Polski ExPrEss iii
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Polski ExPrEss iii
Polski Express III The Promised City 25. Mai bis 05. Juni 2010 www.promised-city.org www.hebbel-am-ufer.de T. 030-259004 27 Polski Express III The Promised City 25. Mai bis 05. Juni 2010 Manchmal überholt die Geschichte die Gegenwart. Während wir in den Vorbereitungen für dieses Heft waren, stürzte das Flugzeugunglück von Smolensk die gesamte polnische Nation in Trauer. Jenseits politischer Differenzen einte der Schock über den Verlust eines Teils der politischen und gesellschaftlichen Führung des Landes. Wir können mit unserem Programm nicht wirklich auf die tagespolitische Situation Polens eingehen, aber an fünf Abenden unseres Festivals lädt Krytyka Polityczna zum Gespräch und zu politischer Diskussion. In diesem Rahmen wird es möglich sein, die aktuelle Lage zu debattieren. Blühende Landschaften wurden den DDR Bürgern versprochen, als es zur Wende 1989 kam. Das Eldorado suchten Abenteurer vergangener Zeiten im Westen, da, wo die Sonne untergeht. Hinterm Horizont aber geht’s nicht weiter, Ressourcen sind endlich und die Geschichte schreibt mit an der Gegenwart. Der Blick wendet sich also zurück, in der Zeit wie räumlich. „Polski Express III“ ist ein Teil des Projekts „The Promised City“, einer kulturellen Initiative zwischen Berlin und Warschau mit Kooperationen in Mumbai und Bukarest: Künstler, Kuratoren, Kulturschaffende und Wissenschaftler aus Deutschland, Polen, Indien und Rumänien entwickeln zahlreiche neue künstlerische Produktionen, die sich interdisziplinär mit den Träumen, Illusionen und dem Glücksversprechen moderner Metropolen auseinandersetzen. www.promised-city.org „Polski Express III“ ist eine Produktion des HAU und wird gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds, das Polnische Institut Berlin, das Goethe-Institut, die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und das Adam-Mickiewicz-Institut. Medienpartner: Coverfoto: Bartłomiej Sowa Polens Geschichte als Opfer von Aggressionen aus dem Westen wie aus dem Osten war eines der Themen, für die Lech Kaczyński stand, ebenso wie für konservative Werte zwischen Kirche und traditioneller Familie, die durchaus nationalistisch begründet wurden. Nicht zuletzt durch die Ausrufung eines israelisch-polnischen Jahres 2009 und zahlreicher Bemühungen aus dem Polnischen Kulturinstitut hat es im künstlerischen Bereich in den letzten Jahren eine verstärkte Auseinandersetzung damit gegeben, dass Polen nicht nur der Ort ist, an dem die Vernichtung der Juden stattfand, sondern dass es auch hier Kollaboration mit den Nazis gegeben hat. Der Versuch, sich jenseits von ikonischen Geschichtsbildern zu bewegen, kennzeichnet einen Teil der in unserer dritten Ausgabe von „Polski Express“ gezeigten Arbeiten. Jenseits des Nationalismus und jenseits der traditionellen Linken geht es nicht einfach nur um Kritik, sondern darum, das Versprechen auf ein anderes Leben zu denken. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die kritische Auseinandersetzung mit der scheinbaren Alternativlosigkeit des Kapitalismus. Immer da, wo Produktionsmittel sind, da, wo Wege sich kreuzen, da, wo Versorgung sich ballt, zieht es diejenigen hin, die vielleicht nicht ihr Glück suchen, sondern schlicht ihren Lebensunterhalt zu bestreiten haben. Immer mehr Menschen leben weltweit in Städten, Ballungszentren entwickeln sich, während zugleich ganze Landstriche verwaisen und kleinere Städte schrumpfen. In den Städten selbst ähneln sich die