Link zum Heft - Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln eV

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MEINE WELT
Zeitschrift des Deutsch-Indischen Dialogs
Heft 1 / Jahrgang 26
Sommer 2009
Nachruf
Lahori Ram
Wie ein Dalit einer der einflussreichsten Inder in den USA wurde
seine Vorträge auf Hindu-Plattformen,
Ravidass Sabhas und in Sikh Tempeln
die Gemeinschaftsangehörigen dazu auf,
sich in die Hauptströmung des amerikanischen Lebens einzuordnen. Er rief die
indischen Einwanderer dazu auf, sich
hinter ihm einzureihen, um für die politische Anerkennung der indisch-amerikanischen Gesellschaft in Kalifornien zu
kämpfen.
or 25 Jahren, im September
1983, als die indische Premierministerin Indira Gandhi in den
Vereinigten Staaten auf einem Staatsbesuch war, musste sie vor dem Weißen
Haus einer lautstarken Gruppe von demonstrierenden Dalit-Einwanderern begegnen. Die Dalit-Aktivisten protestierten gegen die Gewalt und Diskriminierung, die ihre Angehörigen daheim in
Indien erdulden mussten. Die Demonstranten waren aus allen Ecken Amerikas
gekommen. Der Anführer einer beachtlichen Gruppe aus Kalifornien war Lahori Ram, ein Geschäftsmann.
V
Lahori Ram starb neun Tage vor dem
Amtsantritt Obamas, also bevor einem
Farbigen das gelungen ist, was keinem
vor ihm gelungen war. Als einer der vor
der Diskriminierung geflohen war und
als einer, der viel in der Welt herumgekommen war, hätte Lahori Ram die Bedeutung von Obamas Aufstieg besser
verstehen können als viele andere.
viel Diskriminierung hinnehmen. Die
Kastenhierarchie war sogar in das gurudwara langar (das gemeinsame Mahl,
das von Sikhs und Nicht-Sikhs gemeinsam eingenommen wird) eingedrungen.
Unberührbaren war das Betreten der
Küche und das Servieren von Speisen
strikt untersagt. In Speisesälen mussten
sie sich in für sie vorgesehenen Bereichen zusammendrängen.
Von den Leiden und Freuden der DalitDiaspora hört man kaum etwas auf Pravasi Bharatiya Sammelans (Treffen der
Auslandsinder). Aber Ram war das
Sinnbild für Fleiß und Intelligenz, das
wir überall suchen und bewundern. Mit
nur 380 Dollar in seiner Tasche war er
1972 nach Amerika eingereist. 37 Jahre
später war er inoffiziell der reichste
Dalit (Kastenloser, Unberührbarer) der
ganzen Welt.
Lahori Ram ließ sich nicht einschüchtern. Während seines Universitätsstudiums arbeitete er im Sommer als Aushilfskraft auf Farmen. Er sparte den
Stundenlohn von 75 Cents für die Finanzierung seines Masterdiploms in Kalifornien. Von 1976 bis 1994 arbeitete er
im US Postal Service von San Fransisco
International Airport auf verschiedenen
Ebenen. Seine Wochenarbeitszeit betrug
durchschnittlich 55 bis 60 Stunden.
Die ca. 3 Millionen zählende indische
Diaspora in den Vereinten Staaten hat
eine besondere, nur für Indien typische
Erblast mitgeschleppt, nämlich die Kaste. Die früheren Einwanderer aus Indien
behielten auch in ihrer neuen Heimat
ihre Kasten und ihre religiöse Identitäten
bei. Es war bloß der Fleiß, der Lahori
Ram geholfen hatte, trotz widriger Umstände die Doppeldiskriminierung zu
überwinden.
Aber er versäumte nicht, die Chancen,
die auf ihn zukamen, wahrzunehmen.
1979 kaufte er sein erstes Haus und verkaufte es 1983, um das erste seiner
Appartment-Gebäude zu kaufen. Bis
2003 umfasste Rams Imperium mehr als
einhundert Appartments in San Fransisco. Auch als politischer Führer war er
mittlerweile emporgestiegen. Aber sein
Ruhm war ihm noch nicht zu Kopf gestiegen.
Rams früheres Leben im Punjab war
voller Erniedrigungen. Die Kastentrennung war weit verbreitet, und Ram musste in der Schule und auf dem College
2006 hatte er in Vancouver auf der Hundertjahrfeier der Ankunft der Dalits in
Kanada den Vorsitz. Er war ein echter
indischer Führer und forderte durch
2
Ram war ein Demokrat. Er unterstützte
die Wahlkampagne der Demokraten. Er
arbeitete eng mit Bill Clinton zusammen. Seine unternehmerischen Fähigkeiten wurden in der ganzen Welt geschätzt. Er wurde in viele Handelsgremien berufen. Er wurde 2003 Mitglied
der einflussreichen California State
Commission for Economic Development. Er war der erste Indio-Amerikaner, der diese Position bekleidete. Vorher war er bereits der Präsident des Indian National Congress of America und
hatte viele große indische Politiker empfangen. Während der Präsidentschaftswahl 2008 hatte er die indische Diaspora zu Gunsten der Demokraten mobilisiert.
Ram verstarb am 11.Januar. Er war gerade auf einer Gerechtigkeit für Auslandsinder (Justice for NRIs) Kampagne. Die
San Francisco Chronicle würdigte seinen Tod als einen plötzlichen und unerwarteten Heimgang eines ranghohen
Führers der indischen Diaspora. Lahori
Ram sagte 2003 dem San Francisco
Examiner: „Nicht durch Faulheit wurden wir Millionäre. Alles, was wir verdient haben, ist durch harte Arbeit erworben, und damit haben wir Millionen
von Diaspora-Angehörigen den Weg
zum Wohlstand und Erfolg gezeigt.“
Die Widerstände, denen die Dalits innerhalb der indischen Diaspora ausgesetzt
sind, werden selten wahrgenommen.
Lahori Ram, die aufflammende Fackel
der Dalit-Bewegung, wird auch weiterhin den dunklen Weg der Masse, die den
widrigen Umständen trotzt, erhellen. !
(Quelle: OUTLOOK, Bearbeitung: Thomas Chakkiath)
Editorial
Eine andere Entwicklung!
Indien hat gewählt. Das Ergebnis bestätigt die Reife und Differenzierungsfähigkeit der über 700 Millionen indischen Wähler. Indem sie die Congress
Partei und ihre Verbündete als stärkste
Kraft in das Parlament geschickt haben,
haben sie Stabilität und Kontinuität in
einer Zeit schwerer wirtschaftlichen
Umwälzungen gewählt. Gleichzeitig haben sie auch extremen religiösen Anschauungen und stereotypischen Linksideologien eine klare Absage erteilt.
Indien kann jetzt aufatmen und mit sicheren Schritten in die Zukunft schreiten. Es gibt viel zu tun, angestaute Probleme drängen nach Lösungen.
Neben allen vorrangig anzugehenden
Aufgaben wie Beseitigung der Armut
und des Analphabetismus im Lande, soll
sich die neue politische Führung jetzt
ernsthaft darüber Gedanken machen, ob
das vom Westen übernommene Entwicklungsmodell für uns das einzig richtige
ist. Ein großes Land wie Indien mit ca.
1,2 Milliarden Menschen kann das westliche Wohlstandsniveau für jeden seiner
Bürgen nicht anstreben, ohne damit das
Risiko eines katastrophalen Scheiterns
einzugehen. Indien kann an der durch
eine solche Politik entstehenden Ressourcenknappheit, an Umweltverschmutzung, Klimakatastrophen, sozialen Unruhen etc. ersticken. Nein, das
westliche Wohlstandsmodell ist für ein
Land wie Indien heute nicht mehr aktuell, der Versuch, dieses Modell eins zu
eins umzusetzen, wird nach allen sozialen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Indikatoren fehlschlagen. Das
Konzept für Indiens Entwicklung muss
zwangsweise anders aussehen. Es muss
auf Ideen beruhen wie verantwortliches
Umgehen mit Ressourcen, Begrenzung
des Konsums, Verbundenheit mit der
Natur, soziale Gerechtigkeit etc. Bei den
heranwachsenden Generationen Indiens
muss die Fähigkeit entwickelt werden,
anders zu denken, andere Lebensmodelle zu entwerfen, die in Einklang mit den
herkömmlichen Ideen aus Indien wie
„hohes Denken und einfaches Leben“,
Betrachtung des Menschen als Teil der
Natur, Autarkie und Selbstverwaltung
für die Dörfer etc. etc. So ein Sichtwechsel kann nur durch Erziehung und Bildung erreicht werden. Man wünscht,
dass die neue Regierung mutige Schritte
in diese Richtung macht.
Wir haben versucht, diese erste Ausgabe
in diesem Jahr mit einer Fülle von interessanten Beiträgen und aktuellen Informationen zu gestalten. Besondere Aufmerksamkeit der Leser erbitten wir für
die Beiträge über den Film „Slumdog
Millionaire“ und die von Mini Krishnan
und Namita Gokhale über die Situation
der Frau im heutigen Indien.
Herzlichst Ihr
Jose Punnamparambil
Meine Welt
Zeitschrift des Deutsch-Indischen Dialogs
Heft 1 / Jahrgang 26
Sommer 2009
Inhalt
Editorial
Indien ist für Deutschland und Europa insgesamt
weiterhin als Ideengeber und Partner unserer kulturellen
und geistigen Entwicklung wichtig (Interview Aktuell)
3
Bildung für Frauen bekam niemals eine vorrangige
Behandlung in Indien (Interview Aktuell)
4
Zur Lage der indischen Frau
- Hans-Joachim Kiderlen
Veränderung und Erhaltung
23
- Namita Gokhale
6
Beim Schreiben handelt es sich um die Herstellung einer
Beziehung zwischen Autor und Leser (Interview Aktuell)
- Prof. Dr. Maria Krzysztof Byrski
Was Indiens Jugend denkt
10
Zwei Gedichte
11
24
- Siddharth Dhanvanth Shanghvi
Bollywood in Deutschland (Indisches Kino)
- Prathibha Nandakumar
Sonar Bangla (Auswanderung)
22
- Mini Krishnan
26
- Abhilash Nalpathamkalam; Kanish Palathingal;
Priya Mampilly; Christina Kamp
12
- Gisela Advani
Der Buddhismus wird neu entdeckt (Religion)
- Thomas Chakkiath
14
Die Geschichte meines Namens
17
What is Slumdog Millionaire?
Das ist der Planet, der unser Schicksal lenkt (Rezension)
19
Zunehmende Gewalt gegen Frauen (Frauen)
21
32
- Sophia Kratz
- Kavitha Pollyanna Thomas
Zwei Erzählungen von Nagaraja Kumar (Literatur)
31
- Anant Kumar
Zweite Person Singular (Neues Buch)
33
- Udaya Narayana Singh
- Kalpana Sharma
3
Bücher ... Bücher ... Bücher
34
Namen ... Nachrichten ... Informationen
35
Interview Aktuell
„Indien ist für Deutschland und für Europa
insgesamt weiterhin als Ideengeber und Partner
unserer kulturellen und geistigen Entwicklung
wichtig“
Hans-Joachim Kiderlen
Vorsitzender der Deutsch-Indischen Gesellschaft e.V.
Hans-Joachim Kiderlen, Botschafter
a.D., wurde im September 2008 als
neuer Vorsitzender der Deutsch-Indischen Gesellschaft e.V. gewählt. Im folgendem Interview äußert er sich zu Themen wie die Zukunftsorientierung des
Vereins, die wirtschaftlichen Fortschritte Indiens, die deutsch-indischen Beziehungen etc. etc. Die Fragen stellte Jose
Punnamparambil.
- Die Redaktion
Meine Welt: Herr Kiderlen, Sie sind vor
kurzer Zeit zum neuen Vorsitzenden der
Deutsch-Indischen Gesellschaft (DIG)
gewählt worden. Wie stellen Sie sich
Ihre Arbeit als Vorsitzender vor? Welche
Ziele wollen Sie schwerpunktmäßig verfolgen?
Herr Hans-Joachim Kiderlen: Die
Deutsch-Indische Gesellschaft (DIG),
der ich seit September vergangenen Jahres vorsitze, ist der Dachverband von 33
Deutsch-Indischen Gesellschaften in
ganz Deutschland. Jede dieser Mitgliedsgsellschaften hat ihr eigenes Profil. Die Bundesgesellschaft muss dem
etwas hinzufügen. Mein Vorgänger, Botschafter a.D. Dr. Hans-Georg Wieck,
jetzt unser Ehrenvorsitzender, hat gut
daran getan, den beiden Kulturpreisen,
die die DIG vergibt, dem Tagore-Preis
und dem Gisela-Bonn-Preis – diesen
zusammen mit der indischen Botschaft –
besondere Aufmerksamkeit zu widmen,
und ich will das fortsetzen. Die Preisverleihungen machen die Förderung der
deutsch-indischen Beziehungen durch
die DIG weithin sichtbar und setzen
Schwerpunkte in der Wahrnehmung
indischer Gegenwartskultur. Dem Gedenken 2011 an den 150. Geburtstag von
Rabindranath Tagore soll auch durch die
DIG ein starker deutschlandweiter Anstoß gegeben werden. Die DIG will
sam in den Ruhestand und verschwinden damit schnell von der Bühne. Die
jungen, hier geboren und aufgewachsenen Inder/Inderinnen sind mit Familie
und Beruf beschäftigt. Welche Ideen
können wir entwickeln, um die DIG für
junge Menschen hier attraktiver zu
machen?
künftig zusammen mit ihren Mitgliedsgesellschaften ihre Kontakte zu verschiedenen Bereichen der Indienwissenschaften und zu in Deutschland studierenden Indern und hier arbeitenden indischen Wissenschaftlern verstärken. Sie
organisiert zusammen mit den Universitäten besondere deutsch-indische Stu-
Herr Kiderlen: Nicht alle Mitgliedsgesellschaften der DIG verzeichnen einen
Mitgliederschwund; und wo es ihn gibt,
ist er zumeist nicht dramatisch und auch
nicht unausweichlich. Die Lage der einzelnen Gesellschaften hängt, wie immer,
sehr von ihrem Profil und ihren Aktivitäten ab. Natürlich gilt es, vor allem
für die zum Teil Jahrzehnte in den Gesellschaften aktiven, älter gewordenen
indischstämmigen Mitglieder Nachwuchs unter den neu ins Land gekommenen Indern und ihren deutschen
Freunden zu werben. Noch in diesem
Die DIG will künftig zusammen mit ihren Mitgliedsgesellschaften ihre Kontakte zu verschiedenen Bereichen der Indienwissenschaften und zu in
Deutschland studierenden Indern und hier
arbeitenden indischen Wissenschaftlern
verstärken.
dentensymposien. Die Mitteilungen und
Veröffentlichungen der DIG sind neu zu
konzipieren.
Meine Welt: Die Deutsch-Indische
Gesellschaft geht heute durch eine
schwierige Phase des Mitgliederschwundes. Die meisten der Inder/Inderinnen der ersten Generation sowie
deren deutsche Freunde kommen lang-
4
Jahr wird ein Jugendbeirat der DIG aus
deutsch- und indischstämmigen jungen
Vertretern der Mitgliedsgesellschaften
zusammenkommen, um die Tätigkeiten
der Bundesgesellschaft mit zu bestimmen.
Meine Welt: Die Zahl der indischen Studenten an deutschen Hochschulen beträgt zur Zeit ca. 4000. Sie sind poten-
tielle Mitglieder der DIG wie damals in
den siebziger und achtziger Jahren des
letzten Jahrhunderts. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die indischen Studenten
zu einer aktiven Mitgliedschaft in der
DIG zu motivieren?
und diskutiert wird, bemerkenswerterweise immer noch mit einem Blick auch
auf den akademischen Diskurs in Europa.
Meine Welt: Wie bewerten Sie die
deutsch-indische Beziehung heute? Ist
Beeindruckt hat mich die intelektuelle
Lebendigkeit, nicht nur in Delhi, mit der an
Universitäten und in der Publizistik Indiens die
eigene Lage reflektiert und diskutiert wird,
bemerkenswerterweise immer noch mit einem
Blick auch auf den akademischen Diskurs in
Europa.
Herr Kiderlen: Wir empfehlen den
Mitgliedsgesellschafen, auch ihrerseits
mehr Kontakt zu indischen Studenten
und jungen Berufstätigen in Deutschland zu halten. Die Gesellschaften können den Neuankömmlingen das Einleben in Deutschland erleichtern und
ihrerseits bei ihren Veranstaltungen von
den aktuellen Erfahrungen, Kenntnissen
und dem Problembewusstsein der jungen indischen Generation profitieren.
Allerdings hat sich die Lage gegenüber
früher dadurch verändert, dass viele
indische Studenten und Berufstätige nur
für eine begrenzte Zeit innerhalb eines
fest umrissenen Arbeitsprogramms nach
Deutschland kommen und dadurch
weniger Raum für dauerhafte Verbindungen und eben auch zu den deutschindischen Gesellschaften gegeben ist.
Meine Welt: Sie waren 2001 bis 2004
Stellvertretender Botschafter Deutschlands in Neu Delhi. Indien hat während
dieser Zeit große wirtschaftliche Fortschritte gemacht. Welche Eindrücke aus
dieser Zeit prägen Ihr Indienbild heute?
Herr Kiderlen: Trotz des auch zu meiner Zeit in Indien schon deutlich sichtbaren und spürbaren wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Umbaus Indiens
fand mein europäisch erwartungsvolles
Auge immer noch viel von der alten
Romantik und Schönheit Indiens und
seiner Menschen. So prägen recht komplexe Eindrücke bis heute mein Indienbild. Beeindruckt hat mich die intelektuelle Lebendigkeit, nicht nur in Delhi, mit
der an Universitäten und in der Publizistik Indiens die eigene Lage reflektiert
Herr Kiderlen: Indien ist für Deutschland und für Europa insgesamt weiterhin
als Ideengeber und Partner unserer kulturellen und geistigen Entwicklung
wichtig. Seit vielen Jahrhunderten fremd
und doch vertraut sind die beiden Subkontinente Asiens aufeinander gewiesen. Das Bewusstsein dieser fremden
Nähe zu Indien sollte auch unseren wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Grunde liegen, sie prägen und
fördern. Hinzu kommt eine beiden gemeinsame Neigung zu Demokratie und
öffentlicher Debatte. Demgegenüber ist
das weltwirtschaftliche und weltpolitische Gewicht Chinas nicht zu verkennen. Die Bedeutung des einen Landes
für Deutschland und Europa sollte nicht
gegen die unterschiedliche Bedeutung
des anderen ausgespielt werden.
!
China für Deutschland wichtiger als
Indien?
Die größte Schande der Welt: Armut!
2,6 Milliarden Menschen, das sind fast
40 Prozent der Menschheit, müssen
täglich mit weniger als zwei Dollar
(Kaufkraft 2005) auskommen. 884 Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu sauberem Wasser, zwei Milliarden keinen Zugang zu Medikamenten. Unerbittlich steige die globale Ungleichheit; trotz Zuwachs im Durchschnittseinkommen der Weltbevölkerung nehme die Armut zu. Armut heißt
nicht einfach, am Hungertuch zu
nagen; Armut heißt Krankheit, Analphabetismus und ständiger Überlebenskampf. Ungestraft dürften die
Rechte der Habenichtse ignoriert werden, denn sie seien zu schwach für
einen Aufstand. Um ihre Gewinne zu
maximieren, halten die nationalen und
globalen Eliten Milliarden von Menschen in Armut und setzen sie Hunger
und Infektionskrankheiten, Kinderarbeit und Prostitution, Menschenhandel
und Tod aus.
Den Menschen, die mit weniger als
zwei Dollar am Tag auskommen müssen, fehlten im Jahr gerade einmal 300
Milliarden, damit sie nicht mehr unterhalb der Armutsgrenze leben müssten.
Eine ungeheure Summe? Nein, es sind
gerade einmal 0,6 Prozent des Welteinkommens, viel weniger, als die USA für
ihr Militär ausgeben, ganz zu schwei-
5
gen von den Summen, die derzeit an
die Banken verfüttert werden. Dabei
soll Geld nicht umverteilt werden; es
soll das Markt- und Institutionengefüge so geändert werden, dass die Ärmsten der Armen davon profitieren.
Oder eine andere Rechnung: Um das
größte Elend aus der Welt zu schaffen,
müssten die einkommensstarken Länder ihren Lebensstandard lediglich um
ein Prozent einschränken, ein Prozent,
mehr nicht. Ist es wirklich unrealistisch, zu hoffen, dass man die Bürger
der reichen Länder dazu bewegen
kann, diese Reformen zu akzeptieren?
Im Jahr 2000 besaß das oberste Zehntel der Menschheit 85 Prozent des
weltweiten Reichtums und das unterste
Zehntel nur 0,03 Prozent. Das ist ein
Verhältnis von 2836 zu 1. Einige Hundert Superreiche besitzen drei Prozent
des weltweiten Privatvermögens, und
selbst wenn sie in der Krise vorübergehend ärmer würden: Die Welt ist reich
genug, um ihre größte Schande, den
Hunger, abzuschaffen.
Auszug aus dem Beitrag „Der Weltverändererdenker“ von Thomas Assheur über den bekannten Philosoph Prof. Thomas Posse, der an der
Yale Universität (USA) lehrt.
(Quelle: Die Zeit, 23.4.2009)
Veränderung und Erhaltung
Die Relevanz des Begriffs des Dharma für die westliche Welt
Prof. Dr. Maria Krzysztof Byrski
er Kern der zivilisatorischen
Referenz in Europa, mindestens
seit der Renaissance – obwohl
ich behaupten würde, dass sie schon immer im Grunde anwesend war – ist die
Veränderung. Veränderung bestimmt unsere Geschichte, die eigentlich als das
Dokument von Veränderungen definiert
werden könnte – von ganz bestimmten
Veränderungen und nicht von jenen in
der Natur stets wiederkehrenden, wie
die Jahreszeiten. Ich meine hier Veränderungen, die die gotische Kunst von
der barocken, eine römische Basilika
von dem Centre Pompidou in Paris unterscheiden. Sollten wir es einfach als
die wesentliche Natur der europäischen
Zivilisation akzeptieren, mit der wir uns
versöhnen müssen? Nicht ganz! Denn
Veränderung lässt sich nur so lange
rechtfertigen, bis die optimalen Bedingungen für das Streben nach Selbstvervollkommnung sichergestellt werden.
D
Daraus können wir schließen – welche
wunderbare Kraft besitzt Anumana* –,
dass die indische Zivilisation jenen optimalen Zustand schon vor langer, langer
Zeit erlangt haben muss. Ja, daran darf
kein Zweifel bestehen. Gesegnet mit einer der freundlichsten und fruchtbarsten
Landflächen der Welt und einem äußerst
gutmütigen Klima, brauchte man nicht
nach zusätzlichen Energiequellen zu
suchen, weder um zu überleben noch um
nach Selbstvervollkommnung zu streben.
Suche nach Energiequellen
Dagegen mussten wir in Europa schon
seit dem Anfang unserer Zivilisation
nach zusätzlichen Energiequellen suchen, um einfach zu überleben. Von einer zentral geheizten Wohnung aus können wir uns kaum vorstellen, dass das
europäische Klima zum größten Teil des
Jahres einfach lebensgefährlich ist. Ein
gutes Haus – ein pukka Haus –, das die
_____________________________________________
Professor Dr. Byrski ist ehemaliger Botschafter
Polens in Indien.
ganze Zeit schön warm gehalten wird,
ist ein absolutes Muss. Es so zu halten,
ohne den Menschen damit zu belasten,
ist immer unser Hauptanliegen gewesen.
Dieses Anliegen hat die Erfindung des
einfachen Backofens und, wenn Sie mir
einen atemberaubenden Sprung erlauben, auch die des Kernreaktors veranlasst. Also, die Lebensbedingungen verbessern, indem man sie verändert, ist der
Aufruf der europäischen Zivilisation.
Stellen wir uns eine relevante Frage:
Wie verhält sich der Mensch, wenn er es
nicht mehr nötig hat, seine Lebensbedingungen zu verbessern? Das lässt sich am
besten an unserem eigenen Körper analysieren. Gott sei Dank, dass wir im Allgemeinen damit zufrieden sind und, der
indischen Mythologie zum Trotz, wir
nicht versuchen, die Zahl unserer Arme,
Köpfe, Augen u.s.w. zu vermehren!
Kurz gesagt, wir sind nicht versucht,
etwas zu verbessern, was unter den
gegebenen Umständen perfekt zu sein
scheint. Also, hinsichtlich unseres Körpers beschränken wir uns auf eine möglichst präzise Erkenntnis seiner Natur,
seiner Funktion und seiner Bedürfnisse.
Von diesem Wissen leiten wir ab, wie er
sich verhalten soll, um „richtig“ funktionieren zu können. Mit anderen Worten:
was sollen wir tun, um unseren Körper
im besten Zustand und für eine optimal
lange Zeit zu erhalten? Wenn wir es wissen, dann versuchen wir, diesem Wissen
treu zu bleiben, indem wie ihm entsprechend handeln. Dabei wollen wir uns
überzeugen, dass wir alles nach unserem
besten Wissen getan haben, um uns
gesund und munter zu halten und beruhigen dabei unser Gewissen, dass wir
unsere Pflicht erfüllt haben.
