Ancona und Livorno

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Ancona und Livorno
1
Ancona und Livorno:
Das Modell der florierenden Hafenstadt (16. bis 19. Jahrhundert)
Inauguraldissertation
der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern
zur Erlangung der Doktorwürde vorgelegt von
Patrick Krebs
von Rüeggisberg
Selbstverlag, Bern 2010
2
Von der Philosophisch-historischen Fakultät auf Antrag von
Prof. Dr. Desanka Schwara und Prof. Dr. Heinrich R. Schmidt angenommen.
Bern, den 15. Oktober 2010
Der Dekan: Prof. Dr. Heinzpeter Znoj
3
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ...................................................................................................................................... 6
Einleitung: Das Modell der florierenden Hafenstadt ................................................................. 7
1. Thema: Zeit, Gegenstand, Raum ...................................................................................... 8
2. Methoden........................................................................................................................ 17
3. Forschungsstand ............................................................................................................. 18
4. Quellen ........................................................................................................................... 24
5. Aufbau der Arbeit........................................................................................................... 26
Teil I: Hintergründe, Voraussetzungen, Vorgeschichten
1.
Diasporische Wege nach Ancona und Livorno ......................................................... 28
2.
Mediterrane Netzwerke der Kaufleute: Menschen, Orte, Waren .............................. 33
2.1
Der geographische Hintergrund: Beziehungsnetze.................................................... 33
2.2
Ancona und Livorno als Ausgangs-, Treff- und Endpunkte...................................... 37
3.
Anconas und Livornos Werden zu kosmopolitischen Wirtschaftszentren:
Der Hafen und die Stadt............................................................................................. 45
3.1
Der wirtschaftliche Hintergrund: Der Hafen ............................................................. 45
3.2
Der wirtschaftspolitische Hintergrund: Kirchenstaat und Toskana ........................... 48
3.2.1
Ancona im Kirchenstaat............................................................................................. 48
3.2.2
Livorno in der Toskana.............................................................................................. 57
4.
Anconitanische und livornesische Wirtschaftsgeschichte: Das Umfeld.................... 66
4.1
Die Iberische Reconquista und das Vorrücken des osmanischen Reiches ................ 66
4.2
Die Ponentisierung des internationalen Handels ....................................................... 73
4.2.1
Frankreich .................................................................................................................. 73
4.2.2
England und Holland ................................................................................................. 76
4.3
Machtverschiebungen auf der Apenninhalbinsel....................................................... 79
4
Teil II: Von der Idee zur Umsetzung
5.
Obrigkeitliche Vorstellungen der idealen Hafenstadt................................................ 85
5.1
La Livornina: Der standfeste Boden einer rosigen Zukunft ...................................... 85
5.1.1
Die Idee porto franco................................................................................................. 85
5.1.2
Die wachsende Stadt .................................................................................................. 87
5.1.3
Die judenfreundliche Stadt ........................................................................................ 93
5.1.4
Die zwecksgerichtete Stadt – Pest, Hunger und Krieg als Chance............................ 98
5.2
Ancona als ökonomische Zwecksgemeinschaft: Päpstliche Einwanderungspolitik 102
6.
Kaufmännische Vorstellungen über die neue Heimat in der Diaspora.................... 107
6.1
Wirtschaftliche Möglichkeiten................................................................................. 110
6.1.1
Verdienstmöglichkeiten im benachbarten Handelszentrum .................................... 110
6.1.2
Wahl Ancona trotz Distanz und Divergenzen:
Muslime, Griechen, Armenier und Westeuropäer ................................................... 121
6.1.3
Wahl Livorno trotz Distanz und Divergenzen: Aus Südosten und Nordwesten ..... 133
6.1.4
Sonderfall Ancona, Sonderfall Livorno – Handelspotenziale für Juden ................. 158
6.1.5
Schuldentilgung und Amnestie ................................................................................ 174
6.1.6
Entwicklungsmöglichkeiten: Vom Seemann zum Kaufmann zum Kulturmann ..... 177
6.2
Soziale und kulturelle Entfaltungen......................................................................... 181
6.2.1
Bewusstwerden der eigenen Kultur in der Fremde – griechische Erfahrungen....... 181
6.2.2
Über die Kunst in die Gesellschaft – der armenische Mäzen Giorgio Moratto....... 183
6.3
Die Suche nach dem religiösen Frieden................................................................... 186
6.3.1
Ragusanisches Streben nach Kontinuität ................................................................. 186
6.3.2
Katholiken und Juden .............................................................................................. 187
6.4
Bedürfnis nach Unterstützung: Konsule als Interessenvertreter .............................. 192
7.
Reibungsflächen bei der Interaktion: Unterschiede und Übereinstimmungen ........ 198
7.1
Der mühsame Weg zur religiösen Gleichheit in Livorno ........................................ 198
7.1.1
Protestantische Anstrengungen................................................................................ 200
7.1.2
Griechisch-orthodoxe Bemühungen ........................................................................ 205
7.2
Störungen und Ungastlichkeiten in Ancona ............................................................ 208
7.3
Livornesische Verlierer............................................................................................ 213
7.4
Messianische Zwischentöne..................................................................................... 214
5
Teil III: Resultate und Auswirkungen
8.
Das veränderte Stadtbild: Bewohner und Infrastruktur ........................................... 219
8.1
Architektonische Wirtschaftsstützen ....................................................................... 219
8.1.1
Anconas Strukturierung der Küste........................................................................... 219
8.1.2
Das anconitanische Freihafenlazarett: Hort der Gründlichkeit und der Disziplin ... 222
8.1.3
Livornos Werden zur Stadt ...................................................................................... 226
8.2
Transformationsprozesse in den Augen der Reisenden ........................................... 228
8.2.1
Faszinosum Ancona ................................................................................................. 230
8.2.2
Vom Eldorado zum verdorbenen Livorno ............................................................... 231
9.
Zugewanderte Händler zwischen Integration und Ausschluss ................................ 237
9.1
Integration in Ancona: Möglichkeiten und Hürden ................................................. 242
9.2
Integration auf livornesisch: Massnahmen der Regierung und der Händler............ 245
9.3
Sprachliche Verständigung und kulturelle Selbstbestimmung ................................ 250
9.4
Katholische Abwehrmechanismen........................................................................... 257
9.4.1
Das collegio illirico.................................................................................................. 258
9.4.2
Das Pilgerwesen....................................................................................................... 261
10.
Fazit.......................................................................................................................... 265
Anhänge ................................................................................................................................. 271
1. La Livornina (Zusammenfassung) ............................................................................... 271
2. Abkürzungen und Glossar ............................................................................................ 275
3. Quellen- und Literaturverzeichnis................................................................................ 278
Ungedruckte Quellen........................................................................................................ 278
Gedruckte Quellen und Literatur...................................................................................... 280
6
Vorwort
Auf dem Weg zu dieser Dissertation haben mich viele Personen begleitet. Ihre Unterstützung,
ihre Anregungen und Kritiken waren sehr hilfreich und wohlwollend.
Sehr dankbar bin ich Prof. Dr. Desanka Schwara, die meine Arbeit immer mit Engagement
und Geduld wegweisend geprägt hat. Sie war die umsichtige Chefin, im Rahmen des SNFForschungsprojektes „Entgrenztes Europa“, und die motivierende Doktormutter zugleich.
Für das Koreferat möchte ich mich bei Prof. Dr. Heinrich Richard Schmidt bedanken.
Wichtige Anregungen zum Thema und zur Konzeption kamen von Prof. Dr. Marina
Cattaruzza.
Auch ausserhalb der Universität Bern traf ich auf hilfsbereite Personen, denen ich hier meinen
Dank aussprechen möchte. Während der Archivaufenthalte in Italien genoss ich die volle
Aufmerksamkeit der Mitarbeiter des Archivio di Stato in Ancona und in Livorno. Durch einen
Hinweis von Ivo Haag kam ich in Kontakt mit Prof. Marco Moroni von der polytechnischen
Universität der Marken in Ancona. Er deckte mich mit der neusten Fachliteratur ein und in
langen Gesprächen gab er mir hilfreiche Tipps, genauso wie sein Kollege Tommaso
Giancarli, der mir einige einschlägige Notariatsakten empfehlen konnte.
Sehr genossen habe ich die Teamarbeit in meinem Arbeitsbüro an der Erlachstrasse in Bern.
Luise Müller, Jérôme Brugger, Ivo Haag und Marcel Gosteli füllten den kahlen Raum mit
Leben, Lachen, Musik, Speis und Trank.
Im privaten Umfeld bedanke ich mich besonders bei meiner Schwester Rebekka Krebs, die
das Manuskript akribisch gelesen und korrigiert hat, sowie bei allen – nur hier namenlosen –
Freunden und Verwandten, die mich ausgehalten haben, immer dann, wenn ich über die
Dissertation sprechen wollte und auch immer, wenn ich explizit nicht darüber sprechen
wollte.
Bern, im Mai 2010
7
Einleitung: Das Modell der florierenden Hafenstadt
Mentale Landkarten schreiben die Geschichte nicht neu, sie erlauben aber neue Sichtweisen
auf bereits Geschriebenes. Sie haben viele Erschaffer, sie sind umstritten in der Auslegung
und mannigfaltig in der Umsetzung. Solche innere Bilder bewegen Welten, gestalten Räume
und begleiten Biographien. Mentale Landkarten sind die Produkte der menschlichen
Beschäftigung mit seiner Umwelt, Lebensorte wie Dörfer und Städte, die materielle Erfüllung
der Wünsche. Werden die Karten ausgerollt, öffnen sich historische Felder. Prozesse in
Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft werden durch den Ausdruck von Wünschen und
Vorstellungen sichtbar.
Ausgehend von den beiden Hafenstädten Ancona und Livorno werden in dieser Arbeit diese
Entwicklungen hervorgehoben, das Entstehen von urbanen Räumen im Zeitfluss der mentalen
Landkarten. Es geht um chronologische Prozesse, geschaffen von Menschen, erkennbar in
städtischen Strukturen. In den Fokus werden politische Herrscher, die ihr Territorium nach
bestimmten Leitlinien führten, und zugewanderte Kaufleute, die durch biographische Brüche
und Kontextveränderungen neue Herausforderungen suchten oder suchen mussten,
genommen. Die Vorstellungen der eigenen Gegenwart und Zukunft werden kontrovers
angeschaut, als ein Wettstreit um die Vormacht der eigenen Wünsche. Obrigkeitliche und
kaufmännische Ziele werden auf ihre Übereinstimmungen und Widersprüche hin überprüft.
Händler zogen vor allem im 16. und 17. Jahrhundert zahlreich in erfolgsversprechende
Hafenstädte im Mittelmeerraum. Diese Studie setzt hier an, um darzustellen, wer, wann, wie
und warum in Ancona und Livorno leben wollte. Welche Gedanken trieben sie an, wie
wurden sie angezogen? Die zentrale Fragestellung sucht nach den Richtungen der
obrigkeitlichen und kaufmännischen Antriebe, ihre räumliche Umgebung mitzugestalten. Wo
trafen
sie
sich,
wo
zielten
sie
aneinander
vorbei?
Was
resultierte
aus
den
Auseinandersetzungen? Ancona und Livorno sind als immer wieder neu erfundene, städtische
Konzepte zu verstehen, als Imaginationen seiner Regenten und Bewohner über ideale Wohn-,
Arbeits-, Lebens- und Kulturplätze – die Stadt als „eine gebaute Fiktion“1.
1
Gerd Held: Der städtische Raum als Voraussetzung des Sozialen. In: Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für
die Stadtforschung. Hg. von Helmuth Berking, Martina Löw. Frankfurt a. M. 2008, S. 193.
8
1. Thema: Zeit, Gegenstand, Raum
„Ein Ort auf der Landkarte ist auch ein Ort in der Geschichte.“2
Dieses Buch befasst sich mit zwei italienischen3 Hafenstädten und mit der Frage, wie ihre
Stadtbilder im Verlauf der Geschichte durch Obrigkeiten und Zugewanderte gestaltet wurden.
Die Eckdaten der Untersuchung bilden die Jahre 1591/93 und 1868. In Livorno wurde
1591/93 durch die Leggi Livornine4 – kurz auch Livornina – die Basis zum porto franco
(Freihafen) gelegt, der 1675 umfassend eingeführt wurde. Livorno entwickelte sich vom
Fischerdorf zur Stadt. 1732 wurde Ancona zur città franca erklärt. Während der Freihafen in
Livorno den wirtschaftlichen und demographischen Aufschwung einläutete, war dieselbe
Proklamation in Ancona 1732 ein letzter Versuch zu alter wirtschaftlicher Grösse zurück zu
finden. Diese Hoffnung musste mit der Einigung Italiens und endgültig 1868 mit der
Konstitution eines italienischen Zollsystems, was das Ende der porti franchi in Ancona, aber
auch in Livorno, bedeutete, begraben werden. Die Livornina wurde bereits 1847 ausser Kraft
gesetzt.5
Der Zeitraum ist bewusst weit gehalten, da mentale Landkarten und deren Auswirkungen nur
langfristig betrachtet werden können. Die Umsetzung der Absichten in die alltägliche, reale
Welt und deren Folgen sind erst in der Langzeitperspektive zu sehen. Gegenvorschläge und
Einwände verzögerten die Realisierung der Projekte aller Parteien. Startpunkt sind die Jahre,
als sich Ancona und Livorno grundlegend veränderten, da viele Zuwanderer die Orte
aufsuchten, Epochen also, in denen besonders viele mentale Landkarten geöffnet wurden. Die
Studie endet zeitlich mit der Auflösung Anconas und Livornos im italienischen Nationalstaat.
Die immigrierten Händler waren integriert oder wieder abgereist, die lokalen Herrscher im
Kirchenstaat und in der Toskana weitgehend entmachtet.
2
Adrienne Rich: Notes Toward a Politics of Location. Zitiert nach Fernando Coronil: Jenseits des
Okzidentalismus: Unterwegs zu nichtimperialen geohistorischen Kategorien. In: Jenseits des Eurozentrismus:
Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Hg. von Sebastian Conrad, Shalini
Randeria. Frankfurt a. M. 2002, S. 177.
3
Wenn von Italien, Italiener resp. Italienerin und italienisch die Rede ist, dann beziehen sich diese Begriffe auf
Orte, Menschen und Dinge, die rein geographisch betrachtet im heutigen Italien anzusiedeln sind, obwohl es zu
ihrer Zeit noch kein Italien gab. „Italienisch“ steht in der Folge vereinfachend für historische Begebenheiten oder
Phänomene, die auf der Apenninhalbinsel geschahen, aber nicht genauer eingestuft werden können.
4
Die Erlasse vom 30. Juli 1591 und 10. Juni 1593 sind praktisch identisch. Beide zusammen gelten als die
verfassungsgebende Konstitution, die Livorno über Jahrhunderte hinweg geprägt hat. Die Originaltexte Privilegi
de’ mercanti levantini et ponentini (30. Juli 1591) und Ampliatione de’ privilegi di mercanti levantini et
ponentini (10. Juni 1593) sind abgedruckt in: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse, S. 139-147, S. 153161.
5
Umberto Cini: La trajectoire de deux communautés marchandes à Livourne entre le XVI et le XX siècle. In:
Arméniens et Grecs en diaspora: Approches comparatives. Hg. von Michel Bruneau u.a. Athen 2007, S. 101.
9
Die Untersuchungsobjekte sind einerseits die mentale Landkarten zeichnenden Menschen in
Ancona und Livorno: Politische Herrscher, weltliche wie kirchliche, und einflussreiche
Persönlichkeiten der Gesellschaft, hauptsächlich Kaufleute. Andererseits werden die
greifbaren Produkte der mentalen Landkarten analysiert: In diesem Fall zwei Städte im
demographischen Umbruch. Ancona war lange Zeit ein bedeutender Hafen im Adriatischen
Meer, der vor allem Wirtschaftspersonal aus dem Osten, insbesondere von der dalmatinischen
Küste anzog. Hier lebten Menschen unterschiedlichster kultureller Prägung. Vom Osten her
kamen einerseits Slaven und Albaner, vor allem aus Ragusa (heute: Dubrovnik/Kroatien),
andererseits Griechen, osmanische Muslime und Armenier, aus dem Westen iberische Juden
und Katalanen, aus der näheren Umgebung Personen aus Florenz, Genua und Venedig und
aus dem Norden Flamen, Engländer, Franzosen und Deutschsprachige aus München, Köln
und Hamburg. Auch am Tyrrhenischen Meer in Livorno trafen Menschen verschiedenster
Herkunft und Religion aufeinander: Es gab eine griechische, eine armenische, eine siromaronitische, eine englische, eine holländisch-deutsche, eine französische, eine korsische,
eine portugiesische, eine jüdische und eine muslimische Gemeinschaft.
Der Fokus dieser Untersuchung verdichtet sich auf Kaufleute, weil sie berufeswegen mobil,
sprich viel unterwegs, waren. Sie fallen bei den Mobilen, die es immer gab, dadurch auf, dass
sie oft die Ersten und die Schnellsten waren, zudem waren sie in der Kommunikation am
besten organisiert, pflegten weit reichende Kontaktnetze, wussten ihr Geld zu verwalten und
konnten lesen und schreiben. Sie waren es, die Nachrichten verbreiteten, Waren kauften,
bezahlten und verkauften. Dadurch vermittelten sie bildhaft nicht wenige Male scheinbar
arme und dezentral abgelegene Orte als reiche und lebenswerte Wohn- und Lebensräume.6
Die Händler reisten viel, doch dazwischen lagen immer wieder mehr oder weniger lange
Halte. Wenn sie in Ancona oder Livorno einkehrten, dann werden ihre Fährten aufgenommen.
Einmal in der Stadt angekommen, hinterliessen sie dort auch Spuren. Anhand dieser Spuren
will diese Untersuchung die Lebenswelt dieser Weltenbummler aufzeigen. Wie sah ihr
Lebensumfeld aus? Wo wohnten sie? Eingepfercht in einem Ghetto oder als Gast in einem so
genannten fondaco7 oder ganz „normal“ wie jeder andere Stadtbewohner? Was, wo und wie
6
Diese Meinung vertritt auch Sergio Anselmi: Adriatico. Studi di storia secoli XIV-XIX. Ancona 1991, S. 93.
Gemäss Uwe Israel kann ein fondaco – ein Gasthaus – auch ein geschlossener Raum darstellen, was er am
Beispiel des fondaco dei tedeschi in Venedig darstellt. Diese erste Anlaufstelle für Händler aus dem
europäischen Norden erlaubte es den Stadtobrigkeiten, die Neuen zu kontrollieren, ihre Bewegungsfreiheit zu
beschränken und ihre Kontakte und ihre geschäftlichen Aktivitäten strikte zu reglementieren. Das Schlafen, das
Essen und das Arbeiten geschahen innerhalb der Hausmauern und in der Nacht wurde der Raum auch im
wörtlichen Sinne geschlossen. Die Fremden wurden so vom städtischen Leben der Venezianer ausgeschlossen.
Hinweis auf Uwe Israels Beschäftigung mit dem venezianischen fondaco bei Anja Eisenbeiss: Tagungsbericht
Fremde in der Stadt. Ordnungen, Repräsentationen und Praktiken (13.–15. Jahrhundert). 15.02.2008-16.02.2008,
Trier. In: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2233, Stand 27.11.2008.
7
10
arbeiteten sie? Hier taucht bestimmt wieder das fondaco auf, aber sicherlich auch der Hafen
und das Hafenviertel. Neben den Fragen nach den alltäglichen Aktivitäten der
Diasporagruppen soll auch das Umfeld der Händler in den Blickpunkt kommen. Wer
beeinflusste sie und wen beeinflussten sie? Die Interaktionen mit der Stadtregierung, der
Kirche und anderen Institution der Stadt kann aufzeigen, wie gegebene Strukturen auf die
Kaufleute eingewirkt haben und umgekehrt.
Viele dieser Diasporagruppen waren also im internationalen Handel tätig. Mit ihren
Vorstellungen von Arbeit, ihren wirtschaftlichen Beziehungen und ihren finanziellen
Möglichkeiten
trafen
sie
je
nach
Raum
und
Zeit
auf
unterschiedliche
lokale
Rahmenbedingungen. Sie wurden einerseits durch Pull-Faktoren, wie speziell auf sie
ausgerichtete Gesetze und die Errichtung von Freihäfen (porto franco), gezielt in die beiden
Hafenstädte gelockt. Andererseits waren Fremde nicht immer willkommen. Die geläufigsten
Push-Faktoren waren Fremdenhass, Kriege, Armut und Epidemien.8 Das Aufeinandertreffen
von politischen Leitlinien der Obrigkeit und kaufmännischen Vorstellungen von
Lebensqualität und dessen Auswirkungen sind Gegenstand dieser Studie. Wessen Meinung
setzte sich wann, wie, wo und warum durch? Wo wurden Kompromisse gefunden? Wo
kamen keine Einigungen zustande? Herrscher wie Beherrschte befanden sich in einem
Spannungsfeld von Eigen- und Fremdbestimmung. Diese Spannungen zeigten sich deutlich
sichtbar in den Stadtbildern Anconas und Livornos, welche stets architektonischen,
gesellschaftlichen, religiösen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen
unterworfen waren. In Ancona und Livorno entstand in der Zeit vom 16. bis zum 19.
Jahrhundert durch die spannungsgeladene Interaktion von handelnden Diasporagruppen und
politischen Machthabern (Praxis) mit der Umgebung (Strukturen) eine doppelt konstituierte
soziale Wirklichkeit. Die Akteure, die Diasporagruppen, bildeten eine homogene Kultur in
einem heterogenen Raum,9 und die politischen Eliten deuteten und reproduzierten einerseits
den sie umgebenden Raum und die sie umgebende Kultur. Andererseits verleibten sie sich
gewisse Strukturen ein. Strukturen wie geographische Räume, politische Systeme,
wirtschaftliche,
soziale,
religiöse
und
kulturelle
Institutionen
flossen
in
die
Handlungsspielräume der Händler und Politiker mit ein. So wurden Ancona und Livorno auf
8
In der Regel wirken die Abwanderungs- und Zuwanderungsfaktoren interdependent zusammen. Vgl. dazu die
einleitenden Ausführungen in der Enzyklopädie über Migration in Europa: Dirk Hoerder u.a.: Terminologien
und Konzepte in der Migrationsforschung. In: Enzyklopädie. Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur
Gegenwart. Hg. von Klaus J. Bade u.a. Zürich 2007, bes. S. 28, 32. Eine Übersicht über die Wanderungsformen
(von Arbeits- bis Zwangswanderung) bietet ebenfalls diese Enzyklopädie in einem Verzeichnis, S. 1134.
9
Desanka Schwara bestimmte auf ähnliche Weise die homogene Entwicklung der Heterogenität als
bestimmendes Merkmal der Levante. Desanka Schwara: Rediscovering the Levant: A Heterogeneous Structure
as a Homogeneous Historical Region. In: European Review of History 10/2 (2003), S. 233–251.
11
den mentalen Landkarten einmal entworfen, um später wieder verworfen, vorwärts oder
zurückgeworfen zu werden. Der Ball ging stets hin und her, zwischen den Akteuren sowie
zwischen Mensch und Stadt.
Der Untersuchungsraum konzentriert sich auf zwei Hafenstädte. Ancona und Livorno sind
zwei wichtige Handelszentren im Mittelmeerraum, die Forschungslücken aufweisen. Dieser
Beitrag zu Ancona und Livorno befasst sich in erster Linie mit wirtschaftlichen Kontakten,
wobei die sozialen und kulturellen Berührungen nicht ausser Acht gelassen werden. In diesem
Prozess der Berührungen öffnet sich der Raum. Ancona und Livorno stehen thematisch nicht
mehr im Mittelpunkt, sondern lediglich geographisch. Die beiden Städte umfassten durch die
Waren, die sie in ihren Häfen empfangen haben und die aus denselben verfrachtet wurden, ein
geographisch umfangreiches Beziehungsgeflecht, das im Kleinen in den Städten selbst schon
bestand. In Ancona und Livorno kamen nicht nur Waren, zum Beispiel aus Izmir (früher
Smyrna), an und wurden dorthin verschifft, Händler aus Izmir lebten dort und umgekehrt.
Diese Hafenstädte spiegelten so den ganzen Mittelmeerraum wieder. Sie dienen hier als
Modelle, als Verifikation für eine Organisationseinheit, deren Beziehungen und Kontakte den
Raum neu strukturierten. Die Grenzen, welche politische Territorien umfassten, wurden
gesprengt, entlang sozioökonomischer, kultureller und religiöser Faktoren entstanden neue
Lebensformen.
Die Bewegungen der Menschen und Waren im Raum bilden ein umfangreiches Netzwerk.
Als Ausgangspunkte dienen die beiden Hafenstädte Ancona und Livorno. Welche
Diasporagruppen lebten in den beiden Städten? Was zog sie an, was liess sie wieder
wegziehen? Woher kamen sie, wohin gingen sie? Diese Fragen rufen nach einer Vor- und
Nachgeschichte, die nicht in den beiden Städte spielt, sondern an anderen Orten. Vielleicht
nur wenige Kilometer entfernt in Pisa, Florenz, Ferrara, Ragusa oder Venedig, oder Hunderte
von Kilometer entfernt in London, Hamburg, Antwerpen, Saloniki oder Izmir.
Die verbindenden Elemente zwischen den beiden Polen Europas waren in der Frühen Neuzeit
also das Mittelmeer und die daran anliegenden Hafenstädte. Diese entwickelten sich zu
florierenden Handelszentren an den Küsten und wurden zu Mittelpunkten der soziokulturellen
Interaktion im Mittelmeerraum. Diese Städte spielten bezüglich der Formen des Kontakts, als
auch der wechselseitigen Beeinflussung eine zentrale Rolle und können als Gegenmodelle zu
den im 19. Jahrhundert entstehenden Nationalstaaten angesehen werden. Typisch für diese
Städte war eine gemischte Bevölkerung, denn ein grosser Anteil war nicht in der Stadt selber
geboren. Im Gegensatz zu diesen hybriden Gemeinschaften, die für die grossen
Vielvölkerreiche, wie osmanisches Reich oder Habsburgmonarchie, oder die multiethnischen
12
Handelszentren,
etwa
auf
der
Apenninhalbinsel,
charakteristisch
waren,
zielten
nationalstaatliche Ideologien auf eine „reine“ Form der Angehörigen. Angestrebt wurde etwa
ein Italien aus Italienern. In Livorno und Ancona gab es bis zum Risorgimento keine Italiener,
sondern Livornesi, Anconitani, Genuesen oder Venezianer.10
Als Analysekategorie wird hier der Terminus Hafenstadt verwendet, so wie es Donatella
Calabi auch tut.11 Sie sucht nach architektonischen Zeugnissen von wirtschaftlicher Blüte und
kosmopolitischer Atmosphäre. Sie fand dabei Orte des Geldwechsels (Börsen), der
Gastfreundschaft (Spitäler, fondacos), der Kultur (Universitäten, Theater), der Diplomatie
(Botschaften) und des Handels (Märkte, Messen). Olivia Remie Constable ihrerseits
konzentrierte sich in ihrer Monographie auf die Unterkünfte der Fremden in Städten am
Mittelmeer.12 Diese so genannten fondacos kennzeichneten die wirtschaftliche Betriebsamkeit
und die politische und religiöse Offenheit dieser Städte. Maurice Aymard sieht in den Städten
des Mittelmeeres die Laboratorien der Moderne, wobei die Funktion als Knotenpunkte für
Handel und Kulturaustausch inbegriffen ist.13 Die vorliegende Arbeit schliesst sich hier an.
Prozesse der Umsetzung von schriftlich zum Ausdruck gebrachten mentalen Landkarten
werden an zwei Orten, wo diese zahlreich anzutreffen sind, aufgezeigt, indem ein
Zusammenhang zwischen Ideen, Umsetzungen und Resultate hergestellt wird. Die mentale
Landkarte ist der Startpunkt, politische Beschlüsse, gesellschaftliche, kulturelle und soziale
Veränderungen
sowie
neue
Infrastrukturen
sind
die
immer
neu
verhandelten
Zwischenresultate. Dazwischen liegen lange Diskussionen. Start, Weg und Ziel werden
miteinander verknüpft. In Ancona und Livorno waren diese Wege aufgrund der heterogenen
Bevölkerungszusammensetzung
vielschichtig.
Dementsprechend
komplexe
historiographische Resultate sind zu erwarten.
Die beiden Hafenstädte Ancona und Livorno, geographisch gesehen auf der Apenninhalbinsel
gelegen, politisch unter der Verwaltung des Kirchenstaates, respektive der Toskana,
gesellschaftlich und wirtschaftlich eingebunden in ein weites, kaum begrenztes Netzwerk von
Kontakten und Beziehungen, bilden den nachfolgend untersuchten Spielraum, der von den
10
Maurice Aymard beschreibt die Entwicklung des Mittelmeeres nach dem Untergang Roms. Nachdem Byzanz
die Nachfolge als Mittelmeerbeherrscher übernahm, folgte daraufhin das osmanische Reich mit Istanbul als
Schaltzentrum. Der dominierende Islam hegte jedoch keinen Anspruch auf Ausschliesslichkeit. Ab dem 11./12.
Jahrhundert eroberten die italienischen und katalanischen Kaufleute den Mittelmeerraum als Handelsweg
zurück, so dass im Westen ein neuer Typus Stadt entstand: die Handelsstadt. Vgl. Maurice Aymard:
Laboratorien der Moderne – die Städte am Mittelmeer. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 3 (1996),
www.ifa.de/mittel/dmaymard.htm, Stand 01.11.2006.
11
Donatella Calabi: Foreigners and the City: An Historiographical Exploration for the Early Modern Period. In:
http://www.feem.it/userfiles/attach/Publication/NDL2006/NDL2006-112.pdf, Stand 05.05.2010.
12
Olivia Remie Constable: Housing the Stranger in the Mediterranean World. Lodging, Trade, and Travel in
Late Antiquity and the Middle Ages. Cambridge 2003.
13
Aymard: Laboratorien der Moderne.
13
Diasporagruppen politisch und wirtschaftlich mitgestaltet wurde, der gleichwohl auch deren
Lebensbedingungen einengend oder öffnend konditionierte. Sie zeichneten mentale
Landkarten von ihrer neuen Heimat. Diese Vorstellungen sollen deklariert werden, wenn
nötig konträr zu den Sichtweisen ihrer Zeitgenossen oder der Nachbetrachter. Deshalb muss
die Historizität und der konstruktive Aspekt der mentalen Landkarten bewusst gemacht
werden. Die historischen Akteure als Raumgestalter treffen auf den Autor dieser Arbeit, der
mittels Selbstreflexion seine eigenen mentalen Landkarten aufdeckt. Das methodische
Vorgehen wird im Kapitel 2. „Methoden“ dieser Einleitung näher dargelegt.
Ancona und Livorno waren zwei der Städte, die eine Vorreiterrolle übernahmen, wenn es
darum ging, Menschen aufzunehmen, die politisch oder religiös verfolgt wurden. Andere
suchten die beiden Städte aus wirtschaftlichen Überlegungen auf. Schwerer zu fassen als der
Wunsch nach Freiheit und Wohlstand sind weniger offensichtliche Beweggründe, etwa die
Suche nach psychischen Bedürfnissen, wie Glück oder die Verwirklichung von Träumen.
Diese Arbeit wird die artikulierten und erkennbaren Vorstellungen von Raum aufnehmen,
Trends und Tendenzen, wie sich Imaginationen von Glück ausgestaltet haben könnten, mittels
Öffnung von mental maps aufzeigen.
Wenn Wolf Singer in seinem Beitrag Wahrnehmen, Erinnern, Vergessen schildert, dass nicht
nur Taten, sondern auch die Geschichten, die Menschen erfinden, Geschichte machen, dann
heisst das, dass diese mentalen und sozialen Realitäten – entstanden durch kognitive Prozesse
in unseren Köpfen – Wahrnehmungen, Berichte, Erinnerungen und Beurteilungen liefern, die
es zu untersuchen gilt. Die Trennung zwischen Akteuren und Beobachtern ist nicht sinnvoll,
weil die Beobachtung den Prozess beeinflusst, ja sogar Teil des Prozesses wird. Unsere
alltäglichen Hirntätigkeiten sind keinesfalls eindeutige Abläufe. Bereits die einfachsten
Wahrnehmungen sind selektiv, kausale Zusammenhänge konstruiert das Gehirn oft einfach
dazu. Für die Geschichtswissenschaft bedeuten diese Erkenntnisse der Hirnforschung, dass
die menschlichen Schilderungen keineswegs darauf ausgerichtet sind, eine denkbare objektive
Beurteilung der Welt zu liefern. Aus den Unmengen von Signalen in der Umwelt wählt das
Hirn diejenigen aus, die für das Überleben notwendig sind.14 Dies bedeutet, dass die
Äußerungen der Menschen kritisch behandelt werden müssen, indem sie in einen räumlichen,
zeitlichen und sachlichen Kontext gestellt werden. Nur so wird dem Leser eine Orientierung
in Raum und Zeit ermöglicht. Absolute Wahrheiten gibt es also nicht, die Deklarierung einer
Relativität dient der Absicherung der Historiographie gegenüber Beliebigkeitsvorwürfen.
14
Wolf Singer: Wahrnehmen, Erinnern, Vergessen. (Eröffnungsvortrag des 43. Deutschen Historikertages). In:
Science + fiction: Zwischen Nanowelt und globaler Kultur. Hg. von Stefan Iglhaut, Thomas Spring. Berlin 2003,
S. 169-189.
14
Als Instrument dieser Relativierung dient hier das Konzept der kognitiven oder mentalen
Landkarte. Der Begriff wurde 1948 von Edward C. Tolman ein- und in den 1970er Jahren von
Roger M. Downs und David Stea ausgeführt.15 Die mental map ist „ein Produkt, ist eines
Menschen strukturierte Abbildung eines Teils der räumlichen Umwelt.“16 Dabei sind
Verzerrungen wahrscheinlich, da der Weltbetrachter glaubt, dass die Welt so ist, wie er sie
sieht. Der subjektive Faktor spielt eine bestimmende Rolle, kognitives Kartieren variiert je
nach Perspektive des Menschen von der Welt.17 Dieses innerliche räumliche Bild von der klar
definierten und begrenzten Umwelt konstituiert die mentale Landkarte.
Frithjof Benjamin Schenk untersuchte die Vorstellungen der Menschen über die vier
Haupthimmelsrichtungen.18 Andere Forscher werden konkreter, wenn sie Images einzelner
Städte betrachten.19 Das Bild der modernen Grossstadt bei Kevin Lynch wird gemäss Kirsten
Wagner unter anderem davon geprägt, dass sie im Gegensatz zur historischen Stadt keine
Gestalt mehr besitzt. Sie frisst sich ungebremst in die sie umgebende Landschaft, die Grenzen
und die Geschlossenheit der Stadt werden aufgehoben. Das ideale Gegenbild zeichnet Lynch
in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen europäischen Stadt, wie es Venedig und Florenz
waren.20
Wie sich Ancona und Livorno gestaltet haben, kann anhand mentaler Landkarten abgelesen
werden. In kontroversen Auseinandersetzungen zwischen den diversen Stadtgestaltern
wurden deren Wünsche bezüglich Stadtplanung offen gelegt. Angestossen durch Missstände
und/oder provokative Aktionen der Gegenseite wurde die Eigeninitiative geweckt. Die
geheimen Vorstellungen mussten bekannt gegeben werden, um den subjektiv als negativ
empfundenen Entwicklungen entgegen zu halten. Die eigenen mentalen Landkarten wurden
zu Papier gebracht, um realpolitisch wirksam zu werden. Diese helfen, die vielschichtige,
einzeln wahrgenommene Umwelt zu beschreiben, sie dienen als Orientierungsanker und
entspringen dem menschlichen Bedürfnis nach Klarheit und einer Lesbarkeit der Umwelt. Das
15
Edward C. Tolman: Cognitive Maps in Rats and Men. In: The Psychological Review 55 (1948), S. 189-208;
Roger M. Downs, David Stea: Kognitive Karten: Die Welt in unseren Köpfen. New York 1982.
16
Downs, Stea: Kognitive Karten, S. 24.
17
Downs, Stea: Kognitive Karten, S. 41.
18
Frithjof Benjamin Schenk: Mental Maps: Die Konstruktion von geographischen Räumen in Europa seit der
Aufklärung. In: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 493–514.
19
Zulmira Aurea Cruz Bomfim und Enric Pol Urrutia widmen sich kognitiven Karten von Barcelona und São
Paulo. Zulmira Aurea Cruz Bomfim, Enric Pol Urrutia: Affective Dimension in Cognitive Maps of Barcelona
and São Paulo. In: International Journal of Psychology 40 (2005), S. 37-50; Kevin Lynch suchte nach dem Bild
der Städte Boston, Jersey City und Los Angeles. Kevin Lynch: Das Bild der Stadt. Berlin 1965. Einige
einführende Worte über die kognitive Landkartenforschung und ihre Ziele finden sich bei Ricardo García-Mira,
J. Eulogio Real: Environmental Perception and Cognitive Maps. In: International Journal of Psychology 40
(2005), S. 1-2.
20
Kirsten Wagner: Die visuelle Ordnung der Stadt. Das Bild der Stadt bei Kevin Lynch. In:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=774, Stand 20.08.2009.
15
internalisierte Bild muss nicht zutreffend die geographische Realität repräsentieren.21
Kulturelle Erfahrungen und die phylogenetische Ausgangslage formen die Art und Weise, wie
man Raum wahrnimmt und in Bildern gestaltet. Markante und saliente Räume werden als
Marken im menschlichen Kopf abgespeichert, sie sind kognitive Stützen. Die Salienz kommt
durch auffällige Merkmale – in der Stadt etwa Wege und Plätze – und durch biographische
Erinnerungen zustande.22 Die Wahrnehmung verläuft unterschiedlich intensiv. Vom
beiläufigen Sehen bis zur Identifikation, von der blossen physischen Wahrnehmung bis zur
Merkbarkeit laufen die mentalen Prozesse. Merkbar werden Orte, die mittels Logos und
Widererkennungszeichen, wie Kirchtürme oder Monumente, Lese- und Orientierungshilfen
anbieten. Diese müssen immer wieder neu vergewissert werden, damit wegen gemiedenen
Raumerfahrungen entstandene Leerstellen auf den mentalen Landkarten nicht auftreten
können.23
Während kognitive Landkarten die Umwelt nach dem Wo orientieren,24 vermittelt das Image
das Was der Umwelt. Städte werden so kollektiv und schematisiert wahrgenommen. Sie
vermitteln ein oft realitätsfremdes und verzerrtes Bild, das durch Imagekampagnen noch
verstärkt wird und erst problematisch werden kann, wenn die realen Lebensbedingungen das
Image berichtigen. Hier spielt die Symbolik eine wichtige Rolle. Dinge (Häuser, Brücken,
Strassen) weisen individuell und sozial über sich selbst hinaus, sie vermitteln symbolisch
nicht verbalisierte Gehalte. Die Umwelt zeigt also Gefühle, Assoziationen und Einstellungen
an. Diese eigene Atmosphäre lässt sich schwer definieren, ist aber integraler Bestandteil der
Wahrnehmung der Umwelt.25
Es stellt sich die Frage, welches symbolische Image Ancona und Livorno ausgestrahlt haben.
Wenn man die Bevölkerungszahlen anschaut, gab es primär im späten 16. und frühen 17.
Jahrhundert und vereinzelt auch später grosse Wanderungsbewegungen von Menschen, die in
Ancona oder Livorno leben wollten. Beide Images schienen sehr attraktiv gewesen zu sein,
die Landkarten im Kopf der Einwanderer wurden offenbar von Glückshoffnungen getrieben
und nach Glückserfahrungen hergestellt – nach Katastrophen (zum Beispiel die antijüdischen
21
Achim Frohnhofen: Jugendliche im „Raum ohne Eigenschaften“. Opladen 2003, S. 37f.
Frohnhofen: Jugendliche im „Raum ohne Eigenschaften“, S. 37.
23
Frohnhofen: Jugendliche im „Raum ohne Eigenschaften“, S. 40.
24
Ganz im Sinne von Karl Schlögel: „Alle Geschichte hat einen Ort.“ Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die
Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München 2003, S. 71.
25
Frohnhofen: Jugendliche im „Raum ohne Eigenschaften“, S. 41.
22
16
Pogrome in Ancona von 1556) und Unglücksfällen wurden die Karten neu gezeichnet und
dementsprechend revidiert.26
Zentral für die Attraktivität einer Stadt ist das Zusammenspiel zwischen Image und kognitiver
Landkarte. Wenn es Orten gelingt, nachhaltige und positive Marken in den Köpfen der
Menschen festzusetzen, dann ist die Chance gross, dass die dabei entstandene Identifikation
dazu führt, dass Menschen ihre gewohnte Umwelt verlassen und ihre Zukunft anderswo
verbringen. Wie bereits Plutarch anmerkte, sei es für den Weisen gleich, wo er lebe. Das
Glück hänge nicht am Ort, sondern an den guten Eigenschaften (virtus) und der Weisheit
(sapientia). Der Weise folge den sozialen Chancen.27 Ob diese rein finanzieller Natur sind, ist
umstritten. Während Denker wie Adam Smith und Thomas Robert Malthus überzeugt waren,
dass mehr Wohlstand zu mehr Glück und Wohlergehen führen werde, gibt es auch Stimmen
wie Luigino Bruni, die dies anzweifeln.28 Daniel Gilbert stimmt Bruni zu, dass Reichtum den
Einzelnen nicht zwangsläufig glücklich macht, doch er räumt ein, dass eine Ökonomie und
damit die Gesellschaft im Ganzen nur dann funktioniert, wenn Menschen fälschlicherweise
daran glauben, dass Konsum und Nachfrage den Weg zum persönlichen Ruhm und
Wohlbefinden ebnen.29 Wir vermuten, dass Glück durch hohe Gehälter oder durch eigene
Kinder zu uns kommt, doch in Wirklichkeit arbeiten und erziehen wir aus anderen Gründen,
aus solchen, die unseren Horizont übersteigen.30 Wir können uns nicht auf unsere Gedanken,
Emotionen und kognitiven Fähigkeiten verlassen. Die Möglichkeit, unser Glück zu planen,
gibt es nicht. Wenn wir Glück haben, stolpern wir darüber.
Händler in Ancona und Livorno, die im 16., 17. und 18. Jahrhundert ihre alte Heimat
verlassen haben, um das Glück in der Diaspora zu finden, konnten ihre gewünschte sorglose
Zukunft auch nicht minutiös planen. Die offensichtlichen Flucht- (Kriege, Seuchen, Armut,
Vertreibungen)
und
Anziehungsgründe
(Toleranz,
Reichtum,
Sicherheit)
waren
Anhaltspunkte der Migration, doch eine Garantie, dass in Ancona und Livorno alles besser
wird, gab es nie. Einerseits wussten die Stadtherren nie genau, wie ihre Imagekampagnen
ankamen, wer sich davon angezogen fühlte und wie lange damit die nicht immer
paradiesische soziale Realität überdeckt werden konnte. Andererseits konnten sich die
26
Nach Karl Schlögel werden mentale Landkarten nicht nach Belieben erzeugt. Erst wesentliche und
einschneidende Ereignisse von Belang, die Leidenschaften hervorgerufen haben, fixieren Bilder. Schlögel: Im
Raume lesen wir die Zeit, S. 246.
27
Hans Rudolf Velten: Die verbannten Weisen. Zu antiken und humanistischen Diskursen von Macht, Exil und
Glück im Lalebuch (1597). In: Daphnis 33 (2004), S. 725.
28
Zur Debatte siehe Luigino Bruni: The „Technology of Happiness“ and the Tradition of Economic Science. In:
Journal of the History of Economic Thought 26 (2004), S. 40.
29
Daniel Gilbert: Ins Glück stolpern. Über die Unvorhersehbarkeit dessen, was wir uns am meisten wünschen.
München 2006, S. 357f.
30
Gilbert: Ins Glück stolpern, S. 362.
17
Kaufleute kaum auf ihre mental maps verlassen. Die Diskrepanz zwischen Vorstellung und
Wirklichkeit konnte gross sein, die Enttäuschung demzufolge auch.
Doch offenbar, gemäss den steigenden Einwohnerzahlen, war vielen Menschen die Reise wert
– sie glaubten an das Glück in Ancona und Livorno. Die beiden Städte verband mit den
diasporischen Geschäftsleuten eine Allianz, die wir Historiker nur schwer definieren können,
die aber für die Akteure durchaus Sinn machte, ihnen eine Orientierung in Raum und Zeit
ermöglichte und ihnen eine rosige Zukunft voraussagte.
2. Methoden
Diese Studie will mit einem vergleichenden Ansatz historische Prozesse aufzeigen.
Verglichen werden die Städte Ancona und Livorno. In der Literatur erschienen zum
historischen Vergleich viele nebeneinander laufende, oft sich überschneidende, konzeptuell
eher unscharfe Begrifflichkeiten, wie Transfer, Verflechtung, Beziehung, transnationale
Geschichte, histoire croisée und viele mehr.31 Diese Untersuchung sieht den Vergleich als ein
Mittel, um an zwei Punkten (Ancona und Livorno) in einem umfassenden Netzwerk
(Mittelmeer und Umgebung) exemplarisch darzustellen, wie übereinstimmende und
divergierende Zukunftsvorstellungen in Interaktion traten, wer an diesem Dialog beteiligt war
und wie sich diese mentalen Landkarten in diesem Spannungsfeld realpolitisch ausdrückten.
Die beiden Städte werden nie als abgeschlossene Einheit verstanden, sondern als
Ausgangspunkte auf der Reise in einem Netzwerk von Beziehungen und Kontakten, die nicht
an politischen Grenzen endeten, sondern auf sozioökonomischen und kulturellen Basen
entstanden. Kultur wird hier als das Ausdrucksmittel für die gesamte Lebenswelt betrachtet.
Diese Kultur umfasst Werte, Ideen, Glaubensvorstellungen, Bräuche, Sitten und Normen, der
immaterielle Aspekt wird mit einbezogen.32
Ancona und Livorno sollen als Beispiele dienen, wie sich gewisse, später zu nennende,
kulturelle Erscheinungen über politische Territorien hinausdehnten. Die Konzentration vieler,
multikultureller Menschen auf engem Raum erhöht die Wahrscheinlichkeit von Reibungen
und Dissonanzen, die dort gut sichtbar auch in anderen Städten vorkamen. Mentale
31
Einen Einblick in die Diskussion erlauben: Jürgen Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte:
Erweiterung oder Alternative? In: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 464–479; Albert Wirz: Für eine
transnationale Gesellschaftsgeschichte. In: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 489–498; Jürgen
Osterhammel: Sozialgeschichte im Zivilisationsvergleich. Zu künftigen Möglichkeiten komparativer
Geschichtswissenschaft. In: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 143–164; Michael Werner, Bénédicte
Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des
Transnationalen. In: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636.
32
Desanka Schwara: Unterwegs. Reiseerfahrung zwischen Heimat und Fremde in der Neuzeit. Göttingen 2007,
S. 21f.
18
Landkarten als kreative Mittel, um subjektive Verlangen ort- und zeitgerecht zu verkünden,
sollen zeigen, dass die Tatorte, im wörtlichen, nicht kriminalistischen Sinne, Ancona und
Livorno einerseits von Menschen geschaffen und interpretiert wurden, dass andererseits diese
Personen gleichzeitig von den sie umgebenden Strukturen bedingt wurden. Das
Strukturelement Gesellschaft etwa, soll nicht als ein vorgegebenes Statusgefüge, sondern als
immer wieder neu zu kreierendes, variables Beziehungsgeflecht angesehen werden.
Die mentalen Landkarten der Kaufleute und Obrigkeiten dienen als subjektive
Gestaltungselemente, die in das mit meinen eigenen Raumvorstellungen gefüllte
Raumkonzept der Dissertation integriert werden, um die Historizität der Begriffe zu
veranschaulichen. So agieren nicht nur die historischen Akteure miteinander, sondern auch
die Untersuchungsobjekte mit dem Historiker.
3. Forschungsstand
Die Forschungsergebnisse über Ancona und Livorno sind vielschichtig. Als Wegbereiter für
praktisch alle anderen, später folgenden Werke über Mittelmeerhafenstädte gilt Fernand
Braudel. Er beschrieb bereits 1949 die Begegnungen und Interaktionen der Händler über eine
longue durée hinweg. Seine bahnbrechende Arbeit über das Mittelmeer stellt die Natur als
historische Grösse ins Zentrum und zeigt auf, wie geographische Räume, gesellschaftliche
Strukturen, politische Systeme sowie religiöse, sprachliche, ethnische und soziale Gruppen
einander begegneten.33 Den Hafenstädten, wie Ancona und Livorno, kam dabei eine
entscheidende Rolle zu.
„Weit mehr noch als dem Klima, der Geologie, dem Relief verdankt der
Mittelmeerraum seine Einheit einem Netz von Städten und Ortschaften, das sich
schon früh bildete und erstaunlich langlebig war. Dieses Netz war für den Raum
konstituierend. Es war sein Antrieb, sein Lebensquell.“34
Die Annales-Historiker gelten als Pioniere, die Entwicklungen in der Geschichte nicht
hauptsächlich mit politischen und sozioökonomischen Ursachen in Verbindung brachten. Sie
ebneten die Landschaft, um Gefühlen und Empfindungen in der Geschichtswissenschaft auf
die Spur zu kommen.35 Die Macht der Sprache wurde als identitätsstiftendes
33
Fernand Braudel: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. 3 Bde. Frankfurt a. M.
2001.
34
Maurice Aymard: Lebensräume. In: Fernand Braudel u.a.: Die Welt des Mittelmeeres. Zur Geschichte und
Geographie kultureller Lebensformen. Frankfurt a. M. 1996, S. 123.
35
Mehr zu Gefühlen in der Historiographie bei Ute Frevert: Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen? In:
Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 183-208.
19
Gruppenmerkmal entdeckt.36 Diese Studienrichtung suchte den lebensweltlichen Zugang und
war eng mit dem Habitusbegriff von Pierre Bourdieu vertraut.37
Auf der Basis dieser Arbeiten entwickelten sich zahlreiche Forschungsschwerpunkte, die den
Fokus weg vom Ganzen, dem Mittelmeer, hin zu dem Partialen, zu den einzelnen
Hafenstädten, richteten.
Neben Übersichtswerken, die eine allgemeine Stadtgeschichte von Ancona erzählen,38
entstanden in den 1960er Jahren Werke, die das Handelswesen und somit den Hafen in den
Mittelpunkt rückten. Von Bedeutung ist dabei die Monographie von Alberto Caracciolo, die
im Einflussbereich der Annales steht. Sie schildert präzise den langsamen wirtschaftlichen
Fall Anconas seit dem 16. Jahrhundert, der durch die Einrichtung des Freihafens nicht
langfristig aufgefangen werden konnte.39 Die wirtschaftliche Entwicklung vom Spätmittelalter
bis zum Freihafen 1732 legen Joachim-Felix Leonhard, Eliahu Ashtor (Spätmittelalter), Peter
Earle (15. und 16. Jahrhundert), Jean Delumeau (16. Jahrhundert) und Sergio Anselmi (16.
und 17. Jahrhundert) dar.40 Verschiedene Arbeiten über die Geschichte des Kirchenstaates
zeigen ebenfalls auf, wie sich Ancona als Teil dieses Staates seinen Weg zum einflussreichen
Handelsmittelpunkt bahnte, mehr oder weniger autonom von Rom.41
Zu ausländischen Händlern in Ancona, den Diasporagruppen, liegen ebenfalls Studien vor.
Die meisten Werke beschreiben die Migrationsströme von Ost nach West, von der Ostküste
36
Zu Sprache und Identität in der jüdischen Gemeinschaft siehe Desanka Schwara: Sprache und Identität:
Disparate Gefühle der Zugehörigkeit. In: Jüdische Identitäten. Einblicke in die Bewusstseinslandschaft des
österreichischen Judentums. Hg. von Klaus Hödl. Innbruck 2000, S. 141-169.
37
Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt a. M. 1970, v.a. S. 125f.: „Der Habitus
als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis“.
38
Als Standardwerk kann Rosario Pavia, Ercole Sori: Le città nella storia d’Italia. Ancona. Roma-Bari 1990
angesehen werden. Die beiden Autoren legen ihren Schwerpunkt auf die Ereignisgeschichte, mit besonderer
Berücksichtigung der demographischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung der Stadt von der
Antike bis ins 20. Jahrhundert. Ebenfalls von Bedeutung: Mario Natalucci: Ancona attraverso i secoli. Volume
II. Dall’inizio del Cinquecento alla fine del Settecento. Città di Castello 1960; Mario Natalucci: La vita
millenaria di Ancona. Ancona 2000 sowie die kurze Zusammenfassung der Stadtgeschichte von Marco Moroni:
Ancona città mercantile. In: La Loggia dei Mercanti in Ancona e l’opera di Giorgio di Matteo da Sebenico. Hg.
von Fabio Mariano. Ancona 2003, S. 89-110.
39
Alberto Caracciolo: Le port franc d'Ancône. Croissance et impasse d’un milieu marchand au XVIIIe siècle.
Paris 1965. 2002 auf Italienisch erschienen: Alberto Caracciolo: Il porto franco di Ancona nel XVIII secolo.
Crescita e crisi di un ambiente mercantile. Ancona 2002. Ebenfalls von Caracciolo zum Thema Freihafen liegen
vor: Il dibattito sui „porti franchi“ nel settecento: Genesi della franchigia di Ancona. In: Rivista storica italiana
75 (1963), S. 538-558 und L’economia regionale negli anni della costituzione del porto franco di Ancona. In:
Economia e società: Le Marche tra XV e XX secolo. Hg. von Sergio Anselmi. Bologna 1978, S. 151-165.
40
Joachim-Felix Leonhard: Die Seestadt Ancona im Spätmittelalter: Politik und Handel. Tübingen 1983; Eliahu
Ashtor: Il commercio levantino di Ancona nel basso Medio Evo. In: Rivista storica 88 (1976), S. 213-253; Peter
Earle: The Commercial Development of Ancona, 1479-1551. In: The Economic History Review 22 (1969), S.
28–44; Jean Delumeau: Un ponte fra Oriente e Occidente: Ancona nel Cinquecento. In: Quaderni storici 13
(1970), S. 26-47 und Sergio Anselmi: Venezia, Ragusa, Ancona tra Cinque e Seicento. In: Atti e Memorie, Serie
VIII – Volume VI. Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1972, S. 41-108.
41
Zu erwähnen sind Jean Delumeau: Vie économique et sociale de Rome dans la seconde moitié du XVIe siècle.
2 Bde. Paris 1957-1959 und Mario Caravale, Alberto Caracciolo: Lo Stato pontificio da Martino V a Pio IX.
Torino 1978.
20
der Adria und deren Hinterland ins heutige Italien.42 Besonders die jüdische und die
ragusanische Diaspora in Ancona sowie weitere mobile Händler aus der Region östlich des
Adriatischen Meeres wurden analysiert, während die anderen Gruppen, etwa die Engländer,
Franzosen oder Holländer, bisher eher vernachlässigt wurden.43 Eine gute, nicht ganz
vollständige Übersicht über die diversen Diasporagruppen in Ancona gibt Ercole Sori.44
Das Augenmerk der italienischen Historiographie wurde auch auf Livorno gelegt. Die
spannende Hafen- und Stadtgeschichte Livornos kommt besonders im Werk von Jean Pierre
Filippini, das auch eine Edition wichtiger Quellenmaterialien und Statistiken enthält, zum
Ausdruck.45 Dies ist eine gute Ausgangslage für das weitere Vorgehen. Was die konkreten
Handelsnetzwerke und den interkulturellen Austausch der Freihafenstädte betrifft, so sticht
ein Aufsatz von Francesca Trivellato hervor, der am Beispiel der Juden aus Livorno, der
„Italiener“ in Lissabon und der Hindus in Goa konkret aufzeigt, wie ein ökonomisches
Geflecht von ethnisch verschiedenen Diasporagruppen entstehen und wie dieses unabhängig
von staatlichen Institutionen und Gerichten, sondern alleine aufgrund informeller Kontakte,
42
Musterbeispiele sind: Italia felix. Migrazioni slave e albanesi in Occidente. Romagna, Marche, Abruzzi, secoli
XIV-XVI. Hg. von Sergio Anselmi. Ancona 1988; Anselmi: Adriatico; Le Marche e l’Adriatico orientale:
Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le
Marche. Ancona 1978; Mercati, mercanti, denaro nelle Marche (secoli XIV-XIX). Hg. von Deputazione di storia
patria per le Marche. Ancona 1989. Zahlreiche Aufsätze über mobile Händler im Adriaraum findet man in der
Zeitschrift Proposte e ricerche. Economia e società nella storia dell’Italia centrale (www.proposteericerche.it,
Stand 27.11.2008), die zudem Druckhefte herausgibt.
43
Zu den Juden: Werther Angelini: Tra Cinquecento e tardo Settecento: Preparazione e maturità dell’attività
mercantile degli ebrei ad Ancona. In: The Mediterranean and the Jews. Banking, Finance and International Trade
(XVI-XVIII Centuries). Hg. von Ariel Toaff, Simon Schwarzfuchs. Ramat-Gan 1989, S. 11–38; La presenza
ebraica nelle Marche, secoli XIII-XX. Hg. von Sergio Anselmi, Viviana Bonazzoli. Ancona 1993.
Zu den Ragusanern: Maria Paola Niccoli: L’emigrazione aristocratica: I ragusei ad Ancona nei secoli XVI-XVII.
In: Proposte e ricerche. Economia e società nella storia dell’Italia centrale 52 (2004), S. 49-64; Gilberto
Piccinini: Un mercante anconitano del Seicento: Giovanni Palunci, raguseo. In: Le Marche e l’Adriatico
orientale: Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo Ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per
le Marche. Ancona 1978, S. 287-305.
Zu den Slawen, Dalmatinern und Albanern: Ferdo Gestrin: Le migrazioni degli slavi in Italia nella storiografia
jugoslava. In: Italia felix. Migrazioni slave e albanesi in Occidente. Romagna, Marche, Abruzzi, secoli XIVXVI. Hg. von Sergio Anselmi. Ancona 1988, S. 247-271; Mario Natalucci: Insediamenti di colonie e di gruppi
dalmati, slavi e albanesi nel territorio di Ancona (secoli XV-XVI). In: Le Marche e l’Adriatico orientale:
Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le
Marche. Ancona 1978, S. 93-111.
Zu den Griechen: Roberto Domenichini: La piccola comunità greca di Ancona tra Sette e Ottocento. Aspetti
demografici e sociali. In: Munus Amicitiae. Scitti per il 70° Genetliaco di Floriano Grimaldi. Hg. von
Gianfranco Paci u.a. Loreto 2001, S. 103-117.
44
Ercole Sori: Evoluzione demografica, economica e sociale di una città-porto: Ancona tra XVI e XVIII secolo.
In: Le popolazioni del mare. Porti franchi, città, isole e vilaggi costieri tra età moderna e contemporanea. Hg.
Von Aleksej Kalc, Elisabetta Navarra. Udine 2003, S. 13-46.
45
Jean Pierre Filippini: Il porto di Livorno e la Toscana (1676-1814). 3 Bde. Napoli 1998.
Des Weiteren: Liciano Moni: La costruzione di una città portuale: Livorno. Livorno 2002; Maria Augusta
Morelli Timpanaro: A Livorno, nel Settecento. Medici, mercanti, abati, stampatori: Giovanni Gentili (17041784) et il suo ambiente. Livorno 1997; Mario Baruchello: Livorno e il suo porto. Origini, caratteristiche e
vicende dei traffici livornesi. Livorno 1932; Lucia Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale: Livorno,
1575-1720. In: Sistole/Diastole. Episodi di trasformazione urbana nell’Italia delle città. Hg. von Marco Folin.
Venezia 2006, S. 271-333.
21
funktionieren konnte.46 Die übrige Literatur zu Diasporagruppen in Livorno untersucht
ausschliesslich einzelne Gruppen.47 Auch hier fehlen die Juden nicht,48 doch auch über die
griechische49, die französische50, die englische51, die arabische52, die armenische53 und die
flämische respektive deutsch-holländische54 Gemeinschaft, neben Anderen, wurden
Monographien publiziert. Daneben gibt es Sammelbände und Tagungsberichte, die sich der
ausländischen Bevölkerung in Livorno annehmen.55
Einige Aufsätze verfolgen den Ansatz, mittels Vergleich Unterschiede und Gemeinsamkeiten,
respektive Kooperationen und Rivalitäten zwischen Städten auf der Apenninhalbinsel
herauszuarbeiten. Ester Capuzzo vergleicht das kirchenstaatliche Ancona mit den
habsburgischen Hafenstädten Fiume (Rijeka) und Triest. Der Aufsatz fasst im Wesentlichen
den bisherigen italienischen Forschungsstand zu Freihafenstädten zusammen und formuliert
Desiderata für weitere Studien.56 Benjamin Ravid vergleicht die Wirtschaftspolitik von
Ancona, Livorno und Venedig im 16. und 17. Jahrhundert anhand ihrer Vorgehensweise bei
46
Francesca Trivellato: Juifs de Livourne, Italiens de Lisbonne, hindous de Goa. Réseaux marchands et échanges
interculturels à l’époque moderne. In: Annales 58/3 (2003), S. 581–603.
47
Eine hervorragende, generelle Übersicht gibt Giangiacomo Panessa: Nazioni e Consolati in Livorno. 400 anni
di storia. In occasione del IV centenario del Corpo Consolare. Livorno 1998, S. 17-39, aber siehe auch Livorno
crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale „Gramsci“ u.a.
Livorno 1992, S. 27-136.
48
Zur Einführung: Lionel Lévy: La communauté juive de Livourne. Paris 1996. Für das 19. und das 20.
Jahrhundert: Ebrei di Livorno tra due censimenti (1841-1938). Memoria familiare e identità. Hg. von Michele
Luzzati. Livorno 1990.
49
Zur griechischen Diaspora empfehle ich Giangiacomo Panessa: Le comunità greche a Livorno. Vicende fra
integrazione e chiusura nazionale. Livorno 1991.
50
Jean-Pierre Filippini: La nation française de Livourne (fin XVII-fin XVIII siècle). In: Dossiers sur le
commmerce français en Méditerranée orientale au XVIII siècle. Hg. von Jean-Pierre Filippini u.a. Paris 1976, S.
235-248; Davide Ultimieri: Livorno descritta dai viaggiatori francesi (1494-1836). Livorno 2000.
51
Führend sind hier die Werke von Michela D’Angelo und Gigliola Pagano De Divitiis: Michela D’Angelo:
Mercanti inglesi a Livorno, 1573-1737: Alle origini di una “British factory”. Messina 2004; Gigliola Pagano De
Divitiis: Mercanti inglesi nell'Italia del Seicento: Navi, traffici, egemonie. Venezia 1990. Informativ ist zudem
ein Tagungsband mit zahlreichen Aufsätzen zur britischen Diaspora in Livorno: Atti del convegno „Gli Inglesi a
Livorno e all’Isola d’Elba“. Livorno 1980.
52
Vgl. hierzu Guido Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente. La storia degli arabi cattolici a Livorno (sec.
XVII-XX). Livorno 2008; Jean-Pierre Filippini: Les provinces arabes de l’empire ottoman vues de Livourne au
XVIIIe siècle. In: Revue d’Histoire Maghrebine 31/32 (1983), S. 207-210.
53
Eine gute Einführung bieten: Gli Armeni a Livorno: L'intercultura di una diaspora: Interventi nel Convegno
“Memoria e cultura armena fra Livorno e l'Oriente: Catalogo della Mostra “Gli Armeni a Livorno. Documenti e
immagini di una presenza secolare. Hg. von Giangiacomo Panessa, Massimo Sanacore. Livorno 2006; Paolo
Castignoli: Gli armeni a Livorno nel seicento: Notizie sul loro primo insediamento. In: Studi storici e geografici.
3 (1979). Hg. von Facoltà di Lingue e Letteratura Straniere dell’Università degli Studi di Pisa. Pisa 1979, S. 2761.
54
Marie-Christine Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs. The „Flemish“ Community in Livorno
and Genoa (1615 – 1635). Hilversum 1997; Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni: La
Congregazione Olandese-Alemanna. Hg von Giangiacomo Panessa, Mauro del Nista. Livorno 2002.
55
So etwa: Nuovi studi livornesi Hg. von Associazione livornese di storia lettere e arti. Livorno 2000-2004; Atti
del convegno „Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea. Livorno 1978.
56
Ester Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose: Il caso di Trieste, Fiume e Ancona. In: Ricerche di
storia sociale e religiosa 61 (2002), S. 43-53.
22
der Aufnahme jüdischer Händler.57 Thomas Kirk schliesslich untersucht die wirtschaftlichen
Rivalitäten zwischen Genua und Livorno im selben Zeitraum.58
Die jüdische Diaspora hat die Historiographie nicht nur in Ancona und Livorno aufgespürt.
Renzo Toaff, Lionel Lévy und Ulrich Wyrwa haben sich die Mühe gemacht, die
Gemeinschaft in verschiedenen Gebieten vergleichend zu analysieren.59
Diese Fallstudien werden durch Arbeiten ergänzt, die den Raum ausdehnen, die Ancona und
Livorno verlassen, um das Phänomen der unternehmerisch tätigen Kaufleuten und ihrer
weltweiten Netzwerke aufzuzeigen. Führend in dieser Hinsicht sind die Arbeiten von Philip
D. Curtin und Traian Stoianovich.60 Curtin untersuchte weltweit die wirtschaftliche
Vernetzung von Diasporagruppen von den Anfängen bis heute, während sich Stoianovich auf
den Balkan und die mit ihm in Kontakt stehenden Gebiete und auf die Epoche vom 14. bis
zum 18. Jahrhundert beschränkte. Curtin ging den Handelsdiasporen nach, so wie
Stoianovich, der eine „inter-Balkan merchant class“61 ausmachen konnte.
Während die ökonomische Stadtgeschichte Anconas und Livornos im Zuge der
Diasporaforschung aufgearbeitet wurde, gibt es Nachholbedarf an Studien, die nach dem
vielschichtigen Warum der Menschenbewegungen fragen. Hier setzt diese Arbeit an. Sie
sucht nach Intentionen der Mobilität respektive Sesshaftigkeit. Unter Berücksichtigung und
im Vergleich aller Zugewanderten, die sich ins Stadtleben einmischten, bevorzugt Kaufleute,
wird analysiert, wie sich diese mit der neuen Umgebung arrangierten und was dies für das
Stadtbild und das Stadtleben einerseits und für die Händler andererseits bedeutete. Die
täglichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen bedingten sich
gegenseitig, das Zusammenleben wurde nicht einseitig diktiert. Mit dem hier verwendeten
theoretischen Ansatz über die doppelte Konstituierung menschlichen Handelns befasste sich
die Soziologie ausführlich. Peter L. Berger und Thomas Luckmann untersuchten das
dialektische
Verhältnis
62
Gesellschaftstypen.
57
von
Gesellschaft
und
Individuum
in
verschiedenen
Sie kommen zum Schluss, dass die Gesellschaft eine doppelgründige
Benjamin Ravid: A Tale of Three Cities and their Raison d’Etat: Ancona, Venice, Livorno, and the
Competition for Jewish Merchants in the Sixteenth Century. In: Jews, Christians and Muslims in the
Mediterranean world after 1492. Hg. von Alisa Meyuhas Ginio. London 1992, S. 138-162.
58
Thomas Kirk: Genoa and Livorno: Sixteenth and Seventeenth-century Commercial Rivalry as a Stimulus to
Policy Development. In: History. The Journal of the Historical Association 86 (2001), S. 3–18.
59
Renzo Toaff: La nazione ebrea a Livorno e a Pisa 1591 – 1700. Firenze 1990; Lionel Lévy: La nation juive
portugaise. Livourne, Amsterdam, Tunis 1591-1951. Paris 1999; Ulrich Wyrwa: Juden in der Toskana und in
Preussen im Vergleich. London 2003.
60
Philip D. Curtin: Cross-Cultural Trade in World History. Cambridge 1984; Traian Stoianovich: The
Conquering Balkan Orthodox Merchant. In: The Journal of Economic History 20 (1960), S. 234-313.
61
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 311.
62
Peter L. Berger, Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der
Wissenssoziologie. Frankfurt a. M. 1977.
23
Wirklichkeit hat, eine objektive und eine subjektive. Reinhard Sieder nimmt sich dieser These
an und lässt sie in die Geschichtswissenschaft einfliessen.63 Er befreite die historischen
Akteure von ihren strukturellen Fesseln. Während die Annales und ihre Vertreter wie Braudel
strukturgeschichtliche Analysen vornahmen, verwirft Sieder diese Ansicht und konstatiert
eine kategoriale Verwechslung. „Den Strukturen wurde die Logik von Subjekten
unterstellt.“64 Als Alternative bietet er den praxeologischen Ansatz an. Dieser lehnt sich an
Pierre Bourdieu an, der uns vor Augen führt, dass strukturelle Tatsachen erst dann soziale
Wirklichkeit werden, wenn sie, die Strukturen, von den Handelnden angeeignet werden.
Menschen sind nicht bloss Marionetten äusserer Bedingungen oder Gefangene in
Strukturgebilden, sondern Akteure.
„Die „soziale Wirklichkeit“ – so der neue, aus der verstehenden Soziologie
übernommene Grundbegriff – erschien nun doppelt konstituiert: Zum einen aus
den Gegebenheiten, die sich als Strukturen des Sozialen, des Ökonomischen, des
Politischen beschreiben lassen, und zum anderen aus dem Handeln und Deuten
der Akteure, die diese strukturierten Gegebenheiten („die Strukturen“)
hervorbringen, reproduzieren oder verändern.“65
Diese doppelte Grundierung der Realität ist also der Ausgang der Interaktionen diverser
Gruppen und Individuen mit ihrer strukturierten Umgebung. Dabei werden Vorstellungen und
Wünsche geäussert und in die Tat umgesetzt, mit der Folge, dass häufig eine Gegenreaktion
erfolgt, die wiederum kaum je einmal unbeantwortet bleibt.
Geographen, Historiker, Ethnologen, Kartographen, Soziologen und Psychologen befassen
sich mit diesen Prozessen der mentalen Umgebungsstrukturierung und ihrer Umsetzung.66
Diese historiographische Arbeit leistet als Forschungsbeitrag eine Untersuchung zum
Verhältnis von kaufmännisch-diasporischen gegenüber herrschaftlichen Vorstellungen über
die Lebensgestaltung und ihre verzweigte Ausgestaltung in zwei Hafenstädten der
Apenninhalbinsel im 17. und 18. Jahrhundert, die zahlreiche und unternehmungslustige,
zugewanderte Kaufleute vorzuweisen hatten. Mentale Landkarten wurden hier ständig
erfunden, revidiert, verworfen und mit konkurrierenden Ansichten gemessen oder mit
ähnlichen Sichtweisen in eine produktive Harmonie gebracht.
63
Reinhard Sieder: Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft? In: Geschichte und
Gesellschaft 20 (1994), S. 445-468.
64
Sieder: Sozialgeschichte, S. 446.
65
Sieder: Sozialgeschichte, S. 448.
66
Namentlich die Human Geography, die Cultural Geography, die Stadtgeographie und die Behavioral
Geography verwenden mental maps, um Verhaltensweisen in Städten zu analysieren, die den Raum prägen. Sie
beschäftigen sich dabei mit Wanderungsentscheidungen und Migration. Näheres dazu bei Mike Crang: Cultural
Geography. London 1998; International Encyclopedia of Human Geography. Hg. von Rob Kitchin, Nigel Thrift.
Oxford 2009, vor allem die Artikel „Mental Maps“ von Scott Bell und „Behavioral Geography“ von John R.
Gold; Heinz Heineberg: Stadtgeographie. Paderborn 2006.
24
4. Quellen
Die Arbeit bezieht ihre Quellen hauptsächlich aus den beiden Archiven Archivio di Stato di
Livorno und Archivio di Stato di Ancona. Andere Städte, die in den Netzwerken der Kaufleute
ebenfalls eine wichtige Rolle spielten, werden vergleichend über die Sekundärliteratur
erschlossen. Dies geschieht etwa mit Florenz, nicht nur weil die Stadt am Arno intensive
Handelsbeziehungen zu Ancona und Livorno führte, es kommt hinzu, dass die Medici ab
1421 von Florenz aus die Kontrolle über Livorno ausübten, dies über mehrere Jahrhunderte
hinweg. Neben der Fachliteratur werde ich die Leistungen des 1995 gegründeten „Medici
Archive Project“ nutzen. Dieses Projekt will die Quellen des Grossherzoglichen MediciArchivs (1537-1743) im Archivio di Stato in Florenz erschließen, mit dem Ziel, eine
Datenbank mit vielfältigen Erschliessungsmöglichkeiten zu erstellen. Ein weiterer
Arbeitsschwerpunkt ist die Geschichte der Juden in der Toskana, wobei eine Jewish Identities
Database in Arbeit ist.67
Im Archivio di Stato di Livorno konnten, neben interessanten Dissertationen und
Fachbüchern, worin sich einschlägige, gedruckte Quellen befinden,68 diverse Quellen
eingesehen werden. Dabei handelt es sich um Bittschriften von Bürgern an den Grossherzog
der Toskana.69 Unter den Bittstellern gab es viele Händler aus der näheren und weiteren
Umgebung, die um Aufenthalt in Livorno baten, meist um ihren Gläubigern entkommen zu
können. Diese Dokumente legen die mental maps der Kaufleute offen, die zeigen, wie mobile
Händler neue, attraktive Handelsplätze suchten, wo sie ihre Geschäfte abwickeln konnten.
Offizielle Regierungserlasse und schriftlich verfasste Regierungspläne verraten vieles über
die mentalen Landkarten der Politiker, also die Art und Weise, wie sie ihre Vorstellungen
67
Das Projekt findet man unter: www.medici.org, Stand 27.11.2008.
Die beiden Livornina-Texte wurden, wie bereits einmal erwähnt, abgedruckt in: Livorno crocevia di culture ed
etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale “Gramsci” u.a. Livorno 1992, S. 139147, S. 153-161. Ebenfalls darin enthalten ist das Privileg zugunsten der portugiesischen Juden vom 15. Januar
1549, S. 35-39. Im Quellensammelband Fonti per la storia di Livorno. Fra Seicento e Settecento. Hg. von Lucia
Frattarelli Fischer, Carlo Mangio. Livorno 2006 finden sich unter anderen folgende zeitgenössische
Kommentare: Mémoire de l’état présent de Ligourne et de son commerce, année 1699, S. 15-26; Relazione del
governo civile, del commercio e della marina mercantile di Livorno, S. 53-71; The city of Leghorn di Horace
Mann, S. 77-80. Die Dissertationen von Manuela Salvini, Renata Altomare, Davide Pancaccini und Simone
Maltinti enthalten Quellenauszüge: Manuela Salvini: Cenni storici, identità etnica e culturale della nazione
armena di Livorno (sec. XVI-XX). 2 Bde. Pisa 1992/1993; Renata Altomare: Contributo allo studio della
comunità francese a Livorno nel secolo XVII. Pisa 1976/1977; Davide Pancaccini: Il governatore della città.
Conservatore degli ebrei. Pisa 1993/1994; Simone Maltinti: La comunità valdese di Livorno nell’Ottocento. Pisa
1997/1998.
69
Die Anträge sind zu finden: ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie VI, Atti
civili = suppliche, Nr. 2602-2610.
Sie sind an den Grossherzog der Toskana gerichtet, der diese auf demselben Dokument beantwortete oder er gab
den Fall zur Entscheidung weiter an den Governatore von Livorno. In einigen Fällen leitete der Governatore die
Angelegenheiten nochmals weiter an andere livornesische Funktionäre, die dann schliesslich ein Urteil fällten.
68
25
einer attraktiven und florierenden Handelsstadt auf Livorno projizierten.70 Auf der Basis von
Religionsfreiheit, Steuerersenkungen und Immunität gegenüber Schuldforderungen wurde die
Wirtschaftspolitik meistens gestaltet. Die Imaginationen der Herrscher gestalteten sich je nach
politischer Lage und wirtschaftlicher Konjunktur unterschiedlich fremdenfreundlich. Zu
zeigen gilt es auch die Unterschiedlichkeiten zwischen der Herrscherelite in der Toskana und
im Kirchenstaat. Die Bedürfnisse der Kaufleute werden in Kategorien wie Wohlstand, Glück,
Sicherheit und Freiheiten aufgeteilt. Je nach ethnischem, politischem, sozialem und vor allem
religiösem Hintergrund artikulierten sie ihre Wünsche unterschiedlich engagiert und häufig.
Das Zusammenspiel zwischen kaufmännischen Individuen und Gruppen und den von den
Medici geschaffenen Strukturen schien eine Zeit lang sehr gut zu funktionieren, trotz einiger
Bedenken der Regierung und trotz der Heterogenität der Händler. Der Verlauf dieser
hauptsächlich politischen Kommunikation wird anhand der direkten und indirekten
Korrespondenz zwischen Staat und Bürger (Beschwerdebriefe und Regierungserlasse)
skizziert, Diskontinuitäten miteingeschlossen, um die mentalen Landkarten beider Seiten zum
Vorschein zu bringen.
Ähnlich
wie
mit
Florenz
wird
die
Geschichte
des
Kirchenstaates,
der
im
Untersuchungszeitraum die politische Hand über der Stadt Ancona hielt, über die
Fachliteratur erschlossen. Die Quellenarbeit erfolgte im Archivio di Stato di Ancona, wo
Einsicht in die Akten des Archivio Ferretti, des Archivio Storico Comunale di Ancona und
des Archivio Notarile di Ancona genommen wurde.
In den ersten Beiden wurden primär Erlasse, die das Wirtschaftsleben der Stadt Ancona
regelten, entdeckt. Das Hauptaugenmerk richtete sich auf Bestimmungen, die die
verschiedenen Diasporagruppen massgebend beeinflusst haben mussten. Zudem wurden
Beschwerdebriefe gesichtet, in denen sich unter anderem ausländische Händler über
wirtschaftliche und religiöse Einschränkungen beschweren. In den Akten zeigt sich, dass
Ancona, lange bevor der Freihafen 1732 errichtet wurde, eine Stadt war, die Händler aus allen
Himmelsrichtungen anlockte und die dementsprechend kosmopolitisch strukturiert war. Das
heisst, die mentalen Landkarten der mediterranen Kaufleute und der Päpste fanden über
religiöse und politische Barrieren hinweg einen gemeinsamen Nenner, den es im Folgenden
herauszuarbeiten gilt.
70
Einige der Regierungserlässe wurden abgedruckt:
Lorenzo Cantini: Legislazione toscana. Band XIV. Firenze 1805-1808 (S. 10-19 sind die Verfassung Livornina)
und Collezione degl’ordini municipali di Livorno corredata delli statuti delle sicurtà e delle piu‘ importanti
rubriche delli statute di mercanzia di Firenze. Hg. von Carlo Giorgi. Livorno 1798 (Kapitel 1: Statuti di Livorno,
Kapitel 2: Statuti delle sicurtà, Kapitel 3: Statuti della mercanzia di Firenze, Kapitel 4: Privilegj di Livorno,
Kapitel 5: Cambj e mercanzie, Kapitel 6: Regolamenti ebraici, Kapitel 7: Tribunal di Livorno, e cause de’
Livornesi).
26
Drei Aktenmappen, gefüllt mit Bittschriften aus dem 16. Jahrhundert, wurden publiziert.71 Es
sind die Akten 557, 614 und 2774 aus dem Archivio Storico Comunale di Ancona.72
Die Bestände des Archivio Notarile di Ancona sind zwar sehr umfangreich, mit Hilfe der
vorhandenen Findbücher war es aber praktisch unmöglich, gezielt nach Diasporagruppen im
Handelwesen zu suchen. Sie enthalten keine Informationen über den Inhalt der Akten
(Tätigkeitsfeld, Klienten), sondern lediglich den Namen des Notars sowie die Jahre und den
Ort seiner Tätigkeit. Exemplarisch und nach dienlichen Hinweisen des Archivpersonals und
hilfsbereiter Wissenschaftler in Ancona wurden dennoch einige Akten durchgesehen, in
denen Notare mit ausländischen Kaufleuten arbeiteten. Doch 8 Wochen Archivarbeit waren
zu kurz, um die Notariatsakten systematisch zu bearbeiten.73 Die eingesehenen Einträge der
anconitanischen Notare erlauben punktuell und indirekt einige Rückschlüsse auf die mental
maps der diasporischen Unternehmer. Die Meisten unter ihnen kamen vor allem der guten
Geschäfte wegen nach Ancona, wo sie auf viele Gleichgesinnte trafen, die ebenfalls vom
Handel lebten, gute Kontakte und das notwendige Kapital besassen. Diese partiellen
Ergebnisse werden mit der Fachliteratur komplementiert.
Viele in der Schweiz nicht erhältliche Monographien, Sammelbände und Zeitschriften
konnten in der Bibliothek des Archivo di Stato di Ancona und in der Biblioteca Comunale
„Luciano Benincasa" di Ancona (BCA) eingesehen werden. Diese Bücher beschreiben
hauptsächlich die wirtschaftlichen Netzwerke, die Ancona in der Frühen Neuzeit auf- und
ausbaute, mit dem Hauptschwerpunkt in der transadriatischen Verbindungslinie. Hier kommt
deutlich zum Ausdruck, wie individuelle, mentale Landkarten durch intensive wirtschaftliche
Kontakte meist über kurze Distanzen kollektiv vereinheitlicht wurden. Die geographische
Nähe widerspiegelte sich in der Deckung von kaufmännischen Interessen.
5. Aufbau der Arbeit
Zentral in dieser Studie ist die chronologische Ausbreitung des Modells der florierenden
Hafenstadt
anhand
der
Fallbeispiele
Ancona
und
Livorno.
Die
realpolitischen
Voraussetzungen für deren Entstehung werden im ersten Teil behandelt. Er zeigt Bezüge auf,
die einen Rahmen bildeten, innerhalb diesem die Modellvorstellungen und Wünsche einen
71
Suppliche al Comune di Ancona (sec. XVI). Inventario. Hg. von Gianni Orlandi. Roma 2001.
ASAN, A.C.AN, Suppliche al Consiglio reiette ed accolte, 1545-1603, Nr. 557, Nr. 614 und Nr. 2774.
73
Lucio Lume und Sergio Anselmi haben sich intensiv und systematisch mit den Notariatsakten beschäftigt.
Lucio Lume: Presenze slave in Ancona secondo la documentazione notarile (1391-1499). In: Quaderni storici 13
(1970), S. 251-260; Anselmi: Adriatico, S. 213-244 = Kapitel 10: I ragusei nelle fonti notarili di Ancona (16341685): Materiali per una ricerca. Generelles zu den Notaren in Ancona findet man bei Marcello Mastrosanti: I
notai nella storia di Ancona. Ancona 2002.
72
27
Platz fanden. Ein Eckpunkt dieses Umfeldes waren die mediterranen Netzwerke der
Kaufleute. Menschen wurden zerstreut, Orte bevölkert und Waren ausgetauscht. So
entstanden die bunt durchmischten, lebhaften Hafenstädte im Mittelmeerraum (Kap. 1). Unter
anderem wurden Ancona und Livorno Ziel der mobilen Kaufleute. Aus allen Richtungen
kamen sie zu unterschiedlichen Zeiten und mit mannigfachen Motiven (Kap. 2). Ein weiterer
Eckpfeiler war die städtische Wirtschaftspolitik Anconas und Livornos, die mit
Eigeninitiative (Kap. 3) und Fremdeinflüssen (Kap. 4) inhaltlich gefüllt wurde.
Diese Hintergründe und Vorgeschichten in Form von Kontexten, Kontrastierungen und
Vertiefungen dienen dem Verständnis der weiteren zwei Teile der Arbeit. Der zweite Teil
zeigt auf, welche Modelle von der idealen Stadt zum Leben und Arbeiten in dem vorhin
abgesteckten Feld erdacht und umgesetzt wurden. Obrigkeitliche Ansichten, wie die eigene
Hafenstadt (Ancona oder Livorno) aufgebaut, verwaltet und regiert werden sollte (Kap. 5),
stehen dabei im Wettkampf mit kaufmännischen Wünschen an die neue Heimat in der
Diaspora (Kap. 6). Dabei entstanden Reibungsflächen, die interaktiv ausgehandelt wurden.
Diese Unterschiede und Übereinstimmungen werden gebündelt zusammengetragen (Kap. 7).
Der dritte Teil schliesslich dehnt den im ersten Teil ausgesteckten Rahmen aus. Durch das
Zusammentreffen von Vorstellungen unterschiedlichster Personen (Religion, Kultur, Sprache)
und Institutionen (Staat, Stadt, Kirche, Nationen74) entstanden in Ancona und Livorno ganz
spezielle, nicht einmalige, sondern für mediterrane Hafenstädte typische, Stadtentwicklungen.