Szenarien. Bedingt durch Globalisierung und durch den Siegeszug großer Handelsketten gleichen sich die weltweit durch Konsum geprägten Architekturen der Städte an. Samsara als ewiger Kreislauf von Werden und Vergehen könnte hier Pate gestanden haben, die Regisseurin Agnieszka Olsten jedenfalls legt das mit ihrer Arbeit, die wir als Eröffnung des Festivals zeigen, nahe. Wenn es nichts gibt jenseits der Welt des Konsums, welche Ziele lohnt es dann ins Auge zu fassen? Vielleicht die Suche nach einem Außerhalb der Sprache des Kapitalismus, wie sie die gefeierte junge Regisseurin Barbara Wysocka in ihrem Abend zu Kaspar Hauser betreibt, eine Suche nach Alternativen zum aktuellen Zustand, ein Ausloten der Möglichkeiten menschlichen Seins, das vor den Gefahren des Denkens eines Übermenschen gefeit bleibt. Stefanie Wenner, Kuratorin Foto: Raqs Media Collective Diese Impulse aus Polen zur Vergegenwärtigung von Vergangenheit ebenso wie zur Überschreitung der Gegenwart haben ihren Ort nicht nur in unserer direkten Nachbarschaft, sondern hier und jetzt: Genau jetzt, genau hier, in Deutschland, in Berlin, 2010. We will be strong in our weakness. keyNotes from the first congress of the Jewish Renaissance movement in Poland Performance von Yael Bartana/Jewish Renaissance Movement in Poland, Tel-Aviv/ Amsterdam/Warsaw mit Susanne Sachsse und SŁawomir Sierakowski 25. Mai um 18.30 Uhr HAU 1 in Englisch und Deutsch Die polnisch-jüdischen Beziehungen sind mehr als tausend Jahre alt und bleiben bis heute ungeklärt. Das Thema gilt als heikel und löst auf beiden Seiten stets eine Lawine an Kommentaren aus, sobald es Gegenstand der öffentlichen Diskussion ist. Was beim Blick auf die nackten Zahlen wenig überrascht: Anfang des letzten Jahrhunderts lebten in Polen drei Millionen Juden, heute sind es kaum mehr als 10000, fast alle Abkömmlinge der Überlebenden des Holocaust, die das Land weder nach dem 2. Weltkrieg verließen noch in Folge der antisemitischen Propaganda der kommunistischen Regierung, dem so genannten „März 1968“. Die israelische Künstlerin Yael Bartana beschäftigte sich mit dieser Thematik bereits in „Mary Koszmary“ (Albträume) und „Mur i wieża“ (Mauer und Turm). Jetzt zeigt sie einen Live Trailer zum letzten Teil ihrer Filmtrilogie, „Wir werden stark sein in unserer Schwäche“, in dem ein Kongress des Renaissance Movements der Juden in Polen präsentiert wird. Ein Repertoire an Gesten, Rhetorik und Symbolen macht die Vergangenheit zu einer Form kollektiver Psychotherapie, bei der die nationalen Dämone ans Tageslicht gebracht werden. Samsara Disco Regie: Agnieszka Olsten/Teatr Polski, WrocŁaw 25. Mai und 26. Mai 20.30 Uhr HAU 2 (110 Min.) Polnisch mit dt. Simultanübersetzung Foto: Krzysztof Biełiński Agnieszka Olsten hat mit „Samsara Disco“ eine Neuinterpretation von Tschechows „Iwanow“, auf der Basis von Wiktor Pelewins „Das Leben der Insekten“ vorgelegt. „Samsara“ als der ewige Kreislauf von Werden und Vergehen, in dem Gier, Hass und Verblendung die Triebkräfte sind, die es zu überwinden gilt, trifft auf „Disco“ als einen Ort des Feierns, an dem reine Weltlichkeit zelebriert wird. Nach dem Kommunismus scheint im Konsumismus die einzige Erfüllung zu liegen. Ist hier eine Aufklärung überhaupt möglich? Und woher kommen die Emotionen? Sie sind außerhalb des Scheins zu suchen. Denn schließlich will sich hier jeder Richtung Licht bewegen, oder sollten nach einem estnischen Sprichwort Eulen und Motten das Tageslicht besser scheuen? The Capital of Accumulation Ausstellung: Raqs Media