Ein Suktikosha – Lexikon der Aphorismen - , das 1985 in der Hindi Sprache in
Jaipur von Sharan herausgegeben worden ist, zitiert einen mir bisher völlig
unbekannten Text mit dem Titel Karttikeyanupreksha, nach dem die wesentliche Natur (Swabhava) eines Dings
(Wastu) sein Dharma ist. Nun, diesem
6
Spruch zufolge können wir mit Sicherheit behaupten, dass das, worüber oben
die Rede war, das Dharma des menschlichen Körpers sei.
Bevor wir fortfahren, zählen wir die verschiedenen Bedeutungen des Wortes
Dharma, wie sie im Wörterbuch stehen,
auf. Die Liste sieht folgendermaßen aus:
Religion, die verschiedenen Sitten einer
Kaste, Sekte u.s.w., Gesetz, Gebrauch,
Brauch, Sitte, Ordinanz, Statut, religiöses oder moralisches Verdienst, Tugend,
Rechtschaffenheit, gute Taten, Pflicht,
vorgeschriebener Ehrenkodex, Recht,
Gerechtigkeit, Fairness, Unparteilichkeit, Pietät, Korrektheit, Anstand, Moralität, Ethik, Natur, Veranlagung, Charakter, eine wesentliche Eigenschaft, Einzigartigkeit, typische Eigenschaft u.s.w.
Wirklich überwältigend! Dennoch
möchte ich behaupten, dass dieser ganze
Korpus von diversen Bedeutungen auf
einen Begriff – obgleich unter seinen
drei Aspekten – reduziert werden kann
und soll. Die drei Aspekte sind: die
Natur des Dings, das Wissen um diese
Natur und die daraus folgende Verhaltensweise in Bezug auf ein anderes spezifisches Objekt. Ich bin mir ziemlich
sicher, dass wir jede einzelne Bedeutungsvariante im Lexikon, die oben aufgelistet ist, in diesem dreifältigen Begriff unterbringen können, ohne dabei
gegen die Prinzipien der Logik zu verstoßen.
So weit, so gut. Aber ein weiterer Aspekt
dieses Terminus muss noch berücksichtigt werden, nämlich seine Etymologie,
die von dem Stamm /dhr abgeleitet wird
und „halten“, „unterstützen“, „erhalten“
bedeutet. „Dharayate lokam iti dharmah“ oder „dharanaddharam sa dharma
iti niscayah“ – so lauten die Formeln, die
normalerweise dem Mahabharata zugeschrieben werden. „Da es die Welt erhält, heißt es Erhaltung“ oder „Erhaltung (stammt) von Erhaltung erhalten“.
Obwohl die zweite Formel etwas tautologisch klingt, tragen beide Formeln
eine ganz klare Botschaft: Dharma ist
Erhaltung. Es erhält die Welt bzw. jeden
ihrer Aspekte, zu dem das bestimmte
Dharma in einer Beziehung steht. Also
erhält das Dharma des menschlichen
Körpers den menschlichen Körper. Diesen Akt der Erhaltung umfasst das richtige Verhalten, das aus der Natur des zu
erhaltenden Objekts stammt.
Dharma heißt Erhaltung
Jedem Aspekt der Wirklichkeit wird im
Augenblick seiner Manifestation sowohl
eine bestimmte Lebensfrist als auch sein
Name (Naam) und seine Form (Rup) zuteil. Das alles kommt seiner Natur
(Swabhawa) gleich. Das ist Dharma.
Nun, jedes empfindungsfähige Wesen
erhält auch die Freiheit zu wissen und
dementsprechend zu handeln (– Dies ist
übrigens genau der Kern des Dharma
der Lebewesen –), so dass die anderen
zwei Formen von Dharma aktiviert werden, wenn empfindungsfähige Wesen
Objekte wahrnehmen und im Verhältnis
mit ihnen handeln.
Nun, wie einem Individuum der Körper
zuteil wird, so ist auch den empfindungsfähigen Wesen die Erde zuteil
geworden. Unter ihnen hat allerdings die
Menschheit so viel Freiheit erhalten,
dass ihr Handeln von allen am wenigsten vorhersagbar ist und sie daher für die
Erhaltung der Welt die größte Gefahr
darstellt, es sei denn, dass sie sich ihres
Dharma bewusst wird. Das heißt: die
Menschheit versteht – laut Tandyamahabrahmana-, dass die Erfüllung ihres
Schicksals darin liegt, ihre Lebensfrist
glücklich zu vollenden und nicht darin,
ein schnelleres Auto als Mr. Smith nebenan zu besitzen. Veränderung und
Verbesserung – das Mantra des Europäers, der um sein Überleben gegen
ein raues Klima kämpft, hat insofern
Erfolg gehabt, dass es uns ermöglicht
hat, dank der modernen Technologie
eine Umwelt zu schaffen, in der Menschen in Europa nun ihren außermaterialistischen Interessen genau so viel
Beachtung schenken können wie es
Menschen in Indien gekonnt hätten, seitdem sie sich hier niedergelassen haben.
Wir müssen jedoch gleichzeitig auch
genau wissen, wie dieser Zug der Entwicklung anzuhalten ist, wenn die optimalen Bedingungen für Selbstvervollkommnung einmal schon geschaffen
sind.
Ich behaupte, dass wir dieses Ziel nur
dann erreichen können, wenn wir die
Dharma-Anschauung uns zu eigen
machen. Der erste Schritt ist schon
getan. Der Begriff, der den Prozess von
„Verändern und Verbessern“, normalerweise „Entwicklung“ genannt, zu bremsen versucht, ist bereits geprägt worden.
Ich denke nämlich an den Terminus
„erhaltungsfähige Entwicklung“. Dem
europäischen Geist fällt es schwer, die
Grundprämisse seiner Zivilisation, d.i.
Entwicklung, grundsätzlich in Frage zu
stellen. Aber der Anfangsbruch ist schon
vollzogen. Die Zeit ist deshalb reif, dass
wir uns jetzt dem tiefen Studium des
Dharma widmen können – dieses erhabensten Begriffs der Erhaltung, mit des-
sen Hilfe Indien ein erstaunliches
Gleichgewicht zwischen Mensch und
Natur aufrechterhalten konnte, bis das
Land durch die Leistungen der Entwicklung in Versuchung geführt wurde; eines
Begriffs, der in einem völlig fremden
Land und unter dramatisch anderen Bedingungen gehegt und gepflegt worden
ist. Während Europa seine eigene Erhaltungsmethode, sein eigenes Dharma,
entwickeln muss, das den Europäern dabei hilft, ihre Entwicklung in vernünftigen Grenzen zu halten, muss Indien hingegen allerdings sein eigenes uraltes
Dharma aufs Neue definieren und zwar
so, dass es das Land in die Lage versetzt,
Sunita Narain – Indiens Umweltgewissen
In ihrem winzigen Büro in Delhis
Habitat Centre listet „Indiens Umweltgewissen“ die Albträume auf: Megastaus in den Metropolen, noch mehr
Luftverschmutzung, Asthma bei Kindern und Alten; das alles zusätzlich zur
Verschärfung der Erderwärmung,
deretwegen Dürren und Fluten schon
jetzt besonders die Armen heimsuchen.
Überdies, sagt sie, könne sich die
Mehrheit ihrer Landsleute selbst diesen Kleinwagen gar nicht leisten.
Ratan Tata werde also erst dann „ein
Held“, wenn er „einen Nano-Bus entwickelt“.
Jetzt also: Auto oder Bus. Bei dieser
Entscheidung verbinde sich, sagt
Narain, „das ganz große Ding“, der
Kampf gegen Ressourcenverschwendung und Klimawandel, mit der Verantwortung, „hier, direkt hier vor
unserer Haustür“ die Sache anzupacken.
Genau daher rührt der Erfolg der
streitbaren Ökologin: dass sie Welt
und Wohnort, Denken und Handeln
stets zusammenbringt. Als Publizistin
und Aktivistin spürt Sunita Narain die
neuralgischen Punkte komplexer globaler Probleme auf, zettelt mit wissenschaftlichen Daten öffentliche Debatten darüber an und wirkt auch noch an
den Lösungen mit. Dafür zählt die
Zeitschrift Foreign Policy sie zu den
100 wichtigsten Intellektuellen der
Welt, und das US-Magazin Time nennt
sie eine von Indiens einflussreichsten
Persönlichkeiten. Auch den indischen
„Bundesverdienstorden“ Padma Shri
7
hat sie erhalten und den Stockholmer
Wasserpreis.
Das große Ding: Schon vor bald 20
Jahren weckte ihr Institut pionierhaft
das Bewusstsein dafür, dass Umweltschutz auch in Entwicklungsländern
kein Luxus ist. Gerade die Armen, sagt
Narain, „sind davon abhängig, dass
Wald, Wasser, Boden Luft und biologische Vielfalt intakt bleiben“. Zudem
erhoben sie und ihre Mitstreiter den
Anspruch der Entwicklungsländer auf
globale Ressourcen- und Klimagerechtigkeit. „Ihr Reichen müsst Konsum
und Emissionen drastischer als bisher
herunterfahren“, fordert Narain bis
heute auf allen Podien, „damit wir
Entwicklung nachholen können“.
- Christiane Grefe
(Auszug aus dem Beitrag „Wachstum mit
Natur“, Die Zeit vom 2.4.2009)
mit den Herausforderungen der fremden
Entwicklung zurechtzukommen.
Zwei Beispiele
Gestatten Sie, dass ich nun einige Beispiele nenne, die, da sie ziemlich umstritten sind, eine Diskussion provozieren können. Ein solches Beispiel ist die
Behauptung, dass Europa sein eigenes
Varnasramadharma* braucht. Für den
sozialen Frieden muss sich jedes einzelne Gesellschaftsmitglied mit seiner
Rolle in der Gesellschaft zufrieden geben und sich damit versöhnen, was das
Leben ihm in bestimmten Stadien zu tun
erlaubt. Dieses System kann keinem
Menschen auferlegt werden. Es kann
nur dann wirklich funktionieren, wenn
es aus einem tief nach innen gerichteten
Bewusstsein stammt. Es ist völlig
gleichgültig, was unsere gesellschaftliche Position ist und wie wir sie erlangt
haben. Wir haben uns damit abzufinden
und müssen sie als eine genau so gute
Gelegenheit wahrnehmen, wie sie jede
andere Position im Leben uns anbieten
würde, um nach Selbstvervollkommnung zu streben. Eine solche Anschauung lässt sich freilich nicht vorstellen
ohne die Wiedergeburtstheorie. Denn
wie sonst kann sich der Europäer damit
versöhnen, was er heute ist?! Ich z.B.
würde nichts dagegen haben, wenn ich
dafür mit der Erhaltung der optimalen
Bedingungen der menschlichen Existenz belohnt würde. Die Entfremdung,
die Frustration und die Angst vor dem
SEIN, die an dem Gefüge der modernen
technologisierten Gesellschaft nagen,
müssen abgebaut werden. Das Varnasramadharma impliziert meines Erachtens die endgültige Versöhnung des
Menschen mit seiner Gesellschaft. Dies
bedeutet allerdings keineswegs die ideale Gesellschaft. Dharma heißt optimale
und nicht ideale Bedingungen. In dieser
Hinsicht ist es der Demokratie sehr ähnlich. Ich darf hier auch hinzufügen, dass,
wenn ich über Varnadharma spreche, ich
es in dem Sinne verstehe, wie die Gita es
versteht, indem sie es ausschließlich mit
Eigenschaften (Guna) und Taten (Karma) in Zusammenhang bringt.
Ein anderes Beispiel, das einen ähnlichen Inhalt hat und nicht weniger provokativ ist, ist jener Grundsatz des alten
indischen Dharma, der es als Verstoß
gegen das Dharma betrachtet, wenn
man über das Meer fährt und das Land
verlässt, worin man geboren wurde. Hätten die Gesellschaften nicht besser funk-
tioniert, wenn es keine Massenwanderungen gegeben hätte? Die Engländer
wären dann nie nach Indien gekommen.
Amerika wäre nie von den Europäern
übernommen worden, und Apartheid
wäre ein unbekanntes Wort gewesen.
Wiederum, dieses Dharma sollte nicht
durch strenge Visaregeln und -prozeduren erhalten werden, sondern aus einer
tief eingewurzelten Überzeugung, dass
wir eigentlich dorthin gehören, wo wir
geboren sind, dass dieser Ort genau so
gut wie jeder andere ist, wenn man nach
Selbstvervollkommnung streben will,
oder – sogar noch besser – dass er sich
für ein wirkungsvolles Streben nach der
Erlangung des absoluten Zieles noch
besser eignet.
Zwei Schwierigkeiten
Eigentlich soll ich über die Relevanz des
indischen Begriffs des Dharma für die
westliche Welt sprechen und soll mich
daher nicht noch länger bei der indischen Seite der Medaille aufhalten.
Wenn Sie jedoch gestatten, möchte ich
beispielsweise zwei Schwierigkeiten
nennen, die meines Erachtens Indien
entgegenstehen, wenn es versucht in den
Rahmen seines Dharma einige Aspekte
der ihm grundsätzlich fremden Entwicklungszivilisation zu integrieren. Das
erste Problem mit den gefährlichsten
Konsequenzen für diesen Prozess ist das
westliche Erziehungsmodell, das, indem
es erzieht, junge Menschen darauf vorbereitet, ihre Rolle in der Gesellschaft
ordentlich zu spielen und sich das Brot
zu verdienen. Ich behaupte, dass die Institutionen, die sich Universitäten nennen, nur selten, wenn überhaupt, in einer
tiefen Beziehung zu der wichtigsten
Aufgabe des Menschen stehen – d.i. zu
seinem Dharma – dessen Diktate ihn
dazu bewegen sollen, nach Selbstvervollkommnung zu streben. Im Gegensatz zu der heutigen wilden Jagd auf die
akademischen Grade bereitete einen das
traditionelle Bildungssystem grundsätzlich auf die Aufgabe der Selbstvervollkommnung vor, während es einem auch
ermöglichte, seinen Lebensunterhalt zu
verdienen. Bei modernen Universitäten
scheint dies nicht der Fall zu sein. Obwohl die Krankheit universal ist, lassen
sich einige akute Fälle in Indien hier und
da beobachten. Ich würde es darauf zurückführen wollen, dass in diesem Land
zwei völlig unterschiedliche Bildungsmodelle im Spiel sind, die dringend auf
der tiefst möglichen Ebene integriert
werden müssen. Man hat es öfters versucht, denkt man an Rabindranath Tagore, Mahatma Gandhi, Sri Aurobindo und
viele andere bis zu Maharishi Mahesh
Yogi oder der Universität der Brahmakumari zu Mount Abu. Deshalb ist ein
gewisser Optimismus in diesem Fall
nicht ganz ungerechtfertigt.
Das zweite Beispiel ist etwas lustig. Es
geht dabei um unsere tägliche Begegnung mit dem Straßenverkehr. Dieser in
einer Großstadt kann Objekt (Wastu)
Umweltschäden der Vergangenheit
„Die Entwicklungsländer haben einen
klaren Standpunkt zum Kioto-Protokoll. Sie argumentieren, dass in den
letzten 100 Jahren vor allem die westlichen Länder zur Umweltverschmutzung beigetragen haben. Das stimmt,
fast 90 Prozent der Schadstoffemissionen kamen aus dem Westen. Daher sei
es nicht fair, wenn der Westen nun für
seine derzeitigen Emissionen bezahlen
soll, obwohl er in der Vergangenheit
Umweltschäden angerichtet habe.
Ich bin der Ansicht, dass jeder für
seine Umweltverschmutzung bezahlen
sollte. Auch Indien und China sollten
für die Schäden, die sie verursachen,
aufkommen. Ich plädiere für die Gründung einer internationalen Aktiengesellschaft, mit deren Hilfe die westli-
8
chen Länder Umweltschäden der Vergangenheit auffangen könnten.
Wissen Sie, wie viel die Industriestaaten zurzeit in die Weltbank einzahlen?
Sie haben sich auf die Zahlung von
fünf Milliarden US-Dollar innerhalb
der nächsten zehn Jahre verpflichtet.
Das ist nichts. Gleichzeitig arbeitet der
US-amerikanische Kongress an einer
Gesetzgebung, die Indien und China
mit Gegenmaßnahmen droht, falls
beide Länder die ihnen auferlegten
Verpflichtungen nicht akzeptieren. Das
ist nicht fair.“
- Jagdisch N. Bhagwati
(Aus einem Interview in Kommunikation Global,
Dez.2008)
genannt werden, dessen Natur (Swabhawa) seine Harmonie ist, die den Gefahren des Staus und des Unfalls vorbeugt.
Die Erkenntnis der Natur des Straßenverkehrs hat zu einer Reihe von Verkehrsregeln geführt, an die sich, wie wir
alle wissen, nicht viele Delhianer halten.
Wir sehen aber kaum ein, dass wir es
hier auch mit einem Dharma zu tun haben und, wenn wir gegen seine Diktate
verstoßen und im Kreisverkehr demjenigen, der von rechts kommt, die Vorfahrt
nehmen, wir als Scherpilzflechten wiedergeboren werden! Es ist etwas unfair,
dass wir in diesem Zusammenhang nur
von Delhi sprechen, denn das Problem
ist universal. Erst vor kurzem erlegte die
katholische Kirche den Gläubigen die
Verpflichtung auf, dass sie den Verstoß
gegen die Verkehrsregeln bekennen,
denn er wird als Sünde betrachtet.
Der Spaß an diesem Beispiel sollte uns
jedoch nicht vom eigentlichen Ernst des
Problems ablenken. Es ist absolut notwendig, zur Erkenntnis des Dharma des
modernen Menschen – sowohl im Westen als auch in Indien – zu gelangen,
wenn diese unsere Erde uns und die
nächsten Generationen die angemessenen Bedingungen bereiten soll, um zu
leben und nach Selbstvervollkommnung
zu streben. Meines Erachtens erfüllt das
Adjektiv „erhaltungsfähig“ in erster Linie gerade diese Funktion, wenn es dem
Wort „Entwicklung“ vorausgeschickt
wird, und dann, wollen wir hoffen, können wir „Entwicklung“ völlig wegfallen
lassen und uns auf die Möglichkeit der
Erhaltung, die ja das Dharma selbst ist,
konzentrieren.
nur für Udaracittanam, nur für diejenigen, die eine aufrechte Anschauung
haben, d.i. nur für Menschen, die ihr
Dharma kennen und praktizieren.
!
Aus dem Englischen von Rajendra Dengle.
Der Beitrag ist leicht gekürzt.
(Quelle: Indien in der Gegenwart, Mai- Juli 1996)
Anmerkungen:
* Anumana: logische Schlußfolgerung
*Varnasramadharma: Kastensystem
* Vasudhaiva Kutumbakam: das Universum ist eine Familie
Vasudhaiva Kutumbakam* – so die Formel aus den Upanishaden – ist gemeint
Der singende Priester
Ein katholischer Priester gibt Konzerte in indischer klassischer Musik
Im südindischen Staat Kerala gibt es
einen katholischen Priester, der in klassischer südindischer Karnatischer Musik Konzerte gibt. Er hat ein Repertoire
von Musikwerken und Liedern, von denen die meisten auf christlichen Themen basieren. Seine Konzerte werden
nicht nur von Christen besucht, sondern auch von allen Musikliebhabern,
unabhängig von der Zugehörigkeit zu
einer bestimmten Religion.
Dieser singende Priester heißt Pater
Paul Poovathingal. Er stammt aus
Thrissur in Kerala und gehört dem
Orden „Karmaliter von der unbefleckten Maria“(CMI) an. Nach dem Theologiestudium und der Priesterweihe begann er ein Studium der klassischen
indischen Musik an der Delhi Universität (Sangeeta Shiromani), das er mit
der Prüfung zum Master abschloss. Zur
Promotion wechselte er an die Madras
Universität. Sein Promotionsthema war
eine kritische Studie über den Einfluss
von Karnatischer Musik auf die christliche Musik in Tamil Nadu und Kerala.
Sein Doktorvater ist der bekannte
Karnatik-Musiker Prof. Dr. Karaikudi
Subramanian.
Nach seiner Promotion ist Pater Poovathingal damit beschäftigt, eine Aka-
demie für indische klassische Musik
und Tanz aufzubauen. Diese Akademie
soll, nach seiner Vision, über alle religiösen Grenzen hinaus Kurse und Programme entwickeln, die zur Förderung
menschlicher Werte und religiöser
Harmonie beitragen. Die „Chetana
Sangeet Natya Academy“ in Thrissur,
Kerala, deren Direktor Pater Poovathingal zur Zeit ist, bietet bereits das
Studium in Musik und Tanz an, das zum
Bachelor und Master führt.
Ein Projekt, das Pater Poovathingal
bereits abgeschlossen hat, ist für die
deutsch-indischen Beziehungen von
9
Bedeutung. Dies ist das Tanzdrama
„Puthenpana“. „Puthenpana“ ist eine
lyrische Komposition in Malayalam
über das Leben Christi, verfasst von
dem deutschen Jesuitenmissionar
Johann Ernst Hanxleden (geb. 1681 in
Ostercappeln), der nach seiner Ankunft
in Indien im Dezember 1700 lange
Jahre in Kerala lebte. Der wichtigste
Teil dieser Komposition ist das Klagelied Mutter Marias über den Tod ihres
Sohnes Jesus Christus. Dieser Teil wird
heute noch in vielen katholischen
Familien in Kerala während der Passionszeit gesungen. Das Tanzdrama wurde schon mehrmals in Kerala präsentiert. Ein Wunsch von Pater Poovathingal ist, mit diesem Tanzdrama nach
Deutschland zu kommen und hier eine
Tournee zu machen. Im Oktober dieses
Jahres kommt er auf jeden Fall mit ein
paar Musikern nach Deutschland, um
hier einige Konzerte zu geben.
Kontaktanschrift: Dr. Paul Poovathingal, Chetana Sangeet Natya Academy,
C. R. Iyyunni Road, Mylipadam, Thrissur-680020, Kerala, India, Tel:
0091(0)487/2336667, E-Mail: [email protected]
- Jose Punnamparambil
Was Indiens Jugend denkt
Mehr Professionalität und Pragmatismus in der Politik
as führende Nachrichtenmagazin INDIA TODAY in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Synovate führte in
acht repräsentativen Großstädten Indiens eine Umfrage über die Einstellungen
der Jugend zu Politik und deren Vorstellung vom idealen Führer durch. Die
Befragung fand in Delhi, Mumbai, Kolkotta, Chennai, Ahmedabad, Lucknow,
Kochi und Indore statt. Befragt wurden
Männer und Frauen zwischen 18 und 35
Jahren. In jeder Stadt wurden 200 Personen befragt. Hier eine Zusammenstellung der Ergebnisse der Umfrage :
D
Indiens Jugend ist politisch sehr bewusst, aber nicht politisch aktiv. Sie fordert den großen Wandel. Aber dabei sind
sie nicht verblendet, sind realistisch
genug. Sie sehnt sich nach dem großen
Führer, dem Pragmatiker. Sie wollen
grundsätzlich nur tatkräftige Pragmatiker als Führer, nicht mehr die Alten, die
so aussehen, als wären sie aus einem
Altenheim ausgebrochen.
Die Medien ekeln sie an: Immer die
gleichen alten Geschichten, die sie an
die Seltsamkeiten Indiens, die Schamlosigkeit der Politiker, die Gewalttätigkeit
seiner Gesellschaft und an die kleinen
Betrügereien erinnern. Aber diese junge
Inderinnen und Inder sind nicht frustriert
oder resigniert. Obwohl als ein notwendiges Übel, akzeptieren sie die Politik,
wie sie ist, und wissen, dass sie darin
etwas zu riskieren haben.
Indien braucht und verdient eine(n) starke(n) Führer(in). Jemanden wie Indira
Gandhi. Manmohan Singh mag ein guter
Mensch mit den Allüren eines Professors sein. Aber man vermisst bei ihm
etwas. Vielleicht die politische Vision.
Vielleicht ist er zu gut oder zahm für die
Politik. Indien verdient etwas mehr als
das Atomgeschäft mit den USA. Vielleicht einen New Deal.
Indien braucht eine starke Führung
Sonia Gandhi mag die Mächtigste in der
Kongresspartei sein. Aber sie kann auch
nicht Indien regieren, wie sie möchte –
etwa in der Art, wie ihre Schwiegermut-
ter Indira Gandhi es tat. Auch von ihrem
Sohn, Rahul Gandhi, dem angeblichen
Versprechen der Zukunft, ist das junge
Indien kaum beeindruckt. Er hat bis jetzt
ein wenig anders gewirkt als die anderen
Kongress-Leute. Auch er hat als Repräsentant der neuen Politiker-Generation
den richtigen Unterschied nicht gemacht. In Narendra Modi, dem amtierenden Ministerpräsidenten von Gujarat,
sehen die jungen Wähler den richtigen
Führer, den geeigneten PremierministerKandidaten.
