02-2E-00525-B

Transcription

02-2E-00525-B
2 E 525/02.Me
Aktenzeichen
VERWALTUNGSGERICHT MEININGEN
BESCHLUSS
In dem Verwaltungsrechtsstreit
K_____ P_____,
S_____, _____ S_____,
- Antragsteller bevollmächtigt:
Rechtsanwalt Uwe Gebhardt,
Bismarckstraße 37, 96515 Sonneberg,
gegen
Landkreis Sonneberg,
vertreten durch ,
Bahnhofstraße 66, 96515 Sonneberg,
- Antragsgegner wegen
Entziehung der Fahrerlaubnis
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Meiningen
durch
den Vorsitzenden Richter am VG Michel,
die Richterin am VG Wimmer,
den Richter am VG Viert,
ohne mündliche Verhandlung
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am 28. August 2002 b e s c h l o s s e n :
I.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des
Antragstellers
gegen
den
Bescheid
vom
11.07.2002 wird wiederhergestellt.
II.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 2.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
1.
Am 25.11.2000 wurde die Polizei zu einem Verkehrsunfall gerufen. Im Rahmen der
Unfallaufnahme wurde unter anderem auch bei dem Mitfahrer, dem Antragsteller, ein
„Drugwipetest“ durchgeführt, der positiv verlief. Der Antragsteller räumte ein, vor dem
Unfall einen Joint geraucht zu haben. Seit einem halben oder dreiviertel Jahr rauche er auf
Partys einen Joint. Er nehme ausschließlich Marihuana zu sich.
Auf Grund der Mitteilung der Staatsanwaltschaft Meiningen im Mai 2001 ordnete der Antragsgegner mit Schreiben vom 29.05.2001 gegenüber dem Antragsteller an, ein amtsärztliches Gutachten, das ein Drogenscreening beinhalten solle, beizubringen.
In dem amtsärztlichen Gutachten des Landratsamtes Sonneberg vom 30.07.2001, das auf
Untersuchungen des Antragstellers vom 26.06.2001 und 05.07.2001 basierte, wurde mitgeteilt, dass in dessen Urinproben keine Drogenstoffwechselprodukte nachgewiesen werden
konnten. Weiter wurde ausgeführt, dass beide Urinproben verdünnt seien, so dass das Ergebnis (kein Drogennachweis) nicht zweifelsfrei sei. Der Antragsteller habe im Rahmen
der Untersuchung eingeräumt, seit 1999 bei Disco-Besuchen im zeitlichen Abstand von 2 –
3 Wochen Haschisch konsumiert zu haben. Die letztmalige Einnahme sei etwa 4 – 5 Monaten vor der Untersuchung gewesen.
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Mit Schreiben vom 14.08.2001 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, weitere
Urinproben untersuchen zu lassen.
In einer am 27.09.2001 untersuchten Urinprobe des Antragstellers konnten keine Drogenstoffe nachgewiesen werden. Diese sei jedoch verdünnt gewesen, so dass nach Ansicht des
Antragsgegners Zweifel am negativen Ergebnis bestünden.
Unter dem 16.01.2002 teilte das Gesundheitsamt des Landratsamtes Sonneberg mit, dass
sich der Antragsteller am 03.01.2002 erneut einer Urinanalyse unterzogen habe. Bei dieser
Untersuchung seien 38 ng/ml Cannabinoide nachgewiesen worden. Die Urinprobe erscheine deutlich verdünnt, so dass von einem hochgerechneten Wert von 146 ng/ml auszugehen
sei.
Der Antragsgegner, ordnete hierauf mit Schreiben vom 07.02.2002 an, dass der Antragsteller ein medizinisch-psychologisches Gutachten (im Folgenden: MPU-Gutachten) beizubringen habe.
Der DEKRA e.V. Dresden, Begutachtungsstelle für Fahreignung, Sonneberg, übersandte
dem Antragsgegner das MPU-Gutachten, das auf der Untersuchung des Antragstellers am
12.03.2002 beruhte. Es sollte die Frage geklärt werden: „Kann der Untersuchte trotz der
Hinweise auf gelegentlichen Drogenkonsum ein Kraftfahrzeug der Klasse B sicher führen.