Collective, New Delhi Vernissage 25. Mai 19.30 bis 24.00 Uhr HAU 2 26. bis 29. Mai, 31. Mai bis 01. Juli 26. Mai 21.00 Uhr: Raqs Media Collective im Gespräch mit Florian Zeyfang und Sebastian Lütgert in englisch Im Auftrag des Goethe-Instituts haben die indischen Künstler, Dokumentarfilmer, Networker und Spezialisten für urbane Fragestellungen Monica Narula, Jeebesh Bagchi und Shuddhabrata Sengupta aus dem Raqs Media Collective in drei Metropolen eine Videoinstallation aus Sound, Text- und Archivmaterial mit dem Titel „The Capital of Accumulation” erstellt. Raqs entwickelt entlang einer an Rosa Luxemburgs „Die Akkumulation des Kapitals“ angelehnten Erzählstruktur eine gemeinsame ökonomische, politische, soziale und urbane Geschichte, die so im 20. Jahrhundert in Berlin, Mumbai oder Warschau stattgefunden haben könnte. Es sind Erzählungen vom Versprechen eines Neubeginns, vom Scheitern und von den Übergängen. DURCH die KREISE der KAPITALISTISCHEN HÖLLE POLENS Krytyka Polityczna: Poland - Why it is so bad, if it seems to be so good Die Mitarbeitern der Zeitschrift Krytyka Polityczna laden zu einer Exkursion durch die vier Kreise der polnischen Hölle ein: Politik, Wirtschaft, gesellschaftliches Leben und die Künste, um in den Himmel der Utopie zu gelangen, für deren Einzug auf Erden gekämpft wird. Economy 25. Mai 22.30 Uhr HAU 2. Foyer in Englisch „Es gibt nur eine Wirtschaft“ – sagte ein einflussreicher Politiker und Wirtschaftswissenschaftler während einer Debatte über die aktuelle Lage der Wirtschaft in Polen. „Glücklicherweise ist Polen nicht von der Krise betroffen“ – so der Ministerpräsident. Da waren die Banken schon längst dabei, auf Kosten der Lebensqualität des polnischen Normalbürgers um ihre Einnahmen zu kämpfen. Was sollte da nun unternommen werden? Rednerin: Katarzyna Fidos, Einführung in die Reihe von Sławomir Sierakowski Politics 26. Mai 22.30 Uhr HAU 2. Foyer in Englisch „Ist hier nicht Wunder alles, was sich zeigt?“, fragt Jupiter in einem Stück von Kleist. Nein, es handelt sich um infantilen post-politischen Realismus in Polen. Parteien, Parlament, wichtige Ämter, Zivilgesellschaft, NGOs, Medien und die Katholische Kirche. Eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten des Zusammenlebens. Und neuste Ereignisse, die das Land auf den Kopf stellen. Eine Vielfalt der Weltanschauungen, Ideen, wie Polen seinen Traum von der Modernisierung umsetzen sollte, und eine oft vorkommende, völlige Einigkeit über unsinnige politische Lösungen. Redner: Maciej Gdula Social Life 27. Mai 22.00 Uhr HAU 2. Foyer in Englisch Das soziale Polen gegen das liberale, Religion gegen Nihilismus, Katholiken gegen linksgerichtete Perverse, antikommunistische Kämpfer gegen prokommunistische Kollaborateure, Patrioten gegen Verräter. Sind das die realen Konflikte, die der sozialen Wirklichkeit in Polen zu Grunde liegen? Wer dominiert und wer wird dominiert in der aktuellen polnischen Realität? Redner: Michał Sutowski The Arts 28. Mai 22.00 Uhr HAU 2. Foyer in Englisch Der banale Glaube an die Individualität der künstlerischen Fantasie und die Unwissenheit über Mechanismen, die unsere Realität gestalten, sind die Krankheit eines typischen polnischen Künstlers. Die Literatur wirft infantile Fragen auf, die die bildende Kunst mit berührender Einfalt beantwortet. Glücklicherweise nicht immer. Ein Ausflug in die polnische Kunstszene von heute. Redner: Igor Stokfiszewski Utopia 29. Mai 22.00 Uhr HAU 2. Foyer in Englisch Utopie ist in zwanzig Jahren Realität. Dieser Abend wird der