Demografisch ist die Jugend eine sehr
starke Bevölkerungsgruppe, weil etwas
über die Hälfte der Inder heute unter 25
sind und zwei Drittel aller Inder 35 oder
darunter sind. Die Zahl der 18 bis 35
Jährigen beträgt 247 Millionen, und
diese Bevölkerungsgruppe verzeichnet
einen jährlichen Zuwachs von 3,4%.
Diese jungen Inderinnen und Inder sind
nicht antipolitisch, sie sind eben von den
Politikern von heute, die korrupt, instabil und einfallslos sind, enttäuscht. Sie
sind keine Erstwähler und haben schon
Ahnung, wie man mit dem Stimmrecht
umgehen soll. Sie sind eben nicht de-
monstrativ dabei. Sie wissen ganz genau, dass die politischen Optionen nicht
die schönsten sind.
Die Jugend sehnt sich nach mehr Professionalität in der Politik, nach mehr Pragmatismus und Gujarats Chefminister ist
für sie professionell und pragmatisch genug. Mag sein, er ist ein Schreck für
viele andere. Aber er hat bedingungslos
auf Fortschritt und Entwicklung gesetzt,
und dies fasziniert die jungen Menschen
in Indien. Während seiner Regierungszeit hat Gujarat sich zu einem ModellStaat entwickelt. Dies wurde ermöglicht,
da er eine andere Politik machte und
macht. Er ist eine Herausforderung nicht
nur für die Angehörigen der NehruFamilie, sondern auch für den offiziellen
Premierminister-Kandidaten seiner eigenen Partei. Selbst Manmohan Singh, das
wirtschaftliche Wunderkind, kommt in
der Wählergunst der jungen Generation
nur an der vierten Stelle.
Narendra Modi ist für Indiens Jungwähler nach Indira Gandhi und dem frühere Staatspräsidenten A.P.I. Abdul Kalam der drittbeste Führer, den das Land
Der Spendensammler
Der zwölfjährige Bilaal Rajan geht
zurzeit barfuß in die Schule. Dabei ist
es in Kanada, wo er wohnt, noch fast
winterlich kalt. Doch Bilaal zieht keine
Schuhe an. Denn er weiß, dass in
armen Teilen der Welt Kinder auch
barfuß laufen müssen. Und Bilaal will
gegen die Armut kämpfen.
„Ich möchte Aufmerksamkeit dafür
wecken, dass Kinder in anderen Teilen
der Welt noch nicht einmal so einfache
Dinge haben wie Schuhe“, sagt Bilaal.
„Wenn sie ihr ganzes Leben barfuß
gehen müssen – warum sollen wir es
nicht für eine Woche können?“
Bilaal kommt aus einer Familie, die
aus Indien und Afrika stammt. Schon
seit mehreren Jahren setzt sich der
Junge mit braunen Knopfaugen für an-
10
dere Kinder ein. „Ich habe einfach damit angefangen, Mandarinen in der
Nachbarschaft zu verkaufen, und so
350 Dollar für Erdbebenopfer in Indien gesammelt“, erzählt er. „Das war
für mich damals ein Vermögen.“ Inzwischen hat er fast fünf Millionen
Dollar Spenden zusammen bekommen.
Das sind umgerechnet gut drei Millionen Euro.
Helfer gesucht. Bilaal sucht jetzt Mitstreiter. Er reist dafür quer durch
Kanada. Überall schlossen sich junge
Leute an, erzählt er. In Kanada und
den USA, in mehreren Ländern Afrikas
und in Europa etwa in Frankreich,
Belgien, Holland und der Schweiz.
(Quelle: Hohenloher Zeitung, 25.4.2009)
je gesehen hat. Er steht über Nehru,
Patel, Vajpayee und Advani. Die junge
Generation sehnt sich nach einem Führer, der stark, charismatisch und mutig
ist. Dieser Führer muss nicht unbedingt
perfekt sein, kann auch seine Macken
haben. Aber er soll Überzeugungskraft
haben, er soll entschlossen sein.
Die Beliebtheit, die Indira Gandhi und
Narendra Modi bei jungen Indern und
Inderinnen genießen, zeigen, dass die
politische Hierarchie sich wandelt. Die
Jugend hält nicht viel von der NehruGandhi-Dynastie und von politischer
Vererbung.. Nicht einmal Rahul Gandhi
mit seinen angeblich fortschrittlichen
Gedanken genießt große Popularität bei
der Jugend.
Die Kongresspartei hat keine Idole
mehr. Und der Bharatiya Janatha Party
(BJP) geht es kaum besser. Diese Partei
hat nur zwei Führer-Persönlichkeiten,
die bei der Jugend einigermaßen beliebt
sind – Vajpayee und Advani. Der erstere
ist zwar enorm populär in der Partei, ist
aber aus der aktiven Politik zurückgetreten. Der letztere, der offizielle Premierminister-Kandidat der Partei, einer mit
ungeheurem
Durchhaltevermögen,
schneidet in der Umfrage schlecht ab. Er
steht an 7.Stelle hinter Rahul Gandhi,
Sonia Gandhi, Manmohan Singh und
Vajpayee. Advanis Alter spielt hierbei
eine entscheidende Rolle. Die Jugend
will grundsätzlich einen Generationswechsel. Der amtierende Premierminister ist 76 und sein Herausforderer 81.
All dies zu einer Zeit, in der der Führer
der anderen großen Demokratie so jung,
dynamisch und charmant wie ein PopStar ist.
Zwei Gedichte
Prathibha Nandakumar
Erzähl mir
Geschichten
Erzähl mir Geschichten.
Mit sieben Weltmeeren, Donnerstürmen,
feuerspeienden Drachen darin.
Mit einem Schoßpapageien, der perlenpickend
seinen Herrn, den Dämon, verlacht.
Mit Fährnissen auf Schritt und Tritt,
einem endlosen Irrpfad, ohne Ausweg.
Ich kenne das alles und fürchte es nicht.
All diese Geschichten enden mit einem
„dann leben sie noch heute“.
Erzähl mir Geschichten,
wo atemverschlagen umschlungen
unter dem Neembaum
sich Träume in seine Versprechen
verwandeln.
Erzähl mir Geschichten,
die mich Weinen und Heulen machen
wie ein waidwundes Tier,
an deren Ende
sie sich bekommen
wie verirrte Kinder
sich einander wiederfinden, durch ein
Glück.
Es war einmal
eine Prinzessin
der Wäscherjunge
war verliebt in sie..
Solche Geschichten sind selten falsch.
Prathibha Nandakumar, geb.
1955, ist eine der namhaften Lyrikerinnen Indiens, die in Kannada schreibt. Sie hat bis jetzt 5
Bände Gedichte veröffentlicht.
Sie schreibt auch Erzählungen,
Theaterstücke und ist bekannt als
Übersetzerin und Journalistin.
Sie hat mehrere Literaturpreise
einschließlich des Literaturakademiepreises des Staates Karnataka erhalten.
Größe
Du kannst mich nicht mit der Faust
fangen,
in ein Zimmer sperren,
in kleinen Gefährten befördern.
Ein Sechs-Meter-Sari ist mir nicht
genug.
Ich passe nicht in Blusen von der
Stange.
Anstand und Ehrlichkeit in der Politik
Zwischen Fassade und Hintertür
in zwei Zimmern und einem Säulengang
können die Jahrestagsfeierlichkeiten
mich nicht bannen.
Das Urteil der Jugend ist eine klare Ablehnung. Es ist ein klares Nein zu den
offiziellen Kandidaten von Kongress
und BJP zugleich. Was die beiden
großen Volksparteien anbieten, ist nicht
das, was die Jugend sich wünscht. Die
Jugend verlangt Anstand und Ehre von
Politikern. Aber menschliche Güte allein
genügt nicht, meint sie. Die Führungsanwärter sollen handlungsfähig sein, und
ohne Leistung wird nichts laufen, meint
sie. Das Urteil ist hart, und da wird
manch einer aus seinem aufgeblähten
Ego die Luft ablassen müssen.
!
(Quelle: INDIA TODAY, 16.2.2009. Bearbeitung:
Thomas Chakkiath)
He, Du, Mann am Strand,
spiel dich nur müde
und kehre dann heim.
Meine Wellen müssen noch
manches Schiff ans Ufer tragen.
(Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Asok Punnamparambil)
11
Auswanderung
Sonar Bangla
Die ersten Jahre in Kalkutta
Gisela Advani
ls ich am 1. Weihnachtstag 1960
in Bombay heiratete und anschließend mit meinem Mann nach
Kalkutta zog, hatte ich mir kein Hintertürchen offen gelassen, durch das ich
nach Deutschland zurückschlüpfen
konnte, falls mir das Land nicht gefiel.
Mit der ganzen Begeisterung meiner 21
Jahre und der Liebe für meinen Mann
stürzte ich mich in das indische Abenteuer.
A
Kalkutta war hoffnungslos überbevölkert, die Stadt platzte aus allen Nähten.
Viele der Obdachlosen, die auf den
Bahnsteigen des Sealdah-Bahnhofs und
den Straßen der Stadt unter primitivsten
Umständen lebten, waren Flüchtlinge
aus dem östlichen Teil Bengalens, das in
dieser Zeit noch Ost-Pakistan hieß. Arbeit war kaum zu finden. Und wenn,
dann meist nur die erniedrigendste. Der
letzte Ausweg war immer das Betteln.
Die Armut in Kalkutta erschreckte mich.
Ich hätte nie gedacht, dass es einen so
erbarmungslosen Lebensstil geben
könnte. Die verwahrlosten, zum Teil
verstümmelten Bettler jeden Alters, die
um mich herumschwärmten, wenn ich
auf dem „New Market“ einkaufen ging,
waren ein schlimmer Anblick. Entsetzt
war ich über die schwerbeladenen Karren, vor die Menschen gespannt waren
wie Zugtiere. Ich konnte mich nie in
eine von Menschen gezogene Rikscha
setzen, obwohl mir immer wieder beteuert wurde, dass sie ein ganz normales
öffentliches Transportmittel sei. Wie
sollen die „Rikschawalas” sonst ihren
Lebensunterhalt verdienen? Sollten sie
und ihre Familien vielleicht darben und
als letzten Ausweg das Betteln sehen?
Diese Logik wollte mir nicht eingehen.
Ich versuchte auf meine Weise, hier und
da Not zu lindern. Kindern, die mich
anbettelten, kaufte ich Brot, Bananen
oder Erdnüsse. Ich bewahrte mein
Kleingeld auf, um es unter den Bettlern
zu verteilen. Kleidung und Lebensmittel
verschenkte ich an meine Putzfrau und
an eine schrecklich verhärmte Frau, die
einmal im Monat auf meiner Türschwelle saß.
Mein Mann, der mit dieser Armut um
sich herum aufgewachsen war, sah sie
Bildung
Migrantenkinder benachteiligt
Die im vergangenen Jahrzehnt durchgeführten internationalen Vergleichsstudien zeigen, dass Migrantenkinder
in fast allen wichtigen Einwanderungsländern der OECD (Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung) tendenziell mehr oder
weniger große Leistungsdefizite im
Lesen, in Mathematik und in den
Naturwissenschaften gegenüber den
Einheimischen aufweisen.
Deutschland gehört allerdings zu denjenigen Gesellschaften, in denen diese
Defizite am größten sind. In der letzten
PISA-Studie führt Deutschland die
„Hitliste“ der Länder mit den größten
Defiziten der Migrantenkinder im Bereich Naturwissenschaften an, in
Mathematik ist es bei PISA 2003 „Vizemeister“ der OECD und im Le-sen
liegt es 2006 auf Platz 3. Die so
genannte Zweite Generation – das
heißt Jugendliche, die im Zuwanderungsland geboren sind und deren beide Eltern zugewandert sind – weist in
Deutschland 2006 in allen drei Leistungsbereichen die größten Rückstände gegenüber den Einheimischen auf.
Offensichtlich gelingt es in Deutsch-
land nicht, das Leistungspotenzial von
jungen Menschen mit Migrationshintergrund so zu fördern und zu entwickeln, wie es in den meisten anderen
Einwanderungsländern der Fall ist.
Es ist nicht verwunderlich, dass diese
Leistungsdefizite schlimme Folgen für
die Bildungsbeteiligung haben. Allerdings sei hier bereits darauf verwiesen,
dass die schlechten Bildungschancen
der Migrantenkinder nur teilweise auf
ihre Kompetenzdefizite zurückzuführen
sind und auch mit unzureichender Förderung und Diskriminierungen in den
Schulen zusammenhängen. Die Probleme der Migrantenkinder beginnen
bereits im vorschulischen Bereich.
2007 besuchten in Deutschland 90 Prozent aller Drei- bis Fünfjährigen eine
Kindertageseinrichtung, aber nur 64
Prozent der Migrantenkinder. Dabei ist
belegt, dass gerade die Kinder aus bildungsfernen und zugewanderten Familien von einem möglichst frühen Kindergartenbesuch profitieren: Sie werden seltener bei der Einschulung
zurückgestellt, und ihre Chancen, später ein Gymnasium zu besuchen, ver-
12
doppeln sich. Die Nachteile setzen sich
bei der Einschulung – es werden etwa
doppelt so viele ausländische Kinder
zurückgestellt – und bei der wichtigen
Weichenstellung am Ende der Grundschulzeit fort: Zwischen 1985 und 2006
wechselten zwei Drittel der ausländischen Schüler an die Hauptschule
(deutsche: 42 Prozent) und nur 9 Prozent auf ein Gymnasium (deutsche: 30
Prozent). Während ihrer Schulkarriere
müssen Migrantenkinder insbesondere
in den unteren Klassen erheblich häufiger die Klasse wiederholen, in den
ersten bis dritten Klassen bleiben sie
viermal häufiger sitzen als Einheimische. Sie müssen auch häufiger das
Gymnasium wieder verlassen und steigen doppelt so häufig in die Hauptschule ab. Auch das Risiko, auf eine
Sonderschule für Lernbehinderte überwiesen zu werden, ist doppelt so hoch
wie bei Deutschen.
- von Rainer Geißler und
Sonya Weber-Hens
(Quelle: „Migrantenkinder im Bildungssystem
doppelt benachteiligt“. Aus Politik und Zeitgeschichte 49/2008)
mit anderen Augen und fragte mich eines Tages sehr diplomatisch, wie ich auf
Dauer dieses Fass ohne Boden zu füllen
gedächte. Das war mir zwar auch nicht
klar, aber ich konnte mich diesem Elend
einfach nicht verschließen. Als dann jedoch ein Bettler das Essen wegwarf, das
ich ihm gegeben hatte, wurde ich stutzig
und begann, mich rationaler mit dem
Problem der Armut auseinanderzusetzen.
Weil ich mich von Anfang an bemüht
hatte, ein Gemisch aus Bengali und
Hindi zu lernen, löste ich mich sehr
schnell aus der Isolation und fand mich
besser in der mir anfangs so fremden
Kultur zurecht. Bald konnte ich mich,
wenn auch mehr schlecht als recht, mit
Menschen unterhalten, bei denen mir
mein Englisch nicht weiterhalf. Zum
Beispiel mit meiner Putzfrau, mit dem
Unberührbaren, der meine Badezimmer
jeden Tag scheuerte, und mit dem
Wäscher, der einmal in der Woche kam.
Wenn ich in die Stadt fuhr, sprach ich
mit den Taxifahrern und auf dem Markt
mit den Kulis, die meine Einkäufe in
Riesenkörben auf dem Kopf trugen.
Trotz meiner mageren Sprachkenntnisse
wagte ich mich in entlegene Ecken des
Marktes, wo keine Ausländer hinkamen
und Obst und Gemüse billiger waren.
Ich wurde immer nett und mit einem
Lächeln behandelt. Angst hatte ich nie.
Natürlich hatte das Leben in Kalkutta
seine unerfreulichen Seiten. Im feuchtheißen Klima des Sommers wachte ich
manchmal schon morgens schweißgebadet auf, weil die Klimaanlage in unserem Schlafzimmer nicht funktionierte
oder der Strom stundenlang ausfiel.
Manchmal hatten wir kein Wasser, und
an einen Telefonanschluss war überhaupt nicht zu denken. Kurz vor dem
Monsun tobten gewaltige Gewitterstürme über der Stadt. Einerseits brachten
sie für einige Stunden Kühlung, andererseits fürchteten wir sie wegen ihrer Zerstörungskraft. An den Fenstern unserer
Wohnungen hatten wir gegen Sonne und
Regen dicke Leinwände anbringen lassen, die bei Bedarf heruntergelassen
wurden. Sie wirkten gegen diese Orkane
wie Papier, und der sintflutartige Regen
strömte in unsere Wohnung. Wir mussten
unsere Teppiche und Möbel oft in
Sicherheit bringen.
In unserem Stadtviertel wohnten überwiegend Bengalen. Viele ihrer Traditio-
nen befremdeten mich. Eine meiner
Nachbarinnen hatte ihre Schwiegermutter bei sich wohnen, die als Witwe ein
sehr zurückgezogenes Leben führte. Ich
besuchte sie oft, obwohl wir uns nur
durch Gesten, viel Lächeln und meine
paar Brocken Bengali verständigen
konnten. Sie aß gern Süßes, und ich
wollte ihr mit einem selbstgebackene
Kuchen eine Freude machen. Da sie als
Witwe aber streng vegetarisch, d.h. auch
ohne Eier, leben musste, stand ich vor
einem echten Problem. Kuchen ohne
Eier hatte ich noch nie gebacken. Nach
langem Suchen fand ich in meinem Dr.
Oetker Schulkochbuch ein Apfelkuchenrezept, unter dem ganz klein
gedruckt stand, dass man die Eier durch
Milch oder Wasser ersetzen könne.
Viele Dinge, die in westlichen Ländern
als selbstverständlich galten, gab es in
den sechziger Jahren in Indien nicht.
Mein Leben war vergleichsweise primitiv, und ich musste auf meinen Erfindergeist und meine Phantasie bauen. Das
hat mir viele Erfolgserlebnisse gebracht
und gezeigt, dass weniger auch mehr
sein kann. Wenn ich später jemandem
erzählte, dass ich fünf Jahre in Kalkutta
verbracht hatte, wurde ich meist bemitleidet. Diese Reaktion ließ mich zurückdenken. War das Leben in Kalkutta
wirklich so furchtbar gewesen?
Ich erinnere mich an die Menschen in
Bengalen als freundlich und hilfsbereit
und als leidenschaftliche Debattierer,
besonders wenn es um Politik ging. Ich
erinnere mich auch an ihre große Liebe
für die Literatur und Musik ihrer Heimat
und an die kulturellen Programme, darunter viele Theaterstücke, die wir besucht haben. Für die bengalischen Frauen mit ihrer sanften Schönheit und ihrem
ausgeprägten Sinn für Familie und Tradition hatte ich nichts als Bewunderung.
Meine lebenslange Faszination von Indien begann damals in „Sonar Bangla“,
dem Goldenen Bengalen.
!
Moralisch verpflichtet
Kirche startet Kampagne gegen Klimawandel
Bischöfe aus Industrie- und Entwicklungsländern sowie Vertreter von rund
170 katholischen Organisationen haben einen stärkeren Einsatz gegen den
Klimawandel verlangt. Am Rande der
Klimakonferenz im polnischen Poznan
(Posen) starteten sie eine weltweite
Kampagne, mit der sie auf die Bedürfnisse der armen Bevölkerung in Entwicklungsländern hinweisen. Bereits
jetzt kämen Menschen ums Leben, weil
in seinem Heimatland die Stürme stärker und die Dürren länger geworden
seien, sagte Bischof Theotonius Gomes
aus Bangladesch. In den vergangenen
Jahren sei der Bedarf an Nothilfe drastisch gestiegen.
Die Kampagne wird unter anderem
vom Internationalen Dachverband
katholischer Wohlfahrtsorganisationen
„Caritas Internationalis“ und dem
Dachverband katholischer Entwicklungsorganisationen, Cidse, getragen.
Präsident René Grotenhuis erklärte,
die Bevölkerung der Entwicklungsländer trage am wenigsten zum Klimawandel bei, sei allerdings von den Aus-
13
wirkungen am stärksten betroffen. Es
gebe daher eine moralische Verpflichtung, für den nötigen technischen und
finanziellen Beistand für diese Länder
zu sorgen. Sie müssten in die Lage versetzt werden, sich dem Klimawandel
anzupassen. Grotenhuis erinnerte daran, dass mit Milliardenbeträgen die
Krise auf den Finanzmärkten bekämpft
werde. Darüber dürfe nicht vergessen
werden, dass der Klimawandel eine
Katastrophe weit größeren Ausmaßes
auslösen könne.
Mit ihrer Kampagne wollen die Bischöfe und Organisationen erreichen,
dass bis 2012 ein sozial gerechtes Klimaabkommen ausgehandelt wird. Darin sollten sich die Industrieländer zu
ausreichendem Beistand für die Entwicklungsländer verpflichten. Zudem
sollten sie ihren Ausstoß an Treibhausgasen gegenüber dem Stand von 1990
bis 2020 um 30 bis 40 Prozent verringern.
- KNA
(Quelle: F + M, 2/2009)
Religion
Der Buddhismus wird neu entdeckt
Das globalisierte Indien auf der Suche nach einer Religion ohne Gott
Thomas Chakkiath
er Buddhismus erlebt den größten Boom in Indien seit seiner
Blütezeit vor 2200 Jahren. Die
Lehre, die einst aus ihrem Geburtsland
verdrängt worden war, kehrt nun zurück
und scheint die Menschenherzen
zurückzuerobern. Die in Städten lebenden Inder finden in buddhistischer Lehre
einen Rettungsanker, eine Zuflucht für
ihr sorgenschweres Leben. Auf der Insel
Gorai bei Mumbai wurde neuerdings
eine riesengroße Pagoda, die Global
Vipasana Pagoda, der größte Dom der
Welt, eröffnet. Als Gäste waren der
Staatspräsident,
der Gouverneur des Bundeslandes, viele
Minister, Industrielle, Medienzaren und
nicht zuletzt die Enkelin Indira Gandhis,
Priyanka Gandhi Vadra, die bekanntlich
eine Anhängerin des Buddhismus ist,
höchst persönlich da.
D
Die neue Anhängerschaft des Buddhismus besteht größtenteils aus Menschen,
auch jungen, die wohlhabend, rational,
großstädtisch und englisch erzogen sind,
die organisierter Religionen überdrüssig
sind und für Antworten auf ihre Lebensfragen auf die alte Lehre zurückgreifen.
Sie wollen aus ihrem neuen Glauben
keine Schau machen. Im Gegensatz zu
Ambedkar, der vor 50 Jahren zum Buddhismus konvertierte aus Rache für die
krasse Kastendiskriminierung, der er im
Hinduismus ausgesetzt worden war, sind
die neuen Jünger Buddhas eher scheu
und zurückhaltend. Sie wollen sich nicht
gerne öffentlich zum Buddhismus bekennen. Sie wollen nichts von der politischen Altlast des Buddhismus wissen.
Ihr Buddhismus ist eher eine Therapie
als eine Religion, eine Selbst-Hilfe, die
ihnen hilft, den Stress und die Probleme
des modernen und Stadtlebens, die
durch nukleare Familien, Generationslücken, Ehescheidungen, Zerfall der
familiäre Unterstützung, Arbeitslosigkeit, Einsamkeit, Zukunftsängste der
Teenager und Zivilisationskrankheiten
entstehen, zu überwinden.
Soka Gakkai
Die 32-jährige Geschäftsführerin Archana Sehgal ist eine Vertreterin der neuen
Anhängerschaft. Die einer schlimmen
Familienfehde zum Opfer gefallene Frau
Sehgal schloss sich einem Kreis des
Sprechgesangs an, um seelische Ruhe
zurückzugewinnen. Dieser wirkte Wunder und sie kam wieder zu innerer Ruhe.
Heute ist sie Leiterin der örtlichen Frauengruppe der Bharat Soka Gakkai (Werteschaffende Gesellschaft), einer in
Japan gegründeten Religionsgemeinschaft buddhistischer Prägung. Heute
blüht diese Gemeinschaft in 192 Ländern und hat Millionen von Mitgliedern.
Die Leitung der Gemeinschaft hat dafür
zu sorgen, dass es jedem Mitglied wohlergeht. Archana soll wöchentlich zwei
Hausbesuche machen. Dies ist sehr
typisch für diese Gemeinschaft. Jeder
Block mit einer Leiterin oder einem Leiter an der Spitze hat maximal nur 10
Mitglieder, so dass eine individuelle Betreuung möglich ist. Frau Sehgal sagt,
dies gebe ihr sehr viel Erfüllung, da sie
den anderen, die wie sie selbst sich mit
familiären und sozialen Problemen auseinanderzusetzen haben, richtungweisend beistehen kann. Soka Gakkai ist eine Philosophie, die man sehr leicht im
täglichen Leben praktisch umsetzen
kann. Sie begreifen, wie ihr inneres Leben funktioniert, und lernen, die Verantwortung für ihr eigenes Glück zu übernehmen.
