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19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 1 Thermographische Laboruntersuchungen der Kraftübertragung von Reifen auf winterlichen Fahrbahnen. Thermal imaging on the force transmission of tires on winter tracks under laboratory conditions. Dipl.-Ing. Martin Gießler, Prof. Dr.rer.nat. Frank Gauterin KIT - Karlsruhe Institut für Technologie, Institut für Fahrzeugsystemtechnik, Karlsruhe Dipl.-Ing. Klaus Wiese, Dr.-Ing. Burkhard Wies Continental Reifen Deutschland GmbH, Hannover Zusammenfassung Zur Klärung des Einflusses der Reibwärme auf die vom Reifen übertragbaren Kräfte wurde die Kraftübertragung von 2 Reifen mit und ohne Lamellen auf Eis und Schnee und die Entwicklung der Oberflächentemperatur am Innentrommelprüfstand des KIT zeitgleich erfasst. Die theoretische Analyse der instationären Reibwärmeleitung zeigt, dass die Grenze bis zu der Reibkräfte ohne Aufschmelzen übertragen werden können, sehr dicht an der Kraftübertragungskennlinie liegt. Der Vergleich der entstehenden Reibwärmestromdichte mit der erzeugten mechanischen Leistungsdichte zeigt weiterhin einen mit der Härte der Fahrbahn steigenden Anteil des Kraftschlusses, während Lamellen im Reifenprofil den Formschlussanteil an der Kraftübertragung erhöhen. Summary For the analyses of the influence of friction heat on the transmission of tangential forces of a tire with and one without sipes on ice and snow, tire’s longitudinal force characteristic and its surface temperature have been measured on the inner drum test bench at the KIT. The analysis of the instationary heat flux shows, that the thermal force limit wherein friction forces can be transmitted without melting is close to tires force characteristic. The comparison of resulting friction heat flux with the transmitted mechanical power shows that with increase of track hardness the force closure part of tangential forces increases, while sipes lead to an increase of the form closure part. 2 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 Inhalt 1 2 Einleitung............................................................................................................. 3 1.1 Motivation ...................................................................................................... 3 1.2 Theorie zur Kraftübertragung auf Schnee und Eis ........................................ 4 1.2.1 Wirkflächen der Kraft- und Formschlussanteile ...................................... 4 1.2.2 Instationäre Temperaturentwicklung – thermische Kraftschlussgrenze .. 5 Experiment .......................................................................................................... 7 2.1 Messtechnik .................................................................................................. 7 2.1.1 Thermokamera........................................................................................ 7 2.1.2 Prüfstand ................................................................................................ 9 2.1.3 Reifen ................................................................................................... 11 2.2 Versuchsergebnisse .................................................................................... 12 2.2.1 Versuchsablauf ..................................................................................... 12 2.2.2 Lamelleneinfluss ................................................................................... 13 2.2.3 Fahrbahneinfluss .................................................................................. 17 3 Formelzeichen und Indizes ................................................................................ 22 4 Literatur ............................................................................................................. 