Wäre diese brasilianische Insel ein Restaurant, dann

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Wäre diese brasilianische Insel ein Restaurant, dann
Es gibt auf Florianópolis, so heißt Floripa in
der Langversion, auch einsamere Strände
Florida?
Floripa!
Wäre diese brasilianische Insel ein Restaurant,
dann wäre sie ein Drei-Sterne-Fischrestaurant
mit Meerblick rundum, in dem Hippies
und Schickies unordinär den Sex feiern
und die Kellner auch ohne Trinkgeld
herzlich lächeln Und das, Leute, das ist
noch die nüchterne Sicht
Text Felix hutt Fotos Gleice mere/agentur focus
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ES LEBE DAS LEBEN! Auch wenn es hier so aussieht,
als stünde der Floripianer Gustavo Kuerten [1],
der mal der weltbeste Tennisspieler war, im Mittelpunkt – auf der Insel gilt: Jeder ist jemand!
Und das wird mit oder ohne Silikon gefeiert. Nie hat
sich ein Ort so schnell vom Geheimtipp zum
place to be gemausert – Floripa hat Ibiza und Punta
del Este mit brasilianischer Leichtigkeit abgehängt
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er König von Floripa heißt Guga und
schüttelt jetzt den Kopf. Nein, ein Ass
im Tennis könne man nicht mit einer abgerittenen Welle vergleichen. Das müsste
schon ein ganz besonderes sein, etwa
der Matchball auf dem Centre Court von
Paris. Gustavo „Guga“ Kuerten, 31, kann
das sagen, denn er ist Surfer aus Berufung und Tennisstar von Beruf. Blaues
Blut hat er nicht, für die Menschen der
Insel Floripa ist Guga trotzdem mehr
King als Elvis Presley. Unter den Reifen
des Range Rover knirscht Kies, wir fahren nach Cacupé im Westen, zu einem
der 42 Strände. Gebürtige Floripianer wie
Kuerten reden über ihre praias, als hätten
die Strände unterschiedliche Charaktere,
als wären sie Fußballer, mal besser in
Form, mal schlechter. König Gugas neue
Tenniskleider sollen fotografiert werden,
und die Abendsonne, die im ruhigen
Wasser badet, bietet das richtige Licht.
Am Steuer sitzt der Bruder und Manager,
daneben die aktuelle Prinzessin, Letizia,
ach, wie gern würde sie Königin werden.
Kuerten war die Nummer eins der Welt,
hat dreimal die French Open gewonnen
und 14 Millionen Dollar Preisgeld eingespielt. Warum ist er nicht nach Monaco
gegangen, zum Steuernsparen, wie die
Kollegen? „Ich glaube, dass der liebe Gott
auch Urlaub macht, von Zeit zu Zeit. Und
damit er sich an einem angemessenen Ort
ausruhen kann, hat er Floripa geschaffen.
Also warum soll ich aus dem Paradies
wegziehen?“
Sein Paradies ist die Insel Santa
Catarina im gleichnamigen Bundesstaat
in Südbrasilien, von allen nur Floripa genannt, Kurzform von Florianópolis, der
Hauptstadt. Floripa liegt im At­lantik,
eine Flugstunde südlich von São Paulo,
eine nördlich von Porto Alegre; 438 Quadratkilometer groß, 12 Distrikte, 400 000
Einwohner, in der Saison zwischen
Weihnachten und Karnival werden es
eine Million. Vom Süden in den Norden
sind es 53 Kilometer. Und Welten. Der
Süden ist unberührte Natur, der Norden
das Beverly Hills Südamerikas. In der
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heiss und hot!
Jurerê Internacional im
Norden Floripas ist das
Beverly Hills Südamerikas
und ein Magnet für die
happy few aus Argentinien
und São Paulo. Leandro
Adegas und Angela [1]
sind die Top-Launemacher
im Beachclub Taikô.
Den New Yorker Nachtleben­
profi Jeffrey Jah lockte
Freundin Renata [2]
ins Paradies, wo
er das KM7 eröffnete
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Inselmitte erstreckt sich eine Lagune,
groß wie der Starnberger See, die Lagoa
de Conceição. An ihrem nördlichen Ende
liegen Fischerdörfer, zu denen man nur
per Boot oder Wanderung kommt. Im
Zentrum an der Lagune wohnen Surfer
und Hippies. Es gibt Regenwald und
Dünen, Wind und Wellen, Berge und
Strand, arm und sehr reich. In Floripa
herrscht die Demokratie der Freude –
kein Strand ist privat, kein Anblick reserviert, kein Fest limitiert.