Die Kombination von gemeinschaftlichem Gebetsingen, individueller Beratung und einem Unterstützungssystem,
das dem einer Großfamilie ähnelt, hat in
knapp über zwei Dekaden die Bharat
Soka Gakkai zu einer beeindruckenden
Organisation mit über 38000 Mitgliedern in 300 Städten aufsteigen lassen.
Den skeptischen Außenstehenden, insbesondere den Angehörigen der gut gebildeten Mittelschicht mit ihrem
Schrecken vor allem, was nach einer organisierten Religion riecht, könnten die
straffe Organisation und die strengen
Regeln der Vertraulichkeit zuweilen fast
freimaurerisch erscheinen. Aber von in-
Eine Welt ist nicht genug
Der Mensch verbraucht schon jetzt
mehr natürliche Ressourcen, als die
Erde eigentlich hergibt, um ihm eine
sichere Zukunft auf seinem Heimatplaneten zu ermöglichen. Das ist das
Ergebnis einer Studie der Umweltorganisation World Wildlife Fund for
Nature (WWF) zum ökologischen
Zustand der Welt. Der „Living Planet
Index“ untersucht die Artenvielfalt
und den sogenannten ökologischen
Fußabdruck, den jeder Mensch durch
den Verbrauch von Rohstoffen wie
Wasser und Energie hinterlässt. In
Brasilien verschwindet jedes Jahr
Regenwald in der Größe von Hessen,
mehr als 21.000 Quadratkilometer. Im
Jahr 2035 wären bereits die Ressourcen einer zweiten Erde verbraucht,
14
wenn der Mensch seinen Verbrauch
nicht entscheidend verändert. „Bislang haben wir diesen Zeitpunkt für
2050 erwartet“, sagt Christoph Heinrich, WWF-Direktor Umwelt- und
Naturschutz. Rund 40 Prozent des globalen Ressourcenverbrauchs gehen
allein auf das Konto von China und
den USA. Während der Verbrauch von
Ressourcen dramatisch ansteigt, sinkt
die Artenvielfalt. In den vergangenen
35 Jahren ist rund ein Drittel aller
Arten verschwunden. Ein Viertel aller
Säugetiere gilt heute als vom Aussterben bedroht. Die Studie ist – nur auf
Englisch – abrufbar unter www.wwf.de
(Quelle: Kontinente 1/2009)
nen gesehen, sind die Aufrichtigkeit,
Ehrlichkeit und die echte Sorge der einzelnen Mitglieder um die anderen kaum
zu verkennen. Durch das Sprechsingen
werden negative Gedanken in positive
umgewandelt. Was noch wichtiger ist:
Die Mitglieder der Gemeinschaft werden aufgefordert, für die Freude der anderen zu beten. Individuelle Erfahrungen und Erkenntnisse, wie die Exerzitien das Leben verändert haben, wird
unter strenger Vertraulichkeit untereinander ausgetauscht. Es wird von unzähligen Heilserfahrungen und Wundern
berichtet. Blinde sehen, Krebskranke
werden geheilt, zwischenmenschliche
Beziehungen innerhalb der Familie, in
der Gesellschaft und am Arbeitsplatz
werden besser, Arbeitsstellen werden
angeboten, Beförderung, die einem
zusteht, kommt ohne Drahtziehen.
Aber Soka Gakkai ist mehr als eine spirituelle Therapie, wird betont. Die Gemeinschaft strebt einen radikalen globalen spirituellen Wandel an, sie will eine
Art human revolution herbeiführen,
wobei die Mitglieder für eine Welt
kämpfen sollen, in der Buddhas zentrale
Lehren wie Frieden und Gewaltlosigkeit
befolgt und verbreitet werden. Dies soll
dazu dienen, alle Probleme der Welt zu
lösen, sei es das global warming, Gefährdung des Weltfriedens durch Nuklearbewaffnung oder das Waldsterben.
Vipassana
Andere New-Age-Formen des Buddhismus ergreifen die gleiche Idee einer gesammtheitlichen Betrachtung des Universums. Vipassana – das heißt, Dinge
sehen wie sie wirklich sind –, jene
Meditationsform, die von Buddha popularisiert wurde, wurde von einem in
Burma ansässigen indischen Geschäftsmann in das Ursprungsland Indien zurückgebracht. Satyanarayan Goenka
heißt dieser Mann. Er war ein eifriger
Praktiker dieser Meditationsform und
kam 1962 zwecks ihrer Wiederbelebung
nach Indien zurück. Vipassana schließt,
wie Goenka in seinen Vorträgen und
Büchern sagt, keine Dogmen, Riten,
Rituale und Bekehrung ein. Die einzige Bekehrung ist die von der Misere
zum Glück, von Knechtschaft zur Freiheit.
Als Goenka vor 40 Jahren das Vipassana
nach Indien holte, gab es nur ein paar
Menschen inklusiver seinen Eltern, die
bereit waren, es mitzumachen. Heute
gibt es rund 55 Vipassana-Zentren in
Indien – von Sonepat in Haryana bis
Chengannur in Kerala, von Jaipur und
Ajmer bis Dehradun und Durg. An den
zehntägigen Exerzitientagungen nahmen neuerdings knapp eine Million
Menschen teil. Hier wurden den Anfängern beigebracht, innere Reinigung
durch Selbstbetrachtung zu üben. Die
Teilnehmer führen ein recht bescheidenes Leben mit möglichst wenigen Bedürfnissen. Kein Fleischkonsum, kein
Alkohol, keine Zeitung, kein Fernsehen,
keine Musik, absolutes Schweigen und
Konzentration des Geistes. Verzicht auf
die Ablenkungen ist der erste Schritt zur
Beruhigung des Geistes. Dann folgt die
anapana-Meditation für dreieinhalb
Tage. Diese konzentriert sich auf den
Atmungssprozess. An den darauf folgenden sechseinhalb Tagen wird eine
Meditation unter Aufsicht durchgeführt,
wobei die Teilnehmer lernen, Änderungen am eigenen Körpern bewusst wahrzunehmen. Dies schenkt ihnen Gelassenheit und Ausgeglichenheit.
Das Aufkommen von verschiedenen
New-Age-Formen des Buddhismus ist
heutzutage ein wachsender Trend in
indischen Großstädten. Es sieht so aus,
als würde der Buddhismus nach seiner
Verdrängung vor Jahrhunderten in seinem Geburtsland wieder entdeckt. Es ist
überwiegend die hinduistische Oberschicht, die versucht, die Seele der
buddhistischen Lehre wieder zu entdecken. Die Wiederkunft Buddhas passt
genau ins Bild, da eine ähnliche Welt
wie zu Buddhas Zeiten auch heute vorhanden ist – eine aufbrechende Gesellschaft mit ihrer aufkommenden Händlerschicht. Eine Gesellschaft, in der die
traditionellen zwischenmenschlichen
Beziehungen zerfallen und Menschen in
Großstädten in Anonymität und Einsamkeit geraten. Die traditionellen Religionen können nicht weiter helfen, denken
viele.
Das liberalisierte Indien, spirituell und
emotionell erschöpft, ist verständlicherweise auf der Suche nach einer neuen
Form der Spiritualität, und diese findet
Weltpatent für Ayurvedatherapie gegen Krebs
Erfolgreiche Behandlung mit dem Tropfenkonzentrat SJ-29
Nach 20-jähriger biotechnologischer
Forschung und klinischen Tests hat
das Athulya Ayurvedic Medical Research Centre (AAMRC) in Kozhikode,
Kerala, Indien, eine auf Pflanzenextrakt SJ-29 basierte Therapie entwickelt, wofür es das „Globale Patent
für Krebstherapie“ erhalten hat.
Die Erfindung dieses Pflanzenextrakts
erfolgte ganz zufällig. Seine krebsheilende Wirkung auf menschliche Zellengewebe wurde eigentlich schon 1993
entdeckt. Daraufhin wurden zahlreiche
weitere Tests durchgeführt. Die Ergebnisse waren sehr zufriedenstellend. So
wurden das indische Patent (P25/
00007/2007/CHF/00284) und das globale Patent (pct/in/2007/000179, veröffentlicht am 20.11.2008 (siehe
www.wipo.int/patent) dem Erfinder
der Medikamente Dr. Zacharia Jakob
erteilt.
Das Herausragende an SJ-29 besteht
darin, dass es selektiv und ausschließlich auf Krebszellen wirkt. Das Medikament ist absolut sicher, es wurden
15
bis jetzt keine Nebenwirkungen festgestellt.
Nach Dr. Zacharia Jacob, der das
Medikament erfunden und die Therapie entwickelt hat, hat diese Behandlungsmethode gegen Krebs verschiedene Vorteile: die eingesetzten Substanzen sind natürlichen Ursprungs, die
Verabreichung ist sicher und einfach
und das Medikament hat keinerlei
Nebenwirkungen.
Im Athulya Ayurvedic Medical Research Centre werden Krebspatienten
aller Art sowohl ambulant als auch
stationär behandelt. Chirurgische Eingriffe werden je nach Krankheitssituation empfohlen, aber nicht Chemotherapie oder Bestrahlungen. Für weitere
Information:
www.ayurvediccancertherapy.com
- P. Werner Chakkalakal,
Kerala, Indien
(Quelle: Sunday Deepika, Malayalam Zeitung,
Kerala, 22.3.2009)
es in dem wieder entdeckten Buddhismus. Die angestrebte Identität eines
Inders ohne Angaben zu seiner Kastenund Religionszugehörigkeit ist relativ
neu, und gerade deshalb passt Buddhismus besonders ins Bild, da die Lehre
sehr am Individuum orientiert ist.
Es ist die Suche nach einem moralisch,
ethisch und spirituell vertretbaren Leben
ohne Gott als Vermittler, die tausende
von Menschen zum Dalai Lama treiben.
In der Vergangenheit war der Dalai
Lama viel auf Auslandsreisen, um die
Lehre Buddhas den Menschen näher zu
bringen, aber heute findet er seine Gefolgschaft in Indien selbst. Egal, wo er
hinkommt, jubeln Tausende ihm zu.
Seine einfachen, nüchternen, bodenständigen Reden ohne Dogmen faszinieren
die Zuhörer. Für die wissenschaftlich
geschulten und rationalistisch gesinnten
Zeitgenossen haben diese Reden eine
besondere Anziehungskraft. Im Buddhismus liegt die Betonung auf der individuellen Erleuchtung, und dies fasziniert die Intelligenzija.
Ethisch Wegweisendes
Nun bleiben die folgenden Fragen offen:
Wird der Buddhismus noch einmal aus
Indien verschwinden wie damals? Wird
er vom Hinduismus einverleibt werden
und in Ritualismus verfallen? Wird die
Handelsschicht, die das Rückgrat der
Wiederbelebungskampagne bildet, aus
welchem Grund auch immer, sich wieder verkleinern? Pankaj Mishra, der bekannte indische Schriftsteller, verneint
diese Fragen. Buddha sei mit Abstand
der größte Denker, den Indien je hervorgebracht hat, sagt er. Viele angeblich
moderne Ideologien seien inzwischen in
Verruf geraten, und gerade jetzt sei die
Buddhistische Lehre als etwas ethisch
Wegweisendes besonders relevant, fügt
er hinzu.
Die Buddhismus-Lehrer bestimmen die
Lehren von Zeit zu Zeit näher, um sie
den Erfordernissen der Zeit anzupassen,
um sie zeitgenössisch relevant zu machen. Keiner kann zum Beispiel gedacht
haben, dass die fünf Gelübde, die der
Buddha vor Jahrhunderten festlegte, bei
den wohlhabenden, gut gebildeten Fachleuten und Wissenschaftlern Resonanz
finden würden. Die buddhistischen
Lehrmeister haben mutig ein ethisches
System vorgelegt, das für jeden in unseren widerspenstigen und turbulenten
Zeiten gut funktioniert.
An den fünftägigen buddhistischen
Exerzitien in Delhi nahmen neuerdings
viele Inder teil und legten die fünf
Gelübde in ihrer New-Age-Form ab. Sie
versammelten sich unter einem Bodhi
Baum auf den Nehru Memorial Wiesen.
Die fünf Gelübde :
Nicht töten: Dies ist mehr als ein Aufruf,
sich zum Vegetarismus zu bekehren.
Dies fordert Sie auf, einen umweltfreundlicheren Lebensstil zu praktizieren, sich für den Schutz des Lebens von
Menschen, Tieren und Pflanzen einzusetzen.
Barmherzigkeit:
Man soll seine Zeit, Energie und materielle Ressourcen mit anderen teilen, die
sie dringend benötigen. Halten Sie die
anderen davon ab, aus menschlichem
Leid oder aus dem Leid anderer Spezies
Vorteile zu ziehen.
Verantwortlicher Sex:
Mann und Frau sollen nicht ohne Liebe,
Hingabe und Verpflichtung sexuelle Beziehungen eingehen. Kinder sollen vor
sexuellem Missbrauch geschützt werden. Durch sexuelles Fehlverhalten soll
nicht das Ehe- und Familienleben zu
Grunde gehen.
Liebevolles Reden:
Dieses Gebot ist mehr als „Du sollst nicht
lügen“. Es ist eher eine Verpflichtung,
jene Nachrichten nicht auszubreiten,
deren Wahrheit man nicht nachgeprüft
hat, und Dinge nicht zu kritisieren oder
zu verurteilen, von denen man selbst
nicht sicher ist. Man soll auch auf verletzende oder beleidigende Worte verzichten, die unter anderem auch Familien
oder der Gesellschaft Schaden zufügen
könnten. Man soll eher auf Versöhnung
setzen und nicht auf Konfrontation.
Kein Rauschmittel
Man soll nicht nur auf die üblichen
Rauschmittel wie Alkohol und Drogen
verzichten, sondern auch auf giftige, berauschende Fernsehprogramme, Magazine, Bücher, Filme und Gespräche.
Man soll versuchen, Gewalt, Angst,
Ärger und Verwirrung in der eigenen
Person und in der Gesellschaft in positive Energie umzuwandeln, indem man
eine bestimmte geistige Diät praktiziert.
Der Soka Gakkai-Lehrmeister Daisaku
hat folgende Regeln für die Veränderung
der Welt durch Veränderung des Individuums festgelegt:
Man soll sich selbst zu jederzeit herausfordern, so dass man nicht von der
Umwelt und anderen Menschen hin- und
hergeschleudert wird. Dadurch wird
man im Stande sein, die Umwelt zu
beeinflussen und zu ändern.
Man soll durch seine Interaktion mit den
anderen eher weiterwachsen als in Isolation geraten.
Uma Chhatrapathi
Eine vielbegabte indische Künstlerin
Uma Chhatrapathi, geb. 1957, ist eine
bekannte indische Künstlerin, die in
Aquarell, Acryl und Öl malt. Ihre Gemälde sind bereits in vielen Galerien
in Mumbai und anderswo in Indien
ausgestellt worden. Zu den Besitzern
ihrer Gemälde gehören viele private
Sammler in Indien sowie im Ausland
wie Mercedez Benz, Hinduja Gruppe,
Grundig Sammlungen, StudiomasterUK etc. etc.
Uma Chhatrapathi beschäftigt sich
viel mit der spirituellen Dimension des
menschlichen Körpers. Sie bemüht
sich in ihrer Arbeit, Kubismus in holistischen Abstraktionen zu integrieren.
Uma Chhatrapathi ist auch eine aus-
16
gebildete Kathak-Tänzerin.
- J. P.
Man soll sich verpflichten, all das in der
eigenen Person verborgene Potential
richtig wahrzunehmen und zu verwirklichen als ein Schritt zur Selbstverwirklichung.
Die Geschichte meines Namens
Kavitha Pollyanna Thomas
Man soll sich verpflichten, trotz aller
Probleme glücklich zu sein und glücklich zu bleiben.
Man soll nicht vor sich selbst flüchten.
Man soll sich von innen ändern.
Man soll sich von Angst befreien.
Man soll sich nie mit anderen vergleichen, sondern mit dem, was man gestern
war, mit seinem Selbst von gestern.
Beispiele des nachhaltigen Lebenswandels : Shantum Seth, der einstige Friedensaktivist, hatte selbst keinen inneren
Frieden, und diesen gewann er zurück
durch intensive Meditation und bewusstes Leben. Der Industrielle und Medienzar Subhash Chandra übt Vipassana
täglich seit 1990 und ist dadurch mit
sich selbst klargekommen, sagt er. Heute
ist er selbstbeherrschter und ausgeglichener. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass Priyanka Gandhi, Indira
Gandhis Enkelin, seit elf Jahren Anhängerin des Buddhismus ist. Sie übt die
Vipassana-Meditation eifrig und regelmäßig. Nandita Das, Schauspielerin, hat
nie viel von organisierten Religionen gehalten. Sie war ständig auf der Suche
nach einer Glaubensrichtung, die eine
wahre spirituelle Zuflucht bietet. Sie findet die buddhistische Lehre modern und
zeitgemäß. Wenn eine Religion über die
Gebote und Verbote hinausgeht und eine
Suche nach dem größeren Wohl der
Menschheit wird, ist sie das Folgen
wert.
A. Subramaniam, Atomwissenschaftler,
glaubt, Buddhismus hat eine wissenschaftliche Basis. Er übt die VipassanaMeditation seit 1992 und gibt heute
selbst Unterricht.
Auch Arbaz Khan, Bollywood Schauspieler, und Upen Biswas, ehemaliger
CBI joint-director, gehört zu den stressgeplagten Menschen, die Zuflucht im
Buddhismus gefunden haben.
!
(Quelle: Outlook, 23.2.2009, u.a.)
ch nenne mich Kavitha, was auf
Sanskrit Poesie bedeutet. Meine
Eltern haben mich Polly genannt.
I
Ich bin die fünft- und letztgeborene meiner Eltern und die dritte Tochter. Diese
meine Namensgeschichte widme ich
meinem Bruder Mon, da er mir meinen
Namen geschenkt hat. Meine Eltern
haben 4 Kinder gehabt, bevor ich zur
Welt kam. Ihren ersten Sohn haben sie
als Baby verloren. Das muss sehr
schmerzhaft für sie gewesen sein. Dann
kam noch ein Sohn. Und dann kam ich,
Mein Bruder war 3, als ich geboren
wurde. Man erzählte mir, im Kindergarten habe er gerade ein englisches Kinderlied „Polly put the kettle on“ gelernt
und mich deshalb Polly genannt. Und so
sei ich zu meinem Namen gekommen.
Ich fand den Namen ganz originell. Ich
habe bis jetzt keinen Mensch getroffen,
der Polly heißt. In Indien kommen schon
Namen wie Nancy, Susy, Alice, Sarah,
Stella, Celine vor, aber einer Polly bin
ich noch nicht begegnet. Auch außerhalb
Indiens nicht. Und trotzdem hat mich
keine/r in Indien jemals gefragt, warum
ich Polly heiße. Ich war gerne Polly und
war ganz und gar glücklich als Polly.
Mit 13 aber las ich das Buch „Pollyanna“ über das Mädchen, das alles so optimistisch sah und allen nur Gutes wollte,
und fand sie einfach toll und wollte so
sein wie sie. Ich fand, dass mein Name
eine erstaunliche Ähnlichkeit mit ihrem
hatte, weil ich auch Anne als zweiten
Vornamen hatte. Da ich noch die Möglichkeit hatte, bis zum Schulabschluss
meinen offiziellen Namen zu gestalten,
habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, Polly und Anne kombiniert und
Pollyanna daraus gemacht. So heiße ich
immer noch auf allen Papieren.
Mit 23 ging ich nach Paris, um weiter zu
studieren und zu promovieren. Dort
wurde ich zum ersten Mal gefragt,
warum ich Polly heiße, ob es ein typi________________________________
Dr. Kavitha Pollyanna Thomas ist Mitarbeiterin bei
VEZ, Bad Honnef (Vorbereitungsstätte für Fachkräfte der
Entwicklungszusammenarbeit)
17
scher indischer Name wäre und so weiter, dass ich auf einmal meinen Namen
erklären, rechtfertigen, mich sogar für
meinen Namen schämen musste. Irgendwann war es mir leid, immer wieder in
die Position gedrängt zu werden, die
Kolonialgeschichte erzählen zu müssen,
warum mein Bruder mit 3 ausgerechnet
„Polly put the kettle on“ sang, und
meine Eltern dafür kritisieren zu müssen, dass sie mir keinen indischen
Namen gegeben haben. (Ich weiß nicht,
ob mein Bruder mich Parvati genannt
hätte, wenn er indische Lieder gelernt
hätte, und ob ich heute ein anderer
Mensch wäre, wenn ich als Parvati groß
geworden wäre und mich niemals mit
meinem Namen hätte auseinandersetzen
müssen.)
Als ich einmal im Zug saß und nach
Chennai fuhr, fiel mir der Name Kavitha
ein, und ich entschied mich, mich Kavitha zu nennen. Kurz danach verlegte ich
meinen Wohnort von Paris nach Bonn,
lernte dadurch neue Leute kennen und
deshalb war der Übergang von Polly zu
Kavitha leicht. Ich wurde ganz einfach
Kavitha. Mir wurden die lästigen Erklärungen erspart und ich war eine
glücklich Kavitha und durfte die Kolonialgeschichte verdrängen. Ich musste nur
immer wieder, wenn es um Papiere ging,
darauf achten, dass die Papiere für Pollyanna ausgestellt wurden.
Da gab es auch manchmal Situationen
mit einer gewissen Komik – einmal war
ich mit 2 Freundinnen, die sich nicht
kannten, vor einem Kino verabredet.
Alle beide waren vor mir da und haben
angefangen, mit einander zu reden. Eine
wartete auf Kavitha und die andere wartete auf Polly. Erst als ich ankam, merkten die beiden, dass sie auf die selbe Person warteten. Oder als meine Eltern bei
mir zu Besuch waren und eine Freundin
anrief und mit Kavitha sprechen wollte,
fragten meine Eltern, wer das denn sei.
Ist es eine schmerzvolle Geschichte?
Einmal die Wurzeln, Name, Identität zu
verlieren durch koloniale Fremdbestimmung. Und dann die Wurzeln und die
Identität, die meine Familie mir durch
einen Namen gegeben hat, noch einmal
zu verlieren durch fremdbestimmte
Kolonialbefreiungsversuche?
Oder ist es eine lustige, lockere Geschichte, mein singender dreijähriger
Bruder, der mir einen Namen gibt, meine Eltern, die diesen für sie sehr ungewöhnlichen Namen akzeptieren und mir
ihn schenken, ich selber noch daran
bastelnd mit 13, meine Pariser Freunde,
die mich anregen, mir einen poetischen
Namen zu geben, die Flexibilität, mit
der alle – Kollegen, Familie, Freunde,
sogar meine Eltern, die mir den Namen
Polly gegeben haben – mit meinen zwei
Namen umgehen?
Was ist ein Name? Was wir Rose nennen, würde it jedem andren Namen
ebenso süß duften.
!
Eines Tages wird sich die Antwort herauskristallisieren.
Bis dahin möchte ich mit einem Zitat
aus Shakespeares „Romeo and Julia“
enden:
„What’s in a name? That which we call
a rose by any other word would smell as
sweet.“
Auf Deutsch :
Kusum und die Armut in Indien
Bernard Imhasly
Eine kürzliche Begegnung in einem
Slum am Stadtrand von Neu Delhi illustriert diese Befindlichkeit. Die siebzehnjährige Kusum wurde vor drei Jahren mit ihrer Familie – und 150.000
anderen Slumbewohnern – aus der
Hüttenstadt Jamunapushta entlang des
Jamuna-Flusses vertrieben. Die Stadtregierung walzte mit Bulldozern 50.000
Häuser nieder, Teil des Plans, für die
Commonwealth Games von 2010 Neu
Delhi in eine „Weltklasse-Stadt“ zu
verwandeln. Kusums Familie stand
wieder auf der Straße und musste sich
weit außerhalb der Stadt auf freiem
Feld eine neue Hütte bauen, zusammen
mit Zehntausenden von Vertriebenen.
Doch statt mit ihrem Schicksal zu
hadern, sah das Mädchen die Entwurzelung als neue Chance. Eine NGO
brachte ihr Lesen und Schreiben bei,
und inzwischen unterrichtete Kusum in
einer „Gassenschule“ in Bawana. Die
Schule hieß so, weil es am neuen Wohnort keine richtigen Schulen gibt. Die
Kinder saßen im Freien, auf der Straße,
in der Mitte war eine Tafel aufgestellt.
Kusum brachte den Fünfjährigen das
Addieren bei, sang mit ihnen, organisierte Versteckspiele, bei denen die
Kinder Plastikabfälle sammelten. Ihre
Trauer über den Umzug hatte sie überwunden, und die Not des neuen Wohnorts überspielte sie mit der Entschlossenheit, etwas Besseres anzustreben.
