeit der Historie des Objektes hat
die neuen Besitzer in solchem Maße für das alte Haus eingenommen,
dass es ihnen ein Bedürfnis war, soviel wie möglich zu erhalten.
Neben den auf den ersten Blick sichtbaren Befunden zeigten sich im
Rahmen der restauratorischen Untersuchungen eine Vielzahl von
Befunden, die den neuen Eigentümern einen Einblick in die Gestaltung ihres Hauses zur Bauzeit vor rund 250 Jahren ermöglichte. Es
war wie ein Kennenlernen.
69
10
Neustrelitz
Statt Eigenheim auf der grünen Wiese
ein Denkmal in der Altstadt: Das Drei­Generationen­Haus
Die historische Eingangstür: Sie ist der große Stolz der Bauherren,
wurde original erhalten und liebevoll restauriert
Ein bauzeitliches Fenster im Giebel: Es wurde restauriert und wieder eingesetzt, die
nachträglich verputzte Fachwerkfassade wurde nach Befund restauriert
VORHER und NACHHER: Die barocke Treppe und unzählige Details konnten restau­
riert werden, die Farbgestaltung orientiert sich an den historischen Befunden
Freigelegter Tapetenbefund im Treppenhaus: Als wertvolle „Berichterstatter“ aus der
Entstehungszeit des Hauses bekamen Tapetenfragmente einen Ehrenplatz
„Jeder Schnipsel, den wir oder die Restauratoren gefunden ha­
ben, ist für uns von unwiederbringlichem Wert. Hier im Bilder­
rahmen ist ein Fragment der barocken Tapete. So hat hier alles
einmal ausgesehen. Uns gab dieser Befund einen Anhaltspunkt
zur farbigen Gestaltung der Eingangshalle“, erklärt die Eigentümerin mit leuchtenden Augen. „Und in der Zeitung, die sie damals
als Makulatur klebten, fand ein Handwerker eine Annonce seines
Urgroßvaters. Die durfte er natürlich mit nach Hause nehmen!“
Kellertür, auch wenn es zieht. Das letzte aus der Bauzeit erhaltene
Fenster im Giebel wurde restauriert und wieder eingesetzt. Um den
Anforderungen an Isolierung gerecht zu werden, wurde von innen ein
modernes Fenster vor das historische gesetzt. So konnte das historische Fenster seinen Platz in der Fassade behalten. In die bauzeitliche
Räucherkammer zog der begehbare Kleiderschrank ein. So fand jeder bauhistorische Befund eine neue Nutzung.
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Gegenseitiges Vertrauen und Verständnis war für die Bauherren von
Anfang an die Grundlage eines reibungslosen Bauablaufs. Wichtig
war auch die ständige Kommunikation bei der Planung ebenso wie
im Bauprozess. Nur so war es möglich, immer flexibel reagieren zu
können. Um in der Bauphase vor Ort zu sein, nahmen sich die Eigentümer vorübergehend eine Mietwohnung in der Stadt.
„Von unserer ‚Zentrale’ aus konnte ich die Baustelle, die Planer und
auch das Bauamt in kürzester Zeit erreichen. Täglich war ich ei­
gentlich überall – das war wichtig und hat uns sehr viele Probleme
erspart“, erklärt Silvia Ott, die während der Planung und Bauzeit auf
bewundernswerte Art und Weise den Überblick behielt – und das,
ohne je zuvor etwas mit Bauen zu tun gehabt zu haben.
Das emsige, kommunikative Hin- und Herlaufen konnte Nachträge
und Zusatzkosten ersparen. Wöchentliche Baubesprechungen im
Garten lösten Fragestellungen im gemütlichen Rahmen.
Viele einzigartige Details wurden erhalten und liebevoll restauriert.
Auch das, was schief war, konnte so bleiben, wie beispielsweise die
70
Ein Teil der Originalsubstanz, insbesondere im Dachstuhl, musste
jedoch ersetzt werden. „Ich habe um jeden Zentimeter Balken ge­
kämpft“, erinnert sich Silvia Ott an die Baubesprechungen. Der
Schädlingsbefall war jedoch weit fortgeschritten. Gemeinsam mit
dem Landesamt für Denkmalpflege entwickelten die Eigentümer
Sanierungsideen, so geht z. B. die Verwendung von Porotonstein für
die Ausfachung im Dachgeschoss auf einen Vorschlag der Denkmalpflege zurück, eine wirtschaftliche und zugleich denkmalverträgliche Entscheidung.
Die Grundrisse wurden durch Herausnehmen von Gefachen und das
Errichten von neuen Wänden an die Wohnanforderungen der Familie
angepasst. Sichtbar gebliebene Fachwerkelemente und Befunde in
Form von „Sichtfenstern“ prägen das Wohnambiente. In den Bereichen, die neu errichtet wurden, beispielsweise im ausgebauten Dachgeschoss, wurden bewusst moderne Türen eingesetzt. In enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege waren alle Vorstellungen der Bauherren realisierbar.
Selbst die Baufirma wurde vom „Altbaufieber“ angesteckt. Bis heute funktioniert die Kommunikation zwischen der Baufirma und den
Eigentümern: Wenn sich ein interessantes Altbauprojekt für die Fir-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
10
Detail der Beschläge im Treppenhaus aus der Barock­ und Gründerzeit
Die blaugraue Farbfassung im Treppenbereich ist typisch für die Entstehungszeit
und wurde in die Gestaltung des Treppenraumes einbezogen
Sichtbar gewordene historische Oberflächen, wie der Lehmputz im Wohnzimmer,
wurden als „hauseigenes Bild” gerahmt
Die Wohnküche ist der Lieblingsplatz der Familie: Die Gefache der ehemals raum­
trennenden Fachwerkwand wurden entfernt, um den Raum zu vergrößern
ma ankündigt, ist die einstige Bauherrin gerne Zaungast, gemeinsam bergen sie historische Baustoffe zur Wiederverwendung.
nem Leben zu erwecken und sich ein wunderbares Zuhause zu
schaffen. Das Haus der Familie Ott steht auch für Hilfe und Anregungen offen. Ihr erworbenes Fachwissen zur Verfügung zu stellen,
ist das Anliegen der Bauherren: Kommen Sie vorbei!
2005 erhielt Familie Ott den Bauherrenpreis der Stadt Neustrelitz sowie den 1. Preis beim Zweiten Bauherrenwettbewerb der Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern..
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Das nun sanierte Denkmal hatte eigentlich nichts mit den ursprünglichen Vorstellungen vom neuen Heim der Familie Ott gemein: Mitten in der Stadt, ganz und gar nicht modern und dann auch noch viel
zu groß... Doch nach und nach stellte sich heraus, dass dieses Gebäude viel besser zu ihnen passte, viel mehr erfüllen konnte, als ein
Neubau auf der grünen Wiese. Die Familie hatte nicht vermutet,
dass ein so zentral gelegenes Zuhause einen verwunschenen Garten mit wunderschönem Blick im Hinterhof bieten konnte, dessen
Flair nicht vergleichbar ist mit einem Garten im Neubaugebiet. Dank
der Größe konnten die Schwiegereltern mit einziehen und auch die
Söhne bekamen ihr eigenes Reich. Eine Wohnung kann sogar noch
als Ferienwohnung vermietet werden.
„Wenn es finanziell möglich wäre, würden wir sofort weiterma­
chen“, äußert die Eigentümerin. Weitere Denkmale in Neustrelitz
zu sanieren wäre ihr Wunsch, wofür jedoch derzeit das nötige Geld
fehlt. So konzentriert sich ihre Bau-Energie weiterhin auf die Seestraße 4. Etwas gibt es immer zu tun: Den Hof pflastern, Sitzbänke
aus alten Balken bauen etc.