Ist zu erwarten, dass der Untersuchte auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von
Betäubungsmitteln oder deren Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von
Konsum und Verkehrsteilnahme)?“ Das am Untersuchungstag beim Antragsteller durchgeführte Drogenscreening (Urin) habe negative Befunde erbracht. Der Untersuchte habe eingeräumt, von Mai 1999 bis Februar 2001 „immer mal einen Joint mitgeraucht“ zu haben.
Ab Mai 1999 habe er alle drei/vier Wochen bei Discobesuchen mitgeraucht. Auf Nachfrage habe der Antragsteller den am 03.01.2002 nachgewiesenen Drogenwert damit erklärt,
dass er zu Silvester anlässlich einer Party selbst nicht aktiv geraucht habe. Die verdünnten
Urinproben habe er mit Nahrungsergänzungsmitteln erklärt. In der zusammenfassenden
Befundwürdigung wurde ausgeführt, dass die vorliegenden zwischenzeitlichen erhobenen
Laborbefunde (Urinscreening) offen ließen, ob der Untersuchte tatsächlich konsequent auf
weiteren Konsum von Cannabis verzichtet habe. Eine problemorientierte Auseinandersetzung mit dem Drogenkonsum habe nicht stattgefunden. Die vom Untersuchten in der Zeit
von Mai 1999 bis Frühjahr 2001 zugegebenen Drogeneinnahmen seien als regelmäßiger
Konsum zu bezeichnen. In der abschließenden Stellungnahme wurde festgestellt, dass die
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aktenkundige Drogenauffälligkeit mit einem regelmäßigen Konsumverhalten im Zusammenhang stehe. Hinweise auf die Einnahme illegaler Drogen oder auf den Missbrauch legaler Drogen (Alkohol/Medikamente) lägen derzeit nicht vor. Es sei nicht hinreichend auszuschließen, dass ein Kraftfahrzeug unter Drogeneinfluss geführt werde.
Nach Anhörung entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom
11.07.2002 die Fahrerlaubnis der Klasse B, M, L. Er wurde aufgefordert, den Führerschein
spätestens 5 Tage nach Zustellung des Bescheides abzugeben (Ziffer 1). Die sofortige
Vollziehung der Ziffer 1 wurde angeordnet (Ziffer 2). Für den Fall, dass Punkt 1 zuwidergehandelt werde, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 255,65 Euro angedroht (Ziffer 3).
Zur Begründung hieß es, dass nach der zusammenfassenden Stellungnahme des MPUGutachtens gegenwärtig zu erwarten sei, dass der Antragsteller ein Kraftfahrzeug unter
dem Einfluss von Betäubungsmitteln oder deren Nachwirkungen führen werde. Dadurch
stehe fest, dass der Antragsteller ungeeignet sei, Kraftfahrzeuge zu führen. Die sofortige
Vollziehung sei anzuordnen gewesen, da bei der Benutzung eines Kraftfahrzeuges andere
Verkehrsteilnehmer gefährdet und geschädigt werden könnten. Die Sicherheit anderer
Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr sei gegenüber den persönlichen Interessen des einzelnen Fahrerlaubnisinhabers höher zu bewerten.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 19.07.2002 Widerspruch einlegen über den nach derzeitigem Kenntnisstand noch nicht entschieden wurde.
2.
Am 22.07.2002 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Meiningen um vor-
läufigen Rechtsschutz nachsuchen und beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom
11.07.2002 wiederherzustellen.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht gerechtfertigt. Die Anordnungen gegenüber dem Antragsteller Gutachten beizubringen, seien rechtswidrig. Aus dem MPUGutachten seien keine Befunde ersichtlich, die die Fahreignung des Antragstellers in Frage
stellten. Insbesondere sei im MPU-Gutachten nicht in erforderliche Weise auf die Frage
Konsum von Cannabis und Trennung von gleichzeitigem Führen eines Kraftfahrzeuges
eingegangen.