Zuerst träumte sie davon, Ärztin zu
werden. Doch als sie mit der Gassenschule begann, sah sie, dass sie Lehrerin werden wollte: „So kann ich Men-
schen formen. Es ist noch besser, als
Ärztin zu sein. Ich kann ihnen nämlich
helfen, Ärzte zu werden.“
Traum statt Trauma: Kusum symbolisiert die Energie von Menschen, die
nichts zu verlieren haben – und deshalb
alles zu gewinnen. Mit ihrem lächerlich
kleinen Lohn von 25 Euro im Monat
half sie ihrem Vater, eine neue Hütte
aus richtigen Backsteinen zu bauen.
Das Einzimmer-Häuschen, so einfach
es war, stach heraus aus den Bast- und
Blechwänden der benachbarten Hütten. Es war wenig – aber genug, um
sich von der Hoffnungslosigkeit abzusetzen: „Am Anfang war ich sehr zornig, wenn ich die vielen Leute sah, die
reich sind. Heute sehe ich, wie vielen
Leuten es noch schlechter geht als
uns.“
500 Millionen Inder sind heute beinahe
so alt oder jünger als Kusum. Sie bilden die viel beschworene „demografische Dividende“, die dafür sorgen
wird, dass in den nächsten fünfzehn
Jahren 274 Millionen Inder ins arbeitsfähige Alter eintreten – während die
Zahl der Zuzügler in den Arbeitsmarkt
der Industrieländer, und selbst Chinas,
immer mehr abnimmt. Doch wird die
demografische Dividende auch ausgezahlt werden, oder wird es eine demografische Hypothek werden? Neben
den Gassenschulen und der schnell
steigenden Einschulungsrate gibt es
auch eine andere Statistik: Die Hälfte
der eingeschulten Kinder verlassen die
18
Schule vor dem fünften Schuljahr. Ein
Drittel von ihnen, so schätzt UNICEF,
leidet an Wachstumsstörungen und
wird deshalb wohl nie in den Vollbesitz
seiner intellektuellen Kapazitäten kommen. Sie repräsentieren auch ein
Potential für soziale Konflikte, welche
das Vorwärtskommen der Gesellschaft
verlangsamen statt es zu beschleunigen.
Solange Indien nicht fähig ist, seine
Armen an Bord zu nehmen – bzw. die
zahlreichen lecken Boote wieder fahrtüchtig zu machen –, wird es auch die
globale Machtrolle nicht einnehmen
können, die ihm viele Beobachter voraussagen und die ebenso viele Beobachter, namentlich im Westen, fürchten.
Zwar wird die Gesellschaft immer mehr
Güter und Dienstleistungen und globale Unternehmen produzieren. Gleichzeitig wird der breite Armutssockel weiterhin nur langsam abnehmen, weil ein
ineffizienter Staat nicht fähig ist, die
arme Mehrheit an diesem Wachstum zu
beteiligen. Nobelpreisträger Amartya
Sen hat kürzlich gesagt, es gehe nicht
an, dass sich Indien zu einer Gesellschaft entwickle, in der ein Teil Kalifornien sei und der andere Schwarzafrika.
Solange das Land diesen Widerspruch
nicht abgemildert hat, wird man sich
weiterhin für Indien fürchten müssen –
und nicht vor ihm.
(Auszug aus dem Beitrag „Ein reiches Land mit
armen Menschen“, Aus Politik und Zeitgeschichte 26.05.2008)
Literatur
Zwei Erzählungen von Nagaraja Kumar
Nur Sie
Es war kurz vor Einbruch der Abenddämmerung, als das Telefon läutete. Vatsala nahm den Hörer ab.
„Er ist nicht da“, sagte sie. „Er ist ausgegangen, aber er kommt bald wieder
zurück. Wer sind Sie? Sagen Sie mir,
worum es geht! Ich werde es ihm dann
ausrichten, sobald er wieder zuhause
ist.“
„Ich möchte nur mit ihm persönlich
sprechen ...“ Ohne ein weiteres Wort zu
sagen, legte der Anrufer auf.
„Wer mag das wohl gewesen sein?“,
überlegte sie bei sich.
Satyan drehte das „OUT“ unter seinem
Namensschild um, so dass es nun „IN”
zeigte, und trat ins Wohnzimmer.
Als das Telefon wieder schrillte, nahm
er den Hörer ab und sagte: „Hallo?“
Dann sagte er: „Kommen Sie doch bitte
gleich zu mir nach Hause! ... Wir werden
dann hier über diese Angelegenheit sprechen ...“ Er blickte sich nach allen Seiten
um und legte den Hörer auf.
„Was ist? Wer war denn das? Vor fünf
Minuten hat das Telefon schon einmal
geläutet. Als ich fragte, wer er sei, hat er
noch nicht einmal seinen Namen genannt ...“
„Schon gut! Geh und bereite bitte etwas
Kaffee zu ...!“ Er wirkte lustlos und desinteressiert.
Genau zwanzig Minuten später ertönte
die Türglocke. Als Satyan öffnete, trat er
herein. Satyan warf einen prüfenden
Blick nach allen Seiten und drängte ihn
dann:
„Kommen Sie, schnell! Es könnte Sie
jemand sehen ...“
„Ihre Frau ist nicht da ...?“
„Sie ist in der Küche beschäftigt. ...
Kommen Sie! Wir gehen ins obere Zimmer ...”
Satyan führte ihn nach oben.
Als Vatsala das Geräusch der Türglocke
gehört hatte, war sie ins Wohnzimmer
gegangen. ‚Niemand da ...‘, sagte sie zu
sich, als sie Satyan nicht antraf.
Zurück in der Küche, hörte sie mit
einem Mal ein Geräusch im oberen Zimmer.
‚Warum ist er nur in dieses Zimmer gegangen?‘, überlegte sie bei sich. ‚Sucht
er dort nach irgendeinem alten, unnützen
Gegenstand?‘
Als sie unmittelbar darauf das Geräusch
von Stimmen wahrnahm, war sie beunruhigt. ¸Was ist nur mit ihm los, dass er
da oben im Zimmer redet?‘
Vatsala stieg sachte die Stufen zum oberen Stockwerk hinauf und lauschte.
„Ach, mein Lieber! Wissen Sie denn
nicht, welche Position ich jetzt bekleide? Ich bin ein hoher Regierungsbeamter! Und Sie sagen zu mir, ich solle hingehen und so etwas tun? Überlegen Sie
doch mal, was die wohlmeinenden
Leute in der Stadt von mir denken werden ...!“
„Davon wird doch niemand von uns
etwas erfahren, mein Herr! Der Parteivorstand meinte, dass nur Sie das tun
sollten. Als Sie das beim letzten Mal
taten, war er sehr zufrieden – und es war
für Sie doch leicht, diese Aufgabe zu
erfüllen. Deshalb war er der Meinung,
dass Sie es auch dieses Mal tun sollten.“
„Haben Sie denn nicht verstanden, was
ich gesagt habe? Als ich es das letzte
Mal tat, kannte mich keiner in der Stadt.
Ich tat es damals für meinen Lebensunterhalt. Aber heute kennen mich doch
alle, Herr! ...“
„Sie wiederholen sich, Herr, aber es ist
völlig umsonst! Sagen Sie: Können Sie
es tun oder können Sie es nicht tun?
Wenn nicht, so sprechen Sie doch selber
mit dem Parteivorstand!“
„Wann soll ich es tun, Herr?“
„Heute!“
„Wo?“
„Gegenüber dem Busbahnhof kreuzen
sich doch vier Straßen. ... Genau dort
...!“
„Sie machen wohl Scherze? Das ist doch
ein öffentlicher Platz!“
„Wir werden das in der Nacht nach zwei
Uhr tun. Es werden also weit und breit
keine Kinoheimgänger mehr zu sehen
sein. Der Parteivorstand hat das Geld
dafür bereits zur Verfügung gestellt ...“
„Gut! ... Aber noch etwas: Wenn ich dort
ankomme, darf keine Straßenlaterne
mehr leuchten.“
„Dann machen wir eben einfach die
Lampen kaputt ...“
„In Ordnung! Gehen Sie! Ich werde um
ein Uhr heute Nacht bereit sein.“
19
Ehe er aufbrach, lief Vatsala eilends die
Treppe hinunter und verschwand in der
Küche. Sie war beunruhigt.
‚Was ist das nur, was er da tun soll, ohne
dass ich etwas davon wissen darf? Soll
ich ihn danach fragen? Lieber nicht! Er
wird es mir schon selber sagen.‘
Sie fragte ihn nicht danach. Und Satyan
sagte ihr auch nichts darüber. Aber beide
waren wachsam.
Als Satyan genau zehn Minuten, nachdem es ein Uhr geschlagen hatte, von
Ferne den Klang einer Autohupe hörte,
stand er auf. Vatsala war wach.
In geduckter Haltung ging Satyan geradewegs hinaus auf die Straße und machte mit der Hand ein Zeichen. In raschem
Tempo näherte sich darauf ein MarutiKleinbus. Er stieg ein und setzte sich.
Vatsala weckte die Dienerin, die auf dem
Boden vor der Küche geschlafen hatte.
Zusammen mit ihr folgte sie dem Kleinbus.
Er hielt gegenüber dem Busbahnhof,
dort, wo sich die vier Straßen kreuzten.
Ein Mann stieg aus und begann Steine,
die er mitgebracht hatte, nach den Lampen der Straßenlaternen zu werfen – und
in wenigen Sekunden war ihr Licht erloschen. Als es dunkel war, stieg Satyan
aus dem Kleinbus.
Vor ihm leuchtete eine großflächige
Mauer in frisch gekalktem Weiß.
Im Licht einer Kerze begann nun dort
der ehemalige Maler Satyan mit einem
in Farbe getauchten Pinsel etwas auf die
Mauer zu schreiben – im Hinblick auf
die bevorstehenden Wahlen, zugunsten
des Parteivorstands, der ihm dafür Geld
gegeben hatte.
Da fing Vatsala an zu lachen, als sie las:
„Geben Sie bitte nur uns Ihre goldenen
Wahlstimmen!“
!
(Quelle: Nakaraja Kumar: Mintum oru taram.
Putucceri: Tamilpputuvai, 1996; S. 67–70; Ninka
tan)
Aus dem Tamil von Dieter B. Kapp
"""""
Die Erfahrung
Als der Bus die Haltestelle am ShantiKino in Chennai erreichte, stand mein
Sitznachbar hastig auf, um auszusteigen.
Da fiel etwas zu Boden. Eine dicke
Geldbörse! Ein, zwei Geldscheine lugten daraus hervor, als sagten sie zu mir:
¸Greif zu!‘
Ich hob die Geldbörse auf.
Während ich noch laut „Hallo!“ rief, war
er schon ausgestiegen.
Ich hatte ihn in diesem Bus, mit dem ich
gewöhnlich fuhr, schon viele Male gesehen, aber noch nie ein Wort mit ihm gewechselt. Seine Blicke wanderten häufig
nach der anderen Seite, wo die Frauen
saßen. Wenn nur irgendeine Frau ein
klein wenig lächelte, war das schon ausreichend. Dann glaubte er, gewonnenes
Spiel zu haben.
Als der Bus auf der Annacalai wegen der
roten Ampel am Pukari-Restaurant seine
Geschwindigkeit verringerte, stand ich
auf – und stieg aus. Er konnte noch nicht
sehr weit gegangen sein ... Ich wollte
ihm seine Geldbörse wieder zurückgeben.
Ich suchte nach ihm. Da sah ich ihn genau
gegenüber auf der anderen Straßenseite
vor einem „Sari“ stehen und dreißig seiner zweiunddreißig Zähne zeigen.
Ich rief laut „Hallo!“ zu ihm hinüber.
Alle Leute drehten sich um und schauten
zu mir herüber – nur er nicht.
Während ich die Straße überquerte und
auf ihn zueilte, verschwand er plötzlich
rasch mit ihr im Hof des Devi-Kinos.
Ich folgte den beiden – und sah, wie sie
geradewegs ins Kino hineingingen. ¸Wie
soll ich ihm nur seine Geldbörse wiedergeben?‘
Ich kaufte mir am Schalter auch eine
Kinokarte und ging hinein, aber da hatte
der Film bereits begonnen. Es war
stockfinster! Ich suchte nach den beiden,
konnte sie aber nicht finden.
Als ich gerade in die Stimmung kam,
mir den Film anzuschauen, zeigte eine
weiße Leinwand die Pause an. Und wieder verbrachte ich eine geraume Zeit damit, sie zu finden. Da sah ich seine Begleiterin mit einem Mal am äußersten
Rand einer Sitzreihe ganz alleine sitzen.
Von ihm keine Spur.
Ich ging nach draußen. Als ich ihn sah,
war er gerade dabei, an der Cool Drinks
Bar, wo er wohl etwas zu trinken kaufen
wollte, seine Taschen nach seiner Geldbörse zu durchsuchen. Er wirkte sichtlich geschockt. Da trat ich auf ihn zu,
reichte ihm seine Geldbörse und erzählte ihm alles Nähere.
Siebzehn Mal bedankte er sich bei mir.
Als der Film zu Ende war, trat ich hinaus. Da sah ich ihn völlig alleine herumstehen. Von ihr keine Spur.
„Hallo! Was stehen Sie hier herum?“
„Ich habe auf Sie gewartet, mein Herr!
Könnten Sie mir zwanzig Rupien borgen?“
„Wie? Haben Sie kein Kleingeld?“
„Nein, mein Herr! Meine Geldbörse ist
weg! Die Frau, mit der ich im Kino war,
hat sie geklaut und ist damit abgehauen!
... Jetzt habe ich noch nicht einmal Geld
für den Bus!“
„Was sagen Sie da? Kannten Sie sie
denn nicht?“
„Hm! ... Wer ist sie? ... Und wer bin ich?
... Ich habe sie im Bus gesehen. Sie
lächelte. ... Ich lächelte! Sie stieg aus. ...
Ich stieg aus! Sie fragte mich: ‚Ich habe
Kinokarten. ... Wollen wir ins Kino
gehen?‘ ... Ich war überglücklich. Ich
ging mit ihr. Doch bevor der Film zu
Ende war, sagte sie: ‚Ich muss jetzt
gehen!‘ ... Ich sagte: ¸In Ordnung!‘ Und
jetzt musste ich feststellen, dass meine
Geldbörse weg ist. Mein Herr, warum
haben Sie mir nur meine Geldbörse
zurückgegeben? Konnten Sie sie nicht
behalten?“
Er war den Tränen nahe.
Was sollte ich darauf sagen? Sagen Sie
doch etwas! Bitte!
!
Aus dem Tamil von Dieter B. Kapp
(Quelle: Nakaraja Kumar: Mintum oru taram.
Putucceri: Tamilpputuvai, 1996; S. 48–50; Anupavam)
Auf der Karriereleiter
Kinder indischer Eltern, die sich hier
in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts niedergelassen haben, sind auf dem Weg, in namhaften
Firmen und Wirtschaftseinrichtungen
große Karriere zu machen. Zwei Beispiele:
für alle europäischen Produktionsstandorte. Nach dem Abschluss des
Betriebswirtschaftsstudiums bewarb er
sich auf die Position zum Market Research und Market Assessment Analyst, die er ab Oktober 2008 inne hat.
1. Antony Kurumundayil. Nach Abschluss seines Biologie-Studiums 2004
startete Antony Kurumundayil seine
2. Toby Kurumundayil. Im September
2001 begann Toby Kurumundayil seine
Ausbildung zum Industriekaufmann
bei der Babcock Borsig Service GmbH
Karriere bei Abbot als Produktionsingenieur im Bereich der Labordiagnostik (ADD) am Standort Wiesbaden.
Mitte 2005 übertrug man ihm die Verantwortung für den PRISM HbsAgAssay. Nach dreijähriger Erfahrung in
der Produktion und einem bereits im
Jahre 2005 begonnenen Abendstudium
der Betriebswirtschaft, wechselte er im
Februar 2007 in die Produktionsplanung. Die neue Position beinhaltet die
effiziente und verbrauchsorientierte
Bereitstellung des Plasmarohmaterials
mit parallelem Studium der Betriebswirtschaft an der VWA Oberhausen.
Nachdem er 2004 seine Ausbildung
und ein Jahr später das Studium erfolgreich abgeschlossen hatte, wurde er
direkt übernommen und in der Abteilung „Projektabwicklung Ausland“ als
Fachkraft eingesetzt. Um sich weiter
zu qualifizieren, studiert er jetzt mit
Unterstützung seiner Firma den MBA
an der Open University Business
School.
- Jose Punnamparambil
20
Frauen
Zunehmende Gewalt gegen Frauen
Wir veröffentlichen hier die frei übersetzte Version eines Beitrags, den die bekannte indische Journalistin Kalpana Sharma für
die indischen Nationalzeitung „The Hndu“ verfasste.
rotz Indiens Anspruch auf Fortschritt werden dort Frauen
Gewalttaten ausgesetzt – zu
Hause und außer Haus. Dies ist die traurige Wahrheit. Am Internationalen Frauentag haben die indischen Frauen ein
gutes Recht, für einen Stopp dieser
Gewalttaten zu plädieren – einen Stopp
der Gewalttaten, Einschüchterungen,
Drohungen und Beleidigungen, die an
der Tagesordnung sind. Ich hoffte, dieses Jahr etwas Positives schreiben zu
können. Aber es gibt einfach zu viele
schlechte Nachrichten, die die vielen
erfreulichen Entwicklungen, die die vielerorts in Indien geschehen, überschatten.
T
Die Medien berichteten darüber aber nur
spärlich. So zum Beispiel wurde dem
Angriff vom 24. Januar auf ein Lokal in
Mangalore nicht genügend Aufmerksamkeit eingeräumt. Am 17. Februar
wurden Frauen an drei verschiedenen
Orten auf offener Straße von Männern
beschimpft, bespuckt, brutal geschlagen
und sogar gezwungen, ihre Kleider in
der Öffentlichkeit auszuziehen. Und all
dies geschah, wohl gemerkt, in der sogenannten internationalen Stadt Bangalore. Zwei Männer mit einem Motorrad
verfolgten eine dieser Frauen in ihrem
Auto, spuckten sie an und zwang sie zu
stoppen. Daraufhin flüchtete sie in ein
benachbartes Gebäude. Die Männer verfolgten sie weiter und hörten nur auf, als
sie in ihrer Muttersprache Kannada um
Hilfe schrie. Bevor sie fortgingen, drohten sie ihr, dass sie sich das Autokennzeichen gemerkt hätten.
Vier Männer pöbelten eine Frau auf der
Straße an und beschuldigten sie, dass sie
ein Mitglied der Pink Chaddi Kampagne
wäre, die die rechtsgerichtete Sri Ram
Sena und ihre Agenda kritisierte. Sie
wurde jedoch von zwei Soldaten, die in
ihrem Militärfahrzeug zufällig vorbeigekommen waren, gerettet. Am gleichen
Tag wurde eine junge Filmemacherin
brutal angegriffen. Am 28. Februar wurde eine Journalistin ins Gesicht geschla-
gen, als sie in ein Auto-Rikshaw einsteigen wollte. Die Schuld all dieser Frauen
war, dass sie westlich angezogen waren.
Das Schlimmste daran war, dass alle
tatenlos zuschauten. Warum diese
Gleichgültigkeit der indischen Gesellschaft solchen willkürlichen Gewalttaten gegenüber ?
Eine neue Entwicklung
Die Frauen in Bangalore sind natürlich
sehr erbost und haben eine Kampagne
namens „Angstfreies Karnataka“ gestartet. Diese Kampagne sollte sich aber
nicht nur auf Karnataka beschränken,
weil Ähnliches auch in anderen Teilen
Indiens geschehen könnte. Obwohl die
Sicherheit der Frauen auf öffentlichen
Plätzen immer problematisch gewesen
ist, ist der bewusste Versuch der Männer,
die Frauen in Angst zu versetzen und sie
zu zwingen, zu Hause zu bleiben, eine
neue Entwicklung in Indien.
Eine andere Facette der Gewalt gegen
Frauen ist, dass sie sehr oft in dem sogenannten „trauten Heim“ selbst brutal
misshandelt werden. Zwei neue Studien
haben dies bezeugt. Zwei nacheinander
folgende National Family Health Surveys hatten dies vorher bereits festgestellt.
Das Institut für Bevölkerungsstudien
und das Population Council legen weitere Beweise für die Gewalt, der die Frauen in den Familien ihrer Schwiegereltern
ausgesetzt sind, vor. 8.052 verheiratete
Männer und 13.912 Frauen im Alter
zwischen 15 und 29 in sechs Bundesstaaten waren interviewt worden. Die
Häufigkeit der Gewaltanwendung war
30% in Bihar und 18% in Rajasthan. Die
Studie hatte die einzelnen Gewaltformen
akkurat definiert und festgelegt.
Auch die Formen der sexuellen Gewalt
waren minutiös festgelegt. Ein Drittel
bis zu der Hälfte sprachen von Sex mit
Gewalt, einschließlich in der ersten
Nacht nach der Hochzeit. Frauen
21
stecken dies meistens stillschweigend
ein. Sie setzen sich nicht zur Wehr, bevor es zu spät ist. Manchmal werden sie
schwer verletzt oder sogar getötet.
Die Zahl der durch Brandverletzungen
getöteten jungen Frauen könnte sechsmal so groß sein, als die offizielle Statistik ausweist. Frau Prachi Sanghavi,
Frau Kavi Bhalla und Frau Veena Das
führten diesbezüglich eine Studie durch
und kamen zu dieser Schlussfolgerung,
die in dem international renommierten
Medizinjournal The Lancet veröffentlicht wurde. Die Forscherinnen untersuchten die Todesstatiken aus den städtischen und ländlichen Bereichen gesondert. Die Forscherinnen schätzen, dass
im Jahre 2001 in städtischen Gebieten
68.000 und in ländlichen Gebieten
95.000 Menschen an Folgen schlimmer
Feuerverletzungen starben. 65% von
ihnen waren Frauen. Und mehr als die
Hälfte von diesen Frauen waren zwischen 15 und 34. Man könnte unterschiedliche Erklärungen dafür geben.
Aber es deutet alles darauf hin, dass in
vielen Fällen Brutalitäten wegen ausbleibender Mitgift und häusliche Gewalt
die Todesursachen waren.
Das Fazit lautet: Trotz des sogenannten
Fortschritts an vielen Fronten werden
die indischen Frauen unmenschlichen
Gewalttaten ausgesetzt – zu Hause und
auf der Straße. Man soll damit aufhören.
!
(Quelle: The Hindu, 8.3.2009. Bearbeitung: Thomas Chakkiath)
Intervie Aktuell
Bildung für Frauen bekam niemals
eine vorrangige Behandlung in Indien
Mini Krishnan
Mini Krishnan, eine profilierte Übersetzerin und Herausgeberin von Frauenliteraturen aus Regionalsprachen Indiens,
betreut zur Zeit ein Literatur-übersetzungsprogramm von Oxford University
Press. Wir haben sie gefragt, wie heute
die Situation der Frauen ist, wie dies
sich in der Literatur der Schriftstellerinnen in Indiens Regionalsprachen widerspiegelt. Die Fragen stellte Jose Punnamparambil.
- Die Redaktion
li), Ambai (Tamil) und Vaidehi (Kannada).
Meine Welt: Passen die legitimen Wünsche der indischen Frauen nach Selbstbefähigung (Empowerment) und Wahlfreiheit mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Indien zusammen?
Meine Welt: Wie wird die Gender-Gleichheit praktiziert im heutigen Indien?
Mini Krishnan: Gender-Gleichheit hat
sich in Indien unter den Gebildeten spürbar verbessert. Mädchen sowie Frauen
können heute nach ihrem Wunsch studieren, und die Eltern sind bereit, für die
Bildung ihrer Töchter genau so viel
Geld auszugeben wie für ihre Söhne.
Aber innerhalb der wenig gebildeten
Schichten sowie in traditionellen Gemeinschaften, insbesondere in Bundesstaaten wie Bihar, U.P. und Rajasthan,
haben sich die Einstellungen nicht verändert. Es gibt dort ein Überangebot an
Essen, Bildung und Vorsorge für die
männlichen Kinder.
Die hohe Zahl der Tötung von weiblichen Föten und Säuglingen alleine zeigt,
wie unwillkommen die Mädchen immer
noch sind. Man soll nicht vergessen,
dass Indien heute noch ein Land mit einer hohen Zahl an Analphabeten ist.
Trotz dem ganzen Gerede vom „leuchtenden Indien“ (das Land hat im Vergleich nicht viel auf die Dalits, auf die
Frauen und auf die Stammesbevölkerung geleuchtet!) bleibt die Tatsache,
dass 1/3 von Asiens Analphabeten in
diesem Land lebt. Und Bildung für
Frauen bekam hier niemals eine vorrangige Behandlung außer in den obersten
Klassen sowie in den obersten Mittelschichten.
Meine Welt: Mit welchen Themen
beschäftigen sich heute die indischen
Schriftstellerinnen vorrangig, die sich in
ihren Werken widerspiegeln?
