Polski ExPrEss iii

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Polski ExPrEss iii
Polski Express III
The Promised City
25. Mai bis 05. Juni 2010
www.promised-city.org
www.hebbel-am-ufer.de
T. 030-259004 27
Polski Express III
The Promised City
25. Mai bis 05. Juni 2010
Manchmal überholt die Geschichte die Gegenwart. Während wir in den
Vorbereitungen für dieses Heft waren, stürzte das Flugzeugunglück
von Smolensk die gesamte polnische Nation in Trauer. Jenseits politischer Differenzen einte der Schock über den Verlust eines Teils der
politischen und gesellschaftlichen Führung des Landes. Wir können mit
unserem Programm nicht wirklich auf die tagespolitische Situation
Polens eingehen, aber an fünf Abenden unseres Festivals lädt Krytyka
Polityczna zum Gespräch und zu politischer Diskussion. In diesem
Rahmen wird es möglich sein, die aktuelle Lage zu debattieren.
Blühende Landschaften wurden den DDR Bürgern versprochen, als es
zur Wende 1989 kam. Das Eldorado suchten Abenteurer vergangener
Zeiten im Westen, da, wo die Sonne untergeht. Hinterm Horizont aber
geht’s nicht weiter, Ressourcen sind endlich und die Geschichte
schreibt mit an der Gegenwart. Der Blick wendet sich also zurück, in
der Zeit wie räumlich.
„Polski Express III“ ist ein Teil des Projekts „The Promised City“, einer kulturellen Initiative zwischen
Berlin und Warschau mit Kooperationen in Mumbai und Bukarest: Künstler, Kuratoren, Kulturschaffende und Wissenschaftler aus Deutschland, Polen, Indien und Rumänien entwickeln zahlreiche neue
künstlerische Produktionen, die sich interdisziplinär mit den Träumen, Illusionen und dem Glücksversprechen moderner Metropolen auseinandersetzen. www.promised-city.org
„Polski Express III“ ist eine Produktion des HAU und wird gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds, das Polnische Institut Berlin, das Goethe-Institut, die Stiftung für deutsch-polnische
Zusammenarbeit und das Adam-Mickiewicz-Institut.
Medienpartner:
Coverfoto: Bartłomiej Sowa
Polens Geschichte als Opfer von Aggressionen aus dem Westen wie
aus dem Osten war eines der Themen, für die Lech Kaczyński stand,
ebenso wie für konservative Werte zwischen Kirche und traditioneller
Familie, die durchaus nationalistisch begründet wurden.
Nicht zuletzt durch die Ausrufung eines israelisch-polnischen Jahres
2009 und zahlreicher Bemühungen aus dem Polnischen Kulturinstitut
hat es im künstlerischen Bereich in den letzten Jahren eine verstärkte
Auseinandersetzung damit gegeben, dass Polen nicht nur der Ort ist,
an dem die Vernichtung der Juden stattfand, sondern dass es auch hier
Kollaboration mit den Nazis gegeben hat. Der Versuch, sich jenseits
von ikonischen Geschichtsbildern zu bewegen, kennzeichnet einen Teil
der in unserer dritten Ausgabe von „Polski Express“ gezeigten Arbeiten.
Jenseits des Nationalismus und jenseits der traditionellen Linken geht
es nicht einfach nur um Kritik, sondern darum, das Versprechen auf ein
anderes Leben zu denken.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die kritische Auseinandersetzung mit
der scheinbaren Alternativlosigkeit des Kapitalismus. Immer da, wo
Produktionsmittel sind, da, wo Wege sich kreuzen, da, wo Versorgung
sich ballt, zieht es diejenigen hin, die vielleicht nicht ihr Glück suchen,
sondern schlicht ihren Lebensunterhalt zu bestreiten haben. Immer mehr
Menschen leben weltweit in Städten, Ballungszentren entwickeln sich,
während zugleich ganze Landstriche verwaisen und kleinere Städte
schrumpfen. In den Städten selbst ähneln sich die Szenarien. Bedingt
durch Globalisierung und durch den Siegeszug großer Handelsketten
gleichen sich die weltweit durch Konsum geprägten Architekturen der
Städte an. Samsara als ewiger Kreislauf von Werden und Vergehen
könnte hier Pate gestanden haben, die Regisseurin Agnieszka Olsten
jedenfalls legt das mit ihrer Arbeit, die wir als Eröffnung des Festivals
zeigen, nahe. Wenn es nichts gibt jenseits der Welt des Konsums,
welche Ziele lohnt es dann ins Auge zu fassen? Vielleicht die Suche nach
einem Außerhalb der Sprache des Kapitalismus, wie sie die gefeierte
junge Regisseurin Barbara Wysocka in ihrem Abend zu Kaspar Hauser
betreibt, eine Suche nach Alternativen zum aktuellen Zustand, ein
Ausloten der Möglichkeiten menschlichen Seins, das vor den Gefahren
des Denkens eines Übermenschen gefeit bleibt.