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Der Antragsgegner beantragte mit im Wesentlichen gleicher Begründung wie in dem angefochtenen Bescheid,
den Antrag abzulehnen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Behördenvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.
1.a)
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage auf-
schiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO die sofortige Vollziehung gesondert anordnet. Dies ist dann möglich, wenn die
Anordnung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten
liegt.
b)
In einem solchen Fall kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des
Rechtsbehelfs wiederherstellen. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat dann Erfolg,
wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein besonderes öffentliches Interesse
an der sofortigen Vollziehung besteht oder wenn triftige private Gründe des Antragstellers
an der aufschiebenden Wirkung ein gleichwohl vorhandenes öffentliches Interesse an der
sofortigen Vollziehung überwiegen. Das Gericht überprüft dabei summarisch, ob der eingelegte Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg haben wird.
c)
Ergibt die rechtliche Überprüfung, dass der Rechtsbehelf mit erheblicher Wahr-
scheinlichkeit Erfolg haben wird, richtet sich die Entscheidung über den Antrag grundsätzlich hiernach. Es gibt nämlich kein öffentliches Interesse am Vollzug eines rechtswidrigen
Verwaltungsaktes.
d)
Ist hingegen festzustellen, dass das Rechtsmittel voraussichtlich nicht zum Erfolg
führen wird, führt das noch nicht zur Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO
(vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12.Aufl., Rdnr. 159 zu § 80 m. w. Nw.). Nach § 80 Abs. 1
S. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfällt „nur“ in den Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO. Dies bedeutet, dass im Falle einer zu erwartenden Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs der Antrag auf Wiederherstellung der auf5
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schiebenden Wirkung dann erfolgreich ist, wenn ein öffentliches oder überwiegendes privates Interesse eines Beteiligten gerade an der sofortigen Vollziehung nicht festzustellen
ist. Dabei ist das Interesse an der Vollziehung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes allein
allerdings kein solches öffentliches Interesse. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung
des Verwaltungsakts nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist nämlich die Ausnahme von
der Regel des § 80 Abs. 1 VwGO. Die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren soll effektiven Rechtsschutz für den Bürger gewährleisten und verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor der Verwaltungsakt gerichtlich auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden konnte (ThürOVG, Beschluss vom 13.05.1997, Az.: 1 EO 609/96).
e)
Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens schließlich noch offen, ist unter Um-
ständen eine umfangreichere Überprüfung angezeigt. Der gerichtlichen Überprüfung sind
allerdings Grenzen gesetzt. So ist es nicht ohne weiteres geboten, bereits im Eilverfahren
Beweise zu erheben. Das Eilverfahren tritt nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens.
Lässt sich auch nach dieser Überprüfung nicht feststellen, ob der Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben oder Erfolg haben wird, ist eine Abwägung der
Interessen vorzunehmen, die für oder gegen den sofortigen Vollzug sprechen. Haben beide
widerstreitende Interessen etwa gleich großes Gewicht, ist wiederum entsprechend der
vom Gesetzgeber getroffenen Grundsatzentscheidung dem Antrag stattzugeben, da
Rechtsmitteln, wenn gesetzlich wie vorliegend nichts anderes geregelt ist, gemäß § 80 Abs.
1 Satz 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt (HessVGH, Beschluss
vom 01.08.1991, NVwZ 1993, 491).
2.
Der angefochtene Bescheid entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs.
3 Satz 1 VwGO. Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes muss schriftlich begründet sein (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) und grundsätzlich über das Interesse hinaus gehen, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Wann es
vorliegt, lässt sich nicht allgemein, sondern lediglich im Einzelfall bestimmen (vgl.