Ein vorbildhaft saniertes Objekt mit glücklichen Eigentümern wie
das Projekt in der Seestraße 4 hat große Vorbildfunktion für das
städtebauliche Umfeld. Wie Perlen einer Kette stehen die barocken
Fachwerkgebäude entlang der Straßen. Sie sind nicht uniform, aber
in ihrer räumlichen Struktur, Beschaffenheit und vom Planungsaufwand vergleichbar. Unentschlossene mag es ermutigen, Gleiches zu
tun. Es ist für alle Bürger einsehbar, dass es auch fachlich fremden
Personen möglich ist, ein Denkmal für sich zu erschließen, zu eige-
Weiterführende Informationen
Vermittelnde Initiative der Stadt
Die Stadt Neustrelitz verfolgt für ihr Eigentum an Altbauten ein erfolgreiches Konzept, das ihre Zukunftsvisionen von einer lebendigen
Altstadt Wirklichkeit werden lässt: Kaufinteressenten werden in direktem Kontakt mit der Stadtverwaltung entsprechend ihres individuellen Bedarfes beraten und über passende Angebote im Portfolio informiert. Ziel ist es, mit der Vermittlung und Beratung einerseits die
Eigentumsquote im Altstadtbereich zu erhöhen und andererseits den
Bestand wertvoller Denkmale durch zukunftsfähige Nutzungen nachhaltig zu sichern.
Andere Städte bieten ähnliche Programme. So veranstaltete z. B.
Güstrow mehrfach einen „Bauherrentag“, an dem gleichzeitig zum
Verkauf stehende Altbauten präsentiert und Baufirmen, Banken und
Berater sowie Vertreter der Verwaltung eingeladen wurden. Ziel war
es, potentiellen Altbaukäufern alle notwendigen Informationen zu
bieten und Begeisterung für eines der Gebäude zu wecken.
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Prora auf Rügen
Überblick über die Lage der ehemaligen KdF­Anlage an der Ostsee
Projektdaten
Objekt
Sanierung und Umnutzung eines
Mehrzweckgebäudes aus den 1930er Jahren
Bauherr
Ulf und Yvonn Dohrmann, Südstraße 18 a,
18609 Binz, OT Prora
Planung
Arcasa Architekten, Bödekerstr. 85, 30161 Hannover
und Masterdesign Dipl.-Ing. Dieter Neikes,
[email protected]
Bauzeit
2007
Kosten
Ca. 850.000 Euro
Förderung
Keine Förderung, Eigenfinanzierung und -leistung
der Bauherren
Kontakt
Ulf und Yvonn Dohrmann, [email protected]
1. Stadt und Haus
Der Binzer Ortsteil Prora auf der Ostseeinsel Rügen befindet sich
zwischen den Orten Sassnitz und Binz an einer weitläufigen Meeresbucht. Im Jahre 1577 wurde erstmals eine Hügelkette unter dem
Namen Proase erwähnt. Der eigentliche Ortsname geht vermutlich
auf eine Gründung durch die Familie von Putbus um 1800 zurück.
Besondere Bekanntheit erlangte Prora durch die zwischen 1935 und
1939 geplante und zum Teil realisierte Ferienanlage der Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF). Das so entstandene Seebad erstreckt sich in Form von acht aneinander gereihten baugleichen
Häuserblocks auf einer Länge von etwa 4,5 km entlang des geschwungenen Küstenverlaufs. In den Gästehäusern der Organisation sollten nach Fertigstellung 20.000 Menschen gleichzeitig Urlaub
machen können. Die Großbaustelle Prora kam jedoch 1939 zum Erliegen und der geplante Komplex wurde nie vollendet. Nach Ende
des Zweiten Weltkrieges demontierten sowjetische Truppen Teile
der Anlage. Nach einer Übergangszeit, in der die Kasernierte Volks-
72
Haus Dohrmann: Teil der ehemaligen KdF­Anlage
Lageplan
polizei auf dem Gelände stationiert war, wurde das Areal ab den
1950er Jahren von der Nationalen Volksarmee der DDR als Militärstandort ausgebaut. Nach der Wiedervereinigung wurde die Anlage
noch kurzzeitig von der Deutschen Bundeswehr genutzt. Nach deren Auszug blieben die Gebäude ungenutzt.
Seither steht der gewaltige Gebäudekomplex, zunächst im Eigentum
des Bundes, vor einem Nutzungsproblem. Es fanden sich zwar immer wieder Initiativen und Ansätze einer Nutzung, die sich aber jeweils auf Teilbereiche oder Gebäudeabschnitte begrenzten und auch
zeitlich vielfach nur von kurzer Dauer waren, so dass bis heute keine angemessene und dauerhafte Lösung für einzelne Gebäude oder
die Gesamtanlage des „Koloss‘ von Rügen“ gefunden werden konnte. So richteten sich ab 1994 Museen und Künstler, darunter z.B. ein
„Büchercafé“, in kleinen nutzbaren Einzelbereichen ein. Auch sie verließen das Gelände inzwischen zum Teil wieder, nachdem sich Eigentumsverhältnisse und Investitionsabsichten der Eigentümer Ende
2006 erneut veränderten. Inzwischen befinden sich nur noch Teilbereiche im Besitz des Bundesvermögensamtes. Mit der Prora Projektentwicklungsgesellschaft mbH, dem Landkreis Rügen und privaten
Käufern einzelner Bauten kamen weitere Eigentümer hinzu.
Neben der monumentalen Anlage gibt es eine Vielzahl weiterer
Gebäude in deren Rückbereich. Eines davon ist das Gebäude Südstraße 18 a: Es entstand in der Bauvorbereitungsphase als Nebengebäude der ehemaligen KdF-Anlage und wurde ursprünglich als
Speisesaal des Reichsarbeitsdienstes genutzt. Das 1936 erbaute
Objekt befindet sich ca. 70 m östlich der großen Gästehäuser im Inneren der Insel. Es liegt am Rande einer Siedlung kleiner Wohnhäuser ebenfalls aus den 1930er Jahren, die als Wohnraum für die Angestellten der Ferienanlage gedacht waren.
Während des späteren militärischen Betriebes der Anlage diente
das Gebäude auf dem KdF-Areal als Offizierskasino mit Kino und
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
11
Das ehemalige Mehrzweckgebäude VOR und NACH der Sanierung: Deutlich zu erkennen sind die für größeren Lichteinfall angepassten Fenster­ und Türöffnungen
Bühne. Nach Abzug der letzten Truppeneinheiten Anfang der 1990er
Jahre wurde der Bau für die Bewohner der Umgebung öffentlich zugänglich, so dass er auch für private und öffentliche Feiern, wie z.B.
Jugendweihen, genutzt werden konnte.
Als Teil des Gesamtensembles steht das Gebäude der ehemaligen
Mehrzweckhalle heute ebenso wie die Gesamtanlage „Seebad Prora“ unter Denkmalschutz.
2. Interessen und Ziele
Rund anderthalb Jahre hatte sich das ortsansässige Ehepaar Ulf
und Yvonn Dohrmann, Geschäftsleute aus Binz, nach einem passenden Einfamilienhaus auf der Insel Rügen umgesehen. Von vorneherein stand für beide fest, dass es unbedingt ein Denkmal sein sollte. Das Paar hörte sich bei Freunden und Verwandten um und sah
sich immer wieder angebotene Immobilien im Ort an. Lange hatte
sich darunter nichts Geeignetes befunden – bis zu dem Tag, an dem
sie durch Zufall auf das Objekt Südstraße 18 a aufmerksam wurden:
„Durch Vermittlung von Bekannten stießen wir auf diesen leer­
stehenden und ziemlich heruntergekommenen Bau. Sowohl die
Lage als auch die Größe fanden wir interessant. Hinzu kamen der
Strand in nur 150 m Entfernung und das zum Grundstück gehöri­
ge kleine Wäldchen“, erinnern sich die Bauherren noch gut.