Die Ergebnisse und Auswirkungen der Modellvorstellungen, seien es kaufmännische oder
obrigkeitliche, wurden im veränderten Stadtbild sichtbar. Die Bewohner und die Infrastruktur
wurden grossen Veränderungen unterworfen (Kap. 8). Die zugewanderten Händler lebten im
Spannungsfeld zwischen Integration und Ausschluss (Kap. 9). Der Untersuchung der Effekte
der aufeinander treffenden Sichtweisen über die florierende Hafenstadt folgt ein Fazit, in dem
die Resultate der Nachforschungen – Ancona und Livorno als von politischen Machthabern
und zugewanderten Kaufleuten konstruierte Modelle der florierenden Hafenstadt – präsentiert
werden.
74
Eine Nation (ital. nazione) darf nicht als Nation im modernen Sinne verstanden werden. Es ist eine Institution,
die aus dem Mittelalter stammt und vor allem im Mittelmeerraum, speziell in den Häfen der Levante, anzufinden
ist. Sie wird auch Universitas bezeichnet und vereinigt Kaufleute mit gleichen Interessen und gleicher
geographischer Herkunft. Mitunter kann die Religion ein Wesensmerkmal darstellen, so besassen etwa die Juden
eine eigene Nation, wie auch die griechisch-orthodoxen Griechen oder die protestantischen Engländer (doch
auch Katholiken wurden aufgenommen). Die holländische Nation war ebenfalls gemischt, bestehend aus
Katholiken und Protestanten. Vgl. Jean Pierre Filippini: Les nations à Livourne (XVIIe-XVIIIe siècles). In: I porti
come impresa economica. Hg. von Simonetta Cavaciocchi. Florenz 1988, S. 581.
28
Teil I: Hintergründe, Voraussetzungen, Vorgeschichten
1. Diasporische Wege nach Ancona und Livorno
Das Modell der florierenden Hafenstadt gründete in Ancona und Livorno auf der Idee, durch
einen gezielten Zuzug von Fachpersonal aus dem Handelswesen die Stadt quantitativ und
qualitativ
schnell
wachsen
zu
lassen.
Das
kulturelle,
religiöse
und
ethnische
Zusammenkommen in Ancona und Livorno und das Wachsen der Bevölkerung aufgrund der
Einwanderung gingen in Schüben vonstatten. Parallelen zwischen den beiden Ortschaften
sind meist zeitlich verschoben zu beobachten.
Ab 1400 sieht Lucio Lume in den Notariatsakten einen ständig wachsenden Migrationstrom
vom Balkan in Richtung Italien, der vor allem dem unbändigen Vormarsch der Türken in die
Länder des Balkans zuzuschreiben ist.75
Ab dem 14. Jahrhundert existierte zudem eine beständige Gruppe von Florentinern und
ethnischen Griechen in Ancona, die im nächsten Jahrhundert durch vermehrte Einwanderung
aus dem Osten - Juden, Griechen, Albaner und Slawen - erweitert wurde. Zu Beginn des 16.
Jahrhunderts kam eine weitere Gruppe hinzu, die für die Wirtschaft der Stadt prägend sein
sollte, die sefardischen Juden76 von der iberischen Halbinsel. Ab 1549 immigrierten immer
mehr Levantiner,77 Sammelname hauptsächlich für armenische, griechische und jüdische
Kaufleute, sowie muslimische Osmanen, Sizilianer, Dalmatiner, Deutschsprachige, Franzosen
und Flamen nach Ancona.78
Die durch die fremdenfreundlichen Erlasse im 16. Jahrhundert in die Stadt gelockten
Unternehmer aus der Fremde erschufen ein kosmopolitisches Klima in Ancona, das in der
Fachliteratur als Grundstein der wirtschaftlichen Blüte gilt. Der Kosmopolitismus der Stadt,
oft Livorno der Adria genannt, wo Christen, Juden und Muslime lebten, fundierte ihren
Reichtum im 15. und 16. Jahrhundert. Dieser zeigte sich in ihrer Rolle als Vermittlerin im
75
Die Personen stammten, wenn es überhaupt Angaben darüber gab, mehrheitlich aus: Zadar, Slawonien,
Zagreb, Ungarn, Albanien, Dalmatien und dem restlichen Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens (von Ljubljana
bis Cattaro). Lume: Presenze slave in Ancona, S. 259f.
76
Sefardische Juden sind die Juden, die bis 1492 auf der iberischen Halbinsel lebten und dann durch die
spanische Inquisition vertrieben wurden. Viele flüchteten ins osmanische Reich oder auf die apenninische
Halbinsel. Näheres zur Bezeichnung der religiösen Minderheiten in Spanien. Vgl. Eugen Heinen: Sephardische
Spuren II. Einführung in die Geschichte des Iberischen Judentums, der Sepharden und Marranen. Kassel 2002,
S. 471. Wenn von levantinischen, italienischen oder iberischen (resp. portugiesischen) Juden die Rede ist, dann
wird auf ihre letzte Heimat Bezug genommen, die sie vor ihrer Ankunft in Ancona oder Livorno bewohnten. In
der Regel sind dies ebenfalls sefardische Juden.
77
Zur Debatte, was die Levante ist und wer die Levantiner sind, siehe Schwara: Unterwegs, S. 37.
78
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 171.
29
internationalen Handel, etwa zwischen Antwerpen, wo wichtige italienische Firmen
operierten, und Istanbul, wohin zahlreiche Juden aus Europa geflohen waren.79
Um 1550 verzeichnete Ancona die blühendste Zeit in ihrem Kosmopolitismus.80 Die Stadt
war voll von Ragusanern (Katholiken), anderen Christen (Orthodoxe und Reformierte),
Türken (Muslime) und iberischen, levantinischen und italienischen Juden. Ebenso von
Bedeutung waren die italienischen Händler aus der Toskana, aus Genua, aus Venedig und
Napoli. Weitere Kaufleute stammten aus Katalonien und aus Nordeuropa (Holland, England
und Frankreich). Weniger zahlreich anzutreffen waren die Levantiner, also die Bewohner des
östlichen Mittelmeerraums (vor allem heutige Türkei und die ionischen und ägäischen Inseln
sowie heutiges Armenien).81
Die Präsenz der Ausländer diente als Barometer für das wirtschaftliche Wohlergehen von
Ancona. Waren sie da, ging es der Stadt gut, verschwanden sie, ging es bergab. Es herrschte
ein
starker
Zusammenhang
zwischen
dem
wirtschaftlichen
Wohlstand
einer
Hafenhandelsstadt wie Ancona und deren ethno-religiösen Toleranz gegenüber der
Anwesenheit einer jüdischen und kosmopolitischen Gemeinde. 82
Die Duldsamkeit in politischer, steuerrechtlicher, religiöser und ethnischer Hinsicht war ein
gewichtiger Faktor für die positive wirtschaftliche Entwicklung. Die religiöse Großzügigkeit
war der Schlüssel zum wirtschaftlichen Wohlstand, denn die Organisation des Handels über
lange Wege in Europa und am Mittelmeer basierte auf der ökonomischen Aktivität von
Minderheiten.83
Die wirtschaftliche Ausdehnung des Hafens im 16. Jahrhundert verdankte die Stadt der
Einwanderung der Juden aus Portugal und aus dem Rest des Kirchenstaates. Zudem gelangten
viele Ragusaner nach Ancona und brachten Kapital, unternehmerische Energie und fundierte
Beziehungsnetze in Europa und im Mittelmeerraum mit.84
Als gegen Ende des 17. Jahrhunderts die wirtschaftliche Krise anbrach, die Konjunktur im
Mittelmeerraum sich insgesamt verschlechterte, blieben im Gegensatz zu anderen
79
Louis Dermigny: Escales, échelles et ports francs au moyen âge et aux temps modernes. Brüssel 1974, S. 578.
Davon zeugen die Urkunden aus den Jahren 1548 bis 1552 des Notars Marino Benincasa aus Ancona. Zu
seinen Kunden und Geschäftspartnern zählten Händler aus ganz Europa, die sich in Ancona niedergelassen
hatten. Quantitativ stechen Vertreter aus Bergamo, Lucca, Florenz, Pisa, Venedig, Mantua, Ragusa, Portugal
(Juden), Chios (griechische Insel) und der Levante (Juden) hervor. ASAN, A.N.AN, Marino Benincasa 15481552, Nr. 536.
81
Sori: Evoluzione demografica, S. 29f.
82
Sori: Evoluzione demografica, S. 34, 39.
83
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 156.
84
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 159.
80
30
Diasporagruppen nur die Juden in Ancona.85 Um 1710 zählte man immer noch etwa 1000
Juden, die mittels circa 50 Handelshäusern Verbindungen zu praktisch allen Häfen in der
Levante und im Adriaraum aufrechterhielten. Mosé Fermi, ein Besitzer eines solchen
Handelshauses, war einer der Ersten, der die Errichtung eines Freihafens in Ancona
vorschlug, um an die guten alten Zeiten anzuknüpfen.86
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahm der Fremdenanteil ab. Die Juden waren integriert und
die Levantiner und die anderen Ausländer zählten nur noch 250 Personen, Tendenz sinkend.
Dafür nahm die Binnenwanderung aus den Marken und den Vororten erheblich zu. Ihr
Maximum wurde in der Zeit der Einigung, des Risorgimento, erreicht.87
An der gegenüberliegenden Küste entstand im 16. Jahrhundert ebenfalls ein kosmopolitisches
Zentrum, die Hafenstadt Livorno. Livorno war über zwei Jahrhunderte hinweg ein
bedeutender internationaler Hafen und eine kosmopolitische Stadt. Ihr Kosmopolitismus war
jedoch speziell, weil institutionell verankert. Die diversen Händlergemeinschaften nahmen
unmittelbar an der Verwaltung der Stadt teil. Nachdem sie durch die Obrigkeiten anerkannt
wurden, waren sie direkt mit ihnen verbunden und spielten eine nicht unbedeutende Rolle im
politischen, administrativen und sozialen Bereich der Stadt.88
Der Kosmopolitismus wurde durch verschiedene Diasporagruppen konstituiert, die ab dem
16. Jahrhundert die Stadt bevölkerten. Menschen aus allen Himmelsrichtungen folgten dem
Aufruf von Ferdinando I, der 1593 in seiner Verfassung La Livornina89 allen Rassen,
Religionen und Berufsgruppen ein friedliches Leben in Livorno versprach. Es sprach direkt
Levantiner, Ponentiner, Spanier, Portugiesen, Griechen, Deutsche, Italiener, Juden, Türken,
Armenier, Perser und Mori (afrikanische Muslime) an, um sie als Kaufleute anzuwerben.
Dementsprechend folgten viele dem Aufruf, einige kamen von weit weg her, etwa aus
Malabar (Südwestindien) oder Khorassan (Zentralasien). Andere hatten nur kürzere Strecken
zu bewältigen, die Genuesen, Venezianer, Personen aus der Romagna, Napolitaner, etc.90
Dazu kamen Korsen und Bewohner von Ragusa, die vor allem in der Marine gefragt waren,
sowie Kriegsflüchtlinge aus der Provence, die 1590 ihre Heimat verliessen.
85
In einer Beschwerde aus dem Jahre 1696 lässt sich nachlesen, dass nur noch drei Händler übrig geblieben sind,
während der grosse Rest von Händlern aus Cremona, Bergamo, Mailand, Florenz, Ragusa und der Levante
bereits abgewandert waren. Moroni: Ancona città mercantile, S. 104.
86
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 578.
87
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 147f.
88
Samuel Fettah: Le cosmopolitisme livournais: représentations et institutions (XVII-XIXe siècles). In: Cahiers
de la Méditerranée 67 (2005), http://cdlm.revues.org/document123.html, Stand 28.04.2010.
89
Mehr und detailliertere Angaben zum Inhalt der Livornina findet man im Kapitel über die jüdische Diaspora in
Livorno.
90
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 535.
31
Livorno wurde zum Ort des Synkretismus, wo sich Orient und Okzident trafen. Aus der
Ponente gelangten Deutsche, Holländer und vor allem Engländer in die Stadt.91 Hinzuzufügen
sind noch die Sektierer und Häretiker aus dem Norden. Diese Engländer und Holländer
fanden in Livorno eine Toleranz vor, die ihnen sonst nirgendwo gestattet worden wäre.92
Aus der Levante stiessen ab 1566 Griechen in die Toskana vor. Türken, das heisst
muslimische Osmanen, Ägypter, Personen aus dem Balkan und Maghrebiner zählte man 1689
bereits 845. Perser kamen über Aleppo und Izmir nach Livorno, Armenier machten bei ihrer
interkontinentalen Migration ebenfalls Halt, und Juden richteten in Livorno ihr
Handelszentrum ein, um mit dem heutigen Gebiet der Türkei, Nordafrika und Holland
Geschäfte tätigen zu können.93
So lebten 1601 bereits zehn Mal mehr Menschen in Livorno als 1551, nämlich 4’985. 1622
waren es bereits 9’745 und 1689 schon 20’654 Personen. Dieser rasante Anstieg ging einher
mit der kosmopolitischen Zusammensetzung der Bevölkerung. Bereits der erste Gouverneur
(governatore, ab 1590) stammte ursprünglich aus Zante (Ionische Inseln), er war ein
griechischer Flüchtling namens Giovanni Manolis Volterra.94
Bei den Juden zeigte sich die Rolle Livornos als Treffpunkt orientalischer und westlicher
Einflüsse am deutlichsten. Sie stammten entweder aus Spanien oder aus der Levante und sie
zeichneten sich durch eine grosse Mobilität aus. Ursprünglich aus Spanien oder Portugal,
vorübergehend in Alexandria, Tripolis und Istanbul zuhause, reisten sie nun wieder in
Richtung Westen nach Livorno. Durch sie näherte sich der westliche Mittelmeerraum der
Levante an. Diese Annäherung wurde zusätzlich gefördert, indem jede Volksgruppe nicht
weit voneinander gelegene Orte zugesprochen bekam, wo die religiösen Überzeugungen
praktiziert und die Verstorbenen begraben werden konnten. Die Kirche der Griechen befand
sich nahe der Synagoge und dem armenischen Gotteshaus und ausserhalb der Stadt lag der
türkische, gleich daneben der griechische und der armenische Friedhof. Dabei gingen die
Eigenheiten der Kulturen aber keinesfalls verloren. Sie bewahrten ihre alten Gewohnheiten
und Sitten, indem sie zum Beispiel ihre traditionellen Kleider trugen oder Häuser in ihrem Stil
91
Unter ihnen auch Robert Dudley. Er half mit bei der Konstruktion der Mole und dem Hafenausbau. Weiter
entwarf er einen neuen Galeerentypen. Sein Kapitänskollege Torton unternahm eine Expedition, um im
Amazonasgebiet ein Eldorado zu finden. Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 536
92
Die Dekrete von 1591 und 1593 garantierten jedem die Freiheit und Sicherheit seiner Person und seiner Güter
für den Zeitraum von 25 Jahren, mit der Möglichkeit der Verlängerung. Ausserdem durfte man so viele
Immobilien erwerben, wie man wollte und man war vom Fremdlingsrecht ebenso befreit wie von der Haftbarkeit
bei Schulden seiner Landsleute und Glaubensbrüder. Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 539.
93
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 536.
94
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 534f. Panessa: Le comunità greche, S. 34.
32
bauten.95 Die Neuansiedler bildeten soziale Inseln in einer urbanen Umgebung mit eigener
Sprache und eigenen Traditionen.96
Die rasche kosmopolitische Besiedelung der Stadt kam auch dadurch zustande, weil sich die
Stadt intensiv darum bemühte, ihren guten Ruf als Handelsmetropole zu festigen. Dies gelang
ihr durch die Bereitstellung von Lazaretten und Spitälern, womit kritische sanitäre Momente
bewältigt werden konnten, etwa die Einfuhr von Infektionen und Krankheitserregern.97
Die Stadt konnte unbekümmert wachsen. 1596 zählte man in Livorno Vecchio bereits 125
verschiedene Namen (plus 33,6% im Vergleich zu 1591) und in Livorno Nuovo deren 67 (plus
56,7% im Vergleich zu 1591). 22-23% der Bewohner waren Ausländer. Die Juden bildeten
1601 die grösste (ausländische) Gemeinde (10% der Gesamtbevölkerung) und konnten diese
Stellung lange halten. Die kosmopolitische Ansiedelung erfolgte nicht separiert nach
ethnischen oder religiösen Gesichtspunkten. Sowohl die Wohn- wie die Geschäftshäuser
wurden nach wirtschaftlichen und sozialen Kriterien vermietet und verkauft. Je besser die
Lage, desto teurer die Liegenschaften und desto reicher die Bewohner.98 An der Hauptstrasse
Via Ferdinanda lebten dementsprechend nur reiche Händler, hohe Beamte des
Grossherzogtums Toskana und Schiffskapitäne, egal woher sie kamen. Eine ethnische
Ghettobildung
–
Stichwort
Judenghetto
–
kam
nicht
zustande.
Mit
dem
Bevölkerungswachstum stieg auch die Vielfalt der Berufe. Vor dem Neubau waren die
Nahrungsmittelbranche (Bäcker) und die Bau- und Hafenbranche alleine vorherrschend. Mit
dem Aufschwung wurde die Gesellschaft komplexer. Es gab nun auch mehr Mediziner,
Notare, Lehrer, Maler, Bildhauer, Parfümhersteller und Weinverkäufer.99 Die Vielfalt war
sprachlich, ethnisch, religiös und beruflich zu bestaunen.
95
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 537.
Giancarlo Nuti: Livorno, il porto e la città nell’epoca medicea. In: Atti del convegno „Livorno e il
Mediterraneo nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 343.
97
Nuti: Livorno, il porto, S. 343.
98
Donata Battilotti: Luoghi di commercio e produzione degli stranieri nei primi anni dell’espansione livornese
(1587-1609). In: La città cosmopolita. Hg. von Donatella Calabi. Roma 2007, S. 49, 56.
99
Battilotti: Luoghi di commercio, S. 49.
96
33
2. Mediterrane Netzwerke der Kaufleute: Menschen, Orte, Waren
2.1 Der geographische Hintergrund: Beziehungsnetze
Der anconitanische und livornesische Kosmopolitismus wird in einen grösseren
geographischen Kontext gestellt, denn erst durch die gesamtmediterranen Händlernetzwerke
konnten auch auf der Apenninhalbinsel konzentrierte Waren- und Menschenansammlungen
entstehen. Bevor dem nicht zu unterschätzenden Wert Anconas und Livornos als einzelne
Treff- und Knotenpunkte in einem grossen System näher nachgegangen wird, sei hier kurz die
Bildung und die Ausbreitung des Gesamtsystems erklärt.
Seit der Europäischen Expansion, 1492 von Christoph Kolumbus durch die Entdeckung
Amerikas angetrieben, steht und fällt der europäische Handel mit der Schaffung von
Handelnetzwerken, die Minderheiten aufbauten und die die wichtigsten Handelsstädte
miteinander verbanden. In diesen Städten steht der Begriff Händlergemeinschaft synonym
zum Begriff Gemeinschaft der „ausländischen“ Händler. Das will heissen, dass die
zugewanderten Kaufleute das internationale Handelswesen fest im Griff hatten.100 Gemeint
sind hauptsächlich die Juden, die Armenier und die Griechen, die von der so genannten
Levante herkommend in die grossen europäischen Hafenstädte auszogen.
Die sefardischen Juden flüchteten im 16. Jahrhundert von der iberischen Halbinsel einerseits
in die Hafenstädte der Ionischen Inseln (vor allem Korfu und Zante) oder des osmanischen
Reiches (vor allem Istanbul, Saloniki, Izmir und Ägäische Inseln). Sie pflegten dort gute
Kontakte zum Sultan. Andererseits etablierten sich grosse Gruppen von Juden in Städten, die
wir heute in Westeuropa lokalisieren. Neben Prag, Frankfurt, Hamburg, Amsterdam und
Venedig stösst man wieder auf den Namen Livorno.101 Im 18. Jahrhundert kommt Triest
dazu.102 Die Stadt versuchte Händler aus anderen Handelszentren abzuwerben, indem sie
ebenfalls Freihafenstrukturen schuf. Neben Livorno galt Triest als der zweite Ort auf der
italienischen Halbinsel, wo sich die Juden im 18. Jahrhundert wohl fühlten, weil sie in beiden
Städten günstige Bedingungen vorfanden.103
100
Gelina Harlaftis: Mapping the Greek Maritime Diaspora from the Early Eighteenth to the Late Twentieth
Centuries. In: Diaspora Entrepreneurial Networks. Hg. von Ina Baghdiantz Mc Cabe u.a. Oxford 2005, S. 161.
101
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 161f.
102
In Triest gab es von 1719 bis 1891 einen porto franco.
103
Livorno galt als Präzedenzfall für Triest. Sowohl Personen als auch Strukturen (z. B. Gesetze) aus der
Toskana wurde ins triestische Modell integriert. 1776 wurde in Triest das Gouverneursamt eingeführt. Nach dem
Vorbild von Livorno vereinigte es sowohl zivile als auch militärische Kompetenzen in sich. Auch in der
Ghettofrage beriefen sich die Ghettogegner in Triest auf die Situation in Livorno, wo das friedliche
Zusammenleben ohne Ghettomauern möglich war. Die Juden in Triest waren von der Wegbenutzungsgebühr
befreit, gleich wie die Juden in Amsterdam und Livorno. Zum Vergleich Livorno – Triest: Lois Dubin:
Researching Port Jews and Port Jewries: Trieste and Beyond. In: Port Jews: Jewish communities in cosmopolitan
maritime trading centres, 1550-1950. Hg. von David Cesarani. London 2002, S. 47-58, v.a. 49; Lois C. Dubin:
The Port Jews of Habsburg Trieste: Absolutist Politics and Enlightenment Culture. Stanford 1999, v.a. S. 61f.
34
Die Armenier errichteten ein nicht minder unfangreiches Netzwerk. Vom Reich der
Safawiden aus, eine schiitische Perserdynastie 1501 – 1722, organisierten sie den
internationalen, eurasischen Seidenhandel. Reiche armenische Händler aus Neu Julfa104
gelangten über Wasser oder über die Strasse nach Westen. Der Landweg führte sie entweder
durch das osmanische Reich in den Mittelmeerraum, wo sie Schiffe charterten, um Waren in
Livorno, Venedig oder Marseille zu verkaufen oder über Russland via Wolga und Baltikum
nach Amsterdam.105 Der Wasserweg startete in Indien oder im Persischen Golf, von dort ging
es weiter über das Kap der Guten Hoffnung bis in die europäischen Häfen des Mittelmeeres.
Durch diese wirtschaftliche Macht waren sie wertvoll für die iranischen Schahs. Sie übten
gewichtigen politischen Einfluss auf sie aus.106 Man fand sie sowohl in den grossen
Wirtschaftszentren des osmanischen Reiches – Izmir, Aleppo und Istanbul – als auch in den
europäischen Städten wie Livorno.107
Von ebenso grosser Mobilität und Betriebsamkeit zeugen die griechischen Unternehmen. Ihre
Handelsniederlassungen reichten weit über die heutigen griechischen Inseln hinaus.
Geschäftsleute aus Korfu (griechische Insel im Nordwesten) segelten bereits gegen Ende des
15. Jahrhunderts von ihrer Heimat aus nach Peloponnes, Kreta, Thessalien, Zypern, Malta,
Istanbul, Messina, Venedig, Apulien, Ancona, Ferrara, Dalmatien, und Nordafrika. Die RalliFamilie expandierte von Chios aus nach Izmir, Istanbul, Malta, Livorno (1817 Einrichtung
einer Filiale) bis nach London. Später gründeten sie Filialen in New York, Russland, Indien
und Japan.108 Das griechische Kontaktnetz verband unterschiedlichste Orte auf diesem
Planeten. Zum Teil standen sie dabei im Dienste anderer politischer Mächte. Eine bedeutende
griechische Diaspora zog so zum Beispiel im 18. Jahrhundert auf die Balearen. Nach der
Übernahme Menorcas durch die Briten 1713 sorgten die neuen Herrscher dafür, dass
zahlreiche griechische Händler und Seeleute auf die Insel gelockt wurden, die mit ihrer Flotte
und ihren weit reichenden Beziehungen den Handel zwischen Menorca und dem
englandtreuen Mittelmeerhafen Livorno aufrecht erhalten sollten. So konnte die englische
104
Armenisch geprägter Vorort ausserhalb der Mauern der neuen Hauptstadt des safawidischen Reiches Isfahan
(heute im Iran gelegen), der 1605 von armenischen Seidenhändlern gegründet wurde, die Schah Abbas I vom
armenischen Alt Julfa (heute Aserbaidschan) an der osmanisch-persischen Grenze nach Persien
zwangsumgesiedelt hatte. Siehe dazu Renato Ghezzi: Livorno e il mondo islamico nel XVII secolo. I bastimenti
e il commercio di importazioni. Bari 2001, S. 223; Sebouh Aslanian: Social Capital, „Trust“ and the Role of
Networks in Julfan Trade: Informal and Semi-Formal Institutions at Work. In: Journal of Global History 1
(2006), S. 386.
105
Armenischer Händler, seit langer Zeit in Livorno ansässig, schickte 1681 seinen Bruder nach Holland, um
dort Waren zu verkaufen. Sein Weg führte über Spanien, mit Halt in Cádiz. ASL, Governatore e Auditore, Nr.
2608, S. 420, 421.
106
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 162.
107
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 223.
108
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 163f.
35
Regierung mit Hilfe der Griechen die spanische Konkurrenz ausschalten und ihre
Vorherrschaft im Mittelmeer festigen.109
Juden, Armenier und Griechen werden bei Harlaftis als „cohesive cultural groups“110
beschrieben, die gegenseitig verbunden waren, etwa im Finanzsektor, der die Finanzzentren
Venedig, Livorno, Genua, Wien und Amsterdam umfasste.
In der Frühen Neuzeit (Early Modern World) verliefen die Handelsnetzwerke nicht entlang
einer Monoidentität (Ethnie, Religion oder Sprache), sondern sie waren komplexer
organisiert. Die vermehrte Arbeitsteilung und die Spezialisierung auf gewisse Produkte
standen im engen Zusammenhang mit dieser steigenden Durchmischung. Die Netzwerke
integrierten und kombinierten Gruppen, deren Mitglieder verschiedene soziale und ethnische
Identitäten besassen.111
So entstanden im und um das Mittelmeer herum starke Wirtschaftszentren. Zahlreiche
Wirtschafts- und Kulturgeographien laufen im 18. Jahrhundert in Städten wie Izmir, Livorno
oder Aleppo zusammen.112 Die drei genannten Städte galten als zentrale Knotenpunkte mit
der Funktion, eine Art mediterranes Ventil zwischen Ost und West zu sein.113
Stoianovich entdeckte ein ähnliches Netzwerk, das durch die „Balkan orthodox merchants“
gebildet wurde. Diese Unternehmer aus dem osmanischen Reich, aus der Habsburger
Monarchie oder aus Russland brachten Waren ins osmanische Reich und exportierten Güter
aus demselben. Ihr Einzugsgebiet erstreckte sich von Nezhin (Südrussland) über Leipzig nach
Wien, Livorno und Neapel.114 Schon im 14. Jahrhundert entwickelten sich intensive Kontakte
über die Adria hinweg. Kaufleute aus Ancona handelten mit ihren Pendants in Ragusa, Zadar,
Trogir, Senj, Split und Sibenik. Insbesondere in Ragusa konzentrierte sich der Handelsverkehr
Dalmatiens, weshalb Ancona an dieser Stadt grosses wirtschaftliches Interesse zeigte.115 Die
iberischen Juden in Ragusa, der einzigen freien Stadt der ganzen Region, allerdings im
109
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 152f.
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 163.
111
Diogo Ramada Curto, Anthony Molho: Introduction. In: Commercial Networks in the Early Modern World.
EUI Working Paper HEC 2002/2. Hg. von Diogo Ramada Curto, Anthony Molho. San Domenico 2002, S. 14.
112
Deryck W. Holdsworth, Henry J. Rademacher: Die Worte und Welten des Handels. Waren und die
Kulturgeographie maritimer Räume. In: Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Räume, Reisende,
Repräsentationen. Hg. von Bernhard Klein, Gesa Mackenthun. Konstanz 2003, S. 125.
113
Livorno war laut einer Studie von Deryck W. Holdsworth and Henry J. Rademacher vom Department of
Geography an der Pennsylvania State University mit 38 Orten und vier Produkten verbunden: Koralle, Manna,
Olivenöl und Seide. Wobei das Öl aus Livorno als Speiseöl deklariert wurde. Eine Karte mit den
Handelsbeziehungen
Livornos
und
eine
Vorstellung
der
Studie
findet
man
unter:
http://www.geog.psu.edu/people/holdsworth/linking, Stand 27.11.2008.
114
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 234.
115
Zu den vielschichtigen Beziehungen im Mittelalter über die Adria hinweg. Siehe Leonhard: Die Seestadt
Ancona, S. 309-322.
110
36
lockeren Abhängigkeitsverhältnis zum osmanischen Reich, und in Split spielten dabei eine
bedeutende Rolle im Handel zwischen dem osmanischen Reich, Venedig und Ancona.116
Ab dem 12. Jahrhundert verbanden nicht nur ökonomische, sondern auch kulturelle,
künstlerische und religiöse Kontakte die beiden Adriaseiten miteinander. Notare, Künstler,
Beamte, Geisteswissenschaftler, Techniker, Ärzte, Kartographen, Soldaten, Bischöfe und
Handwerker tauschten sich aus. Künstlerische Erfahrungen, religiöse Glaubensvorstellungen,
technisches Wissen, mondiale Visionen, Elemente der materiellen Kultur und kollektive
Formen der Hingabe wechselten die Seite und vermischten sich.117
Im 15. Jahrhundert wurden die Beziehungen durch die osmanischen Besetzungen östlich der
Adria behindert. Als mit dem Tod von Papst Pius II 1464 der Kreuzzug gegen die Osmanen
abrupt endete, übernahm vermehrt der Wallfahrtsort Loreto die Aufgabe, die osmanische
Welle katholisch zu brechen. Die Ortschaft wurde zum Treffpunkt, wo sich balkanische Pilger
(Katholiken) einfanden und wo Prominente aus Politik, Kultur und Kirche das adriatischdonauische Verhältnis pflegten. Darüber hinaus diente die christliche Wallfahrtskirche als
sinnbildliche Festung gegen den vorpreschenden osmanischen Islam.118
Je heikler die politische Lage und je länger die Distanzen zwischen den Geschäftspartnern
waren, desto wichtiger wurden Geschäftsbriefe. Sie dienten als wichtige Informationsquellen,
bezüglich Warenpreise oder Reputation der Gegenseite. Da der gute Ruf das soziale Kapital
des Händlers war, konnten Briefe diesen erheblich beschädigen oder bestärken. Private
Geschäftsbriefe galten als die besten Quellen, zuverlässiger als offizielle Nachrichten seitens
der Regierungen. Livorno, das mit zahlreichen Kaufleuten bevölkerte bedeutende
Handelszentrum, fungierte dementsprechend als Verteiler von Wirtschaftsinformationen
zwischen diversen Kontinenten und Kulturen. Diese transkulturellen Netzwerke müssen als
kollektive denn als individuelle Verbindungen betrachtet werden.119
Doch auch regionale Netzwerke funktionierten, was die nachfolgend erläuterte Einbettung
Anconas und Livornos in das Handelswesen auf der Apenninhalbinsel beweist.
116
Esther Benbassa, Aron Rodrigue: Sephardi Jewry. A History of the Judeo-Spanish Community, 14th-20th
Centuries. Berkeley 2000, S. 9.
117
Marco Moroni: Rapporti culturali e forme devozionali tra le due sponde dell’Adriatico in età modena. In:
Pellegrini verso Loreto. Hg. von Floriano Grimaldi, Katy Sordi. Ancona 2003, S. 183.
118
Marco Moroni: Le Marche e la penisola balcanica tra economia e cultura. In: Munus Amicitiae. Scitti per il
70° Genetliaco di Floriano Grimaldi. Hg. von Gianfranco Paci u.a. Loreto 2001, S. 199f.
119
Francesca Trivellato: Merchants’ letters across geographical and social boundaries. In: Correspondence and
Cultural Exchange in Europe, 1400-1700. Hg. von Francisco Bethencourt, Florike Egmond. Cambridge 2007, S.
98f.
37
2.2 Ancona und Livorno als Ausgangs-, Treff- und Endpunkte
Innerhalb der Apenninhalbinsel legten die Händler feinmaschige Netzwerke an. Ancona stand
mit diversen Städten und Gebieten der näheren Umgebung im wirtschaftlichen Kontakt.
Sowohl auf politischer als auch auf ökonomischer Ebene entstanden im 13. und 14.
Jahrhundert private wie öffentliche Beziehungen zwischen Genua und Ancona, vermehrt noch
zwischen Ancona und Venedig.120 Rege Handelsverbindungen seitens Anconas wurden in
derselben Zeit zu den nahe gelegenen Gebieten der Romagna gepflegt, so etwa zu Bologna.
Niedrige Steuern erleichterten die Handelsaktivitäten.121 Gegen Süden bestanden unter
anderem rege Verbindungen mit Bari und der darum liegenden Region Apulien. Weitere
Haupthäfen waren Fermo, Grottammare, Pescara, Termoli, Baletta und Molfetta, von wo
zahlreich diverse Agrarprodukte wie Wein, Weizen und Öl nach Ancona verschifft
wurden.122 Kaufleute aus Messina, Bari, Trani und römische Juden besassen im 14.
Jahrhundert Aufenthaltsgenehmigungen und Handelslizenzen in Ancona.123
An der Adriaküste kreuzten sich zahlreiche Handelsströme, nicht nur an der okzidentalen
Küste entlang. Ancona kann als Knotenpunkt angesehen werden, ein Punkt, der im 16.
Jahrhundert oft frequentiert wurde.
Dank der geographischen Lage mussten die Schiffe auf dem Weg nach Ancona nicht das
nördliche
adriatische
Meer,
die
Hochburg
der
Piraten,
durchqueren.124
Dieser
sicherheitstechnische Vorteil, die Nähe zum dalmatinischen Wirtschaftszentrum Ragusa125
und die Inanspruchnahme des Hafens durch Händler aus Florenz, für deren Handel mit dem
Osten, verhalfen dem anconitanischen Handel zu grossem Aufschwung und hielten
120
Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 300f.
Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 305f.
122
Marco Moroni untersuchte die zahlreichen wirtschaftlichen Kontakte Anconas im 17. Jahrhundert mit den
Regionen im südlichen Adriagebiet. Marco Moroni: Barche e paroni dell’area picena, aprutina e pugliese ad
Ancona nel Seicento. In: Proposte e ricerche. Economia e società nella storia dell’Italia centrale 58 (2007), S.
65-91.
Dabei kam heraus, dass durch den Bedeutungsverlust von Venedig und Ragusa im 17. Jahrhundert neue, lokale
Handelsnetzwerke in der Adria entstehen konnten, die sich mit den neuen Grossen im Handelswesen, die
Habsburger, die Flamen, die Engländer und die Franzosen, messen konnten. Diese lokalen Händler stammten
vor allem aus dem Süden der Adria, von wo sie aus vermehrt mit Triest und Ferrara Geschäfte tätigten. Moroni:
Barche e paroni, S. 87f.
123
Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 307f.
124
Es kam hinzu, dass die Venezianer mittels einer Kriegsflotte ihre Handelsschiffe begleiteten und so die ganze
Adriaküste sicherer machten, wovon u.a. Ancona profitierte. Hinweis dazu bei Peter Bartl: Der Westbalkan
zwischen spanischer Monarchie und osmanischem Reich. Zur Türkenkriegsproblematik an der Wende vom 16.
zum 17. Jahrhundert. Wiesbaden 1974, S. 60.
125
Ragusa erlebte im 16. Jahrhundert eine Phase grossen Wohlstands. Viele Schiffe unter ragusanischer Flagge
liefen die wichtigsten Häfen im Mittelmeer an, so auch Ancona. Dort lebte eine starke ragusanische
Kaufmannskolonie und der ragusanische Konsul regelte die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen über
die Adria hinweg. Siehe dazu Bartl: Der Westbalkan, S. 78f.
121
38
Konkurrenten wie Venedig in Schach.126 Diese günstigen Bedingungen wurden intensiv
genutzt, insbesondere der Verkauf von florentinischen, flämischen oder englischen Stoffen,
der Ankauf von Fellen aus dem Balkan und dem osmanischen Reich und die Umverteilung
von Agrarprodukten florierte in Ancona.127
Zum byzantinischen Reich und deren Hauptstadt Istanbul unterhielt die Hafenstadt Ancona
bereits im Frühmittelalter Handelsbeziehungen, sie besass einen hohen Stellenwert im Handel
zwischen Mittelitalien und dem Osten.128 Sowohl anconitanische als auch florentinische
Kaufleute nutzten den Hafen, um mit Dalmatien, Byzanz und der Levante Geschäfte
abzuwickeln.129
Bereits im 12. Jahrhundert galt Ancona zudem als Ausgangspunkt für die pisanischen
Handelsfahrten ins östliche Mittelmeer, weshalb die Stadt eine gewisse Rolle im politischen
Machtspiel im Mittelmeerraum spielte.130 Im 13. Jahrhundert zeugen Handelsabkommen
zwischen Ancona und Zadar von dem Handelseifer über die Adria hinweg.131 Im 14. und 15.
Jahrhundert weiteten sich die Kontakte auf Orte in Griechenland und der Levante mit
Transitfunktion aus, zum Beispiel Saloniki. Auch am Schwarzen Meer in Kaffa unterhielten
Anconitaner wirtschaftliche Niederlassungen, ebenso auf Zypern, in Akkon, Tyrus,
Alexandria und Syrien. Demgegenüber blieb die Anzahl von Byzantinern in Ancona lange
bescheiden.132
Ancona war zudem die Basis für die osmanische Geschäftstätigkeit mit Florenz und
umgekehrt.133 Möglicherweise verband Ancona mit Florenz lange Zeit eine engere
Beziehungen als mit dem Mutterhaus in Rom – die Marken inklusive Ancona waren einer der
sechs Provinzen des Kirchenstaates im 16. Jahrhundert, neben Bologna, Romagna, Umbrien,
Campagna und Patrimonio. Der Kontrakt zwischen Florenz und der Stadtverwaltung von
Ancona
aus
dem
Jahre
1499,
in
dem
florentinischen
Kaufleuten
beträchtliche
Gebührenreduktionen auf Waren aus dem Osten und Zollsenkungen bei der Ausfuhr von
florentinischen Tüchern zugeschrieben bekamen, spricht dafür.134 Gegen Ende des 16.
Jahrhunderts verschob sich die Haupthandelsroute gegen Rom. Die Päpste bemühten sich um
126
Ravid: A Tale of Three Cities, S. 140.
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 34.
128
Zur Rolle Anconas als Zwischenstation Pisa/Florenz – Byzanz/Dalmatien. Vgl. Leonhard: Die Seestadt
Ancona, S. 302f.
129
Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 280.
130
Gerhard Rösch: Venedig: Geschichte einer Seerepublik. Stuttgart 2000, S. 53.
131
Marco Moroni: Schiavoni, morlacchi e albanesi a Recanati nelle fonti catastali del XVI secolo. In: Italia felix.
Migrazioni slave e albanesi in Occidente. Romagna, Marche, Abruzzi, secoli XIV-XVI. Hg. von Sergio
Anselmi. Ancona 1988, S. 154.
132
Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 325f.
133
Marianna D. Birnbaum: The long journey of Gracia Mendes. Budapest 2003, S. 76.
134
Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 20, 95.
127
39
gute Kontakte an die Adriaküste, die oft über Ragusaner, wohnhaft in Rom, Ancona und
Ragusa, zustande kamen.135
Tücher und Stoffe aus Florenz wurden ab 1520 vielfach von florentinischen Händlern an
ragusanische, griechische und andere osmanische Mittelsmänner in Ancona verkauft und
nicht mehr an die florentinischen Agenten in den osmanischen Städten. Während der Handel
zu
Beginn
des
16.
Jahrhunderts
von
einer
kleinen
Gruppe
italienisch-
oder
ragusanischstämmigen Kaufleuten dominiert wurde, drangen in den 1520er Jahren immer
mehr osmanische Untertanen, Juden, Türken und Griechen, in das Geschäft um die Tücher
ein. Die italienischen, unter ihnen vor allem die florentinischen Händler verkauften ihre
Tücher an Händler aus dem östlichen Mittelmeer. Darunter waren viele Juden, die
ursprünglich aus Portugal kamen, später aber im osmanischen Reich, in der Levante und in
Ancona lebten. Ancona wandelte sich so vom Transithafen zum Umschlaghafen, wo Tücher
aus dem Westen nicht nur passierten, sondern gekauft und verkauft wurden. Dieser Status
machte die Stadt attraktiv für Händler aus anderen Handelszentren und so bekam der Hafen
Anconas in 1520er Jahren ein kosmopolitisches Gesicht.136
Auch im Handel mit Fellen spielten osmanische Händler im 16. Jahrhundert eine immer
tragendere Rolle. Sie übernahmen die Rolle, die früher die Italiener oder Ragusaner
innehatten. Sie brachten die im ostadriatischen Hinterland produzierten Häute und andere
Produkte mit ihren eigenen Schiffen auf kürzestem Wege über Ragusa nach Ancona, von wo
aus sie weiter auf die grossen Märkte nach Rom, Florenz und die Lombardei transportiert
wurden, indem sie die Waren an die Händler aus dem Landesinneren der Apenninhalbinsel
verkauften.137 Die drei Städte Ancona, Venedig und Genua waren in den Jahren 1500 bis
1700 die Hauptabnehmer für Felle und Häute aus Ragusa. Beim Wachs sah es ähnlich aus.
Ancona und Pesaro waren die Hauptimporteure für bulgarischen, serbischen und
herzegowinischen Wachs, der in Ragusa verladen wurde.138 Wolle aus Ragusa wurde zu
Beginn des 16. Jahrhunderts in grossen Mengen nach Nord- und Mittelitalien exportiert,
insbesondere nach Ancona und Venedig. Beide Städte wurden von den osmanischen Händlern
und den Kaufleuten aus Ragusa als sichere Abnehmer für ihre Rohmaterialien und als
Kaufplatz für westliche Produkte geschätzt.139
135
Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 100.
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 35f.
137
F.W. Carter: The Commerce of the Dubrovnik Republic, 1500-1700. In: Merchant Networks in the Early
Modern World. Hg. von Sanjay Subrahmanyam. Aldershot 1996, S. 230 und Earle: The Commercial
Development of Ancona, S. 37f.
138
Carter: The Commerce of the Dubrovnik Republic, S. 231.
139
Carter: The Commerce of the Dubrovnik Republic, S. 234.
136
40
Die Verteilung der Agrarprodukte, insbesondere Getreide, konzentrierte sich mit der Zeit
ebenfalls in den Händen einiger einflussreicher Händler aus dem osmanischen Reich.140
Ancona nahm auf verschiedenen Ebenen eine Zwischen- oder Vermittlerposition ein. Ancona
wurde erstens durch die oben aufgelisteten Netzwerke zum internationalen Marktplatz.
Produkte aus dem osmanischen Reich wurden von osmanischen oder ragusanischen Händlern
nach Ancona gebracht und dort verkauft, mit italienischen und westlichen Waren geschah
dasselbe durch Westeuropäer, im speziellen durch Händler der apenninischen Halbinsel. Die
Stadt war der Mittelpunkt zwischen der mediterranen Levante bzw. dem Balkan auf der einen
Seite und Norditalien bzw. Nordeuropa auf der anderen Seite.141 Ercole Sori macht drei
Haupthandelsrouten ausfindig:142 Die Nordachse verlief via Ferrara, Mailand, Basel,
Antwerpen (oder Rouen oder Hamburg) nach London. Die Nordwestachse passierte Florenz,
Genua, Lyon und endete in Marseille. Die Ostachse schliesslich führte von Ragusa,
Castelnuovo oder Vlora (Albanien) nach Istanbul.143
Ancona galt zweitens als Verknüpfungspunkt zwischen Orient und Okzident mit einer stets
grossen Immigration aus allen Himmelrichtungen. Besonders attraktiv, aufgrund der nahen
Lage, war Ancona für abwanderungswillige Personen aus dem Balkan.144
Die Stadt besass drittens den Ruf, ein Scharnier zwischen dem Islam und dem Christentum zu
sein, wo der Kosmopolitismus mit gegenseitiger Rücksichtnahme einherging.145
Von, nach und über Livorno lassen sich ebenfalls häufig frequentierte Handelswege
aufspüren. Fernand Braudel und Ruggiero Romano zeichneten drei Karten des livornesischen
Handels, um die geographische Dimension aufzuzeigen. Die erste Karte von den Jahren 15471568 zeigt das Mittelmeer als archaischen Raum, der eine ökonomische Einheit bildete, recht
unabhängig vom Norden.146
140
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 37.
Sori: Evoluzione demografica, S. 29.
Auf der Liste der Städte, publiziert 1699 in Amsterdam in armenischer Sprache, mit denen Armenier aus
Amsterdam Handel betrieben, tauchte auch Ancona auf. Siehe dazu Curtin: Cross-Cultural Trade, S. 193.
142
Sori: Evoluzione demografica, S. 29.
143
Sergio Anselmi beschreibt in seiner Erzählung eine Karawane, die von Ragusa nach Istanbul unterwegs war.
Von Ragusa führte der Weg nach Slano, Foca, wo Waren aus Sarajevo und Belgrad dazustiessen, Pljevlja,
Prijepolje, Novi Pazar, Prokuplje, Nis, Pirot, Dragoman, Sofia, Ithiman, Plovdiv, Edirne (Adrianopoli) bis nach
Pera, einem Quartier in Istanbul. (Zwischen)Halte an diesen Stationen, wo sich zum Teil grosse Märkte
befanden, konnten mehrere Tage dauern. Auf dieser Handelsreise 1673 ist Bartolomeo di Marino Caboga
beteiligt. Ein ragusanischer Händler, der Niederlassungen in Florenz, Venedig, Ancona, Belgrad und Skopje
besass. In Ragusa, von wo aus er seine Geschäfte leitete und überwachte, besass er eigene Schiffe (sog.
Caracche). Siehe Sergio Anselmi: Mercanti, corsari, disperati e streghe. Bologna 2000, S. 103f.
144
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 142.
145
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 142 und Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 40.
146
Fernand Braudel, Ruggiero Romano: Navires et marchandises à l’entrée du port de Livourne (1547 – 1611).
Paris 1951, S. 31f.
141
41
Auf der zweiten Karte wird deutlich ersichtlich, dass Livorno 1573-1593 hauptsächlich mit
dem westlichen Mittelmeer in wirtschaftlicher Beziehung stand. Die Importe aus dem Hafen
von Lissabon oder aus andalusischen Häfen nahmen gegen Ende dieser Periode jedoch stark
ab. Das Eindringen nordeuropäischer Händler (Engländer, Holländer und Hanseaten) und
Schiffe (aus Amsterdam, Hamburg und Danzig) wurde dafür verantwortlich gemacht. Sie
nutzten die Missernten und den daraus folgenden Getreidemangel im Mittelmeer gekonnt aus
und versorgten von Livorno aus die umliegenden Märkte mit Getreide.147
Die dritte Karte (1594-1611) bringt eine weitere Erweiterung des livornesischen
Handelswesens zum Vorschein. Schiffe aus Russland, Neufundland oder Goa erreichten den
Hafen am Tyrrhenischen Meer. Das blühende Leben in Livorno basierte auf den beständigen,
guten Beziehungen in den Osten (Orient), kombiniert mit vermehrtem Kontakt in Richtung
Westen und Ozean. Der Handel in Livorno nahm generell zu.148
Die wirtschaftlichen Beziehungen verzweigten sich in alle Himmelsrichtungen. Ein Beispiel
hierzu: Pfeffer aus den nordischen Häfen (Hamburg, Lübeck, Amsterdam) gelangte nach
Livorno, um dort mit dem Pfeffer aus der Levante zu konkurrieren.149
Livorno war im 17. Jahrhundert eng mit der islamischen Welt verbunden. Tunesien
entwickelte zu dieser Zeit enge Verbindungen zu Livorno, vor allem Weizen wurde von
Nordafrika an die Tyrrhenische Küste exportiert.150 Tunesische Exporte von Wolle, Häuten,
Datteln, Wachs und Olivenöl gelangten im 18. Jahrhundert ebenfalls vornehmlich nach
Livorno, wo sie im Freihafen von tunesischen Juden entgegengenommen wurden. In Algier
und Tunis von livornesischen, korsischen, genuesischen, französischen, flämischen,
englischen, jüdischen und venezianischen Kaufleuten erworbene Raubwaren wurden über den
freien Hafen Livorno in ganz Italien verbreitert, weiss ein Venezianer zu berichten.151 Der
grösste Teil der Exporte aus Tripolis gelangten desgleichen nach Livorno.152 Gleichfalls stellt
Renato Grezzi Livorno als Import-, Aufbewahrungs- und Zwischenhafen dar, der Waren aller
Art aus dem Maghreb und der Levante importierte. Die dortigen Wirtschaftszentren waren
147
Braudel, Romano: Navires et marchandises, S. 39-53.
Braudel, Romano: Navires et marchandises, S. 53-63.
149
Halil Inalcik u.a.: An Economic and Social History of the Ottoman Empire. Cambridge 1997–2005, S. 357.
150
Inalcik: An Economic and Social History, S. 509f.
151
Marcello Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno all’inizio del regime di porto franco colti da un
osservatorio significativo: La società di Giulio del Beccuto. In: Atti del convegno „Livorno e il Mediterraneo
nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 298.
152
Inalcik: An Economic and Social History, S. 732. Mehr zu den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen
Tripolis und Livorno: Nora Lafi: Une ville du Maghreb entre ancien régime et réformes ottomanes. Genèse des
institutions municipales à Tripoli de Barbarie (1795-1911). Paris 2002.
148
42
Algier, Tunis, Tripolis, Alexandria, Kairo, Sidon (Libanon), Akkon (Israel), Tripoli
(Libanon), Aleppo, Iskenderun (Türkei), Zypern, Izmir und Istanbul.153
Der Erfolg dieses Systems hing stark von den ausländischen Händlern ab, die in Livorno ihre
Waren lagerten, neue Waren verschifften und so bessere Profite machen konnten. Die
livornesischen Händler waren aber keineswegs passiv. Sie beteiligten sich aktiv an der
Bewaffnung der Schiffe. Ihre Waren wurden so unter fremder Flagge transportiert, vor allem
unter französischer, englischer und holländischer.154
Livorno spielte eine wichtige Rolle im regionalen und gleichzeitig im italienischen und
internationalen Handel. Die Stadt hatte also eine dreifache Funktion inne.155 Die
Verbindungen zwischen Livorno und den Häfen der Levante und dem Maghreb wurden
hauptsächlich durch die Juden und die Armenier hergestellt, die in allen dortigen
Hafenstädten anzutreffen waren.156 Der direkte Handel zwischen Izmir und Livorno kam
durch holländische und englische Händler und Schiffe zustande. Zu Beginn des 17.
Jahrhunderts verkehrten vor allem noch französische Schiffe zwischen den beiden Städten.157
Weil die französische Regierung den Handel mit Nordafrika verbot, nutzten zahlreiche
korsische und französische Schiffe Livorno als Alternativhafen, vor allem am Anfang des 17.
Jahrhunderts.158
Zu Beginn der 1630er Jahre nahm die Handelstätigkeit in Livorno, und nicht nur dort, stark
ab. Grund dafür war die Pest, die eine Wirtschaftskrise auslöste.159 Doch auch die Politik
lenkte mehr oder weniger bewusst die Handelsströme. Wegen politischen Krisen und Kriegen
wechselten die englischen und holländischen Händler ihre Handelsbasen im und am
Mittelmeer. Zuerst nutzten sie Spanien, dann Venedig, später Livorno, Genua und Marseille.
Die Konkurrenzsituation war stark. Die Händler folgten den günstigsten und attraktivsten
Bedingungen bezüglich Sicherheit, Zoll, Steuern und Gebühren.160
Dabei konnte Livorno lange Zeit eine Vorreiterrolle übernehmen. Florentinische Wollkleider
wurden von Livorno aus über Chios nach Bursa geliefert und in die Gegenrichtung.161 Die
Engländer organisierten den Seidenhandel. Die Seide gelangte im 15. und 16. Jahrhundert aus
Persien (Iran) über Livorno nach England und Italien und konkurrierte so den Transithandel
153
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 208f.
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 423f.
155
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 430.
156
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 431f.
157
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 436.
158
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 442.
159
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 445.
160
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 446f.
161
Inalcik: An Economic and Social History, S. 239.
154
43
Venedigs.162 Im 18. Jahrhundert verdrängten die Franzosen die Engländer als Handelspartner
der Osmanen, weil die Engländer durch die Einführung strenger Quarantäneregelungen in
Livorno und Malta behindert waren und dementsprechend auf Vermittler angewiesen waren –
Juden, Griechen und Armenier. Die Franzosen dagegen verfolgten eine gezielte
Handelskampagne, die 1740 mit einem Handelsabkommen mit den Osmanen konkretisiert
wurde. Sie konzentrierten sich auf das Kabotagegeschäft, das heisst, sie erbrachten
Transportdienstleistungen zwischen den osmanischen Häfen.163
Doch auch im Lokalverkehr mischte Livorno mit.164 Die Behauptung, Livorno sei völlig von
der Toskana losgelöst zu betrachten und lebe unabhängig von seinem zu armen Hinterland,
kann nicht aufrechterhalten werden. Zu allen vier toskanischen Zentren Florenz, Pisa, Lucca
und Siena unterhielt Livorno gute wirtschaftliche Beziehungen.165
Über die Toskana hinweg mischten sich livornesische Unternehmen ebenfalls ein. Um neue
Absatzmärkte zu finden, sahen sie sich vor allem im Norden um und tätigten in Bologna,
Modena, Ferrara, Piacenza, Ancona, Senigallia, Parma, Verona, Mantova und Bolzano
Geschäfte. Von diesen Orten war der Weg dann nicht mehr weit bis Regensburg und
Augsburg. Weniger aktiv buhlten die Betriebe im venezianischen Einzugsbereich, wo sie auf
Barrieren stiessen. Hier war der Konkurrenzkampf besonders hart.166
Ob der Land- oder der Seeweg genommen wurde, hing von verschiedenen Faktoren ab. Für
den Landweg sprachen die kürzeren Distanzen (Venedig-Livorno ohne Umweg über Sizilien)
und die weniger gefahrenreiche Strecke, während der Seeweg deutlich billiger war.167
Die lokalen Netzwerke können nicht auf Norditalien beschränkt werden. Über Genua, nach
Neapel bis schliesslich nach Rom, Messina und Palermo weiteten sie sich aus.168
Für den Weg Livorno-Pisa wurden die Waren auf dem Canale dei Navicelli verschifft,
während für die Strecke Pisa-Florenz der Arno benutzt wurde. So wurde Livorno mit Florenz
verbunden. Der Landweg mit der Kutsche wurde nur für Eilsendungen und für den
Postverkehr in Betrieb genommen. Im Transportwesen zeichnete sich eine Spezialisierung ab.
162
Inalcik: An Economic and Social History, S. 372.
Inalcik: An Economic and Social History, S. 728.
164
1789/90 regionalisierte sich der Güteraustausch von Venedig (Import und Export). Vom nahe gelegenen
venezianischen Festland wurden 32% der Waren importiert und dorthin gelangten 58% der Waren aus Venedig.
Die Ponente basso (u.a. Livorno) nahm dabei mit 3,4% der Importe und mit 3.0% der Exporte eine viel geringere
Rolle ein. Alexander Nützenadel: Coping with Decline. Commercial Networks, Merchants and the
Regionalization of Trade in Eighteenth Century Venice. In: Spinning the Commercial Web. International Trade,
Merchants, and Commercial Cities, c. 1640–1939. Hg. von Margrit Schulte-Beerbühl, Jörg Vögele. Frankfurt a.
M. 2004, S. 31.
165
Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 297f.
166
Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 300f.
167
Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 302f.
168
Von dort war der Weg nach Madrid, Alicante, Sevilla, S. Giovanni d’Acri (heutiges Israel), Marseille,
Amsterdam und Danzig nicht mehr weit. Vgl. Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 304.
163
44
Einige Unternehmen konzentrierten sich auf einen Geschäftszweig, etwa den Transport,
während andere Betriebe sich ausschliesslich dem Handel zuwandten.169
Um die Barrieren der Konkurrenz zu überwinden, versuchten die Unternehmen nicht
unbedingt ihr Einflussgebiet zu vergrössern, sondern die Einfuhr- und Absatzmengen zu
erhöhen. Dies war vorwiegend dann nötig, wenn die Pest in einigen Gebieten auf der
Apenninhalbinsel tobte. Durch die Furcht vor der Ansteckung wurden Handelswege
geschlossen, Messen verschoben und die Aufträge schrumpften.170
Generell und resümierend lässt sich sagen, dass die wirtschaftlichen Netzwerke um Ancona
und Livorno herum umfassend waren, im Sinne, dass die Produktevielfalt, die Herkunfts- und
die Absatzmärkte für diese Produkte, die geographische Diversität der Händler und Kapitäne
und deren Einkunftsmöglichkeiten kaum Grenzen kannten. An einem Beispiel mit
Ragusanern in Ancona kann das Funktionieren dieses Systems fassbar gemacht werden. Die
Ragusaner kauften und verkauften Rohprodukte aus dem Osten (von Ancona aus betrachtet)
oder Fertigprodukte aus dem Westen. Die Bezahlung erfolgte meistens auf Kredit oder Ware
gegen Ware. Die Güter wanderten mehrheitlich übers Wasser, was Schiffe benötigte, die die
Kaufleute bei unterschiedlichsten Kapitänen – Ragusaner, Engländer, Franzosen, Riminesi –
mieteten. Zur Sicherung der Waren wurden Versicherungen abgeschlossen. So verdienten
sich viele Menschen im Handelswesen ihren Lebensunterhalt. Einige der Geschäftstüchtigen
verwendeten das erarbeitete Geld dafür, um den Arbeitsplatz auch zum Lebensmittelpunkt zu
gestalten. Investitionen in Haus und Land und die Aufnahme in den Adelsstand waren die
sichtbaren Schritte, mit denen die Zugewanderten den Wohlstand, den Respekt und das
Wohlwollen in eine gelungene Integration in die sozialen und ökonomischen Verhältnisse vor
Ort umzumünzen versuchten.171
169
Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 304.
Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 305.
171
Claudia Marinucci: Mercanti ragusani ed ebrei ad Ancona nei rogiti del notaio Alessandro Postumi, 16001619. In: Proposte e ricerche. Economia e società nella storia dell’Italia centrale 25 (1990), S. 194-204.
170
45
3. Anconas und Livornos Werden zu kosmopolitischen Wirtschaftszentren: Der Hafen und die
Stadt
„Es sind immer wieder >Wasserwelten< – Ozeane, Küstengebiete und Hafenstädte – , die sich
als besonders attraktiv für diasporische Gemeinschaften erweisen.“172
3.1 Der wirtschaftliche Hintergrund: Der Hafen
Seit ihrer Gründung orientierte sich die Wirtschaft der Stadt Ancona in Richtung Hafen und
dem dahinter liegenden Wasser und identifizierte sich mit der Rolle als Handelsstadt,173 so
wie Livorno, das Dorf, das sein Werden zu einer Stadt dem Hafen und dem Handel verdankte.
Ancona und Livorno sind je als Einheit zu verstehen, als Lebensraum, der gestaltet und
gestaltet wird. Der Hafen wurde einerseits in Eigeninitiative als eine Basis aufgebaut, als ein
Angebot für Waren und Menschen, sich der Stadt zu nähern oder von ihr wegzugehen. Wer,
in welchen Umfang und wann diese Infrastruktur nutzte, konnte nur bedingt gesteuert werden,
zu viele, nur schwer zu kontrollierende Faktoren spielten mit. Das kontextuelle Umfeld,
sprich das Hinterland, die Handelspartner und die Handelskonkurrenten, aber auch die Natur
und die internationale Politik lagen andererseits oft ausserhalb der Gestaltungssphäre Anconas
und Livornos.
In einem ersten Schritt wird nun der Hafen generell als wirtschaftlich und sozial aktive
Zugkraft dargestellt, die, im nächsten Unterkapitel deutlich sichtbar, im Falle von Ancona und
Livorno nicht konstant arbeiten konnte. Rückschläge in Form von Seuchen, Konkurrenten,
Kriegen und politischen Umwälzungen mussten stets in Kauf genommen werden.
So wie sich in einer Stadt viele Menschen auf engem Raum zusammenfinden, konzentriert
sich im Hafen, dem Verkehrsknotenpunkt zwischen Wasser und Land, praktisch die gesamte
Wirtschaft der Stadt. Ein Hafen prägt eine Stadt in ihrer äusseren und architektonischen
Erscheinung, aber auch ihre wirtschaftliche Laufbahn.
Gemäss einem von Franco Angiolini zitierten Juristen aus Italien aus dem 18. Jahrhundert übt
ein Hafen diverse Funktionen aus, die seine Gestalt bestimmen:174 Erstens ist er eine
geschlossene Meeresbucht, wo Schiffe Zuflucht finden, zweitens werden im Hafen Menschen
172
Mayer: Diaspora, S. 22.
Mordenti weist darauf hin, dass das Meer zum Alltag in Ancona gehörte. Siehe Alessandro Mordenti: Vita
quotidiana e modelli di cultura in una periferia dello Stato pontificio nei secoli XVI-XVII. In: La famiglia e la
vita quotidiana in Europa dal '400 al '600. Hg. von Renato Grispo u.a. Rom 1986, S. 395.
174
Franco Angiolini: Der Hafen. In: Orte des Alltags. Miniaturen aus der europäischen Kulturgeschichte. Hg.
von Heinz-Gerhard Haupt. München 1994, S. 44.
173
46
und Güter ein- und ausgeschifft und drittens dürfen sich alle, ausser genau definierte Feinde,
im Hafen aufhalten.
Um der ersten Aufgabe gerecht zu werden, musste eine gewisse Infrastruktur vorhanden sein.
Neben
unmittelbaren
Hafenanlagen,
wie
Anlegestellen
und
Lagerräume,
gab
es
Geschäftshäuser, Verwaltungsgebäude, Vermarktungs- und Verarbeitungsstätten, Werften,
Versicherungsgesellschaften, Handelskammern, aber auch Spitäler und diverse Unterkünfte
und Treffpunkte für Seeleute. Durch diese Bauten bildeten praktisch alle Hafenstädte
einheitliche Räume, die zudem als wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eckpfeiler von
ganzen Regionen dienten. Die umliegende Landwirtschaft profitierte davon, ebenso die lokale
Industrie und das Handwerk.175 So ist es nicht verwunderlich, dass sie Personen anzogen.
Hafenstädte gehörten im 18. Jahrhundert zu den bevölkerungsreichsten Städten in ganz
Europa. Sie alle hatten ein ähnliches Erscheinungsbild, das neben der infrastrukturellen
Einheit auch soziale Faktoren vereinte. Emigranten übernehmen die niedrigsten und
schwierigsten Arbeiten, Seeleute warteten auf die Einschiffung und das Hafenviertel war voll
von kleinen Geschäften, Weinstuben, aber auch von Gaunern, Abenteurern und Prostituierten,
Menschen im Blickfeld der Polizei, welche sich um die öffentliche Gesundheit176 und um die
Bekämpfung
der
Wirtschafts-
und
der
Kleinkriminalität
kümmerten.
Ohne
die
Sanktionsmassnahmen und die penible Eintreibung der Gebühren wäre der Waren- und
Menschenkreislauf erheblich gestört worden, mit fatalen Folgen für die Wirtschaft.177 Diesen
zweiten Dienst konnte der Hafen also nur erledigen, wenn die Menschen im Hafen
reibungslos miteinander harmonierten, nötigenfalls zwanghaft.
Die dritte Funktion des Hafens betrifft seine soziale Zusammensetzung. Er konstituierte eine
offene Gesellschaft, wo Menschen, Dinge, Ideen und Gebräuche aus verschiedensten Ländern
zusammenkamen. Fremde wurden nicht ausgeschlossen oder diskriminiert, da sich die Stadt
sonst selbst wirtschaftlich geschadet und gelähmt hätte. Der Kosmopolitismus ist neben dem
Warenaustausch das markanteste Wesensmerkmal der Hafenstadt. Unterschiedliche Bräuche,
Sitten und Kulturen von nah und fern liefen dort zusammen. Politiker passten
dementsprechend ihre Gesetze und Institutionen an. Die Ansiedlung der Fremden war de
175
Ein Metzger aus Pisa (Gio. Batt. Bianchi), zurzeit in Livorno heimisch, bat den Governatore von Livorno um
Erlaubnis, Würste aus Büffelfleisch herstellen zu dürfen, im Dienste des Hafens und zur Verwendung der
Schiffe, die dort einliefen und Steuern zahlten (15. April 1655). In: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S.
14.
176
Quarantänen entstanden, weil auch über die Häfen die Seuchen eingeführt wurden. Angiolini: Der Hafen, S.
48.
177
Angiolini: Der Hafen, S. 44 und 47f.
47
facto nicht zu verhindern.178 In der neuen Heimat wurde die eigene kollektive Lebensweise
(Feste, Zeremonien und Rituale) weitergeführt oder man liess sie in die neue Umgebung
einfliessen. Der Grad der Abschottung oder Integration variierte je nach Raum und Zeit. Alles
in allem verkörperten die Häfen das Bild eines Ortes, wo sich das Fenster zur Welt öffnete,
wo historische Brennpunkte loderten und wo der kulturelle und ethnische Schmelztiegel sich
frei auslegen konnte.179
Neue Konsumwaren wie exotische Gerichte und neue Gewohnheiten, wie die englische
Teekultur, breiteten sich von den Häfen aus. Das Zusammenleben gestaltete sich Kulturen
verschmelzend und gegenseitig beeinflussend, was sich an der Sprache und an der Architektur
am besten dokumentieren lässt. Arabische Wörter flossen in die Seemannssprache (Arsenal)
und in die Handelssprache (Magazin) ein, zudem entwickelte sich eine gemeinsame, freie
Misch- oder Pidginsprache, die den Seeleuten und Hafenstadtbewohnern im gesamten
Mittelmeerraum als Verständigungsmittel diente. In der Architektur kann man beobachten,
dass stilähnliche Hafengebäude in mehren Städten auftreten, wenn nicht sogar
flächendeckend in ganzen Regionen.180
Das Wesen des Hafens war wirtschaftlich wie sozial stetig Änderungen unterworfen. Die
Entwicklung der Häfen in der Frühen Neuzeit wurde hauptsächlich durch die industrielle
Revolution geprägt. Nach dieser wurden die Schiffe mechanisch angetrieben, die
Warenmengen nahmen zu und die Häfen spezialisierten sich auf ein Produkt. Durch diese
technologischen Fortschritte verminderte sich der kulturelle Austausch. Da sich die
Löschzeiten verkürzten, hatten die Seeleute kürzere Landgänge und durch die neuen
Kommunikationstechnologien sowie die intensivere Nutzung des Telegraphen brauchte es
weniger ausländische Händler vor Ort. Die offene und gemütliche Lebens- und Denkart
wurde immer mehr dem rasanten Tempo und der Vergänglichkeit unterworfen.
„Im Europa der Nationen und Nationalismen gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind die Häfen
zwar noch ein „Fenster zur Welt“, aber sie lassen den Luftzug immer weniger herein,
während die Hauptstädte und Metropolen immer mehr Menschen und Neuigkeiten
anziehen.“181
Zwei weitere Erscheinungen wirkten nachhaltig auf den Hafen ein. Einerseits verschwanden
im 19. Jahrhundert, wenigstens offiziell, die kosmopolitischen Freibeuterhäfen, wo ethnische
Elemente wild durcheinander gemischt wurden. Andererseits war die Erweiterung der Welt
178
Protestanten, Juden und orthodoxe Christen handelten selbst in der Gegenreformation in Livorno mit Waren.
Angiolini: Der Hafen, S. 48.
179
Angiolini: Der Hafen, S. 45 und 48f.
180
Angiolini: Der Hafen, S. 49.
181
Angiolini: Der Hafen, S. 50.
48
nach Amerika von grosser Bedeutung. Sie forderte von den Häfen im Mittelmeer neue
Anstrengungen, um sich zu erhalten. Dies gelang nicht allen gleich erfolgreich. Es kam zur
Hierarchisierung und zur genannten funktionalen Spezialisierung, die sich zwischen dem 16.
und dem 19. Jahrhundert mehrmals veränderten. Je nach geographischer Lage in Europa und
auch innerhalb dieser Regionen lösten sich die Häfen als Vorreiter ab. Im Mittelmeer erfahren
wir die Vorherrschaft Venedigs, den Aufstieg Livornos sowie die Erfolgsgeschichten von
Marseille und Barcelona oder das Wiederaufblühen von Genua.182
Die drei vorgenannten Kriterien, die einen Hafen ausmachen, lassen sich auf Ancona und
Livorno projizieren. Beide Städte sind typische, das heisst kosmopolitische, unzählige Schiffe
aufnehmende
und
allerlei
Waren
und
Menschen
ein-
und
ausschiffende
Mittelmeerhafenstädte, die dennoch gewisse Eigenheiten aufweisen. Im Wirtschaftsleben,
sowohl in Ancona als auch in Livorno, war der Hafen ein wichtiger Bestandteil der beiden
Städte. Durch eine gezielte urbane Baupolitik wurde die Küste strukturiert. Anlagen und
Bauten aller Art, die primär eine öffentliche und wirtschaftliche Funktion ausübten, machten
die Natur bewohnbar, Schiffe, Waren und Menschen wurden vor der Natur beschützt, das
Hafenviertel wurde ausgedehnt und zum Leben erweckt.
3.2 Der wirtschaftspolitische Hintergrund: Kirchenstaat und Toskana
3.2.1 Ancona im Kirchenstaat
Ancona ist eine Hafenstadt am Adriatischen Meer. Ihre Geschichte reicht weit zurück und ist
von
griechischen,
römischen,
gotischen,
byzantinischen,
langobardischen
und
kirchenstaatlichen Einflüssen geprägt. Von 1532 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts befand
sie sich unter der Herrschaft des Kirchenstaates, mit Hauptsitz in Rom, und somit unter der
Führung der Päpste. Danach kam die Stadt in den Einflussbereich Frankreichs, bevor sie nach
dem Risorgimento in den italienischen Nationalstaat eingegliedert wurde.183 Heute ist sie die
Hauptstadt der Region Marken.
Ancona war seit dem Mittelalter eine verfassungsmässige Stadtgemeinde mit eigener Justiz.
Ab
1532
stand
sie
im
Spannungsfeld
zwischen
lokaler
Selbstverwaltung
kirchenstaatlicher Kontrolle in Form eines governatore.184
182
Angiolini: Der Hafen, S. 45f.
Zur Geschichte Anconas von den Anfängen bis heute siehe Natalucci: La vita millenaria, S. 11f.
184
Mordenti: Vita quotidiana, S. 388.
183
und
49
Ancona ist eine Stadt, die in der Frühen Neuzeit vom Hafen belebt wurde. Die anconitanische
Ausrichtung auf den (See)Handel reichte von der Gründungsphase bis ins 18. Jahrhundert,
wobei sie erst ab der Jahrtausendwende strukturell verankert wurde.
Ancona erlebte vom 11./12. Jahrhundert bis ins 18. Jahrhundert turbulente Zeiten. Drei Mal
gelang es der Stadt, sich ins wirtschaftliche Rampenlicht zu katapultieren und für einige
Jahrzehnte aus der sonst herrschenden Bedeutungslosigkeit zu entfliehen. Um 1100 markierte
Ancona einen Kontrapunkt in der Adria zum mächtigen Venedig. Im frühen 16. Jahrhundert
genoss Ancona eine wichtige, vorher und nachher nie erreichte, Stellung im internationalen
Handel. Diese Entwicklung verlief parallel mit anderen Handelszentren wie London,
Antwerpen, Ragusa und Istanbul. Die dritte Blütephase kann auf das 18. Jahrhundert datiert
werden, als Ancona zum Freihafen erklärt wurde.185
Die erste Boomphase wird hier nicht genauer angeschaut, weil sie nicht in den
Untersuchungszeitraum passt. Der Weg zum zweiten Höhepunkt wurde durch den Handel
massgeblich geleitet.186 Die Gründe für den Erfolg im 16. Jahrhundert waren vielschichtig. Es
gab exogene Gründe, die ausserhalb der Entscheidungsmacht Anconas lagen, wie politische
Verordnungen, die darüber entschieden, ob ausländische Kaufleute die Handelsroute durch
Ancona wählten oder nicht.187 Solche politische Veränderungen ereigneten sich vor allem
östlich Anconas. Mit der Expansion des osmanischen Reiches wurden der Balkan und das
östliche Mittelmeer unter einer Macht vereint. Diese politische Stabilität kam Ancona
zugute.188
Daneben fand man eine Reihe interner Antriebe für den Erfolg. Die Stadt stellte attraktive
Bedingungen zur Verfügung. Neben dem Bau der Loggia dei Mercanti im 15. Jahrhundert,
die bereits im Jahre 1392 ein Thema in der politischen Arena Anconas war,189 gehörten ein
abfall-, schlamm- und geröllfreier Hafen, tiefe Zölle und Gebühren, die Bereitstellung von
lukrativen Angeboten für Mensch und Güter und das offene Willkommenheissen von
Händlern ohne Rücksicht auf deren Rasse, Religion oder „Nationalität“ (gemeint ist die
politische Zugehörigkeit) dazu.190 Diese vorzügliche Behandlung betraf auch Händler aus der
Levante, worunter viele Juden waren. Ihre Anwesenheit war der Garant für die Prosperität.
185
Diese Periodisierung habe ich Peter Earle entnommen. Earle: The Commercial Development of Ancona, S.
28.
186
Zu dieser Periode, als sich die Apenninische Halbinsel in einer Übergangsphase befand, zwischen dem späten
Mittelalter und der Renaissance mit Berücksichtigung der Rolle Anconas als Wirtschaftszentrum mit
Ausrichtung gegen den Osten siehe den Tagungsbericht: Ciriaco d’Ancona e il suo tempo. Viaggi, commerci e
avventure fra sponde adriatiche, Egeo e Terra Santa. Hg. von Centro Studi Oriente Occidente. Ancona 2002.
187
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 28.
188
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 40.
189
Moroni: Ancona città mercantile, S. 89.
190
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 28f., 42.
50
Daneben gab es spezielle Angebote für türkische, sprich muslimische Kaufleute, wenn sie in
die Stadt kamen. Nach 1532 führte der Papst diese tolerante Politik vorerst weiter.
Restriktionen
wurden
abgeschafft,
selbst
solche
Händler,
die
zum
Judentum
zurückkonvertierten, wurden eingeladen, sich in Ancona niederzulassen.191 Die politische
Führung Anconas verfolgte diese fremdenfreundliche und fiskal-liberale Haltung als
kontinuierliche Politikstrategie.192
Auch geographische Faktoren dürfen nicht vernachlässigt werden. Die geographische Position
Anconas wirkte sich begünstigend auf das Handelswesen aus. Waren aus dem Westen
(London, Flandern, Lyon, Toskana) mussten irgendwann einmal das adriatische Meer
überqueren, um ins östliche Mittelmeer zu gelangen, wo die wachsenden Städte vermehrten
Bedarf an dieser Ware zeigten. Ancona bot den besten natürlichen Hafen an und wurde durch
die Kriege im 15. und 16. Jahrhundert kaum beeinträchtigt.193 Hinzu kam, dass der grosse
Konkurrent in der Umgebung, Venedig, zu dieser Zeit wirtschaftlich schwächelte. Venedig
war zu Beginn des 16. Jahrhunderts politisch und militärisch weniger dominierend als zuvor
und als nachher. Kürzere Distanzen zwischen Ancona und den ostadriatischen Häfen
bevorteilte ferner Ancona gegenüber Venedig.194 Ein anderer Konkurrent lag einige Kilometer
nördlich an derselben Küste. In Senigallia entstand eine bedeutende Messestadt, wo alle Jahre
eine fiera franca (Freimesse mit mehrtägigem Gebührenerlass) stattfand.
Schliesslich und endlich nennt Peter Earle einen weiteren wichtigen Aspekt, der den
Wirtschaftsaufschwung Anconas begründete: das Glück.195 Doch das Glück wehrte nur kurze
Zeit. Schon gegen Ende des 16. und vor allem im 17. Jahrhundert flachte der
Wirtschaftsboom ab.196 Vorboten dieser Misere können nachträglich bereits im 16.
Jahrhundert ausfindig gemacht werden. Die 1532 abrupt verloren gegangene Unabhängigkeit,
mit der Eroberung Anconas durch die Truppen des Kirchenstaates, und die damit verbundene
direkte Abhängigkeit von den Folgen der päpstlichen Politik, die sich langfristig als nicht
immer Ancona freundlich herausstellte, waren ein brüchiger Boden für eine nachhaltig
erfolgreiche Wirtschaftsmacht.197
191
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 43.
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 42f.
193
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 40f.
194
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 41f.
195
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 40.
196
ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVII, Nr. 59, keine Blattnummern: Eine anonyme Klage aus dem
17. Jahrhundert (ohne genaues Datum), in der bedauert wurde, dass es Ancona nicht mehr gut geht, im
Gegensatz zu früher, als der Handel und der Handelsverkehr blühte. Nur noch ein Handelhaus aus Florenz, vier
aus Ragusa und einige wenige aus anderen Nationen sind übrig geblieben.
197
Caravale, Caracciolo: Lo Stato pontificio, S. 541f.
192
51
Die wieder erstarke Konkurrenz aus Venedig, der direkte Handel zwischen England und dem
Ostmittelmeer oder Livorno ohne Zwischenstation in Ancona, die enge Verbindung zwischen
Venedig und Split198, der Wegzug von türkischen, jüdischen und ragusanischen Kaufleuten
aufgrund der Papstpolitik, der Beendigung der osmanischen Expansion im Mittelmeer und des
grossen Aufmarsches von Engländern, Franzosen und Holländern in den Häfen der Levante
trugen dazu bei, dass Ancona bald wieder zum unbedeutenden Hafen verkam, der er bereits
im 15. Jahrhundert war.199 Die Lücke der Diasporagruppen konnte durch einheimische Kräfte
nicht gefüllt werden. Ihre passive Rolle200, eine zu kleine Industrie, die geringe
Bevölkerungsdichte und die eben erwähnte grosse Abhängigkeit von ausländischen Händlern
verhinderte weitere Fortschritte.201 Dass die Diasporagruppen neu andere Handelsrouten
wählten, ohne in Ancona zu halten, lag gemäss Earle nicht in den Händen Anconas, der
Niedergang der Stadt wurde, wie auch der Aufschwung, fremd bestimmt.202
Eine antivenezianische Bulle von Papst Clemens VIIII aus dem Jahre 1594, die zwar allen
Händlern freien Handel in Ancona garantierte, aber gleichzeitig eine 12%-Steuer auf alle
Waren legte, die nicht direkt vom Ablaufhafen zum Anlaufhafen gelangten, was vor allem
Venedig betraf, und andere kurzzeitig erfolgreiche Interventionen, wie die Einführung des
porto franco Systems 1609 (Senkung der Hafenzölle), erlaubten einige Jahrzehnte der
Wiederlancierung des Handels. Nichtsdestoweniger lässt ein Brief des Rettore von Ragusa an
die Stadtregierung in Ancona aus dem Jahre 1596 erahnen, dass die Lage ernst war. Er legte
dar, wie sehr ihm Ancona am Herzen liege. Schon immer habe es diese transadriatische
Zuneigung und Interessenübereinstimmung gegeben. Er wünschte Ancona alles Gute, vor
198
Vgl. dazu Renzo Paci: La rivalta commerciale tra Ancona e Spalato (1590-1645). In: Le Marche e l’Adriatico
orientale: Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo Ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per
le Marche. Ancona 1978, S. 277-286.
199
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 44.
200
Jean-Claude Hocquet zeigt diese Passivität am Beispiel des Salzhandels. Ancona, der Passivhafen, liess zu,
dass ausländische Geschäftsleute, florentinische, spanische und jüdische Händler sowie ragusanische Bankiers,
sich zwischen die Liferanten und die Konsumenten zwängen konnten, um so durch Zölle und andere Gebühren
reich zu werden. Die Händler mieteten ausländische Schiffe – dalmatinische, venezianische, ragusanische,
sizilianische, katalanische, baskische und flämische – um Salz nach Ancona zu schiffen, von wo es in die
Poebene gelangte. Die Mieten füllten ebenfalls die Taschen der Ausländer, Ancona ging dabei wiederum leer
aus. Jean-Claude Hocquet: Commercio e navigazione in Adriatico: Porto di Ancona, sale di Pago e marina di
Ragusa (XIV-XVII secolo). In: Le Marche e l’Adriatico orientale: Economia, società, cultura dal XIII secolo al
primo ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1978, S. 253.
Das Salz stellte eine lebensnotwendige Ware und eine Steuerquelle dar, weshalb es von den politischen Mächten
am Mittelmeer dementsprechend eingesetzt wurde, als politische, wirtschaftliche und diplomatische Waffe
gegen die feindlich gesinnten Mächte. Das allzu passive Ancona konnte von dieser Konstellation nicht
profitieren. Vgl. dazu Jean Claude Hocquet: Les relations commerciales entre les ports de l’Adriatique et les
Marchés occidentaux. Les fournitures de sel dans le port d’Ancone (XV-XVIIe siècles). In: Mercati, mercanti,
denaro nelle Marche (secoli XIV-XIX). Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1989, S.
183.
201
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 30.
202
Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 43.
52
allem in der jetzigen, schwierigen Zeit (Ende 16. Jahrhundert). Er bestätigte, dass auch in
Zukunft die Zusammenarbeit und Unterstützung seitens Ragusas nicht fehlen werde. In der
Not zusammenhalten schien die Devise zu sein.203
Bis 1640 blieb Ancona allerdings ein oft frequentierter Anlaufposten für Leder und Wolle,
begünstigt durch die tiefen Zölle. Das Bestehen dieses porto franco belebte die Wirtschaft für
einige Zeit, doch die rasante Entwicklung, die die Stadt von 1500 bis 1640 durchlief, konnte
nicht fortgesetzt werden. Die Schiffe, die zwar immer noch zwischen den Adriastädten hinund herliefen, wurden immer kleiner, die absolute Warenmenge nahm ab. Diese gegen Ende
des 17. Jahrhunderts Ancona heimsuchende Krise des Handelplatzes konnte mit dem
Freihafen von 1732 nicht aufgehalten werden. Das Mittelmeer und mit ihm die Adria gingen
in Vergessenheit. Sie wurden im internationalen Handel umgangen, Ragusa und Ancona
verschwanden von der Bildfläche.204 Der langsame aber unwiderrufliche Niedergang konnte
also nicht aufgehalten werden, Ancona lief ungebremst in eine Phase der negativen
Konjunktur, die in Italien und dem restlichen Europa über das ganze 17. Jahrhundert
andauerte und bis ins 18. Jahrhundert reichte.205
Einer der Hauptmotoren für den Rückgang der Handelmasse war das Verhalten der
vermögenden Händlergruppen. Viele reiche Ragusaner kauften Land und Immobilien, was
dafür sprach, dass sie dem Handelswesen den Rücken zukehrten. Die Wirtschaft und
besonders der Warenhandel Anconas gerieten so gegen Ende des 17. Jahrhunderts ins
Stocken. Die adeligen Kaufleute interessierten sich neben dem Handel für andere, sicherere
und profitablere Geschäftszweige.206 Dieser Prozess der Interessenverschiebung bei der
anconitanischen und ragusanischen Aristokratie im 17. Jahrhundert, verbunden mit
wirtschaftlichem Stillstand, leitete den langsamen Zerfall des Hafens von Ancona ein.
Während der Kirchenstaat und Ancona verarmten, konnten die Kaufleute daraus leichten
Profit schlagen. Der starke Privatmann nahm immer mehr Einfluss auf die schwache
öffentliche Hand. Der verschuldete Kirchenstaat wurde vermehrt von ausländischen
Spekulanten aufgesucht. Rom war noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein Mekka für
Investoren, Händler und Bänker aus dem Ausland, die öffentliche Schuldscheine kauften.
203
Der Brief ist abgedruckt in ASAN, A.C.AN, Lettere di privati al Comune di Ancona, 1536-1599, Nr. 668,
keine Blattnummern.
204
Anselmi: Venezia, Ragusa, Ancona, S. 85f.
205
Moroni: Ancona città mercantile, S. 102f.
206
Zur Rolle des Adels im italienischen Handelswesen siehe Franco Angiolini: Nobles et marchands dans
L’Italie moderne. In: Cultures et formations négociantes dans L’Europe moderne. Hg. von Franco Angiolini,
Daniel Roche. Paris 1995, S. 97-110. Angiolini kommt zum Schluss, dass die Adligen in Italien dem Handel
nachgingen, um Profit zu erzielen. Dies heisst aber nicht, dass das Fehlen eines Handelsverbots für Adlige dazu
führte, dass der Adel gezwungenermassen Handel trieb. Der Gewinn diente ihnen lediglich dazu, das soziale
Niveau zu halten, um sich von Anderen zu unterscheiden und abzuheben.