23 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 3 1 Einleitung 1.1 Motivation Im Vergleich zum Kraftschlussverhalten auf trockener fester Fahrbahn können vom Reifen auf schneeoder eisbedeckter Fahrbahn relativ geringe Kraftübertragungsbeiwerte erzielt werden. Forscher [19], die sich mit diesem Thema beschäftigen, führen diesen niedrigen Reibwert u.a. auf das durch Reibwärme bewirkte Aufschmelzen der obersten Schicht der Eis- oder Schneeoberfläche zurück. Die entstehende Wärmeleistung lässt sich aus dem Produkt der Reibkraft und der Gleitgeschwindigkeit ermitteln. Im Kraftübertragungsprozeß des Reifens können durch die ungleichmäßige Schubspannungsverteilung (vgl. [3], S. 292 ff.) lokal Gleitungen auftreten. Große Gleitgeschwindigkeiten und damit eine hohe Reibwärmeentwicklung kann jedoch erst mit hohem Radschlupf entstehen (Abb. 19). Die theoretische Kraftschlussgrenze bis zu der Reibkräfte ohne Aufschmelzen der obersten Schicht übertragen werden können, liegt - wie in [9] gezeigt wird - sehr dicht am Maximum der Kraftübertragung. Abb. 1 zeigt des weiteren wie sich die Schneehärte auf das Kraftschlussverhalten auswirkt. Während auf Eis (Ice) und hart gepacktem Schnee (CTI 90) ein ausgeprägtes Maximum bei niedrigen Schlupfwerten existiert, wird auf weniger stark verdichtetem Schnee (CTI 82) ein höherer Kraftübertragungsbeiwert auch bei hohem Radschlupf erreicht. Diese Laborergebnisse bestätigen Ergebnisse aus dem Fahrzeugversuch [21]. Abb. 1: Influence of track hardness on longitudinal traction performance for one tire on snow at same temperature (-8°C), compared to ice (-6°C) under load (4260 N, 2.2 bar). Im Unterschied zu lokalen Messungen der Oberflächentemperatur am Reifen auf Schnee [1] und Eis [24] wird in diesem Artikel die Temperaturentwicklung mittels einer Hochgeschwindigkeitsthermokamera über die gesamte Laufflächenbreite im Reifenauslauf während der Kraftübertragung auf Eis und Schnee beobachtet. Durch 4 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 den Vergleich von Temperatur- und Kraftschlussmessung kann eine Aussage zum Einfluss der Reibwärme getroffen werden. 1.2 Theorie zur Kraftübertragung auf Schnee und Eis 1.2.1 Wirkflächen der Kraft- und Formschlussanteile Der für die Schubkraftübertragung nutzbare Kraftbeiwert besteht aus mehreren Anteilen. Neben den von der Trockenreibung her bekannten Kraftschlussanteilen Adhäsions- und Hysteresereibung ([10], [13], [17]) können insbesondere auf schneebedeckter Fahrbahn die Formschlussanteile Schub- und Scherwiderstand ([7], [8], [15], [20]) wirken. Diesen Kraftanteilen können Wirkflächen zugeordnet werden. Dazu wird im Folgenden eine Lamelle eines Reifenprofils als kleinstes Profilsegment betrachtet. Beim Durchlauf des Reifenprofils durch den Reifenlatsch deformiert sich eine Lamelle infolge der Schub- und Druckbelastung. Für die tangentiale Kraftübertragung einer Lamelle können in Abb. 2 die Wirkflächen der formschlüssigen und kraftschlüssigen Kraftanteile lokalisiert werden. Im schubfreien Fall verdichtet die Lamelle aufgrund der örtlichen Flächenpressung die Fahrbahn bis auf die AusgangsKontaktebene. Diese Ausgangsebene definiert die Nulllage z = 0 für die Schubphase. Befindet sich unverdichteter Schnee oberhalb dieser Ebene wird dieser vom Reifenprofil aufgrund des lokalen Vertikaldruckes plastisch und elastisch komprimiert. Die Höhe des so komprimierten Schnees z0 lässt sich nach [18] mit dem Reifenfülldruck pi und der Dichte des unverfestigten Schnees und dessen Höhe h nach der empirischen Formel mit Gl. (1-1) abschätzen. (1-1) 0 lose Auflage komprimierte Fahrbahn Abb. 2: +z h I z0 DzS F K Sipe under normal load (0) and with tangential forces (1): resulting contact plane z0, active surface for form closure (F) and friction (K). Schon Abb. 2 zeigt, dass Feinschnitte im Reifenprofil (Lamellen) zu einem Anstieg der formschlüssig übertragenen Tangentialkräfte beitragen. Die übertragbaren 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 5 Tangentialkräfte erreichen jedoch mit steigender Anzahl von Feinschnitten bei gleichem Grundprofil eine Sättigung [22]. Dies wird auf das Kippen der Lamellen zurückgeführt [15]. Dieses Kippen kann ab einer bestimmten Tangentialkraft zu einer Verringerung der Wirkfläche des Kraftschlusses in Abb. 3 führen. Das Eindringen der einlaufenden Kante ist abhängig von der Steifigkeit der Lamelle und der Fahrbahn. Der über die Wirkflächen (F) des Formschlusses eingeleitete Kraftanteil stützt sich über ein eingespanntes Fahrbahnsegment der Länge ab (Abb. 3). Die Höhe der übertragbaren Formschlusskräfte ist damit abhängig von den mechanischen Eigenschaften der Schneefahrbahn. Feinschnitte im Reifenprofil erhöhen den Anteil der formschlüssig eingespannten Fahrbahn und dadurch auch die übertragbaren Tangentialkräfte. Abb. 3: Active surfaces for form closure (F) and friction (K) between two sipes. 