Stefanie Wenner, Kuratorin
Foto: Raqs Media Collective
Diese Impulse aus Polen zur Vergegenwärtigung von Vergangenheit
ebenso wie zur Überschreitung der Gegenwart haben ihren Ort nicht
nur in unserer direkten Nachbarschaft, sondern hier und jetzt: Genau
jetzt, genau hier, in Deutschland, in Berlin, 2010.
We will be strong in our weakness.
keyNotes from the first congress of the Jewish
Renaissance movement in Poland
Performance von Yael Bartana/Jewish
Renaissance Movement in Poland, Tel-Aviv/
Amsterdam/Warsaw
mit Susanne Sachsse und SŁawomir Sierakowski
25. Mai um 18.30 Uhr HAU 1
in Englisch und Deutsch
Die polnisch-jüdischen Beziehungen sind mehr als tausend Jahre alt
und bleiben bis heute ungeklärt. Das Thema gilt als heikel und löst auf
beiden Seiten stets eine Lawine an Kommentaren aus, sobald es Gegenstand der öffentlichen Diskussion ist. Was beim Blick auf die nackten
Zahlen wenig überrascht: Anfang des letzten Jahrhunderts lebten in
Polen drei Millionen Juden, heute sind es kaum mehr als 10000, fast alle
Abkömmlinge der Überlebenden des Holocaust, die das Land weder
nach dem 2. Weltkrieg verließen noch in Folge der antisemitischen Propaganda der kommunistischen Regierung, dem so genannten „März
1968“. Die israelische Künstlerin Yael Bartana beschäftigte sich mit
dieser Thematik bereits in „Mary Koszmary“ (Albträume) und „Mur i wieża“
(Mauer und Turm). Jetzt zeigt sie einen Live Trailer zum letzten Teil ihrer
Filmtrilogie, „Wir werden stark sein in unserer Schwäche“, in dem ein
Kongress des Renaissance Movements der Juden in Polen präsentiert
wird. Ein Repertoire an Gesten, Rhetorik und Symbolen macht die Vergangenheit zu einer Form kollektiver Psychotherapie, bei der die nationalen Dämone ans Tageslicht gebracht werden.
Samsara Disco
Regie: Agnieszka Olsten/Teatr Polski, WrocŁaw
25. Mai und 26. Mai 20.30 Uhr HAU 2 (110 Min.)
Polnisch mit dt. Simultanübersetzung
Foto: Krzysztof Biełiński
Agnieszka Olsten hat mit „Samsara
Disco“ eine Neuinterpretation von
Tschechows „Iwanow“, auf der Basis
von Wiktor Pelewins „Das Leben
der Insekten“ vorgelegt. „Samsara“
als der ewige Kreislauf von Werden
und Vergehen, in dem Gier, Hass
und Verblendung die Triebkräfte sind,
die es zu überwinden gilt, trifft auf
„Disco“ als einen Ort des Feierns, an
dem reine Weltlichkeit zelebriert
wird. Nach dem Kommunismus
scheint im Konsumismus die einzige
Erfüllung zu liegen. Ist hier eine
Aufklärung überhaupt möglich? Und
woher kommen die Emotionen?
Sie sind außerhalb des Scheins zu
suchen. Denn schließlich will sich
hier jeder Richtung Licht bewegen,
oder sollten nach einem estnischen
Sprichwort Eulen und Motten das
Tageslicht besser scheuen?