Vision von Polen, Europa und der Welt gewidmet. Einige Kritiker der Gruppe behaupten sie seien Linksradikale und die von ihnen vorgeschlagene Vision von der Welt würde zu Zwangsarbeitslagern führen. Sie erinnern sie unter anderem daran, dass sie einige Werke von Lenin neu veröffentlicht haben. Diese Vorwürfe werden mit der Antwort zurück gewiesen, dass sie sich als einfache Sozialdemokraten verstehen und vielleicht auch bescheidene Kämpfer für Wahrheit und Universalität sind. Redner: Sławomir Sierakowski Ein Multimedia-Kommentar über das zur Diskussion stehende Thema ist Bestandteil jeder der Präsentationen. Kein Erbarmen für die Dunkelheit! Vorgestellte Künstler: Joanna Rajkowska, Artur Żmijewski, Wilhelm Sasnal, Katarzyna Górna, Gruppe Twożywo. Jeder interaktive Vortrag wird von den Beats und Scratches unseres begnadeten Soundproduktionskameraden Julian Kutyła begleitet. Kein Erbarmen für die Stille! Über Krytyka Polityczna Die Zeitschrift Krytyka Polityczna (Politische Kritik) ist im Jahr 2002 mit dem Ziel gegründet worden, die Tradition einer engagierten polnischen Intelligenzija neu aufleben zu lassen. Die Zeitschrift gilt seit ihrer ersten Ausgabe als eines der wichtigsten Medien für die öffentliche Debatte in Polen und als wichtigste Zeitschrift für die wieder aufblühende Linke. Sierakowski ist Gründer, Chefredakteur und Kopf von Krytyka Polityczna. Er ist Aktivist, politischer Kommentator, Soziologe, Literatur- und Theaterkritiker. 2003 machte er sich als Vertreter der öffentlichen Meinung in Polen einen Namen, als er einen „Open Letter to the European Public Opinion“ initiierte, der von 250 Intellektuellen unterzeichnet wurde, die den Verfassungsentwurf für die EU und das föderalistische Modell der europäischen Integration befürworten. Seitdem ist er aktiv an politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Debatten beteiligt, die die polnische Öffentlichkeit prägen. Serie Deutschland Videoinstallation von Hofmann&Lindholm Vernissage 26. Mai 18.30 HAU 3 27. bis 29. und 31. Mai bis 04. Juni 18.30 bis 22.00 Uhr 29. Mai im Anschluss an die Vorstellung: Christine Wahl im Gespräch mit Hofmann&Lindholm Koproduktionspartner: Büro für Angewandte Kulturvermittlung, Bundeszentrale für politische Bildung / bpb im Rahmen des 7. Festivals für Politik im freien Theater / Goethe-Institut Warschau / HAU Berlin. Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturamt der Stadt Köln. Foto: Timm Lange Es gibt Bilder, die das kollektive, gesellschaftliche Gedächtnis bestimmen und für Jahre das Geschichtsbild formen. Noch heute sind die fotografischen Momentaufnahmen vom Kniefall Willy Brandts in Warschau (1970), von der Entführung Hanns-Martin Schleyers durch die RAF (1977) oder vom ‚Gladbecker Geiseldrama‘ (1988) Symbole für eine bestimmte Zeit, die sie besser erklären als jedes Geschichtsbuch. Gleichzeitig funktionieren sie auch in den Medien, von denen sie benutzt und manchmal auch ausgenutzt werden. Für die Realisation der Videoinstallation „Serie Deutschland“ haben Hofmann& Lindholm BürgerInnen verschiedener Städte eingeladen, vor laufender Kamera historische Referenzbilder an Originalschauplätzen nachzustellen. Die Serie wird seit 2008 fortlaufend durch weitere Bildmotive ergänzt. Kaspar Regie: Barbara Wysocka/Teatr Współczesny, Wrocław 26. und 28. mai 19.30 Uhr und 27. Mai 20.00 Uhr HAU 3 (70 Min) am 27. Mai im Anschluss an die Veranstaltung: Publikumsgespräch mit Barbara Wysocka und Magdalena Marszałek (humboldt-uni Berlin) Polnisch mit dt. Übertiteln Die