1.2.2 Instationäre Temperaturentwicklung – thermische Kraftschlussgrenze Die kraftschlüssige Haftung zwischen Reifen und Eis- oder Schneefahrbahn wird beim Erreichen einer Kontakttemperatur von 0°C durch den einsetzenden Aufschmelzvorgang reduziert. Als Kontakttemperatur stellt sich im frei rollenden Zustand eine mittlere Temperatur des zumeist durch Walkwärme erwärmten Reifens und der kalten Fahrbahn ein (Abb. 4). Unter Umfangsschlupf führt die eingeleitete Reibwärme zu einem weiteren Anstieg der Kontakttemperatur, erhöht jedoch nur innerhalb einer kleinen Schicht die Temperatur des Reifens („in contact - sliding tire“ in Abb. 4). Für den freirollenden Zustand genügt es, die Kontakttemperatur durch eine stationäre Betrachtung der Wärmeleitung zu bestimmen [2], [3]. Die Übertragung von Umfangskräften führt jedoch meist zu einem schnellen Anstieg der Gleitgeschwindigkeiten, sodass die instationäre Wärmeleitung [4] betrachtet werden muss. In [9] wird die Kontaktzeit eines gleitenden in der Analyse des Reibwärmeeinflusses berücksichtigt und die Temperaturentwicklung mit Gl. (1-2) bestimmt. 6 Abb. 4: 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 3 phases of temperature distribution tire tread und track, [9]. Im Reifen-Fahrbahn-Kontakt fließt über ein Fahrbahnsegment innerhalb der Zeit t T Gl. (1-3) ein Anteil der Reibwärme ab und erzeugt dadurch eine Wärmestromdichte Gl. (1-4). Die Kontaktzeit eines Reifensegmentes mit der Fahrbahn hingegen ist abhängig von der Gleitgeschwindigkeit (1-5). Geht man davon aus, dass die Verteilung der Reibwärme nur abhängig vom Temperatureindringkoeffizienten b von Reifen und Fahrbahn ist, so verteilt sich die eingeleitete Reibwärme zu einem Anteil (1-7) auf die Fahrbahn. Die mit Gl. (1-8) ermittelte thermische Kraftschlussgrenze wird erreicht, wenn die Reibwärme die Kontakttemperatur auf 0°C erhöht und das Aufschmelzen der vereisten oder verschneiten Fahrbahn an der kraftschlüssigen Wirkfläche einsetzt. (1-2) (1-3) (1-4) (1-5) (1-6) (1-7) (1-8) 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 7 Basierend auf Literaturangaben ist die thermische Kraftschlussgrenze für Eis und Schnee in Abb. 5 berechnet und dargestellt. Für ein im Vollkontakt befindliches Reifensegment setzt ein Aufschmelzen des Schneefahrbahnsegments im Vergleich zu Eis aufgrund der unterschiedlichen Temperaturleitwerte schon bei geringerer Reibleistung ein. Dieses Aufschmelzen verringert die über die Wirkflächen des Kraftschlusses übertragbaren Kraftanteile zwischen Reifen und Fahrbahn. In der Realität befindet sich der Reifengummi nur an den Rauhigkeitsspitzen der Fahrbahn in Kontakt, [10]. Die Oberfläche einer Eisfahrbahn ist im Vergleich zu einer Schneefahrbahn mit kristallinen Rauhigkeitsspitzen zumeist glatter, sodass auf Eis die tatsächliche Kontaktfläche größer ist. Abb. 5: Thermal limiting curve for ice and snow as µ(s) function, [9]. 