The Capital of Accumulation
Ausstellung: Raqs Media Collective, New Delhi
Vernissage 25. Mai 19.30 bis 24.00 Uhr HAU 2
26. bis 29. Mai, 31. Mai bis 01. Juli
26. Mai 21.00 Uhr: Raqs Media Collective im Gespräch mit
Florian Zeyfang und Sebastian Lütgert
in englisch
Im Auftrag des Goethe-Instituts haben die indischen Künstler, Dokumentarfilmer, Networker und Spezialisten für urbane Fragestellungen
Monica Narula, Jeebesh Bagchi und Shuddhabrata Sengupta aus
dem Raqs Media Collective in drei Metropolen eine Videoinstallation
aus Sound, Text- und Archivmaterial mit dem Titel „The Capital of Accumulation” erstellt. Raqs entwickelt entlang einer an Rosa Luxemburgs „Die Akkumulation des Kapitals“ angelehnten Erzählstruktur
eine gemeinsame ökonomische, politische, soziale und urbane Geschichte, die so im 20. Jahrhundert in Berlin, Mumbai oder Warschau
stattgefunden haben könnte. Es sind Erzählungen vom Versprechen
eines Neubeginns, vom Scheitern und von den Übergängen.
DURCH die KREISE der KAPITALISTISCHEN HÖLLE
POLENS
Krytyka Polityczna: Poland - Why it is so bad,
if it seems to be so good
Die Mitarbeitern der Zeitschrift Krytyka Polityczna laden zu einer Exkursion durch die vier Kreise der polnischen Hölle ein: Politik, Wirtschaft,
gesellschaftliches Leben und die Künste, um in den Himmel der Utopie
zu gelangen, für deren Einzug auf Erden gekämpft wird.
Economy
25. Mai 22.30 Uhr HAU 2. Foyer
in Englisch
„Es gibt nur eine Wirtschaft“ – sagte ein einflussreicher Politiker und Wirtschaftswissenschaftler während einer Debatte über die aktuelle Lage
der Wirtschaft in Polen. „Glücklicherweise ist Polen nicht von der Krise
betroffen“ – so der Ministerpräsident. Da waren die Banken schon längst
dabei, auf Kosten der Lebensqualität des polnischen Normalbürgers
um ihre Einnahmen zu kämpfen. Was sollte da nun unternommen werden?
Rednerin: Katarzyna Fidos,
Einführung in die Reihe von Sławomir Sierakowski
Politics
26. Mai 22.30 Uhr HAU 2. Foyer
in Englisch
„Ist hier nicht Wunder alles, was sich zeigt?“, fragt Jupiter in einem Stück
von Kleist. Nein, es handelt sich um infantilen post-politischen Realismus
in Polen. Parteien, Parlament, wichtige Ämter, Zivilgesellschaft, NGOs,
Medien und die Katholische Kirche. Eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten des Zusammenlebens. Und neuste Ereignisse, die das Land
auf den Kopf stellen. Eine Vielfalt der Weltanschauungen, Ideen, wie
Polen seinen Traum von der Modernisierung umsetzen sollte, und eine oft
vorkommende, völlige Einigkeit über unsinnige politische Lösungen.
Redner: Maciej Gdula
Social Life
27. Mai 22.00 Uhr HAU 2. Foyer
in Englisch
Das soziale Polen gegen das liberale, Religion gegen Nihilismus,
Katholiken gegen linksgerichtete Perverse, antikommunistische Kämpfer
gegen prokommunistische Kollaborateure, Patrioten gegen Verräter.
Sind das die realen Konflikte, die der sozialen Wirklichkeit in Polen zu
Grunde liegen? Wer dominiert und wer wird dominiert in der aktuellen
polnischen Realität?
Redner: Michał Sutowski
The Arts
28. Mai 22.00 Uhr HAU 2. Foyer
in Englisch
Der banale Glaube an die Individualität der künstlerischen Fantasie und
die Unwissenheit über Mechanismen, die unsere Realität gestalten,
sind die Krankheit eines typischen polnischen Künstlers. Die Literatur
wirft infantile Fragen auf, die die bildende Kunst mit berührender Einfalt
beantwortet. Glücklicherweise nicht immer. Ein Ausflug in die polnische
Kunstszene von heute.
Redner: Igor Stokfiszewski
Utopia
29. Mai 22.00 Uhr HAU 2. Foyer
in Englisch
Utopie ist in zwanzig Jahren Realität. Dieser Abend wird der Vision von
Polen, Europa und der Welt gewidmet. Einige Kritiker der Gruppe behaupten sie seien Linksradikale und die von ihnen vorgeschlagene
Vision von der Welt würde zu Zwangsarbeitslagern führen. Sie erinnern
sie unter anderem daran, dass sie einige Werke von Lenin neu veröffentlicht haben. Diese Vorwürfe werden mit der Antwort zurück gewiesen,
dass sie sich als einfache Sozialdemokraten verstehen und vielleicht
auch bescheidene Kämpfer für Wahrheit und Universalität sind.
