Neapel vor dem Aus - Faszination Fankurve

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Neapel vor dem Aus - Faszination Fankurve
Fan-News
Neapel vor dem Aus
Mit aller Kraft versuchen die Fans, den Zwangsabstieg
des italienischen Traditionsclubs zu verhindern.
A
m Fuße des Vesuvs droht einer
der fußballverrücktesten Städte
der Welt das bisher Unvorstellbare. Den SSC Neapel, 1989 noch UEFAPokal-Sieger, drücken 70 Millionen Euro
Schulden, seit Monaten wurden keine
Spielergehälter mehr gezahlt. Nur allzu
konsequent, dass ein Konkurs folgen
musste und somit keine Lizenz für die
kommende Saison in der Seria B erteilt
wurde – ein schwerer Schlag für die Tifosi.
In dem Bemühen, ihren Club in der
zweithöchsten Spielklasse zu halten, haben die Fans eine Rettungsaktion ins Leben gerufen. Sie läuft unter dem Motto
„Orgoglio Napoletano“ (Neapolitanischer
Stolz). Bisheriger Höhepunkt: Bei einer
Versammlung kamen 40.000 Menschen
ins Stadion San Paolo um mit ihren 5 Euro
Eintritt zur Rettung beizutragen. Es gab
eine Gala, bei der die Tore Maradonas auf
Großleinwand gezeigt wurden und bei der
der einheimische Sänger und Schauspieler Nino D’Angelo (nicht zu verwechseln
mit dem deutschsprachigen Schlagersänger) auftrat. Er ist – spätestens seit er vor
17 Jahren einen Film für die Napoli-Ultras
(„Quel ragazzo della curva B“) produzierte – bei den Fans hoch angesehen.
Am folgenden Tag gab es eine weitere
Demonstration auf der „Piazza Municipio“ in der Innenstadt, bei der ca. 20.000
Fans anwesend waren. Ganz Neapel
hing zu diesem Zeitpunkt längst voll mit
Spruchbändern und Plakaten. Zudem
werden Unterschriften für eine Petition
gesammelt, die Ministerpräsident Berlusconi und Staatspräsident Ciampi vorgelegt werden soll – rund eine Millionen Signaturen kamen bereits zusammen. Auch
Bürgermeisterin Rosa Russo Iervolino
macht sich für den Club stark.
Nicht nur deshalb wird das Schicksal
Napolis immer mehr zum Politikum, wel-
ches den latent schwelenden Konikt zwischen Italiens reichem Norden und dem
strukturschwachen Süden anstachelt. Die
Lega-Nord-nahe Zeitung „La Padania“
begrüßte den Lizenzentzug in den letzten Wochen mit hämischen Schlagzeilen.
Wenn wir die Klasse jetzt noch halten,
dann steckt in den Spielen wie zum Beispiel gegen Verona noch mehr Brisanz“,
sagt Matthias Bürgel (24), der wegen seines SSC in Italien studiert und so regelmäßig bei den Spielen dabei sein kann.
„Neapel ist das Herz von Süditalien.
Der Verein ist ein Symbol für unseren
Stolz, aus Süditalien zu kommen“, erklärt
der gebürtige Neapolitaner Elio Lo Conte
(51), der heute in den Niederlanden lebt
und auf der teilweise englischsprachigen
Seite Clubnapoli.it die mit 3.100 Mitgliedern aus 52 Ländern größte Napoli-Internet-Community der Welt betreibt.
Ohnehin ticken die Uhren in Neapel
ein wenig anders, alles ist eine Spur fanatischer. Die Protagonisten der Kurve haben einen Status, wie er in Deutschland
unvorstellbar wäre. Gennaro Montuori
war früher der Capo der „Curva B“ und
machte sich durch die Inszenierung aufwendiger Choreograen einen Namen
(zur Meisterschaft ließen er und seine
Helfer ein Feuerwerk in den italienischen Nationalfarben hinter dem Vesuv
aufsteigen). Jetzt ist er Herausgeber vom
monatlich erscheinenden Fan-Magazin
„UltrAzzurro Stadio“. „Palummella“
(dt.: Taube), wie Montuori genannt wird,
gilt in Neapel als lebender Mythos. Er hat
nicht nur eine eigene Fernsehshow, die
sich mit dem Club beschäftigt, sondern
war auch bei der Hochzeit von Maradona
in Buenos Aires und gab die DVD „Maradio“ (ein Wortspiel aus „Maradona“ und
„Dio“ = Gott) heraus. Und der steht in
Neapel immer noch über allen. „Er war
Choreografie des SSC-Fans gegen Juve Mitte der 90er Jahre
Stadionwelt 09/2004
Foto: Redmann
der größte Spieler in der Zeit, in der wir
europäische Spitze waren. Wir lieben ihn
noch immer und auch wenn es ihm gerade sehr schlecht geht, versuchen wir
immer, ihm unsere Grüße zukommen
zu lassen.“ Von 1984 bis 1991 trug er das
blaue Trikot, aber noch heute gibt es in
der Altstadt-Straße Spaccanapoli einen
von Schulklassen besuchten MaradonaWandaltar und die Fans singen über ihn
Dutzende Lieder im neapolitanischen
Dialekt. Und auf die Herkunft legt man
hier besonderen Wert. Auch die Zugehörigkeit zur Fan-Gruppierung richtet
sich stark nach dem Stadtteil aus dem
man stammt. Dominiert wird die Fanszene heute von den Mastiffs (die seit 1991
bestehende Gruppe ist heute mit 900
Mitgliedern die größte des Clubs), Teste
Matte, Bronx, Vecchi Lions, Masseria,
Brigata Carolina (alle „Curva A“) sowie
den Ultras Napoli (die Nachfolge-Organisation des vor zwei Jahren aufgelösten Commando Ultra) und den Fedayn
(„Curva B“). Sie pegen vor allem zu den
Fans von Genua 93 ein gutes Verhältnis.
In welcher Liga der Verein unterdessen nächstes Jahr spielen wird, ist noch
höchst unklar. Ginge es nach dem zivilen
Gerichten, wäre das in der Seria B, würde sich der Verband (FIGC) durchsetzen,
würde der Club in die Seria C1 integriert
werden. Durch den Bankrott des Vereins, hätte der Verband die Möglichkeit,
die Napoli-Lizenz für 5 Millionen Euro
in der Seria C an einen neuen Club in
Neapel zu veräußern. Erst kürzlich hatte
das Olympische Komitee Italiens (CONI)
eine Regelung erlassen, dass in KonkursFällen die Lizenz innerhalb einer Stadt,
allerdings eine Liga tiefer übernommen
werden kann. Es ist auch nicht völlig
ausgeschlossen, dass in der kommenden
Saison gar nicht gespielt wird. „Man hört
jeden Tag was Neues. Ich habe selber keine Ahnung, in welcher Liga es losgeht“,
so Elio Lo Conte. Genaueres weiß man
wahrscheinlich erst beim Liga-Start am
12. September. Der Spielplan der Seria C
wurde inzwischen mit einem „x“ veröffentlicht. ��Maik Thesing
Fan-Aktion im Spiel gegen den AS Rom in der Saison 00/01
Foto: Redmann
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