53
Auch die meisten öffentlichen Aufträge gingen an diese Ausländer. Lediglich um die 40% der
Bergbauunternehmer waren Kirchenstaatler, der Rest kam aus Genua, Florenz und Siena.
Sowohl im Handels- als auch im Kirchenwesen bestätigte sich der Kirchenstaat als leicht
einnehmbar und stark durchlässig für aussenstehende Mächte. In diesem Falle war der
Einfluss der Diaspora schädigend.207
Neben weiteren wirtschaftlichen Faktoren traten das Erdbeben 1667 in Ragusa, der Verlust
von Kreta an das osmanische Reich (Schlacht von Candia, heute Iraklion), die andauernde
Piraterie in der Adria und schlussendlich als Todesstoss das Erdbeben in Ancona von 1690 als
weitere Triebfedern für den Verfall hinzu. Nur wenige stemmten sich dagegen. Der
Unternehmer Giovanni Batta Rota wollte den Handel in Ancona mit dem Bau von Fabriken
wieder in Schwung bringen. Der Venezianer Pietro Teodori, in Ancona wohnhaft, hatte
ähnliches vor.208 Von 1690 an verlor die Stadt praktisch alle Konsulate und alle ausländischen
Händler.209 Renzo Paci erwähnt Ancona in diesem Zusammenhang als eine „piazza senza
negozio“, ein Handelsplatz ohne Geschäfte, wo die durch Kriege verursachte Verarmung des
Balkans (vor allem Bosniens) und die Konkurrenz aus Saloniki das Adriatische Meer in eine
Krise stürzte. Das, was an Handelsmasse übrig blieb, verschlangen die Engländer, Holländer
und Franzosen, die mit ihren Schiffen vermehrt in Saloniki einliefen, während Venedig,
Ragusa und Ancona nur noch einen Schatten ihrer glorreichen Vergangenheit darstellten.210
Venedig versuchte mit Handelsverboten die Konkurrenz weiter zu schwächen und sich selber
zu stärken.211
Marco Moroni zeigt anhand von Akten („Libri delle contumacie“) aus dem Ufficio di Sanità
di Ancona aus den 1630er Jahren, wie die Hegemonialmacht Venedig wirtschaftlich
schwächelte, wovon die Handelsflotten der Ponente (England, Frankreich, Flandern, Triest),
aber auch die von der aufkommenden Wirtschaftsmacht Ferrara absahnenden Händlergruppen
aus den Marken und Apulien profitierten. Den Bedeutungsverlust Anconas datiert er auf den
Verlust Kretas an die Osmanen, der Schäden im bis anhin wichtigen Handel zwischen Ancona
207
Caravale, Caracciolo: Lo Stato pontificio, S. 430f. Noch viel verheerender war die Situation im Süden
Italiens. Die Finanzschwäche Neapels wurde vom grosses Kapital besitzendes Kaufmanntum – einheimisch wie
ausländisch – rigoros genutzt, um in öffentliche Geschäfte (Strassenbau, Urbarmachungen, staatliche Zoll- und
Steuereintreibungen) zu investieren. Diese Abhängigkeit des Staates von wenigen privaten Investoren
verhinderte eine Modernisierung der archaischen und feudalen Strukturen. Siehe dazu Christian Juchelka: Der
Ursprung der italienischen Industrialisierung und die Problematik der Südfrage. Untersuchung zum Problem des
Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. München 1981.
208
ASAN, A.C.AN, Suppliche 1690-1700, Nr. 70, keine Blattnummern.
209
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 31.
210
Paci: La rivalità commerciale, S. 285f.
211
Davon zeugt ein Brief der Stadt Ancona an den Papst Clemens XI (ohne Datum, Zeitraum 1700-1721): Darin
liegt eine Beschwerde vor, dass Venedig den Handel mit Ancona verboten hatte, so dass einige Händler Ancona
verlassen mussten. ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/2, keine Blattnummern.
54
und Zadar hervorbrachte. Diese für Ancona verheerenden Tendenzen im frühen 17.
Jahrhundert setzten sich gegen dessen Ende und im folgenden Jahrhundert fort.212
Auf diese ökonomische Krise, die das ganze Mittelmeer zu spüren bekam, speziell aber die
von der osmanischen Piraterie verunsicherte Adriaküste, und wovon Nordeuropa, die
aufstrebenden Mächte England und Holland, und die atlantische Route profitierten, reagierte
Ancona mit der Einführung der Zollfreiheit.213 Die Stadt wollte sich so den Konkurrenten
Triest (Freihafen ab 1719) und Istrien, vor allem aber Fiume, entgegenstellen.
Die Rufe nach einer wirtschaftlichen Reform in Form eines solchen Freihafens wurden seitens
der Kaufleute vor Ort im 18. Jahrhundert immer lauter.214 Der Errichtung des Freihafens in
Ancona 1732 gingen lange Debatten und zahlreiche Untersuchungen voraus.215 Die
Vorbereitungen begannen bereits in den 1720er Jahren, als die Stadt im Verfall schien,
weshalb der Stadtrat mittels eines Freihafens den Handel anzukurbeln versuchte. Bereits am
12. November 1720 wurde zu Ehren des Beschützers der Stadt Ancona, San Cyriaco, im
Rahmen eines Festes den Kaufleuten eine einmonatige Steuer- und Zollerleichterung gewährt,
so wie dies in den guten alten Zeiten der Fall war.216
Das Edikt aus dem Jahre 1732 von Papst Clemens XII war die präzisierte und
weiterentwickelte Variante der Bestimmungen von 1630 und 1692.217 Es gewährte den
Kapitänen, Arbeitgebern, Händlern und Kaufleuten, egal woher sie stammten, sei es aus dem
Orient oder dem Okzident, die Freiheit, sich in der Stadt niederzulassen, Waren zu besitzen,
sie im Hafen zu (ver)kaufen und sie nicht besteuern zu müssen, weder kommunal noch
staatlich (Kirchenstaat).218
Überdies regelte das Edikt die Höhe der Tarife für die Ankerung, je nach Gewicht und
Herkunft, und gewährte nach dem Vorbild Livornos eine zehnjährige Steuerbefreiung für
212
Marco Moroni: Capitani, barche e merci della costa nord-orientale dell’Adriatico ad Ancona nei primi anni
Trenta del Seicento. In: Atti e Memorie della Società Dalmata di Storia Patria 9 (2007), S. 57f.
213
Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 43.
214
Bereits im 17. Jahrhundert wünschten sich die Händler von Ancona, dass der Handel zu alter Blüte
zurückkehren möge. Als Mittel dazu sahen sie die Steuerbefreiung. Entsprechender Brief der Händler an die
Obrigkeit: ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVII, Nr. 59, keine Blattnummern.
215
Edikt über die Ernennung des Hafens von Ancona zum porto franco vom 16. Februar 1732: ASAN, A.C.AN,
Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1706, keine Blattnummern.
216
ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/2, keine Blattnummern.
217
Die kirchenstaatliche Sorge, Produkte könnten direkt vom Produzenten zum Konsumenten gelangen, ohne
dabei in Zwischenhäfen und Verkaufshäusern Halt zu machen, veranlasste den Papst die Zollfreiheit
einzuführen. Nach dem französischen, toskanischen und deutschen Vorbild wurden Ancona und Civitavecchia
1692/93 von Innozenz XII Freihafen ähnliche Befugnisse erteilt. Caravale, Caracciolo: Lo Stato pontificio, S.
430. 40 Jahre später wurde die Massnahme erneuert. Auf Druck Österreichs, die über Ancona ihre Waren
verkaufen wollten, stimmte Papst Clemens XII 1732 der Erklärung Anconas zum porto franco zu, was die
Österreicher freute und deren Konkurrent Venedig wirtschaftlich isolierte. Zur Genese des Freihafens Ancona
siehe Caracciolo: Le port franc d'Ancône, bes. Kapitel 2 und Caracciolo: Il dibattito sui „porti franchi“, S. 538558.
218
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 576.
55
ausländische Händler, die mit ihren Familien in Ancona ansässig wurden.219 Vorbildcharakter
für diese Massnahmen übernahm wie gesagt Livorno, wo eineinhalb Jahrhunderte zuvor
Ferdinando I mit seiner Livornina, eine Einladung an Händler aus aller Welt in Form eines
Verfassungstextes, von der Inquisition verfolgte Juden aufnahm und so die Händlerelite in
dieser Zeit in seine Stadt holte.220
Von ebenso grosser Bedeutung waren die persönlichen Freiheiten, die den Zuwanderern das
Leben erleichterten. Vom Recht sich frei zu bewegen, den Wohnort frei zu wählen, zu
handeln, Immobilien zu besitzen, Verträge auszuhandeln, den Beruf zu wechseln bis hin zum
Recht, seine eigene Religion auszuleben, genossen die Neuankömmlinge umfangreiche
Freizügigkeiten.221
Die Renaissance der Stadt gründete sich nicht nur auf dem Wiederaufstieg der Schifffahrt.
Nebenbei begannen Unternehmer wie Francesco Trionfi eine Komplementärindustrie
aufzubauen. Trionfi eröffnete eine Bleifabrik, die Neapel, die Levante und Venedig versorgte,
eine Zuckerraffinerie und eine Seifenfabrik, dessen Produkte bis in die Türkei, Sizilien und
die Region Emilia gelangten.222
Die erwähnten steuerrechtlichen Massnahmen und das grosse religiöse Entgegenkommen
zeigten bald erste Resultate. Die Stadt konnte sich wirtschaftlich erholen. Seit langem stiegen
die Bevölkerungszahl und der Schiffsverkehr wieder an. Die demographische Expansion
beruhte sowohl auf natürlichen internen Faktoren als auch auf der Immigration aus dem
näheren und weiteren Umland von Ancona.223
Ausserdem war die Stadt zum ersten Mal direkt mit Nordwesteuropa und den grossen
Seemächten verbunden.224 Die Handelsaktivität, bisher auf die Adria und die Levante
beschränkt, dehnte sich also bis in die Ponente aus, Handel wurde nun mit Frankreich,
Holland, Schweden, Dänemark und vor allem mit England betrieben. Wichtige englische
Kaufleute wie George Cressner, Twyn Lloyd oder John Williams siedelten sich an. So wurde
Ancona zum Anlaufhafen für die Briten.225 Livorno und andere Häfen waren schon lange
offen für fremde Schiffe aus dem Atlantik, die sie mit der lebhaften, europäischen Wirtschaft
und dem Ozean in Verbindung brachten. Dies gelang Ancona erst mit dem Freihafenstatus im
18. Jahrhundert.226
219
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 577.
Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 48.
221
Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 49.
222
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 580.
223
Sori: Evoluzione demografica, S. 23.
224
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 35.
225
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 581.
226
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 138.
220
56
Die Hoffnung auf einen allgemeinen Aufschwung der Wirtschaft im Kirchenstaat durch die
Einführung des anconitanischen Freihafens erwies sich bald als illusorisch. Als sich
herausstellte, dass das Freihafenprinzip, die Öffnung zu anderen, oft reicheren und besser
mechanisierten
Volkswirtschaften,
die
einheimische
Produktion
(Industrie
und
Landwirtschaft) schädigte, begann man wieder protektionistisch zu denken. Am 28. August
1736 wurde eine 12%-Abgabe auf Waren eingeführt, die nicht aus dem Ursprungsland nach
Ancona gelangten.227 Dagegen wehrte sich die merkantile Gemeinschaft, insbesondere die
vielen, kleinen Handelsbetriebe, während diese Steuer die wenigen, grossen und
vermögenden, zum Monopol tendierenden Unternehmen favorisierte.228
Nicola Laguidare, Vertreter der Università de Mercanti d’Ancona, war nicht beglückt
bezüglich der neuen fiskalen Belastung. Er schrieb im Juli 1739, dass durch die hohen
Gebühren weniger Schiffe in Ancona anlegen werden. 88 Händler aus der Region sprachen
sich 1739 im Namen aller Kaufleute (mercanti e negocianti) des Kirchenstaates ebenfalls
gegen die 12%-Steuer aus. Sie verursache direkte Schäden (weniger Schiffe, weniger
Einnahmen), aber auch langfristige Vorurteile würden dadurch aufgebaut. Auch aus
Senigallia kam eine Beschwerde über die neue Taxe. Sie sei zu generell, man müsse lokale
Steuern erheben. In Toulon bezahle man ja auch nicht dieselbe Steuer wie in Paris und in
Livorno nicht dieselbe Summe wie in Florenz oder Pisa. Aus Rom kam schliesslich im Juli
1767 die Anklage, dass eine neue Steuer (12% auf ausländische Waren) nicht zum Wohl der
Untertanen sein kann und deshalb nicht human ist.229
Es zeigt sich deutlich, dass der Freihafen nicht alle Probleme Anconas einfach so lösen
konnte. Nicht selten bedeutet ein Anstieg des Handelsvolumens nicht automatisch einen
authentischen Fortschritt, sondern lediglich eine steigende Abhängigkeit von schwachen zu
fortgeschrittenen Wirtschaften, so das Fazit Caracciolos zur vermeintlich erfolgreichen
Entwicklung Anconas nach 1732.230
Zwar haben wir Kenntnis von regen Handelskontakten Anconas mit Patras gegen Ende des
18. Jahrhunderts, begünstigt durch die Schutzmacht Frankreich und das Nichteingreifen
Englands, doch die grosse Blüte war vorbei.231 Sinnbildlich dafür sind die Wohnverhältnisse
227
Caracciolo: Il porto franco, S. 274.
Caracciolo: Il porto franco, S. 277.
229
ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/2, keine Blattnummern.
230
Caracciolo: Il porto franco, S. 289f.
231
1793 bis 1808 genoss Ancona (wie auch Venedig und Triest) eine Protektion der Franzosen und wurde
gleichzeitig nicht von den Engländern belästigt, was den Handel ankurbelte, da die Häfen als sicher galten, im
Gegenteil zu Marseille, das von den Engländern blockiert wurde. Auch Livorno und Genua übernahmen als
neutrale Häfen während der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen Kaufleute und Güter,
die sonst über Marseille nach Europa gelangten. Malcolm Wagstaff, Elena Frangakis-Syrett: The port of Patras
228
57
dreier anconitanischen Familien um 1780. Im vierten Stock eines Hauses lebten sie (15
Personen) in sechs Zimmern, was von engen und bescheidenen Lebensverhältnissen zeugt.232
Im 19. und im 20. Jahrhundert verlor Ancona endgültig den Anschluss an die fortschreitende
Industrialisierung und den Kapitalismus. Die Stadt verschwand mit der Zeit in der
wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit und sie hat diese bis heute nicht ablegen können.233
3.2.2 Livorno in der Toskana
Die Hafenstadt Livorno liegt praktisch auf derselben geographischen Breite wie Ancona an
der gegenüberliegenden Küste am Tyrrhenischen Meer. Bevor sie zu Italien gehörte (heute ist
sie die Hauptstadt der Provinz Livorno in der Region Toskana), war sie Teil des
Grossherzogtums Toskana, das von 1537 bis 1737 vom Haus der Medici, danach bis 1860
vom Haus Habsburg-Lothringen regiert wurde. Vor dieser Zeit lag sie mehrheitlich in der
Einflusssphäre zuerst von Pisa, dann von Genua und schliesslich von Florenz.234
Livorno verfolgte eine deutlich von Ancona abweichende wirtschaftliche Karriere. Während
sich die demographischen und wirtschaftlichen Aufschwünge Anconas vor allem vom 15. bis
in die Mitte des 16. Jahrhunderts zeigten, rasch gefolgt von langen Krisenzeiten bis in die
1730er und 1740er Jahre, begann die Erfolgsgeschichte Livornos erst so richtig gegen Ende
des 16. Jahrhunderts, verlief dann aber ohne grössere Probleme bis ins 18. Jahrhundert.
Livorno war ein Spätstarter, konnte das Tempo jedoch länger halten als Ancona, das erst
wieder mit dem Freihafen ab 1732 Fahrt aufnahm.
Die Geschicke Livornos wurden von den Medici in Florenz gelenkt. Ihr politischer Wille,
konkretisiert in der Erstellung eines Freihafensystems und einer minutiös ausgeführten
Städteplanung, führte die Stadt in der Toskana zu wirtschaftlichem Ruhm. Zu Beginn des 16.
Jahrhunderts tauchte der Name Livorno vermehrt auf der Mittelmeerhandelskarte auf. Der
einst blühende Hafen Pisas versandete, so dass Livorno aus dessen Schatten treten konnte.
1548 öffnete sich Livorno für die aus Portugal verfolgten Juden und 1565 wurde eine neue
Zollverordnung eingeführt.235 Bereits in diesem Jahr kann man von einem Pseudo-Freihafen
sprechen, der 1591 in der Livornina weiter ausgebaut und 1675 mit einem Dekret zur
in the second Ottoman Period. Economy, demography and settlements c. 1700-1830. In: Revue du monde
musulman et de la Méditerranée 66 (1992), S. 81, 84.
232
ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/1, keine Blattnummern.
233
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 36.
234
Siehe dazu Baruchello: Livorno e il suo porto, S 11f.
235
1565 lockte diese Zollvergünstigung viele Schiffe an, die ihre Waren eine gewisse Zeit lang vergünstigt
lagern durften. Vgl. Cesare Ciano: Navi mercanti e marinai. Nella vita mediterranea del Cinque-Seicento.
Livorno 1991, S. 116f.
58
Zollfreiheit voll eingeführt wurde. Das von Ferdinando I erlassene Toleranzedikt hatte zum
Ziel, Händler aus aller Welt in seine Stadt zu holen und das Handelsnetzwerk feiner
aufzuziehen. Es kamen unter anderem jüdische Händler und Nordländer, der Handel mit
Ragusa, mit Marseille und mit Nordafrika zog an.236
Das Gesetz Livornina ist laut Thomas Kirk der Grundstein des Freihafens in Livorno.237 Die
44 Artikel waren die Antwort der Medici auf die wirtschaftliche Konkurrenzsituation am
Tyrrhenischen Meer, wo Genua bereits 1590 den Freihafenstatus erlangte. Nizza 1613,
Civitavecchia 1630, Napoli 1630, Messina 1634 und Villafranca 1667 folgten den
Beispielen.238 Das Konzept des Freihafens stand im Spannungsfeld einer starken
ökonomischen Rivalität auf der Apenninhalbinsel. Seine Einführung war unumgänglich, um
in der Region bestehen zu können. Die generell schwierige, ökonomische Situation im
Mittelmeer verschärfte die Kontraste weiter und verunmöglichte eine gemeinsame Politik
unter den Hafenstädten.239
Die Stadt Livorno profitierte vom Freihafen. Er zog Kapital an und die Stadt war der
Umschlag- und Lagerplatz im Westen für Getreide, Speiseöle und andere Produkte, vor allem
aus der Levante. Der Freihafen war der Ausdruck einer urbanen Mentalität, die ihre Interessen
durchsetzen wollte, im Dienste des Territorialstaates, der die Stadtstaaten überflügelte und der
eine merkantilistische Politik betrieb. Dies lockte Schiffe und Menschen an, mit ihnen die
Industrie, das Kapital und den Handel. So wurden die Taschen der ganzen Region, so wie
auch diejenigen des Grossherzogs, reich gefüllt.240
Nicht nur der Hafen, die ganze Stadt wurde durch die Medici vollumfänglich reformiert und
umstrukturiert. Livornos Weg zur (idealen) Handelsstadt vollzog sich im 16. Jahrhundert und
hing eng mit dem Hafen zusammen. Maria Sirago geht sogar so weit, Livorno als
einzigartiges Beispiel zu bezeichnen, als eine Stadt, die unmittelbar mit der Errichtung der
Hafenanlagen geboren wurde.241 1528 zählte man in Livorno bescheidene 600 Seelen, die von
einer sumpfigen, fieberbelasteten Landschaft umgeben waren, die wegen ihrer strategisch
bedeutsamen Lage höchstens militärisch interessant sein konnte. Die wahre Grösse der Stadt
236
Braudel, Romano: Navires et marchandises, S. 28.
Kirk: Genoa and Livorno, S. 8. Andere Autoren sprechen erst ab 1675 von einem Freihafen in Livorno. So
etwa Maria Sirago: Il sistema portuale italiano in Eta’Moderna. In: Puertos y Sistemas Portuarios (siglos XVIXX). Actas del Coloquio Internacional. El sistema portuario español, Madrid, 19-21 octubre, 1995. Hg. von
Agustín Guimera, Dolores Romero. Madrid 1996, S. 54.
238
Eine Aufzählung der Freihafenstädte im Mittelmeerraum findet man bei Sirago: Il sistema portuale, S. 54 und
bei José Miguel Delgado Barrado: Puerto y privilegio en España y los estados italianos durante el siglo XVIII.
In: Puertos y Sistemas Portuarios (siglos XVI-XX). Actas del Coloquio Internacional. El sistema portuario
español, Madrid, 19-21 octubre, 1995. Hg. von Agustín Guimera, Dolores Romero. Madrid 1996, S. 266.
239
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 546.
240
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 545.
241
Sirago: Il sistema portuale, S. 54.
237
59
zeigte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Gründe dafür gab es einige. Einerseits verlor Pisa
an Bedeutung, da zu dieser Zeit der porto-pisano verschlammte, so dass die Schiffe den
Hafen nicht mehr anlaufen konnten.242 Pisa stieg im Mittelalter zu einem bedeutenden
Handels, Kunst- und Handwerkszentrum mit über 100'000 Einwohnern auf. Nach dem
Verlust der Souveränität an Florenz nach dem Krieg 1509 begann die Herrschaft der Medici
und die Bedeutungslosigkeit Pisas. So begannen sich die Medici für Livorno zu interessieren,
als ideale Stadt wurde sie aus dem Nichts aufgebaut. Sie sollte am Tyrrhenischen Meer ein
Ort werden, wo der toskanische Warenaustausch floriert, wo die Hafenanlage, die Festung,
die Toskana von der Meerseite beschützt und wo Immigranten residieren konnten.243 Um
diese Ziele zu ereichen wurde viel Zeit investiert und grosser Aufwand betrieben, vor allem in
architektonischer Hinsicht.
Der Erfolg hielt lange an. Mit Cosimo III, dem Sohn von Ferdinando II, und mit Gian
Gastone, dem letzten Medici auf dem Thron der Toskana, ging die Medici-Zeit 1737 zu Ende.
Sie hat uns gezeigt, wie der politische Willen, die Richtlinien der architektonischen Projekte
und die Bauphasen zusammenwirkten, mit dem florierenden Hafen als Endprodukt. Dies alles
zeigt deutlich die Absicht der Medici, Livorno zu DEM Hafen in der Toskana zu machen und
die Toskana als bedeutende wirtschaftliche Macht im Mittelmeer zu etablieren.244
Diese Eingriffe wirkten bis weit ins 17. Jahrhundert hinein. Während die meisten Gebiete am
Mittelmeer zu dieser Zeit eine Wirtschaftskrise durchmachten, siehe etwa Ancona, erlebte
Livorno eine Blütezeit.245 Dieses „Wunder von Livorno“ ist auf die Politik von Cosimo I und
Ferdinando I zurückzuführen, die die Stadt für mobile Händler öffneten.246 Einen erheblichen
Anteil an diesem Erfolg hatte die Betriebsamkeit der (sefardischen, resp. marranischen oder
levantinischen) Juden. Sie organisierten den Handel zwischen Nordafrika und dem östlichen
Mittelmeerraum sowie zwischen der Apenninhalbinsel und dem Rest von Europa.247
Die Neuankömmlinge aus aller Welt brachten Kapital und industrielles Wissen mit in die
Stadt. Der Handel lag eindeutig in den Händen der Diasporagruppen. Die Einheimischen
waren kaum involviert. Das Zusammenspiel, etwa beim Getreidehandel, unter den Juden und
den Nordländern erwies sich als vital und produktiv. Die Engländer erschlossen die Levante
242
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 530.
Nuti: Livorno, il porto, S. 326.
244
Nuti: Livorno, il porto, S. 336.
245
Cesare Ciano spricht hier von einem Anachronismus, der dadurch zu erklären ist, dass sich Livorno
wirtschaftlich erfolgreich darauf spezialisierte, als Anlauf- und Lagermöglichkeit für englische und holländische
Schiffe und deren Waren zu dienen: Ciano: Navi mercanti e marinai, S. 118f.
246
Renzo Toaff: La nazione ebrea di Livorno dal 1591 al 1715. Nascita e sviluppo di una comunità di mercanti.
In: The Mediterranean and the Jews. Banking, Finance and International Trade (XVI-XVIII Centuries). Hg. von
Ariel Toaff, Simon Schwarzfuchs. Ramat-Gan 1989, S. 271.
247
Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 272.
243
60
wirtschaftlich aufgrund der dortigen jüdischen Präsenz. Sie arbeiteten eng zusammen, indem
die Juden ihre familiären und religiösen Netzwerke zur Verfügung stellten und oft die
sicheren englischen Schiffe charterten, um mit Istanbul und Izmir Handel zu treiben.248
Neben
importiertem
Wissen
und
Kapital,
interkultureller
Zusammenarbeit
und
gebietsübergreifenden Netzwerken beruhte die grosse ökonomische Ausstrahlung Livornos
auf ihren liberalistischen Ideen, Zeichen der freien Marktwirtschaft, die auf eine Konjunktur
trafen, in der sie sich ausleben und voll entfalten konnten. Das toskanische Steuersystem
unterschied zwischen Personen und Sachen. Während Menschen Steuererlasse, so bei der
Salzsteuer, und andere Immunitäten genossen, wurde die Ware besteuert. Der Zoll wurde
nicht abgeschafft, die Zollfreiheit also nie ganz eingeführt. Es existierte neben anderen
Abgaben eine Lazarettsteuer von 1%.249
David G. LoRomer versteht die grosse wirtschaftliche Ausstrahlung Livornos als einen
Prozess, der im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung Europas gedieh. Geschickt, mit der
Handelskammer als Sprachrohr, setzten die Händler ihre Wünsche nach Zollreformen,
rationalisierten Geschäftsprozessen und verbesserten sowie ausgebauten Transport- und
Hafenanlagen durch. Selbst noch 1834 eliminierte die Regierung die Hafengebühren, womit
sie den Freihafen ausdehnten. Mit diesen Konzessionen als Basis schufen die Händler ihre
Unternehmen, woran Wechselbanken und Sparkassen angegliedert waren, sie investierten in
Schulen, setzten sich für die Neubelebung der toskanischen Marine ein und sie sorgten für
sozialen Frieden, indem sie den Gewerkschaften der Hafenarbeiter Zugeständnisse
machten.250
Der wirtschaftliche Erfolg zeigte sich auch an der Vervielfachung der ausländischen
Konsulate. Vertreten waren neben Genua (1540), später auch Frankreich (1579), Venedig
(1585), Ragusa (1588), Holland (1605), Portugal, Schweden (1609) und England (1634).251
Nicht nur im Warenhandel taucht der Name Livorno immer wieder auf. Katsumi Fukasawa
verweist auf die bedeutende Rolle Livornos in der Finanzwirtschaft.252 In Livorno wurden oft
Schulden aus Genua getilgt. Die Stadt wurde bedeutend als Ort der Bezahlung von Wechseln.
Dort waren mehrere Geschäftspartner des Wechselnehmerunternehmens Roux aus Marseille
als Wechselnehmer tätig.253 In Livorno wurde in grossen Mengen Baumwolle aus Anatolien
248
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 541.
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 540f.
250
David G. LoRomer: Merchants and reform in Livorno 1814-1868. Berkeley 1987, vor allem Teil 1-4.
251
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 540.
252
Zu Livornos Rolle in der Finanzwirtschaft siehe die übersichtlichen Tabellen bei Katsumi Fukasawa: Les
lettres de change et le commerce du Levant au XVIIIe siècle. In: Négoce, Ports et Océans. Hg. von Silvia
Marzagalli, Hubert Bonin. Bordeaux 2000, S. 78f.
253
Fukasawa: Les lettres de change, S. 64f.
249
61
importiert und danach weiter in den Norden exportiert. So kam es, dass die Hafenstadt auch
als Ort der Schuldner bekannt wurde. Die Schuldner waren folglich Importeure.254
Einige Krisenmomente sind trotz dem andauernden Wirtschaftsboom dennoch sichtbar.
Samuel Fettah legt sein Hauptaugenmerk auf die Schattenwirtschaft. Die Sklavenverkäufer
betätigten sich häufig in der Piraterie. Fettah fragt sich deshalb, ob die wahre Geschichte des
Freihafens von Livorno auf den offiziellen Handel, der durch die Hafenbehörden kontrolliert
wurde, beschränkt werden kann. Er schlägt vor, dem Betrug und dem Schmuggel im
Handelswesen, sowie deren Beständigkeit und Gewicht, mehr Beachtung zu schenken.255 Pál
Fodor sieht gerade in der Piraterie einen bestimmenden Faktor für die positive wirtschaftliche
Entwicklung einiger Hafenstädte. Der Hauptstadt der christlichen Piraterie – Malta – gelang
im 17. Jahrhundert ein kometenhafter Aufstieg.256 Kleinere Piratenhäfen wie Livorno (oder
auch Sizilien, Neapel, Venedig und Marseille), von wo aus ab 1562 der militärische Orden
San Stefano zuerst das West- und ab 1580 auch das Ostmittelmeer – oft zusammen mit dem
Malteserorden, der ab 1530 auf Malta weilte – unsicher machte, zogen nach, während andere,
sklavenhandelsfreie Häfen wie Barcelona und Genua stagnierten.257 Als das Mittelmeer an
Bedeutung
verlor,
zogen
die
herrschaftlich
unterstützten
Korsaren
und
die
privatwirtschaftlichen Piraten in Richtung Atlantik ab. Zu Beginn des 19. Jahrhundert, mit der
Eroberung Algeriens durch die Franzosen und dank einigen Friedensverträgen und
polizeilichen
Massnahmen,
verschwand
der
Piratenkampf
endgültig
aus
dem
Mittelmeerraum.258
Auch Kunstraub schien ein Thema gewesen zu sein. 1671 war ein Bild der „Madonna del
Carmine“ Gegenstand einer Diskussion in Livorno. Das Kunstwerk wurde aus türkischen
Händen zurückgewonnen.259
Neben Krisen aus Menschenhand, gab es weitere Krisenmomente. Die Stadt versuchte zwar
ihre Bürger so gut wie möglich zu schützen, doch gegen ein Unbill fand sie kein
Immunmittel: die Pest. In Livorno wütete sie von 1630 bis 1632 besonders stark.260 Als Folge
254
Fukasawa: Les lettres de change, S. 75f.
Samuel Fettah: Les consuls de France et la contrebande dans le port franc de Livourne à l’époque du
Risorgimento. In: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 48/2 (2001), S. 149.
256
Neben Malta zählten italienische, spanische und kroatische Hafenstädte zu den Zentren der christlichen
Piraterie, während albanische und nordafrikanische Städte am Meer die muslimische Piratenwirtschaft führten.
Vgl. Anselmi: Adriatico, S. 189.
257
Pál Fodor: Maltese pirates, Ottoman captives and French traders in the early seventeenth-century
Mediterranean. In: Ransom Slavery along the Ottoman Borders (Early Fifteenth – Early Eighteenth Centuries).
Hg. von Géza Dávid, Pál Fodor. Leiden 2007, S. 222f.
258
Anselmi: Adriatico, S. 192f.
259
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 239.
260
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 540.
255
62
davon erlitten in den Jahren 1633 und 1634 zahlreiche Handelshäuser den Bankrott und die
ankommenden Schiffe reduzierten sich auf ein tiefes Niveau.261
Es kam auch immer wieder vor, dass sich einige Händler unwohl fühlten und dieses
Missfallen kundtaten. 1663 beklagten sich Händler von Livorno über zu hohe Gebühren und
andere Schwierigkeiten in ihren Geschäften. Im Anhang ihrer Klage findet man eine
Unterschriftensammlung.262
Im Jahre 1678 ergaben sich zudem Engpässe bei der Nahrungsmittelversorgung in der
Toskana. Als Gegen- und Steuerungsmassnahme befahl die toskanische Regierung am 4.
Februar 1678, dass sofort Getreide verkauft werden musste. Jede Woche sollte am Markttag
oder auf öffentlichen Plätzen ratenweise das Getreide abgegeben respektive verkauft werden.
Jede Person hatte eine bestimmte, rationierte Menge zugute. Es wurde nur so viel abgegeben,
dass die Vorräte bis zur nächsten Ernte ausreichten.263 Ein Gesetz vom 19. Juli 1678 verbot
Vorräte aller Art, vor allem Getreide, abzubauen. Die toskanische Regierung wollte damit
verhindern, dass die Gier der Schmuggler und Händler überhand nahm. Diese könnten mit
unerlaubten Gewinnen die Gemeininteressen hinter die Privatinteressen stellen und so leicht
einen Mangel (an Nahrung) provozieren. Wer Getreide und andere lebensnotwendige Güter
an
Ausländer
verkaufte,
die
nicht
in
der
Toskana
lebten,
wurde
bestraft
(Galeere/Gefangenschaft oder Beschlagnahmung der Güter).264 Einige Tage später (23. Juli
1678) wurde festgesetzt, dass der Preis für alle Arten und Qualitäten von Getreide, Kastanien,
Kastanienmehl, Öl und Hafer (Futtergetreide) Woche für Woche von der Obrigkeit festgelegt
wird und dass dieser auf den Märkten der Toskana zu gelten hatte. Nachlässigkeit sollte auch
hier bestraft werden.265
Im Verlaufe des 18. und vor allem im 19. Jahrhundert ging es generell bergab mit dem
Handels- und Finanzplatz Livorno. Die Engländer beschwerten sich 1730 über immer
zahlreichere Steuern und Zölle, die sie zu entrichten hatten. Für sie war der Freihafen nicht
mehr das, was er bei der Einführung einmal darstellte. Zu viele Abgaben und zu viele
restriktive Bestimmungen wurden eingeführt.266 Dennoch verkehrten weiterhin englische
Schiffe, mit Getreide beladen, zwischen Livorno und Lissabon, so auch im Jahre 1773.267
261
Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 226.
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 172.
263
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2609, S. 397.
264
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2609, S. 209.
265
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2609, S. 351.
266
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 544.
267
H. E. S. Fisher: Lisbon, its English merchant community and the Mediterranean in the eighteenth century. In:
Shipping, Trade and Commerce. Hg. von P. L. Cottrell, D. H. Aldcroft. Leicester 1981, S. 33f.
262
63
Auch gegen Osten flachte der Schiffverkehr nicht ganz ab.268 Doch die Tendenz zeigte in
Richtung Zusammenbruch. Das Mittelmeer erlebte im 18. Jahrhundert turbulente Zeiten, die
auch in Livorno Staub aufwirbelten.
Vor dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) lebte der livornesische Handel von den
Provisionen, die die Kaufleute beim Kauf und Verkauf von Waren erhielten, die aus ganz
Europa herkamen und in Livorno gelagert wurden. Die Stadt galt als universale
Karawanserei,269 wo die ganze Welt Schutz, Freiheit und Sicherheit genoss. Diese
Internationalität zeigte sich vor allem in der Zusammensetzung der Geschäftsleute.270
Nach dem Krieg, in dem die Stadt im Spannungsfeld von Neutralität und Zollfreiheit lag,
änderte sich die Situation grundlegend. Livorno konnte nur noch reagieren, nie agieren. „Les
invités sont devenus les maîtres“.271 Der Hafen bekam, was ihm von England offeriert oder
was ihm gestattet wurde zu nehmen. Er hatte keine eigenen Mittel, um selber aktiv zu werden.
Er entschied nicht selber, sondern er hatte zu ertragen, was andere entschieden. Livorno
versuchte und hoffte, durch den Krieg eine tragende Rolle im östlichen Mittelmeer zu spielen.
Doch die wirtschaftliche Konkurrenz aus Ragusa und Griechenland profitierte mehr aus der
Situation des Krieges, weil der kriegsverschonte Osten und das osmanische Reich als
Warenlieferanten für den kriegsgeplagten Westen Profit schlagen konnten.272 Nach 1763
wirkten die Toskaner nicht mehr mit. Livorno war gefangen in einem Spannungsfeld
zwischen politischer Zugehörigkeit und seinen wirtschaftlichen Interessen, zwischen Wien
und London. Die Stadt war nicht mehr Herrin ihres Schicksals. Die Zollfreiheit und die
Neutralität zeigten die Limiten des Wohlstandes auf. Nach dem Siebenjährigen Krieg waren
die rosigen Zeiten für Livorno vorüber. Es fehlte das (umfang)reiche Hinterland mit
268
Wagstaff, Frangakis-Syrett: The port of Patras, S. 81, 84.
Karawanserei (persisch): Unterkunft und zum Teil auch Handelsplatz und Warenlager, an Handelsstrassen
oder in grossen Städten, für durch Gebiete Asiens oder Afrikas ziehende Gruppen von Reisenden, Kaufleuten,
Forschern o. Ä. Vgl. Duden. Das Fremdwörterbuch. Mannheim 2005, S. 508. Diese Benennung verwendeten vor
allem die Reisenden. Der Terminus funduq (griechisch) war in Ägypten des 13. und 14. Jahrhundert üblich.
Viele Handelsstädte im Mittelmeerraum, etwa Venedig oder Genua, besassen zudem solche fondacos für die
Unterbringung der ausländischen Kaufleute. Der Begriff khan, oft auch kan oder han geschrieben (persisch)
wurde oft im persischen und osmanischen Raum gebraucht. Vgl. dazu Isik Tamdogan-Abel: Les han, ou
l’étranger dans la ville ottomane. In: Vivre dans l’Empire ottoman. Sociabilités et relations intercommunautaires
(XVIIIe-XXe siècles). Hg. von François Georgeon, Paul Dumont. Paris 1997, S. 319, 331.
270
Unter den 150 Grosshandelshäusern fand man 1765 30 toskanische, 50 jüdische und 70 andere ausländische.
Die namhaften unter ihnen, die nicht toskanisch oder jüdisch waren, stammten aus England, Holland, Frankreich
und Genua. Zu den reichsten Familien im Handelswesen gehörten kaum toskanische, vielmehr bestimmten,
neben den Juden, die Engländer, Griechen und Armenier das wirtschaftliche Geschehen. Vgl. dazu Charles
Carrière, Marcel Courdurié: Les grandes heures de Livourne au XVIIIe siècle. L’exemple de la guerre de Sept
ans. In: Revue Historique 254/1 (1975), S. 44.
271
Carrière, Courdurié: Les grandes heures de Livourne, S. 74.
272
Wie beispielsweise der osmanische Hafen Patras (heutiges Griechenland) ökonomisch von den westlichen
Konflikten profitierte, erläutern Wagstaff, Frangakis-Syrett: The port of Patras, S. 79-94. Im Siebenjährigen
Krieg wurde der französische und der englische Protektionismus aufgebrochen, was die griechischen Händler
ausnützten. Wagstaff, Frangakis-Syrett: The port of Patras, S. 81.
269
64
wirtschaftlichem Potential, zu gross war die Abhängigkeit vom Ausland.273 Nun wären
grundlegende Entwicklungen und Veränderungen nötig gewesen, doch die Stadt fand keine
Lösung. So verabschiedete sich Livorno weitgehend vom Seehandel. Diese Krise wog schwer
und dauerte lang. Im 19. Jahrhundert deckten die Industriehäfen die Schwächen der Freihäfen
auf, so verdrängte Genua Livorno endgültig aus dem Rampenlicht.274 Genua setzte nicht nur
auf den Warenumschlag, sondern versuchte eigene Produktionsstätten zu errichten.
LoRomer sieht die Sache ähnlich. Er datiert den Bedeutungsverlust Livornos im 19.
Jahrhundert, in der Zeit, als sich Italien politisch vereinte. Die Stadt wurde gefangen gehalten
von der Freihafenmentalität, dem Schock der 1848er Revolution, der Rückständigkeit von
Zentralitalien und der Gleichgültigkeit des neuen Zentralstaates gegenüber den Problemen der
Städte. Im 16. und 17. Jahrhundert lebte die Stadt noch davon, tüchtige ausländische Händler
in die Stadt zu holen, die sich jedoch meist befristet in Livorno aufhalten wollten. Die
toskanische Regierung wusste dies, weshalb sie den Fremden attraktive Privilegien zusprach.
Diese lose, von der wirtschaftlichen Lage abhängige Verbindung entwickelte sich im Laufe
der Zeit, ein Reformprogramm sollte die beiden Parteien näher bringen, was gegen Ende des
18. Jahrhunderts teilweise und temporär gelang, indem die Mobilen immer mehr in die
langfristige Sicherung der wirtschaftlichen Prosperität und in die Verfestigung der StadtHinterland-Beziehung involviert wurden. Die Reformen, ein komplexes Zusammenspiel von
ideologischen und institutionellen Faktoren, gepaart mit konservativen und progressiven
Ansätzen, funktionierten als Abwehrsystem, das den demographischen Druck, die
wirtschaftliche Unsicherheit und die ideologischen Unruhen kontern sollte, ohne langfristigen
Erfolg letztlich, weil das Vertrauen in die Reformen nach dem Risorgimento (Epoche der
Einigung Italiens im 19. Jahrhundert) verloren ging.275
Als kleines Zwischenfazit kann festgehalten werden: Im internationalen Spannungsfeld von
Öffnung und Abwehr gegenüber Fremden gestaltete sich die wirtschaftliche Entwicklung der
beiden Städte Ancona und Livorno. Wenn eine Stadt seine Tore durch fremdenfeindliche
Regeln schloss, dann dauerte es nicht lange, bis eine andere Stadt gewinnbringende Fremde
mit umfangreichen Rechten und Steuersenkungen willkommen hiess. Diese Situation
herrschte in verschiedenen „italienischen Staaten“ im 16. und 17. Jahrhundert vor, deren
Machthaber danach strebten, insbesondere, aber nicht ausschliesslich, jüdische Kaufleute
anzuwerben. Dank ihren umfangreichen Netzwerken gelang es, den Seehandel anzukurbeln
273
Livorno war in Kriegszeiten (Siebenjähriger Krieg, Napoleonische Kriege) stets der Umschlaghafen für
englische Güter. Siehe Wagstaff, Frangakis-Syrett: The port of Patras, S. 84.
274
Carrière, Courdurié: Les grandes heures de Livourne, S. 65-80.
275
LoRomer: Merchants and reform in Livorno, S. 14f.
65
und so die Wirtschaft zum boomen und prosperieren zu bringen.276 Diese Prosperität wurde
im 18. und 19. Jahrhundert durch politische Agitationen (Kriege und fremde Einflussnahme)
für einige Städte gebremst, der Vorteil des Freihafenstatus wurde Ancona und Livorno im
italienischen Nationalstaat nicht mehr gewährt. Um weiter überleben zu können, mussten
neue Konzepte und Alternativen erarbeitet, die Industrialisierung weiter vorangetrieben
werden. Livorno tat sich im Schiffbau hervor, während Ancona heute als bedeutender
Fährhafen agiert.277
276
Ravid: A Tale of Three Cities, S. 161f.
Dario Matteoni: Livorno. Bari 1985, S. 179f. Wieviele Menschen und Waren im 21. Jahrhundert nach Ancona
und Livorno gelangen respektive von dort weggeschifft werden, siehe die Zahlen der Hafen Hamburg
Marktforschung bezüglich Containerumschlag in TEU (Twenty Foot Equivalent Units) im internationalen
Vergleich auf www.hafen-hamburg.de, Stand 27.08.2009 und die Zahlen zum maritimen Verkehr des Istituto
Nazionale di Statistica (ISTAT) auf www.istat.it, Stand 27.08.2009.
277
66
4. Anconitanische und livornesische Wirtschaftsgeschichte: Das Umfeld
Wie Kapitel 3 schon angedeutet hat, waren die Voraussetzungen für die kirchenstaatliche
respektive anconitanische und die toskanische respektive livornesische Politelite, ihre mental
maps in die Wirtschaftspolitik umzusetzen, schwierig. Die politischen Nachbarn und
wirtschaftliche Freunde und Feinde im gesamten Mittelmeerraum sowie vereinzelt darüber
hinaus übten Einfluss auf die beiden Hafenstädte aus.
4.1 Die Iberische Reconquista und das Vorrücken des osmanischen Reiches
Das 15. Jahrhundert wurde geprägt von einschneidenden Ereignissen an der südöstlichen und
der südwestlichen Ecke Europas. 1453 wurde das heutige Istanbul von den Osmanen
eingenommen, während 1492 mit der Eroberung von Granada durch Isabella I. von Kastilien
und Ferdinand II. von Aragonien die Reconquista abgeschlossen wurde. Diese beendete die
über tausendjährige Existenz der Juden auf der Iberischen Halbinsel. Nach der christlichen
Rückeroberung wurden die Muslime und Juden vertrieben.278
Während die meisten Muslime aus Spanien – die Morisken – nach Nordafrika oder
Frankreich flohen, fanden die Juden in weiten Teilen Europas eine neue Bleibe.279 Gegen
70'000 von insgesamt etwa 140'000 Spanienjuden gingen demnach ins Osmanische Reich,
andere flohen zuerst nach Portugal, später weiter in sichere Gebiete, wobei Ancona und
Livorno nur einige von vielen Städten waren, die als Ziel gewählt wurden.280 Der grösste Teil
entschied sich folglich für den muslimischen Herrschaftsbereich, da die dortigen Herrscher
eine relativ grosse religiöse Toleranz walten liessen. Vor allem die weltbürgerlichen
Hafenstädte an der Adria und an der östlichen Küste des Mittelmeers, aber auch Nordafrika,
Nordmitteleuropa, französische und italienische Städte an der Küste zogen Händler,
Handwerker, Ärzte und Gelehrte an. Dort konnten sie verhältnismäßig frei und sicher leben,
einige fanden gute Arbeitsplätze als Ratgeber, Gelehrte oder Minister, andere, die Mehrheit
notabene, lebten in Armut.281
Am anderen Ende des Mittelmeeres kam das osmanische Reich im 15. und 16. Jahrhundert
politisch stark auf, was sich auch auf die Wirtschaft auswirkte. Es kann von einer gross
angelegten Levantisierung des internationalen Handels gesprochen werden.
278
Schwara: Unterwegs, S. 158.
Léon Poliakov: Geschichte des Antisemitismus: IV. Die Marranen im Schatten der Inquisition. Worms 1981,
S. 199.
280
Heinen: Sephardische Spuren II, S. 292.
281
Schwara: Unterwegs, S. 158.
279
67
Der Untergang des Byzantinischen Reiches mit der Eroberung Istanbuls 1453 durch die
Osmanen stellte einen Wendepunkt der mediterranen Geschichte dar, obwohl zu dieser Zeit
bereits einige Teile der Balkanregion erobert wurden. Für die Bewohner der Apenninhalbinsel
stellte die Eroberung von Otranto 1480 das Schlüsselereignis dar. Die Gefahr der
osmanischen Besetzung kam näher und wurde deshalb fassbarer. Dass die Stadt Otranto
wenige Monate nach der Annexion längst wieder frei wurde, konnte die Angst kaum
mindern.282
Für die Marken änderte sich auch einiges, vorwiegend Hafenstädte wie Ancona bauten
Wachtürme, um die Präsenz der Feinde sofort registrieren zu können. Neben Städten und
Dörfern
wurden
auch
Kultstätten
zu
Festungen
aus-
und
umgebaut.
Die
Marienwallfahrtskirche von Loreto, der katholische Vorposten gegen den Islam, erfuhr ab
1480 diese Umwandlung.283
Doch nicht alle fürchteten die Osmanen gleichermassen. Boccolino Guzzoni aus Osimo (Ort
in den Marken) etwa war bereit das osmanische Vordringen zu begünstigen, solange der
Sultan ihm die Herrschaft über seine Stadt garantierte. Ähnlich nüchtern sahen es die Händler.
Trotz grausamer Morde und den massiven Überfällen der osmanischen Piraten, dachten sie
„gli affari sono affari“, Geschäft ist Geschäft.284 Es ist nicht verwunderlich, dass etliche von
Spanien vertriebene Juden, arme Albaner und Griechen, korsische, sardische, genuesische,
französische und nordeuropäische Kapitäne und von Feudalherren gepeinigte Italiener sich in
den Dienst der politischen Feinde, der nordafrikanischen Staaten stellten, um wirtschaftlich
vorwärts zu kommen. Die unsichere Rechtslage erlaubte den christlichen Händlern und
Konsuln die ökonomische Zusammenarbeit mit den Ungläubigen und umgekehrt. Sowohl bei
dieser Kooperation wie auch bei der Piraterie spielte die religiöse Differenz kaum eine Rolle,
sie diente nur als Vorwand der Politik, um Konflikte zu schüren.285
Der Austausch mit der Levante konnte und wollte nicht unterbrochen werden, „nur“ weil
einige Piraten ein fondaco verwüstet, einige Fischer umgebracht oder versklavt hatten. Die
Behörden der Handelsstädte und der Papst waren feinfühlig, wenn es um die Wirtschaft ging.
So wurden den levantinischen Unternehmern, die offensichtlich nichts mit der Piraterie zu tun
hatten, Frieden und Sicherheit garantiert, wenn sie die Messe von Recanati einige Kilometer
südlich von Ancona besuchten. Die osmanische Regierung autorisierte ihrerseits balkanische
und levantinische Kaufleute schon vor 1500, Güter aus dem Nahen und Mittleren Osten über
282
Marco Moroni: La Marca pontificia e i turchi: Tre storie dopo Otranto. In: Proposte e ricerche. Economia e
società nella storia dell’Italia centrale 43 (1999), S. 83.
283
Moroni: La Marca pontificia, S. 84f.
284
Moroni: La Marca pontificia, S. 84.
285
Anselmi: Adriatico, S. 193f.
68
die Adria auf die apenninische Halbinsel zu bringen, wo sie auf die Märkte von Recanati und
Lanzan, zwei bedeutende Messestädte, gelangten.286
Von den Turbulenzen, die Recanati in Form von Piraten heimsuchten, und dem
ausgeprägteren Warenverkehr von Ost nach West profitierte Ancona. Die Adriastadt stieg zu
Beginn des 16. Jahrhunderts zu einem bedeutenden internationalen Hafen auf. Veränderte
Handelsrouten innerhalb der Apenninhalbinsel und Handelswege aus dem Osmanischen
Reich führten des Öfteren nach Ancona. Florentinische Kaufleute suchten infolge von
Streitigkeiten mit Pisa nach neuen Verbindungen in den Osten. Zudem bevorzugten viele
osmanische Händler die sichereren, da kürzeren Handelsrouten über die Adria. Die
Revitalisierung des Balkans durch die Pax Ottomanica (Anziehung von europäischen Juden)
und die grosse soziale und sprachliche Affinität zwischen Ancona und der Adriaseite vis-à-vis
waren weitere Bauelemente des wirtschaftlichen Aufschwungs in Ancona. Im Gegensatz zu
Venedig war Ancona in der Lage, den aufstrebenden osmanischen Handel mit der
Apenninhalbinsel an sich zu reissen, indem sie tiefe Zollgebühren verlangte und
entgegenkommende Bedingungen für ausländische Kaufleute anbot. Die venezianischosmanischen Anfeindungen zwischen 1499 und 1503 verstärkten diese Tendenz.287 So kam
es, dass um 1500 Kaufleute aus Ragusa osmanische Waren wie Seide, Teppiche und Leder zu
günstigen Konditionen in Ancona handelten, um sie dann auf der Apenninhalbinsel
weiterverkaufen zu können.288
Durch eine weitere Zollminderung 1513 an alle Untertanen des Osmanischen Reiches
verstärkte sich deren Präsenz zusätzlich. Viele osmanische Händler engagierten sich nun aktiv
im osmanisch-anconitanischen Handel, was neben Steuervorteilen auf die osmanische
Handelspolitik zurückzuführen war. Laut Molly Greene führte die Eroberung Istanbuls durch
die Osmanen 1453 dazu, dass den italienischen Händlern, die im Byzantinischen Reich lebten
und Handel trieben, ihre Handelsprivilegien weggenommen und stattdessen den osmanischen
Händlern (Griechen, Serben, Armenier) zugesprochen wurden. So verliessen die Italiener das
östliche Mittelmeer, während sich vermehrt Osmanen auf der Apenninhalbinsel ansiedelten
und dort handelten. Der Handelsmittelpunkt rückte nach Westen, wovon Städte wie Ancona
und Venedig profitierten. Ancona wurde so zum Treffpunkt zwischen Ost und West, wo sich
Händler aus Florenz und Istanbul trafen und wo Waren aus Italien und dem Osmanischen
286
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 237.
Nach Anselmi befand sich Venedig seit den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des 16.
Jahrhunderts stets im Krieg mit dem Osmanischen Reich. Der geschickten Diplomatie Ragusas, eine geduldige
Neutralitätspolitik gegenüber Venedig, Spanien und Istanbul, war es zu verdanken, dass Ancona in diesen wirren
Kriegszeiten als wirtschaftlicher Partner Ragusas aufblühen konnte. Siehe Anselmi: Adriatico, S. 148f.
288
Cemal Kafadar: A Death in Venice (1575): Anatolian Muslim Merchants Trading in the Serenissima. In:
Merchant Networks in the Early Modern World. Hg. von Sanjay Subrahmanyam. Aldershot 1996, S. 101.
287
69
Reich ausgetauscht wurden. Aus dem Transithafen Ancona wurde eine kosmopolitische Stadt,
wo der internationale Handel Halt machte.289
Papst Leo X (1513-1521) schrieb 1520 dem Sancakbeyi von Vlora, dem Hafen, woher die
Piraten höchstwahrscheinlich ausliefen, dass er sich bemühen solle, nicht nur den Hafen von
Recanati, sondern auch denjenigen von Ancona anzulaufen. So gelang es Ancona, das
päpstliche Verbot, eine eigene Messe zu veranstalten, zu umgehen und durch eigene Anreize
neue Kaufleute anzuwerben. Diese bewirkten beim Sultan, dass er 1529 seine Staatsbürger
anordnete, den Hafen von Recanati zu meiden und alternativ das sichere Ancona zu
berücksichtigen.290 Trotz der starken Konkurrenz durch nahe gelegene Häfen wie Recanati
blieb also Ancona weiterhin attraktiv für osmanische Händler. Die Stadt war 1533 voll von
Griechen und Türken.291 Diese Vormachtstellung hatte Auswirkungen bis nach London und
Antwerpen.
Ein
Krieg
durchbrach
vorübergehend
den
Handelsfluss.
Durch
die
Auseinandersetzungen zwischen Venedig und dem osmanischen Reich in den Jahren 1538 –
1540 erhöhte sich das Zolleinkommen in Ragusa. Dieser Krieg führte aber für Ancona zum
Fernbleiben der osmanischen Händler, was Ancona wirtschaftlich hart traf. So zog etwa ein
antwerpisches Handelsunternehmen seine Abteilung in Ancona ab, da seine Produkte aus
Nordeuropa in Italien nicht weiter ins osmanische Reich spediert werden konnten, wo diese
Waren begehrt waren. Die Baisse dauerte nicht lange. In den frühen 1550er Jahren erreichte
Ancona den Gipfel als Drehscheibe im internationalen Handel. Erst gegen Ende des
Jahrhunderts verdrängte die Achse Split-Venedig die Achse Ragusa-Ancona von der
Wirtschaftslandkarte,
zudem
wählten
viele
Nordeuropäer
neu
Livorno
als
ihren
Umschlaghafen. Doch nicht nur die Konkurrenz machte Ancona zu schaffen. Die eigene
Politik trug ihren Teil bei. Die antijüdischen Agitationen und Verfolgungen seitens des
Papstes Paul IV in den Jahren 1555/56 verscheuchte nicht nur die jüdischen Unternehmer.292
Wie diese Ereignisse die nichtjüdischen osmanischen Händler beeinflusst haben, muss noch
erforscht werden. Es ist jedoch erwiesen, dass die muslimischen Händler von den jüdischen
289
Siehe dazu das unveröffentlichte Paper von Molly Greene (Professorin am Historischen Institut der Princeton
University) von der Konferenz „The Economic Performance of Civilizations: Roles of Culture, Religion, and the
Law“, February 23-24, 2007, durchgeführt vom Institute for Economic Research on Civilizations an der
University of Southern California.
In:
http://www.usc.edu/schools/college/crcc/private/ierc/conference_registration/papers/Greene.pdf,
Stand
27.11.2008.
290
Moroni: La Marca pontificia, S. 91.
291
Der grosse anconitanische Chronist Camillo Albertini schrieb, dass die Händler, die 1533 aus diversen
Nationen nach Ancona kamen, der Stadt Vorteile und Nutzen brachten. Siehe Indice della Cronaca di Camillo
Albertini. Kopie aus dem Jahre 1893. Hg. von Paolo Picozzi. Wiederum kopiert vom Archivio di Stato di
Ancona. Original in der BCA, S. 330.
292
Kafadar: A Death in Venice, S. 103.
70
Handelsnetzwerken profitiert haben. Weiter ist bekannt, dass neben jüdischen auch türkische
Händler verhaftet und ihre Waren beschlagnahmt wurden.293
1556 wiederholte der Sultan seine Aufforderung, Ancona gegenüber Recanati zu bevorteilen.
Doch die antijüdischen Agitationen des Papstes verärgerten die anconitanischen
Geschäftspartner. Die in grosser Anstrengung zu Beginn des 16. Jahrhunderts aufgebauten
Netzwerke der Händler in Ancona brachen so auseinander.294
Während der darauf folgende Boykott gegen Ancona nicht lang hielt, verlor der Handel gegen
Ende des 16. Jahrhunderts dennoch deutlich an Intensität, weil eine Steuererhöhung die
Attraktivität der Stadt schmälerte und ihr ihren Hauptvorteil wegnahm. Dazu kamen
vermehrte politische Spannungen zwischen dem Papst und dem osmanischem Reich um 1560.
Diese Animositäten wirkten sich zusätzlich negativ auf den Handel aus. 1564 wurde
schliesslich ein osmanischer Erlass verkündet, der es osmanischen Händlern verbot, mit
Ancona zu handeln, sie durften nur noch in Venedig und Ragusa tätig sein.295 Es kam noch
schlimmer. 1595 zogen päpstliche Truppen von Ancona aus nach Ungarn, um dort die
Osmanen zu vertreiben. Weitere Aufstände gegen die Pforte (Regierungssitz des osmanischen
Reiches) wurden in Ancona vorbereitet. Thomaso Pelessa aus Lezha (heutiges Albanien) traf
sich 1595 in Ancona mit dem päpstlichen Hafenkommandanten Christoforo Zuccarini, um
den antiosmanischen Feldzug der Balkanchristen in Albanien und Makedonien zu planen.
Auch zum Aufständischen Francesco Antonio Bertucci aus Hvar (kroatische Insel in der
Adria) und zum griechisch-orthodoxen Patriarchen Athanasius von Ohrid (Mazedonien), der
die Rebellion in der Himara leitete, hatte Zuccarini Kontakt.296 Bei der Verschwörung gegen
Ragusa zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte der Hafen ebenso keine neutrale Rolle inne. Der
spanisch-savoyische Plan, die Republik Ragusa als Ausgangspunkt für die Balkaneroberung
zu nehmen, wurde von Ancona geduldet. Der Bischof, der die gescheiterten ragusanischen
Verschwörer befreite, flüchtete über Ancona nach Rom und ein mit Waffen und Munition
beladenes Schiff legte in Ancona an, nachdem Ragusa die Löschung untersagt hatte.297
Das raue politische Klima über die Adria hinweg zeigt sich in einem Brief von 1599. Darin
beschwerte sich der Sultan darüber, dass sein Gesandter den Hafen von Ancona nicht betreten
durfte, obwohl dieser oft von osmanischen Untertanen aufgesucht werde.298
293
Diese Umstände versuchte die Stadt Pesaro gewinnbringend auszunützen, indem sie allen Ethnien gleiche
wirtschaftliche Privilegien und politische Sicherheit versprach. Kafadar: A Death in Venice, S. 104.
294
Moroni: La Marca pontificia, S. 89f.
295
Kafadar: A Death in Venice, S. 104.
296
Bartl, Der Westbalkan, S. 54 und 81f.
297
Bartl, Der Westbalkan, S. 169f.
298
Bartl, Der Westbalkan, S. 70.
71
Der Warenverkehr mit der Levante war jedoch derart bedeutsam, dass es sich die Stadt
ökonomisch nicht leisten konnte, alle Verbindungen nach Osten zu unterbrechen. Als die
Händler der Nazione Levantina unter Androhung, ihre Waren über andere Häfen umleiten zu
lassen, wirtschaftliche Privilegien verlangten, stimmte der Stadtrat dem Anliegen am 16.
Februar 1593 zu.299
Das toskanische Grossherzogtum kämpfte mit ähnlichen Problemen. Die Toskana zeigte reges
handelspolitisches Interesse am Orient. Ferdinando I (1587-1608), der Schöpfer der
Livornina, suchte nicht nur die Aufnahme bedeutender Handelsleute in Livorno, durch
Handelsverträge mit dem osmanischen Reich wollte er den Levantehandel weiter ankurbeln.
Zu diesem Zweck besuchte ein Abgesandter des Sultans, Mustafa Aga, Florenz (er kam über
Ancona) und später erfolgte ein Gegenbesuch in Istanbul. Doch die Verhandlungen
scheiterten, wohl wegen kultureller Differenzen.300 Aber auch andere Gründe halfen mit, die
toskanisch-osmanischen Beziehungen zu verschlechtern. Nicht unterschätzen darf man die
wichtige Rolle der Galeeren der Ritter des Ordens San Stefano. Seine polizeilichen und
räuberischen Tätigkeiten, oft gegen osmanische Städte, Schiffe und Personen gerichtet,
verhalfen dem Levantehandel der Toskana nicht gerade zu Ruhm. Die toskanische Flotte
unter der Führung von Beauregard-Guadagni eroberte 1608 ein osmanisches Geschwader, das
Pilger von Mekka nach Alexandria und Istanbul brachte. Grosse Beute und 700 Gefangene
wurden nach Livorno gebracht.301
Wegen dem gestörten Verhältnis zur Pforte suchte die Toskana alternative Handelspartner,
etwa in Marokko, auf Zypern oder im heutigen Syrien. Die neuen Kompagnons, etwa der
Drusenfürst Fakhr ad-Din, teilten mit der Toskana die Feindschaft zur Pforte. So entstanden
neue Handelsbeziehungen, die jedoch durch den Tod Ferdinandos I 1609 unterbrochen
wurden.302
Kamal Salibi vermutet hinter den wirtschaftlichen Absichten durchaus auch politische Ziele.
Die Toskaner träumten demnach von einem Medici-Königreich in der Levante.303 1608
unterzeichneten die Medici mit dem Drusenführer einen Vertrag, ein so genanntes Schutzund Trutzbündnis. Als Gegenleistung für die Unterstützung einer möglichen toskanischen
Einnahme von Damaskus und Jerusalem sicherte sich Fakhr ad-Din die militärische Hilfe
299
ASAN, A.C.AN, Suppliche al Consiglio reiette ed accolte, 1580-1603, Nr. 2774, S. 67.
Bartl, Der Westbalkan, S. 67f. Beim Besuch des toskanischen Abgesandten in Istanbul kam es zum Eklat. Der
Abgesandte verletzte die türkischen Sitten, indem er unerlaubterweise das Minarett einer Moschee bestieg.
301
Ferdinand Wüstenfeld: Fachr ed-din der Drusenfürst und seine Zeitgenossen. Die Aufstände in Syrien und
Anatolien gegen die Türken in der ersten Hälfte des XI. (XVII.) Jahrhunderts. Göttingen 1886, S. 133.
302
Bartl, Der Westbalkan, S. 70f.
303
Kamal Salibi: Fakhr al-Din. In: Encyclopaedia of Islam. Second Edition. Hg. von P. Bearman u.a. Brill 2009.
http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=islam_SIM-2244, Stand 23.11.2009.
300
72
seitens der Toskana im Kampf gegen die Osmanen. Zusätzlich wurde der toskanische Einfluss
beim Papst dazu verwendet, dass das katholische Oberhaupt den maronitischen Patriarchen
ebenfalls für Fakhr ad-Din gewinnen konnte. Papst Paul V schrieb 1610 einen
dementsprechenden Brief an die Maroniten. Diesen Koalitionen setzte die osmanische
Führung ihre militärische Macht entgegen. Daraufhin musste Fakhr ad-Din 1613 fliehen.
Über Sidon (Libanon) gelangte er in die Toskana. Dort wurde er vom Grossherzogen Cosimo
II mit grossen Ehren empfangen. Er erhielt eine grosszügige Wohnung für sich und seine
Begleiter. Auch sonst fehlte es ihm an nichts. Während seines Aufenthalts versuchte er die
Medici und den Papst für seine Sache zu gewinnen. Diese waren jedoch skeptisch. Cosimo
machte zwar Versprechungen gegenüber dem Drusen, militärisch aktiv auf osmanischem
Boden wurde er jedoch nicht. 1618 kehrte Fakhr ad-Din zurück nach Syrien.304
Ferdinandos Nachfolger, sein Sohn Cosimo II (1608-1621), verfolgte in den orientalischen
Beziehungen die gleiche Politik wie sein Vater. Er erneuerte das Bündnis von 1608 und
organisierte eine anti-osmanische Front mit Hilfe von rebellischen Osmanen, Persern und
Drusen. Zudem finanzierte er grosszügig die Machenschaften des San Stefano Ritterordens,
der von Livorno aus und mit Hilfe des geflüchteten englischen Katholiken Earl of Warwick
(Conte di Varwich), er konstruierte in Livorno eine schnellere Galeerenart, den Osmanen
schwere Verluste zufügte.305 1633 war der „Seekrieg“ immer noch voll im Gange. 40
osmanische Galeeren waren auf dem Weg von Istanbul nach Syrien, als sie bei Chios auf zwei
englische Schiffe trafen, die Weizen nach Livorno liefern wollten. Da Getreide bei den
Osmanen als Schmuggelware angesehen war, beschlossen sie, die zwei Schiffe zu kapern und
die Besatzung in Gefangenschaft zu nehmen. Der Versuch misslang.306
Mit dem Tod Fakhr ad-Din’s 1635, er wurde von der Pforte hingerichtet, riss die Verbindung
der Toskana zur Levante fast völlig ab, erst unter Ferdinando II (1621-1670) intensivierten
sich die Handelsbeziehungen zum Nahen Orient wieder ein wenig.307
Das osmanische Reich bestimmte lange Zeit (15. und grosse Teile des 16. Jahrhunderts) die
wirtschaftliche Ausrichtung Anconas und Livornos. Doch mit der Zeit erkannten auch die
westlichen Mittelmeeranrainer und ihre nördlichen Nachbarn die Chancen, mit und in Ancona
und Livorno ins Geschäft zu kommen. Im 17. und 18. Jahrhundert sprechen Wissenschaftler
deshalb von einer Ponentisierung des mediterranen Handelswesens.308
304
Salibi: Fakhr al-Din; Wüstenfeld: Fachr ed-din der Drusenfürst und seine Zeitgenossen, S. 138, 141f.
Bartl, Der Westbalkan, S. 72f.
306
Wüstenfeld: Fachr ed-din der Drusenfürst und seine Zeitgenossen, S. 161.
307
Bartl, Der Westbalkan, S. 73.
308
These vertreten von Caracciolo: L’economia regionale, S. 156f.
305
73
4.2 Die Ponentisierung des internationalen Handels
4.2.1 Frankreich
Die Beziehungen zwischen Livorno und dem französischen Königreich in den Jahren 1676
bis 1737 spielten sich vor dem Hintergrund umfangreicher Veränderungen, politischer und
wirtschaftlicher Natur, ab. Merkantilistische Wirtschaftspolitik zeigte sich in Form von
Steuererlassen, mit dem Ziel Menschen und Waren von Konkurrenten abzuwerben.309
Der Hafen von Livorno diente dem französischen König im 17. Jahrhundert als nützliche
Anlaufstelle für seine Galeeren und Schiffe sowie als Reservoir für die Rekrutierung von
Soldaten und Sklaven. Neben dem Verkauf von Diebesgut, ergaunert von französischen
Korsaren, kam der Handelsaspekt im französisch-livornesischen Verhältnis vermehrt auf.310
Französische Schiffe aus der Provence und aus Languedoc verkehrten schon lange mit den
italienischen Häfen, wo sie leicht Abnehmer für ihre Waren und neue Produkte für die
Heimfahrt fanden. Neben diesem traditionellen Handel auf kurze Distanz entstand zudem ein
Warenaustausch über längere Wege hinweg. Die Levante und die atlantischen Inseln traten,
gestützt auf gute und friedliche Beziehungen mit dem osmanischen Reich und den
barbaresken Staaten einerseits und die zunehmende Kolonialisierung Amerikas andererseits,
als Handelspartner ins Rampenlicht. Nantes, Marseille und Bordeaux übernahmen dabei
Führungsfunktionen, alle drei gegen Westen (Atlantik), die ersten Beiden mit Livorno.311
Von Livorno nach Frankreich flossen vor allem Rohstoffe, wie Seide, Manna-Eschen
(Laubbaumart), Alaun aus Tolfa (Mineral zur Tuchherstellung) und Hanf aus Bologna. Diese
Produkte stammten mehrheitlich aus Süditalien, einheimische (toskanische) Artikel gab es
fast keine, die über Livorno in den Westen gelangten. Speisen, Getreide und handgefertigte
Produkte spielten nur eine sekundäre Rolle.312 Livorno agierte als Vermittler zwischen Italien
und Frankreich. Den umgekehrten Weg (von Frankreich nach Livorno) gingen der Wein, der
Zucker und Tücher. Der Wein wurde entweder vor Ort in Livorno konsumiert oder weiter
nach England verschifft. Der Zucker kam ursprünglich aus den von Franzosen entdeckten
Gebieten in Amerika.313
Die livornesischen Importe aus Frankreich nehmen im 18. Jahrhundert rasant ab, wofür
verschiedene Gründe verantwortlich gemacht werden können. Erstens verhinderten Kriege die
309
Jean-Pierre Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia dall’editto del porto franco alla fine della
dominazione medicea. In: Atti del convegno „Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 179.
310
Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 180.
311
Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 181.
312
Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 182.
313
Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 183.
74
sichere Einfahrt in den toskanischen Hafen, zweitens hatte die Pest von Marseile direkte
(Handelsunterbruch)
und
indirekte
(Vertrauensverlust)
Auswirkungen
auf
das
Handelsvolumen und drittens verschoben sich nicht nur die konjunkturellen, sondern auch die
strukturellen Rahmenbedingungen. Das heisst, dass das Angebot auf der französischen Seite,
im Speziellen von Marseille ausgehend, und gleichzeitig die Nachfrage Livornos
zurückgingen. Das Angebot Frankreichs verminderte sich nicht generell. Die Handelswege
verschoben sich weg von Livorno, hin zu rentableren Abnehmern. Die Abnahme der
Nachfrage lässt sich auf gestiegene Preise bei französischen Produkten und auf das
verkleinerte Einzugs- und Einflussgebiet Livornos zurückschliessen. Letzteres hängt eng mit
dem Aufkommen Genuas und dessen Ernennung zum Freihafen zusammen, was Livorno
schadete. Die Einfuhr von Rohstoffen und Speisen blieben stabil, während die Fabrikwaren
stark abnahmen, zugunsten von Kolonialwaren. Das starke Engagement Frankreichs in
Amerika hatte zur Folge, dass Frankreich nicht in der Lage war, alle Produkte aus Übersee zu
verwerten, so dass viel für den Export freigegeben wurde. Diese Ware landete in Nordeuropa
und im Mittelmeerraum. Diese Strategie verdeutlicht die Absicht Frankreichs, den Export der
kolonialen Überschüsse, die in Nordeuropa und dem Mittelmeerraum immer noch beliebt und
gefragt waren, mit der Elimination der Konkurrenten zu kombinieren. Dies lässt sich an der
Ausfuhr von französischen Tüchern nach Livorno belegen. Sie nahm erst ab, als die
englischen Konkurrenz auf dem italienischen Markt auftauchte und der französische
Finanzminister Jean-Baptiste Colbert strengere Ausfuhrbestimmungen erliess, die besagen,
dass Tücher, die von Frankreich in die Levante gelangen sollten, keinen Zwischenstopp in
Livorno machen durften.314
Im 18. Jahrhundert entstand unter den französischen Häfen eine Art Konkurrenzsituation,
insbesondere zwischen Mittelmeerhäfen wie Marseille und Atlantikhäfen wie Nantes oder
Bordeaux. Dementsprechend übernahmen mehrere Flotten, eine atlantische, eine aus der
Provence und eine aus Languedoc, die Aufgabe, die Güter nach Livorno zu bringen, wo sie
aber nur einen Zwischenhalt machten, um dann weiter nach Süditalien oder in die Levante zu
schiffen. Die Franzosen gingen in Livorno zwei Arten von Geschäften nach. Erstens der Anund Verkauf von Waren und zweitens die kostenpflichtige Bereitstellung/Vermietung der
eigenen Schiffe für fremde Nationen. Livornesische Händler waren auf diese Schiffe
angewiesen, da die toskanische Flotte unbedeutend war. Diese Händler, oft Juden, galten als
die eigentlichen Besitzer der französischen Schiffe, die zwischen Livorno und der Levante
respektive Nordafrika verkehrten. Wegen der hohen Mietpreise und der Unehrlichkeit der
314
Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 184f.
75
französischen Kapitäne und Besitzer hinterfragten die Händler mit der Zeit den Nutzen dieser
Zusammenarbeit mit den Franzosen, die zudem den Schutz vor Piraten nicht mehr garantieren
konnten. Auch die Gegenseite wurde immer skeptischer. In Anbetracht der Hoffnung auf
grosse Gewinne im Atlantikhandel und der tiefen Schiffsvermietpreise in Livorno landeten
bald nicht mehr viele französische Schiffe dort.315
Die französische Handelspolitik in Bezug auf Livorno zeugt von grosser Ambivalenz. Auf der
einen Seite brauchten die Franzosen den Hafen, um dort durch die Verpachtung von Schiffen
Geld zu erwerben, damit die Handelsbilanz ausgeglichen werden konnte. Weiter wurde in
Livorno die Ware verkauft, die in der Levante oder in der Heimat nicht an den Mann oder an
die Frau gebracht werden konnte. Auf der anderen Seite wollten sie vermeiden, dass sie ihrer
Konkurrenz wirtschaftlich auf die Beine halfen, indem sie deren Interessen als wichtiger Platz
für die Lagerung von Waren dienten. Im 18. Jahrhundert waren die französischen Händler in
Livorno lediglich auf dem Papier Franzosen, im Handelswesen dienten sie der Stadt Livorno.
Sie wurden angehalten, sich zu „toskanisieren“ und nicht primär mit dem Konkurrenten aus
Frankreich Geschäfte zu machen.316 Im 17. Jahrhundert war die Lage noch etwas anders.
Kaufleute aus der Provence (vor allem Marseille), aus Languedoc, aus der Dauphiné und aus
Lyon wirkten in Livorno als Vertreter ihrer Mutterhäuser in Frankreich. Dabei gelang es
ihnen, die Interessen ihrer Vorgesetzten für ihre eigenen Kassen zu nutzen. Doch mit dem
Aufkommen der Konkurrenzsituation zwischen Marseille und Livorno und dem
zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutungsverlust Livornos für Frankreich verloren auch die
französischen Händler in Livorno an Bedeutung. Sie arbeiteten nun nur noch als
Auftragsnehmer, die nicht mehr exklusiv für Frankreich im Dienst standen.317
Neben dem verbissenen Konkurrenzdenken stand den Franzosen in Livorno im 18.
Jahrhundert auch das europäische Umfeld im Wege. Der Lebensabschnitt vom Franzosen
Iacopo Antonio Boasi in den Jahren 1726 bis 1751, als er in Livorno unter anderem als
Händler, Reeder, Spediteur, Geldgeber für Seehandelsunternehmen und Vermittler zwischen
Gläubigern und Schuldnern fungierte, verweist deutlich auf die Abhängigkeit der
kaufmännischen Tätigkeit von der politischen und wirtschaftlichen Konjunktur, in der sie
agierte.318 Der Beginn von Boasis Zeit in Livorno, die Ära als die Medici von der Bildfläche
verschwanden (Anfang 18. Jahrhundert), war einerseits geprägt von Handelsbeziehungen –
eigene oder auf Auftragsbasis – mit der Levante (Izmir und Istanbul), andererseits liefen diese
315
Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 187f.
Marcello Berti: Nel Mediterraneo ed oltre. Temi di storia e storiografia marittima toscana (Secoli XIIIXVIII). Pisa 2000, S. 422.
317
Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 192.
318
Berti: Nel Mediterraneo ed oltre, S. 311.
316
76
Geschäfte immer schlechter. Die Erbfolgekriege in Europa hinterliessen nachhaltige Spuren.
Erst der Frieden von Aachen 1748 brachte wieder die für den Handel notwendige politische
Stabilität. Diese wurde dann ausgenutzt, um neue Geschäftsfelder zu entdecken. Gegen Mitte
des 18. Jahrhunderts verlagerte Boasi seine Handelsrouten. Die klassische Strecke LevanteItalien-Westeuropa verlor an Bedeutung, fast nur noch mit den nordischen und atlantischen
Häfen wurden Waren ausgetauscht. Cadiz, London, Amsterdam und Hamburg waren nun
interessant für Boasi. Besonders über Cadiz gelang es ihm, fruchtbare Beziehungen mit den
spanischen Kolonien Kanarische Inseln, Mexiko und Argentinien zu unterhalten.319
Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass die Beziehungen zwischen Livorno und Frankreich
geprägt waren von einer merkantilistischen Politik, die die Konkurrenz in Form eines
Freihafens nicht tolerieren wollte und konnte. Diese zähe Beziehung widerspiegelte in keiner
Weise, wie Livorno ansonsten mit anderen Geschäftspartnern, die weiteren grossen
Wirtschaftsmächte in Europa (Spanien und England), zusammenarbeitete. Für diese blieb
Livorno lange Zeit ein wichtiger Anlaufhafen.320
4.2.2 England und Holland
Die Expansion der Engländer im Mittelmeer lässt sich in drei Phasen unterteilen. Die Erste
begann gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit der generellen Eroberung des Südens (von
England aus gesehen).321
In der zweiten Phase (Beginn 17. Jahrhundert) konzentrierten sich die Engländer auf Livorno.
Sie nutzten die freie Hafenstadt als Basis, um ihre Waren auszutauschen und als
Kreditzentrum.322 Nach der Wiedereröffnung der Seewege zwischen Nordeuropa und der
Apenninhalbinsel gegen Ende des 16. Jahrhunderts liefen die ersten englischen Schiffe in
Livorno ein. Wegen der Konflikte mit Spanien und Frankreich zu Beginn des 17.
Jahrhunderts bevorzugten die Engländer andere Anlaufmöglichkeiten im Mittelmeer. Nach
dem Ausfall von Pisa rückte Livorno ins Rampenlicht. Livorno stellte lange Zeit sogar Genua,
der Hafen Mailands und der Lombardei sowie die beiden Adriahäfen Ancona und Venedig in
den Schatten.323
319
Berti: Nel Mediterraneo ed oltre, S. 331f.
Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 193.
321
Gio. Battista Lucin, Händler in Ancona, handelte um 1603 mit England, Flandern und anderen Orten. Die
wirtschaftliche Verbindung Englands mit dem Süden schien längst zu funktionieren. ASAN, A.C.AN, Suppliche
1600-1603, Nr. 105, keine Blattnummern.
322
Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 207f.
323
Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 131f.
320
77
Die geographischen Vorteile und die liberale Politik der toskanischen Regierung (porto
franco, freier Warenverkehr, tiefe Zollkosten, modern ausgestattete Hafenanlage, Errichtung
einer neuen Stadt) zogen Menschen, Kapital und Schiffe an. Neben den ab 1548
aufgenommenen verfolgten Juden aus Portugal und Spanien kamen die Armenier, die als
Händler für persische Seide und als Reeder arbeiteten und die Engländer. In den 1630er
Jahren fielen die Erfolgsjahre von Livorno und das zunehmende Engagement der Engländer
auf der Apenninhalbinsel zusammen. Letzteres beruhte auf der Gesundung der englischen
Wirtschaft, wovon Livorno auf Kosten Spaniens profitierte. Livorno war die notwendige
Basis der englischen Schifffahrt im Mittelmeerraum, wo Vorräte gelagert werden konnten, die
Wartung und Reparatur der Schiffe vorgenommen wurden und von wo aus der Nachschub an
Schiffswerkzeugen kam. Im 17. Jahrhundert war Livorno der Anlaufhafen und das Lagerhaus
für den ganzen Levantehandel der Engländer. Livorno funktionierte als Knotenpunkt, wo
englische Exportwaren (in die Levante) gegen Geld umgesetzt wurden. Der toskanische
Hafen galt auch als Zentrum des Kreditwesens.324 Kaum zu übersehen war zudem die
Attraktivität Livornos für die Schattenwirtschaft. Die Gewissheit, Amnestie für vergangene
Straftaten zu erlangen, und das Versprechen der Schutzsicherung lockte Banditen und Piraten
an, so auch aus England.325 Damit wurde Livorno zu einem der grössten Märkte für diebische
Beute im Mittelmeer.326
Die englische Krone unterstützte das englische Engagement im Mittelmeer. Zwei
einschneidende Ereignisse beeinflussten nach 1588 nachhaltig die Zukunft des livornesischen
Hafens. Königin Elisabeth I annullierte alle ihre Kaperbriefe, so dass die englischen Kapitäne
einer ehrlichen, aber weniger ertragreichen Beschäftigung nachgehen mussten. Ausserdem
erlaubte sie die Gründung der Compagnia del Levante, die den Wirtschaftsraum im Osten zu
entdecken begann, zuerst im osmanischen Reich, später in Indien.327
Der Grossherzog der Toskana erkannte, dass sich die Engländer immer mehr in der Levante
wirtschaftlich betätigten, aber noch keinen Heimat- und Umschlaghafen im Mittelmeer
besassen.
Auf
Grund
dessen
erliess
Ferdinando
I
auch
die
Livornina,
die
Steuererleichterungen für ausländische Händler vorsah. Dadurch angelockt, wehte immer
öfter die englische Fahne im Hafen von Livorno. Diese starke Präsenz steigerte sich
zusätzlich dadurch, dass die Engländer vielen Schiffen erlaubten, unter englischer Flagge zu
324
Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 133f.
Der englische Abenteurer Tommaso Sherley ging im Namen von Ferdinando I auf die Jagd nach Ungläubigen
und überfiel deren Schiffe. Siehe Anselmi: Adriatico, S. 196.
326
Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 138f.
327
Horace Albert Hayward: Gli inglesi a Livorno al tempo dei Medici. In: Atti del convegno „Livorno e il
Mediterraneo nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 269. Im 17. Jahrhundert errichteten die Engländer ihr
Basislager für den Levanteverkehr in Livorno. Siehe dazu Inalcik: An Economic and Social History, S. 377.
325
78
verkehren.328 Diese englische Dominanz störte die Holländer und so begann die Rivalität der
beiden Staaten um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum.329
Die Dominanz der Holländer dauerte bis zum ersten englisch-holländischen Seekrieg, der
legendären Schlacht im Hafen von Livorno im Jahre 1653 an. Danach führten die Engländer
Verhandlungen mit dem toskanischen Grossherzog. Erstere durften nun Livorno als
Basishafen benutzen, um den Einfluss und die Macht der Osmanen in Nordafrika
einzudämmen. Im Gegenzug versprach England Livorno ein Wachstum des englischen
Seehandels in ihrem Hafen.330
Trotz der starken Einflusspolitik Englands gaben die Holländer nicht so schnell auf. Es kamen
gleich viele englische wie holländische Ladungen im Hafen an, circa 40 bis 50 pro Jahr. Erst
mit dem Vertrag von Utrecht 1713, durch den England Mallorca und Gibraltar bekam, fühlten
sich die englischen Kaufleute so sicher, dass sie die Holländer wirtschaftlich verdrängen
konnten. 1714 kamen nur alleine aus der Levante mehr englische Schiffe in Livorno an als
alle Holländischen zusammen. England wurde Handelsmacht Nummer Eins, gefolgt von
Frankreich und Holland. Die Kluft zwischen den Nationen wurde immer grösser. Dabei
übernahm die British Factory einen wichtigen Part. Sie förderte die Zusammenarbeit unter
den Landsleuten und schwächte so die Konkurrenz. Sie wurde wahrscheinlich 1700 vom
britischen Konsulat gegründet und bekam später das Recht zugesprochen, Steuern auf Waren
zu erheben.331
Mit pest- und kriegsbedingten Unterbrüchen nahm der englische Geschäftsverkehr mit dem
Freihafen von Livorno stetig zu und mehr als die Hälfte des jährlichen Warenumfangs und
grosse Geldmengen waren direkt oder indirekt unter der Kontrolle der Mitglieder der British
Factory. Man sprach sogar schon von Livorno als einem englischen Hafen.332
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts verlor der Mittelmeerraum immer mehr an Bedeutung, die
Hafenstädte im Norden der Apenninhalbinsel schauten dem interkontinentalen Handel
hinterher, der vermehrt über London und Antwerpen abgewickelt wurde. England orientierte
sich nun nach Amerika und Asien. In den Augen der Zeitgenossen blieb das Mittelmeer aber
das Mass aller Dinge. Die dritte Phase der englischen Expansion (am Ende des 17.