Nach den ersten Begehungen des ehemaligen Mehrzweckgebäudes
im August 2006 zog das Bauherrenpaar einen Architekten hinzu, mit
dem es gemeinsam ein Konzept für die rund 750 m2 große Liegenschaft erstellte. Durch die Gebäudegröße und die professionelle Beratung ergab sich die Idee einer Umnutzung, bei der neben der Privatwohnung für die Eigentümer gleich mehrere Ferienappartements
entstehen konnten. Die geplante Vermietung an Urlauber sollte der
jungen Familie nicht nur die Refinanzierung des Projektes ermöglichen, sondern langfristig betrachtet, auch ein zweites berufliches
Standbein bieten. Hinzu kommt, dass sich aus der geringen Entfernung zum Arbeitsort in Binz für die Familie ein weiterer Vorteil ergibt, der in den kurzen An- und Abfahrtswegen besteht.
3. Ausgangslage und Befund
Die ehemalige Mehrzweckhalle – ein ursprünglich eingeschossiges
L-förmiges Gebäude – „erlebte“ in den Jahrzehnten vor dem Umbau durch Familie Dohrmann recht vielfältige Nutzungen. Seit etwa
1992 stand sie jedoch fortwährend leer und blieb seither ungenutzt.
Zwischenzeitlich existierten Pläne für eine Umnutzung als Kindergarten, die jedoch nicht umgesetzt wurden.
Bei ersten Begehungen bot sich den angehenden Bauherren äußerlich ein zwar leicht verwunschenes, jedoch insgesamt intaktes Bild
vom Gebäude. Sowohl Dachkonstruktion als auch Außenmauern
wiesen auf den ersten Blick keine erheblichen Mängel oder Schäden auf. In guter Voraussicht waren die Fenster- und Türöffnungen
allseits zum Schutz vor Feuchtigkeit und Eindringlingen mit Spanplatten verschlossen worden, wodurch es vor Vandalismus und anderen Schäden bewahrt blieb. Wenn das Haus auch zugewachsen
war, und die Wege kaum mehr erkennbar waren, waren sich Bauherr und Architekt bald darüber einig, dass das Gebäude in einem
prinzipiell soliden Zustand war.
Ein großes Problem offenbarte sich den Bauherren jedoch kurz
nach dem Erwerb: „Den größten Schreck bekamen wir, als wir er­
fuhren, dass sich im Dach der Hausbockkäfer eingenistet hatte
und wir daher die gesamte Dachkonstruktion zu erneuern hät­
ten“, berichtet Herr Dohrmann.
Durch präzise Ergebnisse aus weiteren Wert- und Bodengutachten
konnten verlässliche Aussagen zum Befall und den erforderlichen
Maßnahmen getroffen werden, so dass der geplante Zeitrahmen für
die Sanierung trotzdem eingehalten werden konnte.
73
11
Prora auf Rügen
Haus Dohrmann: Teil der ehemaligen KdF­Anlage
VOR der Sanierung: Die Größe des Objektes lässt bereits erahnen, welche Nutzungsmöglichkeiten in dem Gebäude stecken
Innenraum VOR der Umbauphase und Außenfassade WÄHREND der Sanierung
4. Maßnahmen und Ergebnisse
Die Bauherren hatten sich ganz bewusst für ein Denkmal entschieden, weil sie im Aufspüren historischer Details und Spuren der Vergangenheit einen besonderen Reiz sahen. „Die Bühne im großen
Saal war teilweise mit roten Samtvorhängen aus der Zeit ausge­
stattet, in der dort noch Aufführungen stattfanden. Diese Über­
reste aus vergangenen Zeiten machten dieses Gebäude für mich
umso mehr zu einem ganz besonderen Ort“, erinnert sich der Bauherr an seine ersten Eindrücke.
Mit dieser Haltung und dem Interesse am besonderen Ort stellten
sich die Bauherren auch den spezifischen Herausforderungen der
Denkmalpflege. Die Nutzungsänderung des Gebäudes erforderte
Eingriffe in die bauliche Substanz, die einen umfassenden Verständigungsprozess mit der Denkmalpflege voraussetzten. Nach Erwerb des Objektes im Januar 2007 bestand der erste und wichtigste Schritt in der Beantragung einer Nutzungsänderung mit allen
Konsequenzen. Diese wurde im Einverständnis mit der zuständigen
Denkmalbehörde erwirkt, so dass die neuen Eigentümer mit Unterstützung ihres Architekten die Sanierung beginnen konnten. Konkrete Auflagen betrafen die Farbe der Schindeleindeckung, die anthrazitfarben beibehalten werden musste sowie die helle Außengestaltung der Fassade. Außerdem waren zwei der insgesamt acht
Holzgebinde des Dachstuhls zu restaurieren und im Originalzustand
zu erhalten.
74
Verbarrikadierte Fenster und ein mit Gras und Gebüsch überwuchertes Gelände
machten das Grundstück zu einem verwunschenen Ort aus vergangener Zeit
Nach Aufräumarbeiten im Außen- und Innenbereich wurde mit der
Beseitigung der vorgefundenen Mängel begonnen. Der attestierte
Schädlingsbefall machte eine neue Dachkonstruktion erforderlich,
weshalb das alte Tragwerk entfernt und durch eine neue, freiliegende Konstruktion ersetzt wurde.
Dieser Eingriff eröffnete den Dohrmanns die Chance, zusätzliche
Oberlichter und Dachfenster für besseren Lichteinfall und mehr Tageslicht in die neue Konstruktion einzufügen. Zuvor hatten sich
Bauherren und die zuständige Denkmalbehörde in ausführlichen
Gesprächen einvernehmlich verständigt und nach einer annehmbaren Lösung gesucht. Weitere Änderungen betrafen insbesondere
das äußere Erscheinungsbild. Auch hier konnte unter der Maßgabe
einer besseren Belichtung die ursprüngliche Größe einiger Fenster
so verändert werden, dass diese als „Fenstertüren“ nun auch den
Zugang zur Terrasse bieten. Der ehemalige Eingang des Kinos wurde in seiner Größe an die übrigen Eingänge angepasst, was das einheitliche Erscheinungsbild unterstützt. In die Originalsubstanz und
die Kubatur wurde jedoch nicht eingegriffen, ebenso blieb auch der
bauzeitliche Außenputz in Kratzputzstruktur weitgehend erhalten
oder wurde punktuell ausgebessert.
Die hohen Walmdächer des Gebäudes, die auf eine als (Mehrzweck-)
Halle ausgerichtete Nutzung hinwiesen, wurden nutzbar gemacht,
indem ein zweites Geschoss eingezogen wurde. Das eröffnete
schließlich die Möglichkeit eines Einbaus mehrerer so genannter
„Loft-Appartements“ auf der hinzu gewonnenen Fläche.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Die Außenanlagen wurden grundlegend neu strukturiert
11
WÄHREND der Sanierung: Blick in den Dachstuhl
Auch im Außenbereich wurde das Umfeld der künftigen Nutzung entsprechend attraktiv gestaltet und aufgewertet
Damit entstanden in einem Flügel des L-förmigen Baus sechs Ferienlofts in den Größen von 43 bis 54 m2. Im anderen Flügel richteten sich die Eigentümer ihre Privatwohnung mit ca. 460 m2 ein. Die
derzeitige Fläche bietet für die bisher dreiköpfige Familie Dohrmann ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten und zudem die Option,
bei wachsendem Bedarf, weitere Lofts einrichten zu können.