Regisseurin und Schauspielerin Barbara Wysocka lotet in „Kaspar“ die Grenzen der Sprache aus. Kaspar Hauser wird zum Bild von Sprache als einem Gefängnis, einem System, aus dem es kein Entrinnen gibt. So, wie es zum kapitalistischen System keine Alternative zu geben scheint, sind wir in Sprache geworfen – es gibt keine Metasprache! Auf einer wahren Geschichte basierend, ist das Stück von Peter Handke ein Versuch einen neuen Menschen zu denken. Unter anderem für diese Inszenierung bekam Barbara Wysocka in den letzten Monaten alle wichtigen Theaterpreise Polens und gilt als eine der interessantesten Künstlerinnen der jungen Generation. Eine Produktion von Wrocławski Teatr Współczesny, Patrons: Wrocław - Candidate European Capital of Culture 2016, PKO BP SA, PPU „ Comex“ Sp. z o.o. Stefanie Wenner im Gespräch mit Barbara Wysocka Was mich am meisten an diesem Text interessiert hat, war die Art und Weise, wie Gewalt funktioniert. Wichtiger als Kaspars Unfähigkeit, die Welt zu benennen, war sein Gefangensein im eigenen Gedächtnis, sein Weg zur Unangepasstheit durch scheinbare Anpassung, bis zum totalen Verfall. Der Ausschluss eines Individuums und die Versuche, es in gesellschaftliche Standards zu pressen, waren wichtige Themen. Ein Experiment am Menschen, das nicht gelungen ist. Ein Experiment, über das man die Kontrolle verloren hat. Foto: Bartłomiej Sowa Wir zeigen im Rahmen unseres Festivals Ihre Inszenierung von „Kaspar“. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie diesen Stoff bearbeitet haben? Welche Bedeutung hat Sprache für Sie in dieser Inszenierung? Die Sprache ist hier ein Werkzeug des Terrors. „Kaspar“ ist eine musikalische Etüde für Schauspieler und Bühnenraum. Handke schreibt: „Das Stück Kaspar zeigt nicht wie ES WIRKLICH IST oder WIRKLICH WAR mit Kaspar Hauser. Es zeigt, was MÖGLICH IST mit jemandem. Es zeigt, wie jemand durch sprechen zum Sprechen gebracht werden kann. Das Stück könnte auch ‚Sprechfolterung‘ heißen.“ Diese Folter betrifft sowohl die Figur von Kaspar wie auch die Zuschauer, die sich im Theater befinden. Wörter sind hier nicht Träger der Geschichte oder der Emotionen, sondern eine musikalische Schicht, eine Masse, die alle Teilnehmer des Theaterereignisses – Schauspieler und Zuschauer – unterdrückt. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation polnischer Theatermacher ein? Die jetzige Situation ist nicht schlecht. Das System der Kulturfinanzierung funktioniert relativ gut. Junge Regisseure haben Möglichkeiten für ein Debüt und arbeiten an den wichtigsten Bühnen im Land. Theater in der Provinz werden zu wichtigen Kulturzentren und es gibt interessante Initiativen in der freien Szene. Die potentielle Privatisierung und Kommerzialisierung der Kultur ist eine Gefahr. Ich hoffe aber, dass sich das polnische Theater dagegen wehren kann. Sie sind als Schauspielerin und Regisseurin tätig, welche der beiden Perspektiven ist Ihnen näher? Schauspielen ist mir lebensnotwendig, es gibt mir innere Bewegung und eine Art emotionaler Instabilität. Ich brauche das sehr. Regie erweitert mein Territorium und gibt mir die Möglichkeit, eigene Räume zu schaffen und Andere dorthin zu führen. Für mich ergänzen sich diese zwei Berufe, sie sind wie zwei verschiedene Wege innerhalb derselben Materie. Woran arbeiten Sie gerade? Als Schauspielerin drehe ich gerade einen deutschen Film unter der Regie von Jakob Ziemnicki. Meine nächsten Theaterprojekte sind „Wolokolamsker Chaussee“ von Heiner Müller und „Die Sanfte“ von Dostojewski. Beide Premieren