2 Experiment 2.1 Messtechnik 2.1.1 Thermokamera Die eingesetzte Thermokamera besteht aus einer Optik, durch die die einfallenden Infrarotstrahlen gebündelt auf einen infrarotsensitiven Detektor gerichtet werden. Der eingesetzte Detektor zählt zu den Quantum Detektoren, die eine schnelle und sensitive Wärmebilderfassung ermöglichen. Um auch kleinste Änderungen der Infrarotstrahlung schnell zu erfassen, benötigt der Detektor eine separate Kühlung [6]. Diese Kühlung wird bei der eingesetzten Kamera durch einen Stirlingmotor erzielt. Die gemessenen Wärmebilder werden über eine Ethernetverbindung an einen Steuerrechner zur Speicherung und Visualisierung übertragen. Die gemessene einfallende Infrarotstrahlung kann aus Transmission-, Reflexionsund Emissionsanteilen eines Körpers bestehen. In dieser Veröffentlichung werden die Oberflächentemperaturen am Reifen diskutiert. Der schwarze Reifengummi wird als schwarzer Strahler angesehen. D.h. der Reifen absorbiert die eingeleitete Reibwärme und emittiert zu 100% die einfallende Infrarotstrahlung. Die Emissionsrate wurde aus diesem Grund bei den analysierten Wärmebildern auf 1 8 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 gesetzt (Tabelle 1). Der Einfluss des Betrachtungswinkels kann aufgrund des geringen Abstandes zwischen Reifen und Thermokamera, des hohen Emissionsgrades des Reifens und der im Vergleich zur Reifenoberfläche niedrigeren Umgebungstemperatur [14] als gering angenommen werden. Zur Prüfung der Plausibilität der Wärmebilder wurden die gemessenen Oberflächentemperaturen des frei rollenden Reifens mit der durch ein Kontaktthermometer gemessenen Reifenoberflächentemperatur vor der Messung verglichen. Tabelle 1: Technical data of the high speed infrared camera and settings of presented infrared images. Technical data detector type : emission rate : Setting InSb 0…1 1 integration time : 10…20000µs 400; 600 µs frame rate : up to 150 Hz 50; 100 Hz resolution : 320x256 pixels 297x210 pixels sensitivity : 4,13 mK Um Oberflächentemperaturen auf Schnee mittels Wärmebildkamera zu analysieren, ist abhängig von der Schnee bzw. Eisfahrbahn und der Wellenlänge eine Emissionsrate zwischen 0,9 und 1 zu wählen [11], [23]. Die Integrationszeit der Thermokamera kann mit der Belichtungszeit einer Fotokamera verglichen werden und wurde abhängig von den zu erwartenden Temperaturerhöhungen so gewählt, dass sich ein deutliches Wärmebild darstellt. Um ein Zusetzen der Kameralinse während der Aufnahme der Wärmebilder zu vermeiden, wurde die Kamera leicht schräg versetzt zum Reifenauslauf positioniert (Abb. 6). Die Betrachtung des Reifenauslaufs ermöglicht es, Oberflächentemperaturen kurz nach dem Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn zu messen. Zur Analyse der Oberflächentemperaturen wurden bei allen untersuchten Reifenprofilen die in Abb. 7 dargestellten 5 Bereiche und ein Pfad auf der Reifenoberfläche ausgewählt. 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 Abb. 6: High speed thermo camera focuses tires run out with a distance of 1.5 m. Abb. 7: Positions of discussed temperatures on tires surface at its run out. 9 2.1.2 Prüfstand Der Innentrommelprüfstand des Lehrstuhls in Abb. 8 wurde bereits von Weber [24] zur Untersuchung der Reifenkräfte auf Eis genutzt. Aufgrund des anhaltenden Interesses seitens der Industrie nach Forschungsergebnissen zum Kraftübertragungs- und Komfortverhalten von Reifen wurde und wird der Prüfstand stetig weiter entwickelt. Neben Messungen auf trockener und nasser Asphalt- bzw. Betonfahrbahn, können seit 2005 mittels einer installierten Schneeproduktionsanlage [1] auch Messungen auf verschneiter Fahrbahn unter Laborbedingungen durchgeführt werden. Aktuelle Forschungsthemen beschäftigen sich mit der Schallentwicklung am Reifen und deren Einfluss auf den Fahrkomfort [5], [12]. Die wesentlichen Kenndaten des Prüfstandes sind in der nachstehenden Tabelle zusammengefasst. 10 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 Tabelle 2: Technical data of Indoor drum test rig and max. tire size on snow and ice tracks. drum inner diameter : 3,80 m track surface : safety-walk, concrete, asphalt, ice, snow max. speed : 150 km/h ambient temperature : -20 ... +30 °C slip angle : -20° ... +20° camber angle : -10° ... +20° max. snow height : 80 mm width of snow track : 270 mm max. vertical, lateral, longitudinal 15 kN force : max. driving, overturning torque : 5500 Nm max. aligning torque : 1500 Nm max. tire diameter : 840 mm max. tire width : 275 mm Abb. 8: Schematic view of inner drum test bench. 