„Wenn wir unsere Geschichte erzählen, glaubt die uns keiner“, erzählt Frau Dohrmann, „aber bereits im August 2007 konnten wir
nach nur einem halben Jahr Bauzeit unsere Ferienanlage ‚Haus
Dohrmann’ feierlich eröffnen und unseren Gästen sechs aufwendig
und individuell eingerichtete Loft­Appartements anbieten. Und
auch selber konnten wir in unser neues ‚Reich’ einziehen.“
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Der besondere Wert des Projektes „Haus Dohrmann“, das als Gebäude weder in einer kompakten innerstädtischen Siedlungsstruktur, noch innenstadtnah liegt, besteht darin, dass es Aushandlungsoptionen hinsichtlich spezifischer Forderungen der Denkmalpflege
verdeutlicht. Hier wurde eine Lösung für ein historisches Gebäude
entwickelt, die beispielhaft demonstriert, dass bei frühzeitiger und
offener Kommunikation mit der Denkmalpflege eine Verständigung
darüber, was zu erhalten ist und, was für eine sinnvolle, zeitgemäße
Nutzung zu gestalten ist, erzielt werden kann.
Durch private Initiative konnte das lange leerstehende, ungewöhnliche und ungenutzte Denkmal mit schwierigem Hintergrund wiederhergestellt werden und eine neue und regionaltypische Nutzung
erhalten, die sein Überleben sichert.
Das Ehepaar Dohrmann realisierte das Projekt mit großem Elan und
hohem persönlichen Einsatz. Für die Planung und Umsetzung beauftragten sie einen namhaften und auch international tätigen Architekten, der langjährige Erfahrungen im Bereich des Denkmalschutzes aufweisen konnte und neben Denkmalschutzpreisen auch
den Niedersächsischen Staatspreis für Architektur erhalten hatte.
Hervorzuheben ist, dass die Bauherren das gesamte Projekt mit Eigenmitteln finanziert und keinerlei Fördermittel in Anspruch genommen haben. Dies konnte nur durch eine genaue Kalkulation der
bereits erwähnten Refinanzierung über die Vermietungseinnahmen
der Ferienlofts realisiert werden. Zusätzliche, unvorhergesehene
Kosten blieben während des Bauablaufs glücklicherweise aus, denn
„aufgrund der umsichtigen Planung des Architekten und einer
ebenso umsichtigen Zusammenarbeit mit den Behörden sowie
dem vorausschauenden Zusammenspiel von Architekt, Bauleitung
und den ausführenden Firmen lief alles genau nach Plan. Wir kön­
nen im Nachhinein nichts Negatives anführen. Es war eine kurze,
anstrengende und arbeitsreiche Zeit, die uns aber viel Erfahrung
75
11
Prora auf Rügen
Haus Dohrmann: Teil der ehemaligen KdF­Anlage
NACH der Sanierung bereichern Grünflächen und Beete die Ferienanlage: Oberlichter
im Dach und erweiterte ebenerdige Fensteröffnungen sorgen für mehr Tageslicht
Ansicht von Nordosten und von Südwesten auf das Gebäude
Grundrisse OG und EG: Die Eigentümer haben sich ihre private zweigeschossige Woh­
nung im südlichen Abschnitt des Gebäudes (links außen) eingerichtet. Im rechten
Grundrissteil befinden sich die ebenfalls zweigeschossigen Ferienappartements
Weiterführende Informationen
und einen hohen persönlichen Mehrwert gebracht hat“, fasst Frau
Dohrmann die Erinnerungen an diese Phase zusammen.
Für die traditionell als Urlaubsorte bekannten und beliebten Orte
Binz und Sassnitz auf Rügen bedeutet diese neue Ferienanlage einen auch architektonisch außergewöhnlichen Gewinn. Vor dem Hintergrund eines historisch bedeutsamen Ortes mit einer zwiespältigen Vergangenheit, bietet diese neu geschaffene Herberge sowohl
Urlaubern als auch Besuchern der KdF-Anlage eine angenehme
und ebenso ungewöhnliche Unterkunft. Nach Außen strahlt das
Projekt Ausgewogenheit in der räumlichen Struktur, Veränderung
im Detail und Kontinuität in der Gesamtwirkung des Erscheinungsbildes aus. Das Ensemble gehört nunmehr zu den bisher wenigen
Gebäuden der Gesamtanlage mit überzeugender Nutzung und
könnte Initialwirkung für weitere Aktivitäten dieser Art ausüben. Darüber hinaus trägt es dazu bei, die Brisanz des Ortes positiv und zukunftsweisend zu verarbeiten.
„Wir haben in dieser Zeit viele neue, nette Leute kennen gelernt.
Wir wohnen jetzt seit August 2007 mit unserer 3­jährigen Tochter
in diesem wunderschönen Haus und erfreuen uns jeden Tag er­
neut daran“, sagt das Bauherrenpaar, verbunden mit der Einladung, im „Haus Dohrmann“ einmal Urlaub zu machen.
76
(1) Denkmalschutz und Denkmalpflege in Deutschland
Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland gehören
Denkmalschutz und Denkmalpflege zu den originären Aufgaben der
Länder, die diesen Bereich entsprechend den Länder-Denkmalschutzgesetzen inhaltlich und administrativ zu bestimmen haben.
Zuständige Behörden
Je nach Bundesland ist Denkmalschutz als einstufige Verwaltung
(z. B. Saarland), zweistufige Verwaltung (z. B. Hessen) oder dreistufig (z. B. Baden-Württemberg) organisiert. Denkmalrechtliche Genehmigungen erteilt in der Regel die Untere Denkmalschutzbehörde. Diese ist meistens bei Städten und Landkreisen angesiedelt
(Ausnahmen: Nordrhein-Westfalen und die Stadtstaaten). Oberste
Denkmalschutzbehörde ist das zuständige Ministerium (in Stadtstaaten der zuständige Senator).
Neben unterer und oberster Denkmalschutzbehörde gibt es in den
meisten Bundesländern ein Landesamt für Denkmalpflege als
Denkmalfachbehörde (im Einzelnen mit leicht abweichender Bezeichnung). Dort ist das denkmalpflegerische Fachwissen gepoolt,
das aus Kostengründen nicht bei jeder unteren Denkmalschutzbehörde vorgehalten werden kann. Denkmalrechtliche Genehmigungen darf die untere Denkmalschutzbehörde nur im Einvernehmen
oder Benehmen (je nach Bundesland unterschiedlich) mit der Denk-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
11
Impressionen aus dem Inneren der neu entstandenen Ferienappartements. Die historische bauzeitliche Substanz des Denkmals wurde weitestgehend erhalten.
Im Inneren prägen moderne Gestaltungselemente ein zeitgemäßes Ambiente
malfachbehörde aussprechen. In Baden-Württemberg wurde mit
der letzten Verwaltungsreform das Landesdenkmalamt in die hierarchische Verwaltung der Regierungspräsidien eingeschmolzen.
Finanzielle Zuschüsse
Der Bund hat im Wesentlichen nur eine Mitfinanzierungskompetenz
bei der Erhaltung und Restaurierung von national wertvollen Kulturdenkmälern.
Seit 1950 fördert der Bund (Beauftragter der Bundesregierung für
Kultur und Medien) aus seinem Förderprogramm „National wertvolle Kulturdenkmäler“ die Erhaltung von Baudenkmälern, archäologischen Stätten und historischen Parks und Gärten, wenn sie herausragende kulturelle, politische, geschichtliche, architektonische, städtebauliche oder wissenschaftliche Leistungen des Gesamtstaates deutlich machen oder für die kulturelle oder historische
Entwicklung der deutschen Kulturlandschaften entscheidend sind.
Von 1950 bis 2007 wurden aus diesem Programm über 500 Kulturdenkmäler mit insgesamt rund 280 Millionen Euro gefördert.
Seit kurzem gibt es beim Beauftragten der Bundesregierung für
Kultur und Medien ein Investitionsprogramm für Denkmale in Höhe
von insgesamt 40 Mio. Euro.