Jahrhunderts) bestätigte also die Vorherrschaft im mediterranen Raum und dehnte sich in den
interkontinentalen Raum aus.333 Ab Mitte des 17. Jahrhunderts begannen die Städte auf der
328
Inalcik: An Economic and Social History, S. 737.
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 269.
330
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 271.
331
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 272.
332
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 273.
333
Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 206f.
329
79
nördlichen Apenninhalbinsel die Kontrolle über die eigenen Handelsgeschäfte zu verlieren.
London, mittels seiner Händler in Livorno und anderswo, übernahm das Zepter. Der Süden
der Halbinsel wurde durch den Norden mehr und mehr vernachlässigt und ignoriert, sodann
durch die Engländer einverleibt, die das Gebiet in die Isolation und die Unterentwicklung
führten.334
Im Kampf um profitable Handelsbeziehungen mussten sich Ancona und Livorno nicht nur mit
ihren Partnern verstehen, sondern auch ihre Rivalen vom Leib halten. Nicht selten waren
diese in der Nachbarschaft zu finden. Ancona und Livorno waren gegenseitige Konkurrenten,
Venedig und später Triest waren die grossen Mächte, neben denen es zu überleben galt.
4.3 Machtverschiebungen auf der Apenninhalbinsel
Die Hafenstadt Ancona unterhielt wirtschaftliche Beziehungen zu einer Vielzahl von Städten
in Europa und zum Teil darüber hinaus. Neben Partnerstädten zeigten sich andere
Handelsplätze als erbitterte Rivalen. Das Handelswesen war ein hartes Pflaster, wo die
Konkurrenz stetig lauerte. Einer der Hauptkonkurrenten war Venedig.335
Im 13. Jahrhundert kontrollierte Venedig den Seeweg in der Adria komplett, so dass die
Lombarden weder aus der Romagna noch aus Ancona Waren, vor allem Lebensmittel,
beziehen konnten.336 Das päpstliche Ancona und dalmatinische Städte wehrten sich gegen
diese Monopolstellung und gegen die allumfassende Polizeigewalt Venedigs.337 Die expansive
venezianische Aussen- und Handelspolitik machte Ancona lange Zeit zu schaffen.338
Die Stadt Ancona war erst im 15. und 16. Jahrhundert in der Lage, sich mit Venedig zu
messen, sie entwickelte sich zum Treffpunkt von Christen und Muslimen, die durch die tiefen
Zollgebühren und noch mehr durch die gelebte Toleranz angezogen wurden. Dies änderte sich
vorläufig nicht, als die Stadt 1532 ihre Unabhängigkeit verlor und unter die Herrschaft des
Heiligen Stuhls kam. Der Papst hatte nicht die Absicht, die Juden zu verfolgen, im Gegenteil,
er forcierte deren Ansiedelung in der Stadt.339
Der Marrane Joseph Nasi sowie seine Tante Gracia Mendes organisierten von Istanbul aus
den innerosmanischen Handel im 16. Jahrhundert. Dabei lenkten sie die Warenströme
334
Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 209.
Zu Venedig als Handelsplatzmacht siehe Benjamin Arbel: Jews in International Trade: The Emergence of the
Levantines and Ponentines. In: The Jews of Early Modern Venice. Hg. von Robert C. Davis, Benjamin Ravid.
Baltimore 2001, S. 73-96.
336
Rösch: Venedig, S. 86.
337
Rösch: Venedig, S. 73.
338
Zu den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Venedig und Ancona. Siehe Leonhard: Die Seestadt Ancona,
S. 293f.
339
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 577.
335
80
bewusst über Ragusa, Ancona und Ferrara, um Venedig das Adriamonopol streitig zu
machen. Dies hatte vermehrte fremdenfeindliche und antijüdische Strömungen in Venedig zur
Folge.340 Doch auch konstruktive Massnahmen wurden eingeleitet. Die venezianische
Regierung, angetrieben von Daniel Rodriga, einem der herausragendsten venezianischen
Händler im 16. Jahrhundert, unterstützte und privilegierte deshalb in dieser Zeit jüdische
Händler, indem ihnen ein langfristiges Niederlassungsrecht angeboten wurde, damit
osmanische Juden ihre Waren nach Venedig brachten und nicht in die Konkurrenzstadt
Ancona oder die Waren bereits im osmanischen Reich an westeuropäische Händler
verkauften. Zeitgleich, etwa um 1589, erreichte Rodriga, dass seine Regierung in Split ein
Handelszentrum einrichtete, das die wirtschaftliche Achse Ancona-Ragusa stören sollte.341
Wissend, dass Livorno 1593 und Ancona 1594 den levantinischen Händlern, Juden
eingeschlossen, zahlreiche Zugeständnisse machte, zog die venezianische Regierung nach und
genehmigte 1598 ein Anliegen der Juden in Venedig, das ihnen das Niederlassungsrecht in
Venedig erneuerte.342 Damit konnte Venedig seine wirtschaftliche Vormachtstellung in der
Adria wieder an sich reissen.
Das Adriamonopol Venedigs zerfiel endgültig erst im 18. Jahrhundert zugunsten von zwei
landesherrlich geförderten Städten. Der kaiserliche Freihafen Triest und der päpstliche
Freihafen Ancona rissen das Handelssteuer an sich.343 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts öffnete
König Karl VI die Adria für den internationalen Handel, indem er den freien Schiffsverkehr
und Fiume und Triest als Freihafen deklarierte.344 Als Folge davon blühte der Handel über die
Adria auf. Griechische und slawische Seehändler von der Ostseite der Adria transportierten
ungarisches Getreide von Fiume, Karlobag (Kroatien) und Triest nach Ancona, Venedig und
Neapel. Auf dem Rückweg nahmen sie französische, italienische und englische Güter mit und
versorgten so die österreichischen und ungarischen Märkte.345
Im anconitanisch-venezianischen Disput um die wirtschaftliche Vormacht im Mittelmeer
mischte sich Livorno immer wieder ein, auch im Bereich des Adriatischen Meeres. Die Stadt
unterhielt intensive Wirtschaftsbeziehungen zu Städten an der Adriaküste, sowohl mit denen
der
340
Westküste
(Venedig,
Cesenatico,
Pesaro,
Senigallia,
Ancona,
Campomarino,
Rösch: Venedig, S. 160.
Benjamin Ravid: The Legal Status of the Jewish Merchants of Venice, 1541-1638. In: The Journal of
Economic History 35 (1975), S. 276.
342
Ravid: The Legal Status, S. 277.
343
Rösch: Venedig, S. 166.
344
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 283.
345
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 284.
341
81
Manfredonia, Barletta, Bisceglie, Bari, Monopoli) als auch mit denen der Ostküste (Zadar,
Korcula (kroatische Insel), Ragusa, Durres und Vlora (beide Albanien)).346
Obwohl der Mittelmeerraum im 18. Jahrhundert seine zentrale Position im weltweiten
Handelsverkehr verlor, setzte sich der Ost-West-Handel fort. Osmanische Produkte aus der
Levante, von Häuten bis Rosinen, Holz aus Deutschland, Getreide und handgefertigte
Produkte sowie Rohstoffe für die moderne Industrie gelangten im 19. Jahrhundert, getragen
durch eine günstige Konjunkturlage, von Venedig und Ancona nach Livorno, Genua,
Spanien, England, Holland und Frankreich. Um diese grossen Handelsnetzwerke herum
verzweigten sich kleinere Handelsäste, die nach Cesenatico, Barletta, Gallipoli, auf der
Ostseite der Apenninhalbinsel, und nach Genua, Napoli und Messina, auf der Westseite,
reichten.347
Während des 18. Jahrhunderts verzeichnete der Landweg erhebliche Fortschritte, er konnte
jedoch den Seeweg von seiner dominanten Position beim Transport von Waren und
Menschen, sowohl über lange wie auch über kurze Strecken, nicht vertreiben. Das
Verschiffen von Getreide von Ancona nach Rom kostete zwei- bis dreimal weniger als die
Überführung über den Landweg quer über die Apenninhalbinsel. Es kam vor, dass Schiffe für
die gleiche Strecke unterschiedlich lange unterwegs waren. Im Extremfall heisst dies, dass ein
Schiff von Venedig nach Livorno zwischen 16 und 212 Tage brauchte. Dieses Ausmass zeigt
die Ungewissheit und Unsicherheit, mit der die Händler im Mittelmeer rechnen mussten.
Meteorologische Faktoren wie Wind und Stürme spielten dabei bestimmende Rollen, doch
auch feindliche Überfälle verlangsamten die Fahrt. Als Hauptgrund müssen jedoch
ökonomische Einflüsse eingebracht werden. Viele Schiffe machten Zwischenstopps, vor
allem in Napoli, Messina, Gallipoli, Cesenatico und Ancona, um Waren aufzunehmen oder
abzuladen.348
Die Antreiber dieser Routen von Ost nach West, um die Apenninhalbinsel herum, waren
zuerst die englischen und die holländischen, später die genuesischen, neapolitanischen und
französischen Schiffe. Obwohl sich die diversen Häfen ergänzten, waren sie zugleich auch
Konkurrenten. Der Zweck der Einführung eines Freihafens in Ancona 1732 lag in der
Nachahmung von Livorno, um letzteren Geschäfte und Aufträge streitig zu machen. Venedig
forcierte 1736 analoge Massnahmen, um ihre Vorherrschaft im Adriaraum zu stabilisieren,
Genua folgte dem Beispiel im Jahre 1751, so dass sich das Klima der Rivalität immer stärker
346
Renato Ghezzi: Livorno e i porti adriatici dalla fine del Seicento alla fine del periodo mediceo. In: Nuovi
studi livornesi Hg. von Associazione livornese di storia lettere e arti. Livorno 2004, S. 102.
347
Ghezzi: Livorno e i porti adriatici, S. 116f.
348
Ghezzi: Livorno e i porti adriatici, S. 112f.
82
akzentuierte. Mit den Ankerungsgebühren wurden gewisse Schiffe angelockt, andere
vermieden. Die Höhe der Tarife fürs Ankern richtete sich in Livorno nach mehreren
Parametern, wie Schiffstyp, Herkunft, Zwischenlandungen, Intervall der Ankünfte in Livorno
und Ladefähigkeit. Die Holländer und die Ragusaner besassen die grössten Schiffe, die sich
durch eine starke Bewaffnung und grosse Mannschaften auszeichneten, um gegen die
Korsaren gewappnet zu sein. Die kleineren Schiffe waren durch ihre Agilität und
Schnelligkeit ebenso stark in der Piratenabwehr. Am Beispiel der englischen Flotte lässt sich
darlegen, wie im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts der Trend zu immer kleineren Schiffe
vollzogen wurde. Im 18. Jahrhundert intensivierten sich die Handelsbestrebungen und die
Apenninische Flotten erlebten eine Neugeburt. Zudem konnte eine Vervielfachung der kleiner
werdenden Schiffe beobachtet werden. In den livornesischen Akten finden sich immer mehr
Spuren von diesen kleinen, schmalen Schiffen.349
Die päpstliche Flotte vergrösserte zu Beginn des 18. Jahrhunderts ihr Engagement im Hafen
von Ancona. Livorno besass ebenfalls eine eigene, wenn auch sehr bescheidene Flotte.
Zwischen 1650 und 1737 verkehrten nur 2,6% aller Schiffe, die aus der Adria kamen, unter
der Flagge des Grossherzogtums.350
Im Wettbewerb um Schiffe, Waren und Fachleute mischten nicht nur Hafenstädte aus dem
Norden der Apenninhalbinsel mit. Neapel und andere Städte aus dem Süden beteiligten sich
ebenso am Verteilungskampf um Macht- und Marktanteile. Die neue Stadt Livorno
interagierte mit der alten Stadt Neapel.351
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts profitierten noch beide Seiten vom gegenseitigen Handel.
Napoli schlug ökonomische Vorteile heraus, während Livorno primär seine Beziehungen
ausbauen konnte. Doch es gab schon erste Anzeichen, die zu Lasten Napolis verliefen, wenn
etwa Spezialisten der Korallenfischerei von Napoli nach Livorno emigrierten. Im 17.
Jahrhundert verstärkte sich diese Misslage. Livorno entzog der Wirtschaft von Napoli
wichtige Wirtschaftszweige, mit der Hilfe von neapolitanischen Kräften. Gründe für diese
Verschiebungen sind in der generellen Wirtschaftskrise, strukturell als auch konjunkturell, des
349
Ghezzi zählt fünf Schiffstypen auf: 1. Le polacche (Tonnage: 63-84 ton, lange Distanzen, Getreidetransport
zwischen Venedig, Ancona, Genua und Livorno); 2. Le barche (52,5 ton, 17 Seeleute, verwendet vor allem von
Genuesen, Neapolitaner, Franzosen, Kirchenstaat, Toskana und Sizilien); 3. Le tartane (31,5 ton, kurze Strecken,
Fischtransporte, wegen Wendigkeit und Schnelligkeit: militärisch genutzt für das Nachrichtenwesen, benutzt von
Genua, Frankreich, Neapel, Kirchenstaat, Toskana und Sizilien); 4. Le feluche (Süditalien - unter der Flagge von
Napoli, kurze und mittlere Distanzen, 10,5 ton, 7 Seeleute); 5. Le palandre (1 Genuese und 2 Venezianer,
unbedeutend). Vgl dazu Ghezzi: Livorno e i porti adriatici, S. 122f.
350
Ghezzi: Livorno e i porti adriatici, S. 117.
351
Ähnliche Konstellationen gab es zwischen Genua und Livorno sowie zwischen Ancona und Venedig.
Ruggiero Romano: Rapporti tra Livorno e Napoli nel Seicento. In: Atti del convegno „Livorno e il Mediterraneo
nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 202.
83
17. Jahrhunderts zu suchen. Während alle Regionen und Städte am Mittelmeer darunter litten
– von Barcelona und Marseille, über Genua und Napoli, bis Ancona und Venedig – schien
Livorno davon kaum betroffen zu sein. Livorno nutzte diese Überlegenheit aus. Nach dem
Motto „mors tua, vita mea“ wurde das Verderben der Anderen für die eigenen Zwecke
genutzt. Durch die Komplizenschaft mit den Osmanen und den Korsaren wurde die
Konkurrenz weiter verärgert. Die Vitalität Livornos auf die legislativen Mittel (Livornina
1593 und porto franco 1675) und den Neutralitätsstatus zu beschränken ist zu einfach, da
Marseille dieselben Massnahmen ergriff, aber trotzdem vom wirtschaftlichen Rücklauf erfasst
wurde. Die Lösung ist im Handelsnetzwerk zu finden. Livorno wuchs als toskanischer Hafen
im Dienste Florenz’ und der Toskana heran, der sich im Laufe der Zeit vermehrt zum
internationalen, von England und Holland abhängigen, Transithafen entwickelte. Versteht
sich Livorno als Basis für holländisch-englische Geschäfte, so sah sich Napoli der spanischen
Wirtschaft ausgeliefert oder exportierte Waren aus seinem Hinterland. Diese Verbindungen
brachten mit sich, dass Livorno von der Krise verschont blieb, da England und Holland die
einzigen Mächte waren, die sich ihr entziehen konnten. Diese Abhängigkeit Livornos von
zwei weit entfernten ausländischen Partnern und die schwache Bindung an die nahe Region
erwiesen sich im 17. Jahrhundert als richtige Strategie, um wirtschaftlich erfolgreich zu
sein.352
Der ökonomische Machtkampf im Norden der Apenninhalbinsel konnte Venedig lange Zeit
für sich entscheiden, doch Ancona (im 16. und 18. Jahrhundert), Livorno (im 17. Jahrhundert)
und Triest (im 18. Jahrhundert) nahmen der Serenissima doch einige Stücke des Kuchens
weg. Diese Leistungen gediehen, wie eben erwähnt, dank klugen, aussenpolitischen
Seilschaften, doch auch die Innenpolitik lieferte ihren Beitrag. Im harten Konkurrenzkampf
mussten Sonderstellungen erarbeitet werden. Auf legislativer Ebene passierte hier viel. Neue
Gesetze sollten finanzstarke, gut vernetzte und investitionsfreudige Kaufleute und
Geschäftsmänner an die eigene Stadt binden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich mentale Landkarten in Ancona und Livorno in
einem dynamischen Umfeld entfalteten. Immer mehr Menschen mit verschiedensten,
kulturellen, religiösen, sozialen und geographischen Hintergründen fanden sich auf der
Apenninhalbinsel ein, um die Zukunft in einer neuen Umgebung, in der Diaspora zu gestalten.
Ancona und Livorno waren keineswegs einzigartige Destinationen. Vergleichbare Städte gab
es im gesamten mediterranen Raum, der über soziale Netzwerke wirtschaftlich erschlossen
wurde. Spezifisch für diese Orte war einerseits die durch die multikulturelle
352
Romano: Rapporti tra Livorno e Napoli, S. 203f.
84
Bevölkerungsstruktur bedingte ökonomische Ausrichtung auf den Handel über den eigenen
Hafen mit anderen Städten mit Meeranschluss. Andererseits brachte die ökonomische
Vernetzung politische Dynamiken ins Spiel. Ancona und Livorno, territoriale Grenzposten
des Kirchenstaates und der Toskana, bekamen die politischen Agitationen der Nachbarn –
Freund und Feind – unmittelbar zu spüren.
Die mentalen Landkarten der zugewanderten Kaufleute sind auf der Grundlage der kulturellen
Vielfalt zu sehen. Ob dies eine Chance für etwas Neues, Positives und Erfolgreiches oder ein
Risiko für Konflikte war, wird später (Kapitel 6) aufgelöst. Die Vorstellungen der Obrigkeiten
standen auf einer Unterlage, die stets in Bewegung war. Druck von aussen und eigene
Wünsche trieben die Politik an. Wie sich diese Prozesse vom Kopf in die Realität umsetzen
liessen, wird im Folgenden (Kapitel 5) beschrieben.
85
Teil II: Von der Idee zur Umsetzung
5. Obrigkeitliche Vorstellungen der idealen Hafenstadt
5.1. La Livornina: Der standfeste Boden einer rosigen Zukunft
5.1.1 Die Idee porto franco
Der Aufbau der Hafenstadt Livorno war ein politisches Projekt, durchdacht und realisiert
durch die Medici-Grossherzoge. Innerhalb von 40 Jahren (1590-1630) stieg die Stadt so zur
zweiten Macht in der Toskana auf, gleich nach Florenz. Ihre Entwicklung im 16. und 17.
Jahrhundert kippte die urbane Hierarchie um und verschob die ökonomischen und
demographischen
Achsen
innerhalb
der
Toskana.353
Die
Wirtschafts-
und
Einwanderungspolitik der Medici war ein Grundpfeiler dieser Entwicklung, sie war die
politische Umsetzung der mentalen Landkarte einer idealen Hafenstadt. Nach dem Untergang
der Medici führten die Herrscher aus dem Hause Habsburg-Lothringen diese Politik ab 1737
weiter.
Eine Grundsäule der fremdenfreundlichen Politikstrategie war das Konzept des Freihafens,
des porto franco. Die Bedeutung und Wirkung eines solchen Freihafens in der Frühen Neuzeit
darf nicht mit einem heutigen Freihafensystem verglichen werden, wo man die Güter ohne
Bezahlung von Zollgebühren löschen, konservieren, bearbeiten, weiterverarbeiten, handeln
und entsenden kann, ohne dass dabei die Ware an Qualität verliert. Früher bezeichnete man
einen Hafen als frei, wenn er, im Vergleich zum normalen Hafen oder zu den üblichen
Bestimmungen im Staat, einige Vorteile und Gebührenerlasse genoss.354
Die ersten Freihäfen gab es im Mittelmeerraum, um das Bedürfnis des Seehandels zu
befriedigen, eingeführte Waren einige Zeit kostengünstig im Hafen lagern zu können, bevor
sie weitertransportiert wurden.355
Der livornesische Freihafen wurde in mehreren Schritten eingeführt. Erwin Beckert und
Gerhard Breuer datieren die Einführung bereits auf das Jahr 1577, während die restlichen
Experten die Basis für die Zollfreiheit in der Livornina in den 1590er Jahren sehen.356 Gemäss
Marcello Berti wurde Livorno 1629 endgültig zum Freihafen erklärt, weil in diesem Jahr der
Grossherzog die stetige freie Nutzung der Lagerräume gegen Bezahlung einer milden Gebühr
gewährte.357 1675/76 (je nach Kalender) schliesslich wurden die Im- und Exportzölle
353
Elena Fasano Guarini: Center and Periphery. In: The Journal of Modern History 67 (1995), S. 95.
Baruchello: Livorno e il suo porto, S. 264, 267.
355
Erwin Beckert, Gerhard Breuer: Öffentliches Seerecht. Berlin 1991, S. 139.
356
Beckert, Breuer: Öffentliches Seerecht, S. 139; Kirk: Genoa and Livorno, S. 8.
357
Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 289.
354
86
aufgehoben. Doch auch ab 1675 funktionierte Livorno nicht als Freihafen im heutigen Sinne,
da die Behörden eine Ankergebühr für die Schiffe, eine einprozentige Lazarettsteuer und eine
Stallungsgebühr für Importwaren erhoben.358 Immerhin war nun die ganze Stadt und nicht nur
der Hafen ein zollfreies Gebiet. Der Zoll wurde erst von den angrenzenden Staatsgebieten
erhoben.359 Der Freihafen Livornos nahm derart viel Platz ein und war derart originell, dass
man im Falle von Livorno während zweier Jahrhunderte von einer città franca (freie Stadt)
sprechen kann.360
Der Erlass von 1675 entstand durch Verhandlungen der Händler mit den Behörden, die 1660
den Freihafen versprochen hatten. Der Leiter der Zollbehörde verhandelte mit den
Repräsentanten der Händler über ihre Vorschläge, die sie in 15 Punkte fassten, welche die
allgemeinen Reformbestrebungen konkretisierten.361 Durch die Bekanntmachung der 15
Punkte durch den governatore di Livorno, im Auftrag des Grossherzogen, wurden die 15
Artikel zu Gesetzen. Diesem Erlass wurden die Tarife für das Löschen, die Lagerung und das
Weitersenden der Produkte angehängt, auch hier im Einklang mit den Wünschen der Händler.
Man zahlte nicht nach dem Gewicht der Ware, sondern nach der Anzahl der Frachtstücke. So
wurden mühsame (Gewichts)Kontrollen verhindert, was wiederum zeigt, wie geschickt die
Händler ihre Ziele erreichten und Livorno so zu einem wahren Freihafen avancierte. Die
Bestimmungen von 1675 standen in Einklang mit dem stetig wachsenden Warenaufkommen
in Livorno, so dass für mehrere Jahre keine Änderungen nötig waren. Durch diese
Zollbestimmungen konnte der Hafen von Livorno mehr als ein Jahrhundert florieren,
mindestens solange die Veränderungen der Bedingungen nicht an den Lagerbestimmungen
rüttelten.362
Der Kern der Überlegung lag also darin, Kostenvorteile gegenüber anderen Häfen zu
garantieren. Der ideale Hafen war folglich der Günstigste. Die mentale Landkarte von der
Musterstadt wies jedoch nicht nur finanzielle Aspekte auf. Neben der Zollfreiheit kamen
weitere Sonderrechte dazu, die in den Vorstellungen der Herrscher nötig waren, um die
fiskale Attraktivität zu komplettieren. Der Rechtskatalog wurde dauernd verändert und
erweitert oder musste durch neue Herrscher bestätigt werden. Egal welche Rechte und
Freiheiten versprochen wurden, die Stadt sollte wachsen. Mehr Einwohner brachten mehr
Geld, wertvolles Wissen und nützliche Beziehungsnetzwerke in die Stadt.
358
Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 290.
Beckert, Breuer: Öffentliches Seerecht, S. 139.
360
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 275.
361
Die 15 Punkte vom 9. März 1675 sind abgedruckt in Baruchello: Livorno e il suo porto, S. 296-300.
362
Baruchello: Livorno e il suo porto, S. 294f.
359
87
5.1.2 Die wachsende Stadt
Von 1421, als Florenz Livorno kaufte, bis 1592 (15 Jahre nach der Gründung der neuen Stadt)
blieb Livorno eine kleine Stadt mit etwa 500 Einwohnern, die mit starker Luftverschmutzung
und Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte. Danach stieg die Einwohnerzahl rasant an.363
Bereits 1491 lockten die toskanischen Behörden neue Einwohner an, indem sie den
Neuankömmlingen Immunität und Steuerbefreiung garantierten.364
Um die pestverseuchte und irrespirable Gegend zu bevölkern, wendeten die Dienststellen
oftmals unkonventionelle Methoden an: Bei Personen, die sich in Livorno niederlassen
wollten, legten sie keinen Wert auf die Herkunft, die Eigenschaften, die Sittlichkeit oder die
Religion. So landeten Bankrotteure, Steuerhinterzieher, Schuldner, Gauner und Ganoven in
der Stadt, die ab 1547 den Schutz des Grossherzogs und eine volle Amnestie genossen.365
Neben
diesen
„Lückenfüllern“
benötigte
die
Stadt
zusätzlich
qualifiziertes
Wirtschaftspersonal, um gegen die Hungersnot am Ende des 16. Jahrhunderts anzukommen.
1551 gewährte Cosimo I gewisse Vorzugsrechte für Händler aus aller Welt.366 1566 erliess
wiederum er weitere steuerrechtliche Reformen in toskanischen Häfen, die grosse Bedeutung
für den Weg Livornos hin zum Freihafen hatten.367
Sein Nachfolger, Ferdinando I, kümmerte sich intensiv um das Handelswesen. Er lancierte
zahlreiche Erlasse zu Livorno. Der erste Erlass von 1590 richtete sich an die Griechen, die vor
allem als Schiffsbauer und Seeleute gebraucht wurden. Der zweite Erlass, ebenfalls aus dem
Jahre 1590, lud ausländische Handwerker ein, während der Dritte (1591-1593) die Einladung
aller Händler aus der Ponente und Levante, auch der Juden, darstellte.368 Alle drei wendeten
sich explizit an Fremde, um deren technische Fähigkeiten und internationale Handelskontakte
zu nutzen.369
Der wichtigste Erlass war derjenige, der unter dem Namen Livornina 1591 und 1593 bekannt
wurde. Er kann als Anerkennung des Freihafens in Livorno angesehen werden. Ein eigenes,
spezielles Gesetz dazu gab es nicht. Die Livornina hatte zum Zweck, die wirtschaftlichen
363
1601: 3'000; 1609: 5000; 1642: 12'000. Siehe dazu Lucia Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento
di Livorno dal 1590 al 1603. I Bandi popolazionistici di Ferdinando I. In: Le popolazioni del mare. Porti franchi,
città, isole e vilaggi costieri tra età moderna e contemporanea. Hg. von Aleksej Kalc, Elisabetta Navarra. Udine
2003, S. 87 und Battilotti: Luoghi di commercio, S. 47.
364
Nuti: Livorno, il porto, S. 342.
365
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 533.
366
Ravid: A Tale of Three Cities, S.144.
367
Kirk: Genoa and Livorno, S. 5, 12.
368
Den ganzen Verfassungstext (auf italienisch) aus dem Jahre 1593 findet man bei: Collezione degl’ordini
municipali di Livorno, S. 237-256.
369
Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 89.
88
Rahmenbedingungen für fremde Kaufleute zu verbessern sowie deren Niederlassungsrechte
zu garantieren. Doch auch religiös verfolgte Menschen fanden Unterschlupf in der
Freihafenstadt Livorno, etwa die in Portugal und Spanien in der Mitte des 16. Jahrhunderts
von der Inquisition bedrängten Juden oder die der Reformation bezichtigten Christen.370
Die aus den Federn von Grossherzog Ferdinando I (1549-1609) stammende Livornina
erneuerte und ergänzte am 30. Juli 1591 und am 10. Juni 1593 von früheren Herrschern
erlassene Privilegien für ausländische Händler. Zwar richtete sich diese neue Verfassung nicht
allein an Juden, doch ihr Anteil bei den Einwanderern war sehr hoch. Die Einladung wurde
für Livorno und Pisa ausgesprochen, doch auch in Florenz siedelten sich vermehrt Juden und
andere Geschäftsleute an.371
Die Livornina ist die Verheissung des Glücks. Sie zählt schriftlich auf, was Glück sein
könnte, welche Bausteine ein glückliches Leben beinhalten sollte.
In der Präambel wurden der Absender (Grossherzog), das Erscheinungsdatum (10.06.1593)
und ausführlich die Adressaten benannt. Die Händler aus aller Welt wurden nach
geographischen (Levantiner, Ponentiner), sprachlichen (Spanier, Portugiesen, Griechen,
Deutschen, Italiener, Armenier, Perser) und religiösen (Juden, Muslime) Gesichtspunkten
aufgeteilt. Das Hauptanliegen der Medici – die Ansiedlung von Kaufleuten mit ihren Waren
(und Familien) in den Häfen von Pisa und Livorno – wurde hier bereits explizit und direkt
angesprochen. In den weiteren 44 Artikeln wurden die Vorteile, Sonderrechte, Immunitäten
und Erleichterungen näher erläutert.372
Alle zentralen Fragen des Lebens wurden berührt. Materielle Bedürfnisse wurden ebenso
abgedeckt wie die Immateriellen. In der Form einer Willensäusserung genehmigten die
Behörden aussergewöhnliche Vorzüge, verlangten aber im Gegenzug gewisse Leistungen.
Die Livornina war also ein Vertrag – an den sich beide Seiten halten mussten, auch die
nachfolgenden Herrschergenerationen – der zuerst auf 25 Jahre beschränkt war, sich aber
automatisch verlängerte, wenn keine Kündigung erfolgte.373 Als einzige, aber ausdrücklich
erwähnte Gegenleistung wurde verlangt, dass die Händler ihren festen Wohnsitz nach Livorno
oder Pisa verlegten.374
370
Zur Livornina siehe Kirk: Genoa and Livorno, S. 8f.
Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 19.
372
Im Folgenden verwende ich hauptsächlich die Abschrift der Livornina (1593) in: Collezione degl’ordini
municipali di Livorno, S. 237-256, mit Zuhilfenahme der deutschen Übersetzung: Treflicher Zustand der Juden
in Toskana. In: Ephemeriden der Menschheit, oder Bibliothek der Sittenlehre, der Politik und der Gesetzgebung
2 (1786), S. 120-127, S. 209-222.
373
Livornina, Artikel 36 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 252f.
374
Livornina, Artikel 35 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 252.
371
89
Am Ende des Textes wird die Umsetzung der theoretischen Richtlinien in die Praxis betont.
Es wird verlangt, dass die vorliegenden Artikel unverändert und „mit Verstand“ von den
offiziellen Stellen umgesetzt werden sollten, ohne Wortklauberei und immer zugunsten der
Händler. Allen politischen, juristischen, kirchlichen und militärischen Amtspersonen wurde
befohlen, dass sie die genannten Bewilligungen, Begünstigungen und Privilegien beachten
und besorgt sind, dass diese beachtet werden. Die Verfassung war unantastbar. Ältere
Gesetze, Statuten und Verfügungen, die der Livornina widersprachen, wurden aufgehoben.375
Die Livornina war also das oberste Gesetz und konnte nicht von anderen Erlassen
beeinträchtigt werden, sie hatte Verfassungscharakter.
Betrachtet man die einzelnen Artikel genauer, so wird klar, dass das räumlich enge
Zusammenleben unterschiedlicher Menschen in einer Stadt zahlreiche Herausforderungen mit
sich brachte, welche sich durch die zunehmende Einwanderung im 16. Jahrhundert noch
verstärkten. Diese Anforderungen wurden im Verfassungstext offen angesprochen.
Existentielle Grundlagen wurden mit der Möglichkeit geschaffen, sich frei in Livorno und
Pisa niederzulassen, mit der Ergänzung, im ganzen Staate Toskana frei Handel treiben zu
dürfen.376 Der Kauf von Immobilien war gestattet, wohl in der Absicht der Medici, die
Zuwanderer würden sich längerfristig niederlassen.377
Neigte sich die eigene Existenz dem Ende zu, wurde für die Zeit danach ebenso gesorgt. Den
Diasporagruppen war es erlaubt, in Pisa und Livorno Land kaufen, um ihre Toten zu
beerdigen. Dabei war jede Störung von Aussenstehenden verboten.378
Sollte es den Neuankömmlingen in der Toskana nicht mehr gefallen, wurde ihnen die freie
Weiterreise garantiert. Die eigenen unbeweglichen Güter durften frei verkauft, die
ausstehenden Kredite in kurzer Zeit eingelöst und eingetrieben und die eigenen Waren, Geräte
des Haushalts, Juwelen, Gold, Silber und Anderes zollfrei (ausser die üblichen Zölle)
ausgeführt werden. Die Fuhrleute und Kapitäne mussten die Abwanderungswilligen überall
hinbringen und durften keine überhöhten Preise dafür verlangen.379 Der Ausweg war offen.
Denjenigen,
die
blieben,
wurden
vor
allem
wirtschaftliche
Vorzüge
angeboten.
Kaufmännische Anstrengungen in der neuen Heimat wurden gezielt gefördert. Die Befreiung
vom Register- und Katastereintrag, der Erlass von Steuern und Zöllen (ausser die normalen
Zölle, die alle zahlen mussten), die Handelsfreiheit mit allen Regionen (namentlich Levante,
Ponente, Barberia, Alessandria) bei paralleler Unterstützung durch die toskanische Galeeren,
375
Livornina, Artikel 43+44 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 255.
Livornina, Artikel 1 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 238.
377
Livornina, Artikel 29 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 250.
378
Livornina, Artikel 37 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 253.
379
Livornina, Artikel 36 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 252f.
376
90
die Möglichkeit, die Zollhäuser ein Jahr länger zu benutzen, die Aussicht, Vorschüsse (eine
Art staatliches Darlehen) zu erhalten sowie die freie Ein- und Ausfuhr von Werkzeug,
Hausrat, Schmuck, Perlen, Gold, Silber und anderen Sachen, waren wichtige Anreize, um
Unternehmen anzulocken.380 Des Weiteren wurden Schutzmechanismen eingebaut, um den
Handel existentiell zu sichern und zukunftstauglich zu machen. Falls jemand bankrott ging
und seine Schulden nicht mehr bezahlen konnte, dann wurden die Waren und Wechselbriefe
seiner Korrespondenten und Kommittenten nicht automatisch auch beschlagnahmt oder
aufgehalten. Die Einzelschuld sollte nicht zwangsläufig zu einer kollektiven Schuld führen,
dem Generalverdacht wurde abgeschworen. Die Beschlagnahmung von Waren musste
generell innerhalb eines Monates begründet und die Schulden bewiesen werden, ansonsten
war sie nicht rechtskonform. Das Recht, bei Schiffsunglücken das Versicherungsgeld zu
bekommen, wurde ausserdem abgesichert.381
Als Gegenleistung wurde von den Händlern verlangt, dass sie alle Kauf- und Verkaufverträge
innerhalb des Staates Toskana schriftlich festhielten und mit Unterschrift des Käufers und des
Verkäufers versahen, damit sie Gültigkeit erhielten. Zudem mussten die Handelsbücher
sorgfältig und genau geführt werden, genauso wie bei allen anderen Kaufleuten, wie bisher
üblich und wie es der Richter vorgeschrieben hatte.382 Insgesamt näherten sich die
diasporischen, meist jüdischen, den christlichen Handelsexperten an. Die Gleichbehandlung
und daraus folgernd die Gleichheit wurde angestrebt.
Die wirtschaftlichen Anreize sprachen neben den Juden insbesondere die Griechen und die
ausländische Handwerker an und hatten eine Zunahme des Schiffverkehrs zur Folge. In den
Jahren 1591-92 kamen 206 Schiffe aus Nordeuropa und dem Mittelmeer in Livorno an, im
Vergleich dazu waren es 1584-85 lediglich 61. Sie brachten Waren, Händler, Kapitäne und
Seeleute in die Stadt. So waren etwa die Griechen nicht nur als Unteroffiziere auf den
Galeeren gefragt, sondern auch als Ladenbetreiber.383
Doch das Leben in Livorno war nicht einfach wegen der schlechten Luft, der Knappheit der
frischen Lebensmittel und der starken Präsenz von Soldaten in der Stadt. Diese Nachteile
versuchte die Stadt zu kompensieren, indem sie die produktive Geschäftigkeit und die
Zuteilung der Häuser amtlich förderte. Die Häuser wurden zu guten Konditionen vermietet
oder sogar teilweise gratis zur Verfügung gestellt. Die unterschiedlichen Häusertypen
widerspiegelten deutlich die Hierarchie, welche in der Stadt vorherrschte: Die Reihenhäuser
380
Livornina, Artikel 5-9, 39 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 240-243, 254.
Livornina, Artikel 13, 15, 16 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 244f.
382
Livornina, Artikel 22+23 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 247f.
383
Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 90f.
381
91
für die Handwerker waren kleiner als die Einzelhäuser der Händler und der Beamten des
Grossherzogtums, zudem lagen Letztere an der Hauptstrasse und wurden nicht nach Ethnien
unterteilt.384
Die Händler (mercanti) mit ihren Lagerhallen waren weniger zahlreich als die Handwerker,
Hafenarbeiter und Kleinhändler (commercianti) in den kleinen Betrieben. Später stieg die
Anzahl der Händler stetig an. Zeitgleich zog das Konsularwesen an. So zog 1592 der spätere
französische Konsul an die Via Ferdinanda. Drei Jahre später wurde in derselben Strasse die
erste Synagoge eingerichtet, womit auch die Zahl der unternehmerisch tätigen Juden
anstieg.385 Aus Wien gelangte Mattias Bonnedt 1597 nach Livorno, wo er das deutschalemannische Konsulat übernahm. Im selben Jahr eröffnete das englische Konsulat. So
erreichte die Stadt in kurzer Zeit eine Wichtigkeit und Zentralität, die man im Jahre 1590
kaum erwartet hätte. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde die Eingliederung der Griechen,
später der Armenier, und der Juden durch die Errichtung einer griechischen Kirche und einer
Synagoge vorangetrieben. Erstere lebten dementsprechend in der Nähe ihrer Kirche. Die
Juden liessen sich, trotz der Bestrebungen Roms nach einem Ghetto, frei nieder. Gleich hinter
dem Dom konnten sie ohne Ummauerung und Abschliessung leben.386
Der Grossherzog bemühte sich, aus Livorno einen florierenden Hafen zu machen, indem er
mittels Geld und Arbeitskräften eine urbane Struktur sicherstellte. Dies tat er mit grosser
Vorsicht, denn er wollte die Entwicklung anderer toskanischer Städte nicht negativ
beeinflussen. Nichtsdestoweniger fühlte er sich verpflichtet, Livorno zu einer Handwerksstadt
zu machen, in der zahlreiche Läden entstehen konnten und in der eine stetige
Bevölkerungsmenge dauerhaft wohnte und lebte. Diese Bevölkerung war hauptsächlich
männlich, bestehend aus Soldaten und Junggesellen, was nicht unüblich war für eine Stadt am
Meer, am Rande eines politischen Territoriums (città di frontiera). Um das handwerkliche
und kleinhändlerische, ökonomische Zentrum herum bildeten sich Back- und Sägewerke
sowie Piraterie- und Waffenschmuggelbetriebe.387
Am Anfang des 17. Jahrhunderts gab es Pläne, um die Stadt herum Wassergräben anzulegen.
Für dieses Projekt kamen viele Arbeiter auf der Suche nach Beschäftigung und Verdienst
nach Livorno. Das System der Wassergräben wurde 1604 eingeführt und machte aus Livorno
1606 endgültig eine Stadt. Im selben Zeitraum suchte die Stadt nach Bürgern, die ihr
384
Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 93.
Der Venezianer Maggino Gabrielli (Jude) kaufte 1595 ein Gebäude in der Via Ferdinanda, in welchem
danach eine Synagoge eingerichtet wurde. 1604 wurde gleich hinter dem Dom eine „richtige“ Synagoge gebaut.
Battilotti: Luoghi di commercio, S. 54, 56.
386
Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 94.
387
Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 94f.
385
92
zusätzlich neue Impulse in der Verwaltung und dem Sozialwesen brachte. Da man jedoch
kaum geeignete einheimische Personen fand, wurden ausländische Vertreter ausgewählt. Es
handelte sich um katholische Kaufleute oder Konsule aus dem Ausland, so etwa aus Irland,
Holland, Genua, England, Frankreich, Griechenland, Österreich oder Portugal. Sie wurden
Bürger der Stadt und gehörten so bald der lokalen Elite an. Sie übernahmen die Aufgabe,
zwischen den nichtkatholischen Ausländern, dem Grossherzog und den Händlern zu
vermitteln. Dieser Prozess der Urbanisierung und der Integration der Fremden war lang und
komplex. Doch mit Hilfe der erwähnten demographischen Erlasse und dank anderen
Massnahmen der Medici gelang der Anstoss zu einer kosmopolitischen Gesellschaft, die
jedoch eine einheitliche Physiognomie aufwies.388
Die Inhalte der Livornina wurden im 17. Jahrhundert weiterentwickelt und geographisch
ausgedehnt. Cosimo II weitete die eben erwähnten Privilegien auf Florenz aus.
Als Beispiel für die zeitgleiche Ansiedelungs- wie Wirtschaftsförderung dient ein Erlass aus
dem Jahre 1615. Cosimo II erliess eine Konzession für die Produktion und den Verkauf von
Bier. Dieses Recht wurde ausschliesslich einer Person und deren Nachkommen zugebilligt,
einem englischen Händler namens Humfrodo Aldington. Er erlangte dadurch eine Art
Monopolstellung in diesem Gewerbe und die Fürsten der Toskana erhofften sich damit, aus
Livorno ein Zentrum für die Bierproduktion und den Bierhandel zu machen.389
Im Jahre 1627 wurden alle Zeitlimiten für Warenlagerung in Livorno abgeschafft. Zwei Jahre
später ersetzte man die Zollgebühren durch eine Lagersteuer. Doch schon 1642 wurde die
Steuerbefreiung für ausländische Händler in Livorno widerrufen und ab dem folgenden Jahr
herrschte ein 2-Jahres-Limit für Lagerung der Waren. Zusätzlich wurden die Lagersteuern
erhöht. Diese Massnahmen lösten Proteste seitens der ausländischen Händler aus.390 Sie
wurden erst durch die Reformen von Ferdinando II 1661 und von Cosimo III 1675 gedämpft.
Diese senkten die Steuern und Zölle im Hafen von Livorno.391
1737 beim Machtantritt von Franz Stephan von Lothringen und 1764 durch ein Motuproprio
(Erlass) wurden die Privilegien der Livornina von 1593 noch einmal bestätigt und
bekräftigt.392 Mit der Folge, dass sich Livorno auch im 18. Jahrhundert nicht als bescheidener,
388
Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 95.
Diesen Erlass habe ich in den Atti del convegno „Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea gefunden. Vgl.
Giovanni Cipriani: Un privilegio livornese del 1615. In: Atti del convegno „Livorno e il Mediterraneo nell’età
Medicea. Livorno 1978, S. 369-370.
390
Kirk: Genoa and Livorno, S. 9f.
391
Kirk: Genoa and Livorno, S. 12f. An den 1675er Reformen waren die in Livorno ansässigen Nationen
massgeblich beteiligt. Sie erarbeiteten einen neuen Zolltarif. 1758 präsentierten sie ebenfalls Lösungsvorschläge,
um dem Hafen zu alter Prosperität zu verhelfen. Zur Bedeutung der Nationen: Filippini: Les nations à Livourne,
S. 581.
392
Motuproprio in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 268f.
389
93
regionaler Hafen präsentierte, der seine Fühler nur aufs nahe Mittelmeer ausstreckte, sondern
als ein internationaler Hafen, dem weltweit nur die Verbindung zu Indien fehlte. Livorno
konnte der schlechten mediterranen Konjunktur zu dieser Zeit trotzen, weil die Stadt jüdische
Kaufleute beherbergte, die über vorzügliche Kontakte zu Glaubensbrüdern in der Levante, zu
dortigen Muslimen und mit England verfügten.393 Dem Haus Lothringen war es auch zu
verdanken, dass die Toskana modernisiert wurde. Neue Strassen schlossen das Hinterland
Livornos an die Märkte an, mühelos und schnell konnten nun die Waren in die Lombardei,
nach Venedig und nach Deutschland transportiert werden. Während die Medici sich
vornehmlich Florenz und Livorno annahmen, kümmerten sich die Lothringer um die ganze
Toskana.394 Erst mit der französischen Besatzung und den Napoleonischen Kriegen am
Übergang vom 18. ins 19. Jahrhundert wurde die internationale Ausrichtung durch die
Seeblockade und die Kontinentalsperre gestoppt. Darunter litt der Handel (kaum mehr Schiffe
im Hafen), aber auch das Exportwesen Livornos (Korallen, Marmor).395
5.1.3 Die judenfreundliche Stadt
Unter den eingeladenen Händlern hatten die Juden stets eine Sonderrolle, sie wurden immer
explizit angesprochen. Judenspezifische Bedürfnisse fanden Aufnahme in religiöse,
politische, wirtschaftliche und rechtliche Grundsätze der Toskana.
Schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts lud Herzog Cosimo I verfolgte sefardische Juden in
die Toskana ein.396 Das Prinzip der Toleranz verkündete der Medici zum ersten Mal am 15.
Januar 1549, in einem an die portugiesischen Juden gerichteten Erlass.397 Darin werden sie
vor der Inquisition geschützt.398 Weitere Rechte und Privilegien komplettieren den Text:
Befreiung von Steuern, freies Wohnen und Arbeiten, Anspruch auf einen Konsul, Möglichkeit
christliche Bedienstete anzustellen und Schutz vor judenfeindlichen Gesetzen.399
Weitere Lettere patenti (Patentbriefe) folgten zwei Jahre darauf. Am 16. Juni 1551 wurden
auch die orientalischen oder levantinischen Juden angesprochen. Obwohl der Brief eigentlich
an alle dunkelhäutigen (maurischen), griechischen, türkischen, jüdischen, armenischen und
393
Berti: Nel Mediterraneo ed oltre. S. 423f.
Berti: Nel Mediterraneo ed oltre, S. 430.
395
Berti: Nel Mediterraneo ed oltre, S. 434f.
396
Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 19.
397
Gesetzestext abgedruckt in Paolo Castignoli: La tolleranza: Enunciazione e prassi di una regola di
convivenza. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo
Culturale „Gramsci“ u.a. Livorno 1992, S. 35-39.
398
„Stabiliamo che non si possa dar corso gli stessi portoghesi ad alcuna inquisizione, visita, denuncia per eresia,
atto blasfemo, apostasia o per qualsiasi altro delitto in materia di fede.“ In: Castignoli: La tolleranza, S. 35, 36.
399
Castignoli: La tolleranza, S. 37f.
394
94
persischen Händler andressiert wurde, war die jüdische Ausrichtung doch augenfällig, ging
doch die Initiative der Gesetzgebung von einem Juden aus Damaskus aus.400
1576 schrieb der Grossherzog der Toskana, Francesco I, einen Brief an den toskanischen
Botschafter in Spanien, mit der Bitte an diesen, beim spanischen König Philip II einen
Schutzbrief für jüdische Händler aus der Levante, bzw. aus dem osmanischen Reich zu
verlangen.401 Hinter dieser Bitte an die Spanier, die Toskana war im 16. Jahrhundert abhängig
von Spanien, steht gemäss des Medici Archive Projects die Absicht des Grossherzogs,
jüdische Händler und Waren aus dem osmanischen Reich in seine Hafenstadt Livorno zu
locken. Um die spanische Erlaubnis dafür zu erhalten, verspricht er dem König, die Juden
würden wertvolle Informationen über die politischen Pläne und die Aktivitäten auf dem Meer
der Osmanen, zu dieser Zeit Feinde und Konkurrenten der Spanier, mitbringen.402
Die beiden verfassungsähnlichen Abfassungen vom 30. Juli 1591 und 10. Juni 1593 (bekannt
als Livornina) regelten schliesslich umfassend die Rechte der Juden in Livorno, ihre
Bedeutung kann mit der Magna Charta verglichen werden. Für mehr als zwei Jahrhunderte
war Livorno im Begriff ein „neues Jerusalem“ zu werden.403 Auch hier wurden im Titel alle
Händler erwähnt, doch das jüdische Primat kann nicht bestritten werden.
Ab 1593 wurden den Juden in Livorno umfangreiche religiöse, ökonomische, politische und
juristische Rechte zugesprochen, die zunächst auf 25 Jahre befristet waren.404 In den Genuss
der
Privilegien
kamen
jedoch
nur
die
angesehenen
Mitglieder
der
jüdischen
Diasporagemeinde, also diejenigen, die von den Vorgesetzten der Synagoge und den Massari
anerkannt wurden, in die Kanzleibücher eingetragen waren, Zweidrittel der Stimmen der
eigenen Gemeinde für sich gewinnen konnten und sich mit dem Handel oder anderen
Gewerben beschäftigten – ausgenommen waren Trödelhändler.405
In religiösen Sachverhalten wurde die Andersartigkeit erstens konstatiert und zweitens
anerkannt. Die meisten Einwanderer mit Kaufmannshintergrund waren Juden. Ihre
Religionsfreiheit (inklusive Schutz vor der Inquisition) war ein Grundpfeiler des
Garantienkatalogs seitens der toskanischen Herrscher. Die Juden bekamen das Recht, eigene
Zeremonien, Vorschriften, Riten, Gebräuche, Gebote und Sitten abzuhalten und auszuführen
400
Castignoli: La tolleranza, S. 28.
Auszüge aus dem Brief findet man unter: www.medici.org/jewish/jdoc7.htm, Stand 27.11.2008. Das Medici
Archive Project publiziert Quellen aus dem Medici Archiv in Florenz. Den Brief findet man unter: Archivio di
Stato di Firenze, Mediceo del Principato 4908, f.2lr-v.
402
Siehe dazu die Kommentare zum Brief von Francesco I: www.medici.org/jewish/jdoc7.htm, Stand
27.11.2008.
403
Castignoli: La tolleranza, S. 28.
404
Zu den umfangreichen Rechten vgl. Dubin: The Port Jews, S. 61. Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 20.
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 539 und Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 273f.
405
Livornina, Artikel 31 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 250f.
401
95
(nur der Wucher wurde als offenbar rein jüdisches Merkmal verboten). Das jüdische Leben
sollte in einer Synagoge Raum finden, dort wo die Zeremonien stattfanden, die niemand mit
Worten und Taten stören durfte. Kein Christ durfte zu diesem Gottesdienst überredet werden,
ansonsten erfolgte eine Bestrafung. Auf der anderen Seite gestattete es die Livornina, dass
erwachsene Juden getauft werden konnten. Jedoch kein Christ durfte einen Juden unter 13
Jahren überreden, sich taufen zu lassen. Mischehen von Juden mit Christen und Muslimen
waren verboten. Die Durchmischung der Religionen fand keinen obrigkeitlichen Anklang, die
Stärke der eigenen (katholischen) Religion wurde nicht gefährdet. Dass dabei die Juden im
Alltag nicht schlecht weg kamen, zeigten die Bestimmungen, die besagten, dass neben den
christlichen auch an jüdischen Festtagen (Sabbat und andere Feste) nichts gegen (oder für) die
Juden unternommen werden konnte, dass die jüdischen Vorgesetzten (Massari) als Richter für
innerjüdische Angelegenheiten tätig sein konnten (dabei durften sie „skandalöse“
Glaubensbrüder ausweisen lassen) und dass die Erbschaft frei verteilt werden konnte. Wenn
kein Testament und keine Erben vorhanden waren, ging das Erbe an die Synagoge. Das Erbe
wurde nicht besteuert.406
Die Juden durften zudem eigene Friedhöfe bauen und ihre Tiere schächten. Letzteres sorgte in
Ancona für Gesprächsstoff. Die dortigen Juden wünschten sich beim Kardinal, dass die
Schlächter das Fleisch auch nach jüdischer Art zubereiteten. Dieser Antrag wurde 1617
genehmigt.407 Doch einige Jahre später beklagte sich die Gemeinschaft der italienischen und
levantinischen Juden, dass die Fleischzubereitung immer noch nicht ihren Wünschen
angepasst wurde.408
Im Wirtschaftsleben garantierte der Grossherzog den Juden den freien Handel im ganzen
Land (Toskana), die gleichen Steuern und Zölle auf ihre Waren wie für andere Untertanen
(sie mussten beim Zoll keine Zwischenlagerungsgebühren entrichten), den Erwerb von
unbeweglichen Gütern wie Häuser und Land und befreite sie von persönlichen Abgaben und
Kopfsteuern. Der Grossherzog versprach ihnen zudem, dass ihr Handelswesen nicht von
Attacken der toskanischen Galeeren beeinträchtigt würde.
Der religiöse Sonderstatus wurde juristisch untermauert. Die Minderheiten wurden gezielt
unter einen besonderen Schutz gestellt. Niemand durfte sie belästigen oder ihnen zu nahe
treten. Zuwiderhandlungen wurden bestraft. Wenn jemand zu Unrecht angeklagt wurde, so
musste der Ankläger als Verleumder bestraft werden, damit er nie wieder Unschuldige
406
Livornina, Artikel 3, 11, 20, 21, 24, 25, 26, in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 239f., 243f.,
247f.
407
ASAN, A.C.AN, Suppliche 1614-1618, Nr. 105, keine Blattnummern.
408
ASAN, A.C.AN, Suppliche 1619-1626, Nr. 64, keine Blattnummern.
96
anklagen konnte. Der Schutz vor Denunzierung und der Inquisition wurden in eigenen
Artikeln formuliert. Für diesen Schutz sorgte ein eigens dafür eingesetzter weltlicher Richter,
der alle zivilen und öffentlichen Prozesse führte und der von der Diasporagemeinde finanziert
werden musste. Den Vollzug seiner Entscheide oblag dann dem Polizeihauptmann (ital.
Bargello) von Pisa.409 Neben dem religiösen Schutz wurden weit reichende juristische
Vorzüge vergeben. Artikel 4 erlaubte eine umfassende Amnestie von vergangenen Taten
(Schulden und Verbrechen), die ausserhalb der Toskana begangen wurden. Ein Neuanfang
einer gescheiterten Existenz wurde ermöglicht, eine zweite Chance, das vorhandene Potential
und Wissen auszuschöpfen, wurde vergeben.410
Politisch gab man Juden die Möglichkeit, eine eigene Gemeinschaft zu gründen, die nicht in
ein Ghetto gepfercht wurde,411 mit weiten Befugnissen in der Selbstverwaltung, und sie
erhielten das Recht, ihren Mitgliedern das toskanische Bürgerrecht zu verleihen. Die grosse
politische Autonomie zeigte sich in der finanziellen Eigenverantwortung. Mittels Steuern,
Geldstrafen, Bearbeitungsgebühren, Spenden, Schenkungen und Erbschaften mussten die
Juden ihr Gemeindeleben selber finanzieren.
Auch alltägliche Anliegen, die das Leben erleichterten und verschönerten, wurden
aufgenommen. So durften Christen eingestellt werden, zum Beispiel als Ammen. Dies war
offenbar in Ancona, Rom und Bologna bereits erlaubt. Diese Angestellten mussten frei
sein.412 Kaufleute hatten nebenbei auch Sklaven, die in Artikel 27 legitimiert wurden.413
Weiter waren sie nicht verpflichtet, Soldaten aufzunehmen und ihnen Haushaltgeräte, Pferde,
Wagen oder andere Dinge zu leihen und allen Familienoberhäuptern war es erlaubt, legale
Verteidigungswaffen
zu
besitzen,
nur
nicht
in
Florenz,
Siena
und
Pistoia.414
Diskriminierungen wurden verboten. Schlächter durften keine höheren Fleischpreise bei
Juden verlangen. Die Juden mussten beim Fleischimport keine speziellen Zölle bezahlen.415
All dies machte die fremden Juden zu einheimischen Juden. Die Gleichheit wurde zudem
durch den Verzicht auf ein Erkennungszeichen stark verankert.416
409
Livornina, Artikel 2, 3, 10, 12, 32, 33, 34, 41 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 239, 243f.,
251f., 254.
410
Livornina, Artikel 4 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 240.
411
Doch auch in Livorno gab es im 16. Jahrhundert Bestrebungen, die Juden zentral an einem Ort anzusiedeln.
Vgl. dazu Donatella Calabi u.a.: The „city of Jews“ in Europe: The conversion and transmission of Jewish
culture. In: Cities and Cultural Exchange in Europe, 1400-1700. Hg. von Donatella Calabi, Stephen Turk
Christensen. Cambridge 2007, S. 97.
412
Livornina, Artikel 42 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 255.
413
Livornina, Artikel 27 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 249.
414
Livornina, Artikel 40+30 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 254, 250.
415
Livornina, Artikel 28 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 249f.
416
Livornina, Artikel 29 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 250.
97
Der persönlichen Entfaltung, oft fern des Kaufmanntums, wurde auch Rechnung getragen.
Dem Recht, Bücher aller Art zu besitzen, egal in welcher Sprache (Livornina-Version von
1591: Inquisitor musste die Bücher beglaubigen) wurde zugestimmt. Das Recht, zu studieren
und zu promovieren, fand gleichfalls Aufnahme in dem Dokument. Jüdische Ärzte und
Chirurgen durften frei arbeiten, auch mit christlichen Patienten.417
Kaum ein Szenario von Glück wurde ausgelassen. Jeder, der theoretisch ein Anrecht auf die
Privilegien hatte, fand einen oder mehrere Artikel in der Livornina, die ihm zusprachen und
ihn womöglich veranlassten, die alte Heimat zu verlassen, um dieses grosse Chancenangebot
in Livorno (oder Pisa) zu packen. Die rasche Bevölkerungszunahme nach 1593, bewirkt vor
allem durch (jüdische) Kaufleute aus aller Welt, war das Resultat der offenbar
angekommenen und wirksamen Botschaft der Medici.
Neben allen diesen Rechten und Geboten gab es verständlicherweise auch Verbote und
Pflichten für die Juden.418 Proselytenmacherei419, der Fleischhandel mit Nichtjuden, Wucher420
und der Handel mit Secondhandwaren waren verboten.
Als Gegenleistung für die Rechte mussten die Juden mit ihren Familien ihren ständigen
Wohnsitz in Livorno oder Pisa halten. Dies alles schien wie ein grosser Vertrag zwischen der
toskanischen Regierung und den jüdischen Kaufleuten. Dieser Vertrag war gegenseitig und
widerrufbar.
Der Wert der Livornina lag darin, dass sie eine Abweichung der sonst üblichen Norm war. In
der restlichen Toskana lebten zu dieser Zeit viele Juden im Ghetto und waren täglich der
Inquisition ausgeliefert.421
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts verschlechterten sich die Bedingungen für die Juden. Sie
mussten unter Cosimo III ab 1670 unter erniedrigenden Beschlüssen leben. Er unternahm
missionarische Bemühungen unter der jüdischen Bevölkerung. Erst 1737, durch die
Bestätigung der Livornina durch den Grossherzog der Toskana, Franz Stephan von
Lothringen, konnten die Juden wieder ruhig schlafen und arbeiten.422 Im 18. Jahrhundert kam
es noch einmal vereinzelt zu weiteren Reformen. Grossherzog Peter Leopold verabschiedete
ein Gesetz, wonach jüdische Kinder erst ab 13 Jahren legal getauft werden durften.423 Seit
1778 hatten die Juden zudem einen festen Sitz im Stadtrat von Livorno. Dieses politische
417
Livornina, Artikel 17-19 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S.246.
Zu den Verboten und Pflichten. Siehe Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 275.
419
Aufdringliche Werbung für einen Glauben oder eine Anschauung. Vgl. Duden. Das Fremdwörterbuch, S.
852.
420
Bereits 1586 beklagten sich Bewohner von Ancona über die Wucherei und die Gier der Juden. Siehe ASAN,
A.C.AN, Culto, Chiese, Conventi, Monasteri, Funzioni, sec. XVI, Nr. 2775, keine Blattnummern.
421
Castignoli: La tolleranza, S. 29.
422
Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 21.
423
Dubin: The Port Jews, S. 59.
418
98
Recht wurde ihnen als kollektive Gemeinschaft von Peter Leopold zugestanden.424 Weiter war
in Livorno die Scheidung unter Juden erlaubt, unter der Bedingung der elterlichen
Zustimmung, der öffentlichen Verhandlung und der Miteinbeziehung der Geistlichen.425
Zwischen 1614 und 1787 erliessen die Behörden von Florenz und Livorno umfangreiche
Bestimmungen, die das Leben der Juden in Livorno regelte. Es ging um Vorschriften und
Privilegien betreffend Regierung und Justiz (1614 und 1625), Kompetenzen und
Rechtssprechung der Richter (1650), Massnahmen für die Regierung der Nazione Ebrea
(1667), das System der Versammlung (1690 und 1693), die Reform und Reorganisation ihrer
Regierung
(1715),
die
Justiz
(1718
und
1721),
das
Kreditwesen
(1740),
die
Nachfolgeregelung (1759), das Wahlprivileg (1767), die Rechtssprechung (1767), das
Reglement für die Einhaltung der guten Ordnung (1769) und die Rechtssprechung und
Kompetenzen der Massari (1785 und 1787).426
5.1.4 Die zwecksgerichtete Stadt – Pest, Hunger und Krieg als Chance
Die Politik der habsburgisch-lothringischen Machthaber fundierte auf Vorstellungen, die
davon ausgingen, dass Livorno auch in Zukunft im Grossherzogtum Toskana eine primäre
Rolle spielen sollte, wenn es darum ging, die politische und wirtschaftliche Potenz gegen
aussen zu demonstrieren. So sahen es jedenfalls die „toskanischen“ Beherrscher, als sie einige
Regierungsgrundsätze gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu Papier brachten.427
Darin spielten die Wirtschaft im Allgemeinen und das Handelswesen im Speziellen die
Hauptrollen. Durch ein Anreizsystem mit Privilegien für Einwanderer sollten begüterte
424
Dubin: The Port Jews, S. 88.
Dubin: The Port Jews, S. 182.
426
16 Auflagen in diesem Zeitraum sind abgedruckt in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 301f.
427
“Non si controverte che Livorno sia la parte più importante del Granducato e costa da mille riprove, che
questa verità è stata impressa nell’animo di tutti i sovrani di Toscana, e dei loro principali ministri.
Se si consideri il decoro, e la gloria del sovrano, Livorno è quello che rende riguardevole la Toscana agli occhi di
tutte le potenze straniere.
E se si vuole avere in vista l’interesse dello stato, non vi è dubbio che questo porto forma la sorgente migliore
della sua felicità.
Egli merita adunque tutta l’attenzione del sovrano, e del ministro che vi è destinato Governatore, perché si
mantenga in quella stima, ed in quel florido stato, a cui lo hanno condotto gli ottimi stabilimenti, che su questo
punto sono stati fatti nei tempi passati.” ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr.
958, Blatt 2.
Die Aktenmappe 958 aus dem Bestand Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, im Archivio
di Stato di Livorno hat keine Datumsangabe und keinen genau definierten Verfasser. Gemäss dem Archiv
handelt es sich um eine Kopie, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts verfasst wurde. Dem Inhalt nach muss der
Autor im Kreis der regierenden Habsburger-Lothringer oder ihrer Repräsentanten (= Governatore) in Livorno
gesucht werden.
425
99
Händler von West wie Ost sowie Waren aus aller Welt angelockt werden.428 Dass andere
Hafenstädte ebenfalls diese Strategie verfolgten, brachte die Führung in Zugszwang. Sie
musste schnell und konsequent agieren.429 Diese engen Bindungen mit den Fremden bargen in
sich die Gefahr, dass die eigene Souveränität verloren gehen könnte. Deshalb strebte sie eine
ausgeglichene Politik an.430
Nebst politischen Maximen beschäftigen sich die Herrscher mit generellen Gedanken zum
Handelswesen in Livorno. Darin wurden die Privilegien ebenfalls noch einmal angesprochen,
gefolgt von der Absicht, den Privilegierten einen potenten Hafen zur Verfügung zu stellen,
mit allem Drum und Dran, das heisst vor allem mit grossräumigen Lagerhäusern und seriös
geführten Lazaretten, alles zum Wohl und zur Sicherheit der kostbaren und raren Waren.431
428
„Livorno è formato, e si regge con delle regole, e dei privilegi diversi affatto da quelli che militano per tutti
gli altri paesi della Toscana non solo, ma anco per tutti gli altri porti di mare, e per le altre piazze do commercio,
e sarebbe soggetto ad ingannarsi, chi giudicasse di Livorno, come di qualunque altro paese.
La mira principale della casa dei Medici che ebbe il colpo di vista ben giusto per formare dal nulla questo porto e
ridurlo a quel grado di splendore in cui lo vediamo, è stata quella di allettare gli stranieri a concorrervi ed a
stabilirvisi.
Nè altrimenti si sarebbe potuto ottenere l’intento, perché la Toscana specialmente da due secoli in qua, non è
stata in grado, nè per il commercio che poteva fare per se stessa, ne per la combinazione di altre circostanze, di
avere un porto rispettabile, quando tale non lo avessero ridotto li stranieri col profittare della felice situazione
nella quale è posto Livorno, e che lo rende capace di essere un deposito generale di tutte le mercanzie quali o dal
Levante, o dal Ponente vengono nel Mediterraneo.
E vero che per mezzo di Livorno si estraggono alcuni prodotti, e manifatture nostrali, e se ne introducono delle
straniere, ma questo forma la minima parte del commercio di questo porto.
E forse più valutabile il consumo dei prodotti di Toscana che si fa in Livorno dagli abitanti, e dai bastimenti
stranieri, di quello sia l’estrazione degli altri generi per fuori di stato.
Qualunque possa essere l’estrazione dei nostri generi, e l’introduzione dei forestieri, che segue per mezzo di
Livorno, può aversene unicamente riscontro per mezzo dei registri della dogana.
La felice situazione poi di Livorno ha molto contribuito a vendere fruttuose le cure dei sovrani di Toscana.
Egli è nel luogo il più comodo del Mediterraneo per essere l’emporio ed il deposito di tutte le merci del Levante,
e del Ponente. Questa felice situazione principalmente ha resi inutili tentativi dei vicini nostri emuli, che sulle
trave della casa dei Medici hanno arricchiti i loro porti di franchigie, di comodi e di facilità.” ASL, Governo
civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 2f.
429
„Nel secolo presente si è formato un porto franco in Genova, è stato dichiarato franco il porto di Ancona, non
meno che quelli di Nizza, Villafranca, e l’Ospizio.
Tutto questo ci obbliga a tenere gli occhi aperti, per non lasciarci superare dagli altri, ed a facilitare ove si tratti
di accesso di negozianti, e delle mercanzie forestiere.
Per allettare i forestieri fu pensato di accordare a Livorno, ed al suo capitanato molti privilegi.” ASL, Governo
civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 4.
430
„In una parola, si è procurato sempre di combinare insieme da una parte la franchigia, e le esenzioni, e
dall’altre la sovranità, la giurisdizione, e l’interesse di tener Livorno in un giusto equilibrio, perché li stranieri
portassero un giogo, senza dolersi di non essere liberi.” ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860,
Serie VIII, Nr. 958, Blatt 6.
431
„Al primo oggetto sono diretti i privilegi concessi anticamente, e sempre mantenuti, dei quali sarà parlato in
dettaglio a suo luogo.
Al secondo si è provveduto col formare un porto capace e sicuro, fabbrica delle abitazioni comode e degli ampi
magazzini, fra i quali meritano speciale menzione questi destinati per l’olio, per il sale, per il tabacco, e per la
polvere con formare delle numerose fosse per la conservazione del grano, ed altre vettovaglie, con stabilire dei
vasti e ben regolati lazzeretti, ed in una parola con fare tutto quello che poteva richiedersi per il comodo, e
sicurezza delle merci.” ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 9.
100
Der fortwährende Drang nach Reichtum war kaum zu übersehen. Selbst die Geisseln der
Menschheit – die Pest, der Hunger und der Krieg – wurden allesamt zum eigenen Zwecke
nutzbar gemacht.432
Da viele andere Häfen keine ausreichende Reinigungssysteme oder sogar keine Lazarette
verfügten, wählten viele Schiffe aus der pestverseuchten Levante das sanitätstechnisch
moderne Livorno als Zielhafen, mit der Folge, dass das Handelsvolumen dort anstieg.433
Der Hunger kam den wirtschaftspolitischen Überlegungen Livornos gleichermassen entgegen.
In guten Jahren konnten die umfassenden Lagerhäuser in Livorno mit Lebensmitteln, wie
Getreide, gefüllt werden, sobald es Anzeichen einer Knappheit gab, schickte man die Schiffe
in die Levante und nach Sizilien, wo Nachschub geholt werden konnte.434 So blieb Livorno
stets gut versorgt und galt als Kornlager des Mittelmeeres, wovon die Stadt ökonomisch
profitierte.435
Der Krieg schliesslich diente der Stadt Livorno als Mittel, um ihre Neutralität
gewinnbringend einzusetzen. Die kriegsführenden Parteien nutzten den Hafen, um die Schiffe
zu reparieren, Nahrung einzukaufen und die Beuteschätze loszuwerden.436 Doch auch
Kriegsflüchtlinge landeten in Livorno.437
432
„Ed è poi cosa singolare che i tre principali flagelli del genere umano, peste, fame e guerra servino di
impulso, e siano le migliori sorgenti della sua floridità.” ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860,
Serie VIII, Nr. 958, Blatt 9f.
433
„La peste che affligge periodicamente il Levante, e la Barberia è un motivo per cui si accresce il commercio
di Livorno.
Molti porti del Ponente non hanno lazzaretti, o non li hanno comodi, o mancano di metodi e regole necessarie
per garantirsi dalla comunicazione del contagio.
In conseguenza la maggior parte dei generi del Levante non vi sono sempre ricevuti, e si dirigono a Livorno, ove
si accettano i bastimenti, e le mercanzie anche con patente brutta, cioè provenienti da luoghi nei quali sia si
manifestatala peste, trovando tutto il comodo e le facilità per li spurghi.
Dal che ne deriva che coloro i quali abbisognano di tali generi sono obbligati a venire a Livorno per
provvedersene.” ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 10.
434
Bereits im 17. Jahrhundert kam der Weizen auch aus Sizilien. Nennung eines Schiffes aus Sizilien, das 1629
Weizen/Getreide beladen hatte: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2592, S. 346.
435
„La fame è un'altra sorgente di commercio per Livorno. Negli anni fertili si ammassano le vettovaglie nelle
fosse, e nei magazzini, ed in qualunque dubbio di scarsità, si danno dai negozianti gli ordini per farne venire
specialmente dal Levante, e dalla Sicilia, sicuri dello smercio, perché i paesi mancanti fanno subito capo a
Livorno, come luogo più comodo, e meglio provvisto degli altri.” ASL, Governo civile e militare di Livorno
1764-1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 10f.
436
„La guerra finalmente è ancor essa una sorgente, e forse la più feconda del nostro commercio.
Il traffico delle nazioni belligeranti in gran parte impedito, allora passa a noi, specialmente quando siano
impegnati nella guerra le principali potenze, li stati delle quali sono bagnati dal Mediterraneo, e le più vicine a
noi.
La comoda situazione di Livorno, e la facilità di consumarvi le contumacie fa si che le navi di guerra, ed i corsari
vi conducono le prede, il che si verifica principalmente rispetto agl’Inglesi, ed alle altre nazione che non hanno
porti comodi nel Mediterraneo.
Qui più che in ogni altro luogo vengono le navi da guerra, ed i corsari a fare i loro raddobbi, le provvisione, ed
insomma per mille altre combinazione fiorisce allora più che in ogni altro tempo il commercio di Livorno.
E questi utili debbonsi più di tutto ripetere dalla neutralità della quale sarà trattato a suo luogo.” ASL, Governo
civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 11.
437
“Le Guerre civili della Francia erano causa che molte famiglie espatriavano.
101
Zusammenfassend ist mit den Worten von Filippo Bourbon del Monte, governatore in
Livorno um 1765, festzustellen, dass der zeitgenössische Handel von Livorno voll und ganz
ausländisch war, sprich vom Willen der Ausländer abhängig, und dass die Waren nur auf der
Durchreise waren. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass beim Consiglio di Commercio,
der Behörde für Angelegenheiten des toskanischen Güteraustauschs, ein Dolmetscher für
orientalische Sprachen angestellt war.438 Im Umgang mit den Neuen ging es für den
governatore darum, den goldenen Mittelweg zu finden zwischen der Sicherung der eigenen
herrschaftlichen Rechtsprechung und der Freiheit der ausländischen Mitbewohner. Dazu
brauchte es einen aufgeklärten und weisen Vikar, der Querelen und Verstimmungen unter den
verschiedenen Religionsgruppen zu verhindern wusste.439 Da man auf den Zuzug von
ausländischen Fachkräften angewiesen war, konnte nur das System der Privilegien und
Anreize erfolgreich sein. Ein geräumiger und sicherer Hafen mit funktionstüchtigen
Lazaretten und grossen Stallungen war dafür Voraussetzung. Nur so konnte man bisher die
Konkurrenz aus Genua oder Ancona in Schach halten. Zurzeit (1765) verlief der Handel zwar
in bescheidenen Bahnen, doch unter Ausnutzung der Pest, der Hungersnöte und der
Neutralitätspolitik in den Kriegen wollte ihn der governatore wieder in Schwung bringen.
Dass er dazu die Ausländer brauchte, die mit ihren weitreichenden Kontakten die Geschäfte
abwickelten, stimmte ihn nachdenklich. Er hielt fest, dass der Hafen von Livorno ein
Sonderfall war. Während in anderen Städten die Wirtschaft die Geschäftsleute reich machte
und nachfolgend auch die Staatskasse füllte, so verliessen die reich gewordenen Kaufleute
bald den Marktplatz Livorno und die öffentliche Hand ging leer aus.440
Die politische Agenda wurde bald vom Handel dominiert, die meerorientierte Wirtschaft
beherrschte das Geschehen in der Stadt. Die mentalen Landkarten der idealen Hafen- und
Handelsstadt Livorno wurde konsequent verfolgt. Sowohl die Medici als auch ihre Nachfolger
suchten den wirtschaftlichen Fortschritt – mehr Menschen, mehr Waren, mehr Umsatz. Um
diese Ideen zu verwirklichen, wurden die Lebensbedingungen auf die Bedürfnisse der
La Corsica che mal soffriva il Giogo dei Genovesi, somministro più d’ogni altro paese degli abitatori al nuovo
Livorno.
In progresso di tempo la guerra di Fiandra, quella del Levante, le turbolenze interne dell’Inghilterra, la guerra
dichiarata tra la Spagna e la Francia contribuirono perché questo porto diventasse in un mezzo secolo il più
frequentato dell’Italia, dove le Nazioni belligeranti trovarono il comodo di vendere le loro prede, ed una
sicurezza dai pericoli della guerra, mediante la neutralità spossessata da i sovrani di Toscana, e specialmente in
Livorno, come si vedrà a suo luogo.” ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 958,
Blatt 48f.
438
Relazione del governo civile, del commercio e della marina mercantile di Livorno. In: Fonti per la storia di
Livorno. Fra Seicento e Settecento. Hg. von Lucia Frattarelli Fischer, Carlo Mangio. Livorno 2006, S. 55f.
439
Relazione del governo civile, S. 63f.
440
Relazione del governo civile, S. 64f.
102
Zuwanderer abgestimmt. Die Rahmenbedingungen für die Kaufleute wurden finanziell,
rechtlich und religiös optimiert.
5.2 Ancona als ökonomische Zwecksgemeinschaft: Päpstliche Einwanderungspolitik
Die politischen Herrscher im Kirchenstaat bevölkerten ihr Ancona mit zahlreichen
Kaufleuten, um ihre Imaginationen einer gelungen Wirtschaftspolitik auf die eigene
Hafenstadt anzuwenden. Sie lenkten durch politische Massnahmen gezielt die Ein- und
Auswanderung von Kaufleuten. Es gab kein so zentrales Dokument wie die Livornina, dafür
eine Reihe einzelner Gesetze und Erlasse, die auf die Anziehung ausländischer
Wirtschaftsträger abzielten und die bereits ein halbes Jahrhundert vor der Livornina in Kraft
traten. Die Livornina war jedoch viel umfassender und detaillierter als die einzelnen
Bestimmungen der Päpste. Bei den Erlassen aus Rom war zum Beispiel nie die Rede von
einer eigenen Justiz für Juden oder von der Arbeitserlaubnis für jüdische Ärzte. Weiter waren
die Erlasse aus Rom nur kurzfristig angesetzt und wurden in der Realität bald durch andere
Gesetze ausgehebelt. Die Livornina galt 25 Jahre und konnte immer wieder verlängert
werden, was auch so geschah. Päpstliche Bullen hingegen wurden bereits nach wenigen
Jahren ausser Kraft gesetzt, meistens von einem anderen Papst, der die Meinung seiner
Vorgänger nicht teilte.
Der Inhalt der Livornina war also nur teilweise neu, doch der Umfang, die Umsetzung und die
langfristige Wirkung dieser Verfassung waren einmalig und hatten deshalb Vorbildcharakter,
im Jahre 1732 (Freihafen) auch für Ancona.
Die Umsetzung der wirtschaftsfreundlichen Ideen für Ancona begann schon vor der
Machtübernahme der Päpste. 1514 erliess Ancona Zollvergünstigungen für levantinische
Händler aus dem osmanischen Thessalien (heute Griechenland), mit der Gegenforderung,
dass sie ihre Waren vornehmlich über Ancona in den Westen bringen.441 Einige Päpste
verfolgten in der Zukunft ebenfalls diese Strategie der gezielten Anlockung von
Handelsfachkräften.
1532 garantierte Clemens VII dieselben (zollgünstigen) Sicherheiten und freie Durchfahrt
durch die Stadt für Händler aus dem Westen, namentlich aus Spanien und Portugal, samt
ihren Familien und Waren. Die Rechte der iberischen Einwanderer näherten sich Schritt für
Schritt denjenigen der levantinischen Händler, orthodoxe Christen, Juden und Muslime, an.
So kamen zu dieser Zeit die ersten jüdischen Händler aus Portugal an. Sie waren besonders
441
Ravid: A Tale of Three Cities, S. 140.
103
aktiv im Handel. Die Privilegien für Levantiner (aus dem Jahre 1514) wurden ebenfalls
wieder bestätigt. Ein Jahr darauf legte der Papst fest, dass die zwangsgetauften Juden nicht
zur christlichen Kirche gehörten. Er versuchte damit die Juden in der Stadt zu behalten.442
1534 stellte Papst Paul III einen Schutzbrief für Kaufleute egal welcher Nationalität oder
Religion aus. Sie bezahlten nur die üblichen Steuern und mussten keine besonderen
Erkennungszeichen tragen. Ihr Recht auf eine Niederlassung in der Stadt war unbefristet.443
1544 wurde allen levantinischen Händlern zugesagt, dass ihre vergangenen Missetaten
unbestraft blieben. Zudem wurde den levantinischen Juden eine Synagoge versprochen sowie
der Schutz vor Verfolgung und Sondersteuern und sie mussten keine Erkennungszeichen
tragen. All dies, im Verbund mit tiefen Zollgebühren, forcierte den Zustrom jüdischer
Händler weiter und führte die Hafenstadt an der Adria in den wirtschaftlichen Wohlstand, von
dem die Einheimischen ebenso profitierten.444
Am 21. Februar 1547 legte die Bulle von Papst Paul III die franchigia portuale
(Hafenzollfreiheit) fest. Dieser Schutzbrief lud Händler aus aller Welt ein, sich mit ihren
Familien in der Stadt niederzulassen, egal woher sie kamen und welcher Religion sie
angehörten. Viele folgten dem Aufruf, besonders die Juden. Viele derjenigen, die in Spanien
und Portugal zum Christentum gezwungen wurden, kehrten in Ancona zum Judentum zurück.
Den Juden wurden wie bereits zuvor alle Sondersteuern erlassen und sie wurden davon
dispensiert, ein Erkennungszeichen zu tragen. Sogar die Gründung einer Bank wurde einer
Gruppe portugiesischer Juden im Jahre 1549 erlaubt, obwohl sie damit das einheimische
Monopol konkurrierten.445
1552 und 1553 bestätigte Papst Julius III die Erlasse seines Vorgängers.446 Doch nur wenige
Jahre später kam das Unheil der Judenverfolgung. Durch die judenfeindlichen Erlasse von
Paul IV verliessen viele Juden die Stadt, nur wenige blieben. Der (langfristige) Schaden für
die städtische Wirtschaft war ernorm. Nichtsdestotrotz lief das Geschäft nach diesem Schock
nach kurzer Unterbrechung praktisch unverändert weiter.447
Steigende kommerzielle Tätigkeiten zwischen und Ancona und Ragusa, der Transitstadt für
den osmanischen Handel, führten dazu, dass die beiden Städte die Zölle für die jeweils andere
442
Birnbaum: The long journey of Gracia Mendes, S. 94.
Ravid: A Tale of Three Cities, S. 141 und Birnbaum: The long journey of Gracia Mendes, S. 95.
444
Birnbaum: The long journey of Gracia Mendes, S. 95.
445
Ravid: A Tale of Three Cities, S. 143.
446
Ravid: A Tale of Three Cities, S. 143 und Birnbaum: The long journey of Gracia Mendes, S. 96.
447
Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 99.
443
104
Stadt aufhoben. Es gab sogar Gerüchte, dass sich Ancona darauf einstellte, unter osmanische
Oberherrschaft zu gelangen.448
Tiefe Gebühren sorgten bald darauf dafür, dass die Stützen der Wirtschaft Anconas nicht
verstimmt wurden, mit der von der Obrigkeit erhofften Folge, dass umtriebige Geschäftsleute
ihre Güter weiterhin über Ancona laufen liessen. Der flämische Händler Cornelio de Cordes,
seit zwei Jahren in Ancona ansässig, lamentierte, dass die Zölle zu hoch waren, so dass er zu
wenig Waren ein- und verkaufen konnte. Sein Antrag auf Zollsenkung wurde am 3. März
1562 genehmigt.449
Um die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen, benötigte Ancona nicht nur reiche
Auswärtige, die durch fremdenfreundliche Erlasse in die Stadt gelockt wurden, sondern auch
eine sichere Stadt. Im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts waren die anconitanischen
Stadtbehörden deshalb wieder einmal auf die Hilfe Roms angewiesen. Der ständige Seekrieg,
auch in der Adria, zwischen Christen und Muslimen forderte von den Häfen grosse finanzielle
Anstrengungen für den Bau von Festungsanlagen.450
Unter Papst Sixtus V (1585-1590) interessierte sich die Zentrale stark für die Prosperität
Anconas. Er setzte sich diplomatisch gegen die Konkurrenz aus Venedig zur Wehr, wies den
Malteserorden zurecht, der Schiffe attackierte, die Waren für anconitanische Juden
mitschifften, schaffte im Hafen von Ancona Gebühren ab und er liess eine wöchentliche
Postsendung zwischen Ancona und Rom sowie ein lange Zeit zerstörte Brücke (auf der Via
Flaminia – eine wirtschaftlich bedeutende Strecke zwischen der Adriawestküste und Rom)
errichten.451 Zudem erliess er 1586 ein Dekret, dessen Ziel die Anlockung der orientalischen
Juden war, damit diese in Ancona lebten und den Handel vorantrieben.452
Papst Clemens VIII setzte die Pro-Ancona Politik von Papst Sixtus V fort. Seine Bulle vom 2.
April 1594 bestätigte die aufnahmefreundliche Einwanderungspolitik. (Waren)Schiffe aus
aller Welt waren in Ancona und anderen kirchenstaatlichen Häfen erwünscht, vor allem aus
der Levante, weil sie nützliche und für das menschliche Leben notwendige Waren
mitbrachten. Güter (aus der Levante), die in Anconas Hafen umgeschlagen wurden, waren
von Zöllen und Steuern befreit (ausser eine übliche Steuer, die alle zahlten), während die
Händler, die in Ancona wohnten und lebten, egal woher sie kamen, einen Freibrief (freies und
sicheres Kommen, Bleiben und Gehen) bekamen. Das Leben, das Handeln und die
448
Halil Inalcik: Capital Formation in the Ottoman Empire. In: The Journal of Economic History 29 (1969), S.
113.
449
ASAN, A.C.AN, Suppliche al Consiglio reiette ed accolte, 1545-1558, Nr. 557, S. 94.
450
Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 99.
451
Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 100f.
452
Erwähnung des Dekrets von Papst Sixtus V aus dem Jahre 1586 in einer Akte aus dem Zeitraum von 1700 bis
1721: ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/2, keine Blattnummern.