Redner: Sławomir Sierakowski
Ein Multimedia-Kommentar über das zur Diskussion stehende Thema
ist Bestandteil jeder der Präsentationen. Kein Erbarmen für die Dunkelheit! Vorgestellte Künstler: Joanna Rajkowska, Artur Żmijewski, Wilhelm
Sasnal, Katarzyna Górna, Gruppe Twożywo.
Jeder interaktive Vortrag wird von den Beats und Scratches unseres
begnadeten Soundproduktionskameraden Julian Kutyła begleitet.
Kein Erbarmen für die Stille!
Über Krytyka Polityczna
Die Zeitschrift Krytyka Polityczna (Politische Kritik) ist im Jahr 2002 mit
dem Ziel gegründet worden, die Tradition einer engagierten polnischen
Intelligenzija neu aufleben zu lassen. Die Zeitschrift gilt seit ihrer ersten
Ausgabe als eines der wichtigsten Medien für die öffentliche Debatte
in Polen und als wichtigste Zeitschrift für die wieder aufblühende Linke.
Sierakowski ist Gründer, Chefredakteur und Kopf von Krytyka Polityczna.
Er ist Aktivist, politischer Kommentator, Soziologe, Literatur- und
Theaterkritiker. 2003 machte er sich als Vertreter der öffentlichen Meinung in Polen einen Namen, als er einen „Open Letter to the European
Public Opinion“ initiierte, der von 250 Intellektuellen unterzeichnet wurde,
die den Verfassungsentwurf für die EU und das föderalistische Modell
der europäischen Integration befürworten. Seitdem ist er aktiv an politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Debatten beteiligt, die die
polnische Öffentlichkeit prägen.
Serie Deutschland
Videoinstallation von Hofmann&Lindholm
Vernissage 26. Mai 18.30 HAU 3
27. bis 29. und 31. Mai bis 04. Juni 18.30 bis 22.00 Uhr
29. Mai im Anschluss an die Vorstellung:
Christine Wahl im Gespräch mit Hofmann&Lindholm
Koproduktionspartner: Büro für Angewandte Kulturvermittlung, Bundeszentrale für politische Bildung /
bpb im Rahmen des 7. Festivals für Politik im freien
Theater / Goethe-Institut Warschau / HAU Berlin.
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturamt
der Stadt Köln.
Foto: Timm Lange
Es gibt Bilder, die das kollektive, gesellschaftliche Gedächtnis bestimmen
und für Jahre das Geschichtsbild
formen. Noch heute sind die fotografischen Momentaufnahmen vom Kniefall Willy Brandts in Warschau (1970),
von der Entführung Hanns-Martin
Schleyers durch die RAF (1977) oder
vom ‚Gladbecker Geiseldrama‘ (1988)
Symbole für eine bestimmte Zeit,
die sie besser erklären als jedes Geschichtsbuch. Gleichzeitig funktionieren sie auch in den Medien, von
denen sie benutzt und manchmal auch
ausgenutzt werden. Für die Realisation der Videoinstallation „Serie
Deutschland“ haben Hofmann&
Lindholm Bür­gerInnen verschiedener
Städte eingeladen, vor laufender
Kamera historische Referenzbilder an
Originalschauplätzen nachzustellen.
Die Serie wird seit 2008 fortlaufend
durch weitere Bildmotive ergänzt.
Kaspar
Regie: Barbara Wysocka/Teatr Współczesny,
Wrocław
26. und 28. mai 19.30 Uhr und 27. Mai 20.00 Uhr HAU 3 (70 Min)
am 27. Mai im Anschluss an die Veranstaltung: Publikumsgespräch mit Barbara Wysocka und Magdalena Marszałek
(humboldt-uni Berlin)
Polnisch mit dt. Übertiteln
Die Regisseurin und Schauspielerin Barbara Wysocka lotet in „Kaspar“
die Grenzen der Sprache aus. Kaspar Hauser wird zum Bild von
Sprache als einem Gefängnis, einem System, aus dem es kein Entrinnen
gibt. So, wie es zum kapitalistischen System keine Alternative zu geben
scheint, sind wir in Sprache geworfen – es gibt keine Metasprache!