Steuervorteile
Bei vermieteten Baudenkmalen: Die Investition in eine denkmalgeschützte Immobilie wird durch besondere steuerliche Anreize geför-
dert. Von den Herstellungskosten für Baumaßnahmen, die nach Art
und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu
seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind, können im Jahr der Herstellung und in den folgenden sieben Jahren jährlich bis zu neun
Prozent – danach vier Jahre lang jährlich bis zu sieben Prozent abgeschrieben werden (§ 7i EStG). Der Altbauanteil wird mit 2 – 2,5 Prozent abgeschrieben. Bei selbstgenutzten Baudenkmalen: Der Sonderausgabenabzug für Baumaßnahmen an selbst genutzten Baudenkmalen und Gebäuden in Sanierungsgebieten beträgt jährlich
bis zu neun Prozent über zehn Jahre (§ 10f EStG).
Voraussetzung ist in beiden Fällen die Bescheinigung der zuständigen Denkmalbehörde, dass es sich um denkmalpflegerisch erforderliche Arbeiten handelt und diese nach den Vorgaben der Denkmalbehörde durchgeführt wurden.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann für Denkmale die Grundsteuer erlassen werden (§ 32 GrStG). Darüber hinaus ist eine Senkung
des Einheitswertes möglich, der die Höhe der Grundsteuer bestimmt.
Pauschal werden von den Finanzbehörden fünf Prozent anerkannt.
(2) „Der Koloss von Rügen“, Informationen zum Denkmal „Seebad
Prora“
Als eine der größten baulichen Hinterlassenschaften des „Dritten
Reiches“ ist Prora sowohl bauhistorisch als auch sozialhistorisch
von erheblicher Bedeutung. Informationen hierzu unter:
www.proradok.de/seiten_deutsch/kurzinfo.html
77
12
Quedlinburg�
Ein unkonventioneller Weg: Der Ringbauernhof
Straßenfassade 2008
Projektdaten
Objekt
Sanierung und Umnutzung eines ehemaligen
Stadtbauernhofes
Bauherren
Daniela Gerth und Norbert Buchmann,
Steinweg 24, 06484 Quedlinburg
Planung
QUARK - Quedlinburger Architekturkonzepte,
Am Hospital 1, 06484 Quedlinburg
Bauzeit
2003 – 2008
Kosten
Sehr viel Eigenleistung, die sich nicht in Zahlen
ausdrücken lässt.
Förderung
geringer Anteil Städtebauförderung
Kontakt�
Daniela Gerth & Norbert Buchmann,
[email protected], Telefon 03946 915131
1. Stadt und Haus
Quedlinburg liegt an der Bode nördlich des Harzes im südwestlichen Sachsen-Anhalt und zählt gut 22.000 Einwohner.
In der historischen Altstadt mit ihren kopfsteingepflasterten Straßen, verwinkelten Gassen und kleinen Plätzen befinden sich ca.
1.200 Fachwerkhäuser aus sechs Jahrhunderten. Quedlinburgs
architektonisch einzigartiges Erbe steht seit 1994 auf der UNESCOListe des Weltkulturerbes und macht die Stadt zum größten Flächendenkmal in Deutschland.
Das Fachwerkensemble Steinweg 24 ist einer der letzten erhaltenen
innerstädtischen Ringbauernhöfe der Stadt Quedlinburg – eine
städtebaulich und kulturhistorisch bemerkenswerte Besonderheit.
Das Quartier war im Barock geprägt von Ackerbürgerhöfen. Die Besitzer waren wohlhabende Landwirte, die ihre Felder vor der Stadt
hatten und im Hof Kleintiere hielten. Die zur Straße orientierten
Wohnhäuser waren repräsentative Fachwerkbauten.
Das 500 m² große Grundstück ist ringsum mit Fachwerkgebäuden
umbaut. In der Mitte befindet sich ein kleiner, gepflasterter Hof. Das
repräsentative dreigeschossige Haupthaus schließt den Hof zur
Straße ab. Es wurde vermutlich vor 1750 errichtet, möglicherweise
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Grundriss EG: Durch die Tordurchfahrt gelangt man von der Straße in den Innenhof,
auch der Aufgang zu den Wohnungen befindet sich dort. Der Ladenbereich ist sowohl
von der Straße als auch vom Hof erschlossen
unter Einbeziehung älterer Kellergewölbe. 1907 wurde das Vorderhaus umfassend und zeittypisch umgestaltet, es entstand ein vom
Jugendstil beeinflusstes Gebäude, dessen bauhistorisch bedeutende und das Ensemble charakterisierende Details wie Eingangsbereich, Treppenhaus und Kachelofen erhalten geblieben sind. Rechts
und links schließen Seitenflügel an, quer dazu im hinteren Hofbereich das Scheunengebäude. Diese Wirtschaftsgebäude stammen
überwiegend aus dem 19. Jahrhundert - die Industrialisierung führte auch in der Landwirtschaft zu tiefgreifenden technischen Veränderungen, die neue Gebäudestrukturen erforderlich machten. Mit
450 m² Fläche zzgl. 180 m² Scheune und Dachboden ist es ein sehr
geräumiges Objekt.
2. Interessen und Ziele
Daniela Gerth und Norbert Buchmann fassten gemeinsam den Entschluss, in Quedlinburg bleiben zu wollen. Sie suchten ein altes Haus, mit der räumlichen Option, darin einen eigenen Laden zu eröffnen.
�
Gemeinsam hatten sie den Mut, ihren Traum schon in jungen Jahren
�
in die Tat umzusetzen – beide waren Mitte 20.
�
Ihr „Mut“ ist hier besonders erwähnenswert, weil ihr Projekt anfangs
�
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Straßenfassade im September 2003: Die historischen Fenster wurden er­
halten und das rundbogige Tor aufwändig restauriert
12
Innenhof NACH der Sanierung
2003 war der Hof noch stark bewachsen, heute ist er hell und freundlich und vielseitig nutzbar
nicht gerade unterstützt wurde, weder von Banken, noch seitens der
Stadt, selbst Makler äußerten Bedenken an der Kaufkraft der Interessenten.
Auf der Suche nach einem geeigneten Objekt wandten sie sich zunächst an die Denkmalbehörde und an den Sanierungsträger. Sie
wollten versuchen, einen Makler und die damit verbundenen Kosten zu umgehen. Letztendlich sollte es doch ein Makler sein, der das
richtige Haus – ihr Haus – anzubieten hatte.
„Meine Eltern konnten sich gar nicht vorstellen, was ich, das klei­
ne Nesthäkchen der Familie, mit so einem riesigen, alten Haus
anfangen wollte. Ihnen schienen die Dimensionen zu groß und
einfach unüberschaubar“, erinnert sich Daniela Gerth und fährt
fort: „Norbert und ich zogen gar nicht in Betracht, an solch einem
Projekt scheitern zu können. Ich habe durch meine Arbeit bei der
Bank keine Angst vor großen Zahlen. Norbert ist auf so einem gro­
ßen Gehöft aufgewachsen und kennt es von Kindesbeinen an, da
und dort am Haus zu werkeln. Seine Eltern haben, als wir ihnen
unseren Entschluss erzählten, zwar auch nicht gerade ‚Juhu’ ge­
schrieen und die Schaufel in die Hand genommen. Sie haben uns
aber sehr viel geholfen.“ Und schmunzelnd fügt Norbert Buchmann hinzu: „Sie finden Lehm bei uns im Haus toll – aber nicht für
ihr eigenes Haus. Da sind sie doch eher konservativ.“
So jung und damals sogar noch arbeitslos – so sieht nicht der typische Immobilieninteressent aus – aber die hartnäckige Anstrengung, etwas bewegen zu wollen, führte letztendlich zum Erfolg.
„Manchmal hat man das Gefühl, etwas Großartiges entdeckt zu
haben, eine Erfindung, wie zum Beispiel ein Auto, das ohne Kraft­
stoff fährt. Man hat es ausprobiert, man kann es sogar beweisen
– aber es glaubt einem trotzdem keiner“, versucht Norbert Buchmann die Skepsis der Nachbarn in Worte zu fassen.
Planungsideen hatten die Bauherren größtenteils selbst, zogen jedoch einen Architekten hinzu.