finden im Herbst statt. reverse fast forward Erzählungen und Reflexionen zu THE KNOT Performativer Vortrag von Markus Bader (raumlaborberlin), Oliver Baurhenn (club transmediale), Jakub Szreder, Raluca Voinea (e-cart.ro) & Künstlern & spezial guests 27. Mai 20.00 Uhr HAU 2 Unter dem Titel „reverse fast forward“ stellt am 27. Mai das kuratorische Team von the KNOT, zusammen mit beteiligten Künstlern und special guests, in einer live Installation erste Ergebnisse vor. The KNOT ist ein Forschungs- und Imaginationscamp für die Zukunft öffentlicher Räume und der Stadt. Bis zum Vortrag hat das Camp und seine Besatzung bereits das Kulturforum und den Mariannenplatz hinter sich gelassen und lagert gerade auf dem Tempelhofer Flugfeld. 2010 reist die mobile Plattform für künstlerische Präsentation und Produktion nach Berlin, Warschau und Bukarest. In jeder der drei Städte hält diese für einige Wochen verschiedene Orte im öffentlichen Raum besetzt. The KNOT ist offen für Begegnung, Austausch und Experiment. Es ist Labor und Schnittstelle, Leerstelle, die von seinen Teilnehmern gefüllt wird. Durch und mit dieser Offenheit sucht the KNOT nach Imaginationen von Stadt und gemeinsamem Handeln. Es verknotet, verknüpft, verbindet in Form von sozialen Situationen, künstlerischen Arbeiten, Workshops, Performances, Diskussionen und Konzerten. Eine Mobile Unit ist Basis, Dock, Plattform für Künstler, Performer, Spezialisten und Interessierte in den drei Städten zu arbeiten, sich zu begegnen und gemeinsam zu handeln. Das Produkt ist Präsenz und Öffentlichkeit, sind Situationen und Netzwerke. „The Knot“ wird finanziert vom EU-Kulturprogramm 2007-2013 und vom Hauptstadtkulturfonds Berlin. Mit freundlicher Unterstütztung von: Neuer Berliner Kunstverein, Rumänisches Kulturinstitut Berlin und Warschau, Stiftung der Deutschen Klassenlotterie Berlin. Kooperationspartner sind: Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Fundacja Be˛c Zmiana, Skulpturenpark Berlin/KUNSTrePublik e.V., DISK e.V. & CTM. We are oh so lucky! Harakiri Farmers & Ana Brzezińska 28. Mai 21.00 Uhr, 29. Mai 20.00 Uhr HAU 1 (50 Min.) Polnisch mit dt. Übertiteln Foto: Harakiri Farmers Harakiri Farmers ist ein junges Kollektiv aus Krakau, das interdisziplinär arbeitet und sich als eine nicht ins titutionelle Austauschplattform für Künstler versteht. In „We Are Oh So Lucky!“ schaffen sie eine Hybridtheatersprache, in der Bewegung, Bild und Wort gleich gestellt werden und dadurch nicht eindeutig klassi fiziert werden können. Eine Sammlung von Impulsen entsteht, in die sich Zitate großer Philosophen mischen. „Wir sind – ach – so glücklich“, wir haben Glück gehabt, wir sind noch mal davon gekommen. Text, Bild und Bewegung spielen mit der Figur des Lucky aus Becketts „Warten auf Godot“ und eröffnen Perspektiven auf die Konstruktion von Realität. Das gelobte Land Regie: Jan Klata/Teatr Polski, Wrocław 31. Mai und 01. Juni 20.30 Uhr HAU 2 Polnisch mit dt. Simultanübersetzung Eine Koproduktion von Teatr Polski Wrocław / Festival Dialog der Vier Kulturen, Łódź / HAU Berlin. Foto: Bartosz Maz In seiner Adaption des Romanklassikers von Władysław Reymont „Das gelobte Land“ analysiert der polnische Regisseur Jan Klata die Mechanismen des Kapitalismus in unserer Zeit. Reymont hat den Ende des 19. Jahrhunderts spielenden Roman in der Textilindustriestadt Łódź angesiedelt, die durch das Zusammenleben von Polen, Juden und Deutschen geprägt war. Der Stoff wurde von Andrzej Wajda 1974 kongenial verfilmt. Klata bezieht sich nicht nur auf diese beiden Erzählungen, sondern aktualisiert den Stoff radikal unter Bezugnahme auf Oliver Stones Film „Wall Street“ von 1987, dem der Slogan des Stücks „Greed Is Good!