Auf einer wahren Geschichte basierend, ist das Stück von Peter Handke
ein Versuch einen neuen Menschen zu denken. Unter anderem für diese
Inszenierung bekam Barbara Wysocka in den letzten Monaten alle wichtigen Theaterpreise Polens und gilt als eine der interessantesten
Künstlerinnen der jungen Generation.
Eine Produktion von Wrocławski Teatr Współczesny, Patrons: Wrocław - Candidate European
Capital of Culture 2016, PKO BP SA, PPU „ Comex“ Sp. z o.o.
Stefanie Wenner im Gespräch mit Barbara Wysocka
Was mich am meisten an diesem Text interessiert hat, war die Art und
Weise, wie Gewalt funktioniert. Wichtiger als Kaspars Unfähigkeit,
die Welt zu benennen, war sein Gefangensein im eigenen Gedächtnis,
sein Weg zur Unangepasstheit durch scheinbare Anpassung, bis zum
totalen Verfall. Der Ausschluss eines Individuums und die Versuche, es
in gesellschaftliche Standards zu pressen, waren wichtige Themen.
Ein Experiment am Menschen, das nicht gelungen ist. Ein Experiment,
über das man die Kontrolle verloren hat.
Foto: Bartłomiej Sowa
Wir zeigen im Rahmen unseres Festivals Ihre Inszenierung von „Kaspar“. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie
diesen Stoff bearbeitet haben?
Welche Bedeutung hat Sprache für Sie in dieser
Inszenierung?
Die Sprache ist hier ein Werkzeug des Terrors. „Kaspar“ ist eine musikalische Etüde für Schauspieler und Bühnenraum. Handke schreibt:
„Das Stück Kaspar zeigt nicht wie ES WIRKLICH IST oder WIRKLICH
WAR mit Kaspar Hauser. Es zeigt, was MÖGLICH IST mit jemandem.
Es zeigt, wie jemand durch sprechen zum Sprechen gebracht werden
kann. Das Stück könnte auch ‚Sprechfolterung‘ heißen.“ Diese Folter
betrifft sowohl die Figur von Kaspar wie auch die Zuschauer, die sich im
Theater befinden. Wörter sind hier nicht Träger der Geschichte oder
der Emotionen, sondern eine musikalische Schicht, eine Masse, die alle
Teilnehmer des Theaterereignisses – Schauspieler und Zuschauer –
unterdrückt.
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation polnischer
Theatermacher ein?
Die jetzige Situation ist nicht schlecht. Das System der Kulturfinanzierung
funktioniert relativ gut. Junge Regisseure haben Möglichkeiten für ein
Debüt und arbeiten an den wichtigsten Bühnen im Land. Theater in der
Provinz werden zu wichtigen Kulturzentren und es gibt interessante
Initiativen in der freien Szene. Die potentielle Privatisierung und Kommerzialisierung der Kultur ist eine Gefahr. Ich hoffe aber, dass sich das
polnische Theater dagegen wehren kann.
Sie sind als Schauspielerin und Regisseurin tätig,
welche der beiden Perspektiven ist Ihnen näher?
Schauspielen ist mir lebensnotwendig, es gibt mir innere Bewegung und
eine Art emotionaler Instabilität. Ich brauche das sehr. Regie erweitert
mein Territorium und gibt mir die Möglichkeit, eigene Räume zu schaffen
und Andere dorthin zu führen. Für mich ergänzen sich diese zwei Berufe,
sie sind wie zwei verschiedene Wege innerhalb derselben Materie.
Woran arbeiten Sie gerade?
Als Schauspielerin drehe ich gerade einen deutschen Film unter der
Regie von Jakob Ziemnicki. Meine nächsten Theaterprojekte sind
„Wolokolamsker Chaussee“ von Heiner Müller und „Die Sanfte“ von
Dostojewski. Beide Premieren finden im Herbst statt.