Im Rahmen der Planung ließen die Eigentümer Schadensanalysen
durchführen, um die Schwachpunkte der Fachwerkgebäude genau
79
12
Quedlinburg
Ein unkonventioneller Weg: Der Ringbauernhof
Blick auf die Hoffassade des Vorderhauses mit der Tordurchfahrt 2003 und 2008
„Das Bauen mit Holz hat große Vorteile. Wie früher bei den Autos kann man das Kon­
struktive sehen und verstehen – und ohne Hilfe reparieren, eben mit Liebe”, erklärt
Herr Buchmann
kennenzulernen und nachfolgend denkmalgerecht instand setzen zu
können. Die Bauherren legten großen Wert auf eine Sanierung mit
biologischen Baustoffen, eine baubiologische Voruntersuchung ergab
Anhaltspunkte für die Planung. Die restauratorischen Untersuchungen konnten baubegleitend erfolgen, was viel Zeit sparte. Sie lieferten unerwartete und für die Sanierung wegweisende Erkenntnisse
über die Farbgestaltung der Gebäude: Die Eigentümer waren sehr
überrascht, dass beispielsweise die rückwärtige Scheune ursprünglich grün gestrichen war.
gesamten Ensembles gegenüber, dessen Nutzung und Erhaltung
nun wieder gewährleistet ist.
3. Ausgangslage und Befund
1945 gehörte das Ensemble einer Schweizerin, die zu DDR-Zeiten
enteignet wurde. Nach der politischen Wende kam es zur Rückübertragung an die ehemalige Eigentümerin, in der Folge zur Abtretung
an einen Schweizer Rechtsanwalt. Ein Makler bot das Ensemble
zum Verkauf an.
Acht Jahre Leerstand hatte der Stadtbauernhof hinter sich, als im
Jahre 2003 der Kaufvertrag unterschrieben werden konnte. Die Gebäude waren in schlechtem Zustand. Der im Jugendstil repräsentativ umgestaltete Eingangsbereich in der Toreinfahrt war vom Echten
Hausschwamm befallen. Der Innenhof hatte ein durch das Laub der
acht Jahre um 50 cm angehobenes Niveau. Überall wuchsen kleine
Kastanienbäume. Mittlerweile müssen die Eigentümer bei den Erinnerungen selbst lachen, denn der erste Eindruck war nicht einladend.
Der Abriss eines Gebäudeteiles war der Kompromiss für eine zeitgemäße Nutzung: Ein Teil eines Seitenflügels wurde schließlich
zum Abbruch freigegeben. So konnte der enge Hofbereich heutigen
Anforderungen an Wohnqualität und Belichtungsmöglichkeiten gerecht werden – vor dem Abriss hatte der Hof so gut wie keine Sonne. Der Verlust dieses kleinen Teilbereiches steht dem Erhalt des
80
4. Maßnahmen und Ergebnisse
„Um so ein großes Gebäudeensemble zu sanieren, muss man viele
unkonventionelle Wege gehen!“ Mit dieser Vorgehensweise hatten
die Bauherren den richtigen Ausgangspunkt für ein solches Projekt.
Am 16.03.2004 erhielten die Eigentümer nach langem Warten endlich die Baugenehmigung – im Anhang drei Seiten, beschrieben mit
zu erfüllenden Auflagen. Glücklicherweise ließen sie sich davon
nicht abschrecken. Bereits im Herbst 2003 war der Kaufvertrag unterschrieben worden. Die Zwischenzeit hatten sie mit Entrümpeln
zugebracht, zu tun gab es genug. Der Kellerbereich des Haupthauses war schon zur Baustelle geworden. Das Fußbodenniveau im vorderen Keller musste abgesenkt werden, um eine Nutzung des Raumes als Lager und Büro zu ermöglichen.
„In der ersten Zeit hatten wir noch keinen Strom. Wir hatten ein
paar Hammer und Meißel und haben mit dem Abriss begonnen
wie die Trümmerfrauen. 20 Container haben wir mit Schutt ge­
füllt! Aber es machte auch viel Spaß, wir hatten unendlich viel
Energie“, erinnert sich Norbert Buchmann an die ersten Arbeitstage mit Freunden.
Zwei Tage lang waren zwei Freunde damit beschäftigt, nur den Schutt
aus dem Keller in den Container zu tragen. Aber es hat sich gelohnt.
Vor allem wurde hier etwas gewagt, wovon die Architekten immer abraten. Die Tieferlegung des Kellerfußbodens ist statisch eine kritische
Sache, da die historischen Fundamente den Erddruck von der Seite
benötigen, um stabil zu bleiben. Der Bauherr überlegte sich eine pfif-
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
12
Ein Teil des ehemaligen Seitenflügels wurde zur Terrasse umgestaltet, indem die oberen Gefache der Fachwerkkonstruktion nicht ausgemauert wurden. Der so entstan­
dene Raum ist der Lieblingsplatz der Mieter: Bei fast jedem Wetter können sie hier sitzen
fige Lösung: Stück für Stück gruben sie einen Graben entlang der
Wände, errichteten in 40 cm Abstand eine Wandschale aus Ziegelmauerwerk und füllten den Zwischenraum mit bewehrtem Beton.
Das Ergebnis ist ein innen liegender Ringanker, der die Schubwirkung des Erdreiches übernimmt. Das Absenken des Fußbodenniveaus war damit möglich. Technische Installationen und Elektrik
konnten in diesem Sockel verschwinden – eine bautechnisch und optisch wegweisende Lösung.
Aufgrund der Fachwerkfassaden war eine zusätzliche Wärmedämmung der Außenwände nur auf den Innenseiten möglich. Es wurden
Holzständer vor die Innenwand gesetzt auf denen Fermacellplatten
befestigt wurden. Der Hohlraum wurde mit Stampflehm gefüllt – für
das Fachwerk die beste Lösung. Gerade eine Innendämmung ist für
Fachwerkwände ungeeignet, da der Taupunkt des Wandquerschnittes (der Punkt, wo das Wasser aus der Luft aufgrund des Temperaturgefälles kondensiert) in der Holzebene liegt. Eine Durchfeuchtung der Fachwerkkonstruktion ist die Folge. Verbunden mit der Tatsache, dass diese Feuchtigkeit nur schwer verdunsten kann, sind
solche baukonstruktiven Punkte sehr häufig Ansatzpunkte für
Schädlingsbefall. Diese Gefahr wird durch die Verwendung von
Lehm ausgeschlossen. Die innen vorgesetzte Lehmschale kann die
anfallende Feuchtigkeit optimal aufnehmen und abführen, das Holz
kann „atmen“.
In einem Bereich war das Mauerwerk stark versalzen. Mauerwerk
zu entsalzen ist ein sehr kostenaufwändiger und technisch schwieriger Prozess. Hier halfen sich die Bauherren, indem sie, ebenso wie
bei den Fachwerkaußenwänden eine mit Platten verkleidete Holzständerwand errichteten. Der Hohlraum blieb frei, die immer wieder ausblühenden Salze sind somit im Hohlraum gefangen und werden nicht durch Diffusion an die Innenwandoberflächen transpor-
tiert. Dieses Vorgehen ist eine wegweisende, sichere und kostengünstige Lösung des eigentlich in jedem ehemals landwirtschaftlich
genutzten Gebäude anfallenden Problems der Versalzung.
Einen weiteren Geheimtipp verriet der Bauherr: „Im Bad haben wir
direkt auf den Estrich Kork geklebt. Das ist nicht teuer und er­
spart die Fußbodenheizung, da die Materialoberfläche sich immer
warm anfühlt. Gewissenhaft lackiert ist Kork auch für Feuchträu­
me geeignet.“
Das Beispiel zeigt, dass eine denkmalgerechte Sanierung mit ökologischen Baustoffen günstig sein kann – wenn man als „Sparfuchs“
unkonventionelle Wege findet, den Bauablauf zu optimieren und
Freunde sowie Familie mit Hand anlegen. Eigenleistung spart Geld
und kostet „nur“ Zeit . Selbst gerade arbeitslos, gab es für die neuen Eigentümer genug davon.