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 11 2.1.3 Reifen Feinschnitte im Reifenprofil erhöhen zum Einen den Anteil eingespannter Fahrbahnsegmente (Abb. 3) durch die Anzahl der Lamellen- und Blockkanten. Zum Anderen bestimmt die Steifigkeit der Lamelle oder des Blockes die Schnitttiefe der einlaufenden Kante und deren Kippverhalten unter Tangentialkraft. Zur Untersuchung der Auswirkung von Feinschnitten eignen sich aufgrund Ihrer einfachen Profilgeometrie sog. technische Profile. Für die nachfolgenden Untersuchungen wurden aus diesem Grund die in Tabelle 3 dargestellten Reifenprofile verwendet. Während sich die beiden Profile im Profilflächennegativ (VOID) nicht unterscheiden, hat die Anzahl der Feinschnitte pro Block einen Einfluss auf die Steifigkeit und den CRIFF Faktor [16]. Der CRIFF Faktor ist ein Maß für die in Tangentialrichtung aktiven Profilkanten. Die Steifigkeitswerte zeigen, dass mit zunehmender Anzahl von Feinschnitten die Steifigkeit abnimmt. Die beiden Reifenprofile wurden zusammen mit 3 weiteren Profilen in einem Testprogramm hinsichtlich der übertragbaren mittleren Traktionskräfte auf Eis und Schnee am Innentrommelprüfstand des Lehrstuhls geprüft. Eine erhöhte Lamellenanzahl bzw. niedrigere Profilsteifigkeit oder höherer CRIFF-Faktor führt zu einer Steigerung der übertragbaren Traktionskräfte auf Eis und Schnee. Im Vergleich zur Kraftübertragung auf Eis zeigen auf Schnee die Ergebnisse einen ausgeprägteren Einfluss (Abb. 9). Dies lässt sich - aufgrund der Fahrbahnsteifigkeit auf den auf Schnee erhöhten Formschlussanteil zurückführen. Tabelle 3: Parameter of tested tires (dimension 205/55 R16) and the test conditions: v = 30 km/h; Fz = 4260 N; pi = 2,2 bar. without Sipes with 4 Sipes VOID / % 31,8 31,8 CRIFF / 1000 0,22 4,16 Specific Footprint Stiffness Longitudinal in N/cm³: 21,38 8,39 picture 12 Abb. 9: 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 Influence of number of sipes on average force transmission on ice and snow measured on the inner drum test rig. 2.2 Versuchsergebnisse 2.2.1 Versuchsablauf Zur Messung der übertragbaren Längskräfte auf Schnee wird der Testreifen auf die Fahrbahn abgesetzt und mit der Prüflast bei niedriger Geschwindigkeit belastet. Trommel und Rad werden anschliessend über den hydrostatischen Radantrieb auf die Testgeschwindigkeit beschleunigt. Vor der eigentlichen Traktionsmessung läuft der Reifen bei konstanter Geschwindigkeit 30 s auf der Fahrbahn, wodurch sich die Reifen- und Fahrbahntemperatur angleichen. Das Diagramm in Abb. 10 zeigt den Zeitverlauf der Messung. Darin sind die Größen Umfangsschlupf sx, Umfangskraftbeiwert µx, umgesetzte mechanische Leistung Pm Gl. (2-1) und mechanische Leistungsdichte qm Gl. (2-2) über der Zeit aufgetragen. Als Oberflächentemperaturen sind die Mittelwerte der in Abb. 7 gezeigten Regionen dargestellt. (2-1) (2-2) Innerhalb der Messung einer Traktionskennlinie erfolgt, nach einer Abkühlphase bei Prüfgeschwindigkeit, die Einleitung eines Bremsmomentes und anschliessend die Einleitung einer Antriebsleistung. Diese Antriebsleistung kann bis zum Formschlussmaximum im Wesentlichen als Traktionskraft (in Abb. 10 bei t ~ 1,3 s) umgesetzt werden. Nach dem Maximum gleitet der Reifen mit ansteigendem Schlupf (t = 1,25 ... 1,45 s). 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 13 2.2.2 Lamelleneinfluss Blockprofil mit 0 Lamellen Die gemessenen Oberflächentemperaturen steigen erst mit dem Anstieg des Radschlupfes an und erhöhen sich im betrachteten Fall um 3 °C. Vor dem Anstieg des Traktionskraftbeiwertes treten periodisch die Temperaturen des Rillengrundes (zwischen 2 Profilblöcken) auf. Der Rillengrund besitzt aufgrund der Walkwärme und des fehlenden direkten Kontaktes zur Fahrbahn eine um 3 °C höhere Temperatur verglichen zur Oberflächentemperatur der Profilblöcke. Die Wärmebilder in Tabelle 4 zeigen, dass sich in den ersten 2 Phasen (freies Rollen und Traktionskraftaufbau) wenig Änderung in der gleichmäßig verteilten Oberflächentemperatur ergibt. Unter hohem Schlupf („tire at high slip“ in Tabelle 4) erreicht die Oberflächentemperatur die