“ entnommen wurde. „Gier ist gut“, auch in Zeiten des global organisierten Kapitalismus, das ist das Motto der Protagonisten des Stücks, die versuchen aus der Lage auf skrupellose Weise Profit zu schlagen. If i can make it there. Was die Städte versprechen In fünf Abendvorträgen zwischen März und Juni 2010 wird die Frage des Glücks im urbanen Kontext untersucht. Kulturanthropologen, Stadtforscher und Architekten beleuchten die Ideologie der Glückssuche und ihre realen Effekte. Am Beispiel einzelner Städte (Warschau, Berlin, Neapel, Bukarest, Las Vegas, Mumbai) eröffnen sich Zusammenhänge von Migration, Tourismus, Stadtplanung und Architektur. Die Verheißungen der Stadt gehen über das Private hinaus und strukturieren die Gesellschaft. Sie sind daher ein Schlüssel zum Verständnis unseres Zusammenlebens. Konzept: Stefanie Peter # 4: Glück in Warschau. Eine Stadt und ihre Untergründe 31. Mai 19.00 Uhr HAU 3 Joanna Tokarska-Bakir (Warschau) Gesprächspartner: Piotr Buras (Berlin) Polnisch mit dt. Simultanübersetzung Es ist ein universaler Mythos, dass Wasserwesen und Geschöpfe der Unterwelt Schätze hüten. Auf den Schätzen in der Höhle sitzt der König der Schlangen und trägt eine Krone aus Diamanten. Eine Stadt, die eine Meerjungfrau, also ein unterirdisches Wesen, im Wappen trägt, aber vor allem über Martyrologie redet, weiß offenbar längst nicht alles über sich selbst. Die Warschauerin Joanna Tokarska-Bakir geht diesen Rätseln nach. Joanna Tokarska-Bakir ist Kulturanthropologin und Professorin an der Universität Warschau, wo sie das „Archiv für Ethnographie“ leitet (www.archiwumetnograficzne.edu.pl). Sie lehrt am Institut für Angewandte Sozialwissenschaften. Auf Deutsch erschien von ihr „Unschuldbesessen“, in: Hirsch/Engelking (Hg.): „Unbequeme Wahrheiten – Polen und sein Verhältnis zu den Juden“, Frankfurt/Main 2008. Piotr Buras ist Mitarbeiter der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza in Berlin. # 5: Die Cheat Codes von Las Vegas, über das Ende von Öffentlichkeit, Politik und Entertainment 01. juni 19.00 Uhr HAU 3 Norman M. Klein (Los Angeles) Gesprächspartner: Ulrich Gutmair (Berlin) Englisch mit dt. Simultanübersetzung Cheat Codes manipulieren Räume. In solchen scripted spaces ergeben geheime Absprachen zwischen dem Spieler und dem Programm ein ganzes System des heimlichen Betrugs. In den USA der letzten vierzig Jahre prägten Cheat Codes alle Lebensbereiche. Das gilt für Las Vegas und andere Städte, für Medien, Banken, Politik. Wie kommt es aber dazu, dass eine ganze Kultur warnende Vorahnungen fröhlich unterdrückt, um in Spiele einzusteigen, die ganz wesentlich auf Zerfall und Störung zielen? Weshalb gibt uns die Konzentration von Cheat Codes – seit 1971 – ein Gefühl für den Ursprung und die Zukunft der Krise in Amerika? Der Vortrag untersucht das am Beispiel des Wandels von Unterhaltungsindustrie, Finanzkapital, Stadtplanung und digitaler Kultur. Das Jahr 2008 markiert das Ende dieser Glückspielautomaten-Logik des Spekulantentums. 2010 tut sich die überraschende Zukunft Amerikas auf: Eine Komödie von tragischen Ausmaßen. Norman Klein ist Professor am California Institute of the Arts, Los Angeles. Als Kulturkritiker, Mediengeschichtler und Schriftsteller arbeitet er über Medien, urbane Kultur, Architektur und Globalisierung. Autor von „The History of Forgetting: Los Angeles and the Erasure of Memory“ (2008) und „The Vatican to Vegas: The History of Special Effects“ (2003). Ulrich Gutmair ist Kulturredakteur der tageszeitung. 