reverse fast forward
Erzählungen und Reflexionen zu THE KNOT
Performativer Vortrag von Markus Bader (raumlaborberlin), Oliver Baurhenn (club transmediale), Jakub Szreder,
Raluca Voinea (e-cart.ro) & Künstlern & spezial guests
27. Mai 20.00 Uhr HAU 2
Unter dem Titel „reverse fast forward“ stellt am 27. Mai das kuratorische
Team von the KNOT, zusammen mit beteiligten Künstlern und special
guests, in einer live Installation erste Ergebnisse vor. The KNOT ist ein
Forschungs- und Imaginationscamp für die Zukunft öffentlicher Räume
und der Stadt. Bis zum Vortrag hat das Camp und seine Besatzung bereits das Kulturforum und den Mariannenplatz hinter sich gelassen
und lagert gerade auf dem Tempelhofer Flugfeld. 2010 reist die mobile
Plattform für künstlerische Präsentation und Produktion nach Berlin,
Warschau und Bukarest. In jeder der drei Städte hält diese für einige
Wochen verschiedene Orte im öffentlichen Raum besetzt. The KNOT
ist offen für Begegnung, Austausch und Experiment. Es ist Labor und
Schnittstelle, Leerstelle, die von seinen Teilnehmern gefüllt wird. Durch
und mit dieser Offenheit sucht the KNOT nach Imaginationen von Stadt
und gemeinsamem Handeln. Es verknotet, verknüpft, verbindet in Form
von sozialen Situationen, künstlerischen Arbeiten, Workshops, Performances, Diskussionen und Konzerten. Eine Mobile Unit ist Basis, Dock,
Plattform für Künstler, Performer, Spezialisten und Interessierte in den drei
Städten zu arbeiten, sich zu begegnen und gemeinsam zu handeln. Das
Produkt ist Präsenz und Öffentlichkeit, sind Situationen und Netzwerke.
„The Knot“ wird finanziert vom EU-Kulturprogramm 2007-2013 und vom Hauptstadtkulturfonds Berlin.
Mit freundlicher Unterstütztung von: Neuer Berliner Kunstverein, Rumänisches Kulturinstitut Berlin
und Warschau, Stiftung der Deutschen Klassenlotterie Berlin.
Kooperationspartner sind: Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Fundacja Be˛c Zmiana, Skulpturenpark
Berlin/KUNSTrePublik e.V., DISK e.V. & CTM.
We are oh so lucky!
Harakiri Farmers & Ana Brzezińska
28. Mai 21.00 Uhr, 29. Mai 20.00 Uhr HAU 1 (50 Min.)
Polnisch mit dt. Übertiteln
Foto: Harakiri Farmers
Harakiri Farmers ist ein junges Kollektiv aus Krakau, das interdisziplinär
arbeitet und sich als eine nicht ins­
titutionelle Austauschplattform für
Künstler versteht. In „We Are Oh
So Lucky!“ schaffen sie eine Hybridtheatersprache, in der Bewegung,
Bild und Wort gleich gestellt werden
und dadurch nicht eindeutig klassi­
fiziert werden können. Eine Sammlung von Impulsen entsteht, in die
sich Zitate großer Philosophen
mischen. „Wir sind – ach – so glücklich“, wir haben Glück gehabt,
wir sind noch mal davon gekommen.
Text, Bild und Bewegung spielen
mit der Figur des Lucky aus Becketts
„Warten auf Godot“ und eröffnen
Perspektiven auf die Konstruktion
von Realität.
Das gelobte Land
Regie: Jan Klata/Teatr Polski, Wrocław
31. Mai und 01. Juni 20.30 Uhr HAU 2
Polnisch mit dt. Simultanübersetzung
Eine Koproduktion von Teatr Polski Wrocław /
Festival Dialog der Vier Kulturen, Łódź / HAU
Berlin.
Foto: Bartosz Maz
In seiner Adaption des Romanklassikers von Władysław Reymont
„Das gelobte Land“ analysiert der
polnische Regisseur Jan Klata die
Mechanismen des Kapitalismus in
unserer Zeit. Reymont hat den
Ende des 19. Jahrhunderts spielenden Roman in der Textilindustriestadt Łódź angesiedelt, die durch
das Zusammenleben von Polen,
Juden und Deutschen geprägt war.
Der Stoff wurde von Andrzej Wajda
1974 kongenial verfilmt. Klata bezieht sich nicht nur auf diese beiden
Erzählungen, sondern aktualisiert
den Stoff radikal unter Bezugnahme
auf Oliver Stones Film „Wall Street“
von 1987, dem der Slogan des
Stücks „Greed Is Good!“ entnommen wurde. „Gier ist gut“, auch in
Zeiten des global organisierten
Kapitalismus, das ist das Motto der
Protagonisten des Stücks, die
versuchen aus der Lage auf skrupellose Weise Profit zu schlagen.