Mini Krishnan: Bloße physische Freiheit gekoppelt mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit einerseits und andererseits
unterdrückte Sexualität sowie Heraushebung der Frau als Individuum scheinen
die Themen zu sein, womit sich die
Schriftstellerinnen in Indien heute beschäftigen. Außerdem kommt in vielen
ihrer Werke zum Ausdruck, dass es hier
nicht um geschädigte Männer geht, sondern um die Anerkennung der Tatsache,
dass Frauen auch Gefühle und Wünsche
im Leben haben und dass sie emotionale
Rechte haben, die Respekt und Achtung
verdienen. Auch ihre Rolle in der veränderten Gesellschaft wird oft thematisiert. Auf Grund zunehmender Erkenntnisse aus anderen Kulturkreisen und
wachsender Bildungschancen in Indien
selbst wird die Stellung der Frau in der
indischen Gesellschaft zunehmend gewichtiger. Dies sowie ihre Spiritualität
und Ausdauer sind oft behandelte Themen in der Frauenliteratur Indiens. Als
besonders erwähnenswerte Autorinnen
in diesem Sinne denke ich an Sara
Joseph (Malayalam), Bani Basu (Benga-
22
Mini Krishnan: Sie werden sehen, dass
in den oberen reichen und gebildeten
Schichten Indiens die Aspirationen der
Frauen mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit erstaunlich Schritt halten. Hier
liegt der verwirrende Widerspruch im
Bezug auf das ganze Land. Wie der
bekannte Wirtschaftswissenschaftler
Robinson vor 20 Jahren sagte: „Alles,
was Sie über Indien sagen, könnte richtig sein. Aber das Gegenteil auch.“ !
(Aus dem Englischen von Jose Punnamparambil)
Keine Witwen-Rente
ohne Standesamt
Wer ausschließlich kirchlich heiratet,
hat beim Tod des Partners keinen
Anspruch auf Hinterbliebenenrente.
Voraussetzung für die Auszahlung
einer Witwen-Rente sei eine beim
Standesamt geschlossene Ehe, erklärte die Deutsche Rentenversicherung Rheinland in Düsseldorf. Von
Vorteil sei eine ausschließlich kirchliche Trauung allerdings für Heiratswillige, die aus einer früheren Ehe
bereits Hinterbliebenenrente erhalten. Sie können erneut kirchlich heiraten, ohne dass diese Rente wegfalle. In Deutschland können Paare ab
dem 1. Januar 2009 kirchlich heiraten, ohne zuvor beim Standesamt eine
Ehe geschlossen zu haben.
- epd
(Quelle: F + M, 4/2009)
Zur Lage der indischen Frau
Dramatische Veränderungen zum Besseren
Namita Gokhale
ihr Leben umgibt, und auch auf die
Stimmen der Frauen auf verschiedenen
Ebenen der sozialen Hierarchie. Sie
schreiben und träumen von der Freiheit
des Individuums.
Namita Gokhale ist eine der namhaften
Schriftstellerinnen Indiens, die auf Englisch schreiben. Sie schreibt Romane
und Sachbücher. Ihr letzter Roman
Shakuntala, Das Spiel des Gedächtnisses (2005) hat viel lobende Kritik erhalten. Sie hat auch das indische Epos
MAHABHARATA für junge Leser neu
erzählt (Püffin 2007). Ihre Romane beschäftigen sich mit Liebe und Leidenschaft, Krankheit und Tod. „Meine
Welt” bat sie um ihre Meinung über die
Situation der indischen Frau heute und
wie diese sich in der dortigen Frauenliteratur widerspiegelt. Hier ihre Einschätzung:
- Die Redaktion
Natürlich gibt es einen erschreckenden
Grad an Gender-Ungleichheit im heutigen Indien. Aber es ist wichtig zu wissen, dass die Lage der Frauen in Indien
sich in den letzten 50 Jahren dramatisch
zum Besseren verändert. Wenn Frauen,
egal wo sie sich in Indien befinden, sich
einmal ihrer sozialen und von der Verfassung garantierten Rechte bewusst
werden, sind sie bereit, gegen überkom-
Glauben Sie mir, es findet heute eine
gewaltige Veränderung der sozialen
Realität der Frauen statt, da marginalisierte Stimmen, nicht nur denen von
Frauen, gehört und zugehört werden.
Natürlich erzeugt dies Verunsicherung
bei denen, die Veränderungen ängstlich
gegenüber stehen. Aber Selbstbefähigung und Erlangung von Wahlfreiheit
seitens indischer Frauen befinden sich in
einem Prozess, der nicht aufzuhalten ist.
mene Denkweisen, patriarchalische Einstellungen und Unterdrückung zu kämpfen und sich durchzusetzen.
(Aus dem Englischen von Jose Punnamparambil)
Die Schriftstellerinnen, die in den nationalen, regionalen Sprachen sowie auf
Englisch schreiben, spiegeln die Veränderungen um sich herum wider. Sie reagieren auf das unsichtbare Netz von
Tabus und sozialer Unterdrückung, das
Jaipurs Literatur Fest 2009
Führendes Schriftstellertreffen in Asien
Zum vierten Mal war die „Pink-City“
Jaipur (Rajasthan, Indien) Gastgeber
des in Asien führenden Literaturfests.
Von 21. bis 25. Januar 2009 versammelten sich dort prominente Schriftsteller/Schriftstellerinnen nicht nur aus
Indien, sondern aus aller Welt. Ihre
Zahl übertraf diesmal alle Erwartungen: über 160. Darunter waren große
Namen wie Vikram Seth, Patrick
French, Michael Wood, Shashi Tharoor, Mohammed Hanif, Nandan Nilekani, Namita Gokhale, U.R. Ananthamurthy, Vikas Swarup (Slumdog Millionaire), Chetan Bhagat, Paul Zacharia etc.
Während des 5-tägigen Festivals wurde
ein buntes Programm an drei Orten
gleichzeitig angeboten. In den Spitzenzeiten kamen fast 7.000 Besucher zu
verschiedenen Programmen.
U.R. Ananthamurthy, der begehrte
„Jnanpith“ Preisträger und ein
Schwergewicht in der Kannada Literatur, war der Festredner bei der Eröffnungsveranstaltung. Er sagte: „In
Indien haben wir immer in einem Ambiente der Sprachenvielfalt gelebt;
Vielfalt in der Sprache bringt einen
Reichtum hervor, den man nicht in der
europäischen Literatur vorfindet. Dies
muss man hoch preisen. Ferner wächst
ein Schriftsteller durch das Lesen anderer Sprachen. Indien ist ein Land von
vielen Kulturen, und sie haben alle die
23
Hindi-Kultur als die Hauptkultur bereichert. Wir müssen die vielen Sprachen
Indiens fördern, nicht nur weil wir
überleben, sondern auch wachsen wollen. Indien muss unbedingt eine Zivilisation bleiben.“
Für viele Besucher war es eine einmalige Erfahrung, mit weltbekannten
Schriftstellern, Musikern, Filmstars
(Amita Bachchan war auch dabei) und
auch Kindern fünf Tage in einem
äußerst kreativen Ambiente zu verbringen.
- Jose Punnamparambil
(Quelle: The Week 8.02.09 und andere Zeitungsberichte)
Interview Aktuell
„Beim Schreiben handelt es sich um die Herstellung einer Beziehung zwischen Autor und Leser“
Siddharth Dhanvanth Shanghvi
Siddharth Dhanvanth Shanghvi war einer der prominenten Autoren, die an dem Jaipur-Literaturfest 2009 teilnahmen. Bereits
mit seinem ersten Roman „Das Lied der Dämmerung“ wurde er von Literaturkritikern mit Salman Rushdie und Kiran Desai
verglichen.
Sein zweiter Roman „Die verlorenen Flamingos von Bombay“ erschien im Penguin Verlag bereits vor Beginn des Literaturfestes. Während des Literaturfestes las er Auszüge aus diesem Roman und beantwortete Fragen des Publikums. Nachfolgend sind
seine Antworten zur Fragen, die ihm Ziya Us Salam für die Nationalzeitung „The Hindu“ stellte. (Quelle: „The Hindu“,
15.2.2009)
- Die Redaktion
Ziya Us Salam: Ihr erster Roman „Das
Lied der Dämmerung“ begann als eine
Reihe von Geschichten, die im Tausch
gegen Drinks erzählt wurden. Wie war
Ihr zweiter Roman zustande gekommen?
Siddharth Dhanvanth Shanghvi:„Die
verlorenen Flamingos von Bombay“
sind die Geschichte von vier Freunden
und wie ihr Leben durch den Mord an
einem von ihnen auseinander gebrochen
wird. Der Prozess, der darauf folgte,
wurde eingeführt, um zu erläutern, wie
das Leben jedes Einzeln von ihnen und
ihre Beziehungen untereinander zerstört
wird. Ich war mir der Tragweite der
Erzählung völlig bewusst. Bewusst war
ich mir ebenfalls darüber, welche Fragen
sie voraussichtlich ansprechen würde.
Die Hauptfrage war: Wie beeinflussen
große Dinge, die in der Öffentlichkeit
geschehen, unser Privatleben? Wo prallen sexuelle Begierde und Politik aufeinander? Wie einfach werden wir in diejenigen umgewandelt, die wir am meisten
hassen?
Ziya Us Salam: Sie möchten Geschichten erzählen, haben Sie gesagt. Ist das
Schreiben eines Romans eine Liebesaffäre mit Verfallsdatum? Oder ist es ein
spontanes Ergebnis von angestauten
Emotionen?
Siddharth Dhanvanth Shanghvi:
Struktur ist sehr wichtig. Ich möchte
schon vorher wissen, wie eine Geschichte enden würde, um überhaupt damit beginnen zu können. Manche Autoren
glauben, Schreiben sei etwas Spontanes.
Ich befürchte, der Gujarati in mir arbeitet gründlicher und kontrollierter. Für
Siddharth Dhanvanth Shanghvi:
Leser sollen ein Werk akzeptieren, bewusst wahrnehmen, schätzen lernen,
wie einen unschätzbaren alten Brief
oder wie einen glückbringenden Talisman bei sich tragen. Und sie sollen es
weiterreichen an andere. Eine Erzählung existiert nur in ihrer Relation zu
der Person, die sie hört, liest und weitergibt. Und ohne den heiklen Tango zwischen Leser und Autor ist ein Buch nur
ein eintöniger Samba. Es ist nur eine
Stimme, ein Ton im Kopf von jemanden. Es ist eine Art Schizophrenie.
Foto: Teamwork Films
„Die verlorenen Flamingos von Bombay“ benötigte ich eine Landkarte, einen
Gehweg durch den Wald und einen
Kompass. Was die erzählerischen Pfade
anbelangt, war ich bereit, Kompromisse
zu machen. Aber der Verzicht auf eine
ausgedachte Erzähllinie war indiskutabel.
Ziya Us Salam: Literarische Charaktere werden von der Realität beeinflusst,
sagten Sie, als Sie ihren ersten Roman
schrieben. Wie weit ist dies wahr bezüglich der älteren Frau und dem jungen
Photographen in Ihrem vorliegenden
Roman?
Siddharth Dhanvanth Shanghvi:Wenn
in dem Roman „Die verlorenen Flamin-
Beim Schreiben handelt es sich um die Herstellung einer Beziehung, um den Versuch, uns immer
wieder daran zu erinnern, dass wir menschlich
sind, dass wir eher einander ähnlich und nicht
voneinander unterschiedlich sind.
Ziya Us Salam: Es wird behauptet, ein
literarisches Werk von dem Moment seiner Veröffentlichung an gehörte den
Lesern. Wie weit identifizieren Sie sich
mit Ihrem Werk?
24
gos von Bombay“ Kiran von Rhea fallengelassen wird, entdeckt er, dass sich
ihm die Welt mit all ihren anregenden
Mysterien und klaren Unzufriedenheiten
und Missbehagen nur durch Herzeleid
offenbart.
Aber die Verwirrung, die daraus entstand, dass Rhea ihn verlassen hat, erzieht Kirans photografische Ästhetik.
Aus dem Verlustgefühl entwickelt sich
ein bestimmter Stil und zeigt sich in seinem nachfolgenden Werk. Alle von uns
leiden Qualen, aber nur die Künstler
haben die Gabe, mit diesen Qualen ihren
Werken mehr Farbintensität zu verleihen.
Ziya Us Salam: Wie konnten Sie so ausgeglichen sein beim Erzählen einer
Geschichte, die größtenteils in kleinen
alltäglichen Anekdoten sich abspielt?
Wie konnten Sie solche wunderbare Ausdrücke wie „der Hurenbock von Bombay“ und „ein Baby an den Fersen kitzeln“ nebeinanderstellen?
Siddharth Dhanvanth Shanghvi: Die
größte Schwäche von literarischer Fiktion ist die Langeweile, die sie so oft in
den Lesern erzeugt. Ich sehe diese
dicken Romane, die Themen wie Multikulturalismus und Kolonialismus oder
irgendeinen anderen Ismus behandeln.
Solche Romane bilden den Hauptanteil
an manchen entgeisternd schwachsinnigen Geisteswissenschaftslehrplänen.
Ziya Us Salam: Nach der Veröffentlichung von „Das letzte Lied der Dämmerung“ wurden Sie mit Autoren wie Salman Rushdie und Kiran Desai verglichen. Störte es Sie? Oder zwingt es Sie,
mit größerer Sorgfalt und Verantwortung zu schreiben?
Wenn Autoren über diese großen langweiligen Ideen schreiben, vergessen sie
oft, dass die Leser nicht etwa einen Vortrag oder ein Referat suchen, sondern
eine imaginäre Auseinandersetzung mit
einer Welt, die gänzlich anders sein
könnte als ihre, aber sie daran erinnert,
wie leicht sie ihr zugehören könnten.
Beim Schreiben handelt es sich um die
Herstellung einer Beziehung, um den
Versuch, uns immer wieder daran zu
erinnern, dass wir menschlich sind, dass
wir eher einander ähnlich und nicht voneinander unterschiedlich sind.
Siddharth Dhanvanth Shanghvi: Diese Vergleiche waren schmeichelhaft,
aber ungenau, weil die Basis des Vergleichs Ethnizität war. Jedensfalls werden meine Werke mehr von Photografie
inspiriert als von Musik und Techniken
des Schreibens.
!
(Bearbeitung: Thomas Chakkiath)
Migration
Integration: Balance zwischen den Kulturen
Prof. Dr. Heinz Reinders
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird
Integration häufig im Sinne einer Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft
verwendet. Die exklusive Übernahme
von Wertvorstellungen, Sprachgebrauch und Handlungsmustern wird
dabei als wesentliches Kennzeichen
dieser Integration angesehen. Tatsächlich handelt es sich beim Terminus
„Integration“ etymologisch und aus
wissenschaftlicher Perspektive um ein
Phänomen, bei dem zwei Bereiche miteinander verbunden und in Einklang zu
bringen sind: Integration von Mi-granten bedeutet demnach die Balance zwischen Elementen der Herkunftskultur
(etwa der der Türkei) und der Aufnahmekultur (in diesem Fall der deutschen).
Die begriffliche Festlegung auf die
Kombination beider Kulturen ist wesentlich für das Verständnis subjektiv
funktionaler Eingliederungsprozesse.
So ist es für die psychische Stabilität
von Einwanderern zumeist nicht hilfreich, herkunftsbedingte Verhaltensund Denkweisen völlig aufzugeben:
zum einen deshalb, weil durch eine
radikale Abkehr von der Herkunftskultur stabilisierende soziale Netzwerke
verloren gehen, die insbesondere in
Frühstadien der Einwanderung eine
wichtige Funktion haben; zum anderen,
weil sich im Laufe der biografischen
Entwicklung ein System von Werten
und von Handlungsmustern herausgebildet hat, das für das psychische
Gleichgewicht einer Person notwendig
ist und durch rasche Rekonfigurationen
auch die psychische Gesundheit beeinträchtigen kann.
Für Kinder und Jugendliche, die im
Aufnahmeland geboren wurden, besitzt
die Herkunftskultur eine ähnlich wichtige Funktion wie für Zugewanderte,
definiert sich doch über deren Elemente – zumindest zum Teil – die Verbundenheit mit der Familie. Verstärkte
Abgrenzungen von Jugendlichen und
Kindern zu diesen Wertvorstellungen
gehen tendenziell mit erhöhtem Entwicklungsstress einher.
Funktionaler ist die sukzessive Anreicherung und Ergänzung der Herkunftsdurch die Aufnahmekultur. Dabei sind
25
sprachliche Kompetenzen als Basis für
diesen Anreicherungsprozess unabdingbar. Ohne grundlegende Beherrschung der deutschen Sprache ist es
nicht möglich, sich in einen produktiven Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft zu begeben, deren Wertvorstellungen und Handlungsweisen zu verstehen und in das eigene psychische
und Handlungssystem zu integrieren.
Aber auch die Muttersprache ist oder
bleibt von großer Bedeutung, stellt sie
doch eine wichtige Brücke zu sozialen
Netzwerken des Herkunftslandes dar.
Gerade in der Kindheit zeigt sich, dass
das sichere Beherrschen der in der
Familie gesprochenen Sprache eine
wichtige Voraussetzung für den Erwerb
der deutschen Sprache ist. Zu- dem
stellt Bilingualität für die junge
Migrantengeneration eine wichtige,
auch beruflich bedeutsame Ressource
dar.
(Auszug aus dem Beitrag: „Integrationsbereitschaft jugendlicher Migranten”
Aus Politik und Zeitgeschichte 26.01.2009)
Indisches Kino
Bollywood in Deutschland
Meinungen junger Leser zu indischem Kino
Im Jahr 1989, als „Salaam Bombay“ in
einige wenige Programmkinos kam,
hätte sich niemals jemand vorstellen
können, dass indische Filme im deutschen Fernsehen synchronisiert ausgestrahlt werden und viele Kinos in
Deutschland Bollywood Filme zeigen,
geschweige denn, dass sich ein indischer Bollywood-Schauspieler wie Shah
Rukh Khan einer riesigen deutsche Fangemeinde erfreuen kann.
Herbert Krill, Regisseur des Dokumentarfilms Bollywood Remixed, der von
ARTE bereits ausgestrahlt wurde, und
Daniel Wisser, Mitarbeiter dieser Dokumentation und Begründer von Spicevienna.org, einer Datenbank für indische Filme, fassen ihre Erfahrung mit
indischem Kino so zusammen:
„Auch wer sich nur mit einem Teilbereich indischer Kultur befasst, kann zu
keinem Ende kommen. Zum Beispiel der
indische Film: seine Forscher beschäftigt er auf Lebenszeit, seine Fans sind
ihm in tiefer Verehrung verfallen, niemanden lässt er unberührt, alle sind
gleichermaßen süchtig. Indien produziert im Jahr über 500 Kinofilme, dazu
kommen an die 400 synchronisierte Fassungen und eine kaum bezifferbare
Anzahl an Fernsehproduktionen. Es ist
ein Universum in sich selbst, mit seinen
Tausenden von Berühmtheiten (Stars,
Regisseure, music directors, stunt directors, lyricists usw.), mit Klatsch und
Gerüchten, mit Publicity, Preisen und
Jubiläen. Aber auch mit einer Fülle von
Filmen jenseits des Kommerz, bis hin zu
Arthouse-, Video- und Kurzfilmproduktionen....
Vielleicht ist das indische Kino für uns
die letzte große unentdeckte Filmkultur,
überhaupt eine der letzten eigenständigen Kulturen, die es noch zu erforschen
gibt, bevor alles global wird. Aber ganz
ursprünglich ist das Kino Indiens nie
gewesen – seine Filmemacher haben uns
durchaus beobachtet und studiert, angefangen vom Neorealismo bis hin zu Hollywood und Hongkong. Sie haben von
uns gelernt, zitiert, abgeguckt, kopiert,
aber ihre eigene Ästhetik damit nur
bereichert und nicht etwa ersetzt. Vielleicht hundertfünfzig Filme pro Jahr
werden in Hindi (mit Einschüben in der
Schwestersprache Urdu) gedreht.
Es ist die Muttersprache von 400 Millionen Menschen und sie wird weltweit von
ca. 800 Millionen Menschen verstanden.
Aber es gibt eine ganz starke regionale
Produktion, vor allem in Andhra Pradesh und Tamil Nadu, dort werden über
200 Filme pro Jahr in den Sprachen
Beyond“ in Stuttgart. Aufgrund des
immer größeren Einflusses Baden-Württembergs auch im internationalen Filmgeschäft griff das Filmbüro im Frühjahr
2004 eine Idee auf, die ihren Anfang in
Los Angeles genommen hatte. Auf der
dortigen Location-Expo war 2003 ein
Foreign Shooting Coordinator aus Indien auf die Region Stuttgart als Drehort
aufmerksam geworden. Ein Kontakt zur
hiesigen Film Commission kam zu Stande, anknüpfend daran wurden indische
Produzenten eingeladen, sich bei einer
Locationtour über die
große Vielfalt interessanter Motive des Landes Baden-Württemberg
zu informieren und hier
Filmprojekte zu drehen.
Bereits im Juli 2003
wurden zwei indische
Produktionen in der
Stadt Stuttgart und
Umgebung realisiert.
Im Rahmen der städtepartnerschaftlichen Veranstaltung „Stuttgart
meets Mumbai“ besuchte dann Anfang 2004
eine Wirtschaftsdelegation mit dem 1. Bürgermeister der LandesJunge indische Schauspieler von „Slumdog Millionaire“ vor Kamera. Foto: A.P.
hauptstadt Stuttgart,
Jürgen Beck, sowie dem
Telugu und Tamil gedreht. Die Hindi- indischen Honorarkonsul Andreas Lapp
Filme werden hauptsächlich in Bombay Indien. Bei der Veranstaltung in Mumproduziert, der Filmhauptstadt ¸Bol- bai (Bombay) entwickelten Marianne
lywood’. Viele Regionalfilme haben sti- Gassner und Dr. Hans-Joachim Peterlistisch einiges mit Bollywood gemein, sen zusammen mit einem indischen Promanche dagegen sind ganz anders, oft duzentenverband die Idee eines indiinnovativer. Auch in verschiedenen an- schen Filmfestivals in Stuttgart.
deren Sprachen wird gefilmt; außerdem
gibt es indische Produktionen in engli- Von der Stadt Stuttgart damit beauftragt,
scher Sprache und Arthouse-Filme dieses Indische Filmfestival zu organi(früher ¸Parallel Cinem‘ genannt), die sieren, freute sich der Vorstand des
man gewiß nicht als Bollywood-Filme Filmbüros über diese Chance, verschiebezeichnen kann.“
dene Länder und Kulturen zusammen zu
führen und Kooperationen mit BadenUnd für die Liebhaber dieses Genres Württemberg zu fördern. Mit dieser
und darüber hinaus hat das Filmbüro Initiative sollte die Festivallandschaft in
Stuttgart einiges zu bieten, so auch wie- der Region bereichert werden. Ziel des
der in diesem Jahr vom 12. bis 20. Juli Festivals „Bollywood and Beyond“ war
2009 das Filmfestival „Bollywood and es – neben einer Förderung der wirt-
26
schaftlichen Zusammenarbeit –, den
Zuschauern einen Blick auf die kulturelle Vielfalt dieser damals in Deutschland
weitgehend unbekannten Filmindustrie
zu ermöglichen.
(Quelle: http://www.bollywood-festival.de/das-festival.html)
Nachdem der englische Film „Slumdog
Millionär“ einmal mehr Indien international ins Gespräch gebracht hat, wollten wir von unseren jüngeren Lesern
wissen, was sie von Bollywood, dem
indischen Kino und Slumdog Millionär
halten. Über die verschiedensten Bollywood-Internet-Foren und BollywoodGruppen haben wir Interviewfragen
rausgeschickt, da es einen regen Austausch über indische Filme, Schauspiele
und Filmkritiken gibt, die uns dazu
bewogen haben, Meinungen über diesen
Weg einzuholen. Nachfolgend ist ein
Ausschnitt der Resonanz. Die Fragen
stellte Nisa Punnamparambil-Wolf.
- Die Redaktion
Meine Welt: Wann, wo und wie hast
du/haben Sie zum ersten Mal von indischen Kino-Filmen erfahren?
Abhilash Nalpathamkalam (Student
der Soziologie): Seit meiner Kindheit
werden bei mir zu Hause indische Filme
über VHS-Kassetten oder VideoCDs/DVDs geschaut.
Kanish Palathingal (Student des Maschinenbaus): Ich war immer mit indischen Kino-Filmen umgeben, sie begleiten mich seit meiner frühsten Kindheit.
Priya Mampilly (Steuerfachangestellte):
Da meine Eltern beide aus dem Bundesstaat Kerala stammen, bin ich quasi mit
Malayalam-Kinofilmen aufgewachsen.
An meinen ersten Malayalam-Kinofilm
kann ich mich leider nicht mehr erinnern.
Von Bollywood-Filmen hatte ich jedoch
als Kind/Teeni nur gehört, die dazugehörigen Videoclips hatte ich mir schon
immer gerne angesehen. Denn für indische Musik konnte ich mich schon immer begeistern. Allerdings konnte ich
mich als Kind/Teeni nie dazu aufraffen,
einen Bollywood-Film anzusehen. Das
Interesse, mir einen Bollywood-Film
auch mal anzusehen, ist bei mir erst
geweckt worden, nachdem ich gemerkt
hatte, dass meine afghanische Mitschülerin mehr Ahnung von Bollywood-Filmen hatte als ich mit indischen Wurzeln.