105
Konversation mit den Einheimischen durfte nicht behindert werden.453 Produkte, die jedoch
zuerst in anderen Adriahäfen als Ancona ankamen, mussten neben der üblichen Steuer noch
eine 12% Sondersteuer bezahlen, sozusagen als Strafe, weil diese (indirekte) Art der Einfuhr
verboten war.454
Der Papst gewährte in diesem Dokument zudem die völlige Bewegungsfreiheit für die Juden
im ganzen Kirchenstaat, also auch ausserhalb von Ancona, Rom und Avignon. Sie durften in
ihren Kreditgeschäften (Vergaben von Krediten an Kaufleute) nicht gestört werden.455
Schliesslich erlaubte der Papst, dass die Händler der Stadt drei Konsule wählen durften (einer
aus Florenz, einer von der Ostküste der Adria und einer egal woher), die die Konflikte
zwischen den Behörden und den Händlern schlichten sollten.456
Das fünfseitige Edikt gewährte also den Händlern von Ancona, egal welcher Nation oder
Religion angehörend, Steuererleichterungen sowie politische Rechte und Freiheiten.457
Gleichzeitig wurde mit der 12%-Sondersteuer der direkte Konkurrent Venedig geschwächt.
Als Dank für die Handelsprivilegien schenkten die Griechen zusammen mit den Muslimen,
den Armeniern und den Juden Papst Clemens VIII einen Triumphbogen – ein Zeichen der
Ehrerbietung und der engen Zusammenarbeit unter den levantinischen Händlern.458
Am 12. März 1597 verstärkte Kardinal Aldobrandini, die damalige rechte Hand des Papstes,
diese Richtung. Sein Erlass erlaubte allen Untertanen des Kirchenstaates die Versorgung mit
Waren aus der Levante, sie mussten jedoch direkt über Ancona eingeführt werden. Händler,
die über ein Vermögen von 10'000 Scudi verfügten und die in Ancona einen Haushalt
gründen wollten, mussten keine Steuern bezahlen.459
Diesen legislativen Anstrengungen der Päpste und ihrer Angestellten war es zu verdanken,
dass Ancona im 16. Jahrhundert eine blühende Handelsstadt mit kosmopolitischem Flair
wurde. Einzelne Ressentiments gegen Juden und andere Händler wirkten sich kurzfristig
kaum negativ aus.460 Langfristig ging aber das Vertrauen verloren, die Diasporagruppen
453
ASAN, Archivio Ferretti, Bolla della Sant. di N. S. Clemente VIII, 2. di Aprile 1594, Nr. 70, S. 2.
ASAN, Archivio Ferretti, Bolla della Sant. di N. S. Clemente VIII, 2. di Aprile 1594, Nr. 70, S. 3.
455
ASAN, Archivio Ferretti, Bolla della Sant. di N. S. Clemente VIII, 2. di Aprile 1594, Nr. 70, S. 3.
456
ASAN, Archivio Ferretti, Bolla della Sant. di N. S. Clemente VIII, 2. di Aprile 1594, Nr. 70, S. 4.
457
Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 101f.
458
Jonathan Harris, Heleni Porfyriou: The Greek Diaspora: Italian port cities and London, c. 1400-1700. In:
Cities and Cultural Exchange in Europe, 1400-1700. Hg. von Donatella Calabi, Stephen Turk Christensen.
Cambridge 2007, S. 69.
459
ASAN, A.C.AN, Commercio – Consolati – Fiere – Franchigie – Trattati – Patenti, sec. XVI, Nr. 2776, keine
Blattnummern.
460
Der Händler Gio. Battista Lucin und seine Compagnons in Ancona verlangten zu Beginn des 17. Jahrhunderts
Steuererleichterungen für Schiffe und deren Waren aus der Ponente (namentlich Irland). Diese Bitte wurde
zurückgewiesen. ASAN, A.C.AN, Suppliche 1608-1613, Nr. 44/2, S. 106. Desgleichen fühlten sich italienische
und levantinische Juden unwohl, da sie gemäss Eigeneinschätzung Nachteile im Wirtschaftsleben hatten.
Handelseinschränkungen, wie der zeitlich beschränkte Aufenthalt an Messen, verhinderten den freien Verkauf
454
106
verliessen die Stadt, jedoch nicht nur wegen den Päpsten, sondern auch aufgrund der
Ereignisse, die ausserhalb der Entscheidungsbefugnis Roms lagen und die schon früher im
Text angesprochen wurden. Im 18. Jahrhundert wurde ein neuer Anlauf in Angriff
genommen, um mit Steuergeschenken fremde Kaufleute anzulocken. Auch hier war der
kurzfristige Erfolg gegeben, doch auf lange Zeit konnte durch den Freihafen nicht an die alten
Erfolge angeknüpft werden. Die Idee der Päpste, ihre Stadt an der Adria langfristig als
(zoll)freies Handelszentrum zu etablieren, musste dann 1868 (Abschaffung des porto franco)
endgültig begraben werden.
Die mentalen Landkarten der Päpste sahen in Ancona ihre Hafenstadt, die dazu bestimmt
wurde, durch Vermittler als Warenumschlagplatz zu funktionieren. Vor allem finanzielle und
vereinzelt religiöse Anreize lockten die dazu nötigen Kaufleute an. Der Sinn der Stadt wurde
von der Obrigkeit ökonomisch definiert.
von Produkten und die Eintreibung der Guthaben. ASAN, A.C.AN, Suppliche 1614-1618, Nr. 105, keine
Blattnummern.
107
6. Kaufmännische Vorstellungen über die neue Heimat in der Diaspora
Die mentalen Landkarten der immigrierten Händler trafen auf die im vorigen Kapitel
beschriebenen, von den kirchenstaatlichen und toskanischen Regierungen erschaffenen
Strukturen – auf die zu Papier gebrachten mental maps der gastgebenden Machthaber.
Angekommen
in
der
Diaspora
wurden
die
kaufmännischen
Vorstellungen
aller
Lebensbereiche auf ihre Anwendbarkeit überprüft. Ancona respektive Livorno waren als
momentane Wohnorte gegeben. Wünsche zur Gestaltung des eigenen, ökonomischen,
kulturellen und religiösen Lebens mussten noch umgesetzt werden. Die Bandbreite der
Möglichkeiten war gross.
Wohlstandssehnsüchte trieben die Händler an. In Ancona träumten viele davon reich zu
werden, etwa mit Leder. Francesco Brighitti, ein Händler aus Brescia (Lombardei, Italien),
der seit 15 Jahren in Ancona lebte, wollte in den 1620er Jahren ein neues Produkt auf den
Markt bringen. Er hatte vor, eine Gerberei zu eröffnen, in der ein Leder ohne Haare
hergestellt werden konnte. Er verlangte von den Behörden, dass während zehn Jahren461
niemand anders als er eine solche Gerberei betreiben durfte. Er ersuchte damit um ein
Monopolprivileg.462
Da viele Kaufleute dieselben mentalen Landkarten teilten, war der Konkurrenzkampf in
Ancona gross. Der Markt war hart umkämpft. In den 1620er Jahren wurden zwei jüdische
Händler verdächtigt, die Flucht zu ergreifen, obwohl sie in Ancona noch Schulden zu
bezahlen hatten. Sie verlangten Aufklärung, weil sie sich unschuldig sahen.463 Die Triccoli
(Strassenhändler) in Ancona fühlten sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts von den Juden
bedrängt. Sie reichten eine Klage gegen sie ein, worin sie ein Verkaufsverbot für die Juden
verlangten.464
Auch in Livorno wurde der geschäftliche Erfolg gezielt gesucht, was einen Wettkampf unter
Händlern hervorrief. Die Memoiren eines Franzosen (Name unbekannt) aus dem Jahre 1699
verraten die Teilnehmer an diesem Verteilungskampf.465 Im von den Medici gesetzten
Rahmen, der porto franco, der Ausbau der städtischen Infrastruktur, die Privilegien, die
Freiheiten und die Vergebungen bewegten sich gemäss dem Memoirenschreiber Kriminelle,
Bankrotteure, Juden, Franzosen, Italiener, Engländer, Holländer und Armenier. Die Juden
461
Im Originaldokument wurde zuerst 25 Jahre aufgeschrieben (vinticinque anni), dann aber durch das Wort
Zehn (dieci) ersetzt.
462
ASAN, A.C.AN, Suppliche 1619-1626, Nr. 64, keine Blattnummern.
463
ASAN, A.C.AN, Suppliche 1619-1626, Nr. 62, keine Blattnummern.
464
ASAN, A.C.AN, Suppliche 1690-1700, Nr. 70, keine Blattnummern.
465
Die Memoiren wurden im Archivio di Stato di Firenze gefunden und in einem Quellenband abgedruckt:
Mémoire de l’état présent de Ligourne et de son commerce, année 1699. In: Fonti per la storia di Livorno. Fra
Seicento e Settecento. Hg. von Lucia Frattarelli Fischer, Carlo Mangio. Livorno 2006, S. 15-26.
108
waren derart dominant im Geschäftsleben (Handel und Produktion), dass an den Samstagen,
der ihr Feiertag ist, die Marktplätze leer blieben und die Geschäfte ruhten. Die Franzosen,
etwas weniger einflussreich, waren entweder reiche Händler oder Kleinkrämer und
Handwerker. Die Italiener waren kaum im Handelswesen integriert, wenn doch, dann vor
allem Florentiner. Die Engländer, die Holländer und die Armenier liessen ihre Geschäfte
mittels jüdischen und italienischen Maklern abwickeln.466
Die Koordinatoren dieser Aktivitäten waren der governatore und die Konsule. Der Chef der
Justiz und der Waffen der Stadt passte sich dem multilingualen Ambiente an. Monsieur le
marquis Del Borro sprach italienisch (Muttersprache), spanisch und deutsch und er verstand
lateinisch und französisch.467 Das Leben eines Konsuls schien durchaus angenehm gewesen
zu sein. Der holländische Vertreter galt als „un bon homme fort apliqué le matin à ses affaires
et qui boit ou fume tout le reste du jour.“468
Das Handelswesen im Hafen von Livorno sah nach dem Bericht des Franzosen zufolge
unzählige Waren ein- und ausgehen. Er kommt zum Schluss, dass das Business mit dem
Leder am einträglichsten war, da dort der Absatz und der Gewinn am höchsten lagen. Das
Leder kam aus allen Herren Länder und dennoch gab es kein anderes Gut, das so schnell
verkauft werden konnte.469
Horace Mann, der britische Gesandte in Florenz, konstatierte 1768, dass die wirtschaftlichen
Möglichkeiten der Zuwanderer in Livorno abnahmen. Der Aufstieg vom Fischerdorf zur
international geachteten Freihafenstadt konnte nicht fortgesetzt werden. Zwar funktionierten
die Gemeinschaftseinrichtungen wie die Lazarette sowie die Religionsfreiheit noch. Sie
sorgten für ein reges und unbekümmertes Handelsleben, welches nur vereinzelt durch
katholische Missionarsbestrebungen gestört wurde. In englischen Fällen half dabei die
Intervention der englischen Krone, die bei der toskanischen Regierung Respekt genoss.
Zudem befürchtete die offizielle Toskana, dass angesehene Händlerfamilien dadurch die Stadt
verlassen könnten. Dies konnte sich Livorno nicht leisten. Das Aufkommen weiterer
Freihäfen, wie Ancona oder Nizza, und die gescheiterte Neutralitätspolitik warfen Livorno im
Wirtschaftsleben zurück. Die ersten Anzeichen der verschlechterten Lage waren in der
Kleidung und im Verhalten der Kaufleute zu sehen. Der gewohnte Luxus und die Eitelkeit im
466
Mémoire de l’état présent de Ligourne et de son commerce, année 1699, S. 15f.
Mémoire de l’état présent de Ligourne et de son commerce, année 1699, S. 16f.
468
Mémoire de l’état présent de Ligourne et de son commerce, année 1699, S. 22.
469
Mémoire de l’état présent de Ligourne et de son commerce, année 1699, S. 26.
467
109
Benehmen und in den Umgangsformen traten zurück, da die Gewinne aus den Geschäften
einbrachen.470
Auch Mann hielt wie der anonyme Franzose fest, dass die Juden die Zahlenstärksten und die
Reichsten waren, gefolgt von den Engländern, die nach Mann das grösste Ansehen in der
Bevölkerung genossen.
Für die Holländer wirkte der Hafen Livornos als Magnet. Einzelne Ereignisse schufen ein
positives Bild der Stadt. Mitte des 17. Jahrhunderts erreichte die Republik Holland die
Stellung einer Grossmacht, die Hafenstadt Amsterdam war sehr vital und aktiv. Davon
profitierte Livorno nachhaltig, während Holland ebenfalls seinen Nutzen aus den Kontakten
mit der Toskana zog. Im neutralen Hafen von Livorno errang Holland den einzigen Sieg im
Krieg gegen England (1650-1653). Livorno wurde in einem Atemzug mit dem Sieg genannt.
Der Ort hatte den Holländern Glück gebracht.471 Als Gegenleistung und als Dank für die
toskanische Gastfreundschaft empfingen die Holländer den Kronprinzen Cosimo 1667 mit
grosser Freundlichkeit. Dabei beachtete Livorno jedoch immer seine Neutralität, die als
Fundament des Handelerfolges diente. In den Kriegen zwischen England, Frankreich und
Holland wurde jede Parteinahme vermieden und 1691 unterzeichneten der governatore von
Livorno und die Staaten Frankreich, Spanien, England und Holland ein Abkommen, das diese
Intention bekräftigte. Dadurch wurde die wirtschaftliche Position des Hafens gefestigt, vor
allem die Engländer und die Holländer wirkten im Freihafen. Holländer im Speziellen
genossen das Ansehen und die Wertschätzung der Öffentlichkeit. Dies lag daran, dass sie
bescheidene Zinssätze bei Darlehen verlangten, im Gegensatz zu Juden, und dass sie der
Zurückhaltung folgten, nicht so wie die hochmütigen Engländer, die als herrschaftssüchtig
wahrgenommen wurden. Bei der Vergabe von Festen konnte die Achtung gegenüber der
holländisch-deutschen Nation deutlich gesehen werden. Sie durfte sich mit viel Prunk zur
Schau stellen und das eigene Ansehen pflegen. Mittels aufwendiger Kulissenbauten wurden
hohe Gäste willkommen geheissen, Konzerte liessen die Stadt als kulturellen Blickfang
erscheinen. Da diese Feste sehr teuer waren, wurden bald Sparmassnahmen ergriffen. Die
Holländer konnten und wollten den kostspieligen Feierlichkeiten der Franzosen nicht folgen.
Der vermehrte Einfluss der bescheidenen und genügsamen Reformierten in der Nation
verstärkte diese Haltung, was nicht bedeutet, dass Festlichkeiten nicht wichtige Aspekte des
gesellschaftlichen Lebens verkörperten.472
470
The city of Leghorn di Horace Mann, S. 78f.
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 52f.
472
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 57f.
471
110
Die eben beschriebenen Beispiele verdeutlichen, dass mentale Landkarten von Kaufleuten
jeglicher Herkunft ähnlich waren, dass aber die Umsetzung der eigenen Ziele von Wohlstand
und Reichtum vor allem innerhalb der eigenen Gruppe vollzogen wurde.
6.1 Wirtschaftliche Möglichkeiten
6.1.1 Verdienstmöglichkeiten im benachbarten Handelszentrum
Aufgrund der geographischen Nähe kamen viele der nach Ancona zugereisten Kaufleute von
der Apenninhalbinsel. Neben den schon lange Zeit in Ancona ansässigen, den Anconitani,473
waren dies Menschen aus den Marken oder aus anliegenden Provinzen und Städten. Da der
Seeweg über die Adria hinweg ebenfalls kurz ist, war die Ost-West-Bewegung ebenfalls
beliebt.
Ab dem 11. Jahrhundert liefen die Schiffe aus Ancona nicht nur inneradriatische Häfen an,
sondern durchquerten die Strasse von Otranto, um die Häfen der Levante zu erreichen. So
kam es, dass vor allem toskanische, genuesische, lombardische, sizilianische, aber auch
katalanische Kaufleute Ancona bevölkerten, um mit der Levante Geschäfte zu tätigen.474
Im transadriatischen Handelswesen sind diese italienischen Händler gleichfalls anzutreffen.
Besonders oft tauchten sie auf den verschiedenen Messen in den Marken auf.475 Neben den
grossen Kaufmannsfamilien Torriglioni, Scacchi, Freducci, Benincasa und Trionfi aus
Ancona, finden sich einige alteingesessene Juden sowie Händler aus den Städten der
Romagna und der Marken, wie Fermo und Fano.476
In Akten, wo Händler auftauchen, die in Ancona Waren erhalten haben, erscheinen im 16.
Jahrhundert grosse Namen des italienischen Handelswesens. Jean Delumeau nennt die Namen
Rovalesca oder den Mailänder Lampugnani, daneben eine Reihe von florentinischen
Kaufleuten. Von den 397 Personen, die er 1551 ausmachen konnte, waren 273 wahrscheinlich
Italiener und 124 Nichtitaliener, wovon die Juden zusammen mit Händlern aus der Levante
und dem Balkan die Mehrheit ausmachten.477
473
Molly Greene meint jedoch: „The Anconites had never been merchants“. Siehe Greene: Merchant of Venice,
Merchant of Istanbul.
474
Moroni: Ancona città mercantile, S. 90.
475
Zu den Messen an der westlichen Adriaküste siehe Marco Moroni: Mercanti e fiere tra le due sponde
dell’Adriatico nel Basso Medioevo e in età moderna. In: La pratica dello scambio. Sistemi di fiere, mercanti e
città in Europa (1400-1700). Hg. von Paola Lanaro. Venedig 2003, S. 53-79.
476
Moroni: Mercanti e fiere, S. 57f.
477
Delumeau: Un ponte fra oriente e occidente, S. 42. Auch ein halbes Jahrhundert später sieht die Sache ähnlich
aus. Der anconitanische Notar Francesco Spinelli hatte in den Jahren 1590 und 1591 sowie 1621 bis 1624 vor
allem mit Händlern aus der näheren Umgebung (und Ancona selbst) zu tun: Pergola, Camerino, Mailand, Como,
Caldarola, Macerata, Urbino, Venedig, Fabriano, Senigallia, Bologna, Gandino, Florenz, Bergamo, Pesaro. Von
ausserhalb der Apenninhalbinsel tauchten vor allem Ragusaner und orientalische/levantinische Juden auf. Siehe
111
Ancona war im 16. und 17. Jahrhundert deshalb ein starker Anziehungspunkt für italienische
Händler, weil sie sich dort mit Leder aus dem Balkan eindecken konnten, das über Belgrad
und Ragusa nach Ancona gelangte. So bewegten sich Kaufleute aus dem Hinterland der
Marken (zum Beispiel aus Pesaro), aus Ferrara, aus Mailand und aus der venezianischen
Republik an der westlichen Adriaküste.478
Neben Waren erreichten auch Menschen aus dem nahen Osten die kirchenstaatliche
Hafenstadt. Slawische Christen gehörten zu den Aktivelementen im transadriatischen Handel.
Seit dem Spätmittelalter verband Ancona mit der adriatischen Gegenseite eine enge
Beziehung. Slaven aus Cattaro (Kotor), Zadar, Zagreb, Medrusa und Ragusa liessen sich in
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Ancona nieder.479 Angst vor der türkischen
Herrschaft führte sie im folgenden Jahrhundert noch vermehrt nach Ancona, wo sie eine
eigene Gemeinschaft (Universitas Slavorum) bildeten.480 1478 gründete der Bischof von
Ancona für die zahlreichen slawischen Gläubigen eine slawische Kirchgemeinde,
untergebracht in der Kirche San Germano.481
Nicht immer waren die Slawen willkommen. 1487 versuchten die anconitanischen Behörden
sie auszuweisen, weil sie die einheimischen Händler konkurrierten.482
Der Einmarsch der Osmanen auf dem Balkan, mit der im 15. Jahrhundert begonnenen
Eroberung Serbiens, Bosniens, Albaniens, Ungarns und schliesslich Belgrads 1521, sorgte für
neue Verhältnisse. Trotz der politischen Unsicherheit gingen die Kaufleute aus Dalmatien und
der Balkanregion an die Messen an der Westküste der Adria. Handelsverträge sicherten
Ancona zu, dass Ragusaner ausser zu Zeiten der Messen in Rimini, Pesaro und Recanati
ausschliesslich mit Ancona Geschäfte abschlossen.483 Ähnlich verpflichteten sich Händler aus
Ioannina (Griechenland), Arta (Griechenland) und Vlora (Albanien) im Jahre 1514. Sie
durften nur während der zollfreien Messe Recanati anlaufen, ansonsten war ihr Ziel in
Ancona bestimmt. Im Gegenzug genossen sie Zollvergünstigungen. Kurze Zeit darauf wurde
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1590-1591, Nr. 865, Blatt 1-148 (1590) und 1-146 (1591); ASAN, A.N.AN,
Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 1-289; ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879,
Blatt 1-220.
478
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 51. Händlern aus Mailand, in Ancona anwesend, wurden 1520
Privilegien zugesprochen. Siehe Indice della Cronaca di Camillo Albertini. Kopie aus dem Jahre 1893. Hg. von
Paolo Picozzi. Wiederum kopiert vom Archivio di Stato di Ancona. Original in der BCA, S. 324.
479
Durch diese Konkurrenzsituation wurden viele einheimische Händler verdrängt. Der Versuch der
Stadtverwaltung, die Slaven 1487 zurück zu schicken, scheiterte. Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 236f.
480
Diese taucht 1439, aber auch im 16. Jahrhundert auf. Gestrin: Le migrazioni degli slavi, S. 259.
481
Gestrin: Le migrazioni degli slavi, S. 257.
482
Greene: Merchant of Venice, Merchant of Istanbul.
483
Erwähnung der Messe von Rimini 1621 in ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt
22v.
112
diese Bestimmung für die griechischen Händler auf alle Untertanen des osmanischen Reiches
ausgedehnt.484
Im 15. Jahrhundert bewirkten weitere Handelsabkommen, die Ancona mit Ragusa und
Florenz aushandelte, dass immer mehr dalmatinische, ragusanische und toskanische Händler
den Weg nach Ancona fanden.485
Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert zogen zahlreiche Slaven und Albaner nach
Ancona.486 Durch die türkische Eroberung Albaniens verliessen viele Albaner ihre Heimat in
Richtung Italien. In den 30er und 40er Jahren des 15. Jahrhunderts existierte eine albanische
Flüchtlingskolonie in Ancona.487 Faktoren wie Armut, Hunger und die türkischen
Eroberungsfeldzüge vertrieben die Menschen. Zudem wurden sie durch die Hoffnung auf
Wohlstand sowie durch demographische Lücken nach der Pest im 14. Jahrhundert und der
Epidemie im 15. Jahrhundert durch Ancona angezogen.488
Um einen Weg aus der Armut zu finden, übernahmen die Migranten aus dem Balkan die
härtesten und am wenigsten angesehenen Arbeiten, wie Träger, Henker oder Diener.489
Während zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Slawen in Ancona hauptsächlich niedrigen
Arbeiten auf dem Lande und in der Stadt nachgingen, also etwa als Schäfer, Prostituierte,
Soldat, Bodenroder (und Landwirte) oder Schweinehirt, abgesehen von einigen wenigen
Handwerkern und kleinen Händlern, stieg die Zahl der Ragusaner, Dalmatiner, Albaner und
Montenegriner, die sich für den maritimen Handel interessierten im Laufe der Zeit stetig an.
In den 1430er Jahren wurden schon 70 Slawen zur mehr oder weniger prominenten Schicht
der
Gesellschaft
Anconas
angerechnet,
unter
ihnen
Prokuristen,
Kirchenrektoren,
Handwerker, Händler und Eigentümer von Häusern. Gegen Mitte des Jahrhunderts wurde die
Migration zum Massenphänomen, wovon die nicht lateinisch sprechenden ungebildeten
Tagelöhner immer noch die Mehrheit bildeten, die Händler etwa zehn Prozent ausmachten
und die Hausbesitzer, Handwerker, Kanoniker, Kreditgeber und Kreditnehmer an Quantität
zulegten. Eine vermehrte Anpassung an die neue Heimat und der schnelle soziale Aufstieg
vieler Slawen in der Gesellschaft Anconas liessen sich beobachten. Gegen Ende des 15.
Jahrhunderts nahmen die Wanderungen über die Adria ab, sowohl von ungebildeten als auch
von gebildeten Personen. Gleichzeitig nahmen die bereits Angekommenen immer aktiver am
484
Moroni: Mercanti e fiere, S. 63.
Daneben gab es ausländische Händler, die nur für die Zeit der Messe (17 Tage) nach Ancona reisten.
Während dieser wurde die Stadt von Händlern der Apenninhalbinsel und der anderen Adriaseite überrollt.
Moroni: Ancona città mercantile, S. 95f.
486
Sori: Evoluzione demografica, S. 24.
487
Peter Bartl: Albanien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1995, S. 62.
488
Sori: Evoluzione demografica, S. 25.
489
Eine Auflistung der Berufe: Sori: Evoluzione demografica, S. 26.
485
113
Stadtleben teil. Einzig die Zahl der Händler, nicht nur aus Dalmatien (Ragusa) und der
Levante, sondern auch aus Ancona, Fano, Fermo, Venedig, der Toskana und Umbrien, stieg
an, was darauf hindeutet, dass sich Ancona im 16. und teilweise zu Beginn des 17.
Jahrhunderts in einer Phase der Hochkonjunktur befand.490
Neben der massenhaften Armutsmigration von unqualifizierten Arbeitern existierte also auch
eine Wanderung über die Adria von reichen Händlern und Adligen.491 Nicht zu vergessen sind
die gebildeten Architekten, Musiker, Bildhauer, Gelehrten, Kunstmaler und Steinmetzer, die
hungernd oder erfolgsuchend ihre Waren oder Dienstleistungen anboten.492
Die Präsenz der Kaufleute, etwa aus Ragusa, charakterisierte in Ancona des 17. Jahrhunderts
nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das soziale und kulturelle Leben.493 Doch auch
albanische Kaufleute liessen sich in Italien nieder, um Baumwolle, Leder und Seide zu
exportieren und Stoffe und Glaswaren für den Balkan zu importieren. Der Albaner Jocha
Panya, in der Quelle klassifiziert als Händler in Ancona (kein italienisch, aber griechisch
sprechend), verkaufte 1622 Leder an Domenico Peroni aus Pergola (Marken).494 Geschäftlich
kam Panya im selber Jahr auch mit dem Griechen Gramo Simo Greco de Politia, in Dobritsch
in Bulgarien wohnhaft, und Giovanni Palunci, einem ragusanischen Händler in Ancona, in
Kontakt.495 Durch die Niederlassung von Albanern im 18. Jahrhundert an Handelsplätzen wie
Venedig, Ancona, Senigallia, Vasto und Lanciano fand Albanien schrittweise Anschluss an
den „europäischen“ Markt.496
Im Gegensatz zu den Albanern, die grösstenteils als rebellische, waffentragende und
gewalttätige Vagabunden wenig angesehen waren in den anconitanischen Bevölkerung und
deshalb von den Behörden möglichst abgeschoben oder erst gar nicht mehr aufgenommen
490
Lume: Presenze slave in Ancona, S. 252-259.
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 172.
492
Anselmi: Adriatico, S. 101.
493
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 30.
494
Tommaso Giancarli nimmt an, dass Jocha Panya muslimisch war, in der Quelle findet sich jedoch kein
direkter Vermerk auf seinen Glauben. Siehe Tommaso Giancarli: Una koinè adriatica? Ancona, Cattaro, Venezia
e Ragusa tra fine XVI e XVII secolo. Roma 2009, S. 134; Quelle: ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 16211622, Nr. 878, Blatt 243h, 264h-265v. Auch andere albanische Kaufleute beherrschten griechisch. ASAN,
A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 266h.
Peter Bartl datiert die albanischen Massenübertritte vom Christentum zum Islam auf das 17. und das 18.
Jahrhundert, je nach Region (im katholischen Norden und im griechisch-orthodoxen Süden etwas später als im
gemischten Mittelalbanien). Da Panya keinen muslimischen Vornamen trägt und der Notar Spinelli nichts
bezüglich Muslim erwähnt, gehe ich davon aus, dass Panya höchstens zuhause auf dem Papier ein Muslim war –
damit er dort die Kopfsteuer für Nichtmuslime und andere fiskalische Belastungen nicht zahlen musste – sich
jedoch in der katholischen Fremde als Christ zu erkennen gab. Siehe zum Kryptochristentum Bartl: Albanien, S.
51f. Sein Vorname Jocha wiederum deutet auf einen Juden hin. Leopold Zunz: Namen der Juden: Eine
geschichtliche Untersuchung. Leipzig 1837, S. 22. Vertrauen wir also dem Notar Spinelli, der Panya weder als
hebrei (Jude) noch als theucro (Muslim) beschreibt, was er bei Nichtchristen üblicherweise macht, sondern
lediglich als ein albanischer Händler in Ancona.
495
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 273v.
496
Bartl: Albanien, S. 84.
491
114
wurden,497 waren die dalmatinischen Slawen quasi immer willkommene Gäste. Die kulturelle
Eingliederung gelang prompt, ohne grosse Reibungen mit den Regeln und Lebensarten vor
Ort. Friedliches Zusammenleben und Zusammenwirken ging einher mit der Beibehaltung
gewisser religiöser und traditioneller Eigenheiten.498
Viel dazu beigetragen haben die übergesiedelten Mitglieder der Bürger- und Adelsschicht, vor
allem aus Ragusa. Sie belebten nicht nur den Handelsplatz Ancona auch in schlechten Zeiten,
nebenbei bereicherten sie die Literatur- und Kunstszene der Stadt (und Umgebung).499 Nie zu
kurz kam dabei die Verbundenheit mit der alten Heimat. Nach dem Erdbeben von 1667, das
enorme Schäden in Dalmatien und Albanien anrichtete, beherbergten sie viele Flüchtlinge und
halfen ihnen, ihre Aktivitäten im Handel und in der Schifffahrt wieder aufzunehmen.500
Die Slawen zogen auf Grund der Armut und durch die Osmanen vertrieben nach Westen
(Massenmigration) oder sie wanderten freiwillig über die Adria (qualitative Migration). Dabei
kamen im 15. Jahrhundert quantitativ am meisten nach Nordostitalien, nach 1560 blieb die
Bewegung praktisch stehen. Die ersten Einwanderer stammten aus bescheidenen
Verhältnissen, ökonomische Aspekte bewirkten die balkanische Emigration in die Marken.
Dies änderte sich im Verlauf der Zeit ebenfalls. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts
absorbierten sich die reichen Slawen praktisch komplett von der Lokalbevölkerung.501 Dies
waren vor allem Ragusaner.
Bereits im Spätmittelalter (14. – 15. Jahrhundert) arbeiteten Ragusaner in Ancona, was sich in
der Folge noch verstärken sollte. Die im 16. Jahrhundert sehr starke Verbindungslinie
Ancona-Ragusa lässt sich daran erkennen, dass zahlreiche ragusanische Händler dauerhaft in
Ancona lebten, einige von ihnen forderten das anconitanische Bürgerrecht. Zu den
bekanntesten unter ihnen gehörten Benedetto Gondola502 und Aloisio Gozzi, aber auch die
Familien Gradi, Menze, Lupi, Blasi, Zuzzeri, Allegretti, Ludovici, Nale, Luccari, Bianchi,
Conversi, Resti, Stefani und Tommasi. Ihre Wichtigkeit schliesst sich aus den immer wieder
497
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden sich in den Quellen kaum mehr Spuren von Albanern in
Ancona und Umgebung. Natalucci: Insediamenti di colonie, S. 111.
498
Natalucci: Insediamenti di colonie, S. 109f.
499
Der ragusanische Händler Marino Tudisio – ansonsten im ragusanisch-anconitanischen Warenverkehr
involviert – gab im Namen der ragusanischen Behörden den Auftrag für eine bronzene Büste des ragusanischen
Reeders Miho Pracat (Marino Prazatti). Das 1637 vom Bildhauer Pietro Paolo Iacometti (aus Recanati, 30
Kilometer südlich von Ancona) entworfene Kunstwerk befindet sich heute in der Vorhalle des Rektorenpalastes
in Dubrovnik. Siehe Marco Moroni: Reti commerciali e spazi costieri: il caso di Ancona tra XVII e XVIII
secolo. Noch nicht veröffentlichter Vortrag an einem Workshop in Triest (22. und 23. Februar 2008):
http://www2.units.it/~nirdsa/pdf/CISEM-RAMSES.pdf, Stand 19.06.2009.
500
Natalucci: Insediamenti di colonie, S. 110.
501
Anselmi: Adriatico, S. 100, S. 117f.
502
Benedetto Gondola, ein adliger Ragusaner, erhielt 1553 die Stadtbürgerschaft (“cittadinanza”) von Ancona.
Hinweis dazu im Indice della Cronaca di Camillo Albertini. Kopie aus dem Jahre 1893. Hg. von Paolo Picozzi.
Wiederum kopiert vom Archivio di Stato di Ancona. Original in der BCA, S. 250.
115
erneuerten Privilegien, so etwa die Statuti della dogana di Ancona, 1557 erneuert und 1558
bewilligt. Die Gegenseite, die ragusanische Behörde, bedankte sich mit ähnlichen
Gegenleistungen.503
Die aristokratische Emigration von Ragusa nach Ancona, das heisst ein freiwilliger
Arbeitsplatz- und Wohnortswechsel, erreichte im 16. und 17. Jahrhundert infolge der
intensiven Handelsbeziehungen zwischen Ancona und Ragusa ihren Höhepunkt. Ausgiebige
Auswanderungen von ökonomisch gut gestellten und deshalb privilegierten Händlern und
Kapitänen aus Ragusa stand in Ungleichheit mit den Personen aus dem Balkan und aus
Albanien, die aus schlechten Verhältnissen kamen und dementsprechend Mühe bekundeten in
Ancona wirtschaftlich Fuss zu fassen.504 Anders die Kaufleute, ihre definitive Einfügung in
die anconitanische Gesellschaft zeigte sich in ihrer Aufnahme in das lokale Patriziat. Dies
geschah beispielsweise 1639 mit Giovanni Storani und 15 anderen ausländischen Familien,
darunter die Paluncis, eine ragusanische Händlerfamilie, genauso wie die Storanis.505
Weitere bekannte Familien trugen die Namen Gondola, Pierizzi, Dondini, Marcelli, Bosdari,
Draghi und Vodopich.506 Sie alle kamen gegen Ende des 16. Jahrhundert, anfangs des 17.
Jahrhunderts oder nach dem ragusanischen Erdbeben 1667 in Ancona an, mit dem Ziel, die
eigenen Geschäfte voranzutreiben. Häufiges Indiz für eine definitive Ansiedelung ist der Kauf
von Immobilien, wie Wohn- und Lagerhäusern.507 Der Erwerb von Land und die Investition
von Geld in den Kauf von Immobilien sind Andeutungen, die dokumentieren, dass die
Ragusaner den sozialen Aufstieg und den Einstieg ins Adelswesen erfolgreich bestritten und
das
Lebensgefühl
des
rentier
(von
Renten
lebend)
angenommen
haben.
Dem
vollumfänglichen Einstieg in die Gesellschaft schien nichts mehr im Wege zu stehen.508 Diese
soziale Integration wirkte sich negativ auf die Wirtschaft aus. Die Ragusaner halfen am
Aufstieg Anconas mit, wovon sie und die Stadt reichlich profitierten. Indessen waren sie am
Abstieg auch nicht ganz unbeteiligt. Die Investierung grosser Geldmengen in so genannte
luoghi di monte (Wertpapiere der öffentlichen Verschuldung; päpstliche Anleihen) und in
andere spekulative Geschäfte behinderte ihre kommerzielle Betriebsamkeit.509
503
Moroni: Mercanti e fiere, S. 70.
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 50.
505
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 49.
506
Ragusanische Händler in Ancona, die immer wieder in den Notariatsakten von Francesco Spinelli (1621-24)
auftauchen: Marino Gondola, Francesco Marcelli, Giacomo Dondini und Paolo Pierizzi (meistens zusammen
auftretend), Francesco Zuzzeri und Giorgio Natali (meistens zusammen in den Akten auftauchend), Giovanni
Storani, Giovanni Palunci(o). Siehe ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 1-289;
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 1-220.
507
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 51f.
508
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 56f.
509
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 53.
504
116
Beispiele solcher Karrieren im Spannungsfeld von sozialer Eingemeindung, betriebsamer
Handelstätigkeit und unproduktiver Spekulation gibt es etliche. Giovanni Palunci, geboren in
Ragusa aus einer Familie, die ursprünglich in Belgrad lebte, also im Landesinneren, bewohnte
diverse Zentren des Balkans, dann Ragusa und die Insel Mljet, vor der dalmatinischen Küste,
bevor er in Venedig erste Erfahrungen mit dem Handelswesen machte. Ab 1611 kann man
seine Anwesenheit in Ancona sicherstellen, wo er zuerst als Prokurist im Dienste eines
venezianischen Händlers stand, bevor er selber Handel trieb, bevorzugt mit Leder und
Lederwaren aus Dalmatien, Slowenien, Ungarn und aus Griechenland, was ihn reich machte.
Die Suche nach Leder und Wachs öffneten seinen kommerziellen Horizont. So suchten in den
1620er und 1630er Jahren türkisch-osmanische Händler aus Sofia, Mostar, Sarajevo und aus
der Narenta-Region Palunci auf, um mit ihm Geschäfte abzuschliessen. Meistens lieferten sie
ungarischen oder slawischen Wachs und Leder aus denselben Regionen, als Gegenleistung
erhielten sie Geld oder Stoffe. Daneben vertrieb er Wolle, importiert aus Griechenland und
der Levante und handelte mit Getreide, das er von den Südmarken (Fermo) nach Goro (nahe
Ferrara) schiffen liess. Mit venezianischen Berufskollegen unterhielt er abgesehen von
einigen Pausen genauso gute Beziehungen. Als seine Prokuristen nominierte er vor allem
Slawen oder Juden.510
Palunci war sehr vielseitig interessiert. Nicht nur als Händler in Ancona machte er sich einen
Namen, sondern auch als Prokurist für einen Kaufmann aus Lucca, als Messebesucher in
Besançon oder als Mitbesitzer eines Schiffes. Weiter kaufte er den Palast Nappi, der für seine
Eleganz und Schönheit bekannt war und investierte in Agrarland. Nach seinem Tod 1639
übernahmen die Kinder die Geschäfte und die Familie wurde noch im selben Jahr in den
Adelsstand gehoben.511
Ähnlich verlief der Lebenslauf von Giovanni Sturani,512 geboren 1595 in Ragusa, der
ebenfalls mit Leder und Getreide sowie mit Wolle, Leinen, Nutzholz, Fleischwaren, Seifen
und Salz sein Geld verdiente. Zudem beschäftigte er sich in der Agrarwirtschaft, kaufte
mehrere Male Landstücke und lieh professionell Geld aus. Er war in Ancona, Venedig,
Verona, Piacenza, Ferrara, Genua, Bologna, Florenz, Neapel und Ragusa aktiv. Die Geschäfte
liefen derartig gut, dass er es sich 1631 leisten konnte, zwei Boote zu kaufen. Weiter mietete
510
Piccinini: Un mercante anconitano, S. 289-301.
Piccinini: Un mercante anconitano, S. 295, 301f.
512
Die ragusanische Familie Sturani erreichte Ancona gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Sie kamen gegen Ende
des 14. Jahrhunderts von Serbien nach Ragusa. Mastrosanti: I notai nella storia, S. 132.
511
117
er im selben Jahr drei Wohnungen in einem Palast an der Via della Loggia in Ancona, dem
Handelszentrum der Stadt. Er wohnte somit nahe am Puls der Stadt.513
Beide Familien, Palunci und Sturani, wurden wie bereits erwähnt 1639 durch Papst Urban
VIII in den Adelsstand erhoben, mit dem Ziel der Stadtbehörden und des Kirchenstaates, ihre
Geschäfte und ihre möglichen Hochzeiten mit einheimischen Frauen könnten noch mehr
Wohlstand nach Ancona bringen. Die alteingesessenen Adligen waren gespaltener Meinung
über diese Neuadligen. Einige hingen an den alten Traditionen, Andere waren offener für
ausländische Bewerber.514
Die Leben von Marino Gondola, Francesco Marcelli, Giacomo Dondini, Paolo Pierizzi, der
Vodopichs, Drago Draghi und den Bosdaris zeichnen Analogien zu denjenigen von Palunci
und Sturani: Die Anstellung als Prokurist als Sprungbrett, der Handel mit Leder, Salz, Wolle
und Getreide als fruchtbare Einkommensquelle, weitere Standbeine im Agrarsektor
(Viehvermieter), Investitionen in Landhäuser, Stadtpaläste, Lagerhäuser und Boden und die
Heirat innerhalb der ragusanischen Händlerelitefamilien oder die Einheirat in Adelsfamilien
anderer Städte (Bologna), um deren Bürgerrecht zu erhalten.515
Gleichlaufend zur Offenheit gegenüber neuen Orten und Kulturen sieht man, dass die
Ragusaner vor Ort ein enges Gemeingefühl entwickelten.516 Sie organisierten sich in Ancona
in einer eigenen Kolonie, wobei Hochzeiten innerhalb der Gemeinschaft nicht selten waren.
Sie lebten praktisch alle im selben Viertel, dem Parrocchia di Santa Maria della Piazza, sie
bildeten sonach eine homogene Gruppe, so etwa bezüglich Gewohnheiten und religiösen
Traditionen.517 In ihren Testamenten spendeten sie Geld an ihre Kirchen und Klöster.518
Mit dem Erdbeben 1667 in Ragusa vollzog sich die letzte Welle von ragusanischen
Migrationen über die Adria. Danach nahmen die transadriatischen Handelbeziehungen
kontinuierlich ab, was auch die vorläufige Wiederaufnahme mit Hilfe des porto franco nicht
stoppen, sondern nur bremsen konnte.519
Alles in allem war die ragusanische Präsenz in Ancona eine Erfolgsgeschichte. Aufgrund der
Beherrschung der italienischen Sprache fühlten sich die Ragusaner rasch in Ancona zu Hause.
513
Mastrosanti: I notai nella storia, S. 134.
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 51f.
515
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 60f.
516
Die interkulturelle Zusammenarbeit war für den ragusanischen Händler Giovanni Sturani kein Fremdwort. Er
mietete 1642 das Schiff Pelegrina mit dem flämischen Kapitän Giovan Jacomo Pelegrini. Die Vermittlung
übernahmen die flämischen Händler Baldessarre Vandergoes und Giovanni Petreusen. Sturani wollte damit
Getreide von Ancona und Sirolo (Marken) nach Genua schiffen. Maria Paola Niccoli: Fare un mercante.
Giovanni Sturani da Ragusa. In: Studi anconitani. Archivio di Stato di Ancona (Nr. 4). Hg. von Alessandro
Mordenti. Ancona 1986, S. 132f.
517
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 53.
518
Mastrosanti: I notai nella storia, S. 132.
519
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 64.
514
118
Dort richteten sie sich ein, gründeten solide Lebensstützen, aufbauend auf Häusern, fondacos
(Gasthäuser), Agenten, Dienern, Schuldscheinen, Schiffen und Bodenbesitz. Ihr erfolgreiches
Wirtschaftssystem basierte auf einem Familienkontaktnetz, das sich von Ragusa über Ancona,
Venedig und Belgrad bis nach Istanbul streckte.520
Selbst als die Adria und die Levante zunehmend an die Peripherie zurückgedrängt wurden,
gelang es den Ragusanern – zusammen mit den Juden – menschliche und finanzielle
Ressourcen nach Ancona heranzuziehen, weshalb Claudia Marinucci ihnen eine
Katalysatorfunktion zuschrieb.521
Die geographische sowie die kulturelle und religiöse Nähe war ein starker Magnet für
arbeitsuchende Kaufleute aus der anconitanischen Umgebung.
Was die Ragusaner in Ancona waren, stellten in etwas bescheidenerem Rahmen die
Franzosen in Livorno dar.522 Durch die Livornina angezogen, kamen sie nach Livorno, vor
allem aus der Provence und aus Languedoc, wo die Religionskriege tobten. Die Händler
suchten in Livorno bessere Gewinne und ein besseres und freieres Leben. Während in der
muslimischen Welt die französischen Händler alle im selben Quartier oder in der selben
Strasse lebten, um sich gegen fremdenfeindliche Stimmungen zu schützen und um die
katholische Religion ausser Reichweite der muslimischen Augen auszuführen, sah die
Verbreitung in Livorno anders aus. Es gab kein französisches Viertel und die freie
Religionsausübung stellte kein Problem dar.523
Die Nation zeigte sich an Jahrestagen und nationalen Feiern öffentlich.524 Das Fest par
excellence war Saint Louis (ehemaliger französischer König) gewidmet, begleitet von
Feuerwerk, Schiffskanonen, Trommeln und Trompeten. Ebenfalls Anlass zu feiern gab der
Geburtstag des Königs.525
Doch auch Trauerfeiern wurden abgehalten, etwa als Louis XIV 1715 starb. Mit diesen
Festlichkeiten bezeugte die Nation auf der einen Seite ihre Treue zum König, auf der anderen
Seite wurde darauf geachtet, die Nation dem Grossherzogen möglichst mächtig und potent
darzustellen. Mit viel Prunk, Lärm und Farbe zeigte sich die barocke Gesellschaft. Die Feste
520
Anselmi: Adriatico, S. 99.
Marinucci: Mercanti ragusani, S. 204.
522
Es kam auch vor, dass französische Kaufleute nicht persönlich vor Ort präsent waren, sondern
Bevollmächtigte nach Livorno sendeten. Beispiel eines Pariser Kaufmanns aus dem Jahre 1667: ASL,
Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 37.
523
Filippini: La nation française de Livourne, S. 236.
524
Altomare: Contributo allo studio della comunità francese, S. 7.
525
Filippini: La nation française de Livourne, S. 237.
521
119
mussten zugleich der Anerkennung der lokalen Herrschaft, aus Dank für die Privilegien, als
auch der Präsentation der eigenen Stärke dienen.526
Die Möglichkeit, eine eigene Kapelle zu besitzen, war ein weiterer Faktor, warum Livorno für
zugewanderte Franzosen vertraut wurde. Sie hiess Saint-Louis und lag in der Kirche der
Kapuziner (Chiesa dei Capuccini). Das Recht der Bestattung wurde weder von der
toskanischen Regierung (Medici) noch von Peter Leopold (Habsburger) in Frage gestellt.527
Die französische Nation war nicht die grösste, aber sie war bedeutend in der Wirtschaft.528
Beweis für die Wichtigkeit: Der französische Konsul Giovanni Robert präsentierte einen
Protestbrief, in dem er drohte, die französischen Händler würden die Stadt verlassen und in
die alte Heimat zurückzukehren, wenn die Zoll- und Steuererhöhung von 1643 durchgesetzt
würde. Der Grossherzog gestatte den Franzosen einige Steuererleichterungen, aber lehnte den
Protest als Ganzes ab.529
Durch die grosse Anziehungskraft, die Livorno auf Franzosen ausübte, wurde bald ein Konsul
nötig. Der erste französische Konsul setzte sich ab 1603 für seine Landsmänner ein.530 Die
Livornina machte ihn zum Chef der Nation. Im Verlauf der Zeit wandelte sich seine Funktion
vom Händler zum Funktionär. Er war zugleich Chef der Nation wie Repräsentant des Königs,
besass also grosse Macht. Der Konsul arbeitete zudem als Richter, sowohl bei strittigen
Angelegenheiten, wo er die Differenzen der Parteien zu Recht biegen musste, als auch bei
klaren Fällen, wo keine Proteste eintrafen, wo er also nur die Handlungen legalisieren musste.
Die Macht des Konsuls führte des Öfteren zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und der
Nation, weil die Händler mit den Neuerungen des Konsuls nicht zufrieden waren.531
Der Konsul unterschied in der Nation zwischen Händlern, die in der Versammlung
(Assemblée) sassen, und bescheideneren Personen, wie die Handwerker. Die toskanische
Regierung tat dies auch.532 Sie unterschieden zwischen Kleinhändlern (marchand),
Handwerkern, Ladenbesitzern und Grosshändlern (negociant). Die Ersteren stellten die grosse
Masse dar, die auf der Suche nach besserem Verdienst und einem besseren Schicksal aus der
Provence, aus Languedoc oder aus dem Norden und Westen Frankreichs kamen, während die
wenigeren Grosshändler diejenigen waren, die in der Versammlung vertreten waren. Die
Versammlungen, sie wurden vom Konsul einberufen, spielten eine gewichtige Rolle im
526
Filippini: La nation française de Livourne, S. 238.
Filippini: La nation française de Livourne, S. 238.
528
Altomare: Contributo allo studio della comunità francese, S. 12.
529
Altomare: Contributo allo studio della comunità francese, S. 13f. Abdruck des Protestbriefes auf den Seiten
15 bis 18.
530
Altomare: Contributo allo studio della comunità francese, S. 8.
531
Filippini: La nation française de Livourne, S. 245.
532
Altomare: Contributo allo studio della comunità francese, S. 9.
527
120
Leben der Nation. Sie wurden autonom durchgeführt, ohne dass die toskanischen Behörden
davon in Kenntnis gesetzt wurden. So traf man sich, tagte und traf Entscheidungen in grosser
Autonomie. Durch die kollektiven Manifestationen und die Privilegien entwickelte sich die
französische Nation zu einer nicht ignorierbaren Gemeinde, deren Autonomie als ein
Geschenk der toskanischen Herrscher an den Konsul, den Chef der Nation, angesehen werden
kann.533
Dieser Konsul sah die Händler in der Nation als eine Einheit, eine Art aristokratische
Händlerelite. Doch innerhalb der Nation herrschte eine grosse Solidarität gegenüber den
schlechter gestellten, was wiederum ein Zeichen für die grosse Stärke und die wohlwollende
Generosität der Gemeinschaft war. Auch Familienbeziehungen halfen bei Not aller Art.534 Die
ärmeren Gemeindemitglieder interessierten sich keineswegs für die politischen (legislativen)
Angelegenheiten der Nation. Sie waren dem Konsul gänzlich unbekannt.535 Dank
Steuerveranlagungen konnte ihre Anzahl abgeschätzt werden. Auch mit diesen Dokumenten,
mit Hilfe von Unterzeichnerlisten von Versammlungen (wo allerdings auch Kapitäne
teilnahmen und unterschrieben) und mit der Liste der beim französischen Konsul registrierten
Händler, gelang es die Anzahl der Grosshändler zu ermitteln. Die Anzahl der Klein- und
Grosshändler schwankte, sie hing von der ökonomischen Konjunktur wie auch von
politischen Ereignissen, Transformationen im Mittelmeermarkt und Abgängen, respektive
Todesfällen und Ausschlüssen ab.536
Der freiwillige Rücktritt aus der Nation war nicht mit einer sozialen Deklassierung gleich zu
setzen. Viele Junggesellen und Wittwer heirateten Toskanerinnen oder Italienerinnen und
bekamen so das Stadtrecht von Livorno. Die französische Nation in Livorno wurde so
„toskanisiert“. Viele junge Franzosen wurden aus der Nation ausgeschlossen, wenn ihre
Mutter nicht Französin war. Neben den Ausschlüssen gab es aber auch das Mittel der
Reintegration.537 Sentimentale Gründe sowie materielle Vorteile zogen die Menschen in die
französische Nation und weckten deren Treuegefühle, obwohl auch die toskanische
Staatsbürgerschaft viel zu bieten hatte.538
Als die französische Nation im 18. Jahrhundert kleiner und die toskanische Administration
französisiert wurde, aufgrund der Machtübernahme der lothringischen Dynastie, nahmen die
533
Filippini: La nation française de Livourne, S. 239.
Der Doktor Gio. Francesco Farisiani, Franzose, in Livorno lebend, setzte sich im Jahre 1662 für seinen Sohn,
den Kapitän Antonio, ein, damit dieser nach Livorno zurückkehren konnte und einen realen, unwiderrufbaren
und persönlichen salvocondotto bekam, der diesen vor den Belästigungen der Piraten („bregantini“) schützte.
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 489.
535
Filippini: La nation française de Livourne, S. 240.
536
Filippini: La nation française de Livourne, S. 241.
537
Filippini: La nation française de Livourne, S. 242f.
538
Filippini: La nation française de Livourne, S. 244.
534
121
Konflikte zwischen der Nation und dem Konsul ab. Die Energien wurden nun gemeinsam
gesammelt, um die Privilegien der französischen Nation gegenüber der Toskana zu
behaupten. Im 18. Jahrhundert wehte dem Konsul ein immer heftiger Wind seitens der
toskanischen Herrscher entgegen. Viele Male musste er intervenieren, damit die Vorzüge der
Livornina für die Nation eingehalten wurden. Das Recht, richterlich tätig zu sein, wurde ihm
aberkannt.539 Bemerkenswert war die Härte und Entschiedenheit, mit der die Ansprüche der
Konsule durch den florentinischen Hof verworfen wurden, und dies auch noch unter der
Regentschaft der Medici, die früher als so gastfreundlich galten.540
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts genoss die französische Nation in Livorno kaum mehr als
die kommerziellen Vorteile, die die Edikte von 1593 und 1676 allen anderen Nationen in der
Stadt auch gewährte. Desgleichen ging die Autorität der Konsule kaum mehr über die
kommerziellen Angelegenheiten hinaus. Man kann sagen, dass diese Situation derjenigen
glich, die die Franzosen in den verschiedenen Wirtschaftszentren in Europa des 19.
Jahrhunderts vorgefunden haben werden.541
Wie auch bei den Ragusanern in Ancona, stellt man bei den französischen Händlern in
Livorno fest, dass der kurze Anreiseweg und die starken Gemeinsamkeiten (Katholizismus,
Wohlstandsstreben) die mentalen Landkarten pro Livorno prägten.
6.1.2 Wahl Ancona trotz Distanz und Divergenzen: Muslime, Griechen, Armenier und
Westeuropäer
Händler, die einen weiteren Weg (als die Italiener und die Ragusaner) nach Ancona und
neben den geographischen auch politische, kulturelle und religiöse Distanzen zurücklegen
mussten, sahen in Ancona trotzdem Zukunftsmöglichkeiten. Diese Anziehungskraft hatte in
östlicher und südlicher Richtung eine grosse Reichweite. Händler aus dem Osten und aus dem
Süden waren eine feste und langfristige Konstante auf dem anconitanischen Marktplatz. Es ist
schwierig diese Personen genau zu identifizieren. Oft sind die Wanderbewegungen von Ost
nach West und der letzte Wohnsitz respektive der letzte Abfahrtsort die einzigen Klarheiten,
während die politische Zugehörigkeit, die religiöse Ausrichtung oder die ethnische
Zuordnung unklar sind.542
539
Filippini: La nation française de Livourne, S. 246.
Filippini: La nation française de Livourne, S. 247.
541
Filippini: La nation française de Livourne, S. 248.
542
Dies ist der Fall bei Santinus Sperandeus (Santini Sperandei) aus Anatolien. Ob er/sie türkisch-muslimisch,
armenisch-christlich, griechisch-orthodox oder jüdisch war, ist aus der Notariatsquelle nicht ersichtlich. ASAN,
540
122
Auszumachen sind in Ancona osmanische Kaufleute: Muslimische und christlich-orthodoxe
Händler trieben von der ostadriatischen Küste aus regen Handel in der Region, so auch über
die Adria mit Ancona.543 Nicht zu vergessen sind die Armenier und die Albaner. Beide
Volksgruppen sind religiös durchmischt. Die Armenier fanden sich zum römischen oder
armenischen Christentum zugehörig, während die Albaner lange Zeit katholisch oder
griechisch-orthodox praktizierten, bevor viele von ihnen freiwillig oder zwangsweise
islamisiert wurden.
Muslime
Lange Zeit war die Meinung, die Muslime hätten einen beträchtlichen Anteil der osmanischen
Kaufleute bis ins 18. Jahrhundert ausgemacht, kaum akzeptiert. Die ältere Forschung nahm
an, dass osmanische Muslime das Handelswesen mieden, um nicht mit Nichtmuslimen in
Kontakt zu kommen.544 Dieser Irrtum, der sich als Rückprojektion von Gegebenheiten des 19.
Jahrhunderts auf frühere Zeitalter herausstellte, wurde unter anderem von Cemal Kafadar
korrigiert.545
Selbst Kriege, von Ancona aus legten 1571 die päpstlichen und venezianischen Kriegsschiffe
unter dem Kommando von Marcantonio Colonna ab, um die bekannte Schlacht von Lepanto
(Ort im heutigen Griechenland, griechisch = Nafpaktos) gegen die Osmanen siegreich zu
gestalten, Piraterie und religiöse wie auch rassische Abneigungen verhinderten nicht, dass der
Kirchenstaat seine Handelsinteressen auch gegenüber Muslimen wahrte. 1529 und noch
mehrere Male später im selben Jahrhundert schloss Ancona Handelsverträge mit Sultan
Süleyman I (der Prächtige) ab, was dessen geschäftige Untertanen nach Ancona lockte und
gleichzeitig Venedig beunruhigte. 1594 wurden diese Tendenzen verstärkt, als Papst Clemens
VIII eine Serie von fiskalen Massnahmen ergriff.546
Muslimische Händler formten ein aktives Element im Handelswesen von Ancona. Die
Handelsroute Bursa-Edirne-Ragusa-Ancona-Florenz gewann ab der zweiten Hälfte des 15.
Jahrhunderts an Bedeutung. Türkische und persische Händler bedrohten durch ihre
A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 237h, 238v, 240v. In den Notariatsakten werden
Nichtchristen meistens als Juden oder Muslime deklariert, Christen werden nicht weiter spezifiziert.
543
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 287.
544
Hinweis auf diese Fehleinschätzung bei Suraiya Faroqhi: Ottoman Merchants from the 16th tot the 19th
Century, International Conference, Institut für Geschichte und Kultur des Nahen Ostens sowie Turkulogie,
München, 5.2-7.2.2004. In: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=504, Stand 27.11.2008
und Suraiya Faroqhi: Geschichte des Osmanischen Reiches. München 2004, S. 53f.
545
Kafadar: A Death in Venice, S. 97-124.
546
Renzo Paci: Il turco. In: Ancona e le Marche nel Cinquecento. Economia, società, istituzioni, cultura. Hg. von
Sergio Anselmi u.a. Ancona 1982, S.150f.
123
Anwesenheit an Messen auf der apenninischen Halbinsel den Levantehandel Venedigs.
Osmanische Quellen sprechen von muslimischen Händlern, die in Ancona Waren
umtauschten. So schickte etwa ein Kaufmann aus Shirvan (heutiges Aserbaidschan) 1559
seinen Bediensteten nach Ancona, damit dieser dort Seide gegen andere Tücher eintauschte.547
Griechisch-osmanische Kaufleute brachten ebenfalls Seide, Teppiche und Wachs nach
Ancona. 1514 garantierte Ancona osmanischen Händlern, wahrscheinlich Griechen aus Arta,
Ioannina und Vlora, spezielle Steuerprivilegien. Ähnlich vorteilhafte Rahmenbedingungen
bekamen die muslimischen Türken aus dem osmanischen Reich. Nach dem Vorbild Venedigs
wurde 1514 ein fondaco dei mercanti turchi e altri musulmani eingerichtet, ein Lagerhaus, wo
die Händler zudem residieren konnten.548 Diese versorgten die apenninische Halbinsel mit
Getreide und anderen Waren. 1522 schuf die Regierung in Ancona neue Wohn- und
Lagermöglichkeiten für türkische und andere muslimische Kaufleute.549 Auch durch die
ragusanische Vermittlung ermöglichte die Stadt Ancona türkischen Kaufleuten ab 1524
während der Messe im Palazzo della Farina zu residieren, welcher eigens dazu gemietet
wurde.550 Zudem wandten sich die Stadtbehörden direkt an den Sultan Süleyman I, um die
Zahl der levantinischen Gäste zu erhöhen. Dieser gab im August 1554 zu Antwort, dass er
veranlasst habe, dass seine Untertanen in Zukunft die Messen von Recanati zugunsten der
Messe von Ancona meiden müssen.551
In den Quellen finden sich erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts Hinweise auf Muslime in
Ancona.
Sowohl Muslime als auch Christen trafen aus Bosnien in Ancona ein. Niccolo di Radi (Christ)
handelte 1588 mit toskanischem Satin, Paolo Mariani (Christ) brachte 1617 ein Schiff voll mit
Reis nach Bosnien, selbst noch 1680 sind mehrere bosnische Christen (aus Sarajevo) in
Ancona stationiert.552
Etwas rarer, oder besser gesagt rarer in den Quellen aufgeführt, waren die als Türken
gekennzeichneten Muslime, die aus Bosnien und weiteren Gebieten im Osten den Weg nach
547
Inalcik: Capital Formation, S. 113.
Constable: Housing the stranger, S. 325, 330.
549
Kafadar: A Death in Venice, S. 102.
550
Moroni: Ancona città mercantile, S. 98.
551
Auch wenn dieses Verbot nicht immer eingehalten wurde, konnte Ancona doch davon profitieren.
Die Antwort des Sultans in osmanischer Sprache ist auf einem Pergament erhalten: ASAN, A.C.AN, Pergamena,
Nr. 74 bis.
Die italienische Übersetzung des Titels lautet: „Ordine di Solimano II a tutti i mercanti e marinai die suoi stati di
non frequentare piu la fiera di Recanati ma solo quella d'Ancona“ e cio ad istanza del Comune di Ancona (testo e
traduzione ital.).
552
Giancarli: Una koinè adriatica, S. 133f.
548
124
Ancona fanden. Im August 1622 trieb der muslimische Händler Assan Bassa553 aus Sofia
Handel mit den Anconitani Caffagna und Benvenuti.554 Wohl eine längere Zeit in Ancona
ansässig war der Kaufmann Durach Ali, Muslim aus Mostar, der neben türkisch auch
italienisch sprach. Er kooperierte unter anderem mit dem levantinischen Juden Ventura
Bellinfante (Juni 1624).555 Weitere türkische, das heisst muslimische Händler in Ancona, die
aus dem „Orient“ kamen und in den Notariatsakten auftauchten, waren der dalmatinisch
sprechende Soliman (oder Sultam) Celebi aus Widin (Bulgarien),556 Assan Rays aus Modon
(Griechenland, dementsprechend griechisch, aber kein italienisch verstehend), Ali Celebi aus
Sarajevo (türkisch und dalmatinisch sprechend),557 Alli Audi aus Sarajevo (spricht nur
türkisch und kein italienisch), Audi Alli aus Mostar (möglicherweise identisch mit dem
vorherigen), Aggi Ussaim Bey Bassari aus Ankara (spricht kein italienisch, nur dalmatinisch),
und Abdula Mimissa aus Sarajevo (kein italienisch, dafür dalmatinisch sprechend).558
Diese spärlichen Hinterlassenschaften dürfen nicht dazu führen, die muslimischen Tätigkeiten
in Ancona auf diese kurze Zeit (1621-1624) zu beschränken. Laut Tommaso Giancarli
repräsentieren diese Quellen nur einen Bruchteil der muslimischen Präsenz in Ancona.559 Sie
zeigen aber schön, wie selbstverständlich und alltäglich der Umgang mit den Muslimen
war.560
Neben Händlern tauchten im 16. Jahrhundert (und auch später) muslimische Sklaven im
Hafen von Ancona auf. Durch diesen Anblick wurden die Anconitani an die schreckliche
Sklaverei erinnert und trotz religiösen und politischen Barrieren wich so zum Teil der Hass
einem gewissen Mitleid gegenüber den „Ungläubigen“. Ein solches Mitgefühl, basierend auf
einem gemeinsamen humanen Grundgedanken, schwächte die Kontraste merklich ab.561 Die
Sklaverei war etwas normales, auch im Kirchenstaat. Nicht nur an der Messe in Senigallia
kauften italienische Unternehmer bosnische Sklavinnen, so etwa 1690 und 1750. Ascanio
Bizzarri aus Pisa, Händler in Ancona, kaufte sich 1598 einen türkischen Sklaven vom Kapitän
553
Es ist gut möglich, dass Assan eigentlich Hassan hiess. Bei Personennamen übernehme ich in meinem Text
die Originalschreibweise aus den Notariatsakten.
554
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 241h.
555
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 163v. Noch zwei Jahre zuvor (1622) musste
sich der Jude Bellinfante als türkisch-italienischer Dolmetscher für Ali in den Dienst stellen. ASAN, A.N.AN,
Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 235h.
556
Er schloss 1622 zwei einträgliche Verträge mit lokalen Unternehmern aus Caldarola (Marken) ab. Siehe
Giancarli: Una koinè adriatica, S. 50.
557
Er verkaufte 1623 in Ancona griechisches Leder. Giancarli: Una koinè adriatica, S. 134.
558
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 43h, 238, 265, 276h-277v; ASAN, A.N.AN,
Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 4v, 29h, 88v, 139, 169, 173h-174h.
559
Genauso erscheinen armenische Kaufleute nur in den Akten des Notars Francesco Spinelli aus den Jahren
1621-1624, was auch nicht bedeuten kann, dass vorher und nachhher keine Armenier mehr anwesend und aktiv
waren. Giancarli: Una koinè adriatica, S. 135, Fussnote 36.
560
Giancarli: Una koinè adriatica, S. 135.
561
Paci: Il turco, S. 151.
125
Giulio Melini aus Rom.562 Solche Geschäfte lösten nicht Skandale aus, vielmehr erlaubten sie
den verschiedenen Völkern am Mittelmeer zu dieser Zeit in Kontakt zu treten.563
Griechen
Eine prominente Stellung nahmen die Griechen in Ancona ein. Das adriatische Meer war und
ist der direkteste Weg zwischen den griechischen Inseln und der Apenninhalbinsel. Die
griechischen Diasporagruppen waren hauptsächlich im Handel aktiv. Viele dieser Händler
waren ziemlich reich.564 Als Griechen wurden vielmals diejenigen bezeichnet, die griechisch
sprachen – griechisch war zu dieser Zeit eine Art lingua franca auf dem Balkan – der
griechischen Religion (orthodox) angehörten und als Händler tätig waren. Dies mussten nicht
unbedingt nur ethnische Griechen sein.565 Roberto Domenichini seinerseits bezeichnet die
Bewohner der Levante, die den griechisch-orthodoxen Glauben praktizieren, als Griechen.566
Durch seine geographische Lage wurde Ancona zum wichtigen Zentrum für die griechische
Gemeinschaft. Die Stadt wurde 380 v. Chr. vom Dorier Syrakus gegründet und behielt in
Folge ihre griechische Bevölkerung bei. Noch im 12. Jahrhundert bestand die Hälfte der
Bevölkerung aus Griechen und bis zum Fall von Istanbul 1454 betrieben diese Geschäfte mit
dem byzantinischen Imperium, in dessen Hauptstadt sie ein eigenes Quartier hatten.567
Es gibt weitere Spuren von griechischen Kaufleuten im 12. Jahrhundert. 200 Jahre später ist
immer noch eine griechische Gemeinde nachweisbar, die eine eigene Kirche besass. Und im
15. Jahrhundert geht man davon aus, dass der Zustrom von Byzantinern stark zunahm, als
Folge der Flucht vor den Truppen Mehmeds II.568 Um 1550 waren etwa 200 griechische
Handelshäuser unter osmanischer Herrschaft im kosmopolitischen Ancona etabliert. Im 16.
Jahrhundert flohen die Griechen vor den Osmanen, weil letztere in griechische und
balkanische Gebiete in der Mittelmeerregion eindrangen. Die politisch, religiös und
wirtschaftlich verdrängten Griechen aus der Levante, oftmals Händler und Seeleute, landeten
häufig in Hafenstädten auf der Apenninhalbinsel, wie etwa Ancona, aber auch Livorno und
562
ASAN, A.N.AN, Orazio Brancadoro 1598-1599, Nr. 887, Blatt 85h.
Giancarli: Una koinè adriatica, S. 136.
564
Harris, Porfyriou: The Greek diaspora, S. 77.
565
Das eine schliesst das andere nicht aus. So wurde ein orthodoxer Aromune (romanisch sprachig) oder ein
jüdischer Händler oft auch als Grieche bezeichnet. Diese Hellenisierung im 17. und 18. Jahrhundert betraf,
ethnisch gesehen, die Griechen, Vlachen, mazedonischen Slaven und Bulgaren. Nur die Serben konnten ihr
entgegenhalten. Stoianovich spricht von einer „inter-Balkan merchant class“, die sich selber und durch andere
als Griechen bezeichneten. Vgl. Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 290f., 311.
566
Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103.
567
Panessa: Le comunità greche, S. 19.
568
Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 322-331.
563
126
Neapel, wo sie bald Teil der blühenden (griechischen) Netzwerke und so zu dynamischen
Kräften im ökonomischen Stadtleben wurden.569 Um 1549 sollen bereits 200 Familien in
Ancona gelebt haben, 1570 geht man von 1’000 Griechen in Ancona aus, (bei einer
Gesamtbevölkerung von etwa 18'500), 1589 werden 150 orthodoxe Griechen plus ein paar
Dutzend katholische Griechen angegeben.570
Die orthodoxen Griechen genossen wie andere Gemeinschaften auch gewisse Privilegien.
1524 bestätigte Papst Clemens VII den Beschluss des anconitanischen Bischofs Alessandro
Farnese, der den orthodoxen Griechen die Kirche Santa Anna schenkte, wo sie ihren Glauben
frei zelebrieren konnten, obwohl sie von der römischen Kirche abgetrennt waren, die sie
jedoch lange Zeit in Ruhe liess.571 Während die lokalen Geistlichen keine Bedenken
verkündeten, setzte der Papst die Bedingungen fest, dass eine jährliche Gebühr von einem
Pfund Weisswachs zu entrichten sei und dass die Kirche von einem griechischen Priester
geleitet werde, der direkt vom Heiligen Stuhl abhängig sein musste.572
Die Griechen nutzten ihre Freiheiten und loteten ihre Grenzen aus. Nicht selten wurden
Verstösse bekannt, wie etwa Scheidungen und Fastenbrüche. Auch die Gebühr an die Camera
Apostolica (päpstliche Finanzbehörde) wurde nicht immer bezahlt. Der Erlass von 1524
befreite die griechische Gemeinde vom Gehorsam gegenüber dem Bischof von Ancona und
erlaubte ihnen, griechisch(-orthodox) zu leben.573 Schon vor 1550 bestand eine griechische
Bruderschaft in Ancona. Giancarli erwähnt eine Venerabile Compagnia dei Greci, die 1599
einen zypriotischen Kunstmaler engagiert hatte, um die Fresken der Kirche Santa Anna zu
restaurieren. Ab 1622 existierte in der Stadt zudem eine griechische Schule.574
Diese religiösen und kulturellen, aber auch finanzielle Annehmlichkeiten verdienten sich die
Griechen durch ihre grosse wirtschaftliche Stärke. Am 2. August 1582 erliess Gregor XIII der
griechisch-orthodoxen Gemeinschaft Teile der Grundgebühr an die apostolische Gemeinde,
569
Nach einem missglückten Aufstand gegen die Osmanen in Koroni (heutiges Peloponnes) 1532 gründeten die
Griechen eine Gemeinde in Neapel. Ähnliche Schicksale machten die Albaner, Slawen und Armenier durch.
Auch sie siedelten sich auf der Apenninhalbinsel an. Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103.
570
Zahlen aus: Harris, Porfyriou: The Greek Diaspora, S. 69; Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103,
109 (Gemäss Domenichini waren die griechischen Katholiken den Orthodoxen quantitativ immer unterlegen);
Jan Wladyslaw Wos’: La comunità greca di Ancona alle fine del secolo XVI. In: Studia Picena 46 (1979), S. 20.
571
Einige Historiker gehen davon aus, dass die Kirche lange dem Patriarchat von Istanbul zugeordnet wurde.
Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103. In der Bulle von Clemens VII vom 21. August 1524 wurde
nicht nur die Übergabe der Kirche an die Griechen bestätigt, sondern nebenbei gestattete der Papst den
ausländischen Händlern, die nach Ancona kamen, bevor dort die Pest von Recanati ausbrechen konnte, eine
Franchigia (Zoll- und Steuerbefreiung). Siehe Indice della Cronaca di Camillo Albertini. Kopie aus dem Jahre
1893. Hg. von Paolo Picozzi. Wiederum kopiert vom Archivio di Stato di Ancona. Original in der BCA, S. 74.
572
Wos’: La comunità greca di Ancona, S. 21.
573
Wos’: La comunità greca di Ancona, S. 22.
574
Siehe dazu Harris, Porfyriou: The Greek diaspora, S. 67; Giancarli: Una koinè adriatica, S. 131f.
127
da der Kirchenstaat gemäss dem Papst bereits viel von den Griechen und ihren Waren
profitiert hatte.575
Die griechische Kolonie überlebte die Herrschaft der Päpste über Ancona, welche 1532
begann. Doch herrschte nach dem Konzil von Trient (1545-1563), vor allem im 17.
Jahrhundert, im Zuge der Gegenreformation ein Klima der religiösen Intoleranz vor. Diese
traf auch die orthodoxe Kirche, so dass viele Griechen nach Livorno oder anderswohin
emigrierten.576 Zahlreiche griechisch-orthodoxe Osmanen, die in den Westen gingen,
bevorzugten Städte wie Wien oder Triest. So kam es, dass im 18. Jahrhundert die osmanische
Handelsdiaspora in Ancona vor allem zur jüdischen oder armenischen Gemeinschaft gehörte
und weniger zur orthodoxen Kirche.577
Der Vikar Giovanni Battista Santi wurde von Papst Clemens VIII am 18. März 1595 mittels
einer kurzen Verordnung ermächtigt, die Kirche Santa Anna aufzusuchen und Reformen
einzuleiten, damit die Kirche in Zukunft den tridentinischen Beschlüssen entsprechend
geführt werde. Unterstützt wurde er dabei von Marco Savari, einem katholischen Griechen
aus Ancona, der von Kardinal G.A. Santori als Priester in die griechische Gemeinde
eingesetzt wurde. Savari, katholisch und orthodox lehrend – bis 1594 gab es nur orthodoxe
Priester – ging streng gegen die Gemeindemitglieder vor, die sich antikatholisch benahmen,
und er löste die Gemeinde vom Patriarchat in Istanbul los. Trotz den Bemühungen der
römischen Kirche griffen die Neuerungen nur langsam und verliefen nicht reibungslos. Die
Griechen galten weiterhin als Barbaren, wie sich Santi ausdrückte. Noch 1597 meinte der
Bischof von Ancona, dass die Griechen, die in seiner Stadt lebten, niederträchtige und
einfältige Personen seien.578
Doch sollte der Religion nicht zuviel Beachtung geschenkt werden, da doch mehr die
ökonomischen Verhältnisse als die religiösen Faktoren für den Zuzug oder den Weggang der
Griechen nach respektive aus Ancona verantwortlich waren. Religiöse Ressentiments konnten
die griechische Wanderlust kaum einschränken. Händler aus Chios, Patmos und Korfu
kauften und verkauften im florierenden 16. Jahrhundert (um 1589) in Ancona Waren aller Art
und in allen Preisklassen. Reiche Händler leisteten sich florentinische Stoffe von mehreren
Tausend Scudi, während sich einfache Griechen mit Pferden für acht Scudi eindeckten.579
Viele Griechen waren im maritimen Transportwesen beschäftigt. Assan Rays, Muslim aus
Modon (Griechenland), und die Griechen Todorino Cosma aus Ioannina, Giovanni Covuoli
575
Wos’: La comunità greca di Ancona, S. 21.
Panessa: Le comunità greche, S. 19.
577
Inalcik: An Economic and Social History, S. 699.
578
Wos’: La comunità greca di Ancona, S. 23f.
579
Giancarli: Una koinè adriatica, S. 132.
576
128
aus Athen, Nicolo Rafti aus Athen und Nicolo Vulgari aus Zante verkauften im Monat Juli
des Jahres 1624 ein Schiff an einen Anconitani.580
Für eine langfristige Anwesenheit einiger Griechen in Ancona (oder anderen italienischen
Städten) spricht, dass viele von ihnen italienisch sprachen. Der Geschäftsmann und Kapitän
Manoglu Marenzu aus Lefkada (Griechenland) konnte sich 1624 in der griechischen und der
italienischen Sprache verständigen.581
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts liefen die Geschäfte schlechter. Viele Griechen verliessen
die Stadt, als die Adria an wirtschaftlicher Bedeutung verlor, sie kamen erst wieder als
Zollfreiheiten und der porto franco (1732) einen erneuten Umschwung einleiteten. Darunter
waren nicht nur Griechen aus dem heutigen Griechenland, daneben gab es zahlreiche
balkanische Griechen, die sich zur Orthodoxie bekannten.582 Griechische Kaufleute waren
also schon lange in Ancona ansässig, doch erst im 18. Jahrhundert erweiterten sie ihre
Handelstätigkeit.583
Die soziale Zusammensetzung der Griechen in Ancona im 18. Jahrhundert lässt sich ähnlich
wie vorhin bei den Ragusanern beschreiben. Die meisten Griechen, orthodoxe wie
katholische, lebten und arbeiteten im 18. Jahrhundert in ein und derselben Kirchengemeinde,
Santa Maria della Piazza, die nahe am Hafen gelegen war und wo neben Griechen auch
andere Diasporagemeinschaften zuhause waren, zum Beispiel protestantische Konsule und
Armenier, aber auch einige der angesehensten und aufstrebendsten Familien der Stadt, wie die
Ferrettis oder die Ricottis, und einige Kleriker. Doch auch Soldaten, Krämer und kleine
Handwerker waren dort ansässig, kaum aber Personen, die das Meer nutzten (Fischer,
Seeleute etc.). Die Griechen verdienten ihr Geld hauptsächlich als Mantelhändler
(cappottari), Katholiken wie Orthodoxe. Die Griechen besassen zudem Schneiderateliers und
Kaffeehäuser. Anders verhielt es sich beim Zivilstand, dort lassen sich Unterschiede zwischen
den beiden Gruppen ausmachen. Während die Orthodoxen vorwiegend ledige Männer waren,
die sich in einer geschlossenen Gruppe bewegten und meistens nur kurze Zeit in der Stadt
verbrachten, lebten die Katholiken mit Frau und Kindern zusammen.584
580
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 173h-174h. Auch im August und September
1624 verkauften Griechen (aus Modon, Kreta und Lefkada) Schiffe in Ancona. ASAN, A.N.AN, Francesco
Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 183 und 195.
581
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 182, 219.
582
1710: 5 Griechen; 1791: 75 Griechen. Diese bescheidene Anzahl täuscht über die Wichtigkeit ihres Beitrages
zur Entwicklung der Stadt Ancona im 18. Jahrhundert hinweg, der alles andere als vernachlässigbar ist.
Domenichini: La piccola comunità greca, S. 104f., 109.
583
Sakis Gekas: The Merchants of the Ionian Islands between East and West: Forming international and local
networks. In: Spinning the Commercial Web. International Trade, Merchants, and Commercial Cities, c. 1640 –
1939. Hg. von Margrit Schulte-Beerbühl, Jörg Vögele. Frankfurt a. M. 2004, S. 47.
584
Domenichini: La piccola comunità greca, S. 105f.
129
Im 19. Jahrhundert weiteten die Griechen ihre Aktivitäten aus. Neben Mantelhändlern und
Wirten erschienen nun auch Garn- und Tuchhändler sowie Besitzer, Industrielle und Makler.
Die meisten von ihnen kamen aus Arta und Ioannina, weitere aus Bosnien, Dalmatien und
Albanien. Die Griechen integrierten sich nun auch besser in die anconitanische Gesellschaft,
was sich in gemischten Ehen zeigte und ihr Wohnort konzentrierte sich nicht mehr nur auf ein
Viertel. Sie zogen in andere Viertel um, bevorzugt in kulturell attraktive Begegnungszentren,
zum Beispiel dorthin, wo es Theaterhäuser gab.585
Ancona blieb im 19. Jahrhundert ein wichtiger Bezugspunkt der griechischen Diaspora,
woran die politische Situation im östlichen Europa, von Österreich bis Griechenland, nicht
ganz unschuldig war.586
Armenier
Auch die armenischen Wanderungsbewegungen wurden stets durch grosse politische
Umwälzungen konditioniert. Armenier waren schon im Mittelalter in Italien anzutreffen.
Armenische Generäle, Soldaten und Händler vertraten das byzantinische Reich in Ravenna (6.
und 7. Jahrhundert), armenische Mönche und andere Gläubige verliessen den Orient in
Richtung Westen zu Zeiten des Bildersturms unter Konstantin V (741-775). Im 9. und 10.
Jahrhundert dienten Armenier weiterhin im Heer und in der Verwaltung der byzantinischen
Gebiete auf der Apenninhalbinsel, während in Rom und Florenz armenische Klöster
entstanden, mit der Folge, dass armenische Heilige, wie San Davino oder Simeone, auch in
Italien verbreitet und verehrt wurden. Im 12. Jahrhundert begann eine neue Ära der
armenisch-italienischen Beziehungen. Das armenische Königreich von Kilikien und die
Kreuzzüge brachten die Armenier näher an die katholische Kirche in Rom. In den folgenden
beiden Jahrhunderten nahm dementsprechend die armenische Einwanderung in Italien zu, vor
allem nach dem Zerfall des Königreiches 1375, als sich die armenische der römischen Kirche
585
Domenichini: La piccola comunità greca, S. 110f.
Im Jahre 1814 vernahm die Stadt einen Zulauf von 1’500 Griechen aus dem österreichischen Galizien. Sie
litten unter Einschränkungen ihrer religiösen Freiheit. 1834 wurde ihnen die Kirche Santa Anna entzogen, wie
auch die nachfolgende Kirche, weshalb die Griechen ihre Gottesdienste in einer Kapelle durchführen mussten.
Während der Griechischen Revolution 1821 flohen viele Griechen nach Ancona, um dort Unterschlupf zu
finden. In den Jahren 1820 bis 1830 bemühten sich die Griechen in Ancona, den Flüchtlingen beim Unterhalt
finanziell zu helfen. Sie beanspruchten dabei die Hilfe ihrer Glaubensbrüder in Livorno.
Weiter wurde in diesen kritischen Jahren des Kampfes um die Unabhängigkeit die griechische Schule auch für
die Kinder der Vertrieben geöffnet. Von Ancona aus gelangte der erste Staatschef des freien Griechenland
Ioannis Kapodistrias 1827 in seine Heimat, wo er von 1828 bis 1831 regierte.
Während der französischen Besatzung Anconas (ab 1797) in der Regierungszeit von Ludwig Philipp (18301848) wurde die Agenzia della Rivoluzione Greca unter der Leitung von Konstantinos Stamatis gegründet.
Durch seine guten Kontakte nach Frankreich, vor allem zu Talleyrand, wurde er beauftragt, die griechischen
Herrscher zu überzeugen, mit den Franzosen zu kollaborieren. Panessa: Le comunità greche, S. 19f.
586
130
anschloss. Die beliebtesten Gebiete waren die Poebene, die Adriaküste (Ancona
eingeschlossen), Zentralitalien und die tyrrhenische Küste.587 Die sichtbaren Ergebnisse der
Ansiedelung waren die armenischen Kirchen – 22 in ganz Italien zwischen 1240 und 1350.
Ihnen angegliedert waren Gasthäuser (ospizi genannt) für Armenier, die auf der Durchreise
waren. Die armenische Diaspora blühte zwischen 1200 und 1400 auf und besass im Bischof
T’omas (1380 gestorben) ein Aushängeschild.588 Im 16. Jahrhundert gesellte sich zu den
bisherigen Gemeinden diejenige von Livorno dazu, die einen eigenen Priester stellen
konnte.589
Schaut man sich das gesamte zweite Jahrtausend an, so kommt man zum Schluss, dass gegen
Mitte des 14. Jahrhunderts der Höhepunkt der armenischen Präsenz in Italien zu beobachten
war. Die unzähligen ospizi zeugten von der ungebremsten Reiselust der Pilger und Händler,
die Klöster machten sich durch kulturelle und literarische Publikationen einen Namen. Die
kollektive Organisation innerhalb der Gruppe war fortgeschritten und wurde bewusst
betrieben. Je nach politischer Grosswetterlage kamen die Armenier zwischen 1200 und 1800
aus anderen Gegenden nach Italien, je nach Bedingungen, die sich vorfanden, wählten sie ihr
Ziel aus. Zu Beginn bestimmte das Königreich Kilikien den gegenseitigen Austausch, darauf
folgten die Armenier aus Caffa von der Krimhalbinsel (heutige Ukraine), gefolgt von den
Armeniern aus Neu Julfa, aus Indien und aus den osmanischen Städten Istanbul und Izmir. In
den Hafen- und Handelsstädten Ancona und Livorno fanden sich konsequenterweise
hauptsächlich Kaufleute ein. Sie suchten ökonomische Herausforderungen oder wurden von
den Mamelucken und den Osmanen vertrieben, die nach Armenien (Kleinasien)
eindrangen.590 Wie Levon Boghos Zekiyan ausdrücklich betont, waren die Interessen im
Handelswesen gegenseitig, beide Seiten profitierten davon. Die Armenier brachten materielle
Ressourcen mit nach Italien, im Gegenzug suchten sie in der Ferne den eigenen Erfolg. Nicht
immer resultierten aus der Zusammenarbeit greifbare Produkte. Als Begleiterscheinung zu
587
Seit dem 13. Jahrhundert gibt es Spuren einer armenischen Präsenz in Ancona. 1261 erlaubte es Papst Urban
IV, armenischen Pilgern helfen zu dürfen. Der Mönchsorden der Basilianer stellte sein Kloster und die Kirche
Santa Caterina d’Alessandria für die Armen-, Kranken- und Pilgerfürsorge zur Verfügung. In ihrer Schreibstube
wurden liturgische Schriften in armenischer Sprache verfasst. Irene Sacco: Mastro Pellegrino pittore in Ancona.