„Floripa hat Ibiza und Punta del
Este den Rang abgelaufen. Die Insel ist
vielfältiger. Die Partys sind heißer, die
Strände ein Traum, es ist günstig und
sicher, und die Frauen, was soll ich
sagen, da kann auch Miami nicht mithalten“, sagt Jeffrey Jah. Mit seiner
Freundin Renata, einem brasilianischen
Topmodel, ist der Nachtlebenmacher
gerade aus New York angekommen,
kurz vor Weihnachten beginnt die
Haupt­saison der Vergnügungsjunkies.
Seit vergangenem Jahr ist Jah am Beachclub Café de la Musique beteiligt und
auch an der Disco KM7 im Norden, in
Jurerê Internacional. Hier stehen Häuser, die unter acht Millionen Dollar nicht
zu haben sind, hier vergnügt sich die
Hautevolee aus Buenos Aires und die
Feiermeute aus São Paulo, die Paulistas,
wie sich die Schickeria von dort nennt.
Das ist Jahs Welt.
Der Kanadier, der seit Mitte der
80er-Jahre in New York lebt, veranstaltet Modenschauen und ist Mitbesitzer
von Lotus, einem der bekanntesten
Clubs in Manhattan. Wenn seine
internatio­nale Partygemeinde irgend­
wo einfällt, garan­tiert Jah, dass die
­Magnum-Champagner­flaschen und die
Ferraris bereitstehen. Und wenn sein
Freund Leonardo DiCaprio in New York
feiern will, dann ruft er Jah an. Schön,
aber was will Jah dann in Floripa?
„Renata kommt aus Floripa, als sie
mich das erste Mal mitgenommen hat,
hat mich das Fieber gepackt. Ich wusste,
dass ich an einem Ort bin, dessen Schönheit in einigen Jahren den Jetset anziehen wird. Ich musste sofort loslegen“,
sagt Jah. Modeschöpfer Calvin Klein,
Songwriter Ben Harper und Schauspie-
ler Jared Leto waren schon da, Gisele
Bündchen kommt seit Jahren. Die Insel
sei wie Rio vor 20 Jahren, sagt der bra­
silianische Designer Carlos Miele, der
auch in New York lebt, aber ein Haus an
der Lagune besitzt. „Das Leben ist leicht,
und die Menschen sind die schönsten
von Brasilien.“
S
timmt. Nicht ein Lineal passt
zwischen die schwarzen Hotpants und die braunen Oberschenkel von Camila, einer
Jour­nalismusstudentin. Mit zwei
Freundinnen tanzt sie im El Divino, dem
Nachtclub in Downtown, zu FavelaHiphop. Unterhalb der Gürtellinie beginnt für viele Brasilianerinnen der Ernst
des Lebens. Tagsüber wird ihr Po in
Stringtangas gesteckt und in die Sonne
gestreckt, abends dann so verpackt, dass
die Männer sich vergessen. Und die, mit
denen es die Natur nicht so gut gemeint
hat, die legen sich unters Messer, was
Ende des Jahres dazu führte, dass es in
Brasilien kein Silikon mehr gab und es
importiert werden musste. Lohn der
Mühe ist die Frage, auf die alle warten:
„Sind Sie Model?“ Der DJ spielt den
„Rap das Armas“, den Rap der Waffen,
es geht drunter und drüber, dabei aber
nie or­dinär zu. Für Hormonschübe gibt
es Honeymoon-Hotels, die stundenweise
Zimmer vermieten, viele Brasilianer leben bis zur Heirat bei ihren Eltern.
In einer Couchecke steht der weiße
Amerikaner Hans und wirkt mit seinem
kahl geschorenen Kopf wie ein Tourist.
Ist er aber nicht. Er ist einer der Strippenzieher in Floripa. Seine Freundin, eine
dunkle Schönheit namens Tatiana, schüttelt ihren Körper wie eine Marionette.
Um das Paar gruppieren sich Feier­wütige
aus Chile, England und Australien. Die
Gläser sind nie
leer. Man solle ihn
morgen in seinem
Haus be­suchen,
sagt der kahle
Hans, da könne
er das Phänomen
Floripa in gebotener Ruhe erklären.
Gesagt, getan.