Daraufhin hatte ich meine afghanische
Mitschülerin gebeten, mir doch eine
Liste mit guten Bollywood-Filmen zu
machen. Bei unserem nächsten Indienurlaub (Sommerferien 2000 oder 2001)
hatte ich diese Liste dann meinem Cousin gegeben. Dieser hatte dann das
Video zu dem schönsten Film aus der
Liste für uns ausgeliehen: Kuch Kuch
Hota Hai.
Christina Kamp (freie Journalistin und
Übersetzerin): In den 80er Jahren kamen
einige indische Filme im deutschen
Fernsehen, meist sehr spät abends.
Meine Welt: Kannst du dich/können Sie
sich noch an deinen/Ihren ersten indischen Kinofilm erinnern? Wie hieß er?
Abhilash: Nicht direkt. Höchstwahrscheinlich ein Malayalam-Film aus den
80ern.
Kanish: Nein, ich kann mich an meinen
ersten Film nicht erinnern, aber ich erinnere mich vage daran, etwas von dem
berühmten Film „Sholay“ als Kind gesehen zu haben.
Christina: Ich bin nicht sicher, ob es
wirklich der allererste war, aber einer
der ersten war, „Die Suche nach der
Hungersnot“ („Aakaler Sandhane“ von
Mrinal Sen.1980), der in den 80er Jahren im deutschen Fernsehen lief. Einer
der ersten Hindi-Filme, die ich in Indien
gesehen habe, war „Qayamat Se Qayamat tak (QSQT)“).
Meine Welt: Schaust du / schauen Sie
Bollywood Filme oder auch andere indische Filme?
Abhilash: Ja. Ich schaue Bollwood-Filme erst seit ca. 5 Jahren. Jetzt vermehrt
wieder die alten Malayalam Klassiker
aus den 80er und 90er Jahren.
Kanish: Ich bin kein großer Fan von
Bollywood-Filmen, aber ich schaue gelegentlich Malayalam-Filme, die finde
ich besser.
Priya: Ich bin mit Malayalam-Filmen
groß geworden. Zudem habe ich mir
neben Bollywood-Filmen auch TamilFilme (z.B. Roja) angesehen.
Christina: Bollywood und auch andere:
sowohl Dokumentarfilme als auch Filme
in anderen indischen Sprachen (Malayalam, Tamil, u.a)
Meine Welt: Schaust du/schauen Sie die
Filme im Original mit indischen oder
deutschen Untertiteln oder lieber die
synchronisierte Fassung?
Abilash: Immer im Original. Für HindiFilme brauche ich Untertitel. Malayalam
Filme gehen auch ohne.
Kanish: Im Original mit Untertitel
Priya: Auch wenn ich die synchronisierten Fassungen zweifelsohne besser verstehe als die Original-Version mit Untertiteln, bevorzuge ich die letztere Alter-
Strafmaßnahmen gescheitert
Caritas international: Umdenken im Kampf gegen Drogen
Caritas international fordert ein Umdenken im weltweiten Kampf gegen
Drogen. Das rein repressive Vorgehen
sei gescheitert, sagte der Leiter des
Hilfswerks, Oliver Müller, zum Abschluss einer Fachtagung.
Die Nachfrage nach einigen illegalen
Drogen sei im vergangenen Jahrzehnt
sogar gestiegen, ebenso die Größe der
Anbauflächen. Der Drogenhandel sorge jährlich für Umsätze von 400 Milliarden Dollar. Weltweit konsumierten
rund 250 Millionen Menschen harte
Drogen. Rund 120 Experten aus 26
Staaten forderten im Abschlussdoku-
27
ment, Kleinproduzenten in Entwicklungsländern Alternativen zum Drogenanbau anzubieten.
Ebenfalls wichtig ist nach Ansicht von
Caritas international ein anderer Umgang mit Drogenabhängigen. Sie dürften nicht kriminalisiert werden, vielmehr hätten sie – wie andere Suchtkranke auch – ein Recht auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft
durch angemessene medizinische Versorgung und Bildung.
(Quelle: Frau und Mutter 3/09)
native. Denn viele Bollywood-Filme
hatte ich bereits vor der ersten TV-Ausstrahlung in Deutschland im Original
mit englischen Untertiteln gesehen.
Auch wenn die deutschen Synchronstimmen relativ gut sind, geht doch eine
ganze Menge durch den Klang der Stimme etc. verloren. Daher kann ich mich
mit den deutschen Synchronstimmen
einfach nicht anfreunden.
Christina: Lieber die Original-Versionen mit englischen Untertiteln.
Meine Welt: Was fasziniert dich so am
indischen Film/Bollywood-Film?
Abhilash: Das spezifisch Indische an
den Storys. Filme entstehen auf der ganzen Welt mit der gleichen Technik, aber
die Story, die im Film transportiert wird,
ist meistens durch ihren kulturellen Hintergrund geprägt.
Kanish: Ich finde Hindi-Filme (Bollywood-Filme) sehr unrealistisch und
langweilig. Malayalam-Filme erzählen
gehaltvollere Geschichten, werden aber
filmtechnisch nicht so gut umgesetzt.
Das ist so schade, weil ich glaube, dass
es viel mehr Potential für richtig gute
Filme in Indien gibt.
Priya: Fasziniert bin ich vor allem von
der Musik, den Tänzen und den Kostümen. Natürlich gehört auch eine kleine
Portion Kitsch dazu. Unabhängig davon,
ob es sich um einen regionalen Film
oder aber um einen Bollywood-Film
handelt, diese Elemente tauchen in fast
jedem Film auf und sind das, was einen
indischen Film überhaupt ausmacht.
Was jedoch Malayalam-Filme (insbesondere die älteren) auszeichnet, ist,
dass diese, trotz eines geringen Budgets,
von der Geschichte (meist Familiengeschichten) und den Darstellern her sehr
überzeugen können. Im Gegensatz dazu
merkt man bei Bollywood-Filmen sofort, dass ein ganz anderes Budget zur
Verfügung steht. Zudem sieht man sich
gerne einen Film an, in dem Schönheiten (wie z.B. Aiswarya Rai) wie Göttinnen dargestellt werden und ein HappyEnd fast immer garantiert ist. Da übersieht man auch gerne, dass die Handlung
nicht immer einen roten Faden aufweist.
Ging es einige Zeit lang bei BollywoodFilmen nur darum, unterhalten und von
den eigenen Problemen abgelenkt zu
werden (Traumfabrik Bollywood), so ist
das Interesse an realistischeren Bol-
lywood-Filmen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in den letzten Jahren
gestiegen (z.B. Lagaan, Black).
nach nie vergessen, dass man unter
anderen Umständen auch zu diesen primitiven Menschen zählen würde.
Christina: Faszination ist für mich nicht
der richtige Ausdruck. Mich interessieren Filme als ein Zugang zur Vielfalt
Indiens (einer von vielen).
Christina: Meine Liebe zu diesem
Land. Das klingt vielleicht etwas platt,
lässt sich aber – als Ausgangsbasis –
kaum anders sagen. Allerdings ist das
nicht verherrlichend oder unkritisch
gemeint, sondern mit sehr viel Auseinandersetzung verbunden.
Meine Welt: Was verbindet dich/Sie mit
Indien?
Abhilash: Herkunft, meine Eltern.
Meine Welt: Warst du / waren Sie schon
mal in Indien?
Kanish: Ich bin Inder.
Abhilash: Ja!
Priya: Meine Eltern stammen aus dem
Bundesstaat Kerala. Bis auf einen Cousin meiner Mutter, der mit seiner Familie zusammen in Deutschland lebt, leben
alle unsere Verwandten in Indien. Um
mit diesen weiterhin in Kontakt zu bleiben, reisen wir jedes Jahr nach Kerala.
Ich bin gerne in Kerala, nicht nur wegen
meiner Verwandten, dem Kino, der Klamotten etc. Ich könnte zwar nicht in
Indien leben, da Indien für mich immer
nur ein Urlaubsland bleiben wird. Die
Art, wie ich mich kleide und gebe, verrät mich trotz meiner dunklen Haut- und
Augenfarbe. Jedoch fühle ich mich in
diesem Land wohl, da Indien immer ein
Teil von mir sein wird.
Viele schämen sich für die primitive
Lebensweise ihrer indischen Verwandten. Jedoch darf man meiner Meinung
Kanish: Ich bin in Indien geboren und
habe fast mein ganzes Leben bis jetzt
dort verbracht.
Christina: Oft
Meine Welt: Haben dich/Sie die Filme
neugierig gemacht auf Indien? Haben
sie dich/Sie motiviert nach Indien zu reisen?
Priya: Bollywood-Filme haben natürlich mein Interesse geweckt, mir die
Filmstudios mal anzusehen, nicht
jedoch nach Indien zu reisen. Das Interesse, nach Indien zu reisen, sollte man
nicht von den Filmen abhängig
machen. Die meisten Bollywood-Filme
sind das Werk einer Traumfabrik. Ich
bin früher oft über Bombay nach
Indische Küche
Nawabi Champignon
Zutaten:
1 Tasse tiefgefrorene Erbsen
1 gehackte Zwiebel
2 Esslöffel Joghurt
2 Esslöffel Butter
400 g Champignon (aus der Dose oder
frisch)
2 gehackte Knoblauchzehen
3 Esslöffel Sahne
2 Esslöffel Rosinen
Zu einer Paste mahlen:
2 Esslöffel Cashew-Nüsse
2 Esslöffel Mohn
1 kleines Stück Ingwer
3 Gewürznelken
28
2 Kardamon
2 grüne Chilischoten
(nach Geschmack)
Zubereitung:
Butter erhitzen und die Zwiebel braten,
bis sie goldbraun ist. Gehackte Knoblauchzehen hinzufügen und 1 Minute
weiterbraten. Paste hinzufügen und
weitere drei Minuten braten. Erbsen,
Champignons,
Rosinen,
Sahne,
Joghurt, ½ Tasse Wasser und Salz hinzufügen und fünf Minuten kochen.
Zusammen mit Reis heiß servieren.
(Quelle: Indien Kulinarisch, Bonn, 1996)
Kerala gereist und weiß, dass Bombay
nicht so schön aussieht, wie es in den
Filmen meist dargestellt wird. Während
in den Dokus über Indien oftmals nur
die schlechten Seiten Indiens (Kluft
zwischen Reich und Arm) gezeigt werden, so werden in den meisten Bollywood-Streifen nur die schönsten Seiten Indiens gezeigt. Davon sollte man
sich nicht täuschen lassen.
Christina: Eher umgekehrt: Weil mich
Indien interessiert, interessieren mich
auch indische Filme.
Meine Welt: Bollywood-Filme bieten
nicht nur Unterhaltung, sondern präsentieren und verarbeiten auch politische
und religiöse Themen. Was hältst du
davon, wie bewertest du dieses Merkmal?
Abhilash: Gerade diese Themen interessieren mich und es würde mich freuen,
so etwas öfters zu sehen, natürlich mit
einem gewissen Anteil an Unterhaltung
Priya: Ich finde es sehr gut, politische
und religiöse Themen aufzugreifen. Allerdings wurde in indischen Filmen oftmals
der Pakistan-Indien Konflikte und HinduMoslem Auseinandersetzungen aufgegriffen. Diese waren kassenmäßig vielleicht
erfolgreich, haben je-doch sonst nicht viel
bewirkt. Das ist sehr schade.
Christina: Ich finde die Filme umso
besser, wenn sie dies tun (in gelungener
Weise).
Meine Welt: Haben Sie / hast du den
Film Slumdog Millionaire gesehen? Was
hat dir an dem Film gefallen, was nicht?
Abhilash: Habe ihn gesehen. Ist schon
ein gut gemachter Film. Wobei ich ihn
nicht oscarreif fand (außer Rahman und
Pookutty, die haben den Oscar verdient).
Ist auch nichts Neues, das arme Indien in
einem Film zu zeigen. Neu ist nur, dass
er so eine große Popularität genießt. Die
Darstellung Indiens in dem Film ist
sicher realistisch und zeigt eine Seite –
die schwierigere Seite – von Indien. Ich
bin mir sicher, dass der Film dem Image
von Indien schadet. Das ist ja die Macht
eines guten Unterhaltungsfilms, er erreicht viele Leute, weltweit, und beeinflusst Denken, Handeln und Ansichten
von Menschen. Trotzdem hoffe ich, dass
der Film auch indische Produzenten und
Regisseure antreibt, Filme zu produzieren, die für den internationalen Markt
brauchbar sind. Bollywood richtet sich
noch zu sehr an den indischen Zuschau-
Europäische Kultur zum Jahreswechsel
Wien ist „Hochburg“
Nachdem mit dem Weihnachtsfest eines
der christlich-religiösen Hochfeste dieses Jahres nicht abgeklungen ist, haben
Sylvester und Neujahr im europäischen
kulturellen Kontext eine sehr hohe
Bedeutung. Für kulturell ambitionierte
Menschen, die an diesen Tagen „auf
Reise“ gehen, spielt neben Berlin vor
allem Wien als eine der Kultur-Hauptstädte Europas eine herausragende
Rolle. Ein solch dichtes „Netz“ an entsprechenden kulturellen Höhepunkten,
wie es die alte habsburgische Kaiserstadt anzubieten hat, kann gewiss als
einmalig bezeichnet werden. Ist die
„Sylvestermeile“, auf der sich alljährlich Hunderttausende in ein unterhaltsames Spektakel begeben, eher etwas
für die „Masse“, so sind es die vielzähligen „inhouse“-Veranstaltungen, die
dem „feinsinnigeren“ europäischen
Kulturgut ihren Stempel aufdrücken.
Lange vorher ausverkauft sind die
Operetten-Aufführungen in der „Volksoper“ (www.volksoper.at), oder wie im
„Konzerthaus“ (www.konzerthaus.at),
die Kabarettabende (z.B. mit den schon
traditonellen Abenden mit Bernhard
Ludwig), die Strauß-Konzerte und
besonders am Sylvesterabend die alljährliche hochkarätig mit den Wiener
Symphonikern aufgeführte „Beethovens 9.“. Alle diese Veranstaltungen
habe eins gemeinsam: wer sie besu-
chen möchte, der muss sich spätestens
im Sommer um entsprechende Karten
bemühen. Neben einem Wiener Publikum geht es überall „international“ zu.
Dies gilt natürlich und insbesondere
auch für das weltbekannte „Neujahrskonzert“ der Wiener Philharmoniker
(www.wienerphilharmoniker.at) im
„Musikverein“ (www.musikverein.at).
Musikalische Botschaft zum Jahresbeginn - Traditionelles Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker
Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ist für viele Menschen
weltweit seit Jahrzehnten ein Fixpunkt
am 1. Januar. Von 1941 an präsentieren
die Wiener Philharmoniker ihrem
Publikum zum Jahresauftakt ein heiteres und zugleich besinnliches Programm aus dem reichen Repertoire der
Strauß-Dynastie und deren Zeitgenossen. Es ist der Wunsch der Philharmoniker, nicht nur musikalisch wertvolle
Interpretationen anzubieten, sondern
auch darüber hinaus allen Menschen
einen Gruß im Geiste von Hoffnung,
Freundschaft und Frieden zu übermitteln. Da begegnen einem beispielsweise Menschen aus Japan, die sich, um
das „Vorkonzert“, jeweils am 30.
Dezember aufgeführt, besuchen zu können, bereits ab dem 2. Januar auf der
Website der „Philharmoniker“ in die
29
„Tombola“ eingeschrieben haben.
Karten für dieses „Glanzlicht“ im Kulturprogramm werden nur über den Weg
einer Verlosung weltweit angeboten.
Neben dem Vorkonzert gibt es noch
eine Aufführung am Sylvesterabend
und als absolutem Höhepunkt am Neujahrmorgen. Die TV-Verbreitung der
ORF ist weltumspannend, wer jedoch
einmal in den Genuss der persönlichen
Teilnahme kommen möchte, hat jeweils
direkt am Jahresbeginn nur wenige
Wochen, um sich über den Weg der
„Verlosung“ Hoffnung auf Konzertkarten machen zu können. Manch einer
bewirbt sich über Jahre darum, ehe der
Erfolg, dieser mehr als herausragende
Musikgenuss in der großartigen Kulisse des „großen Saals“ im Musikverein,
die Mühe und das „finanzielle Engagement“ absolut vergessen lässt. Zum
Jahreswechsel 2008/2009 hatten die
„Philharmoniker“ mit dem in dieser
Funktion debütierenden Daniel Barenboim einen frenetisch gefeierten „Maestro“ eingeladen. Für 2009/2010 wird
es der französische Dirigent Georges
Prêtre sein. Übrigens: auch „übers
Jahr“ loht sich der Blick auf die Website der „Philharmoniker“, wie auch der
Volksoper und des Konzerthauses –
interessante Veranstaltungen gibt es
immer !
- Heinz Müller
er. Wer den internationalen Filmmarkt
dominiert, besitzt viel Softpower, was
Indiens größer werdenden internationalen Einfluss zu Gute kommen würde. Eine Ramayana oder Mahabharata-Produktion auf Hollywood-Niveau würde
z.B. einen großen Einfluss auf das
Image von Indien haben und würde die
Pop-Kultur auf der ganzen Welt beeinflussen.
Kanish: Ja, ich habe ihn gesehen. Der
Film gefällt mir sehr, weil er über einen
Underdog war, der zu einem glücklichen
Ende führte.
Priya: Ja. Der Film hat jeden einzelnen
Oscar verdient!! Die Idee, die dahinter
steckt, ist super. Ein Junge, der in den
Slums von Bombay aufgewachsen ist,
gelangt zu der Show „Wer wird Millionär“. Einfache Fragen kann er nicht
beantworten, schwierigere Fragen
schon. Erzählt wird dabei in Rückblende, wie dieser Junge auf diese Antworten kommt bzw. welche Ereignisse in
der Vergangenheit dazu geführt haben,
dass er diese Fragen beantworten kann.
Der Film ist sehr sozial-kritisch und stellenweise sehr hart. Würde es kein
Happy-End gegeben, wäre der Film sehr
deprimierend.
Abhilash: Nadodikattu (Malayalam)
Nicht gefallen hat mir jedoch, dass die
letzte Frage so einfach ist. D.h. im Film
hat es Sinn gemacht, diese als letzte
Frage zu stellen, jedoch würde diese in
der Realität garantiert nicht als letzte
Frage gestellt werden.
Meine Welt: Welche Schauspieler/Innen gefallen dir am besten?
Christina: Ja. Mir hat gut gefallen, dass
darin die „Stärke der Schwachen“ zum
Ausdruck kommt, in der Art und Weise,
wie sich die Antworten auf die QuizFragen nicht aus formaler Bildung, sondern aus dem „wahren Leben“ ergeben
haben. Man sollte die „ Armen“ nicht
unterschätzen!
Meine Welt: Nenn mir deinen Lieblingsfilm (Bitte nur den Titel nennen)
Priya: Bollywood: Veer Zaara; Malayalam: Manichitrathazhu
Christina: Lagaan (Bollywood)
Priya: Bollywood-Filme: Kajol, Rani
Mukerjee und Aamir Khan
Malayalam Filme: Urvasi, Shobana und
Mohanlal
Kajol ist ein vielseitiges Talent, egal ob
in Komödien oder in ernsteren Rollen
(Fanaa, sie spielt immer sehr überzeugend und bleibt natürlich). Ihre Cousine
Rani ist zwar auch eine sehr gute Schauspielerin (Black), jedoch in Komödien
nicht ganz so überzeugend. Aamir Khan
ist bekannt für seinen Perfektionismus.
Er gibt immer 100% und das sieht man.
Christina: Shah Rukh Khan, Aamir
Khan, Amitabh Bachchan u.v.m. ( In der
Indien – das untypische Entwicklungsmodell
Prof. Dr. Harald Müller und Dipl. Pol. Carsten Rauch
Den Lehrbüchern entsprechend entwickeln sich periphere Volkswirtschaften durch die Kapitalisierung der
Landwirtschaft über die Massenproduktion von Konsumgütern, deren Produktion gering qualifizierte Arbeitskraft benötigt, zu einer soliden Industriewirtschaft, bevor der Dienstleistungssektor die Führung des wirtschaftlichen Wachstums übernimmt.
Diese Lehre hat Indien auf den Kopf
gestellt.
Zugpferd der indischen Entwicklung ist
vielmehr ein Sektor der Hochtechnologie, der überwiegend der Dienstleistungsbranche zuzurechnen ist. Es handelt sich um die Softwareproduktion
und -anwendung, in der Indien heute
als die führende Weltnation bezeichnet
werden kann. 1990 wurde ein „Software Technology Park“ bei Bangalore
als Freihandelszone etabliert. Danach
konnte sich die Softwareindustrie in
den 1990er Jahren mit Raten von 50
Prozent pro Jahr ausdehnen. Ihre Wertschöpfung wird bald mehr als 100 Mil-
liarden US-Dollar im Jahr be-tragen,
wobei mehr als die Hälfte davon im
Exportgeschäft erzielt wird.
Das indische Wirtschaftswachstum hat
indessen längst andere fortgeschrittene
Sektoren erfasst. In der Biotechnologie
stößt Indien zur Weltspitze vor, nachdem auch dieser Sektor liberalisiert
und ausländische Anteile in Höhe von
74 Prozent genehmigungsfrei zugelassen wurden. Genehmigungsvorbehalte
gibt es noch bei der Herstellung und
dem Vertrieb von Laborerzeugten
DNA-Produkten; ferner existieren
Preiskontrollen bei einigen Medikamenten wie Insulin. Die indische
Raumfahrt ist ebenfalls erfolgreich, ihr
Fortschritt erfolgt nach Plan. Am Horizont zeichnet sich bereits ab, dass in
der kommenden industriell-technischen
Revolution, die durch den Einsatz der
Nanotechnologie ausgelöst wird, die
Inder gleichfalls mit an der Spitze marschieren werden. Auch ihre führende
Stellung auf dem Wachstumsmarkt der
Outsourcing-Dienstleistungen ist be-
30
merkenswert. In indischen Outsourcing-Unternehmen werden Schriftsätze
für renommierte amerikanische Anwaltskanzleien, ja sogar Reden für USSenatoren verfasst.
Im Kielwasser dieser „Flaggschiffe“
der indischen Wirtschaft zeigen sich
mittlerweile auch Erfolge in der Massenproduktion von Konsum- und Investitionsgütern. Automobile, Elektroartikel und mittlerweile in ganz Asien beliebte „Bollywood“-Produkte der indischen Filmindustrie sind Exportschlager. Die indische Stahlindustrie ist
weltweit wettbewerbsfähig und greift
mit ihren Investitionen auch die europäischen Märkte an, etwa der Konzern
Mittal. Der Trend zeigt, dass der
moderne Sektor der indischen Volkswirtschaft auch in der Breite gut aufgestellt ist.
(Auszug aus dem Beitrag: „Indiens Weg zur Wirtschaftsmacht“ Aus Politik und Zeitgeschichte
26.05.2008)
Regel sind mir die Schauspieler/innen
aber gar nicht so wichtig.)
Mein Indien
What is Slumdog Millionaire?
Ein Nachruf von Anant Kumar
Monika Gehrlein
Ich hab mich schon als Kind in Indien verliebt, ich hatte ein Buch
gelesen, leider weiß ich den Titel
nicht mehr, und seitdem wollte ich
immer mal nach Indien. Vor ein paar
Jahren war ich dann in Indien, eine
kleine Rundreise, Delhi, Agra, Jaipur. Delhi hat mich erst etwas
geschockt, warum weiß ich nicht
mehr genau, doch je länger die Reise
war, umso faszinierender fand ich
Indien. Einmal wollte mich eine Familie mit sich fotografieren, vielleicht
steh ich jetzt in irgend einem indischen Wohnzimmer. Die Reisegruppe
war auch sehr klein, wir waren nur
drei Personen. Den ersten indischen
Film, den ich gesehen habe, war „In
guten wie in schweren Zeiten”, aber
mein Lieblingsfilm ist „Rang de
Basanti”. Ich finde Shah Rukh Khan
ganz toll, ich finde, er hat eine super
Ausstrahlung. Gestern war ich in
„Slumdog Millionaire”, der ist auch
gut, ich denke, ich werd ihn mir auf
DVD holen, wenn es ihn gibt.
Ich mag auch die indische Musik.
Und Ende des Jahres möchte ich,
wenn alles klappt, meinen Urlaub in
Indien verbringen.
Meine Welt: Bist du /sind Sie Mitglied in
einem Bollywood-Forum oder FilmForum im Internet? Wenn ja, in welchem?
Abhilash: Nein!
Kanish: Nein, leider nicht.
Priya: Dazu fehlt mir leider die Zeit. !
1. Ein mit 8 Oscars prämierter Film
des britischen Regisseurs Danny
Boyle.