BVerfGE 35, 382; 38, 52). Soweit sich jemand jedoch als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen erweist, muss das nicht nur zur Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern in
der Regel auch dazu führen, dass diese Anordnung für sofort vollziehbar erklärt wird, um
den ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber unverzüglich von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen (OVG Bautzen, B. v. 23.02.1993, LKV 1994, S. 224; VG Saarland, B. v. 05.07.1995 - Az.: 5 F 46/95; VG Meiningen, B. v. 07.02.2002 - Az.: 2 E
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motorisierten Straßenverkehr mangels seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
nicht mehr verantwortet werden könne. Nach Auffassung des Gerichts genügt diese Begründung, die auch die Abwägung aller Interessen erkennen lässt, somit dem Erfordernis
einer ordnungsgemäßen Begründung im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO. Ob die Begründung
nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO inhaltlich richtig ist, ist für die Beurteilung der Frage, ob
die Behörde die Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erfüllt hat, nicht entscheidend (OVG Bautzen, a.a.O.; ThürOVG, B. v. 15.06.1999 - Az.: 3 EO 364/96).
3.
Das Gericht hat somit die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vollzie-
hungsanordnung zu prüfen und eine eigene Ermessensentscheidung über die Aussetzung
zu treffen, ohne an die im Bescheid genannten Gründe gebunden zu sein (Kopp/Schenke,
VwGO, Kommentar, 12. Auflage, Rdnr. 146 zu § 80; Redecker/von Oertzen, VwGO,
Kommentar, Rdnr. 52 zu § 80 m.w.N.). Diese Überprüfung ergibt, dass die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen ist, da der Rechtsbehelf mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Der Antragsgegner hat nicht dargelegt, dass der
Antragsteller ungeeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen.
a)
Der angefochtene Bescheid ist gestützt auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1
Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Hiernach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von
Kraftfahrzeugen erweist. Nach Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist geeignet, ein Kraftfahrzeug zu führen, wer gelegentlich Cannabis konsumiert, wenn er Konsum und Fahren trennen kann.
aa)
Zunächst ist festzustellen, dass der Antragsgegner zu Unrecht den Antragsteller
aufgefordert hat, ein Gutachten beizubringen. Der Antragsteller hat zwar am 25.11.2000
Cannabis konsumiert und er hat auch früheren Cannabiskonsum eingeräumt. Jedoch war er
am 25.11.2000 nur Mitfahrer in einem Kraftfahrzeug. Hinweise, dass der Antragsteller zu
einem anderen Zeitpunkt im zeitlichen Zusammenhang mit Cannabiskonsum ein Kraftfahrzeug geführt hat, liegen nicht vor. Die einmalige oder gelegentliche Einnahme von
Cannabis ohne Bezug zum Straßenverkehr, rechtfertigt jedoch nicht die Anforderung eines
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fach- oder amtsärztlichen Gutachtens (BverfG, B. v. 20.06.2002, NJW 2002, S. 2378;
BverfG, B. v. 08.07.2002, NJW 2002, S. 2381).
bb)
Diese zu Unrecht angeforderten Gutachten, die der Antragsteller dem Antragsgeg-
ner vorlegte, durften zwar verwerten werden (BVerwG, B. v. 19.03.1996, BayVBl. 1997,
S. 54). Diese Gutachten lassen jedoch nicht den Schluss zu, dass der Antragsteller Cannabiskonsum und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht trennen kann (Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV).
Das Gericht ist grundsätzlich an Inhalt und Ergebnis eines Gutachtens gebunden, denn ihm
fehlt in aller Regel die notwendige Sachkunde, um die im Rahmen eines Entziehungsverfahrens anzustellende Prognose über eine künftige norm- bzw. verkehrsgerechte Verhaltensweise zu widerlegen (BVerwG, U. v. 27.09.1991, NJW 1992, S. 1251). Das gilt - vor
allem im Eilverfahren - auch für Gutachten, die von der Behörde im Verwaltungsverfahren
eingeholt wurden. Das ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn die auf der Grundlage des
eingeholten Gutachtens beruhende Prognose nicht klar, unvollständig oder widersprüchlich
ist, also auch für einen nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufweist oder Anlass zu
Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der das Gutachten erstellenden Sachverständigen ergibt (BVerwG, U. v. 26.04.1985, NVwZ 1987, S. 48; B. v. 18.01.1982, NVwZ
1982, S. 309).