So konnte beispielsweise die zeitaufwändige aber kostenlose Baustoffbeschaffung über den Bauhof in Quedlinburg genutzt werden.
Hier werden Baumaterialien, Türen und Fenster von Abrisshäusern
geborgen, gelagert und kostenlos zur Sanierung von Quedlinburger
Häusern zur Verfügung gestellt.
Ein unschlagbarer Vorteil bei der Sanierung eines Altbaus liegt in
der Art der notwendigen Tätigkeiten, die auch für Laien leicht und
qualitätvoll auszuführen sind. Lehm beispielsweise lädt förmlich
zum Mitmachen ein. Eigenleistung kann beim Umgang mit historischen Bautechniken im Rahmen einer denkmalgerechten Sanierung optimal eingeplant und ausgeführt werden.
81
12
Quedlinburg
Ein unkonventioneller Weg: Der Ringbauernhof
Zahlreiche Details im Wohngebäude erzählen von der gutbürgerlichen Zeit, als das
Haupthaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Jugendstilformen umgestaltet wurde
An die Wohnküche der Bauherren schließt sich eine große Terrasse an, die gleichzei­
tig moderne wie innovative Details zeigt: Hier wurden die Stakenhölzer der alten
Lehmwickeldecken geölt und wieder genutzt
Zwei Wochen nach dem Kauf des Ensembles war Tag des Offenen
Denkmals, an dem die neuen Eigentümer unbedingt ihr Haus der
Öffentlichkeit zeigen wollten. Die Kommentare und Blicke der Besucher waren eher ernüchternd als ermutigend. Niemand wollte an
einen Erfolg versprechenden Abschluss des Projektes glauben.
Noch schlimmer war es im darauf folgenden Jahr, als gerade alle
Abrissarbeiten abgeschlossen waren. Die Fachwerkgerippe standen
im Hof, für die Nachbarn ein äußerst bedrohlicher Anblick. Viele kamen jedes Jahr wieder und konnten kaum glauben, dass dieses Projekt sich weiterentwickelte. Die Eigentümer ließen sich nicht entmutigen, glaubten an ihre Sache und kamen zum Ziel.
te für die noch vielen freien Häuser begeistern und sich hier nie­
derlassen.” Sie gehen hierbei mit gutem Beispiel voran. Da ihnen
selbst das eine Haus noch nicht genug ist, haben sie 2004 auch das
Nachbarhaus gekauft. Es ähnelt ihrem ersten Projekt, allerdings
mit noch weniger erhaltener Bausubstanz. Eigentlich wollten sie
nur das kleine Stück Land kaufen, das sich hinter ihrer Scheune befindet. Von dort aus wollten sie gerne einen Zugang in den Garten
haben. „Aber ein kleines Stück verkaufte der damalige Eigentü­
mer uns nicht – und so haben wir das ganze Nachbaranwesen ge­
kauft. Momentan warten wir auf die Baugenehmigung, nach der
Sanierung sollen die Wohnungen vermietet werden.“
Die nun weitestgehend abgeschlossene Sanierung ist beispielhaft für
die Möglichkeiten, auch mit kleinem Geldbeutel Gutes zu schaffen. Im
rechten Seitenflügel haben die Eigentümer ihre eigene Maisonettewohnung mit großer Dachterrasse eingerichtet. Im Erdgeschoß des
Vorderhauses befindet sich der Laden „Ambiente23“, wo es allerlei
schöne Wohnaccessoires zu kaufen gibt. Im Gebäudeensemble entstanden neben dem selbst genutzten Wohnbereich und dem Laden
zwei große Mietwohnungen mit je um die 100 m². Eine 40 m² große
Einzimmerwohnung liegt rechts der Toreinfahrt im Erdgeschoss.
Der Erhalt eines der letzten innerstädtischen Ringbauernhof-Ensembles ist als städtebauliche Besonderheit für die Stadt Quedlinburg von hohem Wert und ein wertvoller Beitrag zur Bewahrung des
UNESCO-Weltkulturerbes.
„Die kleine Wohnung hatten wir schon im Bauprozess vermietet.
Einer unserer Handwerker hat einen Sohn, für den er schon länger
auf der Suche nach einer kleinen Wohnung war. Und als diese nun
zusehends immer schöner und fertiger wurde, entschied er sich,
sie zu mieten. Auch mit den andren beiden großen Wohnungen hat­
ten wir keine Probleme, Nutzer zu finden. In der einen wohnt mei­
ne Schwägerin mit ihrer Familie, in der anderen wohnen Freunde
von uns. Das funktioniert ganz gut“, erklärt Norbert Buchmann.
„Aber die Stadt tut nicht gerade viel, um potenziellen Altbauinter­
essenten die leerstehenden Immobilien schmackhaft zu machen.
Zumindest haben wir nicht viel davon mitbekommen. Dabei gäbe es
viele Möglichkeiten, diese Gebiete attraktiver zu gestalten – und
das würde die Stadt nicht einmal Geld kosten. Unsere Straße ist
eine Einbahnstraße – aber so breit, dass hier nachts Autorennen
stattfinden. Der Steinweg liegt am Ausgang der Stadt, da haben
auch die Touristen schon meist genug Fachwerkhäuser gesehen
und fahren nun schnell aus der Stadt hinaus. Eine effektive Ver­
kehrsberuhigung wäre ein hilfreicher Schritt! Oder so kleine Maß­
nahmen, wie beispielsweise beim Abtransport des Laubes behilf­
lich zu sein – die alten Bäume sollen erhalten werden, aber wir ver­
sinken jeden Herbst im Laubchaos. Ein Container würde die Stadt
nicht viel kosten, uns und auch unseren Nachbarn aber sehr hel­
fen“, erklärt Norbert Buchmann. Es sind viele kleine Punkte, die an
5. Privater und städtebaulicher Mehrwert
Es ist Daniela Gerth und Norbert Buchmann gelungen, die Gebäude
nicht nur zu retten, sondern wiederzubeleben, selbst darin zu leben.
„Wir fühlen uns absolut wohl hier! Es ist für uns wie eine kleine
Oase, die wir uns hier selbst geschaffen haben. Und was die Nach­
barschaft angeht, hoffen wir, dass sich bald weitere Gleichgesinn­
82
Dieses Beispiel zeigt, wie man gleich „mehrere Fliegen mit einer
Klappe” schlagen könnte: Dem Verfall preisgegebene Immobilien zu
retten, dadurch Arbeitsplätze zu schaffen und junge Menschen an
ihre Heimatorte zu binden.
Gute Beispiele für private Initiative im Städtebaulichen Denkmalschutz
Die Hilfe von Freunden sparte viel Geld: Ein Gründach
wäre sonst unerschwinglich gewesen
12
VORHER und NACHHER: Mit dem Hofensemble und einem eigenen Laden erfüllten sich die Bauherren ihre Träume
sich keine großen Sachen sind, aber das tägliche Leben in den Altbaugebieten doch sehr beeinträchtigen.
Der Erwerb einer Immobilie durch junge Menschen bindet das „soziale Kapital“ an die Region und vermindert den Leerstand. Jeder
einzelne junge Mensch, der in seiner strukturschwachen Umgebung Wurzeln schlägt, wirkt dem demographischen Wandel entgegen. Die Durchführbarkeit eines solch umfangreichen und eigentlich als „finanziell unmöglich“ abgestempelten Vorhabens spricht
sich langsam doch herum – die Kommunikationsfreudigkeit der Eigentümer ist dabei von großem Wert.