Tesi di laurea. Urbino 1999/2000, S. 12.
588
Levon Boghos Zekiyan: Gli Armeni in Italia. In: Trent’anni di presenza nel mondo. Quaderni del Trentennale
1975-2005. Quaderno 8. Hg. von Antonio Gargano. Napoli 2005, S. 436f.
589
Diese bestand bis zum Zweiten Weltkrieg, im Gegensatz zu vielen Anderen, die bereits im 18. Jahrhundert
zerfielen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts, eine Blütezeit Livornos und ihrer ausländischen Bewohner, lebten um
die 130 Armenier in Livorno, eine bescheidene Anzahl, die aber für die Zeit, als die Städte noch nicht so gross
waren wie heute – infolge der noch nicht fortgeschrittenen Urbanisierung – und die Gesellschaft doch eher
geschlossen war für Neuzuzüger, doch beachtlich war. In dieser Summe fehlen zudem noch diejenigen
zahlreichen Armenier, die sich nicht langfristig niedergelassen haben, und die italienisch-armenischen
Mischehen, für die es unter anderem in Venedig über 200 Hinweise gibt. Zekiyan: Gli Armeni in Italia, S. 444f.
590
Sacco: Mastro Pellegrino, S. 13.
131
den ökonomischen Vorlieben entstanden auch gewinnlosgelöste Treffpunkte: die gegenseitige
Wertschätzung, die Anerkennung sowie kulturelle und spirituelle Ausdrucksformen.591
Die armenische Gemeinde Anconas war im 16. Jahrhundert ziemlich gross und lebendig.
Unter den 12'000 Einwohnern gab es 1580 nicht nur etwa 2'700 Juden und 1'000 Griechen,
sondern auch ein beträchtliche Gruppe Armenier, die meisten unter ihnen Kaufleute, welche
sich in der Compagnia S. Anastasia zusammenfanden.592 Ihre Kirche, ab 1580 die S.
Anastasia im Hafenquartier, kümmerte sich um die Pilger und war karikativ tätig.593 Das dazu
gehörende Kloster belebte die armenische Kultur, indem es in seinem Skriptorium Bücher ins
Armenische übersetzte.594 Anders als die Juden und die Muslime arbeiteten die Armenier eng
mit der katholischen Kirche zusammen. Durch die soziale und spirituelle Integration sollten
die eigenen Traditionen bewahrt bleiben. Die Spuren der armenischen Kirche lassen sich bis
1860 verfolgen, als das Kloster enteignet und zu einem Jugendgefängnis umfunktioniert
wurde. Auch die beiden Kirchen werden heute nicht mehr genutzt. S. Anastasia wurde
zerstört und S. Bartolomeo ist am Verfallen.595
Im 17. Jahrhundert, als Ancona wirtschaftlich an Bedeutung verlor, fanden sich immer noch
vereinzelt Hinweise auf eine armenische Betriebsamkeit in Ancona. Der Adriahafen verlor
nicht postwendend an Attraktivität. 1621 landeten die drei armenischen Kaufleute Giorgio
und Simone Melchiorri und Giovanni Salvatore in Ancona. Sie kamen mit einem
französischen Boot an und mussten dementsprechend für die Fahrt und den Transport ihrer
Waren bezahlen. Sie hatten nicht gerade wenige Erzeugnisse mitgebracht. Der Kaufmann
Petrobelli aus Bergamo kaufte bei ihnen für 1’964 Scudi Leinen aus Alexandria ein. Die
Florentiner Leone und Tommaso Betti deckten sich ebenfalls mit diesen Leinen ein. Dass die
Armenier in so kurzer Zeit so grosse Verträge abschlossen, zeugt laut Giancarli davon, dass
sie den Handelplatz Ancona bereits gut kannten, sprich schon vorher hier waren, auch wenn
Quellen dazu fehlen.596
591
Zekiyan: Gli Armeni in Italia, S. 445f. Noch 1793 nahmen die Armenier die Kirche S. Gregorio illuminatore
in Besitz. Indice della Cronaca di Camillo Albertini. Kopie aus dem Jahre 1893. Hg. von Paolo Picozzi.
Wiederum kopiert vom Archivio di Stato di Ancona. Original in der BCA, S. 52.
592
Morten Steen Hansen: Celebrating the Armenian Faith: Giorgio Morato and Pellegrino Tibaldi in the
Cathedral of Ancona. In: Analecta Romana Instituti Danici 24 (1997), S. 86.
593
Hinweis auf den italienisch und armenisch sprechenden Priester Dominico aus Armenien, der in einer
anconitanischen Notariatsakte (April 1591) auftaucht. ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1590-1591, Nr. 865,
Blatt 45h-46v.
594
Sacco: Mastro Pellegrino, S. 7.
595
Sacco: Mastro Pellegrino, S. 8.
596
Giancarli: Una koinè adriatica, S. 49f; Tommaso Giancarli: Il Levante Ottomano e la Marca di Ancona nell’
età moderna. Tesi di Laurea. Roma 2004/2005, S. 50, 125f.
132
Westeuropäer
Dass wirtschaftlicher Eifer durch religiöse und kulturelle Unterschiede kaum gebremst
werden konnte, zeigten nicht nur muslimische, griechische sowie armenische, sondern auch
westeuropäische
Kaufleute.
Auch
sie
legten
weite
Wege
zurück
und
mussten
Verschiedenheiten (Sprache, Religion) ausbalancieren.
Ab dem 14. Jahrhundert erweiterten sich die anconitanischen Handelskontakte auf den
nordalpinen Raum, was zur Folge hatte, dass nun auch Kaufleute aus Regensburg, Wien,
Köln, München, Brügge, Antwerpen und London im zollgünstigen Ancona ihre Geschäfte
tätigten. Diese Tendenz steigerte sich rasant im 15., 16. und zu Beginn des 17.
Jahrhunderts.597 Auch nordwesteuropäische Kapitäne fuhren zu dieser Zeit Ancona an.598
Sehr aktiv in Ancona, da immer wieder in den Notariatsakten auftauchend, war der flämische
Kaufmann Embertus Van Loosen, ursprünglich aus der Region Brabant, dessen Sohn Martino
Van Loosen in Venedig dem Handel nachging. Embertus mietete im April 1623 ein Haus in
Ancona. Auch Mathiam/Mathias Van Loosen, ein Bruder von Embertus, betätigte sich 1624
als Händler in Ancona.599
Ein weiterer Mann aus dem Norden mit grossem Renommee und prominenten
gesellschaftlichen Kontakten war der Flame Baldassare Vandergoes. Er vereinte den Händler,
Schiffsvermittler, Konsul und Kulturveranstalter in einer Person. In seiner Villa in Ancona
wurden 1652 Komödien aufgeführt. Unter den Gästen befanden sich hohe Würdenträger:
Zwei Kardinäle und ein Magistrat (städtischer Amtsträger).600 Vandergoes wurde 1694 in der
Chiesa dell’Incoronata beigesetzt.601
Gegen Ende des 17. Jahrhundert schienen die Ponentiner aufgrund der wirtschaftlichen Krise
kaum mehr präsent gewesen zu sein.602 Erst wieder im folgenden Jahrhundert spricht man von
597
Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 285 und 331f.
Hinweis auf den vermutlich englischen Kapitän Roberto Matthew, der 1603 mit seinem Schiff in Ancona
anlegte. Da er gut Englisch, aber kein Italienisch sprach, wurde Tomasso Mosgronio aus London als
Dolmetscher eingesetzt, da dieser beide Sprachen beherrschte. ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1602-1603,
Nr. 869, Blatt 371v. Andrea Bottoni da Olivera aus Frankreich war Kapitän und Eigentümer eines Schiffes. Er
bereiste im Sommer 1621 Durres, Vlora und Kefalonia (Griechenland), um Getreide und andere Waren nach
Ancona zu holen. ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 76h-77v.
599
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 51h, 81v, 89h, 148h, 206v, 224v, 248h;
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 42h, 44h-45h, 62v, 83v, 92h, 157, 159v-160v.
600
Aus den Notizen von Albertini geht hervor, dass die Sitzordnung bei der Vorführung genau geregelt wurde.
Der Maestro di Camera (eine Art Hausmeister) des Kardinals Costanti schrieb vor, dass in der ersten Reihe die
Kardinäle, dahinter der Magistrat und danach die Brüder der Kardinäle sitzen mussten. Auch im Lager des
Arsenals, wo in diesem Jahr (1652) Theateraufführungen inszeniert wurden, galt diese Reihenfolge. Siehe BCA,
Manoscritto 264, Camillo Albertini, Storia d’Ancona, Lib. XII, Parte Seconda, 1611 al 1700, Addizione, Blatt
50h-51v.
601
Hinweis auf den Grabstein von Vandergoes bei BCA, Manoscritto 262, Camillo Albertini, Storia d’Ancona,
Lib. XI, Parte Seconda, 1550 al 1563, Addizione, Blatt 32v.
602
Wie Marco Moroni in einem noch nicht veröffentlichten Aufsatz hinweist, nahmen die nordischen Schiffe
und Waren in Ancona in den Jahren 1632 bis 1660 langsam aber stetig zu. Die französische Vorherrschaft im
598
133
ihnen. Von der Attraktivität der Messe von Senigallia, Treffpunkt der europäischen Industrie
mit der Levante, profitierte auch Ancona. Diese günstige Begleiterscheinung sowie der porto
franco ab 1732 reizten nicht nur die Händler an der Adriaküste. Die gewichtigsten
Seenationen des Atlantischen Ozeans – Frankreich, England, Skandinavien603 und Holland –
brachten mit ihren Kaufleuten Kolonialwaren mit. Ihre Besitzer steuerten vermehrt Ancona
an, wo sie das Handelswesen fest an sich rissen.604 Alberto Caracciolo ergänzt, dass es sich
bei den Personen aus der Ponente nicht nur um Händler handelte, sondern auch um Bankiers,
und dass sich unter den Neuankömmlingen auch Vertreter aus Russland (vor allem Moskau)
befanden.605
Sie alle kamen an die westliche Adriaküste, um einerseits dauerhafte Handelshäuser
aufzubauen und andererseits, dies war öfters der Fall, um beim Besuch in der Stadt
Verhandlungen aufzunehmen und Projekte zu lancieren, die die wirtschaftlichen Beziehungen
zwischen dem Mutterland und Ancona intensivieren sollten.606
Muslimische, griechische, armenische und westeuropäische Geschäftsleute kamen trotz
weiten Wegen und fast gänzlich fehlenden Gemeinsamkeiten in den katholischen
Kirchenstaat nach Ancona. Ihr mit dem Papst und seinen Helfern in Ancona geteiltes
Interesse, möglichts viele Waren an- und verkaufen zu können, war der Leitfaden für die
Wahl Ancona.
6.1.3 Wahl Livorno trotz Distanz und Divergenzen: Aus Südosten und Nordwesten
In Livorno fanden sich neben den benachbarten italienischen Kaufleuten aus Florenz oder
Mailand auch immer Menschen ein, die auf ihrer mentalen Landkarte grössere Distanzen
überwinden mussten, um in der Toskana der Medici anzukommen. Der Weg war lang und
steinig, doch die wirtschaftlichen Möglichkeiten räumten religiöse und kulturelle Hindernisse
grösstenteils aus dem Weg.
Wie auch in Ancona waren es Griechen, Armenier, Westeuropäer und zusätzlich noch
Arabischsprechende, die in Livorno das mediterrane Handelswesen an sich rissen und ihre
Vorstellungen vom Arbeitsleben in der Stadt auslebten.
Handel zwischen der Levante und Ancona hielt sich aber bis ans Ende des 17. Jahrhunderts, die holländische
und englische Übernahme dieser Geschäfte lief um 1650 erst gerade an. Die Ponentisierung der Adria vollzog
sich erst im 18. Jahrhundert. Marco Moroni: Movimento portuale e commercio di importazione ad Ancona nella
prima metà del Seicento. Noch nicht veröffentlicht, Stand 19.06.2009.
603
Von Schweden und Dänemark ist hier oft die Rede, so auch bei Caracciolo: L’economia regionale, S. 157f.
604
Moroni: Ancona città mercantile, S. 106.
605
Caracciolo: L’economia regionale, S. 157.
606
Caracciolo: L’economia regionale, S. 157.
134
Griechen
Eine erste Gruppe, die aus dem Osten und aus dem Süden kam, waren die Griechen. Es gibt
verschiedene Begriffe, um die Personen zu beschreiben, die in Livorno als Griechen
bezeichnet wurden. Während Diaspora lediglich in der Wissenschaft verwendet wird, kommt
das Wort homogeneia dann zum Zuge, wenn es um Griechen im osmanischen Reich geht, die
im millet-System lebten. Diese Griechen, die bis ins 20. Jahrhundert dort lebten, werden
gewöhnlich nicht als Diasporagruppen bezeichnet, da sie sich schon immer dort aufhielten.
Sie galten als normale, einheimische Griechen. Der Terminus „merchant communities settled
abroad“ ist in der Wissenschaft ebenfalls geläufig, wobei community oft mit dem griechischen
Wort paroikia getauscht wird. Damit sind unter anderem die griechischen Kaufleute auf der
Apenninhalbinsel gemeint.607
Die griechische Gemeinschaft wird in der Fachliteratur oft zweigeteilt. Während Giancarlo
Nuti zwischen Greci Uniti und Greci Scismatici unterscheidet,608 teilt Giangiacomo Panessa
die griechische Gemeinschaft in die Nazione Greco-Unita und die Nazione Greco
Orientale.609 Zu Beginn der griechischen Ansiedelung (16. Jahrhundert) gab es keinen
Unterschied zwischen den unierten (rito latino) und den orthodoxen Griechen (rito bizantino).
Die griechischen Kirchen wurden zuerst von beiden Richtungen benutzt. Erst später, gestützt
auf eine Verordnung von Franz Stephan aus dem Jahre 1757, wurden die Schismatiker aus der
gemeinsamen Kirche ausgeschlossen. Sie spalteten sich ab und gründeten eine eigene Kirche
mit eigenen Schulen.
Die Ankunft der Griechen in Livorno war der Wunsch Cosimos I, der damit den toskanischen
Handel mit dem Orient ankurbeln, die Piraterie bekämpfen und die dünn besiedelten Gebiete
seines Reiches bevölkern wollte. Dazu förderte er zahlreiche Eheschliessungen zwischen den
von den osmanischen Truppen geflüchteten Griechen und Frauen aus Portoferraio und
Livorno. Die ersten Griechen gelangten gegen Ende des 16. Jahrhunderts von Ancona nach
Livorno.610 Diese unierten Griechen, katholisch und orthodox praktizierend, dienten in
607
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 149f.
Nuti: Livorno, il porto, S. 344.
609
Panessa: Nazioni e Consolati in Livorno, S. 137.
610
Nach Harris und Porfyriou: 1561-1567. Vgl. Harris, Porfyriou: The Greek diaspora, S. 70. Nach Panessa:
1572-1574. Vgl. Panessa: Le comunità greche, S. 33.
608
135
Livorno hauptsächlich im Ritterorden San Stefano, 1561 von Cosimo I gegründet, wo sie die
Küstegebiete gegen Piraten verteidigten.611 Sie galten als erfahrene und aktive Seeleute.
Sie lebten nach Aussage von Giancarlo Nuti und Giangiacomo Panessa im eigens für sie ab
1597 erbauten Quartier (Borgo dei Greci), sprich am Ufer gelegenen Gebiet um die Kirche
San Jacopo in Acquaviva, die Cosimo I ihnen 1567 überlassen hatte, und zählten im Jahre
1626 bereits 80 Familien oder etwa 530 Einzelpersonen.612 Francesca Funis bezweifelt, dass
die livornesischen Griechen schon im 16. Jahrhundert wirklich nahe ihrer Kirche wohnten.613
Sie führt aus, dass die Griechen je nach sozialer Stellung in der Stadt verteilt waren. Viele
griechische Seeleute waren in bescheidenen Häusern an der Via Greca beheimatet. Diese
Strasse lag direkt am Hafen in Livorno Nuovo und beherbergte auch Toskaner, die beim
Stadtaufbau als Maurer oder Steinmetze mithalfen. Reichere Griechen (Kaufleute) zogen
vornehmere Strassen mit grösseren Gebäuden vor, wenn nicht sogar die Hauptstrasse Via
Ferdinanda. Die Kirche San Jacopo in Acquaviva lag zudem zirka eine Meile südlich der
Stadt und war gemäss Funis nicht von Wohnhäusern umgeben.614 Viele Griechen zogen erst
mit der Einweihung der neuen Kirche 1606 in die Nähe ihres Gotteshauses, wie es in
zahlreichen anderen italienischen Städten auch üblich war.615 Da die alte Kirche bald zu klein
wurde, liess Ferdinando I an der Via della Madonna ab 1601 eine Neue bauen, die Chiesa
della Santissima Annunziata.616 Diese lag in einem von Ferdinando I für Gotteshäuser
reservierten Gelände, gleich neben zwei anderen (katholischen) Kirchen. 1620 wurde ein
Glockenturm hinzugefügt, 1638 ein neues hölzernes Portal. Die Rechnungen für diese
Baumassnahmen übernahmen spendable Gemeindemitglieder oder es wurde eine Steuer auf
griechische Schiffe erhoben, die den Hafen nutzten.617 Überdies erlaubten im März 1659 die
toskanischen Machthaber der griechischen Nation in Livorno mittels einer Gratia
(Gefälligkeit), dass die Güter (mobil und immobil) und die geschuldeten Guthaben, die in
611
Doch nicht immer gelang der Schutz vor den Piraten. Der levantinische Grieche Caram di Michele da Caam
verlangte am 11. November 1660 Schadenersatz für seine Ware, die von Korsaren gestohlen wurde. ASL,
Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 169.
612
Nuti: Livorno, il porto, S. 344. Das Viertel erfüllte zwei Zwecke: Erstens als Abwehrmauer gegen Piraten und
es lag weit entfernt von den malariagefährdeten Sümpfen, auf dessen hygienisch-ungesunde Umgebung die
Griechen sensibel reagierten. Panessa: Le comunità greche, S. 34.
613
Francesca Funis: Gli insediamenti dei greci a Livorno tra Cinquecento e Seicento. In: La città cosmopolita.
Hg. von Donatella Calabi. Roma 2007, S. 61-75, bes. 68.
614
Ausser der Kirche gabe es in der Umgebung nur ein Lazarett (ab 1643), aber keine Dorfstrukturen. Funis: Gli
insediamenti dei greci a Livorno, S. 66. Die Kirche weit weg von der Stadt wurde den Griechen überlassen,
damit der orientalische, antirömische Ritus der Griechen in der Stadt nicht sichbar war. Siehe Funis: Gli
insediamenti dei greci a Livorno, S. 64.
615
In Venedig zum Beispiel konzentrierte sich die griechische Präsenz nahe der eigenen Kirche San Giorgio und
den Stätten der eigenen Beschäftigung. Harris, Porfyriou: The Greek diaspora, S. 76.
616
Panessa: Le comunità greche, S. 34.
617
Harris, Porfyriou: The Greek diaspora, S. 72.
136
keinem Testament erwähnt wurden und für die es keine Nachkommen gab, an die (arme)
Kirche abgegeben werden durften.618
Die katholischen Griechen einten sich in einer confraternita (Bruderschaft), die ab 1653
bestand.619 Schwieriger war die Situation der orthodoxen Griechen. Erst 1757 genehmigte der
Grossherzog nichtkatholische Gotteshäuser, worauf sich einige Griechen abspalteten.620
Neben Seeleuten, von denen zuerst nur wenige eigene Häuser besassen und eigene Läden
betrieben, zogen vor allem Händler nach Livorno. Griechische Kaufleute gab es schon seit
langer Zeit in Livorno. Das ionische Element war im 16. Jahrhundert in der griechischen
Gemeinde stark vertreten, besonders Personen aus Zante. Kurz nach 1600 organisierten sich
die Griechen in einer Nation, wie dies andere Händlergemeinschaften ebenso taten. 1654
wurden ihre Statuten von der Stadtverwaltung gebilligt.621
In der Amtszeit von Ferdinando I (1587-1609) festigte sich die griechische Präsenz. Neben
vielen spezialisierten Seeleuten lebten einige Unteroffiziere, drei Krämer, zwei Handwerker
und ein einziger Händler in der Stadt. Sie alle tendierten dazu, längerfristig dort zu bleiben.
Sie kauften sich Wohnstätten und gemischte sowie interne Ehen mehrten sich. Die neue
Kirche war ebenfalls ein Indiz für eine grössere griechische Gemeinde sowie für deren hohes
Ansehen in der hiesigen Gesellschaft. Diese kann mit der juristischen Anerkennung durch die
Behörden in Florenz gleichgesetzt werden. Gleichzeitig wurde die Gemeinde neu geordnet.
Als Repräsentationsorgan diente nun ein Komitee aus fünf Personen: Ein Gouverneur, drei
Berater und ein Schatzmeister. Die quantitative Vorherrschaft der Seeleute gegenüber den
Kaufleuten blieb bis weit ins 17. Jahrhundert bestehen.622
Im 18. Jahrhundert, profitierend von den turbulenten Zeiten nach dem Siebenjährigen Krieg
(1756-1763), der französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen, emigrierten
vorwiegend griechische Kaufleute von Kleinasien, Griechenland und dem Balkan in Richtung
Mittelmeer und Westeuropa und bildeten in den wichtigsten Finanz- und Handelszentren ihre
Gemeinschaften. Livorno war eines der Hauptzentren griechischer Handelsbestrebungen.
Durch den Freihafenstatus seit dem 16. Jahrhundert, verbunden mit der Möglichkeit, Waren
und Getreide lange Zeit zu lagern, nahm die Stadt bis ins 19. Jahrhundert eine strategisch
bedeutende Position ein im griechischen Handelsnetz zwischen dem Schwarzen Meer, dem
Mittelmeer und dem Nordatlantik. Ab dem späten 18. Jahrhundert liessen sich immer mehr
618
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 108, 109.
Panessa: Le comunità greche, S. 36.
620
Panessa: Le comunità greche, S. 40.
621
Harris, Porfyriou: The Greek diaspora, S. 67.
622
Doriana Popova Dell’Agata: Momenti e aspetti della presenza die Greci „uniti“ a Livorno. In: Livorno
crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale „Gramsci“ u.a.
Livorno 1992, S. 55f.
619
137
griechische Händler, Handwerker und Geschäftsinhaber in der Stadt am Tyrrhenischen Meer
nieder und erlangten dieselben Rechte wie die anderen Diasporagruppen seit dem 16.
Jahrhundert.623
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts besassen die Griechen, viele aus Chios,624 500 Warenhäuser
in Izmir. Die Grössten unter ihnen unterhielten Niederlassungen in ganz Europa, von Wien
bis Liverpool, auch in Livorno.625 Der politische und wirtschaftliche Aufstieg der
Phanarioten626 wirkte sich auch international aus. Griechische Händler schwärmten im 18.
Jahrhundert in Scharen nach Ancona, Livorno und Venedig, wo sie auf schon längere Zeit im
Handel aktive Landsleute trafen. Andere zog es nach Senigallia oder ins Königreich
Neapel.627
Andere Griechen, vor allem wohlhabende Händlerfamilien aus Izmir, Chios und Istanbul, die
im osmanischen Handel aktiv waren, verliessen ihre alte Heimat während des griechischen
Unabhängigkeitskrieges 1821-29 und liessen sich im Westen nieder, etwa in London,
Amsterdam oder Livorno. Städte, in denen sie auf bereits vorhandene familiäre und
geschäftliche Verbindungen trafen. Besonders reich und dementsprechend umfangreich aktiv
waren die Händler aus Chios. Sie beherrschten die Route zwischen England und dem
Schwarzen Meer, mit Niederlassungen in Marseille, Triest und Livorno. Der Ralli-Clan ist
nur ein Beispiel.628
Im 19. Jahrhundert befand sich die griechische Diaspora in einer Phase der Unruhe. Es galt zu
entscheiden, wo sie in Zukunft leben wollten, weiterhin im Exil, in der Diaspora oder im neu
entstandenen Nationalstaat Griechenland. Die Umwandlung der griechisch-ethnischen
Identität in eine nationale ausserhalb des griechischen Territoriums verlief trotz der
Nationalstaatsbildung Griechenlands nicht automatisch. Die radikalen Transformationen,
initiiert durch die industrielle und die politische Revolution im 19. Jahrhundert, lösten zwar
eine Heimwanderungswelle ins nun freie Griechenland aus.629 Doch die internationale
Tätigkeit der Griechen nahm kaum ab und der ethnische Charakter und die kommunale
Organisation überlebten bis ins späte 19. Jahrhundert.630
623
Despina Vlami: Commerce and identity in the Greek communities: Livorno in the eighteenth and nineteenth
centuries.
In: http://www.arts.yorku.ca/hist/tgallant/documents/vlamilivorno.pfd, Stand 28.04.2010, S. 1f.
624
Verbreitung und Aktivitäten einer dieser Familien von der Insel Chios: Marie-Carmen Smyrnelis: La diaspora
marchande grecque méditerranéenne (XVIII-XIX siècles) à travers le parcours d’une famille: les Baltazzi. In:
Arméniens et Grecs en diaspora: Approches comparatives. Hg. von Michel Bruneau u.a. Athen 2007, S. 85-92.
625
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 271.
626
Bezeichnung für einen Kreis wohlhabender und einflussreicher griechischer Adelsfamilien in Istanbul.
627
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 272.
628
Harlaftis: Mapping the Greek, 154f.
629
Vlami: Commerce and identity, S. 2.
630
Vlami: Commerce and identity, S. 7f.
138
Die Gemeinschaft der griechischen Kaufleute zeichnete sich dadurch aus, dass sie
gemeinsame ökonomische Interessen und Strategien verfolgten. Der ethnische Aspekt stand
dabei im Hintergrund. Die Mobilität war ein Ausdruck von Profitstreben durch familiäre und
wirtschaftliche Netzwerke im 18. und 19. Jahrhundert.631
Um diese griechische Diaspora fassbar zu machen, muss man ihren Schiffen folgen und die
Hafenstädte ausfindig machen, wo sie Halt machten. Dabei findet man selbstverständlich nur
die Elite der griechischen Diaspora, die proletarische Diaspora wird dabei ausgeblendet.632
Einige dieser Schiffe legten in Livorno an.
Im 16. Jahrhundert brachten griechische Geschäftsleute auf ihren Schiffen englisches Blei,
Zinn, Eisen und Kleider nach Livorno.633 Doch erst im 18. Jahrhundert traten sie in den
Mittelpunkt livornesischer Handelsaktivitäten.634 Der Handel zwischen den Exporthäfen wie
Izmir und Istanbul und den Weiterverarbeitungshäfen wie Livorno wurde zu grossen Teilen
durch die griechische Diaspora geregelt. Diese waren nicht nur wirtschaftlich aktiv, sondern
auch politisch und gesellschaftlich.635
Die Griechen brachten unter anderem Nahrungsmittel von Ost nach West. 1774 galten
Weizen und Mais als wichtige Exportgüter für die Stadt Arta in der Region Epirus. Die
Nahrung wurde nach Livorno verschifft, wo sie die hungrigen Mäuler füllte.636
Das 19. Jahrhundert gilt als goldene Zeitalter der griechischen Diaspora. Es gelang den
griechischen Händlern den internationalen Handel an sich zu reissen. Ihre Stärke zeigte sich
in ihrer Organisationsstruktur. Sie waren in Koalitionen vereint, wo das gegenseitige
Vertrauen und Ansehen eine starke Bindung herstellte. Weiter waren sie in der Lage, die
Geschäftskosten zu verringern, indem sie überall auf ihrer Handelsroute Agenten einsetzten,
die vor Ort die Kontrolle über alle Geschäfte in der Hand hielten, weil sie sich in der lokalen
Geschäftsgepflogenheiten gut auskannten.637 Livorno war in diesem grossen Netzwerk ein
„depot centre“638.
Dieses Netzwerk wurde durch die Flotte zusammengehalten. Die griechische Flotte
verdoppelte sich in den Jahren 1786 bis 1813, wobei die Französische Revolution und die ihr
631
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 150f.
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 147.
633
Maria Fusaro: Coping with Transition: Greek Merchants and Shipowners between Venice and England in the
Late Sixteenth Century. In: Diaspora Entrepreneurial Networks. Hg. von Ina Baghdiantz Mc Cabe u.a. Oxford
2005, S. 99, 107.
634
Gekas: The Merchants of the Ionian Islands, S. 47.
635
Fukasawa: Les lettres de change, S. 76.
636
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 274.
637
Ioanna Pepelasis Minoglou: Toward a Typology of Greek-diaspora Entrepreneurship. In: Diaspora
Entrepreneurial Networks. Hg. von Ina Baghdiantz Mc Cabe u.a. Oxford 2005, S. 176f.
638
Pepelasis: Toward a Typology, S. 177.
632
139
folgenden Kriege für die neutralen Griechen von Vorteil waren, weil dadurch die
konkurrierenden Flotten Maltas, Venedigs und Frankreichs aus dem Spiel genommen wurden,
jedenfalls für den levantinischen Raum. Ein lukrativer Geschäftsbereich, in dem die Griechen
vornehmlich profitierten, war exemplarisch der Getreidehandel. Vom Schwarzen Meer über
Venedig nach Cádiz und Frankreich versorgten sie Westeuropa mit Nahrung.639 Ionische
Kapitäne etwa leisteten Transportdienste im Mittelmeer, bis sie genug Geld zusammen hatten,
dann kauften sie in den Häfen des Schwarzen Meeres selber Getreide ein. Dieses verkauften
sie anschliessend gewinnbringend in Livorno, wo der Getreidehandel ebenfalls florierte und
für das Wohlergehen des Hafens eine wichtige Rolle spielte.640
Weiter entstanden in derselben Periode – als neuer, lukrativer Geschäftsbereich auf den
Ionischen Inseln – zahlreiche Schiffversicherungsgesellschaften, die ihre Tätigkeiten auf
etablierten Netzwerken zwischen den Inseln und den Hafenstädten Venedig, Triest, Odessa
und Livorno aufbauten. In Livorno etwa investierten griechische Händler 1788 in solche
Gesellschaften. Aufgrund des wirtschaftlichen Aufstiegs des toskanischen Freihafens nach der
Niederlage Napoleons gelangte viel Kapital nach Livorno, zum Beispiel aus Triest, wo es in
livornesische Gesellschaften angelegt wurde. Im Jahre 1817 gründeten griechische Kaufleute
eine weitere Versicherungsgesellschaft in Livorno.641
Neben Livorno und der Adria gab es auch am Schwarzen Meer (vor allem in Odessa)
Geschäftsleute, die im Versicherungswesen tätig waren und durch ihre Kontakte diese
Branche auf den Ionischen Inseln in Schwung brachten.642
Armenier
Eine zweite Gruppe in Livorno aus dem Osten stellten die Armenier dar, die hauptsächlich
aus dem osmanischen und dem persischen Reich eintrafen. Sie fielen äusserlich durch ihre
Kleidung auf. Im Gegensatz zu den Türken (weisser Turban) trugen die Armenier einen
schwarzen Turban als Identifikationscode.643
639
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 154.
Gekas: The Merchants of the Ionian Islands, S. 54f.
641
Sakis Gekas: Nineteenth-century Greek port towns. History, historiographie and comparison. The case of the
marine insurance companies. Paper presented at the New Researchers’ Session, Economic History Society
Annual
Conference,
Royal
Holloway,
April
2004.
In:
http://www.ehs.org.uk/ehs/conference2004/assets/gekas.doc, Stand 27.11.2008, S. 3.
642
Gekas: Nineteenth-century Greek port towns, S. 4.
643
Anna Rocchi: Il primo insediamento della nazione armena a Livorno. In: Gli Armeni a Livorno: L'intercultura
di una diaspora: Interventi nel Convegno “Memoria e cultura armena fra Livorno e l'Oriente: Catalogo della
Mostra “Gli Armeni a Livorno. Documenti e immagini di una presenza secolare. Hg. von Giangiacomo Panessa,
Massimo Sanacore. Livorno 2006, S. 83.
640
140
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kam eine erste Welle von Armeniern in Europa an, um dort
als Vermittler und Zwischenhändler aktiv zu werden, vor allem für die in die Levante
abgewanderten Europäer. Sie suchten Städte aus, die im Seehandel mit der Levante aktiv
waren, wie etwa Livorno. Viele der Neuankömmlinge kamen aus osmanischen Hafenstädten
(wie Izmir) oder aus Neu Julfa (Teil von Isfahan, Iran/Persien),644 aber auch aus anderen
Städten der italienischen Halbinsel.645
Schon 1551 lud Cosimo I Händler aus der Levante ein, darunter auch Armenier und Perser,
um ihnen Schutz und Arbeitsmöglichkeiten anzubieten. Die Livornina bekräftigte diese
Absichten. Luca Paolini geht davon aus, dass der toskanische Grossherzog bereits vor der
Livornina mittels armenischer Vermittler Handelskontakte mit Persien knüpfte, dass jedoch
die armenische Ansiedelung in Livorno erst im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts
anfing.646 Die Anzahl Armenier, die damals in Livorno lebten, stieg bald auf etwa
schätzungsweise 1'000 Individuen an, verteilt auf 200 Familien und 120 Unternehmen.647
Die Armenier organisierten sich in einer nazione mit einem eigenen Konsul.648 1624 wurde
Andrea Signorini zum Beschützer und Übersetzer der persischen und armenischen Nation
nominiert, zwei Jahre später war er der Konsul der beiden Nationen.649 Einige Jahre später
spaltete sich die Gemeinschaft. Die osmanischen Armenier waren auf die Medici und
toskanische Vermittler (Konsule) angewiesen, da sie keinen sicheren Status bei den Osmanen
hatten. Sie waren dementsprechend anfälliger für die katholischen Missionarsbestrebungen.
Die persischen Armenier, oft sehr reich, genossen den vollen Schutz der safawidischen
Schahs. Der Kaufmann Safer di Gaspero aus Neu Julfa weigerte sich 1624 den Toskaner als
644
Curtin: Cross-Cultural Trade, S. 199.
Bitte eines Armeniers aus Venedig, sich 1626 in Livorno niederlassen zu dürfen, um seine Erfahrung als
Vermittler zwischen Armeniern, Türken und Mauren anwenden zu können. ASL, Governatore e Auditore, Nr.
2602, Tomo II, S. 371 (507 = Original).
„Serenissimo Gran Duca
Piase di Giorgio Armeno habitante in Venetia con moglie e due figluole femmine humilissimo servo di V.A.S
reverente narra come havendo fatto in questa città per di molti anni il sensale trai Turchi, Mori e Armeni, et
essendo per diversi et sinistri accidenti mancato, et desiderosa per tal conto venire ad habitare questi felicissimi
Stati supplica V.A.S. fargli gratia di concedergli un salvocondotto irrevocabile ai beneplacito per la sua persona
e beni come è solita V.A.S. concedese ad altri che di tal gratia resterai eternamente obligato alla A.V.S. la quale
nostro Signor Dio conservi felicissima.
Livorno, 3 giugno 1626”.
Die Antwort des granduca (Grossherzog) war positiv.
646
Luca Paolini: La Comunità Armena. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri
possibili. Hg. von Circolo Culturale „Gramsci“ u.a. Livorno 1992, S. 74.
Die fruchtbaren Beziehungen zwischen Livorno und dem König von Persien, der als ein Freund der Christen,
nicht aber der Türken (Muslime) beschrieben wird, werden in einem Dokument vom 31. März 1667 angeführt:
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 314.
647
Levon B. Zekiyan: Les colonies arméniennes, des origines à la fin du XVIII siècle. In: Histoire du peuple
arménien. Hg. von Gérard Dédéyan. Toulouse 2007, S. 438.
648
Rocchi: Il primo insediamento, S. 83.
649
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2602, Tomo II, S. 552 (588 = Original).
645
141
Konsul zu anerkennen.650 Neben den levantinischen Armeniern, unter der Herrschaft der
Osmanen, verlangten nun die persischen Armenier, Untertanen des persischen Schahs Abbas
II, einen eigenen Konsul. 1646 übernahm Antonio Borgi das Amt des Konsuls für die
levantinischen Armenier und Diodato Armeno wurde Vizekonsul der persischen Armenier.651
Eine dritte ethnische Komponente in der armenischen Gemeinschaft waren die georgischen
Armenier, die nicht aus Armenien oder Persien stammten, sondern aus Georgien.652 Sie
tauchen in einer Bitte der persischen Armenier auf, die sie mitunterzeichnet hatten. Diese
verlangten, dass Silvestro di Lorenzo Cartoni ihr Konsul wird. Ihr Anliegen wurde am 21. Juli
1657 angenommen.653
Die Armenier besassen keine eigenen Schiffe. Ihre Waren begleiteten sie oft selber oder
liessen sie durch Landsleute geleiten, sie betrieben also keinen Handel mittels
Fernkorrespondenz. Sie waren spezialisiert auf den Import von Waren aus dem Orient, wie
Seide, Kaffee, Edelsteine, Wachs, Kamelfelle oder Moschusdrüsen.654 Diese Produkte wurden
dann von den Armeniern zusammen mit den livornesischen und toskanischen Produkten, wie
Korallen, über Livorno in andere europäische Hafenstädte weiterverkauft.655
Angetrieben durch Schah Abbas II und mittels Familiennetzwerken (oft mit Neu Julfa als
Drehscheibe) machten die iranischen Armenier Livorno zum Hauptmarkt für Seide im Europa
des 17. Jahrhunderts.656 Die Armenier waren zudem die direkten Konkurrenten der
sefardischen Gemeinschaft, etwa im Korallenhandel von Nordafrika über Livorno, London,
Amsterdam nach Indien.657
Durch die ökonomische Potenz nahmen einige Armenier beachtliche soziale Stellungen ein.
Der Osmane Antonio Bogos Celebi brach mit dem Handel und widmete sich dem
650
Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 103.
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2603, S. 490 und 519.
652
Rocchi: Il primo insediamento, S. 84.
653
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 249.
654
Anzeichen für den armenischen Seidenhandel: Rechtsstreit zwischen Agamal di Savali, armenischer Händler
in Livorno, und Giuseppe Armano wegen Lieferung von Seide (1659). In: ASL, Governatore e Auditore, Nr.
2607, S. 118.
Während die armenischen Händler im 17.Jahrhundert mit Luxuswaren handelten, übernahmen die Griechen den
Getreidehandel. Hinweis bei Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 102.
655
Rocchi: Il primo insediamento, S. 84f.
656
Inalcik: An Economic and Social History, S. 245. Die Händler aus Neu Julfa waren um 1660 das
dominierende Element in der armenischen Diaspora in Livorno. Sebouh Aslanian: “The Salt in a Merchant’s
Letter”: The Culture of Julfan Correspondence in the Indian Ocean and the Mediterranean. In: Journal of World
History 19 (2008), S. 133. Einige kamen über Marseille nach Livorno, weil sie in den 1620er Jahren durch ihre
starke Präsenz in der Provence vermehrt protektionistischen Massnahmen seitens der französischen Behörden
ausgesetzt waren. Der Freihafen Livorno winkte als lukrative Alternative. Sebouh Aslanian: Trade Diaspora
versus Colonial State: Armenian Merchants, the English East India Company, and the High Court of Admiralty
in London, 1748–1752. In: Diaspora: A Journal of Transnational Studies 13 (2004), S. 45.
657
Jonathan Israel: Diasporas Jewish and non-Jewish and the World Maritime Empires. In: Diaspora
Entrepreneurial Networks. Hg. von Ina Baghdiantz Mc Cabe u.a. Oxford 2005, S. 7.
651
142
Transportwesen. Er wurde Reeder, amtete als gonfaloniere (Bannerträger), durfte sich
weiterhin orientalisch kleiden und er baute 1665 einen Palast, in dem ein öffentliches
hammam (Dampfbad) integriert war, das noch lange nach seinem Tod weiter betrieben
wurde.658
Neben persischen Handelsfamilien lassen sich um 1678 die ersten armenischen Cafébesitzer
konstatieren.
Die wirtschaftliche Stärke und Bedeutsamkeit der Armenier verlangte bald den Nachzug
armenischer Priester. Um 1627 kamen die Ersten in Livorno an. Die Priester mussten als
Gäste in fremden katholischen Kirchen ihre Messen halten, solange noch kein eigenes
Gotteshaus zur Verfügung stand. Unter den Armeniern gab es nicht nur Katholiken. 1689
lebten in Livorno 63 katholische und 7 schismatische sprich orthodoxe Armenier.659
Die Armenier wehrten sich gegen eine allzustarke katholische Einflussnahme. Die
ökonomische Stellung der persischen Armenier ging so weit, dass sie auf Kosten der
Katholischen Kirche an Macht gewannen.660 46 persische Armenier verlangten gegen Mitte
des 17. Jahrhunderts die Absetzung eines levantinischen Priesters, der sie dominieren und
führen wollte (Zwangsbeichte und Zwangskommunion). Sie drohten mit der Abwanderung,
wenn sie nicht in die christliche Kirche gehen konnten, die ihnen passte. Da die Perser auf
dem livornesischen Markt eine relevante Rolle spielten und die toskanischen und
livornesischen Herrscher die bevorstehende Gefahr eines Verlustes an Handelstätigkeit im
Hafen sahen, konnten die Armenier so einen Teilsieg gegen die Katholiken erringen.661
Ab 1660 unternahmen die Armenier Anstrengungen für eine eigene Kirche. Lange Zeit
wurden die Bitten von der katholischen Kirche abgewiesen, wohl aus Angst, die nicht unierte
Komponente der Nation könnte an Einfluss gewinnen. 1692 konnte ein Grundstück für die
Kirche gekauft werden. Um ihre eigene Kirche bauen zu können, verlangten sie von jedem
armenischen Händler eine Steuer auf die Waren, die in Livorno an Land gebracht wurden.662
Erst 1701 nach langen und zähen Verhandlungen wurde die Erlaubnis zum Kirchenbau mit
strikten (katholischen) Auflagen erteilt. Die Eröffnung der Kirche zog sich ebenfalls über
mehrere Jahre hinweg, so dass erst am 1. Januar 1714 die Kirchentore geöffnet wurden.663
Die Einbindung der Armenier in die lokalen religiösen Gegebenheiten funktionierte immer
besser, nicht aber ohne Hindernisse und Eingeständnisse. 1784 wurden die Taufe und die
658
Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 104.
Paolini: La Comunità Armena, S. 75f.
660
Castignoli: Gli armeni a Livorno, S. 43.
661
Castignoli: Gli armeni a Livorno, S. 31f. Drohung auch abgedruckt in Salvini: Cenni storici. Band 2, S. 7.
662
Nuti: Livorno, il porto, S. 344.
663
Paolini: La Comunità Armena, S. 76f.
659
143
Firmung der armenischen Kinder erlaubt. Bis 1773 wurden die Toten bei der Kirche
begraben, danach, unter erfolglosem armenischem Protest, in einem Friedhof ausserhalb der
Stadt. Neben der Kirche und dem Friedhof besass die armenische Gemeinde ausserdem ein
Krankenhaus für Pilger, das Arme und Reisende beherbergte.664
Der governatore, der die Finanzen regelte, sowie seine beiden Helfer, der Schatzmeister und
der Kirchendiener, bildeten im 18. Jahrhundert das Bindeglied unter den armenischen
Gemeindemitgliedern. 1764 kamen weitere Ämter hinzu. Der Erzbischof war stets bemüht die
Aktivitäten dieser Gruppe zu kontrollieren. Er hatte Angst, dass die von ihm gewährte
Autonomie die armenischen Gläubigen von der katholischen Idee entfernten. Zeugnis davon
sind Beschwerden der Kurie in Pisa, wonach unter den Armeniern auch Abtrünnige waren,
die der unierten römisch-katholischen Kirche fremdgingen.665
Mit anderen Diasporagruppen verstanden sich die Armenier offenbar ohne grosse Mühe. Die
orientalischen Kulturen (Armenier, Griechen) vermischten sich mit dem Rest der
Gesellschaft, ihre Sitten und Gebräuche wurden dem livornesischen Kulturerbe hinzugefügt.
Zwischen den Armeniern und den Griechen in Livorno bestand eine lange Freundschaft sowie
auch mit den Maroniten. Mit dem Bericht eines französischen Reisenden kann man das
farbenfrohe Bild Livornos erahnen, das die Armenier mitgestaltet haben. Der Reisende
beschrieb das Erscheinen der Armenier beim Bummeln auf der Strasse. Der Turban und die
bunte Kleidung stachen ihm ins Auge. Ihre Geselligkeit lässt sich aus der Teilnahme an
etlichen Festen und Gedenkfeiern ablesen.666
Obwohl quantitativ eher schwach – es gab nie mehr als hundert Individuen, die dauerhaft in
Livorno lebten – und trotz schwerwiegender konfessioneller Spaltungen gelang es den
Armeniern, viele unter ihnen waren Junggesellen, sich durch Heirat mit italienischen Frauen
ins livornesische Gefüge einzuordnen.667 Doch auch der Rückhalt in der alten Heimat wirkte
identitätsfestigend. Egal wo lebend, der schriftliche Kontakt in die Heimat, stets verbunden
mit wirtschaftlichen Interessen, schuf ein Gemeingefühl. Die Prioritäten in den Beziehungen
wurden auf die Arbeit und die Wirtschaft gelegt. In einem Antwortbrief aus dem Jahre 1711
der Familie Sceriman von Neu Julfa nach Livorno bedankte sich das Familienoberhaupt für
einen Brief, beklagte sich jedoch bei seinem Cousin in der Toskana, dass in dem Dokument
das Salz fehle. Er vermisste neben den persönlichen Mitteilungen, dass es ihm gut gehe, die
Angaben über die Warenpreise, den Konsum und die Ausgaben respektive Investitionen vor
664
Paolini: La Comunità Armena, S. 79f.
Paolini: La Comunità Armena, S. 80f.
666
Paolini: La Comunità Armena, S. 81f.
667
Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 104.
665
144
Ort. Er bat ihn, diese Informationen über Livorno und Venedig im nächsten Brief beizufügen,
damit auch er zufrieden sein könne.668
Gegen Ende des 17. Jahrhundert wurde das armenische Netzwerk erschüttert, da das
Safawidenreich, inklusive Neu Julfa in Isfahan, durch die Afghanen bedroht wurde. Viele
Mitglieder der katholischen Sceriman-Familie flohen schon 1698 aus dem Iran nach Italien
(Livorno und Venedig), wo die politische Lage sicherer und stabiler schien.669 1722
vollendete sich der wirtschaftliche Verfall der armenischen Handelstätigkeit, ausgelöst durch
die erfolgreiche afghanische Invasion ins Reich der Safawiden und durch die tief greifenden
Veränderungen im Wirtschaftsleben, Stichwort industrielle Revolution.670 Mit dem Verlust
Neu Julfas verloren die weltweit verstreuten Armenier den vereinten Ausgangspunkt.671
Solange die Heimatbasis funktionierte, lief der Warenverkehr reibungslos und die Identität
stand gestützt durch die ethno-religiöse und die kaufmännische Gemeinsamkeit auf festen
Beinen.672 Da die Armenier aber lange Zeit nicht in der Lage waren, eine eigene nationale
Bewegung zu starten und ihre religiösen Rechte vehement einzufordern wie die Griechen,
gingen sie den Weg der passiven Assimilation.673
Der Verlust des Zentrums Neu Julfa wirkte sich negativ auf die (livornesische) Peripherie aus,
das Netzwerk erlitt kaum zu reparierende Risse. Der armenische Glanz erlosch im 19. und 20.
Jahrhundert weiter, die Armenier verschwanden praktisch vollständig von der livornesischen
Bildfläche. Die Weltkriege und die Wirtschaftskrise leisteten ihren Beitrag dazu.674 Der Palast
von Antonio Bogos samt Hammam wurde von den Bomben während des Zweiten
668
Aslanian: “The Salt in a Merchant’s Letter”, S. 157.
Aslanian: “The Salt in a Merchant’s Letter”, S. 174, 186.
670
Unter dem neuen Regime lebten die Andersgläubigen (Nichtmuslime) gefährlich und die Händler
benachteiligt. 1747 liess Nadir Schah einige christliche Armenier, Juden, Zoroastrier und Hindus in Isfahan
öffentlich verbrennen. Aslanian: “The Salt in a Merchant’s Letter”, S. 147. Zudem wurden in der selben Zeit
neue, astronomisch hohe Steuern eingeführt und Nadir Schah erlaubte seinen Soldaten die Plünderung der Güter
der Händler. Aslanian: Trade Diaspora versus Colonial State, S. 83. In Folge dieses Chaoses musste auch die
Assembly of Merchants ihre Arbeit einstellen. Diese von den safawidischen Machthabern unabhängige
kaufmännische Organisation, bestehend aus dem Bürgermeister/Vorsteher Neu Julfas und den wichtigsten
Händlern der (Vor)stadt (vor allem Armenier), vermittelte in juristischen und geschäftlichen Angelegenheiten
unter den weltweit verstreuten Kaufleuten Neu Julfans, aber auch in den Verhandlungen mit fremden Mächten,
zum Beispiel mit dem russischen Zaren. So gelang es dieser Art Gewerkschaft, ehrliche und zuverlässige
Händler zu Vertrauensbeziehungen zusammenzuschliessen, bei gleichzeitigem Ausschluss und Boykott der
betrügerischen Mitglieder. Parallel zum Verschwinden dieser Versammlung zogen auch immer mehr
(armenische) Händler von Neu Julfa weg, Indien, Russland und der Mittelmeerraum waren die bevorzugten
Ziele. Aslanian: Trade Diaspora versus Colonial State, S. 48, 84.
671
Es kam hinzu, dass ein weiterer wichtiger Knoten im Netwerk, das indische Madras, ebenfalls von
Plünderungen aufgesucht wurde, infolge der französischen Eroberung der Stadt im Jahre 1746. Aslanian: Trade
Diaspora versus Colonial State, S. 84.
672
Aslanian: “The Salt in a Merchant’s Letter”, S. 188.
673
Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 105.
674
Paolini: La Comunità Armena, S. 82.
669
145
Weltkrieges vollständig zerstört. Die Kirche wurde ebenso zerstört, nur die Fassade und der
Portalvorbau blieben bestehen.675
Abschliessend lässt sich konstatieren, dass die armenische Kaufmannselite trotz ungünstigen
Rahmenbedingungen und schlechtem Ruf lange Zeit prosperierte. Das Fehlen einer starken
politischen Macht im Rücken wurde schlau kompensiert,676 ihnen entgegengebrachte
Vorurteile wurden ignoriert.677 Einer oftmals schikanierten, staatenlosen Minderheit gelang
der Schritt auf die Bühne des Welthandels. Langfristig war gegen die grossen politischen
Imperien (europäische Kolonialmächte) jedoch nicht anzukommen.
„Araber“
Livorno war einer der wenigen Häfen im europäischen Mittelmeer, wo sich auch die
nichtkatholischen Ausländer bedenkenlos einrichten konnten, im Gegensatz zu Marseille und
Venedig, wo dieselben mehr geduldet als akzeptiert wurden. Aus den arabischen Provinzen
des Osmanischen Reiches kamen drei Gruppen nach Livorno, die Türken, die katholischen
Christen aus Syrien und Umgebung und die Juden aus Nordafrika.
Unter den Türken verstand man alle Muslime unter osmanischer Herrschaft, die vornehmlich
Arabisch sprachen.678 Viele unter ihnen waren Kaufleute, die in Livorno ihrem Geschäft
nachgingen, wobei sie während ihrer Aufenthaltsdauer (einige Tage bis mehrere Monate) im
Viertel der Juden wohnten, wo sie deren Häuser mieteten oder sich in Herbergen
einquartierten.679 Neben den Händlern tauchten noch andere arabischsprechende Muslime in
Livorno auf, die muslimischen Sklaven und politische Würdenträger.680 Der wohl berühmteste
675
Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 105.
Die Kompensation wurde mit einer internen, straffen Organisationsstruktur angestrebt. Die armenischen
Fernnetzwerke waren geschlossene, dichte und numerisch kleine Systeme, die auf strengen
Mitgliedschaftsnormen beruhten. So gelang es, die eigenen Leute besser und billiger sozial zu überwachen, um
die „Guten“ zu belohnen und die „Schlechten“ zu bestrafen, so dass Kooperation und Solidarität auch mit tiefen
Geschäftskosten zustande kommen konnte. Nicht so sehr die gemeinsame Kultur (Religion und Sprache)
vereinte die Mitglieder, sondern der rationale Wunsch, sichere und profitable Geschäfte abwickeln zu können.
Vgl. Aslanian: Social Capital, S. 402.
677
Bei vielen europäischen und asiatischen Konkurrenten und Geschäftspartnern galten die staatenlosen
Armenier (in Indien) im 17. und 18. Jahrhundert als habgierige Monopolisten, genauso wie die Juden. Diese
Feststellung C.R. Boxers habe ich Sebouh Aslanians Aufsatz entnommen. Aslanian: Trade Diaspora versus
Colonial State, S. 37.
678
Erwähnung von türkischen Händlern, nicht aus den arabischen Provinzen, sondern aus der heutigen Türkei,
aus Smirne (Izmir), gemeint sind hier auch Muslime, ihre Sprache wird nicht erwähnt. In: ASL, Governatore e
Auditore, Nr. 2608, S. 4, 5 und 6 (Blätter ohne Datum, doch sie sind eingebettet in Bittschriften aus dem Jahre
1667).
679
Filippini: Les provinces arabes, S. 207.
680
Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 34f. Erwähnung eines muslimischen („maometto“) Sklaven
im Bagno der Galeeren (6. August 1657). In: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 250. Bekanntmachung
von 260 türkischen Sklaven (31. März 1677). In: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2609, S. 94.
676
146
Muslim in Livorno war der drusische Emir (Fürst) Fakhr ad-Din Ma’an, genannt Il
Faccardino.681
Die katholischen Christen aus Syrien besassen keine eigene Nation, weswegen sie sich der
unierten griechischen Nation anschlossen. Obwohl sie nur wenige waren, gab es darunter
einige gewichtige Persönlichkeiten, die von Damaskus herkommend grosses Vermögen nach
Livorno brachten. Einer von ihnen, Giuseppe Bochti, heiratete eine Frau aus Livorno, so dass
er daraufhin das livornesische Stadtbürgerrecht genoss.682
Zu den arabischen Katholiken zählte man die Melchiten, die Maroniten und auch die
Armenier. Im Jahre 1613 flohen viele Griechen aus der melchitisch-griechisch-katholischen
Kirche (arabi Melchiti) aus Syrien nach Livorno. Sie entzogen sich damit der osmanischen
Herrschaft.683 Sie praktizierten ihren Glauben, gleich wie die Orthodoxen, ebenfalls in der
Kirche SS. Annunziata, da sie den unierten Kirchen nahe standen. Die Melchiten, die
Griechen, die arabisch sprachen, kamen ab 1613 in Kontakt mit Livorno. Ab 1625 siedelten
sie fest in Livorno.684
Die Maroniten schufen erste Kontakte mit Livorno im Jahre 1613, doch erst ab 1734 gibt es
Hinweise darauf, dass der erste Maronit sich sess- und dauerhaft in Livorno niederliess.685 In
den 200 Jahren ihrer Präsenz hinterliessen sie wenige Spuren, sie galten als stille und
bescheidene Zeitgenossen. In Begleitung des Drusenführers Fakhr ad-Din, der intensive
politische und wirtschaftliche Beziehungen zur Toskana pflegte, kamen die ersten Maroniten,
Freunde des Drusen, im frühen 17. Jahrhundert nach Livorno. Danach verlieren sich die
maronitischen Spuren und kommen erst wieder im 18. Jahrhundert zum Vorschein. Die
toskanischen Herrscher setzten in dieser Zeit ein Ufficio di Confessore degli Arabi ein, das
einen maronitischen Priester einsetzte, der sich um alle arabisch sprechenden Katholiken
kümmerte (Maroniten und Melchiten). 1755 stiftete der Melchit Nicola Frangi aus Damaskus
testamentarisch eine Kapelle für die arabischen Nationen. Einige Jahre später wurde die Stadt
von einem maronitischen Bischof beehrt, der im Dom eine auf Arabisch gesprochene und
nach maronitischem Ritus vollzogene Messe hielt. Die kleine Gemeinschaft schien also
681
Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 36f. Der Drusenfürst profitierte vom nachlassenden Einfluss
des osmanischen Machtapparates in den arabischen Provinzen, woraufhin er zu Beginn des 17. Jahrhunderts sein
eigenes Reich gründete, das sich vom nordsyrischen Latakia über das Libanongebirge bis nach Palästina und ins
Ostjordangebiet ausdehnte und mit Europa kooperierte. Der neue Staat lebte von der Seidenproduktion und
dessen Export in den Mittelmeerraum. Seit 1608 arbeitete Fakhr ad-Din mit den Medici zusammen, die ihm in
der Toskana zeitweise Asyl gewährten. Diese antiosmanische Allianz wurde aber von Istanbul nicht lange
toleriert. Das neue Reich wurde bald zerschlagen und der Emir 1635 hingerichtet. Siehe Alfred Schlicht: Die
Araber und Europa. 2000 Jahre gemeinsamer Geschichte. Stuttgart 2008, S. 109.
682
Filippini: Les provinces arabes, S. 208.
683
Panessa: Le comunità greche, S. 36.
684
Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 233f.
685
Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 58f.
147
perfekt in das römisch-katholische System integriert.686 Im 19. Jahrhundert wurde die Kirche
gewechselt, der neue maronitische Priester arbeitete nun in der Chiesa di Via della Madonna.
Sein Nachfolger wechselte in die Chiesa di S. Caterina.687 Die Geschichte der Maroniten in
Livorno endete im 20. Jahrhundert.688
Die Armenier spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie waren ebenfalls Katholiken, wohnten
und arbeiten oft im arabischen Raum und sprachen deshalb gut arabisch, manchmal war diese
sogar ihre Muttersprache.689
Unter den arabischen Katholiken in Livorno gab es keine Konflikte. Solche fanden nur
innerhalb der Gruppen statt.690
In die Entwicklung der Stadt Livorno ab dem 17.Jahrhundert müssen die arabischen
Katholiken miteinbezogen werden. Die Händler aus Syrien und dem Libanon prägten das
wirtschaftliche, wie auch das soziale und kulturelle Leben der Stadt massgebend. Der
religiöse und der sprachliche Aspekt kann nicht vernachlässigt werden. Noch heute finden
sich im livornesischen Dialekt Spuren der arabischen Sprache. Dies sind die Kernstücke der
kosmopolitischen Mentalität und der humanen Anregung der Stadt.691
Die dritte Gruppe schliesslich, die Juden aus Nordafrika, machten im 18. Jahrhundert einen
grossen Anteil der jüdischen Bevölkerung in Livorno aus.692
Allen drei Gruppen ist die arabische Sprache gemeinsam. Sie galten als Informationsträger
und -überbringer von Neuigkeiten aus ihrer Heimat, wofür sich die toskanische Regierung
wie auch die livornesischen Händler interessierten. Spezielle Beachtung fanden die
Informationen bezüglich der Pest und der Korsaren. Die Händler fragten zudem die
Marktpreise und die An- und Verkaufsbedingungen nach. Die Berichte erfolgten entweder
mündlich oder schriftlich (Briefe).693
Man muss sich bewusst werden, dass die Bilder, die sich die Bewohner Livornos von den
arabischen Provinzen machten, stark beschränkt sind. Selbst die bestinformierten Individuen
erfuhren lediglich Dinge über die Politik, das Handelswesen und die maritime Welt, während
die sozioökonomische Realität völlig aussen vor blieb.694
686
Luca Paolini: La Comunità Siro-Maronita. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed
incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale „Gramsci“ u.a. Livorno 1992, S. 121f.
687
Paolini: La Comunità Siro-Maronita, S. 123.
688
Paolini: La Comunità Siro-Maronita, S. 124.
689
Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 305f.
690
Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 315f.
691
Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 321.
692
Filippini: Les provinces arabes, S. 208.
693
Filippini: Les provinces arabes, S. 208f.
694
Filippini: Les provinces arabes, S. 210.
148
Engländer
Von grosser Bedeutung für das Handelswesen in Livorno waren die englischen Händler. Sie
kamen nach Livorno, weil sie dort im Gegenteil zu Marseille Handelsfreiheit genossen. Die
Protestanten unter ihnen gründeten eine eigene Kirche mit angeschlossenem Friedhof. Sie
hinterliessen in der Stadt zahlreiche Persönlichkeiten in der Kultur, in der Marine, in der
Politik und in der Wirtschaft, sowohl im Handel als auch in der Industrie.695 Ihre Betriebe
produzierten Wolle, Seide, Baumwolle und raffinierten Zucker.696
Unter dem englischen König Heinrich VII entwickelte sich der Handel zwischen Livorno und
den englischen Häfen ab 1485 weiter, obwohl der König sich vermehrt nach Westen, nach
Nordamerika, orientierte und viele Engländer das Mittelmeer wegen der Pest und der Piraterie
mieden. So kam es, dass 1537 vor allem die Holländer für den Warentransport zwischen dem
Mittelmeer und Nordeuropa verantwortlich waren, auch für die englischen Güter.697
Einige von der Königin Elisabeth verfolgte Katholiken suchten in Livorno Zuflucht und
genossen das fremdenfreundliche Klima, das Cosimo I durch seine Politik schuf.698
Mit der englandfreundlichen Herrschaft von Francesco I wurden die Handelsbeziehungen mit
England intensiviert. Toskanische Händler wurden motiviert, vermehrt englische Schiffe für
den Warentransport von und nach England zu nutzen. Beide Seiten senkten zudem ihre
Importzölle. Die Störpolitik Spaniens konnte die fruchtbare Beziehung nicht bedeutend
behindern.699
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts gab es in Livorno einige englische Seeleute, die durch die
Piraterie und die Gastfreundschaft der Medici den Weg ins Mittelmeer gefunden haben. Diese
ersten Ankömmlinge waren hauptsächlich Kapitäne und Matrosen, die aktiv am Hafenleben
teilnahmen. Sie halfen bei der Platzierung von Leuchttürmen mit.700
Bei der Nomination des Konsule wählte der Grossherzog die Kapitäne aus, welche die
Nationen vorschlugen. Händler standen nicht zur Auswahl. Er nominierte für die englische
Nation den irischen Kapitän Raimondo d’Orchen und für die deutsche Nation Matteo Bonnedt
aus Österreich.701 Schon bald sollte der Handel einen höheren Stellenwert aufweisen.
695
Leone Leoncini wollte in den 1790er Jahren zusammen mit dem englischen Händler Samuel Gentil, in
Livorno ansässig, eine Ziegelei/Brennofen für Ziegelsteine und Kalk aufbauen. ASL, Governatore e Auditore,
Nr. 2610. S. 1.
696
Nuti: Livorno, il porto, S. 344.
697
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 268.
698
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 268.
699
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 268.
700
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 34.
701
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 35.
149
Neben Handelschiffen legten vermehrt englische Korsarenschiffe in Livorno an. Am
Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert wurde der Hafen zum Ziel zahlreicher Engländer, die
sowohl im Handel als auch im Kaperwesen engagiert waren. Einige unter ihnen boten nach
dem englisch-spanischen Frieden 1604 ihre Dienste dem toskanischen Grossherzog an. Auf
dessen Rechnung und unter dessen mehr oder weniger verhüllten Schutz verschifften sie
Waren und bekämpften die algerische Flotte.702 Die ersten Engländer in Livorno waren also
halb Pirat halb Händler. Sie schufen ein Bild der englischen Gemeinschaft in Livorno, das
von einer schwankenden Präsenz geprägt wurde. Da sie ständig auf der Suche nach Beute auf
dem Meer waren, hatte sie keinen festen Wohnsitz in der Stadt. Dorthin gelangten sie nur, um
die Beute zu verkaufen, Munition und Lebensmittel einzukaufen und um ihre Schiffe zu
warten. Die Piraterie zog die Engländer ins Mittelmeer.703 Dort kaperten sie zuerst die
spanischen Schiffe und nach 1604 zogen sie sich nach Livorno zurück, wo sie Amnestie und
Schutz vor Verfolgung garantiert bekamen. Englische Banditen und Piraten sowie andere
Abenteurer bevölkerten zu Beginn des 17. Jahrhunderts das Mittelmeer. Der Grossherzog der
Toskana zog daraus Profit, indem er Abgaben aus der Beute verlangte und vom nautischen
Know-how der Seeleute profitierte.704 Englische Korsaren standen also im Dienste des
Grossherzogs. Die Tätigkeiten können kaum zwischen Korsarentum und militärischen
Aktionen unterschieden werden. Am 22. Juli 1671 informierte der governatore von Livorno,
dass „seine“ Korsaren, im Kampf gegen die Ungläubigen (muslimische Osmanen), keine
Katholiken angreifen durften.705
Daneben gab es vereinzelt friedliche Einsätze, so etwa eine Amazonas-Expedition im Jahre
1608, unter der Leitung von Robert Thornton.706
Durch den Kauf von englischen Schiffen und die Nutzung der Dienstleistungen der
englischen Kapitäne und deren Schiffe zeigte sich das wirtschaftliche und politische Interesse
der toskanischen Herrscher am englischen Marinewesen. Das Paradebeispiel ist die Einladung
an Sir Robert Dudley, der in Livorno die Schiffswerft führte, wo neue Schiffstypen kreiert
wurden.707 Zudem zeichnete er sich verantwortlich für das Flutbrechersystem, die
Trockenlegung der sumpfigen Gebiete zwischen Pisa und Livorno und für die Rekonstruktion
der Festungsanlage auf dem Meer. Ein anderer Kapitän, Robert Thornton, leitete den
702
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 36.
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 37.
704
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 38.
705
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 233.
706
Cesare Ciano: Corsari inglesi a servizio di Ferdinando I. In: Atti del convegno „Gli Inglesi a Livorno e
all’Isola d’Elba“. Livorno 1980, S. 82.
707
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 39.
703
150
Ritterorden San Stefano und die bereits erwähnte Expedition nach Südamerika, um Metalle
und Edelsteine zu suchen. Als Gegenleistung erhielt er ein Haus in Livorno und eine Rente.708
Wie bereits gesagt, zogen zu Beginn des 17. Jahrhunderts neben Kapitänen und Piraten auch
Händler und deren Handelsvertreter dauerhaft nach Livorno. Sie waren nicht zahlreich, was
aber nicht bedeutet, dass sie inaktiv waren.709 Durch den Kauf von Häusern bestätigten einige
Händler ihre Absichten, dauerhaft in Livorno zu bleiben. Andere mieteten sich Wohn- und
Arbeitsräume an der Hauptstrasse, nahe am Hafen. Viele englische Händler pendelten
zwischen Pisa und Livorno.710 Daniela Pierotti stellt die These auf, dass nur wenige englische
Händler, die in Livorno lebten, die Absicht hatten immer dort zu bleiben. Sie nimmt an, dass
viele von ihnen in die alte Heimat zurückkehrten, sobald sie genügend Vermögen gemacht
hatten oder wenn die katholische Kirche Protestanten zu restriktiv anfasste. Diese Annahme
beruht auf ihrer Beobachtung, dass nur einzelne Engländer Immobilien kauften.711
Durch die grosszügige Vergabe von Darlehen wollte der Grossherzog die Händler zu mehr
Geschäften verhelfen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts eröffneten Handelsunternehmen aus
London ihre ersten Agenturen in Livorno. Die Engländer agierten zusätzlich zum
Handelswesen auch auf dem Gebiet der Handwerker und Unternehmer, indem sie etwa eine
Schneiderei eröffneten, das Brauereiwesen lancierten oder eine Zuckerraffinerie aufbauten.
Die Integration erfolgte auch auf politischer Ebene. Schon 1603 erhielt Thomas Hunt, der
englische Konsul, die livornesische Stadtbürgerschaft.712
Dass Livorno nun nicht mehr ausschliesslich ein Anlegeplatz für englische Schiffe war,
sondern sich zum beliebten Handelsplatz entwickelte, lässt sich am Konsulwesen darstellen.
Die ersten Konsule waren Vertreter der Kapitäne, beglaubigt durch die Lotsenbehörde Trinity
House. Doch in kurzer Zeit änderte dich die Lage. Die Konsule nahmen nun vornehmlich die
Interessen der Händler wahr.713 Nach dem Tod des englischen Konsuls Hunt 1621 bewarben
sich zwei Landsleute um das Amt. Der alte Kapitän Robert Thornton, vom Trinity House
vorgeschlagen, und der junge Händler Richard Allen, Kandidat der Levant Company.714 Der
englische König Jakob I entschied sich für den Kandidaten der Levant Company, den
708
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 40.
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 40.
710
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 41.
711
Daniela Pierotti: Annotazioni sulle proprietà immobiliari inglesi dal 1600 al 1800. In: Atti del convegno „Gli
Inglesi a Livorno e all’Isola d’Elba“. Livorno 1980, S. 69.
712
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 42.
713
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 43.
714
Die flämische Nation hatte ähnliche Probleme. Während über 100 flämische Kapitäne Matteo Bonnedt als
Konsul wählten, setzte die holländische Regierung Johan van Dahlen/Vandaell in das Amt ein. Einige Zeit hatte
die Gemeinschaft demnach zwei Konsule, einen privat gewählten und einen öffentlich nominierten, beide
wurden durch den Grossherzog der Toskana bestätigt. D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 44.
709
151
protestantischen Händler Allen und gegen den katholischen Kapitän Thornton. Die Lösung
des Disputs durch die Auswahl des Monarchen zugunsten des Händlers zeigt die Bedeutung,
die Livorno als Handelsplatz für die Engländer einnahm.715
In der British Factory konzentrierte sich das englische Kaufmannswesen. Sie war eine
Gruppierung, bestehend aus Händlern, die zusammenarbeiteten, um gemeinsame Interessen
zu verfolgen und um Konkurrenten zu bekämpfen, so etwa andere ausländische Händler, die
im selben Gebiet agierten. Manchmal waren um die 20 englische Handelshäuser darin
vertreten, zu einem anderen Zeitpunkt schon deren 50, je nach Wirtschaftslage, politischen
Zwisten, Plagen und Piraterie.716
Da die Quellen spärlich sind, ist es schwierig die Entwicklung der Factory zu rekonstruieren.
Das erste Dokument über sie datiert aus dem Jahre 1704. Deren Mitglieder genossen
Hinterbliebenenhilfe, Hilfe bei Gefangenschaft, juristische und medizinische Hilfe, alles
Dienste, die heute ein Konsul übernehmen wird. Finanziert wurde die Gemeinschaftskasse
durch Mitgliederbeiträge oder durch Sammlungen in der ganzen englischen Gemeinschaft in
Livorno. Später wurde eine Steuer auf englische Schiffe erhoben, die in Livorno anlegten.717
Die Politik und die Religion drangen unweigerlich in die Factory ein. Der starke katholische
Einfluss, unter der Regie der Ära Stuart, war kaum zu übersehen, später diskriminierten die
Protestanten die Katholiken.718
Die Macht und die Einflussnahme der englischen Kaufleute nahmen nach dem Vertrag von
Utrecht 1713 rapide zu. In der Mitte des 18. Jahrhunderts passierte jede dritte Tonne Ware
unter englischer Flagge den Freihafen. Um die eigenen Schiffe zu beschützen, besass die
Factory sogar eigene Kriegsschiffe. In der napoleonischen Zeit, ab 1796, ging die
Gemeinschaft (nach 150 Jahren Bestehen) unter, da die englischen Waren beschlagnahmt und
auf einer Auktion verkauft wurden. Einige Alteingesessene, mit dem toskanischen
Bürgerrecht und einer Grazia (Begnadigung) versehen, blieben, andere verliessen die Stadt.
Nach 1815 erlebte die British Factory eine Neugeburt. Sie operierte fast wie in alten Zeiten,
bis zu ihrer Auflösung 1825.719
Das englisch-livornesische Zusammenleben schien im Grossen und Ganzen zu funktionieren,
die Beziehungen zwischen dem englischen und dem toskanischen Hof waren formidabel. Das
System porto franco war dessen Voraussetzung, verursachte aber auch immer wieder
715
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 45.
Horace Albert Hayward: The British Factory in Livorno. In: Atti del convegno „Gli Inglesi a Livorno e
all’Isola d’Elba“. Livorno 1980, S. 261.
717
Hayward: The British Factory, S. 262f.
718
Hayward: The British Factory, S. 264.
719
Hayward: The British Factory, S. 264f.
716
152
Zwischenfälle. Als das System im 19. Jahrhundert zerbrach, verliessen die englischen Händler
Livorno, was blieb, war das liberale englische Gedankengut und es kamen die englischen
Poeten, die Livorno als Inspirationsquelle wählten.720
Flamen
Als zweiter Handelspartner im toskanisch-westeuropäischen Handelswesen kommen die
flämisch respektive holländisch Sprechenden ins Spiel. Es waren die Bewohner der heutigen
Staaten Belgien und Niederlande. Sie kamen vor allen von Amsterdam und nutzten Livorno
als Anlaufhafen für ihre Handelstätigkeit. Sie besassen ebenfalls einen eigene Kirche und
einen eigenen Friedhof.721
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts liessen sich in Livorno viele Flamen nieder, sowohl Händler
als auch Seeleute, Handwerker, Künstler und Industrieunternehmer. Während den 1620er
Jahren gab es die höchste Konzentration an Flamen in der Stadt, ab 1630 nahm sie dann ab.
Sie wurden durch politische Massnahmen im Grossherzogtum Toskana geködert. Dieses
gewährte ihnen gute Konditionen bei der Niederlassung, die Benutzung einer modernen
Hafenanlage und Steuergeschenke.722
Durch die von der Toskana gewährten günstigen Konditionen konnten die flämischen Händler
Produkte aus Nordeuropa, Asien, Nord- und Südamerika und aus dem Mittelmeer in Livorno
zwischenlagern,
um
sie
dann
weiter
zu
vertreiben.
Weil
die
Lager-
und
Niederlassungsbedingungen in Genua schlechter waren, bevorzugten die Flamen den Hafen in
der Toskana. Livorno wurde zum idealen Absatzmarkt für Produkte aus Amsterdam. Sowohl
Massen- als auch Luxusgüter gelangten von dort nach Livorno, von wo aus sie die
mediterranen Märkte belieferten.723
Die ersten Flamen kamen nach Livorno, als sich um 1600 der Handel mit Luxuswaren
zwischen der niederländischen Republik und der Levante, resp. Asien und den beiden
Amerikas entwickelte. Diese Händler hatten Bekannte in Holland, die mit Russland im
Geschäft standen. So gelangte Kaviar und russisches Leder auf den toskanischen Markt.
Durch gute Kontakte in Ostindien brachten sie zudem rare und teure Gewürze in die Städte
720
Paolo Castignoli: Aspetti istituzionali della nazione inglese a Livorno. In: Atti del convegno „Gli Inglesi a
Livorno e all’Isola d’Elba“. Livorno 1980, S. 115.
721
Nuti: Livorno, il porto, S. 344.
722
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 219.
723
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 219.
153
der italienischen Halbinsel. Bis 1620 überwog die flämische Aktivität in Genua und Venedig,
doch Livorno wurde immer beliebter.724
Es wäre falsch, das flämische Handelswesen allein auf die Luxusartikel zu beschränken. Der
Handel mit Massenware wie Fisch und Getreide erwies sich ebenfalls als lukrative
Angelegenheit. Vor allem in Jahren des Getreidemangels hatten die zahlreichen holländischen
Schiffe viel zu tun. Bei Getreideüberfluss konzentrierten sich die Flamen auf das
Fischgeschäft.725
Sowohl das Geschäft mit Luxus- als auch mit Massengütern waren von grosser Bedeutung für
die flämischen Händler. Doch sie konnten sich nicht alleine auf den Handel und das
Transportwesen verlassen, weshalb viele von ihnen in Schiffe, Banken und andere Geschäfte
investierten.726
Auch Diebesgut der nordafrikanischen Piraten, wie etwa Zucker, wurde in Livorno gelagert,
bevor es weiter verfrachtet wurde. Die flämischen Seeleute übernahmen auch die Lieferung
dieser (heissen) Waren.727
Dank einer grossen Flotte, tiefen Betriebskosten und dementsprechend tiefen Preisen
vermochten die Flamen die italienische Konkurrenz auszustechen und viele Aufträge an sich
zu reissen. Doch bereits um 1615 geriet der holländisch-levantische Handel ins Stocken, weil
Piraten das Mittelmeer in eine unsichere Zone verwandelten. Doch auch der Landverkehr
wurde durch Kampfhandlungen und Embargos empfindlich gestört. Als Folge davon rüsteten
die Händler ihre Schiffe mit Soldaten auf, damit sie die illegalen Exporte von Getreide aus der
Levante und den Umtausch von nordafrikanischen Gefangenen gegen Nahrungsmittel
durchführen konnten. Für den Transport der Luxusgüter waren besondere Schutzmassnahmen
gefordert, doch das Risiko und die Investitionen zahlten sich beim erfolgreichen
Geschäftsabschluss durchaus aus. Ab 1620 verstärkte sich die Konkurrenzsituation mit
anderen Seemächten wie England, Frankreich oder Venedig. Diese steckten viel Energie und
Geld in ihr Comeback im Levante- und Nordafrikahandel. Behindernd für die flämische
Flotte kam dazu, dass die Friedensverträge mit Algerien und Tunesien scheiterten, so dass ihr
Handel mit der Nordafrikaküste zum Erliegen kam, und dass Spanien gegen sie ein Embargo
erliess. Ab etwa 1625 kristallisierte sich England als stärkster Rivale heraus. Es muss
hinzugefügt werden, dass der innerholländische Wettbewerb genauso zunahm. Es gab einfach
zu viele Schiffe, welche die dieselben Angebote offerierten, was zur Folge hatte, dass der
724
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 220.
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 222f.
726
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 220f.
727
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 219f.
725
154
Mittelmeermarkt Gefahr lief, mit Getreide und Fisch überschwemmt zu werden.
Nichtsdestotrotz blieben die Flamen erfolgreiche Händler, wenn auch die Gewinne kleiner
wurden. Als sich die kommerziellen Umstände verschlechterten, gefährdete die Dutch East
India Company mit ihren Aktivitäten in Persien und Yemen noch zusätzlich den Seidehandel
durch das osmanisch Reich nach Aleppo, der für die flämischen Mittelmeerhändler von
grosser Bedeutung war. Um 1630 sahen sich die Flamen in Livorno und Genua gezwungen,
gefährlichere und weniger profitablere Geschäfte zu tätigen, um der Konkurrenz entgegen zu
treten. Doch ab Mitte des 17. Jahrhunderts waren die Engländer in der Lage die Flamen
wirtschaftlich zu überflügeln.728
Als Musterbeispiel für ein flämisches Handelsunternehmen in Livorno kann die Van den
Broecke Kompanie genannt werden. Bernard Van den Broecke und seine Kompagnons
konzentrierten ihre Aktivitäten auf Nordeuropa und das Mittelmeer. Ihre Wirtschaftskontakte
beschränkten sich auf flämische Händler in Holland und Italien und auf lokale italienische
Kaufleute. Dabei waren Importe bedeutender als Exporte. Sie erhielten Waren aus aller Welt,
hauptsächlich aber aus Amsterdam, wohin sie die besten Verbindungen, auch politische,
besassen. Auch sie handelten nicht nur mit Luxuswaren, auch Getreide und Fisch wurden
vertrieben. Vor allem südholländische Händler hantierten mit teuren Gewürzen wie Zucker
und Zimt, die via Portugal und Antwerpen nach Italien eingeführt wurden. Doch die
wichtigsten Partnerschaften wurden nicht mit Landsleuten in der alten Heimat, sondern mit
Flamen im Handelswesen auf der Italienischen Halbinsel gepflegt, aber auch mit dort
ansässigen Deutschen, Italienern, Engländern, Franzosen und sefardischen Juden. Mit Hilfe
des bekannten und einflussreiche Kaufmannes Jacopo Ricciardi aus Pisa gelang es Van den
Broecke Kontakte mit dem Haus der Medici zu knüpfen. Sie beide waren für die illegale
Ausfuhr von Getreide aus der Levante und für den Handel mit Spanien und Portugal
zuständig. Letzteres setzte Eifersucht seitens der toskanischen Händler frei, die gerne diese
Sparte übernommen hätten.729
Die Flamen in Livorno haben vorgezeigt, dass man die grössten Profite herausholt, wenn man
sich nach der Nachfrage der Kunden und den natürlichen Umständen richtet und nicht alleine
auf Luxusgüter setzt. 1620 und 1630 war dies das Getreide (Getreidemangel im
Mittelmeerraum) und 1625 der Fisch (Zeit mit guter Getreideernte). 1620 lief das Geschäft
gut. Wegen Getreidemangel in Italien musste dieses importiert werden, was Holländer wie
Van den Broecke und Joris Jansen übernahmen. Daneben interessierten sie sich für andere
728
729
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 221.
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 222.
155
Produkte wie Gewürze, Leder, Metalle, Fische und Textilien. Nahrungsmittel wie Zucker,
Gewürze, aber auch Felle und Textilien, die in Livorno nicht verkauft werden konnten,
versuchten sie in Rom und Neapel an den Mann zu bringen. In den Jahren als das Getreide
nicht mehr so knapp war, rüstete Van den Broecke auf Salz- und Fischhandel um.730
1630 war Van den Broecke immer noch einer der führenden Händler in Livorno, obwohl die
italienische, flämische und englische Konkurrenz stärker wurde. Er kooperierte deshalb mit
ihnen, so etwa mit den Engländern beim Handel mit England oder mit den Italienern bei der
Aufgabe, die Getreidearmut in Livorno durch Importe aus der Levante zu kompensieren. Er
ging dabei ein grosses Risiko ein, denn seine Schiffe hätten von den Türken beschlagnahmt
werden können. 1631-32 war seine Kompanie immer noch eine der bedeutendsten in Livorno.
Er spezialisierte sich auf den Transport von Nahrungsmitteln. Generell hatte sich die
ökonomische Lage in der Toskana verschlechtert, der Getreidemarkt war übersättigt und der
Handel wurde immer gefährlicher. Die Anzahl der Händler in Livorno nahm drastisch ab.
Dies spürte auch Van den Broecke. Seine Kompanie verschwand wie viele andere auch
aufgrund finanzieller Probleme, die auch durch Kredite nicht beseitigt werden konnten. Mehr
als 15 Jahre spielte sie eine prominente Rolle in der livornesischen Gesellschaft und sie trat
durch ihre Erfolge ins Rampenlicht. Wie andere flämische Kompanien in Livorno tätigte sie
legale wie illegale Geschäfte im frühen 17. Jahrhundert.731
Die Flamen galten als Musterbeispiele für die Integration ins Stadtleben. Diese konnte durch
die Zugehörigkeit zum Katholizismus, durch Konversion oder durch die Heirat mit Frauen
aus der Stadt vereinfacht werden, was für viele Flamen und Engländer zu Beginn des 17.
Jahrhunderts tatsächlich nachzuweisen ist. Der Kapitän Niccolo Van der Steen beispielsweise
erwarb 1623 das Bürgerrecht der Stadt Livorno. Weitere Eingegliederte waren der Kapitän
Ercole Rusca, der Handelsvertreter Benjamin Speron oder der mit einer Frau aus Livorno
vermählte Simon Le Maire. Nicht nur Flamen aus ihrer ursprünglichen Heimat zog es nach
Livorno, flämische Handelsherren aus dem ganzen Mittelmeerraum, so aus Aleppo oder
Zypern, fanden in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts den Weg nach Livorno.
Dennoch muss festgehalten werden, dass viele dieser Flamen, selbst wenn sie in der
Kongregation Mitglied waren, lediglich für eine befristete Zeit von einigen Jahren in Livorno
lebten, um den Warenaustausch mit der Levante in Schwung zu bringen. Sie wohnten dicht
beisammen an der Hauptstrasse, der Via Ferdinanda, wo sie langfristige Pachtverträge
abschlossen.732
730
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 223.
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 223f.
732
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 38f.