If i can make it there. Was die Städte versprechen
In fünf Abendvorträgen zwischen März und Juni 2010 wird die Frage
des Glücks im urbanen Kontext untersucht. Kulturanthropologen, Stadtforscher und Architekten beleuchten die Ideologie der Glückssuche
und ihre realen Effekte. Am Beispiel einzelner Städte (Warschau, Berlin,
Neapel, Bukarest, Las Vegas, Mumbai) eröffnen sich Zusammenhänge
von Migration, Tourismus, Stadtplanung und Architektur. Die Verheißungen der Stadt gehen über das Private hinaus und strukturieren die
Gesellschaft. Sie sind daher ein Schlüssel zum Verständnis unseres
Zusammenlebens.
Konzept: Stefanie Peter
# 4: Glück in Warschau. Eine Stadt und ihre
Untergründe
31. Mai 19.00 Uhr HAU 3
Joanna Tokarska-Bakir (Warschau)
Gesprächspartner: Piotr Buras (Berlin)
Polnisch mit dt. Simultanübersetzung
Es ist ein universaler Mythos, dass Wasserwesen und Geschöpfe der
Unterwelt Schätze hüten. Auf den Schätzen in der Höhle sitzt der König
der Schlangen und trägt eine Krone aus Diamanten. Eine Stadt, die eine
Meerjungfrau, also ein unterirdisches Wesen, im Wappen trägt, aber
vor allem über Martyrologie redet, weiß offenbar längst nicht alles über
sich selbst. Die Warschauerin Joanna Tokarska-Bakir geht diesen
Rätseln nach.
Joanna Tokarska-Bakir ist Kulturanthropologin und Professorin an der
Universität Warschau, wo sie das „Archiv für Ethnographie“ leitet
(www.archiwumetnograficzne.edu.pl). Sie lehrt am Institut für Angewandte Sozialwissenschaften. Auf Deutsch erschien von ihr „Unschuldbesessen“, in: Hirsch/Engelking (Hg.): „Unbequeme Wahrheiten – Polen
und sein Verhältnis zu den Juden“, Frankfurt/Main 2008.
Piotr Buras ist Mitarbeiter der polnischen Tageszeitung Gazeta
Wyborcza in Berlin.
# 5: Die Cheat Codes von Las Vegas, über das Ende
von Öffentlichkeit, Politik und Entertainment
01. juni 19.00 Uhr HAU 3
Norman M. Klein (Los Angeles)
Gesprächspartner: Ulrich Gutmair (Berlin)
Englisch mit dt. Simultanübersetzung
Cheat Codes manipulieren Räume. In solchen scripted spaces ergeben
geheime Absprachen zwischen dem Spieler und dem Programm ein
ganzes System des heimlichen Betrugs. In den USA der letzten vierzig
Jahre prägten Cheat Codes alle Lebensbereiche. Das gilt für Las Vegas
und andere Städte, für Medien, Banken, Politik. Wie kommt es aber
dazu, dass eine ganze Kultur warnende Vorahnungen fröhlich unterdrückt,
um in Spiele einzusteigen, die ganz wesentlich auf Zerfall und Störung
zielen? Weshalb gibt uns die Konzentration von Cheat Codes – seit
1971 – ein Gefühl für den Ursprung und die Zukunft der Krise in Amerika?
Der Vortrag untersucht das am Beispiel des Wandels von Unterhaltungsindustrie, Finanzkapital, Stadtplanung und digitaler Kultur. Das Jahr
2008 markiert das Ende dieser Glückspielautomaten-Logik des Spekulantentums. 2010 tut sich die überraschende Zukunft Amerikas auf:
Eine Komödie von tragischen Ausmaßen.
Norman Klein ist Professor am California Institute of the Arts, Los
Angeles. Als Kulturkritiker, Mediengeschichtler und Schriftsteller arbeitet er über Medien, urbane Kultur, Architektur und Globalisierung.
Autor von „The History of Forgetting: Los Angeles and the Erasure of
Memory“ (2008) und „The Vatican to Vegas: The History of Special
Effects“ (2003).
Ulrich Gutmair ist Kulturredakteur der tageszeitung.
04. und 05. Juni 19.00 Uhr (4 Std.)