Die vorliegenden Gutachten, insbesondere das MPU-Gutachten der DEKRA, weisen oben
genannte Mängel auf. Es sollte im Wege der Gutachten letztlich die Frage geklärt werden,
ob der Antragsteller, der eigenen Angaben zu Folge gelegentlich Cannabis konsumiert hat,
den Konsum und das Führen von Kraftfahrzeugen trennen kann. Da er ohne Bezug zum
Straßenverkehr auffällig geworden ist, war bereits die seitens des Antragsgegners der
DEKRA-Begutachtungsstelle vorgegebene Frage falsch. Die Frage: „Kann der Untersuchte
trotz der Hinweise auf gelegentlichen Drogenkonsum ein Kraftfahrzeug der Klasse B sicher führen?“ stellt sich im Hinblick auf Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV
so nicht. Ebenfalls unzutreffend ist die Frage: „Ist zu erwarten, dass der Untersuchte auch
zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Betäubungsmitteln oder deren Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme)?“ Das
„auch“ suggeriert dem Gutachter, der Antragsteller habe unter Drogeneinfluss bereits ein
Fahrzeug geführt. Es liegen keine Anhaltspunkt vor, dass der Antragsteller in der Vergangenheit unter Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hat. Der Umstand, dass er Bei8
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oder Mitfahrer in einem Kraftfahrzeug war, lässt gerade nicht den Schluss zu, er sei ungeeignet. Auch darf vom Antragsteller nicht verlangt werden, dass er den Nachweis erbringt,
dass er im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug nicht unter Drogeneinfluss führen wird. Vielmehr obliegt es der Behörde nachzuweisen, dass der Antragsteller Drogenkonsum und
Verkehrsteilnahme nicht trennen kann. Die Behörde kann sich in diesem Zusammenhang
auch nicht auf die Ausführungen im Gutachten stützen, dass der Antragsteller in der Vergangenheit regelmäßig Cannabis zu sich genommen hat. Dem Gutachten lassen sich die
Kriterien nicht entnehmen, wann bei einem Cannabiskonsumenten von „regelmäßigem“
Konsum zu sprechen ist. Folglich ist die Aussage, der Antragsteller habe regelmäßig Cannabis konsumiert weder nachvollziehbar noch nachprüfbar und damit nicht verwertbar. Da
gelegentlicher Cannabiskonsum ohne Verkehrsteilnahme straßenverkehrsrechtlich unbeachtlich ist, kann vom Antragsteller für eine verkehrsrechtliche positive Prognose kein
vollständiger Verzicht auf Drogenkonsum und kein Nachweis eines tiefgreifenden und
stabilen Einstellungswandel verlangt werden. Damit hat der Antragsgegner nicht nachgewiesen, dass der Antragsteller ungeeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
ergibt sich aus § 13, § 20, § 25 GKG. Im Eilverfahren war der Streitwert auf die Hälfte zu
ermäßigen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen Nrn. I und II des Beschlusses steht den Beteiligten die Beschwerde an das Thür.
Oberverwaltungsgericht zu. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Verwaltungsgericht Meiningen, Lindenallee 15, 98617
Meiningen (Briefanschrift: Postfach 100 261, 98602 Meiningen), schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Diese Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Thür. Oberverwaltungsgericht, Kaufstraße 2 – 4, 99423 Weimar, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die
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Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.
Gegen Nr. III des Beschlusses steht den Beteiligten die Beschwerde an das Thür. Oberverwaltungsgericht zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00 Euro übersteigt.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der
Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim
Verwaltungsgericht Meiningen, Lindenallee 15, 98617 Meiningen (Briefanschrift: Postfach 100 261, 98602 Meiningen), schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen.
Vor dem Thür. Oberverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag
stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im
Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten
vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich
auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen
im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte und Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen
Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
gez.: Michel
Wimmer
Viert
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