Es ist über ein Jahrzehnt her, dass ich im
Kasseler Staatstheater mit meinem Studienkollegen Dirk Eckart der Premiere
des europäischen Tanzfestivals beiwohnte. In seiner Eröffnungsrede sagte
der Repräsentant des britischen Königreichs eindeutig irritiert, wahrscheinlich
auch verärgert, die Wahl sei nicht die des
britischen Staates beziehungsweise der
Regierung, sondern die Jurymitglieder
der Tanz- und Musikeinrichtungen Englands hätten diese Entscheidung getroffen! Aber er begrüße herzlich, gratulierend, die Tanztruppe und ihre Choreographin, deren Eltern aus Srilanka nach
England emigrierten. Das stimmte
jedoch nicht, und die junge dynamische
Frau regte sich nach der Aufführung
über den Irrtum auf. Sie korrigierte den
Fehler des Repräsentanten im Foyer:
Ihre Eltern kamen aus Südindien. Das
Stück, ihre Kompostion, war eine
moderne, indisch-europäische Aufarbeitung einer altindischen Legende im indischen Tanzstil mit einigen Streichern.
Also, schon mehr oder weniger indisch.
In Slumdog wird das unmittelbare Indien mit indischen Darstellern von
einem britischen Filmemacher dargestellt. Wer sollte da mit dem erweiternden Blickwinkel, der erweiternden
Ästhetik Probleme haben?!
2. Zwei Oscars für den „beatlastigen“
indischen Musikproduzenten A. R.
Rahman.
In den allerletzten, spannenden Abenden
stellte das klassikradio.de sämtliche
nominierten Filme aller Sparten vor. So
wurde auch die Musik der besten sechs
Nominierungen vorgestellt, und die
Hörer wurden gebeten, über ihre Favoriten abzustimmen. Ich wurde aufmerksam, als das indische Sozialmärchen mit
dem Namen des indischen Musikgiganten vorkam. Die beiden „Herren“ Moderatoren, verkündigten einstimmig in
ihrer ansprechenden, jedoch souveränen
Radiostimme ihre Meinung über die
Musik des Inders: „Zu beatlastig!“ Es
wurden alle sechs Filmstücke der Reihe
31
Anant Kumar ist ein deutschsprachiger Schriftsteller indischer Herkunft.
Er verfasste 12 Bücher (Erzählungen, Essays, Gedichte, Satiren,
Reportagen, Kinderbücher... Roman)
Er lebt und arbeitet in Kassel.
www.anant-kumar.de
Neuerscheinung 2008: Kumar &
Corciova: Ein Inder in Deutschland
– 27 Reisereportagen & 27 Grafiken,
Wiesenburg Verlag Schweinfurt.
nach gesendet, und es wurde telefonisch
abgestimmt. Die Moderatoren teilten
den Hörern das Resultat euphorisch mit,
etwa: „...Es gibt 2 klare Gewinner! Es
gibt 2, die klar in der Mitte sind! Und es
gibt 2 klare Verlierer!“ Die Kompostion
des „beatlastigen“ Inders befand sich im
klaren Verliererbereich.
Meine Beweggründe für die Bewunderung Rahmans bestehen aus seiner Genialität und noch mehr aus seiner Persönlichkeit. Der mittelgroße Mann mit
Megaidol-Status auf dem indischen Subkontinent, der auf eine langjährige,
emsige Laufbahn zurückblickt, tritt bei
unzähligen Preisverleihungen äußerst
einfach auf, und er redet leise, wenig,
dankend-rührend... Als Junge wuchs er
in bescheidenen Verhältnissen auf, und
sehr fleißig verfolgte er seine musikalische Ausbildung in der ganzen Welt. Der
mit dem Oscar preisgekrönte Song des
Slumdogs, den der gläubige und praktizierende Muslim aus Südindien komponiert hat, lautet: „Jai Ho!!!“ Es ist der
alltägliche Ausruf der Hindus und auch
aller anderen gläubigen Inder zur Ehrung der Götter, Göttinnen ...des Allmächtigen, zum Beispiel: „Jai Ho Kali
Mai Ki! / Es gelte und bleibe nur die
ewige, immense Größe der Göttin Kali!“
3. Bollywood versus sozialkritsche
Kinos
Die Zeitungen machten mich nochmals
auf diese Kluft aufmerksam: Da die
Inder hauptsächlich kitschige Bollywood-Filme mögen, konnte dieses
sozialkritische Märchen aus den Slums.
Rezension
„Das ist der Planet, der unser
Schicksal lenkt“
Das mohnrote Meer, Roman. Amitav Ghosh. Übersetzung aus dem Englischen
von Barbara Heller und Rudolf Hermstein, Karl Blessing Verlag, 2008.
er Mohn ist nicht nur ein winziges wohlschmeckendes Samenkorn, sondern „der Planet“, der
das Schicksal sämtlicher Figuren des
neuen Romans von Amitav Ghosh lenkt:
„Segen spendend und zugleich alles verschlingend, barmherzig und zugleich
zerstörerisch, nährend und zugleich
rachgierig.“ Denn er ist die Basis für
Opium: Rauschmittel und eines der
Grundpfeiler der Macht der englischen
East India Company, die im frühen 19.
Jahrhundert bis zu ihrer Auflösung im
Jahr 1858 durch die britische Krone faktisch über Bengalen und weitere Teile
Indiens herrschte und durch den
Schmuggel des in Indien produzierten
Opiums auch in China für neue Machtverhältnisse und Absatzmärkte sorgte.
D
Gelegentlich etwas weitschweifig beschreibt der Roman mit bemerkenswertem Detailwissen die Lebensverhältnisse zu Zeiten der Herrschaft der East
India Company und die durch den Opiumanbau und -handel eng miteinander verwobenen Beziehungen zwischen den
verschiedenen indischen und englischen
(von Seite 31)
Bombays nicht in großen Leinwandkinos gezeigt werden. Das stimmt auch –
halbwegs, weil der Film durch und
durch auch eine Bollywood-Produktion
ist. Das wurde sogar bei der Preisverleihung in L.A. hervorgehoben, etwa:
„...Damit werden auch zwei gigantische
Filmgrößen der Welt geehrt, nämlich
Bollywood und Hollywood.“ Die Darsteller sind die Stars aus Bollywood und
die Bewohner des Mumbai-Slums. Und
nicht zuletzt der Musikdirektor, der seit
Jahren als Kaiser der zeitgenössischen
Bollywoodmusik gilt. Jener, dessen
„beatlastiger“-Song auch im klassikradio.de vom Moderator vorgestellt
wurde.
!
gesellschaftlichen Schichten, die in Kalkutta und seinem Umland aufeinander
prallen. Sehr deutlich wird dabei auch
das gespannte Verhältnis, das zwischen
den englischen und französischen Kolonisatoren beziehungsweise den Vertretern der späteren Weltmacht Amerika
herrscht, wo man gerade erst beginnt,
sich mit dem eigenen, stark rassistisch
geprägten Kolonialerbe auseinanderzusetzen. Ghosh verfolgt das Schicksal
seiner Protagonisten zu Land, auf dem
Fluss und zuletzt auf dem Meer, über
das sie als Kontraktarbeiter oder Gefangene der East India Company mit dem
ehemaligen Sklavenschiff „Ibis“ nach
der Insel Mauritius verschifft werden.
Denn durch die Umstände gezwungen,
müssen sie alle sich den Schrecken der
mit dem Tabu des Kastenverlusts belegten Überfahrt des „Schwarzen Wassers“
stellen, inmitten dessen dieser erste Teil
einer geplanten Trilogie im tosenden
Sturm endet.
Kultur und Sprache der Laskaren
Besonders eingehend hat sich der Anthropologe Ghosh in dem Roman mit
der Kultur und Sprache der so genannten Laskaren auseinandergesetzt. Diese
von einer Aura des Piratentums umgebenen Seeleute aus aller Herren Länder
(darunter vor allem Chinesen, Ostafrikaner, Araber, Malayen, Bengalen, Goaner, Tamilen und Arakanesen) sprechen
ein aufsehenerregendes englisch-asiatisches Pidgin, dessen rauem Charme die
deutsche Übersetzung durchaus gerecht
ge-worden ist; sie bestimmen den Kurs
zu-verlässig anhand der Sterne, anstatt
sich mühsam mit Sextanten und Seekarten zu behelfen, und sind dem Leben auf
See dank einer sehr ausgewogenen
Ernährung insgesamt viel besser gewachsen als die Europäer, die Mangelkrankheiten in diesen Zeiten sehr
schnell und häufig zum Opfer fallen.
Ghoshs enorme Sachkenntnis, vor allem
seine Begeisterung für die Nautik der
damaligen Zeit, ist dem Buch allerdings
insofern zum Verhängnis geworden, als
sie zu einem etwas missglückten Spagat
zwischen Roman und Sachbuch geführt
hat. So sind die Figuren oft recht hölzern
gezeichnet und erscheinen mehr wie
Prototypen für die verschiedenen Lebensumstände, die Ghosh illustrieren möchte,
denn wie Individuen, an deren Schicksal
man wirklich Anteil nehmen würde.
Gewissermaßen entschädigt wird man
jedoch durch die Piratenfolklore und die
indischen Mythen, mit denen Ghosh die
Romanhandlung immer wieder durchsetzt.
- Sophia Kratz
Elternzeit für Großeltern
Wenn die Enkel im gleichen Haushalt leben
Künftig können in bestimmten Fällen
auch Großeltern Elternzeit nehmen.
Das beschloss der Bundestag mit den
Stimmen der großen Koalition. Grü-ne
und FDP votierten gegen das Ge-setz,
die Linke enthielt sich. Die Bundesregierung hatte die Änderung zum
Anfang 2007 in Kraft getretenen Bundeselterngeldgesetzes
vorgelegt.
Damit haben Großeltern bald ein
Recht auf Elternzeit, um ihre im gleichen Haushalt lebenden Enkel betreuen zu können. Es geht um Unterstützung, wenn ein Elternteil minderjährig
ist oder als junge Volljährige noch die
32
Schule besucht oder eine andere Ausbildung absolviert.
Großeltern sollen nach dem Willen der
Regierung damit auch helfen, die
Situation im Anschluss an eine „Teenager-Schwangerschaft“ zu bewältigen. Das Elterngeld wird seit Anfang
2007 maximal für 14 Monate Elternzeit als Lohnersatzleistung gezahlt und
beträgt bis zu 67 Prozent des letzten
Einkommens.
(Quelle: Frau und Mutter 1/2009)
Neues Buch
Zweite Person Singular
Gedichte von Udaya Narayana Singh
Gedicht
Du bist einzigartig
Udaya Narayana Singh
Zur Einführung hat der in Deutschland
lebende bengalische Dichter Alokeranjan Dasgupta folgendes geschrieben:
auch meine Augen, Brauen, Haut,
Haare und Poren
sprechen unaufhörlich:
Dhug-dhug pa-dha-ni-tha-thei
Kann ein renommierter Sprachwissenschaftler und -planer auf dem Gebiet der
Dichtkunst bewandert sein? Ist so einer
nicht eher darum bemüht, grammatikalisch bzw. semantische Belange der
Sprache in den Vordergrund zu stellen?
Udaya Narayana Singh (geb. 1951), ein
namhafter Linguist, ist sich der Problematik bewusst: Ein gediegenes Gedicht
vermag unsere Leseerwartungen zu enttäuschen, uns zu ergreifen, uns zu überraschen. Dies macht diesen Linguisten
auch zum Poeten.
Der oben zitierte Auszug aus einem seiner Gedichte drückt in der letzten Zeile
den Übergang von Sprache zu einer Melange von versprachlichten Tabla-Rhythmen, Herzschlägen und Tönen eines
Ragas aus – eine Art Synästhesie also.
Augen, Brauen, Haut und Poren vermitteln ihre Botschaft, was das Schreiben
überflüssig macht – das alles als Widerpart zum wie eine Klage anmutenden
Gedichtstitel „Warum schreibst du
nicht?“
Namen entlegener Ortschaften baut man
manchmal in ein Gedicht ein. Sie verleihen ihm einen wunderlichen Charme,
der den Leser in den Bann zieht. Hier
zwei Auszüge aus dem Gedicht „Nach
wie vielen Jahren“:
die neblige Straße am Morgen
nach Simri Bakhtiarpur
in Mysore, beherrscht in Wort und
Schrift neben seiner Muttersprache
Maithili – die im Norden von Bihar
gesprochen wird und von alters her für
seinen lyrischen Klang bekannt ist –
auch Hindi und Bangla. Er nennt sich
aber „Schriftsteller der Belanglosigkeit“. Als Übersetzer bewegt er sich zwischen mehreren Sprachen. Sein Augenmerk bei seinen schöpferischen Arbeiten
gilt den strukturellen und sozialen Aspekten der Sprache seiner Mitmenschen.
Auch Strukturveränderungen des dörflichen Ambiente bzw. der Landschaftsarchitektur geben ihm in seiner Poesie Anlass zur Nostalgie. Eine Spur von Sehnsucht hallt nach:
Ich habe dich in meiner Dichtung
angerufen,
und doch kamst du nie zu mir;
In meinen Gedichten
überflutete der schmale Tilabe,
verhalf dem Fährmann, Khesaari-kaa,
zu Reichtum – und trocknete dann
wieder aus.
Sie war kein enormes Festmahl,
das verdampft, noch bevor es serviert
wird.
Udaya Narayanas Credo hinsichtlich der
Freiheit der Sprache hat sich bereits Anfang der 70er Jahre ausgebildet. Die später gescheiterte marxistisch- maoistische
Bewegung in Bengalen war darauf angelegt, die tradierten Sitten und Gebräuche
zu verändern. Dies beeinflusste die
literarische Sprache der damaligen jungen Generation.
Udaya Narayana hat diese Anti-Establishment-Bewegung zusammen mit
Arjan Sen (geb.1953) und Amitabha
Gupta (geb.1947) mitgestaltet. Sie gaben eine revolutionäre linguistischliterarische Zeitschrift namens „Ganego
Patra“ (Gangesblatt, erste Ausgabe
1975) heraus, die zum Sprachrohr der
Intellektuellen und Künstler in Bengalen
wurde.
für Jahre lag mein Dorf Bhagwati
verschlossen da in ihrem Schrein
Das literarische Werk Udaya Narayana
Singhs hatte in der Form der diskursiven
Prosa seine Anfänge. Sehr bald entdeckte er jedoch das Medium der Poesie.
Seither ist er diesem Genre treu geblieben.
Der ployglotte Dichter und Linguist
Udaya Narayana Singh, Direktor des
„Central Institute of Indian Languages“
Er verwandelt das lyrische Ich ins narrative Du. So erhofft er noch heute den
Lesern seine poetische Botschaft zu ver-
oder
33
zumindest hättest du ein Wort sagen
können,
aber du hast dich mir nicht einmal
zugewandt.
Konntest du nicht sehen,
meine Dichtung war keine Liebestat,
die Gewinn und Verlust aufwog.
Sie war keine routinierte Einladung,
die man sich einfach entgehen lassen
kann.
Ich rufe dich bei einem Namen,
der nur in der Dichtung möglich ist:
Ein Name, den Vögel leicht singen
können, und doch
kein spannender, und auch kein
geheimer.
Keiner, über den Freunde
herzhaft lachen würden.
In meiner Dichtung
habe ich dir viele solche Namen
gegeben,
und dennoch wolltest du mir nicht
mal ein Wort sagen.
Aus dem Englischen von Katja Warmuth
(Aus: Zweite Person Singular, Gedichte,
Udaya Narayana Singh, Draupadi Verlag,
2009)
mitteln – er kommuniziert mit seinem
Gegenüber.
Sein Bestreben ist in der Tat geglückt.
Seine Bücher finden einen immer größer
werdenden Leserkreis.
!
Der Gedichtband Zweite Person Singular (94 Seiten) ist
im Draupadi Verlag 2009 erschienen.
Bücher... Bücher... Bücher
Neue Bücher (Englisch)
Five Novellas by
Women Writers
Der Band beinhaltet fünf Kurzromane
von prominenten Schriftstellerinnen, die
in der einen oder anderen indischen
Regionalsprache schreiben. Die Autorinnen sind Nabaneeta Dev Sen (Bengali), Mrinal Pande (Hindi), Vaidehi (Kannada), B.M.Zuhra (Malaya-lam) und
Saniya (Marathi). Während Nabaneeta
Dev Sen und Mrinal Pande durch Übersentzungen ihrer Werke ins Deutsche
hierzulande bekannt sind, gibt es immer
noch keine übersetzten Werke der anderen Autorinnen in deutscher Sprache.
Alle 5 Werke sind aus Originalsprachen
von erfahrenen Übersetzer/Innen ins
Englische übertragen worden. Über die
Qualität der Übersetzung kann man
nicht klagen.
Der Band ist in der Oxford University
Press, New Delhi im Jahr 2008 erschienen.
gann dann eine neue Phase der westlichen Expansionspolitik in der Geschichte, nämlich die Gewinnung der Monopolmacht über den Gewürzhandel mit
Indien.
Der Roman ist erschienen in Penguin,
Indien, 2009
Neues Buch über Yoga
Das Yoga-Lexikon. Sanskrit-AsanasBiographien-Hinduismus-Mythologie,
Wilfried Huchzermeyer, Verlag W.
Huchzermeyer, Karlsruhe, 2009
Yoga wird immer populärer in der westlichen Welt und findet auch in Deutschland eine ständig wachsende Zahl von
Anhängern. Gleichzeitig nimmt auch die
Zahl der Übungsstile zu, in denen Yoga
praktiziert wird, so dass es selbst für Insider nicht ganz leicht ist, den Überblick zu behalten. Unterstützung bietet
Das Yoga-Lexikon des Indologen Wil-
South Asian Christian
Diaspora
Dies ist ein Buch über die südasiatischen
christlichen Migranten in Europa und
Nordamerika. Herausgegeben von Knut
A. Jacobsen und Selva J. Raj beinhaltet
der Band Beiträge über südasiatische
christliche Gemeinschaften in Frankreich, Portugal, Norwegen, Schweiz,
Deutschland, in den Niederlanden und
Nordamerika. Ein Beitrag, der besondere Aufmerksamkeit verdient, ist „The
Seventieth Anniversary of ‚John
Mathew’: On Indian Christians in Germany“ von Dr. Urmila Goel, eine den
Lesern von MEINE WELT bereits
bekannte Wissenschaftlerin.
Das Buch ist erschienen in Ashgate
Publishing Company, Burlington, USA
2008
For Pepper and Christ (Pfeffer
und Christus)
Einer der bekanntesten Dichter Indiens,
der in Englisch schreibt, Keki N. Daruwalla, hat jetzt seinen ersten Roman veröffentlicht. Es geht um die Expeditionen
von Vasco da Gama nach Indien. Im
Rahmen dieses historischen Ereignisses
präsentiert der Autor ein Panorama der
Welt Ende des 15. Jahrhunderts. Es be-
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fried Huchzermeyer, der sich auf die Erforschung der indischen Spiritualität
spezialisiert hat. Kenntnisreich stellt er
die bekanntesten Yoginis und Yogis in
Ost und West vor und erläutert die von
ihnen geschaffenen vielfältigen Übungssysteme, die sich mal mehr auf die körperliche, mal mehr auf die geistige und
seelische Entwicklung des Menschen
konzentrieren.
Zur Lage der Frauen
im alten Indien
The Predicament of Women in Ancient
India, Prof. Dr. Klaus Bruhn, here/
now/4u Verlag, Berlin, 2008
Das Buch liefert eine wissenschaftliche
Studie über die Lage der Frauen im alten
Indien. Themen wie Eheschließung,
Mitgift, Witwenleben, Witwenverbrennung etc. sind ausfühlich behandelt. !
Namen... Nachrichten... Informationen
Die Arbeitslosigkeit ist weiblich das. Dieser Staat hat auch die höchste
Weltweit hat nur ein Viertel der
Frauen gesicherte Arbeit
Weltweit arbeiten etwa 1,8 Milliarden
Männer und 1,2 Milliarden Frauen. Einigermaßen sichere Einkünfte haben nur
rund 570 Millionen der arbeitenden
Frauen. 300 Millionen Frauen arbeiten
unentgeltlich im Familienbetrieb. 47,5%
der Frauen sind nicht berufstätig. Frauen
bekommen oft riskantere Aufgaben und
meist weniger Geld.
(Quelle: ILO)
Alarmierende Unterernährung
der Kinder im Bundesstaat
Uttar Pradesh
Der bevölkerungsreichste indische Bundesstaat ist auch der risikoreichste Geburtsort für Kinder. Nach einer Studie
von UNICEF sind 52% der Kinder, die
in Uttar Pradesh zur Welt kommen, akut
unterernährt. Der Durschnitt für Gesamtindien ist 43%, für Südasien 42%. In
Zahlen ausgedrückt hat Uttar Pradesh
zur Zeit gut 10 Millionen durch Unterernährung gefährdete Kinder. Nicht nur
Zahl von arbeitenden Kindern und belegt den ersten Platz beim Kindesmissbrauch in Indien.
(Quelle: India Today 9.02.09 )
Berge von Elektroschrott
Bis zum Jahr 2012 werden in Indien voraussichtlich eine Million Tonnen Elektroschrott anfallen. Zu defekten Fernsehgeräten, Mobiltelefonen und Computern kommen nach Ansicht von Experten
noch große Menge nicht näher identifizierter Elektroabfälle, die immense
Gesundheits- und Umweltgefahren bergen. Gesetze zur Entsorgung fehlen bisher. Neben zugelassenen RecyclingUnternehmen ist auf dem Subkontinent
eine weit verzweigte Infrastruktur von
Kleinbetrieben entstanden, die unkontrolliert wieder verwertbare Chemikalien und Metalle wie Blei, Kadmium,
Dioxin oder Brom über dem offenen
Feuer ausschmelzen.
- www.greenpeace.de
(Quelle: Akzente, 4/2008)
Klimawandel und Entwicklungsländer
Viele Entwicklungsländer, beispielsweise Inseln wie die Malediven oder tief liegende Länder wie Bangladesch, sind besonders stark von einem ansteigenden
Meeresspiegel betroffen. Die Trinkwasserversorgung von Ländern wie Indien
oder Equador, deren Trinkwasserversorgung stark von Gletschern abhängt, ist
durch deren Abschmelzen besonders
gefährdet. Die Ausbreitung von Krankheiten, wie beispielsweise von Malaria
im Hochland von Kenia, und die Abhängigkeit vieler Landwirte von der Berechenbarkeit von Niederschlagsperioden,
sind ebenfalls zunehmende Probleme.
Deshalb ist es nun umso wichtiger, weltweit einer Klima schonenden Wirtschafts- und Lebensweise zum Durchbruch zu verhelfen. Dies ist ein zentraler
Hebel zur Armutsbekämpfung, zur Förderung der Gesundheit und der Gleichstellung der Geschlechter.
- Achim Steiner
Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen
MEINE WELT
Zeitschrift des Deutsch-Indischen Dialogs
Heft 1 / Jahrgang 26 / Sommer 2009
(Quelle: Eine-Welt-Presse, 1/2008)
Redaktionelle Mitarbeit:
Walter Meister, Öhringen
Unterstützung und Beratung:
Pater Ignatius Chalissery; Köln; Dr. Urmila Goel, Bonn; Hans Gerd Grevelding, Köln; Dr. Martin Kämpchen, Santiniketan, Indien; Dr. Ajit Lokhande, Jülich; Walter Meister, Öhringen; Pfarrer Ulrich Oligschläger,
Königswinter; Dr. Claudia Warning, Lohmar
Herausgeber:
Diözesan-Caritasverband,
Abteilung „Migration”,
Georgstr. 7, 50676 Köln,
Tel.0221 / 20 10 287
Gestaltung und Layout:
Jose Punnamparambil; Jose Ukken
Redaktion:
Jose Punnamparambil (verantwortlich), Grüner Weg 23,
53572 Unkel-Scheuren, Tel. 02224 / 7 53 17
e-Mail: [email protected]
Herstellung und Vertrieb:
Jose Ukken, Im Rheingarten 21, 53639 Königswinter,
Tel. 02223 / 49 49; e-Mail: [email protected]
Druck: Siebengebirgs-Druck, Karlstraße 30, 53604 Bad Honnef
Thomas Chakkiath, Novalisstr. 45, 51147 Köln,
Tel. 02203 / 2 26 54; e-Mail: [email protected]
Erscheinungsweise: dreimal jährlich
Eine Spende von mindest. 13 Euro wird von den Lesern erwartet.
Nisa Punnamparambil, Grüner Weg 23, 53572 Unkel-Scheuren
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(BLZ 370 205 00), Diözesan-Caritasverband, Köln
Vertreter des Herausgebers:
Dipl.-Soz.paed. Heinz Müller, Journalist DJV
Titelbild: „Angels”, von Uma Chhatrapati (siehe Seite 16)
Rückseite: Buddha-Abbild im Hemis Kloster
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MEINE WELT
Zeitschrift des Deutsch-Indischen Dialogs
Heft 1 / Jahrgang 26
Sommer 2009