ORT: Station Berlin, Luckenwalder Str. 4-6, Berlin Kreuzberg
Polnisch mit dt. Übertiteln
Krzysztof Warlikowski zählt heute zu den
wichtigsten Theatermachern in Europa. Er
lernte bei Ingmar Bergmann, Giorgio
Strehler und Peter Brook, als dessen
Nachfolger er heutzutage von manchen
bezeichnet wird. Mit „(A)pollonia“, einer
Inszenierung über Selbstopfer und Menschenopfer seit der Antike, begann er
2009 die Arbeit für sein eigenes Theater
in Warschau. Titelgebend ist die Geschichte der Apolonia Machczyńska, die
im 2. Weltkrieg 25 jüdische Kinder vor
der Gestapo versteckte und die sich
anstelle ihres Vaters an die Gestapo auslieferte. Fast allegorisch inszeniert
Warlikowski diese Figur, die er in einer
literarischer Collage zwischen antiker
Tragödie wie „Alkestis“ und „Orestie“ und
zeitgenössischer Literatur situiert. Die
Adaption zeichnet sich besonders durch
die Vermengung von Idiomen aus unterschiedlichen sprachlichen und historischen Kontexten aus und brilliert durch die
unterschiedlichen Diskurse, die darin
aufgenommen werden. Gegen Vorurteile
und Behauptungen jeglicher Art wagt
Warlikowski eine Gegenüberstellung des
Genozids an Juden mit dem so genannten
Holocaust der Tiere, der von Coetzees Titelfigur Elizabeth Costello in
einem ihrer Vorträge mit leidenschaftslosem rhetorischen Geschick
diskutiert wird. Es ist ein provozierender, ein skandalöser Schritt, der
jedoch unbedingt einer Reflektion wert ist, denn: sind nicht Schilderungen von Scharfrichtern ungeheuerlich, in denen diese die mörderische
Belastung des Tötens darstellen?
Eine Kooperation von Nowy Teatr, Warschau / Narodowy Stary Teatr, Kraków / Festival d‘Avignon /
Théâtre National de Chaillot Paris / Théâtre de la Place de Liège / La Comédie de Genève-Centre
Dramatique / Théâtre Royal de la Monnaie Brüssel / Wiener Festwochen
Foto: Stefan Okołowicz
(A)POLLONIA
Regie: Krzysztof Warlikowski/Nowy Teatr,
Warschau
StresemannstraSSe 29, 10963 Berlin
Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin
Tempelhofer Ufer 10, 10963 Berlin
www.hebbel-am-ufer.de
Kasse
T. 030 – 259004 27, täglich 12 – 19 Uhr
HAU ZWEI Hallesches Ufer 32 10963 Berlin
Die Abendkasse an den Spielorten HAU 1, HAU 2 und HAU 3 öffnen eine
Stunde vor Vorstellungsbeginn.
25. Mai (YAEL BARTANA-Performance) 7 €, 26. Mai (Gespräch Raqs
Media Collective) 3 €, 28. & 29. Mai (We are oh so lucky!) 11 €, erm. 7 €
25. & 26. Mai (SAMSARA DISCO) 11 €, erm. 7 €, 27. Mai (REVERSE FAST
FORWARD) 3 €, 25. bis 29. Mai (KRYTYKA POLITYCZNA: POLAND) 3 €, 31.
Mai & 01. Juni (DAS GELOBTE LAND) 11 €, erm. 7 €
26. bis 28. Mai (KASPAR) 11 €, erm. 7 €, 31. Mai & 01. Juni (Vorträge) 3 €
Station Berlin, Luckenwalder Str. 4-6, Berlin-Kreuzberg
04. & 05. Juni ((A)POLLONIA) 25 € & 18 €, erm. 11 €
TRY Out - DIE ZEHNERKARTE
Günstig ins Theater auf Zehnerkarte: 10 x allein oder 5 x zu zweit für 80 €.
Gültig für alle Spielstätten (einzulösen im Vorverkauf oder an der Abendkasse
nach Verfügbarkeit).
Impressum
Hrsg. Hebbel am Ufer
Künstlerische Leitung: Matthias Lilienthal
Kuratorin „Polski Express III – The Promised City“: Dr. Stefanie Wenner, Mitarb.: Gosia Ćwikła
Redaktion Programmheft: Dr. Stefanie Wenner und Gosia Ćwikła
Übersetzung: Gosia Ćwikła, Sandra Pontow
Layout: Double Standards, Berlin
Druck: Druckerei Conrad
www.promised-city.org
www.hebbel-am-ufer.de
T. 030-259004 27