Oben im Schlafzimmer macht sich Tatiana noch für das Foto schick, es war etwas spät letzte Nacht. Hans Keeling, 31,
wartet in der Küche und erzählt seine
Geschichte: Er suchte sein Glück und
fand es lange nicht. Nicht in Princeton,
nicht in Stanford, nicht auf der UCLA,
auch nicht in der Anwaltskanzlei, in der
er nach seiner Promotion Partner und
reich wurde. Die Kanzlei schickte ihn
2004 nach Rio, und an einem Wochen­
ende kam er dann nach Floripa, nur so,
zum Surfen. Der gebürtige Kalifornier
mit der deutschen Großmutter verliebte
sich in die Insel, rief seine Kanzlei an
und kündigte. „Ich habe meine Ersparnisse in das Grundstück hier am Praia
Mole gesteckt“, sagt er.
Praia Mole heißt übersetzt der weiche Strand, weil der Sand sich um die
Füße schmiegt wie Samt. Marihuana
liegt in der Luft wie die Gischt auf den
Wellen, hier treffen sich die Surfer und
die, die gern Surfer wären, zum Schauliegen, Flirten, Bier trinken. Keeling hat
ein Grundstück am Berg über dem
Strand gekauft, sein Haus und drei
weitere Luxusvillen gebaut, die zum
Verkauf stehen. Der Wert der Immobi­
lien in Floripa wuchs in den vergange­
nen zwei Jahren um 250 Prozent, Keeling
hat ausgesorgt. „Es ist seltsam, dass ich
mehr verdiene, seit ich ausgestiegen
bin“, sagt er, „aber Glück ist nicht nur
der Blick aufs Konto, Glück ist, wenn
ich morgens auf die Wellen schaue.“
Tatiana ist jetzt schick, das ungleiche Paar posiert am Pool. Keeling hat
eine Firma gegründet, die heißt Nexus
Surf, bringt wohlhabende Touristen nach
Floripa und bietet dann ein maßgeschneidertes Programm mit Surfstunden
und Discobesuchen. Meist sind es Makler von der Wall Street oder aus London,
Tagsüber sonnen Brasiliane­
rinnen ihren Po, abends verpacken
sie ihn gekonnt, immer
in der Hoffnung auf die Frage:
„Sind Sie ein Model?“
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die Keeling von früher kennt. „Die Natur
und die Menschen hier sind für Work­
aholics wie eine Seelen-Rehab“, sagt
Keeling, „am Anfang wollen sie nur ein
paar Tage ausruhen, aber viele bleiben
länger, stellen fest, dass es Wichtigeres
gibt als Kurse und Aktien.“ Einige, wie
Mark aus New York, der am Abend zum
Churrasco in sein Haus einlädt, gehen
gar nicht mehr zurück an die Wall Street.
Er sei jetzt Surfer, sagt der Broker.
E
in Samstagmittag im Norden, im Beachclub Taikô in
Jurerê Internacional. Cafédel-Mar-Musik rieselt über
den Strand, die Szenerie
mutet an wie ein Videoclip, das Wasser
türkis, der Himmel wolkenfrei, die
Menschen schön. Nicht nur die Frauen,
auch die Männer tragen knappe Höschen und achten auf ihre Körper. Ein
dunkelbrauner, überaus Bodygebuilde­
ter isst auf einer Liege liegend Sushi;
Leandro Adegas, dem das Taikô gehört,
prostet ihm und einer Gruppe junger
Paulistas zu, die für Stimmung und
Umsatz sorgen. Leandro Adegas ist der
Typ Gisele Bündchen, helle Haare und
dunkle Haut. Natürlich war auch er
früher Model, Gisele sei seine beste
Freundin, und das überirdische Model
Alessan­dra Ambrosio, die in der letz­
ten Vic­toria’s-Secret-Show mitlief, die
komme demnächst, ganz sicher, sagt er.
Für die Modelagenturen ist Südbrasilien eine Talentquelle, die nicht versiegt;
die Mischung aus deutschen Aussiedlern und Einheimischen ist begehrt auf
den Laufstegen und bei Starfotografen.
Wie die Aussiedler nach Floripa kamen?
Ein Imperator namens Dom Pedro I.
schiffte um 1820 Tausende Deutsche
nach Südbrasilien, die kampferprobten
Teutonen sollten sein Reich vor den
Grenzländern Argentinien und Uru­
guay schützen.
G
erta May, 72, ist auch Deutsche, aber mit Krieg und vor
allem mit den „argentini­
schen Drogendealern“, wie
sie die Neureichen im Norden nennt, will sie nichts zu tun haben.
Frau May wohnt im Wald, im Süden
der Insel, in Pântano do Sul. Die Sozio­
login aus Potsdam steht für das andere
Flo­ripa. 1980 kam sie hierher, weil ihr
Mann eine Stelle als Physikprofessor an
der Universität bekam. Gerta May geht
es um die Natur und deren Erhaltung.