„Am liebsten würde ich mich als Bauberater selbstständig ma­
chen. Aber da nimmt mich aufgrund meines Alters ja keiner für
voll – auch wenn ich bestimmt mehr Erfahrungen hätte als manch
anderer… Anderen Leuten viel Geld zu sparen und den alten Häu­
sern Gutes zu tun – das könnte mir Spaß machen!“, schwärmt
Norbert Buchmann. Aber vorerst muss er seine Erfahrungen an Interessierte privat weitergeben. Und den eigenen kleinen Laden zu
betreiben, macht schließlich auch Freude.
Im Herbst 2005 wurde das Projekt in der MDR-Dokumentationsreihe „Von der Ruine zum Eigenheim“ vorgestellt. Im Februar 2008
drehte das MDR einen Beitrag für das „Lexi TV“, eine Lexikon-Sendung für Kinder. Thema war die Sanierung mit historischen Baustoffen – wie beispielsweise die Wiederverwendung von alten Dachziegeln, die die Bauherren vom Quedlinburger Bauhof zur Eindeckung
der alten Scheune bekommen haben.
Weiterführende Informationen
Wie finde ich mein Haus?
Bei der Suche nach leerstehenden, zum Verkauf angebotenen Altbauten und Denkmalen muss man sich nicht unbedingt an einen
kostenintensiven Makler wenden.
Hinweise zu geeigneten Objekten können die zuständige Denkmalbehörde, der jeweilige Sanierungsträger der Stadt (hier in Quedlin-
burg die BAUBECON) oder auch das Bauamt geben. Hier ist auch
die erste Anlaufstelle, um sich über finanzielle Zuschussmöglichkeiten, aktuelle Förderprogramme oder sonstige lokale Besonderheiten zu informieren, die die Sanierung eines Gebäudes im Altbaubestand unterstützen und fördern.
Möglicherweise findet man auch beim Spaziergang durch die Stadt
Objekte, die den Anschein erwecken, als hätten sie einen neuen Eigentümer dringend nötig – bei der Suche und Kontaktaufnahme mit
den jeweiligen Eigentümern können ebenfalls oben genannte Einrichtungen behilflich sein.
Historisches Baumaterial – woher?
Häufig wird bei der Sanierung von Altbauten historisches Baumaterial benötigt – sei es aus bauphysikalischen, technischen oder auch
ästhetischen Gründen. Die Beschaffung ist meist kostenintensiv
(historischer Baustoffhandel). Es gibt jedoch Alternativen:
In Quedlinburg ist beispielsweise ein „Bauhof“ eingerichtein dem
die Stadt historisches Baumaterial aus Abrisshäusern sammelt. Auf
Antrag und mit abschließendem Nachweis der tatsächlichen Verwendung, kann man als privater Bauherr kostenlos historisches
Baumaterial zur Sanierung von Baudenkmälern erhalten. Türen
und Fenster in den richtigen Abmessungen zu finden ist ein Glücksspiel, Dachziegel, Balken und Steine jedoch passen immer...
Es besteht auch die Möglichkeit, auf eigene Faust historisches Baumaterial von „Abrisshäusern“ oder dem Verfall preisgegebenen Gebäuden zu bergen – es kann sich durchaus lohnen, einmal mit offenen Augen und Ohren in der näheren Umgebung umherzufahren und
sich mit den entsprechenden Eigentümern der verfallenen Gebäude
in Verbindung zu setzen.
Im Internet sind zahlreiche Organisationen zu finden, die den Handel
mit historischen Baustoffen in erster Linie für die Erhaltung des Altbaubestandes betreiben (und nicht ausschließlich auf kommerzieller
Ebene): z.B. IG-Bauernhaus, www.altes-haus-de, etc. Hier gibt es auch
die Möglichkeit des Erfahrungsaustausches mit Gleichgesinnten.
83
Herausgeber:
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS)
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)
Projektleitung im BMVBS:
Anke Michaelis-Winter
Projektleitung im BBR:
Dr. Ute Chibidziura, Ricarda Ruland
Autoren und Bearbeitung:
Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung e.V. (IRS), Erkner
Dr. Dagmar Tille (Projektleitung)
Dr. Jan Prömmel
Jorinde Bugenhagen
Lydia Küster
Grafik und Layout:
designhaus berlin
ISBN 978-3-87994-033-2
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Auszugsweiser Nachdruck nach Rückfrage beim Verfasser
mit genauer Quellenangabe gestattet.
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Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung e.V.
Abteilung Regenerierung schrumpfender Städte
Flakenstraße 28-31
15537 Erkner
E-mail: [email protected]
Erkner, August 2008
Bildnachweis (Autor, Seite)
Arcasa-Architekten/Neikes, Dieter: 72 r., 73 r., 75 l.u., r.u., 76 l.u./r., 77
Architekturbüro Kayser: 5, 36 r., 37, 38, 39, 40, 41
Architekturbüro Münch/Röhm/Weise: 31 l.
Architekturbüro Srocke: 48 r.o./r.u., 49 l.o./m.o./r.o.
Braunschweig Architekten: 16 l.o./l.u./r.o., 17 r.o./r.u., 18, 19, 20
Buchmann, Norbert/Gerth, Daniela: 79 l.o./l.u./m.u./r.u., 80 l./r., 81 l., 82 r., 83 l./m.
Bugenhagen, Jorinde: 13 l.u., 15 r., 49 l./m./r.u., 52 l., 53 r., 66/67, 68 l.m., 69 m.o.,
70 ml.o./ml.u./r.o./r.u., 71 r.o./l.o., 79 r.o., 80 m., 81 r., 82 l./ml./mr., 83 r.
Bundesregierung / Fassbender: 1
Dr. Carlsohn, Burkhard: 55 l.o./l.u.
Fam. Dohrmann: 9, 73 l., 74, 75 l./m./r.o., ml./mr.u., 76 l.o.
Ewers, Knut: 60 r.u., 61, 62, 63, 65
Fischer, Thomas; WohnBund-Beratung Dessau: 27 l.u./r.u., 23.r.u.
Hortmann, Jürgen: 70 l.o.
Fam. Jecht: 69 l.u.
Küster, Lydia: 23 l.o./r.o., 24, 25, 26, 27 l.o./m.o./r.o.
Kunsthof e.V.: 46/47, 51, 52 m./r., 53 l./m.
Landesamt für innere Verwaltung Mecklenburg-Vorpommern (LAiV-MV), 2008,
www.lverma-mv.de, 42 l.o., 68 l.o., 72 l.
Landesamt für Vermessung und Geoinformation Sachsen Anhalt: S. 22 l.o.
Landesvermessungsamt Sachsen 2008, DTK25-V und
DTK100-V: 30 l., 36 l.o., 54 l.o.
Lindemann, Gernot: 10, 11, 12, 13 r., 14
Mercur Bauplanung: 68 l.u.
Metzger, Romy-Marina: 7 l./r., 42 r.o./u., 43, 44, 45
Röhring, Andreas: 16 r.u., 17 l., 21
Dr. Olbrich, Hartmut/Winzeler, Marius: 0, 28/29, 30 r., 31 m./r., 32, 33, 34, 35
Fam. Ott/Mercur Bauplanung: 6, 69 l.o./l.u./m.u./r.o./r.u.,
70 mr.o./mr.u./l.u., 71 l.u./m.u./r.u.
Quedlinburger Architekturkonzepte (QuArK): 78 r.u.
Schmidt, Birgit; WohnBund-Beratung Dessau: 22 r.u./l.u., 23 l.u.
Spangenberg, Frank, Architekt: 4
Stadt Dessau: 22 r.o.
Stadt Grimma: 36 l.u.
Stadt Halberstadt: 48 l.o.
Stadt Mühlhausen: 60 l./r.o.
Stadt Neustrelitz: 68 r.
Stadt Quedlinburg: 78 l./m.o.
Teschner+Martin GbR: 55 m.u./r.o./r.u., 56, 57, 58, 59
Dr. Tille, Dagmar: 8, 12 l.o., 15 l., 78 r.o., 85
Vogt, Martin: 54 l.u./r.