Temperatur des Rillengrundes. Abb. 10: Transient data of selected surface temperatures during the transmission of traction force coefficient of tire without sipes on hard packed snow. Im Temperaturverlauf entlang des Profiles “path” in Abb. 11 übersteigt bei hohem Schlupf in diesem Fall die Oberflächentemperatur die Temperatur des Rillengrundes. Mit steigender Position entlang des Profilpfades nähert man sich dem Kontaktbereich und blickt aufgrund der Reifenkrümmung auf unterschiedliche Positionen des Rillengrundes bzw. der Blockflanke. Aus diesem Grund fällt die intervallmäßig auftretende Temperatur der Rille im frei rollenden Zustand ab. In der Nähe des Kontaktbereichs (Position 170 ... 270 in Abb. 11) steigt der Temperaturverlauf über einem Profilblock in 2 Fällen an. Der auslaufende Bereich eines Profilblockes gleitet über ein bereits erwärmtes Fahrbahnsegment, wodurch die Profilblocktemperatur in diesem Bereich höher ist. 14 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 Tabelle 4: Selected infrared images during the transmission of traction force of the tire without sipes on hard packed snow. free rolling t = 0,2 s; sx=0 % increase of traction t=1,2 s; sx=4 % tire at high slip t=1,37 s; sx=49 % Abb. 11: Surface temperature along profile of tire without sipes on hard packed snow (as higher position as closer to contact zone, o - lateral groove pos.). Blockprofil mit 4 Lamellen Die 4 Lamellen der Profilblöcke bewirken eine Erhöhung des übertragenen Kraftübertragungsbeiwert auf µx = 0,4 (t=1,4 s in Abb. 12). Der Anstieg der übertragenen mechanischen Leistung (Pm, qm) bedingt auch ein Ansteigen der kraftschlüssig übertragenen Leistung, die hauptsächlich die Reibwärmeentstehung bewirkt. So steigen die Oberflächentemperaturen in 3 von 4 Fällen um bis zu 5°C an und übersteigen damit die Temperatur des Profilgrundes. Die höheren Temperaturen in den Feinschnitten zwischen den Lamellen machen diese auch in den Wärmebildern der ersten zwei betrachteten Phasen in Tabelle 5 sichtbar. Die bereits beschriebene Temperaturerhöhung bei hohem Schlupf zeigt sich als relativ gleichmäßig über die Reifenoberfläche verteilt. In diesem Wärmebild erkennt man jedoch auch herausgeschleuderten Schnee, der sich durch die gestiegene mechanische Wirkung des Profils (Formschlussanteil) erklärt. 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 15 Der Verlauf der Temperatur über dem Reifenprofil in Abb. 13 verdeutlicht den Anstieg der Oberflächentemperatur über die Temperatur des Rillengrundes hinaus bei hohem Schlupf. Abb. 12: Transient data of selected surface temperatures during the transmission of traction force coefficient of tire with 4 sipes on hard packed snow. Tabelle 5: Selected infrared images during the transmission of traction force of the tire with 4 sipes on hard packed snow. free rolling t = 0,2 s; sx=0 % increase of traction t=1,2 s; sx=0,2 % tire at high slip t=1,68 s; sx=60 % Um den Anteil des Kraftschlusses an der gesamten Kraftübertragung identifizieren zu können, wurde die im Mittel entstehende Wärmestromdichte aus Gl. (1-4) und (1-6) in allen 4 beobachteten Bereichen (vgl. Abb. 7) mit der mechanischen Leistungsdichte bei maximalem Kraftbeiwert µx_max (Gl. (2-3)) ins Verhältnis gesetzt (Gl. (2-5)). Die Verhältniszahlen rm und rh ermöglichen es den Anteil des Kraftschlusses an der Kraftübertragung zu quantifizieren. Dafür wird angenommen, dass die Reibwärme hauptsächlich an den Flächen des Kraftschlusses entsteht. Es zeigt sich in Abb. 14, dass der Kraftschluss bei Profil ohne Lamellen überwiegt und 16 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 bei hohem Schlupf im Bereich der mechanischen Leistung liegt. D.h. alle zugeführte Leistung wird im hohen Schlupfbereich beim Reifen ohne Lamellen überwiegend in Reibwärme umgesetzt. Abb. 13: Surface temperature along profile of tire with 4 sipes on hard packed snow (as higher position as closer to contact zone, o - lateral groove pos.). (2-3) (2-4) (2-5) Abb. 14: Dependence of mechanical rate and heat rate on traction slip on hard