731
156
Diese Flamen schlossen sich in Livorno mit deutsch Sprechenden (vor allem aus Hamburg
und Wien) zu einer Organisation zusammen, die ihre Anliegen bei der lokalen Behörde
vortrug.
Die holländisch-deutsche Kongregation
Im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, besonders nach der mediterranen Hungersnot 1587,
verfestigten sich die Beziehungen zwischen Livorno und der nordischen Welt. Diese
versorgte die Apenninhalbinsel mit Getreide und weitete die Geschäfte bis auf die Levante
aus, deshalb die Bezeichnung Levant rapproché für Livorno. So erreichten die ersten
Holländer, dazu gehörten auch die Flamen (Bewohner der 10 Südprovinzen der ursprünglich
17 Provinzen unfassenden Niederlande) Livorno, wo sie die Vorratskammern auffüllten und
in den Dienst des Ordens des Heiligen Stephanus traten. Einer dieser Seekriegsfachleute aus
dem Norden war der Wiener Korporal Matheus Bonat/Bonade, der später zum Konsul der
flämischen Nation, ab 1679 holländische Nation, ernannt wurde, eine Vereinigung von
Händlern und Schiffskapitänen, die die so genannte „Versammlung“ durchführten. Der Name
der Organisation schwankte zwischen „flämisch und deutsch“ und „holländisch und
deutsch“.733 Dabei eingeschlossen waren vor allem Subjekte zwischen Amsterdam,
Antwerpen, Hamburg und Wien.734
Als Dachorganisation der reformierten Christen wurde also am 1. Mai 1622 ein flämischdeutscher Hilfsverein gegründet. Die Gründung erfolgte im katholischen Kontext. In der
Gründungsurkunde „Rotes Buch“ beschlossen sechs Flamen (aus Holland) und zwei Deutsche
(aus Wien), dass ihre Religions- und Bestattungsgemeinschaft eine Hilfseinrichtung sein
solle, wo für die Bestattung, die Pflege der Erkrankten, die Betreuung der Gefangenen
(inklusive Lösegeldbezahlung), den Rechtsbeistand und die Pflege der flämischen Identität
gesorgt würde. Letzteres wurde mit Festen, etwa am 30. November, dem Nationalfeiertag des
Heiligen Andreas (Schutzpatron der Niederlande), in die Tat umgesetzt.735
Dieses vielfältig kulturelle und karitative Programm war kostenintensiv. Deshalb enthielt das
„Rote Buch“ auch Angaben über die Finanzierung. Es mussten Abgaben auf die Schiffsfracht,
auf die ankommenden Schiffe und auf die Charterung von Schiffen bezahlt werden. 1666
733
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 15f.
Paolo Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse:
Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale „Gramsci“ u.a. Livorno 1992, S. 93.
735
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 11.
734
157
wurde das Abgabesystem vereinfacht und die Hilfsmassnahmen auf Matrosen, die
Schiffbruch erlitten oder der Sklaverei zum Opfer fielen, ausgedehnt.736
Als einer der ersten Schritte sicherte man sich in der Kirche „Della Madonna“ einen Platz für
den Altar des Heiligen Andreas und für die Bestattungen.737
Die Kongregation wurde von einem Gouverneur geleitet, dem als Assistenten ein
Schatzmeister und ein Administrator zur Seite standen. Alle Männer flämischer und deutscher
Herkunft konnten ihr durch Eintrag ins Rote Buch, durch eine einmalige Eintrittsgebühr und
durch die Bezahlung eines Jahresbeitrages beitreten.738
Zwischen 1628 und 1775 verzeichnete die Gemeinde 162 neue Beitritte. Darunter viele
Konsule, grosse Kaufleute und ab dem 18. Jahrhundert immer mehr Hamburger.739
Bis weit ins 18. Jahrhundert wurde die offiziell katholische Form beibehalten, obwohl der
Anteil der Reformierten ständig zunahm. Seit Beginn wurde die interkonfessionelle
Zusammensetzung beibehalten, die Mitglieder stammten ohne Ausnahme aus dem Norden
und folgten entweder dem Katholizismus oder dem Protestantismus.740 Gegen Ende des 18.
Jahrhunderts verstärkte sich die deutsche Komponente der Kongregation, folglich wurde den
konfessionellen (reformierten) gegenüber den nationalen Merkmalen mehr Beachtung
geschenkt.741 Um 1781 kam es im Kontext des Krieges zwischen England und Holland zum
Bruch der Einheit der Gemeinschaft. Die beiden Hamburger Enrico Nolte und Adolfo Koster
forderten die Selbständigkeit. Sie schrieben dem holländischen Konsul Diederigo Kersbyl,
dass sie sich von den Holländern trennen (Rücktritt), einen eigenen Verband gründen und nur
noch die Deutschen vertreten wollten. Dieser antwortete mit der Sperrung des gemeinsamen
Vermögens. Es kam 1784 zum Rechtsstreit.742 Grossherzog Peter Leopold löste die
Angelegenheit rasch auf, indem er 1790 beiden Parteien Zugeständnisse einräumte.743 Die
Kongregation konnte weiter gedeihen und sie wurde durch schweizerische, dänische,
norwegische und schwedische Elemente bereichert.744 Erst mit der Angliederung der Toskana
an das französische Kaiserreich kam das Handelswesen in Livorno ins Stocken. Der Handel
wurde erstickt, die Handelshäuser wanderten ab, die Einwohnerzahl ging zurück und der
Schmuggel blühte. Die holländisch-deutsche Nation litt wie die anderen Nationen auch unter
736
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 13.
Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna, S. 96.
738
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 13.
739
Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna, S. 96.
740
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 16.
741
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 72.
742
ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie XI, Nr. 3076, Atti criminali
dell’Auditore: processo contro il Console d’Olanda (1787).
743
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 77f.
744
Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna, S. 94.
737
158
der Besatzung. Zwischen 1808 und 1814 kamen keine neuen Mitglieder dazu und der
protestantische Gottesdienst drohte zu verschwinden, da das Geld für die Bezahlung eines
Geistlichen fehlte.745
Trotz der zum Teil schwer erträglichen wirtschaftlichen und religiösen Unannehmlichkeiten
ging der interne Geist der Toleranz nie verloren. Die mehrsprachige, multireligiöse und
überstaatliche Gemeinschaft war immer fähig, den inneren Zusammenhalt zu stärken und
friedlich miteinander zu leben. Selbst als die Protestanten in die Mehrheitsposition rückten,
blieben die gewaltigen Kontroversen aus.746
Identisch zu Ancona sorgten primär die wirtschaftlichen Möglichkeiten dafür, dass Kaufleute
weite Distanzen und kulturelle wie religiöse Unterschiede in Kauf nahmen, um ihrer Arbeit in
Livorno nachzugehen. Überwiegend Händler aus Nordwesteuropa und Vorderasien (inklusive
Griechenland) nutzten die Chancen, die der Freihafen bot. Ihre mentalen Landkarten waren
wirtschaftlich orientiert. Livorno wurde als Einnahmequelle gesehen, wo man als Kaufmann
und als Katholik unbeschwert und als Nichtkatholik mit Anstrengungen leben konnte.
6.1.4 Sonderfall Ancona, Sonderfall Livorno – Handelspotenziale für Juden
Dass Ancona und Livorno in der Frühen Neuzeit beliebte Orte für Juden waren, ist leicht
verständlich. Die Freihäfen zogen Kaufleute an, von denen viele Juden waren. Doch während
Livorno die ökonomischen Anreize mit religiösen Freiheiten komplettierte, war die religiöse
Lage der Juden in Ancona unsicherer. Das Bild, das sie von Ancona hatten, wurde von
abwechselnden Erfahrungen der Wegweisung, der Repression und der Duldung geprägt.747
Ancona
Spuren von Juden in Ancona gab es ab dem 10. Jahrhundert, beträchtlich war ihre Anzahl
aber erst ab dem 13. Jahrhundert. 1279 wurde bei einem Erdbeben eine Synagoge zerstört.
Um 1300 kann von einer organisierten jüdischen Gemeinde in Ancona gesprochen werden,
die überwiegend aus dem muslimischen Osten nach Ancona gelangten und die im
745
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 79f.
Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna, S. 97.
747
Jörg Deventer: Zwischen Ausweisung, Repression und Duldung. Die Judenpolitik der „Reformpäpste“ im
Kirchenstaat (ca. 1550-1605). In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 14 (2004), S. 365385.
746
159
Geldleihgeschäft oder im Handel berufstätig waren.748 Weitere Juden kamen von Venedig.
Nach ihrer Vertreibung aus der Serenissima (Übername Venedigs) am Ende des 14.
Jahrhunderts nahmen sie ihre Waren mit nach Ancona, was vor allem die venezianische
Seidenindustrie schmerzte.749
Im 15. Jahrhundert machten sie 5% der Bevölkerung aus, was 1450 etwa 500 Personen
entsprach. Diese sahen sich zu dieser Zeit restriktiven Forderungen gegenübergestellt, etwa
vom Franziskaner Giacomo della Marca, der das Tragen eines Erkennungszeichens und die
Ansiedlung aller Juden in einer Strasse forderte, was teilweise von den Stadtbehörden
umgesetzt wurde. 1456 und 1488 wurde Juden des Ritualmordes angeklagt.750
Gegen Ende des 15. und Anfangs des 16. Jahrhunderts gesellten sich die portugiesischen
Juden dazu, die vor der Inquisition und den Zwangstaufen geflohen waren. Sie wurden vom
Papst Paul III offiziell als Universitas Hebraeorum Portugallensium anerkannt. 1552 gab es
bereits um die 100 Juden aus Portugal751 sowie zahlreiche italienisch- und spanischsprechende
Juden, die aus der Levante einwanderten.752
Die jüdische Gemeinde teilte sich im 16. Jahrhundert in drei Untergruppen, benannt nach
ihrer Herkunft: Italienische,753 levantinische und portugiesische Juden, wovon jede Gruppe
eine eigene Synagoge besass.754 Delumeau unterscheidet zwischen italienischen (z. B.
Salomone di Lucca), portugiesischen, spanischen, französischen und osmanischen (z. B.
Isacco di Salonicco) Juden, wobei er betont haben will, dass viele Juden in den Quellen ohne
Ortszugehörigkeit angegeben wurden.755 Attilio Milano und Samuel Rocca führen zudem
748
Attilio Milano, Samuel Rocca: Ancona (Marche). In: Encyclopaedia Judaica (Second Edition, Volume 2). Hg.
von Fred Skolnik. Detroit 2007, S. 140.
749
Reinhold C. Müller: The Jewish Moneylenders of Late Trecento Venice: A Revisitation. In: Intercultural
Contacts in the Medieval Mediterranean. Hg. von Benjamin Arbel. London, Portland/Oregon 1996, S. 214.
750
Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 140.
751
Über die Mengenangabe gibt es grosse Konfusionen unter den Historikern. Von 100 Personen über 100
Familien bis 1770 Personen laufen die Vermutungen. Realistisch nach Toaff scheint die Menge von 150 bis 200
Individuen zu sein, die etwa 7% der jüdischen Bevölkerung in Ancona (ca. 2’700) ausmachten. Ariel Toaff:
L’„Universitas Hebraeorum Portugallensium“ di Ancona nel Cinquecento. Interessi economici e ambiguità
religiosa. In: Mercati, mercanti, denaro nelle Marche (secoli XIV-XIX). Hg. von Deputazione di storia patria per
le Marche. Ancona 1989, S. 128.
752
Israel: Diasporas Jewish, S. 16.
753
Erwähnung der Nation der italienischen Juden, der Università d’hebrei italiani: Einer der Gemeinschaft,
Moise Zippillo, ein Händler, sass offenbar unschuldig im Gefängnis von Rom. Sie forderte nun die Freilassung
des ehrenhaften Mannes. Diesem Wunsch wurde nachgegeben. ASAN, A.C.AN, Suppliche 1608-1613, Nr. 44/2,
S. 42.
754
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 171.
Die Gemeinschaft der levantinischen Juden wollte gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine Strebemauer bei ihrer
Synagoge bauen. Hinweis darauf in: ASAN, A.C.AN, Suppliche 1690-1700, Nr. 70, keine Blattnummern.
755
Delumeau: Un ponte fra oriente e occidente, S. 43.
160
noch deutsche Juden auf, die ebenfalls im 16. Jahrhundert nach Ancona gelangten.756 Nur
selten wird in den Quellen angegeben, ob die Juden sefardisch oder aschkenasisch waren.757
Es entwickelte sich im Zusammenschluss aller Gruppen eine ansehnliche jüdische Gemeinde
in Ancona. Neben 1’000 Griechen befanden sich unter den 23’000 Einwohnern in Ancona um
1580 2’700 Juden.758 1708 waren es auf eine Einwohnerzahl von etwas über 8'000 immer
noch über 1'000 Juden759 und 1763 sollen es 1'290 Personen gewesen sein.760
Die Wanderfahrten der Juden waren durch zahlreiche Faktoren bestimmt, wobei
vorzugsweise die Gesetze und Spielregeln des Handels massgebend waren. Je nach
Wirtschaftslage des gegenwärtigen Zeitpunkts fühlten sich die jüdischen Kaufleute im 16.
Jahrhundert von Städten wie Antwerpen, Venedig, Ancona, Saloniki und Bordeaux
angezogen, während sie im 17. Jahrhundert bevorzugt in Amsterdam, Hamburg und London
residierten. Die Obrigkeiten dieser Städte sahen bald, welchen finanziellen Nutzen sie daraus
ziehen konnten, weshalb sie die Juden mit offenen Armen empfingen und ihnen zahlreiche
Privilegien gewährten.761
In Ancona etwa nutzten jüdische Kaufleute den Hafen intensiv als Raum für ihre
Handelstätigkeit. Sie beteiligten sich im 16. Jahrhundert stark im über die Adria verlaufenden
Handelswesen zwischen dem osmanischen Reich und italienischen Städten, wie Ancona oder
Pesaro. Von grosser Bedeutung für die portugiesisch-sefardischen Juden in Ancona war der
Handel von serbischen und bosnischen Lederwaren, die von der Levante über Ragusa und
Ancona nach Westeuropa, vor allem Flandern, gelangten, und von florentinischen Tüchern,
die den umgekehrten Weg nahmen. Mittels päpstlichen Zollvergünstigungen und dank der
effizienten Nutzung der im ganzen Mittelmeerraum vorhandenen Kontaktpersonen, in Gestalt
von ebenfalls aus Portugal geflohenen Glaubensbrüdern, verdrängten sie die Konkurrenz aus
Florenz und aus Ragusa. In den 1540er und 1550er Jahren zeugten Verträge zwischen Juden
aus Ancona und Juden aus Istanbul, Izmir, Vlora, Saloniki und Edirne (Türkei) von einer
regen Handelstätigkeit. Mit der finanziellen Krise Antwerpens 1557 und der Blockade des
Hafens von Ancona (1556-1558), als Folge der päpstlichen Judenfeindlichkeiten, begann die
Vorherrschaft
756
der
Handelsroute
Flandern-Ancona-Levante
zu
bröckeln.
Teile
der
Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 140.
„Consilius Cohem Aschnazi hebreus orientalis mercator ad presens Ancona“ war offensichtlich ein
aschkenasischer Jude, der aus der Levante nach Ancona zog, um dort Handel zu betreiben. ASAN, A.N.AN,
Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 113h.
758
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 24.
759
Eliyahu Ashtor: Gli ebrei di Ancona nel periodo della repubblica. In: Le Marche e l’Adriatico orientale:
Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le
Marche. Ancona 1978, S. 339.
760
Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 141.
761
Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, S. 112f.
757
161
anconitanischen Juden zog es nach Venedig, von wo aus sie die Warenströme EnglandLevante und Amsterdam-Hamburg-Nürnberg-Levante organisierten oder sie steuerten den
Freihafen von Livorno an, der gezielt für ausländische Händler eingerichtet wurde, da die
Medici erkannten, dass die traditionelle toskanische Wirtschaft, die industrielle Fabrikation
von Stoffen, am Boden war und deshalb ein neues Konzept entworfen werden musste, was
mit dem Freihafen Livorno gegen Ende des 16. Jahrhunderts umgesetzt wurde.762
Neben dem Handel zeigte sich das Bankenwesen als zweites Standbein der Neuankömmlinge.
Ende 1549 signierten die Stadtbehörden Anconas die Bewilligung für eine portugiesischjüdische Bank in der Stadt. Die portugiesischen Juden verpflichteten sich als Gegenleistung
im Minimum 10'000 bis 12'000 Scudi zu investieren, welche sie dann zu einem Zinsfuss von
15% verleihen konnten. Die Stadt behielt sich das Recht vor, jährlich 1'000 Scudi zum
Vorzugszins von 10% zu beziehen. Sie ging auf diesen Handel ein, weil zu diesem Zeitpunkt
das Geldwesen monopolistisch in italienisch-jüdischer Hand lag und die bereits bestehenden
jüdischen Banken 22.5 bis 50% verlangten und weil das System der monte di pietà
(Leihhäuser ohne wucherische Gewinnabsichten) nicht funktionierte. Hier zeigten sich erste
Spannungen zwischen italienischen und portugiesischen Juden, die sich gegenseitig als
unfaire Konkurrenten missbilligten.763 Erst 1552 ratifizierte Papst Julius III das Abkommen
von 1549. Es fanden in den drei Jahren zähe Verhandlungen statt, die darin endeten, dass die
portugiesischen Juden jährlich eine Gebühr an den Kirchenstaat zu entrichten hatten als
Gegenleistung für die Privilegien, die erneuert wurden, und für die Lizenz zur
Bankeröffnung.764
Die finanziellen Anreize des Kirchenstaates waren umso verlockender, da viele Juden im
mediterranen Raum verfolgt wurden. Iberische Juden wanderten im 16. Jahrhundert bevorzugt
auf die Apenninhalbinsel und ins Osmanische Reich aus. Die jüdischen Marranen besassen
ein nahe liegendes Interesse, primär ein muslimisches Lebensumfeld auszuwählen, um zu
ihrem alten Glauben zurückzukehren. Die grösste Anzahl an aus Portugal und Spanien
geflohenen Marranen verzeichnete daher das osmanische Reich. Dieses hatte den Vorteil,
muslimisch zu sein und den Sultan störte es nicht, dass die „neuen Christen“ nun wieder zur
jüdischen Religion übertraten. So gelangten viele Juden via Venedig, Ferrara oder Ancona ins
762
Viviana Bonazzoli: Gli ebrei sefarditi del Levante e i Ragusei nel Cinquecento: Dal commercio di cuoi e
tessuti al profilarsi di nuovi equilibri mediterranei. In: Ragusa e il Mediterraneo: Ruolo e funzioni di una
Repubblica marinara tra Medioevo ed Età moderna. Hg. von Antonio Di Vittorio. Bari 1990, S. 169f.
763
Toaff: L’„Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 122f.
764
Toaff: L’„Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 127.
162
für sie sichere osmanische Reich.765 Doch auch Ragusa und Split waren beliebte
Zufluchtsorte, da sie im christlich-muslimischen Spannungsfeld eine neutrale Stellung
einnahmen.766 Christliche Gebiete waren weniger beliebt, besonders nach 1555/56, als
portugiesische Marranen im päpstlichen Ancona, die ihren jüdischen Glauben offen lebten,
wegen Apostasieverdacht angeklagt wurden.767 Bis zu diesem Wendepunkt war das Ansehen
Anconas in jüdischen Augen hoch. 1492 kamen die ersten Flüchtlinge vom spanischen
Sizilien nach Ancona, gefolgt 1497 von Verfolgten aus Portugal und ab 1510 aus dem
Königreich Neapel.768 1525 nahm Ancona weitere verfolgte Juden auf.769 Ariel Toaff datiert
die Ankunft der ersten Flüchtlinge aus Portugal in den 1530er Jahren, in der Regierungszeit
von Papst Clemens VII. Clemens’ Nachfolger Paul III gewährte in seiner Amtszeit (15341549), nach dem er Jahre zuvor bereits levantinische Händler und ausgeschlossene Juden aus
dem Königreich Neapel (1541) aufgenommen hatte, Immunität und gewisse Vorrechte für
portugiesisch-jüdische Kaufleute, zuerst nur einzeln, in Form von Schutzbriefen (so genannte
salvacondotti), später mit der Bulle vom 21. Februar 1547 kollektiv.770 Zu dieser Zeit
überwogen beim Papst die wirtschaftspolitischen Überlegungen, wogegen die religiösen
Bedenken noch im Hintergrund blieben.
Das ungestörte jüdische Leben und die Lebhaftigkeit der Stadt zogen jüdische
Persönlichkeiten nach Ancona. Zu den bekanntesten portugiesischen Juden in Ancona zählte
Francisco Barbosio, ein Arzt und Händler, der das Bankabkommen von 1549 als Vertreter der
Marranen unterschrieb. Bevor er nach Ancona zog, verbrachte er 18 Jahre in Indien, um
medizinische Erfahrungen zu sammeln. Von dort brachte er Heilwurzeln mit, die er seiner
neuen Kundschaft im Kirchenstaat, die sehr prominent war, verabreichte. Ebenfalls ein
berühmter Arzt war Amato Lusitano, der nach den ersten Anzeichen von Judenfeindlichkeit
1555 die Stadt in Richtung Pesaro verliess, von wo er nach Ragusa weiterzog. Barbosio
765
Donatella Calabi: The Jews and the City in the Mediterranean Area. In: Mediterranean Urban Culture 1400–
1700. Hg. von Alexander Cowan. Exeter 2000, S. 59.
766
Birnbaum: The long journey of Gracia Mendes, S. 66f.
767
Bernard Lewis: Cultures in Conflict: Christians, Muslims, and Jews in the age of discovery. New York 1995,
S. 38.
768
Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 140.
769
Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, S. 112f.
770
Darin inbegriffen waren die Steuerbefreiung und der Schutz vor der Inquisition. Im Detail bedeutete dies,
dass sie sich in Ancona frei niederlassen, sich in ihrem gesamten Territorium frei bewegen und wirtschaftlich
aktiv werden und auch wieder frei, mit dem eigenem Vermögen und den eigenen Waren, abreisen durften.
Ausserdem waren sie autorisiert, in jeder Branche Handel zu treiben, sowohl über den Land- als auch über den
Seeweg. Als Basishafen oder Basisort musste nicht unbedingt Ancona gewählt werden, andere Städte im
Kirchenstadt standen ebenso zur Verfügung. Geschäfte mit Christen und anderen Nichtjuden waren erlaubt,
Steuern (gabelle) auf Waren wurden nicht erhoben und das Erkennungszeichen auf der Kleidung musste nicht
getragen werden, im Gegensatz zu anderen in der Stadt lebenden (italienischen) Juden, die auch sonst nicht
derart vorzüglich behandelt wurden. Kriminal- und zivilrechtlich wurden sie vor ordentlichen Gerichten
beurteilt, nicht vor der Inquisition. Innerhalb von vier Monaten konnte der Schutzbrief gekündigt werden. Toaff:
L’„Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 116f.
163
dagegen genoss dank seinen Beziehungen als einziger Marrane den Schutz der politischen
und kirchlichen Würdenvertreter. Doch auch er verliess bald die Stadt in Richtung Saloniki.
Weit bekannt in der Kolonie der portugiesischen Juden in Ancona war der Poet Diogo Pires,
der in Evora, Portugal, geboren und in Salamanca ausgebildet wurde. Bevor er 1552 nach
Ancona kam, lebte er in Ägypten, Belgien, der Schweiz, Venedig, Ferrara und Rom.771
Weitere Biographien von Händlern und Ärzten zeugen ebenfalls von mobilen Individuen, die
aber nicht immer freiwillig unterwegs waren, vor allem nicht nach 1555. Über ihre
öffentlichen Aktivitäten weiss man viel, nicht aber über ihr Privatleben und ihr religiöses
Leben, obwohl sie bis zur Katastrophe 1555 eine eigene Synagoge besassen, ihre Religion
also öffentlich ausleben konnten. Doch die italienischen Juden interessierten sich kaum für
den Kult der Marranen. Einzelschicksale lassen andeuten, dass die Marranen hin und her
gerissen wurden zwischen den Religionen: Christ in Portugal, Jude in Ancona bis 1556, dann
wieder Christ und zum Schluss wieder Jude (zum Beispiel im Ghetto von Venedig), was aber
nicht unbedingt die letzte Konversion sein musste.772
Die neuen Christen, die zuerst die Händlerelite in Portugal und später in Ancona, Amsterdam
und London ausmachten, entwickelten eine eigene Lebensphilosophie. Sie identifizierten sich
nicht mit ihrer Religion oder Ethnie, sondern mit der Tätigkeit im internationalen Handel.773
So ist es zu erklären, warum Ancona auf der mentalen Landkarte der Juden derart prominent
aufgezeichnet wurde. Erst die lebensbedrohlichen Repressionen des Kirchenstaates 1555
löschten diese Zusammenarbeit für lange Zeit aus. Erst wieder im 18. Jahrhundert gelang es
dem Kirchenstaat, Ancona mit einem Freihafen für Juden attraktiv zu gestalten.
Aschkenasische Familien wie die Morpurgos verlegten folglich ihre Geschäfte an die
Westadriaküste. Während viele Familien durch lange Aufenthalte in Italien italienisiert
wurden, wie etwa die ursprünglich deutsch-jüdische Familie Bemporad, die nun als „di
Firenze“ bezeichnet wurden, so stellte sich der Fall der Familie Morpurgo etwas anders dar.
Sie wanderten direkt von der Habsburgischen Monarchie, von Gradisca774, nach Ancona aus.
Bereits zuvor bestanden kommerzielle Kontakte zwischen dem Morpurgo-Clan und Ancona,
vornehmlich über die Messe von Senigallia. Durch gezielte Mitgiftzahlungen und dank einer
771
Die Juden in Ancona und in Rom unterhielten intensive kommerzielle Beziehungen. Siehe Delumeau: Vie
économique et sociale de Rome, S. 99.
772
Toaff: L’„Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 128f.
In Ancona gab es den Fall eines Rabbiners, der nach 32 Jahren Judentum zum römisch-katholischen Christentum
konvertierte, zusammen mit seiner Familie. ASAN, A.C.AN, Suppliche 1619-1626, Nr. 64, keine Blattnummern.
773
Toaff: L’„Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 134.
774
Stadt in Nordostitalien, nahe der slowenischen Grenze.
164
geschickten Heiratspolitik gelang Sanson Morpurgo der Einstieg und die Verwurzelung sowie
der soziale Aufstieg in der jüdischen Gesellschaft Anconas.775
Die soziale Position entsprach der wirtschaftlichen Potenz. In der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts gehörten den jüdischen Familien Coen, Consolo und Morpurgo die
beständigsten und innovativsten Handelshäuser Anconas. Diese Beziehungen wurden durch
Heirat untereinander noch verfestigt. Nicht selten gab es Ehen unter Verwandten, um die
Zerstreuung des Unternehmenkapitals zu verhindern. Zudem erwies sich die Strategie, alle
Söhne am Erbe teilzuhaben, als erfolgreich. Die Expansion einzelner Handelsunternehmen im
jüdischen Ambiente Anconas im 18. Jahrhundert war nicht zu übersehen. Eheschliessungen
dienten der Familienpolitik, um Allianzen und Vermögensbestände zu sichern. Iosef
Morpurgo war darin ebenso zielstrebig wie sein Vorgänger, sein Vater Sanson, der die
dementsprechenden
Spuren
legte.
Iosef
häufte
in
jahrzehntlanger
Arbeit
sein
Familienvermögen an. Zwischen 1743 und 1782 stehen Mitgiftausgaben von 8’200 Scudi
Mitgifteinnahmen von 18'700 Scudi gegenüber. Nicht vergessen werden darf dabei, dass auch
der Handel zum Familienvermögen beitrug. Die Morpurgos unterhielten Niederlassungen in
Ancona, Gradisca, Gorizia (Nordostitalien), Venedig, Saloniki und an der Ostadriaküste.776
Diese Kontakte und der gesellschaftliche Einfluss nutzten sie, um ihre Überzeugungen zu
verbreiten. Sie waren die Vertreter der Haskalah in Ancona.777
Die jüdische Begeisterung für Ancona war bescheiden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts
lebten gerade noch etwa 15 jüdische Familien in Ancona, unter ihnen einige, die bereits seit
dem 16. Jahrhundert ansässig waren, wie die Aziz’, Consolos, Costantinis oder Murgis.778
775
Viviana Bonazzoli: Sulla struttura familiare delle aziende ebraiche nella Ancona del ’700. In: La presenza
ebraica nelle Marche, secoli XIII-XX. Hg. von Sergio Anselmi, Viviana Bonazzoli. Ancona 1993, S. 140f.
776
Bonazzoli: Sulla struttura familiare, S. 143f.
777
Die Leiter der jüdischen Gemeinde in Ancona im 18. Jahrhundert gehörten wie bereits erwähnt zur Familie
der Morpurgos, einer weit verzweigten norditalienischen Familie österreichischen Ursprungs. Sie waren
Verwandte von Elia Morpurgo. Der Geschäftsmann, Hebraist und Übersetzer nahm eine führende Stellung in der
jüdischen Gemeinde von Gradisca ein. Er demonstrierte die Gemeinsamkeiten zwischen der Berliner Haskalah
und der Führungsschicht norditalienischer Gemeinden wie Triest, Ferrara, Venedig oder Ancona. Deshalb ist es
nicht verwunderlich, dass in Ancona die Haskalah intensiv gelehrt wurde. Unterstützung für diese Bewegung
kam von reichen jüdischen Kaufleuten in Ancona. Diese setzten sich für die Zukunft der Wirtschaft ein, indem
sie die moderne Bildung unterstützten, weil sie sich von ihr ökonomischen und sozialen Nutzen versprachen und
daran glaubten, dass sie die Integration in die nichtjüdische Gesellschaft fördern konnte. Vgl. dazu: Dubin: The
Port Jews, S. 132, 267.
778
Bonazzoli: Sulla struttura familiare, S. 139. Zur weiteren Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Ancona im
19. und 20. Jahrhundert siehe Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 141.
165
Livorno
Während also die Vorstellungen der Juden über den Lebensraum Ancona zwiespältig war,
geprägt von ökonomischen Potenzialen in Verbindung mit existenziellen Ängsten, gestalteten
sich die mentalen Landkarten der Juden von Livorno eindeutig. Livorno galt seit der
Livornina ununterbrochen als Schlaraffenland für jüdische Biographien. Das Bild speiste sich
aus positiven Erfahrungen, die nicht abrissen.
Die Juden lebten im Gebiet um den Dom, die Chiesa di S. Francesco, herum, wo sie ihre
Glauben frei praktizieren, ohne Zensurdruck studieren und Schriften publizieren konnten.779
Ihr Quartier war offen, kein Ghetto, und das gelbe Erkennungszeichen musste nicht getragen
werden.780 Prozesse vor der Inquisition und Zwangstaufen mussten nicht befürchtet werden.
Es wurde bald eine Synagoge eröffnet, ein Friedhof zur Verfügung gestellt und weitere
Organisationsstrukturen aufgebaut.781 Dazu gehörte auch eine Bruderschaft.782
Die Anzahl der Juden in Livorno nahm ab 1597, kurz nach dem Inkrafttreten der
fremdenfreundlichen Gesetze von Ferdinando, mit 12 Personen stetig zu. 1633 waren es 700,
1643 schon 1'250 Juden (etwa 10% der Gesamtbevölkerung), 50 Jahre später mindestens
2'379 und am Ende des 17. Jahrhundert zählte man bereits 2’550 Menschen jüdischer
Religionszugehörigkeit. Im späten 18. Jahrhundert fand man in Livorno etwa 4’000 Juden
vor, die im mediterranen und nordafrikanischen Handel noch immer eine bedeutende Rolle
spielten und sich grosser ökonomischer und sozialer Anerkennung erfreuten.783 Charles
Carrière und Marcel Courdurié weisen für das Jahr 1764 ca. 5’000 Juden vor, bei einer
Gesamteinwohnerzahl von 36'000. Gemäss Carrière und Courdurié stellten sie einen Staat im
Staat mit autonomen Strukturen dar, für sie war Livorno eine Oase.784
Eine unbestimmte Anzahl Juden verliess das stagnierende osmanische Reich im 18.
Jahrhundert in Richtung Wien, Triest, Livorno, Amsterdam, London und Hamburg, in die
779
Nuti: Livorno, il porto, S. 343.
Die Massari der jüdischen Nation in Livorno baten 1655 den Grossherzog, dass auch die Juden, die die
Toskana durchqueren, um Geschäfte zu machen oder bloss zwecks Durchreise, kein Erkennungszeichen tragen
müssen, wenn sie kommen, bleiben und zurückkehren; so wie die ansässigen Juden auch. In: ASL, Governatore
e Auditore, Nr. 2606, S. 95.
781
Gabriele Bedarida: Gli ebrei a Livorno. Cenni storici. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse:
Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale „Gramsci“ u.a. Livorno 1992, S. 42.
782
Der Jude Jacob Ribera wünschte 1660 in die confraternita der jüdischen Nation aufgenommen zu werden.
Diese behauptete, er habe die Eintrittsgebühr nicht bezahlt, was Ribera bestritt. Das Gesuch wurde gutgeheissen.
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 141.
783
Dubin: The Port Jews, S. 61.
784
Carrière, Courdurié: Les grandes heures de Livourne, S. 44.
Die Juden organisierten sich in einem Verband, der aus einer sechzigköpfigen Versammlung und einer
fünfköpfigen Exekutive (ital. Massari oder hebr. Parnassim, siehe Lévy: La nation juive, S. 227) bestand. Diese
Gesellschaft zeichnete sich durch aristokratische Anordnungen aus. Die Ämter waren wohlhabenden Personen
aus einer kleinen Auswahl Familien von der Iberischen Halbinsel vorbehalten. Bedarida: Gli ebrei a Livorno, S.
42.
780
166
neuen Zentren der wachsenden und blühenden Wirtschaft.785 Bis heute sind einige wenige
Hunderte übrig geblieben.
Demographische Entwicklung vom 18. bis ins 20. Jahrhundert786
Jahr
Anzahl
Prozentanteil (%)
1725
3’000
12
1738
3’476
1750
3’500
1758
3’687
1775
4’000
1784
4’327
1800
5’000
10
1825
4’500
6
1841
4’771
Volkszählung im Grossherzogtum
11
10
Toskana
1850
4’600
6
1875
4’400
5
1938
2’235
Volkszählung
In Livorno beschäftigten sich die Juden hauptsächlich mit dem Handel und dem Geldverkehr
sprich dem Bankenwesen. Sie gründeten zahlreiche Versandhäuser und ein Leihhaus.787
Neben dem Handel und dem Bankwesen besassen und entwickelten wohlhabende Juden
diverse Produktionsfirmen, etwa im Glas- und Seidensektor oder sie investierten ihr Geld in
industrielle Anlagen. Zudem konzentrierte sich durch die Juden die Korallenproduktion in
Livorno. Nicht so reiche Juden arbeiteten oft als Korallenpoliere.788 Während sich die Juden
in Florenz nach oben arbeiteten, waren viele von ihnen in Livorno bereits im 16. Jahrhundert
wohlhabend und unternehmerisch tätig.789
785
Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 246.
Daten und Tabelle entnommen aus: Wyrwa: Juden in der Toskana. S. 6; Anna Sercia Gianforma: Gli ebrei
livornesi nel censimento del 1841. In: Ebrei di Livorno tra due censimenti (1841-1938). Memoria familiare e
identità. Hg. von Michele Luzzati. Livorno 1990, S. 23-59; Pier Luigi Orsi: La comunità ebraica di Livorno dal
censimento del 1938 alla persecuzione. In: Ebrei di Livorno tra due censimenti (1841-1938). Memoria familiare
e identità. Hg. von Michele Luzzati. Livorno 1990, S. 203-223; Francesca Trivellato: Les juifs d’origine
portugaise entre Livourne, le Portugal et la Méditerranée (c. 1650-1750). In: La Diaspora des „NouveauxChrétiens“. Hg. von João Pedro Garcia. Lissabon, Paris 2004, S. 172.
787
Nuti: Livorno, il porto, S. 343.
788
Hinweis dafür bei: Israel: Diasporas Jewish, S. 23.
789
Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 7.
786
167
Die jüdischen Auswanderer in die Toskana siedelten sich dort an, wo die kommerziellen
Ressourcen und Möglichkeiten am grössten waren, also in Florenz, Siena, Pisa und
Livorno.790 Sie folgten den Einladungen lokaler Herrscher. Als eine solche Einladung kann
die Livornina angesehen werden.
Der Erlass Livornina von Ferdinando I (1549-1609) aus dem Jahre 1591/1593 entstand aus
den wirtschaftspolitischen Überlegungen des toskanischen Fürsten, der durch die Ansiedlung
von Juden die ökonomische Entwicklung seines Herrschaftsgebietes fördern wollte.791
Livorno galt gemäss Lois Dubin als Musterbeispiel, wie europäische Herrscher in der Frühen
Neuzeit gezielt Juden einluden, um das wirtschaftliche Potential ihre Hafenstädte weiter zu
entwickeln.792 Diese engagierten sich im Grosshandel und waren so Mitwirkende am vitalen
Hafenleben. Den Juden wurde eine Affinität zum Handelswesen nachgesagt, mit der sie nicht
nur in Livorno den Handel anregten und die Stadt in eine wirtschaftliche Blüte führten.793
In der freien und ruhigen Atmosphäre Livornos entfaltete sich das jüdische Sein in allen
seinen mannigfaltigen Ausprägungen. Das familiäre Korrespondenznetz, bis Mexiko und in
die Karibik, die Mehrsprachigkeit und das Know-how in der Buchhaltung und im
Bankengeschäft reichten aus, um zwischen Nordeuropa, der Levante und Nordafrika das
Wirtschaftsaufkommen zu steuern, um Waren wie Öl, Getreide und Korallen zu vertreiben.794
Komplementär zum Handel fand man Juden auch in der Verwaltung, als Übersetzer, als
Unternehmer in der Produktion oder als Handwerker.795 Dieses Bild darf nicht darüber
hinwegtäuschen, dass Armut auch unter Juden ein erlebtes Thema war, das mit
Wohlfahrtsinstitutionen aufgefangen werden sollte.796
Jüdische Einwanderer suchten in Livorno die Gelegenheiten, die ihnen die Livornina
versprach. Zu den übrigen Mittelmeerhafenstädten wie etwa Izmir oder Saloniki gesellte sich
nun eine weitere judenfreundliche Destination dazu, wo die jüdischen Händler ihre Geschäfte
abwickeln konnten. Das Netzwerk war um einen Knotenpunkt reicher.
Die Juden in Livorno handelten international und machten die Stadt zu einem wichtigen
Umschlagplatz im Mittelmeer des 17. Jahrhunderts, als Drehscheibe zwischen Orient und
790
Calabi: The Jews and the City, S. 67.
Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 19.
792
Dubin: The Port Jews, S. 3f.
793
Dubin: The Port Jews, S. 199.
794
Lionel Lévy betont die mediterrane und arabische Ausrichtung der portugiesischen Juden in Livorno. Die
Sprache und die Kultur der arabischen Welt wurden in Livorno nie exotisch angesehen, Couscous war ab dem
17. Jahrhundert ein weit verbreitetes Gericht in Livorno. Das Meer verband die Leute mehr, als dass es sie
trennte. Der Handel war der Zweck und die jüdischen Familien die Basen der Annäherung. Lévy: La nation
juive, S. 209f.
795
Bedarida: Gli ebrei a Livorno, S. 43.
796
Bedarida: Gli ebrei a Livorno, S. 44. Angabe eines armen Juden (aus Pisa, 17. Mai 1652): ASL, Governatore
e Auditore, Nr. 2606, S. 321.
791
168
Okzident und zwischen Nord- bzw. Ostsee und den Mittelmeerländern. Sie erschufen
Niederlassungen in Tunis, London und Marseille. Sie importierten Waren aus der Levante
und aus Nordafrika, wie Leder, Gewürze, Früchte und Getreide, ebenso wie Gewürze aus
Portugal, Zinn und Blei aus Nordeuropa und Kaviar aus Russland. Im Gegenzug exportierten
sie feine Stoffe aus Venedig und Florenz in den Orient. Sie übernahmen zudem das
Weiterleiten der rohen Korallen an die englischen Händler, die sie an Indien verkauften. In
ihren Händen befand sich auch das Importwesen von Diamanten, Perlen und Edelsteinen. Sie
handelten mit Gold- und Silbermünzen und hatten das Monopol in der Toskana, was das
Papier, den Tabak und den Schnaps anbelangte. Ohne sie ging nichts beim Geldwechsel und
im maritimen Versicherungswesen. Diese multifunktionalen Tätigkeiten führten dazu, dass
die Juden ein üppiges Leben führen konnten und in der Gesellschaft hoch angesehen waren.797
Die Gründe für ihren Erfolg können in der günstigen Wirtschaftskonjunktur, in den Vorteilen
des Freihafens und in den durch die Obrigkeiten gewährten, weiter bestehenden Privilegien
gesehen werden. Diese Bedingungen ermöglichten den sefardischen Kaufleuten ihre
Kapazität, ihre internationalen Beziehungen und ihr Kapital optimal einzusetzen.798 Francesca
Trivellato hebt besonders die Zusammenarbeit vor, die die sefardischen Juden sowohl mit
Glaubensbrüdern, vor allem Verwandte, mit Vertretern anderer Kulturen und Religionen als
auch mit öffentlichen, staatlichen Institutionen pflegten. So gelang es der Gemeinschaft, den
Mittelmeerraum
im
17.
und
18.
Jahrhundert
sogar
gegen
die
atlantischen
Expansionsbestrebungen wirtschaftlich weiterhin vital und attraktiv zu halten.799
Diese Komponenten wurden auch noch im 18. Jahrhundert geschätzt. Die Juden von Livorno
waren weiterhin bedeutend für den Handel mit Tunis. Sie genossen dabei den diplomatischen
Schutz durch die Franzosen, von denen sie zudem die Schiffsinfrastruktur zu ihrem Vorteil
nutzten.800 Sie waren aktiv im Handel mit Baumwolle, Wolle, Gewürzen und Getreide tätig,
vor allem mit der Levante, Tunesien und Gibraltar. Gegen Ende des 18. Jahrhundert verlor
der jüdische Handel an Bedeutung.801
Ohne die jüdischen Händler hätte es kaum wirtschaftliche Kontakte zwischen Livorno und
Nordafrika gegeben. Ein grosser Teil des Handels zwischen diesen beiden Gebieten wurde im
18. Jahrhundert durch Juden aus Livorno abgewickelt. Die jüdischen Händler waren dort so
erfolgreich, weil die ökonomischen Strukturen noch am archaischsten waren. Es zählte vor
797
Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 278f.
Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S, 279.
799
Trivellato: Les juifs d’origine portugaise, S. 181.
800
Näheres zur jüdisch-französischen Kooperation: Trivellato: Les juifs d’origine portugaise, S. 179f.
801
Benbassa, Rodrigue: Sephardi Jewry, S. 46.
798
169
allem das Wissen (savoir-faire) und die guten, mehr oder weniger teuren, Beziehungen zur
lokalen Elite.802
Doch auch zur Iberischen Halbinsel, zu Italien und zu Frankreich wurden in dieser Zeit
Beziehungen geknüpft. Mit der Iberischen Halbinsel waren sie jedoch nicht so intensiv,
lediglich Lissabon spielte eine gewisse Rolle, insbesondere im Handel mit indischen
Diamanten.803 Die jüdischen Händler aus Livorno waren auch auf vielen italienischen
Märkten präsent, so etwa in Triest, Venedig, Ancona, Sizilien und Neapel. Bemerkenswert
war ihr Eindringen in den fremdenfeindlichen Markt von Marseille.804
Weniger aktiv waren die Juden in Saloniki, im europäischen Teil des osmanischen Reiches,
sowie in Istanbul, wogegen mit Aleppo, mit Alexandria und mit Izmir reichlich gehandelt
wurde.805
Wenn es über den Mittelmeerraum hinausging, fand man Juden, die Warentransporte über
grosse Distanzen organisierten. Die sefardischen Juden von Livorno leiteten den
interkontinentalen Handel mit mediterranen Korallen und indischen Diamanten im 17. und
18. Jahrhundert ohne Unterstützung einer zentralen Macht, sondern lediglich durch
Zuhilfenahme eines informellen Netzwerkes, bestehend aus Kaufleuten unterschiedlichster
ethnischer und religiöser Herkunft. Die Juden arbeiteten sowohl mit den Italienern aus
Lissabon, welche als Zwischenhändler in Portugal fungierten, als auch mit den hinduistischen
Händlern aus Goa zusammen.806
Livorno war in dieser Periode das Zentrum des Korallenhandels. Das sefardische
Familienunternehmen Ergas & Silveira war eines der bedeutendsten Handelsunternehmen in
Livorno. Die Familie emigrierte von der iberischen Halbinsel und fand in Livorno im frühen
18. Jahrhundert optimale wirtschaftliche Bedingungen vor. Davon profitierten nicht nur
Juden, sondern auch Engländer und Holländer, die im Mittelmeer wirtschaftlich aktiv werden
wollten. Die Familie Ergas & Silveira verfügte bereits 1710 über ein weites Beziehungsnetz
von italienischen Kaufleuten in Lissabon und hinduistischen Agenten in Goa.807
802
Jean Pierre Filippini: Le rôle des négociants et des banquiers juifs de Livourne dans le grand commerce
international en méditerranée au XVIIIe siècle. In: The Mediterranean and the Jews. Banking, Finance and
International Trade (XVI-XVIII Centuries). Hg. von Ariel Toaff, Simon Schwarzfuchs. Ramat-Gan 1989, S.
129, 134, 146.
803
Filippini: Le rôle des négociants, S. 132.
804
Filippini: Le rôle des négociants, S. 133f.
805
Wo die Juden aus Livorno aktiv waren und wo weniger, hing von vielen Faktoren ab, z, B. persönliche
Beziehungen, Freihafen, Konkurrenz, Bedeutung im internationalen Handel, etc.. Vgl. Filippini: Le rôle des
négociants, S. 131f., 146.
806
Trivellato: Juifs de Livourne, S. 584f.
807
Trivellato: Juifs de Livourne, S. 593f.
170
Die katholischen Italiener in Lissabon, hauptsächlich aus Florenz und Genua, füllten die
Lücke, welche die Juden, die nach der Inquisition geflohen waren, hinterlassen hatten. Sie
waren die Mittelmänner im Handel zwischen Portugal und Italien und hatten gute Kontakte zu
Juden in den italienischen Hafenstädten, so etwa in Livorno und Venedig.808
In Indien handelten die Juden mit den Saraswat, einer ökonomisch einflussreichen und
wohlhabenden Kaste aus Westindien.809 Doch auch gegen Westen, über den Atlantik,
streckten die Juden ihre Fühler aus. Sie engagierten sich im Import von brasilianischem
Zucker, der über Portugal, Antwerpen oder Livorno nach Europa gelangte.810 Zudem wurde
1632 durch die Juden der erste Kaffee auf die apenninische Halbinsel importiert, was dazu
führte, dass dort die ersten Kaffeehäuser entstanden.811
Nicht nur sefardische Juden betätigten sich in Livorno. Der Unternehmer Maggino Gabrielli
war ein aschkenasischer Jude. Er stammte aus einer jüdischen Familie, die einst in Frankreich
verwachsen war. Er selber agierte unter anderem im Textilwesen in Mantua, Padua, Venedig
und Rom. Letzteres musste er 1590 fluchtartig verlassen, er fand Aufnahme in der Toskana,
wo er Konsul der Juden in Pisa und Livorno wurde. Er reiste 1592 im Auftrag des
Grossherzogen Ferdinando in die Levante, um dort Händler und Güter für Livorno zu
gewinnen und gefangene toskanische Seeleute zu befreien.812 Maggino verwaltete viel Geld
des Grossherzogs, welches er wiederum investieren konnte. Er genoss neben dieser Macht
lange Zeit den Rückhalt unter den levantinischen und iberischen Juden, bis bekannt wurde,
wie stark despotisch die Stellung des Konsuls durch die Charta von 1591 ausgestaltet wurde.
Dadurch weigerten sich immer mehr jüdische Kaufleute, sich in Livorno ökonomisch zu
engagieren. Die Charta von 1593 (Livornina) beendete die Konsulatsverfassung und
entmachtete Maggino.813
Als 1595 der Versuch des Grossherzogs, massenweise Mailänder Juden italienischer oder
deutscher Herkunft für sein Livorno anzuwerben, scheiterte und somit Maggino nicht deren
Konsul werden konnte, verliess er die Toskana.814 Er zog 1596 nach Turin und später über die
Alpen weiter in den Norden, jedoch ohne grossen Erfolg. Seine Idee, weg von der
Güterproduktion und hin zur Organisation des Handels mit Waren und zum Geldgeschäft,
808
Trivellato: Juifs de Livourne, S. 597f.
Trivellato: Juifs de Livourne, S. 599.
810
Israel: Diasporas Jewish, S. 17.
811
Hinweis vom Medici Archive Project: www.medici.org/jewish/jewishmedici.html, Stand 27.11.2008.
812
Daniel Jütte: Abramo Colorni, jüdischer Hofalchemist Herzog Friedrichs I., und die hebräische
Handelskompanie des Maggino Gabrielli in Württemberg am Ende des 16. Jahrhunderts. Ein biographischer und
methodologischer Beitrag zur jüdischen Wissenschaftsgeschichte. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und
Kultur der Juden 15 (2005), S. 461.
813
Jütte: Abramo Colorni, jüdischer Hofalchemist, S. 462.
814
Jütte: Abramo Colorni, jüdischer Hofalchemist, S. 463f.
809
171
konnte nicht umgesetzt werden.815 Seine Orienthandelsgesellschaft fand kaum Anklang im
französisch- und deutschsprachigen Raum. Während um 1600 in Livorno eine liberale, an
wirtschaftlichen Fortschritt denkende Judenpolitik verfolgt wurde, verhinderte die weit
verbreitete Judenfeindlichkeit dasselbe in Lothringen, Kurtrier und Württemberg. Auf der
Apenninhalbinsel gab es einen harten Kampf unter Hafenstädten wie Ancona, Livorno und
Venedig, um die Ansiedlung iberisch-sefardischer und levantinischer Juden. Seit vielen
Jahrhunderten erteilten dort die Regierenden jüdischen Geldverleihern und Händlern eine
zeitlich
begrenzte
condotta
(Aufenthaltsgenehmigung).816
Durch
diese
wurde
die
wirtschaftliche und religiöse Entfaltung gefördert, woran in Württemberg nicht gedacht
wurde.817
Lucia Frattarelli Fischer sieht in den Netzwerken der in Livorno ansässigen Juden im 17.
Jahrhundert familiäre, wirtschaftliche (Handel) und historische Verbindungen, die den
Zusammenhalt und die Stärke ausmachten, die den Juden offensichtlich wichtig waren.818
Der Familienzusammenhalt war sehr gross und von starker politischer Bedeutsamkeit. 1641
gab es 85 jüdische Händler, die 32 Familien bildeten. Die Verwandtschaft war meist erstens
Grades und in derselben Generation, also Geschwister und Cousins. Aus fünf Familien, die
aus 42 Händlern bestanden, wurden die fünf Massari gewählt. Es wird die Tendenz bestätigt,
dass der Zugang zu politischen Ämtern über Familienverbindungen eröffnet wurde und dass
über diese Ämter die Privilegien und die Schutzmassnahmen im Handelswesen beantragt
wurden.819
Die Handelsnetzwerke erstreckten sich vor allem von der Levante nach Nordeuropa. Die
Juden verbanden, mit ihren Kontakten im muslimischen Mittelmeer, Afrika und Asien mit der
Apenninhalbinsel und Nordeuropa, wobei Livorno als Transithafen genutzt wurde. 1642 gab
es in Livorno 220 Händler (172 negozianti, 48 mercanti con fondaco): Florentiner, die
Verbindungen in ganz Europa und der Levante hatten, Holländer, Engländer, die Waren aus
dem Osten kauften (Wolle, Öl, Seide), die sie für ihre eigen Textilindustrie brauchten, und
Zinn, Blei, gesalzener Fisch und Tücher nach Livorno brachten, Armenier, welche mit
Pfeffer, Korallen, Stoffen und persischer Seide handelten und die Juden. Diese regelten den
Wirtschaftsverkehr im Mittelmeerraum zwischen den Muslimen und den Christen. Zudem
815
Das Handelswesen war bei den italienischen Juden sehr beliebt, vor allem bei den Sefarden, doch dessen
Bedeutung lag in der jüdischen Berufsstruktur hinter dem Geldgeschäft. Jütte: Abramo Colorni, jüdischer
Hofalchemist, S. 464.
816
Jütte: Abramo Colorni, jüdischer Hofalchemist, S. 480.
817
Jütte: Abramo Colorni, jüdischer Hofalchemist, S. 481.
818
Lucia Frattarelli Fischer: Reti locali e reti internazionali degli ebrei di Livorno nel Seicento. In: Commercial
Networks in the Early Modern World. EUI Working Paper HEC 2002/2. Hg. von Diogo Ramada Curto, Anthony
Molho. San Domenico 2002, S. 152-167.
819
Frattarelli Fischer: Reti locali, S. 153f.
172
agierten sie im Geldgeschäft, indem sie Banken eröffneten, die Geld (Kredite) gegen ein
Pfand verliehen. Aus Livorno zogen zahlreiche Juden nach Tunis, von wo aus sie den Warenund Sklavenaustausch zwischen Nordafrika und der christlichen Welt steuerten. Von
besonderer
wirtschaftlicher
Bedeutung
war
die
Dreiecksbeziehung
Tunis-Livorno-
Marseille.820
Die toskanischen Netzwerke waren von innerjüdischen Konflikten geprägt, die sich aber um
1645 entspannten, als beim Vertrieb von Tabak aus Brasilien in der Toskana die sefardischen
mit den italienischen Juden zusammenarbeiteten.821 Die jüdischen Händler in Livorno dehnten
ihren Einflussbereich auf der Apenninhalbinsel aus, blieben aber gleichzeitig in der Toskana
verwurzelt. Sie gingen immer weniger dem Handelswesen nach, sie übten andere Tätigkeiten
aus. Die Eröffnung von Fabriken, etwa zur Seifenherstellung, das Investitionsgeschäft und die
Spekulation mit Immobilien lagen im Trend.822 Obwohl sich die portugiesischen und die
italienischen Juden durch den Tabakhandel näher kamen, blieb eine gewisse Separation
bestehen, die sich im Kulturstil und im Zugehörigkeitsgefühl äusserten. Noch 1699
bekämpften die Sefarden die Eingliederung der anderen Juden in die Verwaltungsämter, um
ihre Vormachtstellung zu behaupten. Erst 1715 bekamen die italienischen Juden die gleichen
Rechte zugesprochen und konnten demnach Ämter besetzen.823
Was die jüdische Bevölkerung an Gelegenheiten in Livorno vorfand, kann nicht auf das
Geldverdienen durch Handel reduziert werden. Schulen und Bibliotheken sorgten für einen
hohen Alphabetisierungsgrad und wissenschaftliche Akademien förderten die Publikation von
Abhandlungen über die Religion, als auch poetische Werke. Livorno wurde so zum
Hauptzentrum der jüdischen Kultur im Mittelmeerraum.824 Die familiären, wirtschaftlichen
und geographischen Kanäle wurden genutzt, um unterschiedlichste Projekte zu lancieren. Hier
einige Beispiele: Rabbi Joseph ben Emanuel Ergas (1685-1732) propagierte die jüdische
Kabbala. Herausforderungen in Business, Religion und Wissenschaft wurden oft
komplementär angegangen. Elia Montalto di Luna war Arzt und zugleich Autor von Werken
über Astronomie, Religion und Augenheilkunde. Der Arzt Mose Cordovero kümmerte sich
ebenfalls nicht nur um seine Patienten, er war zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein Pioneer im
livornesischen Bankenwesen.825 Der deutsche Aufklärer der Haskalah, Hartwig Wessely, bat
Juden aus Triest, zwei seiner Schriften auch in Livorno und weiteren Städten in der Region zu
820
Frattarelli Fischer: Reti locali, S. 154f.
Frattarelli Fischer: Reti locali, S. 161f.
822
Frattarelli Fischer: Reti locali, S. 165.
823
Frattarelli Fischer: Reti locali, S. 167.
824
Bedarida: Gli ebrei a Livorno, S. 44f.
825
Siehe dazu die Ausführungen des Medici Archive Projects: www.medici.org/jewish/jewmedici.html, Stand
27.11.2008.
821
173
verbreiten.826 Auf diesem Wege erreichte die Haskalah die Toskana, wo sie in Livorno früh
und intensiv gelehrt wurde.827 In der livornesischen Stadtpolitik übten die Juden grossen
Einfluss auf die Staatsführung, die Staatskasse und das Militärwesen aus.828 Sie initiierten
zudem Vorstösse in der Kunst, in der Kultur und im Schulwesen. Nebenbei setzten sie sich
mit einer eigen dafür gegründeten Gesellschaft 1606/07 für den Freikauf von Sklaven ein.829
Die Symbiose der Juden mit der Stadt schien vollkommen. In allen Bereichen tauchten sie
auf. Sie waren Ärzte, Anwälte, Notare, Journalisten, Lehrer, Künstler, Beamte oder Arbeiter.
Es gelang der jüdischen Diaspora sich in das öffentliche Leben der Stadt Livorno
einzubringen. Gabriele Bedarida ist überzeugt, dass die oft an Livorno getragene, offene,
lebendige, rege und demokratisch gesinnte Art – und der Hunger nach mehr davon – durch
die Juden in die Stadt getragen wurde.830 Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts zog es Juden
vereinzelt nach Livorno. Vertreter aus Bagdad, Saloniki, Iraklio (Kreta), Izmir, Algier,
Tripolis, Kairo, Alexandria, Aleppo, Tunis, Marokko (Tanger, Mogador), Gibraltar, Ancona,
Florenz, Rom, Verona, Triest, Marseille, Voralberg, Amsterdam, London stellten Anträge,
sich in Livorno niederlassen zu dürfen. Die Kanzlei (la Cancelleria) der jüdischen Gemeinde
in Livorno schrieb an die Stadtverwaltung (Auditore del Governo di Livorno), um die
Bestätigung einzuholen, dass die von der jüdischen Gemeinde (Massari e Governanti della
Nazione Israelitica) neu gewählten Gemeindemitglieder auch von der Stadtverwaltung
anerkannt wurden und so an die selben Privilegien und Zugeständnisse wie ihre
Glaubensbrüder kamen. Dies geschah im Mai 1818 mit den beiden Juden Isache di Leon
Provenzal aus Amsterdam und Salomon di Jehazchel Coen aus Bagdad.831
Erst mit der Wirtschaftskrise Livornos und der Einigung Italiens im späten 19. Jahrhundert
nahmen die Aktivitäten der Juden ab, welche im Jahrhundert darauf durch den Faschismus
weiter beschnitten wurden.832 Der Exodus nahm zu. Viele jüdische Familien italienischen
Ursprungs, so genannte Francos, suchten und fanden im 18. und 19. Jahrhundert neue
Lebensräume in Saloniki. Die Geschichte der Francos geht zurück auf das 16. Jahrhundert,
als verfolgte Juden in Livorno Zuflucht fanden und anschliessend der Stadt zu Reichtum und
Einfluss verhalfen. Sie zogen einige Jahrhunderte später weiter nach Saloniki, wo die
826
Dubin: The Port Jews, S. 122.
Dubin: The Port Jews, S. 267.
828
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 162.
829
Nuti: Livorno, il porto, S. 344.
830
Bedarida: Gli ebrei a Livorno, S. 46.
831
ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VI, Suppliche e informazioni, Nr. 942, Istanze e
suppliche per “livornine” 1816-1831.
832
Bedarida: Gli ebrei a Livorno, S. 45f.
827
174
Rahmenbedingungen – wirtschaftliche Privilegien und religiöse Schutzmassnahmen – für sie
stimmten.833
Lange Zeit war Livorno für jüdische Anliegen ein Sonder-, da ein Glücksfall. Ancona
hingegen war in jüdischen Augen ein Sonderfall, weil dort die übliche politische
Unbeständigkeit
und
die
existenzielle
Unsicherheit
durch
wirtschaftliche
Verdienstmöglichkeiten häufig relativiert wurden.
Ein toskanisches Sprichwort hebt die livornesische Besonderheit hervor, die auf den Papst
bezogen wohl kaum gültig wäre:
„Es ist weniger schlimm den Herzog zu schlagen und zu verprügeln als einen Juden.“834
6.1.5 Schuldentilgung und Amnestie
Eine häufig umgesetzte Idee der Neuankömmlinge war der unbelastete Neunanfang. Livorno
galt auf ihrer mentalen Landkarte als Schuldnerrückzugsgebiet. Geschäftstüchtige
Diasporamitglieder suchten im 17. Jahrhundert im toskanischen Livorno den Schutz vor
Geschäftspartnern, bei denen sie Geld geliehen oder Waren gekauft hatten. Der Franzose
Giovani di Pietro Martino begehrte am 30.9.1641 einen Schutzbrief (salvocondotto) für seine
Person und seine Waren vor seinen auswärtigen Gläubigern. Der Grossherzog gewährte diese
Amnestie vor ausländischen Gläubigern, nicht aber für Schulden, die er in der Toskana oder
bei toskanischen Untertanen gemacht hatte.835
Schuldner aus der nahen Umgebung, die aber in Livorno lebten, verlangten ebensolche
Schutzbriefe. Leono (mit seinen Kindern) aus Ancona tat 1658 diesen Schritt. Er brauchte
sechs Monate Ruhe vor seinen Gläubigern.836
Konflikte um Geld existierten gemeinschaftsübergreifend, so im Jahre 1656 zwischen Juden
und Christen837 oder zwischen einem flämischen Händler und einem Franzosen im Jahre
1627.838
Der Ruf nach einem Schutzbrief kam oft auf Grund der wirtschaftlich ungemütlichen Lage
zustande. Für verarmte Kaufleute war es der Weg, einen Neuanfang zu starten. Livorno sollte
dabei das Startbrett bilden. Giovanni di Domenico Bianchi von der französischen Nation ging
833
Maria Vassilikou: Greeks and Jews in Salonika and Odessa: Inter-ethnic Relations in Cosmopolitan Port
Cities. In: Port Jews: Jewish communities in cosmopolitan maritime trading centres, 1550-1950. Hg. von David
Cesarani. London 2002, S. 158.
834
Übersetzung (PK) eines toskanischen Sprichwortes, das Gabriel François Coyer 1763 auf seiner Italienreise
aufgeschnappt hatte. Erwähnung in Ultimieri: Livorno descritta dai viaggiatori francesi, S. 68.
835
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 145.
836
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 367, 368.
837
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 179, 180.
838
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2592, S. 38.
175
in die Levante, nachdem er etwa 20 Jahre ununterbrochen in Livorno gelebt hatte, um seine
kaufmännischen Interessen zu verfolgen, mit der Absicht nach wenigen Monaten
zurückzukehren. Er blieb aber neun Jahre, weil seine Schuldner nicht zahlten. Sie machten
Konkurs, wobei er ein Vermögen verlor. Er wollte nun zurückkehren und ersuchte deshalb am
4. August 1661, in Livorno leben und arbeiten zu dürfen, weiter begehrte er die Sicherheit
und einen salvocondotto für seine Person für ein Jahr.839
Als Gründe für die Notlage wurden irrationale Gesichtspunkte miteinbezogen. Der
griechische Händler Dimitrio Anastago war, gemäss Beschreibung im Gesuchsschreiben,
durch Unglück, Pech auf dem Meer und durch Konkurse seiner Partner in Ungnade gefallen
und hatte viel Geld und Waren verloren, weshalb er der Flucht verdächtigt wurde. Er bemühte
sich am 15. Juni 1667 um Gnade.840 Antonio Mathieu aus Lyon musste feststellen, dass sein
Geschäft während seiner Abwesenheit von Livorno zwecks Handelsgeschäfte Pech und
Unglück hatte. Er brauchte 1798 einen salvocondotto (gegen die Gläubiger) und die
Suspendierung aller Justivollzüge gegen ihn. Die Gläubiger verzichteten auf eine
Schuldeneintreibung für die Zeit des salvocondotto, was sie mit Unterschrift beglaubigten.
Der Aufschub für Antonio Mathieu und Antonio Montalan, sein Mitteilhaber, wurde von den
Behörden gestattet.841 Roberto Farar, englischer Kaufmann, seit Jahren in Livorno lebend,
hatte aufgrund unglücklicher Umstände ebenfalls grosse Verluste gemacht. Er bat daher um
einen Freibrief, damit er sein zerstörtes Vermögen liquidieren konnte. Die Gläubiger und die
Behörden stimmten dem 1798 zu.842
Gläubiger wandten sich gleichermaßen an die Herrscher, um ihren Forderungen Nachdruck zu
verleihen. Giovanni Grego, Kaufmann aus Esmirne (Izmir) war seit zehn Monaten in Livorno,
um vom Juden Moise Sulema bezahlt zu werden. Hinzu kam, dass seine Familie von den
Türken gefangen genommen worden war. Daher bat der katholische Christ 1667 um
Unterstützung beim Grossherzog.843
Im späten 18. Jahrhundert lief die Prozedur weiter. In Livorno sesshafte Geschäftsmänner
verschuldeten sich, was dazu führte, dass sie sich an die Obrigkeit wandten, um
Zahlungsaufschub zu erhalten. Der Jude Benedetto Soschino in Livorno hatte Schulden. Da
die Gläubiger allesamt Juden waren, konnten die Massari 1796 über den Zahlungsaufschub
entscheiden. Der Jude Leone Accicrioli verschuldete sich ebenso. Ein salvocondotto über
zwei Monate sollte ihm helfen. Die Gläubiger gewährten die Frist, was sie mit ihrer
839
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 225.
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 319.
841
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 64, 65.
842
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 71.
843
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 3.
840
176
Unterschrift bezeugten. Der Jude Raffaello Abeniacar verlangte 1797 einen salvocondotto für
ein Jahr, damit er seine Schulden, die sich in schlechten Geschäften mit der Levante (Smirne
und andere) angesammelt hatten, bezahlen konnte. Die Gläubiger stimmten dem Schutzbrief
zu und versprachen mit Unterschrift, in dieser Zeit keine Schulden einzufordern. Der
verschuldete Jude Abram Acris schliesslich bekam 1797 von den Gläubigern den
salvocondotto für sechs Monate. Da diese zustimmten, war auch der Auditore Vicario
(Vertreter der toskanischen Regierung in Livorno) bereit, diesen zu billigen.844
Andere, nichtjüdische Diasporamitglieder waren gleichermaßen auf die Nachsicht der
Gläubiger angewiesen. Die englischen Händler Abramo und Daniel Ragueneau sahen sich
aufgrund grosser Verluste und Schulden gezwungen, Livorno zu verlassen, so wie all die
anderen Engländer auch. Sie wollten 1797 zurückkehren, um ihre Geschäfte in Ordnung zu
bringen. Dazu begehrten sie, dass sie von den Gläubigern nicht gestört werden. Sie wollten
einen salvocondotto personale e reale für sechs Monate. Die meisten Gläubiger erlaubten
diesen (Unterschrift der Gläubiger als Bestätigung). Der Schutz sollte auch bei ausländischen
Gläubigern gelten. Die Behörden genehmigen den Antrag auch, weil sie nicht von der
üblichen Handhabung der Bittschriften solcher Art abweichen wollten.845 Der Schweizer
Händler Giacomo Tobler in Livorno steckte auch in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Er
hatte Verluste und Unglück hinter sich, so dass er seine Schulden nicht bezahlen konnte
(gemäss Quellenakte lebten viele bekannte Gläubiger in Livorno). Da die Gläubiger glaubten,
dass es angemessen sei, ihm noch eine Chance zu geben und ihm einen persönlichen
salvocondotto zu gewähren, riefen sie den Cittadino Commissario an, den Schutzbrief
auszustellen. Der Commissario Carlo Reinhard folgte dem Anruf.846
Nicht immer war die Schuldenflucht erfolgreich. 1797 verlangte der Übersetzer
(dragomanno) der Regierung von Zypern (unter osmanischer Herrschaft), Caggi Georgachi,
vom in Livorno verstorbenen Michele Zandi, respektive seinen Hinterbliebenen, die
Rückzahlung seiner auf Zypern anerkannten Schulden. Die livornesischen Behörden bejahten
den Antrag.847
Es kam sogar vor, dass Schuldner in den Genuss eines Schutzbriefes kamen, selbst wenn sie
nicht dauerhaft in der Toskana lebten. Der Geschäftsmann Pietro Gamelin aus Palermo weilte
eine kurze Zeit in Livorno, um Geschäfte zu tätigen. In dieser kurzen Zeitspanne geriet sein
Geschäft in Palermo in Schwierigkeiten. Er ersuchte daher um einen salvocondotto. Die
844
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 7-13.
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 27.
846
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 126.
847
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 48.
845
177
Gläubiger sagten mittels Signatur zu. Die Behörden in Livorno genehmigten 1798 ebenfalls
Schutz, obwohl es unüblich war, Ausländern, die nicht in der Toskana sesshaft waren, dies zu
gewähren.848
Noch im 19. Jahrhundert wirkte die Livornina als anziehender Magnet. Schuldner aus
Frankreich (Marseille, Lyon, Korsika), Spanien (Gibraltar, Valencia, Barcelona), der Schweiz
(Neuenburg, Zürich), Italien (Insel Tino, Sizilien, Genua, Piemont, Neapel, Ancona, Verona,
Sardinien Rom, Venedig, Triest, Florenz, Bologna), England (Glasgow, London), Irland,
Griechenland (Chios, Zante, Mazedonien ), Preussen, Tunis, Malta und Izmir ersuchten einen
Freibrief (salvacondotto o sia Livornina), damit sie in Ruhe leben konnten, ohne Angst zu
haben, von den Gläubigern in der alten Heimat belästigt zu werden. In ihren Bittschriften
schlugen sie vor, sich permanent in der Stadt Livorno niederzulassen und dort Handel zu
betreiben. Die Antragsteller machten Angaben über das Kapital, das sie mitbringen und über
die Persönlichkeiten, die sie bereits in Livorno kannten (Referenzen). Weiter gaben sie das
Alter, den Zivilstand (Ehepartner, Kinder) und die Absichten in Livorno (z. B. Eröffnung
eines Ladens, Handel) an. Ebenfalls sagten sie aus, wie lange sie schon in Livorno seien
(meist einige Tage) und wo sie wohnten. Die Anträge wurden nicht vom Antragsteller
geschrieben, sondern von den Behörden (Rapporto dell’ispettore/del capitano di polizia di
Livorno). Sie wurden an den Auditore di Governo gerichtet.849
Wirtschaftliche Notlagen wie Schulden wurden so über Jahrhunderte hinweg von Händlern
mit einem Umzug gelöst. Livorno war auf der Fluchtkarte ein bevorzugtes Rückzugsgebiet.
6.1.6 Entwicklungsmöglichkeiten: Vom Seemann zum Kaufmann zum Kulturmann
Für Westeuropäer, in Livorno namentlich Engländer, Franzosen und Holländer, bot sich in
der toskanischen Hafenstadt die Möglichkeit an, eigene Stärken für sich und die neue Heimat
fruchtbar zu machen. Seemännische, kaufmännische und weitere Qualitäten waren geschätzt.
Es formierte sich eine Gruppe von englischen Kapitänen, die allesamt Experten auf ihrem
Fachgebiet waren und bald schon zur städtischen Elite der Seeleute gehörten. Einige dieser
Kapitäne führten grosse Expeditionen nach Südamerika an. Einer der englischen Pioniere, der
britische Konsul und Kapitän Morgan Read, versuchte 1633 von Livorno aus mit seinem
Schiff auf der griechischen Inselgruppe Weizen für die hungernde Bevölkerung von Livorno
zu besorgen. Doch die osmanischen Herrscher erlaubten es ihren Beamten nicht, Weizen an
848
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 69.
ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VI, Suppliche e informazioni, Nr. 942, Istanze e
suppliche per “livornine” 1816-1831.
849
178
Christen zu verkaufen. Doch dank Gewaltandrohung gelang es dem Kapitän dennoch an das
Getreide zu gelangen. 1655 stach der Engländer Ammiraglio Blake von Livorno aus in See
Richtung Nordafrika, wo er die ganze tunesische Flotte sowie deren Festungen zerstörte.
Ferner zwang er die osmanischen Beamten dazu, alle christlichen Sklaven frei zu lassen. Für
die nächsten 200 Jahre fungierte der Hafen von Livorno als Basis, von wo aus die Engländer
das Meer zwischen Gibraltar und der Levante kontrollierten.850
Nach 1600 erreichte ein englisches Schiff pro Monat den Hafen. Die Neuankömmlinge aus
dem Norden eröffneten Geschäfte, übernahmen politische Ämter, belebten den Schiffsbau
und gründeten Ausbildungseinrichtungen. Um 1620 stieg die Zahl der englischen Schiffe auf
25 pro Jahr. Die englische Bevölkerung in Livorno nahm stetig zu und zum Ende der
Dynastie der Medici (Beginn 18. Jahrhundert) lag die Anzahl der Händler, Kaufleute,
Vermittler und Beamten mit ihren Familien etwa bei 500 Individuen. Unter ihnen waren
George Jackson, der eine Bibliothek aufbaute, und Robert Bateman, der sein Vermögen
teilweise in den alten englischen Friedhof investierte.851
Andere Engländer glänzten durch wirtschaftlichen Eifer, indem sie Zuckerraffinerien
eröffneten oder sich in der Bildung engagierten.852
Als Resultat der intensiven Interessenpolitik seitens der Engländer wählten immer mehr
unternehmungslustige Landsleute die Stadt am Tyrrhenischen Meer als neuen Wohnort. So
entstand eine vielfältige Gemeinschaft, die allen Arten von Geschäften nachging und die
englische Kultur im Mittelmeerraum verbreitete.853
Ebenfalls eine starke Vertretung in Livorno stellten die französischen Seeleute. Der
aufnahmefreudige Freihafen Livorno bot französischen Seeleuten zahlreiche Möglichkeiten
und Mittel an, um ihre Schuldigkeiten zu vernachlässigen und um den konsularischen
Behörden zu entkommen. Doch im 18. Jahrhundert verstärkten die Behörden ihre
Anstrengungen, ihre Seeleute unter Kontrolle zu bringen.854 Diese Konsule überwachten die
Ausführung der Verordnungen bezüglich des Handels, der Schiffe und ihrer Besatzungen.855
Letztere galten per se als unbeständig. Diese Instabilität zeigte sich in ihrem Unwillen, ihrem
ursprünglichen Kapitän für die verabredete Zeit die Treue zu halten. Die Untreue wurde
850
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 270f.
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 272f.
852
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 269f.
853
Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 271. 1660 wurde auch in Livorno die Wiedereinführung des englischen
Throns durch Karl II mit Paraden und Feuerwerk gefeiert, so wie der 50. Geburtstag von Grossherzog
Ferdinando II ebenso prachtvoll zelebrierte wurde.
854
Jean Pierre Filippini: I marinai francesi e il loro console a Livorno nel Settecento. In: Le genti del mare
mediterraneo. Hg. von Rosalba Ragosta. Neapel 1981, S. 1031.
855
Filippini: I marinai francesi, S. 1032.
851
179
dadurch verstärkt, dass die Kapitäne die ausstehenden Löhne teilweise nicht bezahlten.856
Deshalb kam es vor, dass sich die Seeleute, in der Hoffnung mehr Geld zu verdienen, von
anderen französischen oder toskanischen Schiffen anheuern liessen. Der Seemann war dem
Kapitän gegenüber generell tendenziell feindlich gestimmt.857
Um gegen die unzuverlässigen Angestellten vorgehen zu können, verliessen sich die Kapitäne
auf die strenge Justiz der Konsule. Sie urteilten vor allem im Sinne des französischen
Königreiches. Gleichzeitig behandelten sie die Seeleute mit wohlwollender Verachtung. Sie
halfen ihnen in Krisenzeiten und bei Armut.858
Die toskanische Justiz mischte sich in die rechtlichen Angelegenheiten erst ein, wenn es um
italienische Seeleute auf französischen Schiffen ging, die nicht bezahlt wurden.859 So hatten es
die französischen Kapitäne schwer, ihre Rechte durchzusetzen. Die Möglichkeit der
Intervention durch die toskanischen Behörden schwächte die Macht der Konsule und die
Schlagkraft ihrer Aktionen, die die Aufrechterhaltung der Ordnung bei der Schiffsbesatzung
zum Ziel hatte.860
Bei der Verhaftung von meuternden Seeleuten nahmen die Konsule selten die Hilfe der
toskanischen Behörden in Anspruch, zu sehr befürchteten sie deren Ablehnung der Aktion.
Oft kam die Verhaftung aber gar nicht zustande, weil sie zu teuer war. So mussten die
Konsule präventive Massnahmen ergreifen, um die Besatzung für sich zu gewinnen.861
Die disharmonische Beziehung der französischen Seeleute mit ihren Konsuln muss im
Zusammenhang mit dem allgemeinem Problem der Vergrösserung der französischen Flotte
im Mittelmeer, trotz der Konkurrenz, die sie bedrängte, gesehen werden, und sie ist der
Beweis dafür, dass in dieser Zeit (18. Jahrhundert) der französische König und seine
Verwaltung die Macht über die französische Bevölkerung auch im Freihafen von Livorno
behaupten wollte und konnte.862
Eine dritte Gruppe von zugewanderten Fachkräften stellten die Holländer dar. Bis zum
Verkauf der toskanischen Flotte des Stephanusordens an Frankreich im Jahre 1649 verdienten
sich viele Holländer und Deutsche ihr Brot in Livorno mit dem Einsatz im militärischen
Bereich, wo vor allem die katholischen flämischen Seeleute und Soldaten mit besonderen
Leistungen bei den Expeditionen und Beutezüge ins östliche Mittelmeer und an die
nordafrikanischen Küsten auffielen. Beispiele sind der Navigationsfachmann Ercole Rusca
856
Filippini: I marinai francesi, S. 1033.
Filippini: I marinai francesi, S. 1034.
858
Filippini: I marinai francesi, S. 1036.
859
Filippini: I marinai francesi, S. 1039.
860
Filippini: I marinai francesi, S. 1040.
861
Filippini: I marinai francesi, S. 1042.
862
Filippini: I marinai francesi, S. 1045.
857
180
und der spätere livornesische Hafenkommandant Niccolo Van der Steen. Dieser war
demnach, wie viele andere Flamen auch, seien es Schiffskapitäne, Seeräuber, Kaufleute,
Handwerker oder Maler, bestens in das Leben der Stadt integriert. Nach den ersten circa drei
Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts gaben sich die Holländer und Deutschen in Livorno fast nur
noch dem Handel hin. Livorno rückte vermehrt ins Interessenfeld der holländischen
Handelspolitik. Bereits 1599 zog es den ersten Kaufmann aus Amsterdam nach Livorno. Es
war ein Jude, Isaac Lus, der von der Iberischen Halbinsel geflüchtet war. Er und sein Bruder
lancierten den Handel zwischen Russland und Holland, da russische Luxusprodukte wie
Kaviar und Felle in der Toskana gut ankamen. Nach dem Ruin der Brüder übernahmen
Andere die Aufgaben. Der Warenverkehr mit der Levante wurde weiter ausgebaut, Livorno
amtete dabei als Vorposten, wo die Juden und Orientale als Bezugspersonen reichlich
vorhanden waren.863
Diese Bezugspersonen nutzte zum Beispiel die Handelsgesellschaft Van den Broecke. Der
holländische Kaufmann Bernard Van den Broecke war ein bekannter Mann in Livorno, nicht
nur wegen seiner wirtschaftlichen Aktivität, er arbeitete unter anderem ab 1622 als
Schatzmeister seiner Kongregation, sondern auch durch sein Engagement in der holländischdeutschen Versammlung und bei der Restaurierung und Verschönerung der Kirche in
Livorno. Er beschenkte diese mit einer Orgel und Kirchbänken. Für die Erhaltung des Doms
beteiligte er sich persönlich, was ihm 1623 das öffentliche Amt des Domarbeiters einbrachte,
eine prestigeträchtige Funktion, die ihm, wie vielen anderen Flamen auch, die Einbindung in
alle Zweige des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens der Stadt ermöglichte.864 Van
den Broecke waltete zudem als Vermittler zwischen Händlern und Seefahrern aus Holland,
Deutschland und der Toskana auf der einen Seite und den Piraten aus Nordafrika auf der
anderen Seite, wenn es um Gefangenenbefreiungen ging. Er war das Bindeglied zwischen der
niederländischen Regierung und dem Konsul von Tunis.865 Auch zwischen Livorno und
Algier kann eine direkte Verbindung gezogen werden, die mit der Sklaverei zu tun hatte.866
Im Bereich der livornesischen Politik trifft man auch auf holländische Exponenten. Die
beiden Kongregationsmitglieder Wiert und Sproon rückten durch ihr Amt als Bürgermeister
an die Spitze der Gesellschaft, eine interkulturelle Konstitution wurde somit gefördert. Der
Kaufmann Filippo Guglielmo Huigens ist ein weiterer Vertreter, dem zugetraut wurde, die
863
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 32f.
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 37f.
865
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 224.
866
Beide Städte besassen einen Kerker, in dem die Gefangenen festgehalten wurden. Holländische Schiffe waren
wegen ihrer optimalen Qualität oft Zielscheibe korsarischer Aktivitäten. Die Kongregation sorgte sich um die
Beisetzung an Bord gestorbener Seeleute sowie um die Obhut von Nationsgenossen, die in der Toskana
festgehalten wurden. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 35f.
864
181
wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung voranzutreiben. Er schrieb im Namen der
holländisch-deutschen und der italienischen Nation einen Bericht, warum der Hafenumschlag
in der Mitte des 18. Jahrhunderts abgenommen hatte. Er schlug vor, Livorno an sein
natürliches Hinterland anzubinden, um die Freiheit der Produktion und des Handels in der
ganzen Toskana zu verbreiten. Ausserdem empfahlen er und seine Kollegen die Einführung
von Waagen für die genaue Warenwiegung, um so die bisherigen Vorteile wie
Handelsfreiheit und die städtebaulichen Einrichtungen (Viertel Nuova Venezia mit Kanälen,
Zufahrten, Kellerräumen als Warenlager, Wohnungen, Büros) zu unterstützen.867
Im finanziellen Zweig wirkten die nordländischen Kaufleute desgleichen kräftig mit. Sie
sassen in einflussreichen Gremien der Finanzwelt.868
Der lebhafte kosmopolitische Hafen in Livorno wirkte ferner anregend für flämische
Künstler. Die Malerei lebte von der Atmosphäre des Hafens, er war die Quelle der
Inspiration. Weiter interessierten sich die Nordländer für den Kunstmarkt Livorno.869 Der
lutheranische Pastor Giovanni Paolo Schulthesius hinterliess im 18. Jahrhundert musikalische
und literarische Spuren in Livorno.870
Die Ansammlung der Möglichkeiten, sich in Livorno verdient zu machen, wirkte als Zugpferd
für viele westeuropäische Arbeitnehmer. Es schien normal gewesen zu sein, dass
Neuzugezogene eine offene Gesellschaft vorfanden, in der noch in allen Positionen freie
Plätze für Neuankömmlinge waren. Livorno liess grossen Spielraum für innovative
Fachkräfte offen. Die livornesischen Landkarten der Arbeitsuchenden besassen noch
genügend weisse Flecken. Die eigenen Qualitäten konnten in die Tat umgesetzt werden.
6.2 Soziale und kulturelle Entfaltungen
6.2.1 Bewusstwerden der eigenen Kultur in der Fremde – griechische Erfahrungen
Griechische Händler im Mittelmeerraum sahen ihre Zeit in der Diaspora als eine Möglichkeit
zur Rückbesinnung auf ihre alte Heimat. Sie waren politisch aktiv, indem sie fernab von
Griechenland die Unabhängkeitsbestrebungen vorantrieben. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts
wendeten sich einflussreiche Griechen ideologisch gegen Westen. Sie adoptierten die Werte
der Französischen Revolution, verbanden die griechische Identität mit der Sprache, Literatur,
Geschichte und dem Territorium des antiken Griechenlands und wünschten sich eine
867
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 66f.
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 70f.
869
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 56.
870
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 72.