Sie hat eine Pousada, so heißen die kleinen Hotelresorts, die Sítio dos Tucanos.
Im Garten gibt es wirklich Tukane; Papageien auch, Pferde und Frösche, Affen
und Schlangen. Einen Golfplatz wollten
ihr Investoren vor die Tür setzen, 800 000
Dollar haben sie ihr für ihr Land geboten, aber Gerta May hat abgelehnt. Sie
weiß, dass Floripa zu schön ist, um unentdeckt zu bleiben, aber als Mitglied
der Stadtverwaltung kämpft sie darum,
dass der Tourismus ökologisch ausgerichtet ist. In der Bucht von Pântano, die
von Gerta Mays Haus aus zu sehen ist,
liegen die Fischerboote, die vor Sonnenaufgang rausgefahren sind, um die
Früchte des Meeres einzuholen. Und in
der Bar do Arantes, direkt am Strand, da
werden sie dann serviert, Miesmuscheln
so groß wie Männerhände, Garnelen
und Austern, für wenig Geld, damit
auch die Fischer sich die Meeresfrüchte
leisten können. 1958 hat José Arantes,
der auf einer Bank vor der Tür die Gäste
begrüßt, seine Bar aufgemacht; so früh
aufstehen und raus aufs Meer, nein, das
wollte er nicht; José Arantes ist Lebemann, kein Fischer,
einer wie aus Hemingways Romanen. Vor dem Essen
gibt es Cachaça,
einen Zuckerrohrschnaps, als Beilage
zum Fisch Pirão,
einen Brei aus Maniok. Als es noch
Der Potsdamerin Gerta May hat
man schon 800 000 Dollar
für ihr Fleckchen Land geboten.
Aber ihr Garten beruhigt
die Seele mehr als Millionen
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keine Handys gab, da haben die Reisenden Zettel bei Arantes hinterlassen, um
ihren Freunden zu sagen, wann und wo
man sich treffe, und irgendwann waren
es so viele Zettel, dass Arantes sie an die
Wände und Decken klebte. Heute hängen da 70 000 Zettel, und wenn man zwischen den Gedichten und Liebesbotschaften aus aller Welt durch die Fenster
auf die Bucht schaut, auf das Wasser,
das irgendwo da hinten eins wird mit
dem Horizont, dann versteht man, wa­
rum Gerta May und José Arantes hier keine Hilton-Hotels und Pauschaltouristen
möchten. Von der Bar do Arantes wandert
man weiter nach Lagoinha do Leste, zu
einem der vielen verlassenen Strände,
die man nur zu Fuß erreichen kann, legt
sich in den Sand und schließt die Augen.
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J
ésus David, 26, ist enttäuscht.
Der Surfprofi ist an diesem
Morgen beim Wettbewerb am
Joaquina Beach ausgeschieden,
es kam eben keine Welle, die er
hätte reiten können, um die Juroren zu
beeindrucken. Joaquina ist der bekannteste Strand Floripas, hier findet
seit den 70er-Jahren ein Surf-Weltcup
statt. Um daran teilnehmen zu können,
muss sich David für die erste Surfliga
qualifizieren. „Die Leute glauben, dass
Surfer nur Spaß haben, aber wer gut
sein will, muss hart trainieren“, sagt
David. Er ist nicht weit von Joaquina
auf die Welt gekommen, ohne Arzt, die
Natur war seine Hebamme. „Auch
wenn es nicht leicht ist, hier in Floripa
Geld zu verdienen“, sagt David, „wir
jungen Leute bleiben hier und wollen
dafür sorgen, dass Floripa bleibt, wie
es ist.“ Einen prominenten Mitstreiter
haben sie in Gustavo Kuerten, der sich
in Campeche im Süden sein Haus gebaut hat. Vom Wohnzimmer aus schaut
König Guga aufs Wasser; und wenn der
Atlantik die richtigen Wellen ranspült,
dann packt er sein Shortboard. Er sagt:
„Da draußen im Wasser zu sein, das ist
eine spirituelle Erfahrung.“ Und dann
schüttelt König Guga wieder den Kopf:
Floripa möchte er nicht missen, mit den
Menschen, die arbeiten, um zu leben,
nicht umgekehrt.
zettelwirtschaft: In der Bar von José Arantes [1] hängen
70 000 Botschaften und Liebeserklärungen von der Decke, die
Reisende hinterließen. Aussteiger Hans Keeling [2] hat auf der
Insel sein Glück gefunden. Jésus David [3] ist noch auf der
Suche: Eine richtige Welle ist für ihn das höchste der Gefühle
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