packed snow. Beim Reifen mit 4 Lamellen wird im hohen Schlupfbereich (ab s x=20%) 50 bis 70% in Reibwärme umgesetzt. Der andere Anteil der zugeführten mechanischen Leistung 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 kann der mechanischen Scherwirkung Formschlusses zugeordnet werden. des Profils an 17 den Flächen des Bei niedrigem Schlupf liegt die entstehende Reibwärmestromdichte über der mechanischen Leistungsdichte. Diese Überhöhung kann mit dem plötzlichen Losbrechen des Haft- / Formschlusszustandes begründet werden, wodurch gespeicherte potentielle Energie der Profilstollenverformung den Schlupf um einen nicht direkt messbaren Anteil erhöht und dadurch die eingeleitete Reibwärmestromdichte über der eingeleiteten mechanischen Leistungsdichte liegt. 2.2.3 Fahrbahneinfluss Klassifizierung von Winter-Testfahrbahnen Die amerikanische Norm zur Messung der Traktionskräfte auf Schnee und Eis ASTM 1805 klassifiziert Testfahrbahnen in die in Tabelle 6 aufgeführten 5 verschiedenen Fahrbahntypen. Die Einordnung der Fahrbahn kann danach u.a. anhand des CTIPenetrometers durchgeführt werden. Tabelle 6: Classification of snow and ice test tracks using CTI-Penetrometer, ASTM 1805. CTI-Penetrometer CTI xSRTT_20…300% Description 50-70 0,18…0,22 Soft pack (new) snow 70-80 0,25…0,41 Medium pack snow 80-84 0,20…0,25 Medium hard pack snow 84-93 0,15…0,20 Hard pack snow >93 0,07…0,10 Ice-dry Der für dieses Messverfahren verwendete Standardprüfreifen (ASTM E 1136) zeigt sein maximales Kraftübertragungsverhalten auf medium packed snow. Der Reifen mit 4 Lamellen wurde zur Analyse des Fahrbahneinflusses neben den bereits gezeigten Ergebnissen auf „hard packed snow“ auch auf „medium packed snow“ und „ice“ getestet. Mittelfeste Schneefahrbahn (medium packed snow) Mit Anstieg des Schlupfes in Abb. 15 erreicht der Reifen bei sx=10% ein Haft- / Formschlussmaximum bei µx=0,487 (t = 1,38 s) und gleitet im Anschluss mit ansteigender Oberflächentemperatur bis auf einen Schlupf von 160%. Dabei erhöht sich die Oberflächentemperatur zuerst um 6°C und beim Anstieg von s x = 70 auf 18 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 160% nochmals um 6°C auf +2°C. Mit Überschreiten des Schmelzpunktes kann kein merklicher Abfall im übertragbaren Kraftbeiwert µ x beobachtet werden. Der Reifen mit 4 Lamellen kann auf dem hier verwendeten Fahrbahntyp „medium packed snow“ seine volle mechanische Wirkung entwickeln und den Hauptteil der Tangentialkräfte über die Schub- und Scherkräfte übertragen. Abb. 15: Transient data of selected surface temperatures during the transmission of longitudinal forces of the tire with 4 sipes on medium packed snow. Im Gegensatz zur bisher gezeigten Prüfmethode wurde an die Messung der Traktionskräfte auf der speziell präparierten Fahrbahn zusätzlich direkt im Anschluss ein Bremsmanöver (t > 5,5 s in Abb. 15) durchgeführt. Beim Bremsen erhöht sich die Kontaktzeit eines Profilelementes mit der Fahrbahn, wodurch die eingeleitete Reibwärmestromdichte eine größere Schicht des Profilblockes erwärmen kann. Dieser Aspekt und die reduzierte Drehgeschwindigkeit des Rades führt dazu, dass die gemessenen Oberflächentemperaturen sich unter Bremsschlupf weniger schnell erhöhen (t=5,5 ...6s). Durch die auf dieser Schneefahrbahn erhöhte mechanische Wirkung des Reifenprofils wird innerhalb der Wärmebilderfassung ein Teil der Reifenoberfläche insbesondere bei hohem Schlupf von herausgeschleuderten Schneepartikeln verdeckt. Aus diesem Grund wurden in Abb. 15 nur 2 Temperaturen aufgetragen. Die unterschiedlich starke Erhöhung der Oberflächentemperaturen bei s x=70% (high traction slip I) und sx=160% (high traction slip II) ist auch in den Wärmebildern erkennbar. Durch die hohe Raddrehzahl sind die Rillen zwischen den Profilblöcken bei sx = 160% nicht mehr eindeutig zu lokalisieren. Zwischen Traktion- und Bremstest läuft der Reifen eine kurze Zeit frei, reduziert dabei aber nicht die Oberflächentemperatur. Innerhalb des Bremstests wird die Radgeschwindigkeit soweit reduziert, dass die einzelnen Feinschnitte