Interview mit Carlo Balestri
Transcription
Interview mit Carlo Balestri
Nur Stein des Anstoßes? Livorno-Fans in Genua Foto: Mazzarella Interview mit Carlo Balestri von „Progetto Ultra“ „Politik ist oft nur Staffage“ In letzter Zeit waren in den italienischen Stadien wiederholt Fahnen und Transparente mit politischem Inhalt zu sehen. Stadionwelt sprach mit Carlo Balestri vom „Progetto Ultra“, Organisator der jährlich stattfindenden Mondiali Antirazzisti, über die aktuelle Entwicklung. Stadionwelt: Immer öfter machen Italiens Kurven Schlagzeilen aufgrund politisch extremer Symbole. Wie ist diese gegenwärtige Situation zu beurteilen? Gibt es immer mehr Politik in italienischen Kurven? Carlo: Nein. Die Tendenz ist nicht steigend; es ist nur so, dass seit dem Aufstieg Livornos in die Serie A viele eher rechtsgerichtete Kurven, darunter eben Roma oder Lazio, von den Begegnungen profitieren, um ihre ideologische Gegenposition als Antwort auf den Linksextremismus der Livornesen kundzutun. Politische Symbolik, gerade von rechts, gab es in der zweiten Hälfte der 90er Jahre viel häufiger, das war aber auch mehr eine Modeerscheinung. Stadionwelt: Wie viele der Ultras in den politisierteren Kurven sind auch wirklich politisch aktiv und wie viele sind nur Mitläufer? Carlo: Es wird immer gesagt, dass die Forza Nuova die Kurven durchdringt. Wenn die FN damit wirklich Erfolg hätte, wären bei ihren Demonstration mehrere Tausend Personen auf der Straße – tatsächlich sind es nur 50 oder 100. Bei der Roma etwa gibt es außer den Fedayn und den Boys eigentlich nur noch kleinere Gruppen, Freundeskreise, die ins Stadion gehen. Darunter etwa auch die tradizione e distinzione, die wirklich rechtsradikal ausgerichtet sind – aber lass das überhaupt mal 20 Personen sein… Stadionwelt: Ist die Politik also öfter nur Staffage, als dass wirk- Stadionwelt April/Mai 2006 lich radikales Gedankengut dahintersteht? Carlo: Ja, viele kümmern sich nach dem Spiel überhaupt nicht um Politik. Sie übernehmen vielleicht die Symbolik, aber sie praktizieren die politischen Ideale nicht im Leben. Auch bei der Roma: Viele preisen im Stadion den Duce, und dann kiffen sie sich eine… Die Irriducibili von Lazio sind schon deutlich rechtsextrem, aber sie hängen auch keiner Partei an, die politische Linie ist die der Irriducibili Lazio als Gruppe. Stadionwelt: Welchen konkreten Nutzen haben politische Beziehungen für eine Gruppe? Carlo: Eigentlich keinen. Politiker können natürlich versprechen, Gesetze für die Ultras zu machen, aber das hängt ja dann vom einzelnen Politiker ab. Stadionwelt: Welche Probleme entstehen durch die Politik für eine Kurve? Carlo: Ich möchte auf keinen Fall den Lehrmeister spielen; jede Kurve muss selbst entscheiden, welche Linie sie vertritt. Klar ist natürlich, dass sich ein linker Fan in Ascoli, oder ein rechter in Livorno, wenig von der Kurve repräsentiert fühlt. Dabei sollte die Kurve eigentlich vereinen. Zum Beispiel bei Sampdoria: Da haben sich immer alle zusammengefunden; es gibt keine politische Ausrichtung; die Kurvenpolitik ist das, was gelebt wird: die Unterstützung der Sampdoria. Stadionwelt: Wie siehst Du die zukünftige Entwicklung? Carlo: Was Politik in der Kurve anbelangt, wird sich nicht viel ändern; nur der Staat wird die Repressionen weiter verschärfen. Aber das einzige was dabei herauskommt, sind immer mehr Jugendliche, die die Institutionen hassen. Die Zukunft sieht nicht rosig aus, aber irgendwie wird’s schon weitergehen. 81