04. und 05. Juni 19.00 Uhr (4 Std.) ORT: Station Berlin, Luckenwalder Str. 4-6, Berlin Kreuzberg Polnisch mit dt. Übertiteln Krzysztof Warlikowski zählt heute zu den wichtigsten Theatermachern in Europa. Er lernte bei Ingmar Bergmann, Giorgio Strehler und Peter Brook, als dessen Nachfolger er heutzutage von manchen bezeichnet wird. Mit „(A)pollonia“, einer Inszenierung über Selbstopfer und Menschenopfer seit der Antike, begann er 2009 die Arbeit für sein eigenes Theater in Warschau. Titelgebend ist die Geschichte der Apolonia Machczyńska, die im 2. Weltkrieg 25 jüdische Kinder vor der Gestapo versteckte und die sich anstelle ihres Vaters an die Gestapo auslieferte. Fast allegorisch inszeniert Warlikowski diese Figur, die er in einer literarischer Collage zwischen antiker Tragödie wie „Alkestis“ und „Orestie“ und zeitgenössischer Literatur situiert. Die Adaption zeichnet sich besonders durch die Vermengung von Idiomen aus unterschiedlichen sprachlichen und historischen Kontexten aus und brilliert durch die unterschiedlichen Diskurse, die darin aufgenommen werden. Gegen Vorurteile und Behauptungen jeglicher Art wagt Warlikowski eine Gegenüberstellung des Genozids an Juden mit dem so genannten Holocaust der Tiere, der von Coetzees Titelfigur Elizabeth Costello in einem ihrer Vorträge mit leidenschaftslosem rhetorischen Geschick diskutiert wird. Es ist ein provozierender, ein skandalöser Schritt, der jedoch unbedingt einer Reflektion wert ist, denn: sind nicht Schilderungen von Scharfrichtern ungeheuerlich, in denen diese die mörderische Belastung des Tötens darstellen? Eine Kooperation von Nowy Teatr, Warschau / Narodowy Stary Teatr, Kraków / Festival d‘Avignon / Théâtre National de Chaillot Paris / Théâtre de la Place de Liège / La Comédie de Genève-Centre Dramatique / Théâtre Royal de la Monnaie Brüssel / Wiener Festwochen Foto: Stefan Okołowicz (A)POLLONIA Regie: Krzysztof Warlikowski/Nowy Teatr, Warschau StresemannstraSSe 29, 10963 Berlin Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin Tempelhofer Ufer 10, 10963 Berlin www.hebbel-am-ufer.de Kasse T. 030 – 259004 27, täglich 12 – 19 Uhr HAU ZWEI Hallesches Ufer 32 10963 Berlin Die Abendkasse an den Spielorten HAU 1, HAU 2 und HAU 3 öffnen eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. 25. Mai (YAEL BARTANA-Performance) 7 €, 26. Mai (Gespräch Raqs Media Collective) 3 €, 28. & 29. Mai (We are oh so lucky!) 11 €, erm. 7 € 25. & 26. Mai (SAMSARA DISCO) 11 €, erm. 7 €, 27. Mai (REVERSE FAST FORWARD) 3 €, 25. bis 29. Mai (KRYTYKA POLITYCZNA: POLAND) 3 €, 31. Mai & 01. Juni (DAS GELOBTE LAND) 11 €, erm. 7 € 26. bis 28. Mai (KASPAR) 11 €, erm. 7 €, 31. Mai & 01. Juni (Vorträge) 3 € Station Berlin, Luckenwalder Str. 4-6, Berlin-Kreuzberg 04. & 05. Juni ((A)POLLONIA) 25 € & 18 €, erm. 11 € TRY Out - DIE ZEHNERKARTE Günstig ins Theater auf Zehnerkarte: 10 x allein oder 5 x zu zweit für 80 €. Gültig für alle Spielstätten (einzulösen im Vorverkauf oder an der Abendkasse nach Verfügbarkeit). Impressum Hrsg. Hebbel am Ufer Künstlerische Leitung: Matthias Lilienthal Kuratorin „Polski Express III – The Promised City“: Dr. Stefanie Wenner, Mitarb.: Gosia Ćwikła Redaktion Programmheft: Dr. Stefanie Wenner und Gosia Ćwikła Übersetzung: Gosia Ćwikła, Sandra Pontow Layout: Double Standards, Berlin Druck: Druckerei Conrad www.promised-city.org www.hebbel-am-ufer.de T. 030-259004 27