des Profils deutlich erkennbar 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 19 werden. Im Gegensatz zur Traktion sammelt sich beim Bremsen auf Schnee im Profil viel mehr abgescherter Schnee der, wie das Wärmebild zur Bremsphase („braking“) zeigt, in großen Teilen aus dem Profil herausfällt. Tabelle 7: Selected infrared images during the transmission of longitudinal forces of the tire with 4 sipes on medium packed snow. free rolling t = 1 s; sx=0 % high traction slip I t=1,64 s; sx=61 % free rolling t = 5 s; sx=0 % braking t=5,61 s; sx=-31 % high traction slip II t=4 s; sx=158 % Eis Bei einer zu den Versuchen auf Schnee vergleichbaren Umgebungstemperatur wurden Kraftschlussmessungen auf Eis durchgeführt. Der Reifen mit 4 Lamellen erreichte auf Eis einen maximalen Traktionskraftbeiwert von µx=0,197. Im ersten Teil der Messung wurde die Bremskraftübertragung gemessen, worin die Oberflächentemperatur maximal um 7°C ansteigt. Ausgehend von einer erhöhten Oberflächentemperatur von -7°C erfolgt im Bereich der Traktionsmessung ein Überschreiten der Schmelztemperatur von 0°C. Die Temperaturverteilung auf der Reifenoberfläche wird für 3 Phasen in Tabelle 8 gezeigt. 20 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 Abb. 16: Transient data of selected surface temperatures during the transmission of longitudinal force coefficient of tire 4 sipes on ice at -10°C ambient temperature. Tabelle 8: Selected infrared images during the transmission of longitudinal forces of tire with 4 sipes on ice at -10°C ambient temperature. free rolling t = 1 s; sx=0 % high braking slip t= 3,31 s; sx=-80 % high traction slip t= 5,19 s; sx=136 % Um den Fahrbahneinfluss auf die erzeugte Wärmestromdichte unabhängig vom erzielten Kraftbeiwert beurteilen zu können, wurden Wärmestromdichte und erzeugte mechanische Leistungsdichte durch die Verhältniszahlen rh aus Gl. (2-4) und rm aus Gl. (2-5) in Abb. 17 über dem Schlupf sx aufgetragen. Aus den Verläufen von rm läßt sich der zum Kraftmaximum zugehörige Schlupf ablesen. Auf Eis und mittelfester Schneedecke liegt das Kraftmaximum bei sx=10%. Die nach dem Tangentialkraftmaximum übertragenen Kräfte fallen auf Eis und harter Schneefahrbahn deutlich ab. Auf Eis wird zu einem höheren Anteil die mechanische Leistung in Reibwärme umgesetzt. Im Vergleich dazu ist auf der mittelfesten 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 21 Schneefahrbahn der Anteil der Reibwärmeentwicklung mit 20% bei hohem Schlupf im Vergleich zur mechanischen Leistung sehr gering. Abb. 17: Mechanical and heat rate versus traction slip on different track conditions. Der Vergleich der Wärmeleistungsdichte mit der mechanischen Leistungsdichte zeigt im Mittel des Schlupfbereiches 10 bis 40%, dass mit der Härte der Fahrbahn der Anteil der Wärmeleistung ansteigt (Abb. 18) und damit der Anteil des Formschlusses abnimmt. Abb. 18: Average rate of developed friction heat on mechanical power on different track conditions within the slip range 10 to 40%. 22 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 3 Formelzeichen und Indizes Zeichen Einheit Beschreibung Temperatureindringkoeffizient F P N Kraft m Höhe unkomprimierter Schnee m wirksame Länge des eingespannten Fahrbahnsegmentes Leistung W N/m² Mittlere Kontaktpressung N/m² Reifeninnendruck W/m² Wärmestromdichte r - Verhältniszahl s - Schlupf t s Zeit v m/s VOID - Anteil Profilflächennegativ - Anteil des Reibwärmeflusses zur Fahrbahn m Höhe komprimierter Schnee m Eindringtiefe der einlaufenden Kante - Kraftübertragungsbeiwert °C Index Geschwindigkeit Temperatur Beschreibung h thermisch m mechanisch T Fahrbahn Ti Reifen x Längs- o. Umfangsrichtung z Vertikale Richtung 19. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik 2010 23 4 Literatur [1] BOLZ, G. Entwicklung eines Prüfverfahrens für Reifenmessungen auf Schnee im Labor. Universität Karlsruhe (TH): Dissertation Aachen: Shaker Verlag 2006. [2] BARNES, P.; TABOR, D.; WALKER, J.: The Friction and Creep of Polycrystalline Ice. 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