868
182
erzieherische, kulturelle und nationale Revitalisierung, um die Herrschaft der Türken zu
beenden. Etliche griechische Persönlichkeiten in der Diaspora arbeiteten intensiv daran. 1775
unterrichtete Panajiotis Thomas junge Griechen in Livorno in Griechisch, einerseits in der
traditionellen Volkssprache, andererseits in der Hochsprache, und in Arithmetik. 1806 wurde
eine griechische Schule unter der Leitung des Händlers Mihail Zosimas errichtet. 1822 gab es
bereits 42 Schüler, die in den Fächern griechische Kultur (Sprache und Literatur), Ethik,
Geschichte und Religionsunterricht geschult wurden. Beeinflusst wurden die livornesischen
Lehrpläne durch die Chios School of Philosophy. Die Ausgaben der Schule deckte die
Bruderschaft, ebenso den Unterhalt einer Bibliothek. Zahlreiche Lehrer lehrten vor ihrer
Tätigkeit in Livorno schon an anderen Schulen, etwa in Ancona. Die Auswahl der Lehrkräfte
erfolgte nach einem gründlichen Verfahren. Die Bruderschaft vergab, bestimmten Kriterien
folgend, Stipendien an junge griechische Studenten, damit diese später an den Universitäten
Pisa und Florenz studieren durften. Die Auswahl schien nicht immer unbefangen
vorgenommen worden zu sein. Zum Ausbildungsprogramm der Bruderschaft gehörte zudem
das Sponsoring von Buchpublikationen. Reiche Kaufleute unterstützten die Verbreitung von
Büchern, die in der Diaspora und in Griechenland die Gedanken der Aufklärung, die
Geschichte des Landes, ihre Kultur und ihre Sprache bekannt machten, mit dem Ziel, das
Wissen über die stolze Vergangenheit zu bewahren und die Sehnsucht nach Unabhängigkeit
zu wecken. Die bekanntesten griechischen Händler auf diesem Gebiet waren die Brüder
Zosimas, Thomas Spagniolakis und Alexandros Patrinos. Die Bücher sollten nicht nur die
griechische Bibliothek in Livorno füllen, sondern auch nach Griechenland gesandt werden.
Die Bruderschaft finanzierte also nicht nur livornesische Projekte, selbst nach der
Unabhängigkeit 1833 sendeten Erziehungsinstitutionen und Schulen aus Griechenland
finanzielle Bitten an die Bruderschaft in Livorno.871
Die Freiheiten in Livorno wurden von den Griechen genutzt, um die eigenen Werte zu
schärfen. Die mentalen Landkarten waren also auf die eigene Kultur und die Rückkehr in die
ursprüngliche, hoffentlich bald unabhängige Heimat orientiert.
871
Vlami: Commerce and identity, S. 9.
183
6.2.2 Über die Kunst in die Gesellschaft – der armenische Mäzen Giorgio Moratto
Trotz der dominanten wirtschaftlichen Stärke hatten die Zugewanderten keinen direkten
Zugang zur politischen Macht. In den Stadtrat kam nur der lokale Adel.872 Um das soziale
Ansehen zu steigern und vor allem sichtbar zu machen, bot sich alternativ ein Engagement in
der Kunst an. Diesen Weg gingen einige Kaufleute im 16. Jahrhundert, so auch der Armenier
Giorgio Moratto (Name italienisiert).873
Diese auffällige Figur in der armenischen Gemeinde hatte nicht nur innerhalb dieser
Gemeinschaft, sondern im ganzen Kunst- und Handelsbetrieb der Stadt Ancona eine grosse
Bedeutung als reicher Händler und Auftraggeber namhafter Kunstwerke.874 Er realisierte
einige der schönsten Kunstobjekte in Ancona: Der Hauptaltar in der Kirche S. Bartolomeo
(1570) von Girolamo Siciolante da Sermoneta, der Altar des bekannten italienischen Malers
Pellegrino Tibaldi in der Kirche S. Agostino (1554) und der Hauptaltar der Kathedrale S.
Ciriaco (1560, auch von Tibaldi) hatte Moratto initiiert.875
1560 bekam die Kathedrale also ein neues Altarbild. Dieses zeigte eine stuckierte Figur des
wieder auferstandenen Jesus Christus. Die handwerkliche Arbeit übernahm Tibaldi, Patron
des Auftrags hingegen war Moratto. Ein Jahr zuvor, am 3. Juni 1559, hatte Moratto vom
Stadtrat die Bewilligung dazu erhalten, auch der Bischof von Ancona, Vincenzo dei Lucchi,
hatte sein Einverständnis gegeben.876 In einem Vertrag (6. Juli 1559) zwischen Moratto und
dei Lucchi wurden die Details geregelt, wobei neben den üblichen Sündenerlassen, als Dank
für die Altarspende, auch spezifisch armenische Anliegen angesprochen wurden. Damit sein
872
Der Stadtrat war die führende politische Institution der Stadt, bestehend aus Mitgliedern der noblen
italienischen Familien. Er bestand bereits vor der Machtübernahme der Päpste 1532, ab diesem Zeitpunkt lag die
Gerichtsbarkeit beim Papst. Hinweis bei Hansen: Celebrating the Armenian Faith, S. 91, Fussnote 27.
873
Der ragusanische Kaufmann und Patrizier Alvise Gozzi war der Mäzen des Altars in der Kirche San
Francesco in Alto bei Ancona. Gozzi selbst ist auf dem Altarbild (1520) zu sehen, kniend zur Madonna
hinaufschauend. Das Bild ist abgedruckt in Morten Steen Hansen: Immigrants and Church Patronage in
Sixteenth-Century Ancona. In: Artistic Exchange and Cultural Translation in the Italian Renaissance City. Hg.
von Stephen J. Campbell, Stephen J. Milner. Cambridge 2004, S. 329. Nicht weniger reich und (gesellschaftlich)
ambitioniert waren der venezianische Kaufmann Tommaso della Vecchia, Freund und Bewunderer von Lorenzo
Lotto (Maler), und der Graf Angelo Ferretti, Mitglied der namhaftesten Familie Anconas, die ebenfalls Künstler
anstellten, um Kirchen oder die eigenen Paläste zu verschönern. Sacco: Mastro Pellegrino, S. 9.
874
Akten von Notaren weisen darauf hin, dass Moratto gegen Mitte des 16. Jahrhunderts nach Ancona kam. Das
genaue Jahr ist unbekannt. Sacco: Mastro Pellegrino, S. 17. Am 6. Mai 1539 erhielt er vom apostolischen
Gouverneur die Rechte und Privilegien eines anconitanischen Händlers. Hansen: Immigrants and Church
Patronage, S. 348, Fussnote 10.
875
Sacco: Mastro Pellegrino, S. 9. Camillo Albertini beschrieb voll des Lobes und voller Bewunderung die
anmutigen Ausschmückungen der Altare von S. Agostino und S. Ciriaco, die von Moratto offenbar kurz nach
1550 in Auftrag gegeben wurden. Albertini fügte hinzu, dass auch der Altar in der Kirche S. Domenico und die
Innenausstattung der Loggia dei Mercanti durch Morattos Engagement mittels Stuckaturen verschönert wurde.
BCA, Manoscritto 262, Camillo Albertini, Storia d’Ancona, Lib. XI, Parte Seconda, 1550 al 1563, Addizione,
Blatt 5h-6v. Eine fast identische Wiederholung der Beschreibungen von Morattos kunsthistorischen Leistungen
– unter Ausschluss der Loggia dei Mercanti – findet sich in einem anderen Teil der Chronik Albertinis. Siehe
BCA, Manoscritto 262, Camillo Albertini, Storia d’Ancona, Lib. XI, Parte Seconda, 1550 al 1563, Blatt 38v39v.
876
Hansen: Celebrating the Armenian Faith, S. 83.
184
Name und sein Wappen verewigt werden konnten, gab es beim Altar eine Gedenktafel zu
Ehren Morattos und sein Wappen wurde ebenfalls dort abgebildet.877 Der gesamte Altar
wurde zudem zu Ehren von Gott und St. Liberius, einem armenischen Prinzen, der um 500
gelebt hatte und der als Pilger nach Ancona reiste, errichtet. Seine Reliquien wurden in der
Kathedrale aufbewahrt und in seinem und in Morattos Namen sollten in Zukunft jährlich
Messen abgehalten und Feste durchgeführt werden.878 Als letzte Errungenschaft Morattos
kann die Bereitstellung einer Grabkammer für die Armenier in der Kathedrale angesehen
werden.879
Morattos Reichtum und sein subtiler, gehobener Geschmack verhalfen der Stadt zu den
kirchlichen Schmuckstücken. Er konnte seinerseits durch die Schirmherrschaften seine
armenische Existenz in Ancona öffentlich sichtbar machen lassen. Während andere Ausländer
von den Einheimischen als fremd und exotisch angesehen wurden, gelang es Moratto diese
Stereotypen zu untergraben. Seine finanziellen Mühen und sein Einsatz für die Errichtung
einer armenischen Grabstätte in der wichtigsten Kirche der Stadt befreiten ihn aus diesem
Muster. Moratto wurde primär als Katholik und als Anconitani angesehen, weniger als
Armenier. Diese Symbiose in Ancona kann als Symbol für die zu dieser Zeit offenbar
gelungene Union zwischen der armenischen und der römischen Kirche betrachtet werden.880
Die Gegenreformationspolitik von Papst Paul IV ab 1555 folgte genauso diesem Ideal, nur
mit anderen Mitteln.881 In diesem Zusammenhang war die katholische Umarmung der
Armenier einige Jahre später ein weiterer Akt auf dem Weg, eine universelle Kirche unter der
Führung des Papstes einzurichten.882 Während die Juden dazu gezwungen wurden, machten
die Armenier freiwillig mit. Morattos Annäherung zum römischen Katholizismus fiel
zusammen mit dem Versuch der Armenier, sich in Asien ebenfalls mit Rom zu liieren.883
877
Die 1560 angefertigte Gedenktafel für Moratto wurde im Laufe der Zeit durch die Feuchtigkeit beschädigt,
wie Camillo Albertini zu berichten wusste. In seiner Chronik (19. Jahrhundert) fehlen deshalb einige Wörter.
BCA, Manoscritto 262, Camillo Albertini, Storia d’Ancona, Lib. XI, Parte Seconda, 1550 al 1563, Addizione,
Blatt 1v. Der vollständige Text kann bei Morten Steen Hansen nachgelesen werden, der sich auf kopierte
Nachschriften bezieht. Hansen: Celebrating the Armenian Faith, S. 85.
878
Die Verehrung Morattos kann als gegenreformatorische Wiederbelebung des St. Liberius Kultes angesehen
werden. In Zeiten der Gefahr wird in der katholischen Kirche zusammengehalten. Hansen: Immigrants and
Church Patronage, S. 337.
879
Hansen: Celebrating the Armenian Faith, S. 84f.
880
Obwohl bei allen drei Aufträgen von Moratto Inschriften auf den armenischen Mäzen hindeuteten, wurden sie
doch ausschliesslich in westlichen Kirchen realisiert. Hansen: Immigrants and Church Patronage, S. 335f.
881
Ungläubige wurden verfolgt oder bekehrt. 1554 liess Papst Julius III den Talmud und andere jüdische
Schriften verbrennen. Paul IV setzte die Restriktionen fort, die Kulturvernichtung sollte die Juden zur
Konversion bewegen. 1556 wurden 24 Umbekehrungsunwillige verbrannt. Hansen: Immigrants and Church
Patronage, S. 340.
882
Hansen: Celebrating the Armenian Faith, S. 86f.
883
Nach einem Konzil 1547 in Etschmiadsin (Armenien) suchte der Kopf der Armenischen Kirche Katholikos
Stephen V Salmastezi Hilfe in Rom, um gegen die vorpreschenden Osmanen bestehen zu können. 1549/50
185
Sowohl die armenische Diaspora als auch die Daheimgebliebenen versuchten so ihre eigene
Identität zu bewahren, mit der Einschränkung, sich dem römischen Katholizismus
unterwerfen zu müssen. Dieser nutzte die neue Vereinigung, um die eigenen Ziele verfolgen
zu können. Beide Seiten schienen als Gewinner dazustehen.
War das wirklich so? Wie gelang dem Immigranten Moratto die Selbstformung innerhalb des
katholischen Umfeldes?
Morten Steen Hansen wendet ein, dass nicht alles so reibungslos ablief. Das Verhältnis
zwischen Rom und Armenien war von gegenseitiger Skepsis geprägt, die Union eher eine
Realität in der Theorie als in der Praxis. Der fremdenfeindlichen Exotik konnte sich Moratto
(wie auch der ragusanische Kaufmann und Patrizier Alvise Gozzi) nur entziehen, indem er
sich vorbehaltlos anpasste. Er liess sich in schwarzer Kleidung abbilden, so wie es in Italien
üblich war. Den religiösen Verdächtigungen und dem Spott seitens der Katholiken gegenüber
den Armeniern entging er nur durch den symbolischen Akt der Konversion. Dieser zeigte sich
deutlich in seinem Mäzenatentum. Dieses galt primär der Bejahung der katholischen Doktrin,
der päpstlichen Politik und dem Tridentischen Stil. Dass seine Hingabe zu S. Ciriaco in
westlichen Kirchen vollzogen wurde und nicht in der armenischen Kirche S. Anastasia war
ein weiterer Beweis für seine Umkehrung. Neben den Juden galten die Armenier als „die
zweiten Anderen“. Moratto versuchte sich von diesem katholischen Stereotyp zu lösen, er
distanzierte sich deswegen von den eigenen, oftmals weniger wohlhabenden Landsleuten in
Ancona.884
Irene Sacco sieht die Exilsituation von Moratto anders. Als Motivation Morattos, viel Geld in
die Kunst, insbesondere in die Altare zu investieren, mutmasst sie, dass der Händler die
Meister der (Kunst)Zunft ausgewählt hatte, damit sie sein Bedürfnis, die eigene (armenische)
Kultur und den eigenen religiösen Sinn zu erzählen, befriedigten.885 Die geistige Zufriedenheit
sollte dem materiellen Wohlstand angeglichen werden.
Letzteres erreichte er mit dem Handel von (unter anderem flämischen) Tüchern, die er in den
Osten verkaufte. 1560 reiste er deswegen nach Lezha. Die albanische Hafenstadt war ein
beliebter Treffpunkt zwischen der alten und der neuen Heimat. Dort kamen Waren aus
Armenien und der Apenninhalbinsel zusammen, um dann weiter in den Westen über die
erklärte Stephen V deswegen seine Unwerfung unter Rom. Hansen: Celebrating the Armenian Faith, S. 86;
Hansen: Immigrants and Church Patronage, S. 339.
884
Hansen: Immigrants and Church Patronage, S. 342f., S. 354, Fussnote 57.
885
Sacco: Mastro Pellegrino, S. 52.
186
Adria oder nach Osten geführt zu werden. Das damit verdiente Geld legte Moratto in Privatund Geschäftshäuser an, die er nach dem Ankauf weitervermietete.886
Nicht nur international, auch regional schien Moratto fest verankert zu sein. Er hinterliess sein
Erbe der armenischen Kirche in Rom. Später wurde das Vermögen verwendet, um ein Spital
für arme armenische Pilger in Ancona einzurichten. Man kann annehmen, dass der reiche
Moratto ein Haus in Rom besass, wo eine aktive und grosse armenische Gemeinschaft
beheimatet war. Die grosszügige Spende an die Kirche zeigt, dass der Kaufmann ein guter
Christ sein wollte und dass es ihm ein gewichtiges Anliegen war, dem Katholizismus sozial
und religiös nahe zu sein, jedoch bei grösstmöglicher Bewahrung der eigenen armenischen
Identität.887
6.3 Die Suche nach dem religiösen Frieden
Gründe, das alte Zuhause aufzugeben und das Glück in der Fremde zu finden, gab es
praktisch so viele wie Individuen, die diese Herausforderung angenommen hatten. Einige
Motive lassen sich in Gruppen zusammenfassen. Sie hängen eng mit den Grundbedürfnissen
des menschlichen Lebens zusammen, die befriedigt werden wollten. Neben der Suche nach
dem materiellen Wohl strebten auch damals die Menschen nach seelischem Frieden. Dabei
wurde dieser Seelenhaushalt hauptsächlich durch die Religion zusammengehalten. Die
Attraktivität einer Stadt mass sich mit den Vorstellungen der Ortsfremden. Diese suchten in
der Fremde gesunde, friedliche und sichere religiöse, politische, wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rahmenbedingungen. Diese neue, multikulturelle888 Gemeinschaft rieb sich an
diversen Stellen. Nicht immer vertrugen sich die Wünsche der Diasporagruppen mit den
Gegebenheiten vor Ort, was jedoch sehr harmonische Symbiosen durchaus nicht
ausschliessen darf. Das Zusammenleben war eine stetige Aufgabe, die mit- oder
nebeneinander angegangen wurde, mit mehr oder weniger sichtbarem Erfolg.
6.3.1 Ragusanisches Streben nach Kontinuität
Nicht nur Andersgläubige wie Reformierte, Juden und Muslime suchten Ancona und Livorno
auf, auch Katholiken zogen in die beiden Städte. In Ancona fielen vor allem die katholischen
886
Sacco: Mastro Pellegrino, S. 18f.
Sacco: Mastro Pellegrino, S. 20f.
888
Multikulturell heisst hier vor allem, dass mehrere Sprachen gesprochen und mehrere Religionen ausgeübt
werden.
887
187
Ragusaner auf. Ihre Glaubensrichtung brachte ihnen Sympathien und eine erleichterte
Eingemeindung ein.
Es stellt sich hier die Frage, warum die alte Heimat Ragusa, bis 1667 ein starker Handelsplatz,
verlassen wurde, um sich langfristig anderswo niederzulassen. Es müssen andere als nur
ökonomische Faktoren berücksichtigt werden, um diese „scelta occidentale“889 (Wahl des
Westens) zu erklären. Ragusa, die katholische Festung im muslimisch geprägten osmanischen
Reich, verlor an Attraktivität gegenüber dem kirchenstaatlichen Ancona. Der Kirchenstaat bot
einerseits einen territorial gesicherten Raum, der nicht in Kriege verwickelt war, und
andererseits eine ideologische Beständigkeit in Form derselben Religion, dem Katholizismus.
Der Okzident, dem sich die Ragusaner schon immer kulturell und mental nahe fühlten, wirkte
stark in der Phase des Umbruchs, als der Balkan und die Levante wirtschaftlich nachliessen.
Der Okzident repräsentierte die goldene Zukunft, die Boten waren die holländischen,
englischen und französischen Geschäftsleute, die den Mittelmeerraum aufwerteten. Von
diesem okzidentalen Hype profitierte Ancona, das als Spitze dieser Achse wahrgenommen
wurde,
eine
Stadt,
die
neues
bot
(Sicherheit
und
grosse,
fremdenfreundliche
Aufnahmefreudigkeit), wo aber gleichzeitig die gute alte ragusanische Heimat nicht ganz
verloren ging, weil Ancona in religiösen und kulturellen Dingen eine markante Ähnlichkeit
mit Ragusa aufwies. Die Motivation auszuwandern muss psychologisch gedeutet werden. Die
Reize Anconas wirkten stark, Ragusaner sahen bessere Lebenschancen in Ancona. Viele
setzten ihre Wünsche um.
Die kirchenstaatliche Stadt Ancona bot vielen Ragusanern mehr als nur wirtschaftliche
Möglichkeiten. Sie galt ihnen als Hort der Stabilität, der Sicherheit, des Katholizismus und
der kulturellen Nähe.890
Die nette Gastfreundschaft Anconas kamen speziell diejenigen zu spüren, die sich dauerhaft
in der Stadt niederliessen.891
6.3.2 Katholiken und Juden
In Livorno suchten und fanden vor allem Katholiken und Juden die religiöse Toleranz.
Generell wurde das heutige Italien als Emigrationsziel gewählt, um dort politisches Asyl zu
verlangen, um das materielle Überleben zu sichern und um politischen Spannungen zu
umgehen. Da sich Sizilien im Spannungsfeld der beiden Mächte Spanien und Frankreich
889
Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 63.
Sori: Evoluzione demografica, S. 30.
891
Mastrosanti: I notai nella storia, S. 132.
890
188
befand, legten etwa die politisch verfolgten Griechen, vor allem Mainotten (Bewohner auf der
griechischen Halbinsel Peloponnes), im 17. Jahrhundert nördlicher an, sie wählten Städte wie
Genau oder Livorno oder die genuesische Insel Korsika.892 Sie sahen darin Orte der
Glückseligkeit und der Freiheit, wie eine Bitte von Griechen aus dem Jahre 1663 an den
Grossherzog anschaulich beweist.893 Als Gegenleistung für die geforderte religiöse und
politische Freiheit, gepaart mit Forderungen nach Land und Häusern, versprachen die
Einwanderer, die Reise zu bezahlen und Nahrungsmittel mitzubringen, nicht nur für den
Eigenbedarf, sondern auch für das Allgemeinwohl.894 Diese unierten, katholischen Griechen
waren willkommen. Als durchaus schwieriger stellte sich die Akzeptierung der orthodoxen
Griechen heraus.
Die Juden in Livorno mühten sich darum, ihre Vorstellungen der religiösen Toleranz mit der
Livornina
umzusetzen.
Bei
den
Juden
zeigte
sich
eine
heterogene
Bevölkerungszusammensetzung. Das Rückgrat der Gemeinschaft bestand aus levantinischen
oder iberischen Kaufleuten, die wirtschaftlich und somit finanziell von der Livornina
profitierten. Der Rest lebte unter bescheideneren Bedingungen. Diese waren kleine Händler,
Vermittler, Verkäufer, Arbeiter, Lehrer und Glaubensangestellte. Sie kamen ebenfalls von der
Iberischen Halbinsel oder aus Italien, meistens jedoch aus dem römischen Ghetto. Nicht alle
Juden wurden in die jüdische Gesellschaft aufgenommen. Doch die grossherzogliche
Regierung mischte sich gegen diese einschränkende Politik ein, damit alle Juden dieselben
Rechte bekamen. Das sefardische Element dominierte in den Institutionen der jüdischen
Gemeinde in Livorno, sowohl in der Regierung, bei den Gerichten, in der Synagoge als auch
in der Schule. Zudem versuchten sie ihre Sprache und ihre Bräuche exklusiv durchzusetzen,
um so die italienischen Juden zu assimilieren. Doch dagegen erhob sich eine Opposition.895
Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts blieb die nicht sefardische Komponente in Livorno
(italienische Juden aus Rom oder Immigranten aus dem Maghreb) bescheiden.896
Die jüdische Gesellschaft, eine politische Kreation der Medici-Fürsten, bestand also aus
vielen unterschiedlichen Teilen. Aus Spanien und Portugal kamen (einfluss)reiche Händler
(Iberian merchant aristocraty), aus Neapel, Rom und Ancona flohen auch weniger betuchte
892
Panessa: Le comunità greche, S. 93f.
Die Griechen „hanno più volte tentato di venire a ricoverarsi sotto il Cielo di Toscana per godervi non solo la
felicità che vi provano tutti i Sudditi di V.A., ma per sottrarsi nell’istesso tempo dalla fierezza die loro Nemici, et
dai pericoli che gli sovrastano ogni ora.“ Brief abgedruckt in Panessa: Le comunità greche, S. 102f.
894
Panessa: Le comunità greche, S. 103f.
895
Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 276f.
896
Trivellato: Les juifs d’origine portugaise, S. 174.
893
189
Juden vor dem Papst, aus dem Osten kamen die levantini, Juden aus dem osmanischen Reich
und Nordafrika, und aus Nordeuropa zogen aschkenasische Juden nach Livorno.897
Die jüdische Nation bestand aus allen in Livorno ansässigen Juden, egal welchen Beruf sie
ausübten oder welche soziale Stellung sie innehatten. Es ist jedoch nicht abzustreiten, dass
besonders die von der iberischen Halbinsel herkommenden Händler die wichtigen Fäden in
der Hand hielten.898
Bereits vor 1591 gab es jüdische Gemeinden in der Toskana, die nach demokratischen
Prinzipien
aufgebaut waren, so etwa in Pisa. Alle Mitglieder waren in einer freien
Organisation vereint, in der alle als gleichwertig angesehen wurden. Ihre Versammlung
wählte Jahr für Jahr ihre fünf Vorsteher (Massari). Die Statuten wurden diskutiert, bevor sie
verabschiedet wurden, sie hatten den Charakter einer freien Vereinbarung (Haskamà). Die
jüdische Gemeinde konnte sich zu Recht als eine, auf Gemeinwohl basierende,
republikähnliche
Gemeinschaft
definieren.
Das
Grossherzogtum
anerkannte
diese
Regierungsform. Pisas Juden behielten diese demokratische Organisationsstruktur lange bei,
im Gegensatz zu Livorno.
Die autonome Regierung der jüdischen Gemeinde in Livorno wurde 1597 initiiert. Die
zunächst demokratischen Strukturen zeigten vermehrt oligarchische Züge. Als die jüdische
Gemeinde noch klein war, bestehend aus etwa 12 einflussreichen Händlerfamilien, konnten
sie alle mitbestimmen. Doch im Laufe der Zeit neu ankommende Glaubensbrüder wurden
politisch nicht integriert. Eine Gruppe von spanisch-portugiesischen Händlern wehrte sich
1628 gegen den Ausschluss aus der Regierung. Ferdinando II versuchte 1642 die
Unregelmässigkeiten und die Kontroversen mit einem demokratischen Erlass zu beheben,
doch schon bald darauf wurde wieder das alte System eingeführt. Die Tendenz zur
absolutistischen Regierungsführung, die es schon in den ersten Jahrzehnten der Existenz der
jüdischen Gemeinde gab, wurde immer deutlicher. Durch die Einrichtung der Dodici, ein
zwölfköpfiges Regierungsorgan, das die Massari unterstützte, wurde ab 1663 die öffentliche
Meinung nicht mehr berücksichtigt und die Legislativmacht blieb den fünf Massari und den
Dodici, die durch die Massari unbefristet gewählt wurden, vorbehalten. Auf diese Art und
Weise wurde die Oligarchie institutionalisiert und zur selben Zeit stieg der Einfluss des
Grossherzogtums auf die jüdische Gemeinde und ihre Regierung. Durch den Druck von
Grossherzog Cosimo III wurde 1690 der Kongress von 12 auf 18 und drei Jahre später auf 60
aufgestockt.
897
Doch
derselbe
veranlasste
1715
eine
weitere
antidemokratische
Diese Auflistung fand ich in einem kurzen Aufsatz über die Juden und die Medici, verfasst vom Medici
Archive Project. www.medici.org/jewish/jewmedici.html, Stand 27.11.2008.
898
Filippini: Les nations à Livourne, S. 584.
190
Regierungsreform in der jüdischen Gemeinde. Die 60 Mitglieder wurden auf Lebenszeit
gewählt und ihr Amt war erblich und übertragbar bis in die dritte Generation ihrer
Nachkommen.899
Neben politischer, genossen die Juden in Livorno seit der Livornina zudem grosse juristische
Autonomie. Der Erlass von 1593 erlaubte den Juden von Livorno für Angelegenheiten, die
ausschliesslich die Juden betrafen, eine autonome zivil- und strafrechtliche Rechtsprechung.
Diese weit reichenden Befugnisse führten zur Entwicklung eines eigenen Gesetzbuches, was
zu dieser Zeit (17. Jahrhundert) in Westeuropa einmalig war. Die Massari waren berechtigt,
die Vollstreckungsmittel des toskanischen Staates anzuwenden, genauso wie dies der
Conservatore, der vom Grossherzog ernannte weltliche Richter, konnte.900
Der Hauptteil der Prozesse vor dem Tribunal der Massari drehte sich um Fragen des Handels,
des maritimen Transportwesens, der Versicherung oder des Privatrechts. Während man in
Pisa vorwiegend schiedsrichterliche Verfahren bevorzugte, wurde in Livorno mehrheitlich das
Tribunal der Massari gebraucht. Durch das Anwachsen der jüdischen Bevölkerung und der
Entwicklung des Handels wurden die juristischen Probleme schwerwiegender und erhöhte die
Arbeit des Tribunals.901
Die grosse Toleranz, die umfassenden Freiheits- und Autonomierechte seitens der
toskanischen Gastgeber reichten nicht aus, um die jüdische Gesellschaft langfristig in Livorno
zu halten. Eine erste Krise zog gegen Ende des 17. Jahrhunderts auf. Die Messianität von
Sabbatai Zwi führte dazu, dass überall in der jüdischen Diaspora, so auch in Livorno, reiche
und arme Juden begannen, je näher das Jahr der erhofften Erlösung 1666 kam, ihr Hab und
Gut zu verkaufen, um in das verheissene Land aufzubrechen. Diese Stürme der mystischen
Begeisterung liessen über ganz Europa hinweg den grossen internationalen Handel stocken.902
Im 18. und 19. Jahrhundert zogen einige Juden, italienischen Ursprungs, von Livorno in
Richtung Levante und Nordafrika.903 Umgekehrt verdrängten gegen Ende des 18.
Jahrhunderts die italienischen und nordafrikanischen Juden die iberischen Juden vom
livornesischen Markt.904
899
. Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 280f. Alle 60 Mitglieder der jüdischen Versammlung waren nicht im
Handelsbusiness tätig, sondern gehörten lediglich der Handelsaristokratie an. Vgl. Filippini: Les nations à
Livourne, S. 584.
900
Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 283.
901
Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 285f.
902
Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, S. 127f.
903
Dort, vor allem in Tunis, spielten sie eine tragende Rolle im Gemeindeleben, indem sie sich für die dortige
jüdische Einheit einsetzten, sie stellten Kontakte unter den Juden her, die aus allen Gegenden nach Nordafrika
kamen. Siehe Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. München 2004, S. 157.
904
Fukasawa: Les lettres de change, S. 67.
191
Nicht nur die innerjüdische Konkurrenz erwies sich als folgenschwer. Generell verloren die
Juden an Bedeutung im internationalen Handel. Im 18. Jahrhundert zählten die engen
Verbindungen zu den Freihäfen, die Konkurrenzsituation unter den Nachbargebieten und die
wichtige Rolle des Mittelmeeres als florierender Marktplatz noch zu den Erfolgsgaranten der
Juden in der Diaspora. Im 19. Jahrhundert riss der Bedeutungsverlust der Freihäfen und des
Mittelmeers die Juden mit in den wirtschaftlichen Untergang.905 Jonathan Israel konstatiert,
dass die einstige jüdische Hochburg Livorno gegen Ende des 18. Jahrhunderts langsam
zerfiel.906 Der Handelsabbau führte zu finanziellen Einbussen, diese wiederum veranlassten
viele Juden sich aus der sozialen, gemeinnützigen Verantwortung zurückzuziehen. Die
zunehmende Verarmung und Unterbeschäftigung wurde durch die passive Haltung vieler
junger, reicher Juden beschleunigt. Sie verhielten sich wie „inactive gentleman rentiers“907,
die es vorzogen, das sinkende Schiff zu verlassen und in die Neue Welt (Nordamerika,
Karibik, Surinam) auszuwandern, wo sie nicht selten zum Christentum konvertierten.
Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts die
jüdische Gemeinde in Livorno dank der günstigen Bedingungen durch den Freihafen und den
ihnen gewährten Vorrechten im ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich
durchzusetzen vermochte. Sie galt als die bedeutendste jüdische Gemeinschaft in Westeuropa.
Doch durch diese schnelle Entwicklung gingen die traditionell-demokratischen und
republikanischen Werte verloren, zugunsten einer Erboligarchie, getragen von wohlhabenden,
hochmütigen und autoritären Personen. Diese Entwicklung, im Grunde fremd für jüdische
Gemeinschaften, wurde durch die Meinungs- und Interessenübereinstimmung zwischen der
absolutistischen Monarchie der Toskana und der herrschenden, spanisch-portugiesischen
Händlerelite ermöglicht. Die Monarchie der Medici schätzte die Eigenschaften und die
Kapazitäten dieser Händler so sehr, dass sie sie autorisierte, die Regierung und das
Rechtswesen über die jüdische Gemeinde selber zu übernehmen. Beide waren davon
überzeugt, dass das gemeinsame Ziel, die Steigerung des Handels in Livorno, nur mittels
einer effizienten, stabilen, autoritären und ordentlichen Organisationsstruktur seitens der
jüdischen Gemeinde erreicht werden konnte. Als diese erreicht wurde, unternahm der
Grossherzog Cosimo III weitere, entscheidende Schritte, um die Standfestigkeit des Systems
zu wahren. Er gab der Oligarchie der jüdischen Kaufleute die Möglichkeit, sich durch
Erbschaft weiter am Leben zu erhalten und er schwächte die Opposition, indem er die
italienischen Händler von der Regierung fernhielt. So bewahrte sich die gewünschte
905
Filippini: Le rôle des négociants, S. 146.
Israel: Diasporas Jewish, S. 22f
907
Israel: Diasporas Jewish, S. 24.
906
192
oligarchische Beständigkeit ein Jahrhundert lang, bis das Grossherzogtum Toskana gegen
Ende des 18. Jahrhunderts durch das Napoleonische Imperium eingenommen und die
Herrschaft der Vorrechte und Begünstigungen abgeschafft wurde.908
6.4 Bedürfnis nach Unterstützung: Konsule als Interessenvertreter
Das Konsularwesen war ein wichtiger Punkt auf der mentalen Landkarte der zugewanderten
Händler. Die konsularischen Vertreter gaben den Neuzugezogenen ein Gefühl der Sicherheit,
politische, juristische und wirtschaftliche Probleme und Auseinandersetzungen mussten so
nicht alleine bewältigt werden.
Nachdem die ersten Kaufleute in der neuen Heimat Fuss gefasst hatten, zogen weitere nach –
Familienangehörige, Freunde, Bekannte. Durch die gemeinsamen Hintergründe (Sprache,
Religion) und Interessen (tiefe Steuern und Zölle, religiöse Freiheiten) formierten sie sich
rasch in institutionell verankerten Gemeinschaften. Die einzelnen Händler agierten also nicht
nur als Individuen. Da viele nichteinheimische Händler und Seeleute in Livorno zudem die
dortige Sprache nicht beherrschten, stieg ihr Bedürfnis, jemanden einzusetzen, der sie in
wirtschaftlichen und juristischen Angelegenheiten beraten und in Verhandlungen mit den
lokalen Behörden und Händlern vertreten konnte. So bildeten sie die so genannten nazioni, an
deren Spitze der Konsul stand. Die Nationen entstanden ab 1593, als die Livornina Garantien
und Privilegien für Mensch und Ware erliess. Ein Recht daraus bestand darin, einen Chef, den
Konsul, für die Nation zu benennen, der theoretisch richterliche Funktionen ausüben durfte.
In der Praxis agierten nur die Massari sowohl als Vorsteher der jüdischen Nation als auch als
Richter in zivilen und ökonomischen Angelegenheiten.909
In Ancona gab es seit dem Jahre 1528 einen ragusanischen Konsul. Benu Gondola war der
Repräsentant der Ragusaner zur Zeit der Heiligen Liga (Mitte 16. Jahrhundert), als die
wirtschaftliche Verbindungslinie Ancona-Ragusa als einzige funktionierte, die Anderen
wurden durch die Seeschlachten stark beeinträchtigt.910 1622 war Arcanio Thomasi Konsul in
Ancona für Ragusa.911
Seit dem 16. Jahrhundert etablierte ausserdem das habsburgische Triest in den Marken seine
Konsule, die mit einer Vollmacht des triestischen Stadtrates ausgestattet wurden, so auch in
908
Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 289f.
Filippini: Les nations à Livourne, S. 582.
910
Anselmi: Venezia, Ragusa, Ancona, S. 84.
911
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 245h.
909
193
Ancona. Das ebenfalls habsburgische Fiume entsandte ebenfalls Vermittler über die Adria.912
Der letzte der triestischen Konsule in Ancona war Matthäus, Graf von Glasonacz.913 Am Ende
des 18. Jahrhunderts beherbergte Ancona (wie auch Livorno) immer noch eines der 34
Konsulate der Habsburger Monarchie.914 Die Flamen, die Franzosen und die Engländer
wandten sich ab dem 16. Jahrhundert bei Problemen und Herausforderungen desgleichen an
eine sich in Ancona auskennende Person.915
Neben den Vertretungen der einzelnen Nationen bestand in Ancona eine Einrichtung, die
nicht eine sprachliche, religiöse oder geographische Gruppe vertrat, sondern einen ganzen
Berufsstand. Das in der päpstlichen Bulle vom 2. April 1594 nach mehreren Anfragen seitens
der Kaufleute legitimierte dreiköpfige Konsulat der Händler (Consolato dei Mercanti)
schlichtete bei Streitereien unter Kaufleuten in Ancona, die sich in der Università dei
mercanti zusammengeschlossen hatten. War jedoch eine der Parteien levantinisch (egal ob
Christ, Muslim oder Jude), dann ging die Kompetenz an das Consolato dei Levantini über.916
1624 kümmerte sich Ascany Thomasy, ein anconitanischer Adliger, als Konsul der Griechen,
Türken und anderen Orientalen um die Kaufleute.917 Viviana Bonazzoli fand in den
Notariatsakten des Archivio di Stato di Ancona Fälle, in denen die Verlagerung der
Gerichtsinstanz verlangt wurde, so etwa aus dem Jahre 1653 bei einem levantinisch-jüdischen
Venezianer (Händler von Beruf) in Ancona.918 Der Levante-Konsul kam auch im Sommer
1623 in Ancona zum Einsatz. In einem Fall, in dem der Patron des in Ancona angelegten
Schiffes S. Dimitrio, Giorgio Cavalaretto aus Lefkada, die Bezahlung für seinen vermieteten
Kahn einforderte, wurde die Rechtssprechung vom Gouverneur (von Ancona) und eben
diesem Konsul vollzogen.919
Das Konsularwesen war im 17. und 18. Jahrhundert zahlreichen Veränderungen unterworfen.
Zu Beginn wurden die Konsule durch die lokalen Behörden, sprich in Livorno durch die
912
Rudolf Agstner: Du Levant au Ponant: le développement du service consulaire autrichien au XVIIIe siècle.
In: La fonction consulaire à l’époque moderne. L’Affirmation d’une institution économique et politique (15001800). Hg. von Jörg Ulbert, Gérard Le Bouëdec. Rennes 2006, S. 297.
913
Agstner: Du Levant au Ponant, S. 298.
914
Daneben hatte das Reich 16 Generalkonsulate, 26 Vizekonsulate und eine konsularische Agentur in Jaffa.
Siehe Agstner: Du Levant au Ponant, S. 314.
915
Den Flamen stand ihr Landsmann Baldassare Vandergoes (Händler von Beruf) zur Verfügung, der in Ancona
lebte und konsularische Aufgaben erledigte. Die Franzosen hatten Pasquale Bonarelli (Ende 16. Jahrhundert)
und Pier Gentile Bonarelli (ab 1619). In den 1730er Jahren wurden auch die Interessen der Engländer durch
einen Konsuln vertreten. Angaben aus Moroni: Movimento portuale.
916
In einem Akteneintrag aus dem Jahre 1623 wird der „Consulis Universitatis Orientalis Greco et Turcha“
erwähnt. ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 112h-114v.
917
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 142v.
918
Viviana Bonazzoli: Adriatico e Mediterraneo orientale. Una dinastia mercantile ebraica del secondo ’600: I
Costantini. Trieste 1998, S. 48.
919
Da die 16-köpfige Besatzung, alle auch aus Lefkada, und der Patron nur griechisch, aber kein italienisch
sprachen, wurde der Dolmetscher Jacomo Tromba geholt, der beide Sprachen beherrschte und so sprachlich und
rechtlich vermitteln konnte. ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 54.
194
toskanischen Herrscher, berufen und sie setzten sich für das Handelswesen ihrer Nation ein.
Dies war sowohl bei den Massari als auch in der armenischen Nation der Fall. Doch mit der
Zeit interessierten sich die ursprünglichen Heimatländer ebenfalls für diese Funktionäre. Der
Konsul übernahm immer mehr diplomatische Aufgaben. Im 18. Jahrhundert gab es Konsule
ohne Nation im Rücken, so zum Beispiel die Konsule aus Spanien, Genua, Venedig, Neapel,
Schweden, Malta, Dänemark, Ragusa, Piemont, Russland, Preussen und dem Kirchenstaat.
Dementsprechend sah die toskanische Regierung mit der Zeit im Konsul lediglich den
Stellvertreter seiner Heimatregierung, ohne grossen Bezug zur Nation vor Ort.920
Hinter dem Konsul stand normalerweise eine Versammlung, die zu den Problemen der Nation
tagte. Dabei mussten die lokalen Gesetze, die Verordnungen des Herrschers und die
Bestimmungen der Seefahrtverantwortlichen eingehalten werden. Bei den Tagungen ging es
primär um die Ausgaben und Einkünfte, die die Nation zu tätigen hatte.921
Die Basis bildete die Nation selber. Ihr gehörten vor allem Händler an, während die ärmeren
Personen, die Ladeninhaber, die Gastwirte, die Handwerker, die Matrosen und die
Vagabunden kaum berücksichtigt wurden. Über die Anzahl der Mitglieder der einzelnen
Nationen wissen wir wenig. Viele Kaufleute gehörten keiner spezifischen Nation an, Filippini
schreibt ihnen eine italienische Nation zu.922
Die Stärke der Nation lag nicht in ihrer Quantität, sondern in ihrer Qualität. Sie traten
nachhaltig in das Hafenleben ein, indem sie als Verband der Handelshäuser auftraten,
Steuern/Zölle auf Schiffe der eigenen Nation, die den Hafen von Livorno verliessen oder
anfuhren, und deren Waren erhoben und gewerkschaftliche Aufgaben erledigten, die die
Interessen der Händler der eigenen Nation verteidigten, etwa in Form von Boykotten. Diese
Freiheiten erlangten die Nationen während der Zeit der Herrschaft der Medici. Deren
merkantilistische Politik war für beide Seiten fruchtbar.923
Durch diese starke Stellung des Konsuls und seiner Nation festigte sich das Bild der Händler,
die in Livorno einen politisch gesicherten Rechtsraum sahen, wo die versprochenen Freiheiten
umgesetzt wurden, notfalls mit Druck des Konsuls.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts zogen für die Nationen, wie für die Toskana, langsam
dunkle Wolken am toskanischen Himmel auf. Der Konkurrenzhafen Genua versuchte die
tüchtigen Händler aus Livorno abzuwerben, besonders die Juden, und die schlechte
920
Filippini: Les nations à Livourne, S. 583.
Filippini: Les nations à Livourne, S. 584.
922
Einen Beleg für deren Existenz gibt es nicht. Dass es Kaufleute gab, die keiner Nation angehörten, ist für die
Levante unvorstellbar. In diesem Punkt unterscheidet sich das sonst levantenahe Livorno von der Levante. Vgl.
dazu Filippini: Les nations à Livourne, S. 585.
923
Filippini: Les nations à Livourne, S. 586f.
921
195
Konjunktur veranlasste den Grossherzog, die Steuern zu erhöhen oder sogar neue Steuern
einzuführen. Mit der habsburgisch-lothringischen Machtübernahme vollzog sich der negative
Trend. Die neuen Herrscher, Grossherzog Franz Stephan von Lothringen und sein Minister
Botta Adorno, distanzierten sich vom Merkantilismus und definierten die Rolle der Nationen
respektive der Konsule neu. Sie wurden von der Heimatregierung gewählt und besassen kaum
mehr Macht, lediglich als Berater ohne Entscheidungsbefugnis konnten sie sich in die
toskanische Wirtschaftspolitik einbringen. Die Nationen in Livorno zeichneten sich gegen
Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr als Gewerkschaften aus, die für die Händler Lobbying
betrieben. Vielmehr bildeten sie bloss noch kaufmännische Zusammenschlüsse mit losen
Bindungen.924
Folgende Nationen stellten 1782 noch einen Konsul in Livorno:925 Hamburg, Österreich,
Dänemark, Frankreich, Genua, England, Massa, Malta, Napoli, Holland, Preussen, Ragusa,
Rom, Russland, Sardinien, Spanien, Schweden, Venedig.
Exemplarisch für diese Einwicklung steht die deutsch-holländische Kongregation. Die
deutschen und flämischen Händler und Seeleute in Livorno liessen sich ab 1597 durch den
Wiener Matheus Bonat/Bonade vertreten. Marie-Christine Engels geht davon aus, dass er
durch die Wirtschaftsleute vor Ort gewählt und nicht durch den deutschen Kaiser ernannt
wurde. Im 17. Jahrhundert war es immer noch nicht notwendig von der Heimatregierung
anerkannt zu werden, die Wahl durch die Klienten und die Annerkennung durch die lokalen
Behörden, hier Toskana, genügte vollends.926
Dass die immer zahlreicheren holländischen Händler im Mittelmeerraum von ausländischen
Konsuln vertreten wurden, missfiel der holländischen Regierung in Den Haag zunehmend.
Sie entwickelten folglich um 1611 die Idee, eigene Vertreter in die Toskana zu senden.927
1612 wurde Johan Van Daelhem von der Regierung in Den Haag in das Amt des Konsuls
eingesetzt und vom toskanischen Grossherzog anerkannt, worüber die flämischen und
deutschen Anhänger von Bonade wenig erfreut waren. 1618 wurde auch Bonade von den
toskanischen Behörden als Konsul anerkannt. Doch zwei Mal scheiterten seine Bemühungen
von der holländischen Regierung anerkannt zu werden. 928
Eine Studie von Maria Grazia Biagi befasst sich mit dieser Problematik. Sie analysiert die
Entwicklung und den nachfolgenden Verfall der Institution der Konsulate in Livorno. In der
924
Filippini: Les nations à Livourne, S. 590f.
ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 204.
926
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 125f.
927
Vorangehend setzten Genua (1597) und Frankreich (1603) Konsule in Livorno ein. Der Konsul der
englischen Regierung amtete erst ab 1634, obwohl bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts englische Händler
und Seefahrer ihre eigenen Konsule wählten.
928
Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 126f.
925
196
Amtszeit von Ferdinando I am Ende des 16. Jahrhunderts arbeiteten viele Konsule in Livorno,
da sich dieser vorurteilslos für die Funktionäre einsetzte und die internationale Konjunktur
günstig lag. Diese Erfolgsgeschichte endete mit der Amtsübernahme durch Peter Leopold im
18. Jahrhundert. Er initiierte eine Reform, welche die Kompetenzen der Konsule massiv
einschränkte.929
Livornos Funktion als Handelsplatz zwischen Orient und Okzident zeigte sich auch im Wesen
der Konsulate. Während im Orient den Konsuln neue Geschäftsbereiche und neue Garantien
zugesichert wurden, befand sich das Konsulwesen im Westen im Niedergang begriffen. In
Livorno prallten diese beiden Tendenzen im 16. und 17. Jahrhundert aufeinander. Einerseits
beharrte man darauf, dass die Konsulate privatwirtschaftlich organisiert blieben, andererseits
versuchte man diese Institution zu verstaatlichen und ins öffentliche Recht zu übertragen.
1612 kam es wie oben erwähnt zu einer Polemik im flämischen Konsularwesen. Dieser Fall
stand exemplarisch für diese Phase des Übergangs.930 Auf der einen Seite arbeitete ein Konsul
seit 1597, der von den flämischen Händlern frei gewählt wurde. Auf der anderen Seite stand
da ein von der niederländischen Regierung eingesetzter Abgesandter. Der Disput begann, als
der Grossherzog beide anerkannte und so eine Konkurrenzsituation schuf, die ihm und dem
Freihafen zugute kam. Der Streit endete einige Jahre später mit dem Rückzug des Konsuls
durch die niederländische Regierung.931
Die Flamen waren in Livorno nicht nur durch die zwei Konsule vertreten, sondern zusätzlich
noch durch einen governatore und einen Schatzmeister, die dem Konsul halfen Steuern und
Gebühren einzuziehen und die Rechte der Flamen in Livorno zu garantieren.932
Weil die flämische Gemeinde gewillt war, eine Kapelle zu kaufen und darin eine Orgel zu
bauen, brauchte sie wirtschaftlich potente Mitglieder und gute Beziehungen zwischen den
beiden Regierungen. Hier spielten die Konsule und die nazione eine entscheidende Rolle. Es
gab jedoch noch keine Grundnorm über das Konsulwesen wie im späten 18. Jahrhundert. Die
Konsule galten als Vorsteher und Beschützer ihrer Kaufleute, obwohl sie einige Male wie
öffentliche Minister auftraten.933
In Streitfällen wurden sie aber oft auch übergangen, so etwa im Falle von zwei flämischen
Piraten, die sich zu Beginn des Konfliktes zwischen den beiden Konsuln im 17. Jahrhundert
mit Erfolg direkt an den Grossherzog wandten, um zu kapitulieren. Dieser gewährte ihnen
929
Maria Grazia Biagi: I Consoli delle Nazioni a Livorno. In: Atti del convegno „Livorno e il Mediterraneo
nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 361.
930
Biagi: I Consoli delle Nazioni a Livorno, S. 362.
931
Biagi: I Consoli delle Nazioni a Livorno, S. 363.
932
Biagi: I Consoli delle Nazioni a Livorno, S. 364.
933
Biagi: I Consoli delle Nazioni a Livorno, S. 364.
197
Schutz vor Forderungen seitens einiger Versicherer und florentinischer Kaufleute, die sie
schädigten.934
Das flämische Beispiel über den Prozess der Ernennung und der Anerkennung der Konsule
lässt sich zu dieser Zeit auf andere Gemeinschaften in Livorno übertragen. Dort herrschten
ähnliche kasuistische Verhältnisse. Diese Kasuistik kannte man bis ins 19./20. Jahrhundert,
als sich die beiden Konsule und diplomatischen Vertreter wieder annäherten. Doch es war zu
spät für Livorno, weil dort die Konsule kaum mehr von Bedeutung waren.935
Während die Stadt Livorno also wirtschaftlich stagnierte, machten einige Livornesi anderswo
Karriere, diplomatisch und wirtschaftlich. Da der österreichische Handel mit dem
Osmanischen Reich 1751 noch keinen eigenen Konsul erforderte, wurden dafür toskanische
Händler eingesetzt, die beide (Toskana und Österreich) repräsentierten. Der Kaufmann
Raphael Picciotto, ursprünglich ein Jude aus Livorno, lebte in Aleppo (Syrien), wo er 1784
zum Konsul des Habsburger Reiches ernannt wurde. Im Folgenden (19. Jahrhundert)
übernahm diese Familie immer wieder diplomatische Aufgaben für verschiedenste
Regierungen (Belgien, Preussen, Schweden, Toskana, etc,). Heute leiten die Picciottos die
Genfer Bank UBP.936
Kaufleute in der Diaspora suchten Unterstützung. Sie fanden sie zuerst in den
gewerkschaftlichen nazioni und Konsuln, verloren sie später aber in den diplomatischen
Vertretern ihrer Heimatregierung.
934
Biagi: I Consoli delle Nazioni a Livorno, S. 364f.
Biagi: I Consoli delle Nazioni a Livorno, S. 365.
936
Agstner: Du Levant au Ponant, S. 306.
935
198
7. Reibungsflächen bei der Interaktion: Unterschiede und Übereinstimmungen
7.1 Der mühsame Weg zur religiösen Gleichheit in Livorno
Die Diasporagruppen trafen in Livorno wie gesagt auf eine katholisch geprägte Gesellschaft.
Die katholische Kirche und die politischen Machinhaber vor Ort und in Florenz schufen
Räume für eine mehr oder weniger freie Religionsausübung.
Religiöse Minderheiten, die nicht dem Katholizismus folgten, taten sich in Livorno schwer
gegen die römisch-katholische Übermacht. Der Weg zu eigenen Gotteshäusern, eigenen
Friedhöfen und freier Religionsausübung war steil und mit Hindernissen belegt. Während
Muslime und Juden weniger diskriminiert wurden, weil sie nicht als Konkurrenten des
Katholizismus
angesehen
wurden,
mussten
die
reformierten
und
protestantischen
Gemeinschaftsgruppen mehr einstecken und länger auf Zugeständnisse warten.937
Paolo Castignoli weist auf die Problematik hin, dass das städtische Zusammenleben in
Livorno unter verschiedenen Kulturkreisen lange Zeit in einem Klima der Intoleranz
vonstatten ging. Gebiete, in denen der Katholizismus vorherrschend war, zeigten zwischen
dem 16. und dem 19. Jahrhundert wenig Duldsamkeit gegenüber anders Gläubigen.938
Zu Beginn schien es nicht möglich, dass die für die Juden erbrachten Anstrengungen
(Livornina) auf die anderen Andersgläubigen ausgedehnt werden. Nicht wenige englische,
holländische und deutsche Händler und Schiffskapitäne, die ursprünglich Anglikaner,
Calvinisten oder Lutheraner waren, erklärten sich deshalb in Livorno zu Katholiken und
assoziierten sich in den lokalen Bruderschaften. Man muss sich fragen, ob dies ehrliche
Konversionen waren oder doch eher geschickte Anpassungsstrategien. Dem Anschein nach
verlief die religiöse und politische Zusammenführung rasch und unproblematisch. Ab 1604
fungierten Engländer, Deutsche, Griechen, Flamen und persische Armenier als Stadtbürger
und übernahmen hohe politische Ämter. Doch diese waren alle Katholiken, was
Voraussetzung für die Nominierung war. Der livornesische Kosmopolitismus im 17.
Jahrhundert, so die These Castignolis, ist nicht immer synonym mit religiöser Freiheit und
Anerkennung.939
937
Nennenswerte antijüdische Agitationen gab es in Livorno nur einmal. In eine unangenehme Lage wurden die
Juden bei der französischen Besatzung (Ende 18. Jahrhundert) hineinversetzt. Zwischen dem ersten und zweiten
Einmarsch wurden die Juden in Livorno von Einheimischen angegriffen und als jakobinische Verräter verfolgt.
Das Feindbild des bewaffneten Juden ging umher. Näheres zur antijüdischen Viva-Maria-Bewegung in der
Toskana siehe Wyrwa: Juden in der Toskana. S. 167f. Die jüdische Nation in Livorno beklagte sich am 30. Juli
1800, dass sie überfallen und Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden, sowohl bei Doktoren, Rabbinern als
auch Händlern. Es war von attentati und terrore die Rede. Sie baten deshalb die Behörden, diese Taten genau zu
untersuchen. Durch die traurige Situation der Juden in Livorno und die Lebensgefahr, die sie und ihre Bekannten
erleiden mussten, verlangten sie sofortige, solide, effiziente und radikale Massnahmen, um das vergangene
Leiden (mali) aufzuarbeiten. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 155.
938
Castignoli: La tolleranza, S. 27.
939
Castignoli: La tolleranza, S. 30f.
199
Selbst wenn man der Stadt Livorno zugestehen muss, dass sie eine offene Gesellschaft schuf,
die bald auf weitere Teile Europas und bis in den Nahen Osten angewandt wurde, so muss
doch eingesehen werden, dass die Protestanten wenig davon hatten. Wenn sie ihren Glauben
offen zeigten, landeten sie bei der Inquisition. Für Taufen und Hochzeiten begaben sie sich
auf die jeweiligen Schiffe im Hafen, die Friedhöfe waren ausserhalb der Stadt gelegene
Gärten und ihre Priester wurden oft abgeschoben.940
Im 18. Jahrhundert verbesserte sich ihr Befinden. 1707 wurde ein anglikanischer Pastor
zugelassen. Mit der Machübernahme der Lothringer in der Toskana 1737 hob sich die
Qualität der religiösen Nachsicht rasant und markant. Zeichen dafür waren die intensivierten
wirtschaftlichen
Beziehungen
zum
osmanischen
Reich,
der
1747
unterzeichnete
Friedensvertrag mit Sultan Mohammud und die Abkommen mit Tripolis, Algier und Tunis.
Afrikanische Gäste wurden nun höflicher willkommen geheissen und 1762 wurde ein
türkischer, sprich muslimischer Friedhof angelegt. Von der entspannten Lage profitierten die
schismatischen Griechen. Sie eröffneten gegen Mitte des 18. Jahrhunderts zahlreiche
Geschäfte. Das Gefüge der griechischen Gemeinschaft wurde auf den Kopf gestellt. Plötzlich
standen viele Orthodoxe wenigen Katholiken gegenüber. Erstere erlangten am 14. Juli 1757
durch einen Erlass von Franz Stephan von Lothringen (Grossherzog der Toskana) Rechte und
Pflichten bei der Kultausübung, nachdem sie 1746 gedroht hatten, sie würden die Stadt
verlassen und ihre Geschäfte anderswo, etwa in Triest oder Nizza, tätigen, wenn sie die
Kirche Annunziata nicht alleine für sich nutzen durften.941 1760 wurde ihre neue Kirche
SS.Trinità
eingeweiht,
so
dass
sie
trotz
anfänglich
schwerwiegenden
religiösen
Schwierigkeiten eine blühende Gemeinschaft werden konnten. Die Kirche Annunziata blieb
bei den unierten Griechen. Das System der Toleranz basierte auf normativen Privilegien.
Diese Philosophie verfolgten die Lothringer bis ans Ende des 18. Jahrhunderts.942
Dieser Emanzipationsprozess wurde in der französischen Phase (1808-1814) fortgesetzt und
am 15. Februar 1848 mit dem „Statuto toscano“, der die religiöse Gleichheit proklamierte,
endgültig festgenagelt.943 Im 19. Jahrhundert konnte sich die religiöse Friedlichkeit frei
entfalten und die Andersgläubigen integrierten sich zusehends in Livorno. Erst wieder mit den
940
Castignoli: La tolleranza, S. 31.
Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 97.
942
Castignoli: La tolleranza, S. 32f.
943
Artikel 2 des Statuts: „I Toscani, qualunque sia il culto che esercitano, sono tutti eguali al cospetto della
legge, contribuiscono indistintamente agli aggravi dello stato in proporzione degli averi, e sono tutti egualmente
ammissibili agli impieghi civili e militari“. In: Castignoli: La tolleranza, S. 34.
941
200
Rassengesetzen von 1938 und den Judendeportationen und Judentötungen während des 2.
Weltkriegs verlor die friedliche Stimmung ihren Boden.944
Unierte (Katholiken), Griechen (Orthodoxe), Anglikaner, Lutheraner, Calvinisten, Muslime
und Juden besassen in Livorno ihre eigenen Gotteshäuser.945 Diese religiösen Freiräume
bildeten den Sockel, auf dem weitere Freiheiten gefordert, aufgebaut, aber auch verhindert
wurden. Die andersgläubigen Neuankömmlinge gestalteten das öffentliche Bild der Stadt, mit
unterschiedlichen Zielen, Mitteln und Auswirkungen.
7.1.1 Protestantische Anstrengungen
Die deutsch-flämische Gemeinschaft
Die Kongregation der Flamen, Holländer und Deutschen war stets religiös heterogen, selbst
wenn die äussere Erscheinung, die Fassade, katholisch gefärbt schien. 1607 ersuchte die
Nation den Bau einer eigenen Kapelle mit Altar, was ihr im selben Jahr gestattet wurde. In ihr
versammelten sich trotz Verbot beide Religionsrichtungen, die Katholiken und die
Protestanten, was in dieser Zeit der religiösen Engstirnigkeit in Europa selten war. Zahlreiche
flämische Kaufleute verkehrten in Livorno im reformierten Milieu, ihre Verwandten amteten
zum Teil in der reformierten Kirche. Es ist davon auszugehen, dass viele nur der Form nach
dem katholischen Glauben folgten, um nicht öffentlich aufzufallen und nicht der Inquisition
in die Fänge zu fallen. Der Inquisitor von Pisa, ebenso zuständig für Livorno, verlautbarte im
Jahre 1644, dass der Kirchenbann über diejenigen verhängt werde, die Häretiker kannten,
ohne sie anzuzeigen. Aus Angst, dass Juden und reformierte Engländer und Holländer
beunruhigt werden könnten, lenkten die weltlichen Behörden Livornos mit Bezug auf ihre
fremdenfreundliche Verfassung ein. Die Kirche krebste insofern zurück, indem sie bekannt
944
Castignoli: La tolleranza, S. 34.
Auflistung gefunden bei Bartl: Der Westbalkan, S. 68.
“Diverse delle nazioni straniere hanno in Livorno una chiesa, o altro luogo per esercitare le funzioni della loro
religione.
Fra quelli che sono uniti al rito latino vi hanno la chiesa gli Armeni, ed i Greci, e queste chiese benché siano in
figura di confraternite hanno dei curati che fanno le veci di parochi ed amministrano i sacramenti ai rispettivi
nazionali.
Nel temporale pero che dipendono dalla giurisdizione secolare, ed oltre a cio il Governatore soprintende alla
buona suddette chiese, come è stato rilevato alla caratteristica Governatore.
Le nazioni di rito Cattolico Romano non hanno Chiesa separata in Livorno, e solo i Francesi, e gli Olandesi
hanno una cappella per ciascuna Nazione nella Chiesa della Madonna dei PP. Francescani.
Gli Inglesi hanno una Cappella nella Casa del Console, ed un Ministro, ma sono i soli Protestanti che godino di
questo comodo, di cui si valgono nella Casa del Console Inglese anche i Ginevrini, e gli altri Riformati.
I Greci di rito scismatico vi hanno ancor essi una chiesa, ed un curato, spettando al Governatore di
soprintendervi per il buon ordine, e per evitare le con tra le due chiese greche.
Finalmente gli Ebrei vi hanno la loro Sinagoga.” ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie
VIII, Nr. 959, Blatt 236f.
945
201
gab, dass nur der öffentlich praktizierte Protestantismus bestraft werde. So entstand ein
Gleichgewicht zwischen der kirchlichen Vorstellung einer katholischen Gesellschaft und dem
wirtschaftlichen Interesse der Stadtbehörden, die Ausländer nicht zu verärgern. Dieses wurde
immer wieder in Frage gestellt. So als die Inquisition 1686, nicht aus Angst vor der
Proselytenmacherei, sondern aus der Befürchtung, katholische Regeln könnten bei den
Gläubigen an Sinn und Wert verlieren, Einspruch erhob gegen den Bau der
Einfriedungsmauer des holländisch-deutschen Friedhofes. Kein Präzedenzfall sollte
geschaffen werden, weder für die Engländer noch für die Franzosen.946
Die Präsenz eines protestantischen englischen Priesters in Livorno um 1643 heizte die
Stimmung weiter an. Von katholischer Seite her wurde von Irrlehre gesprochen, die sich von
Livorno aus weiter in ganz Italien verbreite. Wieder standen der Grossherzog und die
livornesische Stadtregierung im Spannungsfeld zwischen den bemühenden Zielen der
Reformierten und den Warnungen des Heiligen Uffiziums. 1668 gelang ein Durchbruch der
englischen Protestanten, als die Erlaubnis erstritten wurde, doch noch einen Seelsorger nach
Livorno schicken zu dürfen, mit der Einschränkung, dass er nur in englischer Sprache und vor
Engländern predigen durfte. Die Sache lief nicht lange reibungslos, schon bald schritt der
Nuntius ein. Die Spannungen zwischen der Toskana und England dauerten an, selbst wenn
die Regierung in Florenz nachgeben wollte, verhinderte die Inquisition dies.947
Die Protestanten der holländisch-deutschen Nation, im 17. Jahrhundert in der Anzahl
steigend, versuchten ebenfalls eigene Seelsorger zu institutionalisieren, bissen aber lange Zeit
auf Granit. 1661 verlangte die katholische Kirchenbehörde die Ausweisung eines reformierten
Priesters, der von dem Flamen besoldet und unterstützt wurde.948
Die Frage der Bestattung beschäftigte die Kongregation der Holländer und Deutschen immer
wieder. Bereits im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts stellte ein Ingenieur aus Lüttich
einen Garten als Friedhof für Nichtkatholiken zur Verfügung. Doch als dessen Nachfolger für
diese Nutzung Geld forderte, suchte die Kongregation neue Möglichkeiten. 1683 kaufte sie
ein Gelände und 1695 wurde die Einfriedungsmauer nach heftigen Disputen erlaubt. Der
Friedhof wurde eine Attraktion für ausländische Reisende, da er einem botanischen Garten
glich.949
Das 18. Jahrhundert läutete in Bezug auf die religiöse Toleranz die Wende ein. Die
Aufklärung leistete ihren Beitrag dazu. Die Lage der Protestanten war immer noch schwierig.
946
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 17f.
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 21f.
948
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 29f.
949
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 49f.
947
202
Sie konnten zwar am Gottesdienst des ab 1707 erlaubten englischen Seelsorgers teilnehmen,
den Plan einer eigenen Kirche und eines eigenen Seelsorgers gaben sie aber trotzdem nicht
auf. 1761 entstand auf Initiative des preussischen Konsuls eine erste Kapelle. Schulthesius
war der erste Pastor, der reformierte Gottesdienste vor der lutheranisch-kalvanistischen
holländischen und deutschen Gemeinde abhielt. Dieser Kapelle folgte die Einweihung der
griechisch-orthodoxen Kirche. Die beiden nichtkatholischen Gotteshäuser machten Livorno in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Pionierin in der Glaubensfreiheit.950
Die englische Nation
Gepaart mit politischen Umwälzungen vollzogen sich in der englischen Nation Prozesse der
religiösen Befreiung. Die ersten Engländer in Livorno waren aller Wahrscheinlichkeit nach
überwiegend, aber nicht ausschliesslich Angehörige der römisch-katholischen Kirche. Ein
englischer katholischer Pfarrer, Edmond Tornell, wurde nach Livorno geholt, um die
spirituellen Bedürfnisse seiner Landsleute zu befriedigen. Einige der englischen Kapitäne
sowie ein paar englische Händler versammelten sich in der Confraternita della Misericordia
(Bruderschaft der Barmherzigkeit). Trotz der steigenden Anzahl der in Livorno
ankommenden Schiffe aus England im 16. Jahrhundert, blieb die Anwesenheit der englischen
Händler verhalten. Grund dafür war die katholische Übermacht, vertreten durch den Papst und
den Kaiser, die trotz der Livornina dafür sorgte, dass zu Beginn des 17. Jahrhunderts nur
wenige protestantische Engländer sich trauten, dauerhaft in Livorno zu leben.951 Am Ende des
16. und anfangs des 17. Jahrhunderts zogen nur ganz wenige englische Protestanten nach
Livorno. Die Livornina richtete sich hauptsächlich an die Juden, die Protestanten wussten
nicht, was sie in Livorno erwartete. Diejenigen, die es dennoch wagten und ihren Glauben
öffentlich praktizierten, lebten gefährlich. Enrich Bertie und Randolph Godwin landeten so in
den Händen der Inquisition.952 Erst gegen Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich die religiöse
Freiheit, die zivilen Mächte gegen die Geistlichen durch.953 Nur wenige Jahrzehnte später
änderte sich demnach die Situation. Die handelsaktiven Piraten wurden durch Händler ersetzt,
die Katholiken durch Protestanten. Infolge der toleranten Politik Ferdinandos I, damals
einmalig für einen katholischen „Staat“, lebte das protestantische Element der Stadt auf. Der
950
Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 73f.
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 46f.
952
Castignoli: Aspetti istituzionali, S. 103.
953
Zu den englischen Initiativen und den katholischen Reaktionen betreffs Einführung eines protestantischen
Pfarrers siehe Castignoli: Aspetti istituzionali, S. 106 und Paolo Castignoli: La Comunità Inglese a Livorno. In:
Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale
„Gramsci“ u.a. Livorno 1992, S. 110f.
951
203
Einfluss der Händler aus benachbarten Gebieten und insbesondere die Ankunft vieler
nichtkatholischer Händler führten dazu, dass Livorno zum internationalen Marktplatz
avancierte, was wiederum die katholischen Würdenträger beunruhigte.954 Diese setzten gegen
das tolerante Klima die Inquisition ein, welche die ausländischen Protestanten genau unter die
Lupe nahm. Einige englische Protestanten wurden bestraft, weil sie die katholische Kirche
kritisierten, ihre Freunde nach protestantischem Ritus beerdigten oder weil sie offenbar weder
an Gott noch an den Teufel, weder an den Himmel noch an die Hölle glaubten. Einige
entgingen der Strafe, indem sie zum Katholizismus konvertierten, andere erfuhren Gnade, die
der Grossherzog nach der Bitte des englischen König aussprach.955
In den folgenden Jahren führten religiöse Fragen zu weiteren Konflikten mit und unter den
zivilen und religiösen Autoritäten, was die englische Gemeinde in Livorno nicht daran
hinderte, dort gleichzeitig noch tiefere Wurzeln zu schlagen.956 In diesem Prozess kam das
Wir-Gefühl zum Tragen, welches in der beschriebenen British Factory institutionalisiert
wurde.
Im 18. Jahrhundert, unter der Herrschaft von Habsburg-Lothringen, wurde die religiöse
Freiheit weiter gepflegt. Zeugnis davon ist ein Brief des florentinischen Hofes an die
Stadtverwaltung von Livorno aus dem Jahre 1745. Darin wurde bekräftigt, dass die
anglikanischen Engländer nicht der Ketzerei angeklagt werden können und es deshalb
möglich ist, dass ein Anglikaner das Erbe eines Katholiken annehmen darf.957
Die waldensische Gemeinschaft
Die Waldenser, eine reformierte Gemeinschaft, kamen als letzte der hier besprochenen
Diasporagruppen nach Livorno. Ihre erste Aufmerksamkeit erreichten sie mit der Ankunft des
Pastoren Robert W. Stewart im Jahre 1844. Dieser setzte seine ganze Energie und Zeit dafür
ein, dass seine Kirche in Italien und vor allem in Livorno anerkannt wurde.958
Im Verhältnis zu Waldensern in der Stadt zeigte sich, dass die katholische Kirche nicht sofort
gewillt war, diese neue Kirche zu akzeptieren. Simone Maltinti präsentiert anhand eines
Briefwechsels, wie sich die beiden Kirchen gegenseitig provozierten. Der Konvertit
Domenico Poli schrieb 1861 einen Brief als Antwort auf die katholische Anklage, ebenso der
954
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 48.
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 49.
956
D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 50.
957
Brief wurde abgedruckt in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 267f.
958
Paolo Edoardo Fornaciari: La Comunità Valdese a Livorno. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse:
Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale „Gramsci“ u.a. Livorno 1992, S. 129.
955
204
Pastore Ribetti, der die Anklage wegen Proselytismus, Atheismus und Materialismus nicht
auf sich ruhen liess.959 Auswirkungen dieser verbalen Streitigkeiten zeigten sich in den von
Katholiken unternommenen Störungen von waldensischen Beerdigungen.960 1861 wurde
zudem das waldensische Gebetshaus mit Steinen beworfen. Diese antiprotestantische
Bewegung, neben Livorno auch in Pisa, Palermo und Apulien anzutreffen, war Ausdruck der
Unsicherheit der Menschen, die nach der Einigung Italiens in eine Identifikationskrise fielen,
da durch die Einigung allen religiösen Minderheiten mehr Freiheiten zukamen.961 Die Lage
entspannte sich erst, als ein Berufungsgericht in Lucca Ribetti freisprach. Dies war ein grosser
Erfolg für ihn und zugleich ein Signal der Öffnung der katholischen Kirche, die nun nicht
mehr danach strebte, die Waldenser nicht anzuerkennen. Sie war nun bereit für einen offenen
und fairen theologischen Wettkampf. Ribetti wurde als Ansprechpartner akzeptiert. Gegen
Ende der 1860er Jahre wurden die Waldenser mehr und mehr von der livornesischen
Gesellschaft
aufgenommen.
Die
Konkurrenz
blieb
zwar
bestehen,
doch
die
Argumentationsweise blieb ruhig und gesittet.962
Die Evangelisierung konnte so fortschreiten, Ribetti verbuchte dabei einige bescheidene
Erfolge. In einem Jahrzehnt erreichte er 285 neue Kirchenmitglieder. Als Erstes wurden nun
Schulen gegründet. In diesen ging es aber nicht primär um die Missionierung, sondern
vielmehr um die Vermittlung sprachlicher, sozialer und kultureller Kompetenzen. Vor allem
Katholiken, aber auch Juden besuchten diese Schulen. In den 50 Jahren (1861-1911), in denen
die Schulen offen waren, lernten dort circa 6000 Livornesi schreiben und lesen. Weitere
Organisationen der Waldenser waren die Società di mutuo soccorso e carità della Chiesa
Evangelica di Livorno, die ab 1861 die gegenseitige, karitative Hilfe unter Stadtbewohnern
oder Arbeitskollegen, weniger unter Glaubensgenossen förderte, das Armenhaus und das
protestantische Spital.963
Dass Livorno als kosmopolitische und tolerante Stadt auch andere Wege der Gästebehandlung
einschlug, mussten also die Waldenser erfahren.964 Auf die Provokationen vom Waldenser
Pastore Ribetti folgten Drohungen und Widersetzungen seitens der katholischen Kirche. Seine
antipäpstlichen und antiklerikalen Äußerungen fanden Anklang in waldensischen Kreisen, so
dass sich die Gemeinde vergrösserte. Die Gemeinde besass eine Kapelle und eigene, von
Presbyterianern aus Nordeuropa und den USA gesponserten Schulen. Die Verbindung der
959
Abdruck der Briefe in Maltinti: La comunità valdese, S. 77f.
Maltinti: La comunità valdese, S. 86f.
961
Fornaciari: La Comunità Valdese a Livorno, S. 132.
962
Maltinti: La comunità valdese, S. 95.
963
Fornaciari: La Comunità Valdese a Livorno, S. 133f.
964
Maltinti: La comunità valdese, S. 173.
960
205
Waldenser zu anderen protestantischen Kirchen weltweit war im gesamten 19. Jahrhundert
gegenseitig stimulierend und helfend. Als Ribetti Livorno wieder verliess, folgten schwere
Zeiten für die livornesischen Waldenser.965
Sein Nachfolger, Pastor Teofilo Malan, war starrsinnig, streng und moralisierend, was die
Mitglieder nicht schätzten und so in den 1870er Jahren in andere protestantische Gemeinden
(Chiesa Libera) wechselten. Zudem wanderten viele Waldenser nach Amerika, Frankreich
oder England aus, um Arbeit zu suchen. Das Projekt der Evangelisierung der livornesischen
Bevölkerung war in den 1880er Jahren gescheitert. Eindruck hinterlassen haben die
evangelischen Schulen der Waldenser, die im Gegensatz zu den Missionarsbestrebungen
erfolgreicher waren. Sie trugen wesentlich zur Alphabetisierung der Bevölkerung in Livorno
bei, was die öffentlichen Schulen nicht erreichten. Erst 1911 unternahm Italien ernste
Anstrengungen, dieser Herausforderung gerecht zu werden.966 Mit der Schliessung ihrer
Schulen nahm die Bedeutung der Waldenser rapide ab. Ihr öffentliches Engagement zeigen
sie heute im Wohltätigkeitsbereich.
Der Austausch zwischen der katholischen und der waldensischen, reformierten Welt gab – so
die Meinung von Simone Maltinti – zahlreiche Aufschlüsse und war ein Schlüssel zur
Reflexion der Stadt Livorno und seiner Geschichte.967 Religiöse Konkurrenz war nicht
erwünscht, höchstens geduldet, wenn die Andersgläubigen ihre weltlichen Qualitäten (hier
Lehrfähigkeiten) in die Stadt brachten. Die Hürde zur Integration in Livorno war für
Protestanten besonders hoch. Divergierende Vorstellungen zum Glauben von Gastgeber und
Gast wurden im Alltag kontrovers ausgefochten. Die Annäherung erfolgte im Sozialwesen,
wo die Nichtkatholiken grosse Leistungen für die livornesische Gesellschaft erbrachten.
7.1.2 Griechisch-orthodoxe Bemühungen
Während im 18. Jahrhundert die osmanische Diaspora, vor allem Griechen, hautsächlich
orthodox war, so gehörten die osmanischen Händler in Ancona und Livorno mehrheitlich zur
jüdischen oder katholisch-armenischen Gemeinschaft.968 Das heisst nicht, dass die griechischorthodoxe Gemeinde nicht präsent und aktiv war. Ihr Kampf um religiöse Anerkennung war
lang und hart.
965
Maltinti: La comunità valdese, S. 174.
Maltinti: La comunità valdese, S. 175.
967
Maltinti: La comunità valdese, S. 176.
968
Inalcik: An Economic and Social History, S. 699.
966
206
Die orthodoxe Religion war ein Hauptkennzeichen der Identität der griechischen Diaspora in
Livorno im 18. und 19. Jahrhundert, wenn auch nicht das einzige. Diese grosse Bedeutung der
Religion hing mit der Rolle der Griechen im muslimisch geprägten Osmanischen Reich
zusammen.969 Ihre tragende Rolle setzte sich auch nach der Staatsbildung Griechenlands fort,
die religiöse Identität blieb auch dann stark verankert.
Diese Identität lag in der livornoschen Diaspora im Spannungsfeld zwischen der alten Heimat
(Orthodoxe Religion, gemeinsame Vergangenheit, Hellenische Kultur und Sprache) und dem
neuen Zuhause (katholische Gesellschaft). Um diese Spannungen zu lösen, gründeten sie
1775, mit der Erlaubnis vom Grossherzog Peter Leopold, die Confraternita della SS.
Trinita,970 eine Symbolfigur für den starken Zusammenhalt unter den Griechen in Livorno.971
Sie vertrat die griechische Gemeinschaft gegenüber den lokalen Behörden zuerst in religiösen,
später auch in zivilen Angelegenheiten. Sie besass mehr oder weniger demokratische
Strukturen. Ein sechzehnköpfiges Exekutivkomitee, durch die Generalversammlung gewählt,
war die offizielle Vertretung der griechischen nazione in Livorno, was die Politik, die
Erziehung, die Wohlfahrt und die Religion betraf. Ihre Aktivitäten hatten zum Ziel, die
Lebensqualität der Griechen zu verbessern, den Armen zur Seite zu stehen und kulturelle und
erzieherische Massnahmen zu ergreifen. Dieses Engagement überdauerte selbst die
griechische Staatsgründung in den 1830er Jahren und nahm sein Ende erst mit dem
demographischen Verfall zu Beginn des 20. Jahrhunderts.972
Der Prozess bis zur offiziellen Anerkennung der religiösen Autonomie der orthodoxen Kirche
in Livorno im Jahre 1775 dauerte lang und war nicht einfach. Als die ersten Griechen gegen
Ende des 16. Jahrhunderts in die Stadt kamen, um für den Orden San Stefano zu arbeiten,
schoben ihnen die Medici den Distrikt San Jacopo in Acquaviva als Wohnort zu. Die dortige
Kirche wurde in eine Orthodoxe umgewandelt. Jahre später wurde sie ins Borgo dei Greci
umgesiedelt, eine von Ferdinando I erbauten Wohnsiedlung. 1593, das Jahr der Livornina,
genehmigte der Grossherzog den Bau einer orthodoxen Kirche. Daraufhin und mit der
Ansiedlung einiger katholischer Griechen aus Syrien (greco unita) begann eine Phase
religiöser Konflikte, Katholizismus versus Orthodoxie. Dieser Disput endete erst 1757 mit
einem Edikt, in dem die toskanischen Behörden den Griechen die Ausübung der orthodoxen
969
Stichwort millet-System: Im Osmanischen Reich war eine millet (vom arabischen millah = Religion) eine
anerkannte und autonome Religionsgemeinschaft, die ein Recht auf Selbstverwaltung und Rechtsprechung unter
der Leitung ihrer religiöser Oberhäupter genoss.
Vgl. Vlami: Commerce and identity, S. 3, 10.
970
Confraternita = Bruderschaft: Vereinigung von Gleichgesinnten, meistens nur Männer, die politische,
kulturelle, soziale oder religiöse Ziele verfolgen. Siehe Vlami: Commerce and identity, S. 6.
971
Bereits 1498 wurde in Venedig eine griechische Bruderschaft gegründet. Andere Städte folgten, so auch
Ancona.
972
Vlami: Commerce and identity, S. 2f.
207
Religion gewährten, mit all ihren Pflichten und Verbindlichkeiten. Dazu gehörte, die Religion
gegen aussen nicht sichtbar zu machen.973 Die orthodoxen Griechen wurden von den
toskanischen Herrschern etwas despektierlich greci scismatici genannt, sie selber bevorzugten
jedoch die Ausdrücke greci non-uniti oder greci di rito orientale. 1760 bestätigte ein weiteres
Edikt die religiöse Freiheit der Griechen, aber immer noch mit Einschränkungen bezüglich
öffentlicher Ausübung, im Speziellen bei Beerdigungen. Die Toten mussten nachts
transportiert werden, ohne religiöse oder zivile Feierlichkeiten. 1770 forderten die Griechen
deshalb die Erweiterung der Religionsfreiheit, so dass sie dieselben Rechte geniessen konnten
wie etwa die Juden oder die Protestanten. Einige Jahre zuvor setzten sich griechische
Kaufleute erfolgreich für die Errichtung einer unabhängigen orthodoxen Kirche ein. Die
Kirche Santa Trinita wurde 1760 fertig gestellt. Keine Aufschrift oder etwelche Zeichen
durfte von aussen andeuten, dass das Gebäude eine Kirche darstellte. Glockenleuten, um die
Gläubigen in die Kirche zu rufen, war ebenfalls verboten. Dieser, wenn auch bedingte Erfolg
war wichtig und wegweisend. Endlich konnten die Griechen ihre Taufen, Hochzeiten und
Beerdigungen gebührend feiern. Die religiösen Events nahmen im Verlauf der Zeit vermehrt
politischen Charakter an.974 Generell lässt sich sagen, dass in der griechischen Diaspora die
Brutstätten der griechischen Revolution lagen.975
1774 wurde es dann auch möglich, die Toten tagsüber zu transportieren.976
Die offizielle Gründung der griechisch-orthodoxen Bruderschaft im Jahre 1775 bildete den
Höhepunkt des griechischen Gemeinschaftslebens. In ihren Statuten wurden unter anderem
Aufnahmemodalitäten geregelt. Eine Hauptaufgabe der Bruderschaft war die Verwaltung der
Kirche. Zudem wurde erklärt, dass Priester keine zivilen Aufgaben und Ämter bekleiden
durften. Die Bruderschaft unterhielt gute Kontakte zu anderen orthodoxen Gemeinschaften in
der Region, etwa mit jener von Ancona. Die griechischen Diasporagruppen zeichneten sich
durch ein starkes Solidaritätsgefühl aus. Die Kirche Santa Trinita galt als Referenz für die
Orthodoxen auf der ganzen Halbinsel. Weiter wurden enge Beziehungen zu russischen
Orthodoxen gepflegt.977
Um die Bruderschaft zu finanzieren wurden Steuern auf Waren eingezogen, die in Livorno
eintrafen. Die Organe der Bruderschaft waren die Versammlung, der Rat (gewählt von der
Versammlung) und der Gouverneur. Sie war also wie eine Nation, etwa wie die der Juden
973
Die orthodoxen Priester durften sich in ihren schmucken Gewändern nicht öffentlich zeigen. Vgl. dazu Cini:
La trajectoire de deux communautés, S. 98.
974
Vlami: Commerce and identity, S. 3f.
975
Harlaftis: Mapping the Greek, S. 148.
976
Luca Paolini: La Comunità Greco-Ortodossa. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed
incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale „Gramsci“ u.a. Livorno 1992, S. 64.
977
Vlami: Commerce and identity, S. 6.
208
oder der Armenier, aufgebaut und unterschied sich nur durch den Namen von einer Solchen.
Ziel der Bruderschaft war die Erhaltung der Gemeinschaftsidentität und der Wille,
unabhängig zu sein und auch zu bleiben.978
Gegen Ende 18. Jahrhunderts und anfangs des 19. Jahrhunderts belief sich die Anzahl der
Orthodoxen in Livorno bereits um 150. Für diese Gemeinschaft wurden ein Friedhof und ein
eigenes Spital in einem bestehenden eingerichtet. Die Zimmer wurden separiert, um den
Einfluss der katholischen Priester zu verhindern. Neben der medizinischen Hilfe wurde auch
die schulische Bildung für die eigenen Kinder gefördert.979
Mit der Einigung Italiens und dem damit verbundenen Verlust des Freihafens zerfiel die
griechische Gemeinde. Es blieben einige wenige Orthodoxe in Livorno und einige Studenten
in Pisa. In der Ära des Faschismus wurde auch die griechische Kirche zerstört.980
7.2 Störungen und Ungastlichkeiten in Ancona
Nicht nur scheinbar positive Effekte zeichneten den anconitanischen Kosmopolitismus aus.
Die multikulturelle Gesellschaft Anconas stand einige Male auf dem Prüfstein, mit sozialen
und wirtschaftlichen Folgen.
Der wirtschaftliche Untergang von Ancona im 17. Jahrhundert hatte zahlreiche Anstöße.
Einerseits verlagerte sich das Handelsinteresse von Nordwesteuropa (England, Holland,
Frankreich) vermehrt in Richtung westliches Mittelmeer (Ponente) zuungunsten der Levante.
Davon profitierten Städte wie Livorno, während Ancona stark darunter litt.981 Andererseits
leistete die Vertreibung und die Abwanderung der, in ökonomischen Belangen eifrigen,
religiösen Minderheiten (Juden, Griechen, Türken, Armenier und Ragusaner), vorangetrieben
durch die antijüdische Politik der katholischen Kirche in Rom, ihren Beitrag auf dem Weg in
die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit.982
Dass Ancona als bedeutendes Zentrum im Orienthandel galt, wo zahlreiche Marranen lebten,
die sich wieder offen zum Judentum bekannten, löste nicht nur Freude aus. Papst Paul IV, ein
bekannter Gegner der Juden, missfiel diese Situation. Er verband mit dem Antijudaismus
wirtschaftliche und religiöse Ziele. Er brauchte Geld, um den Krieg gegen Spanien wieder
aufzunehmen, weshalb er die Enteignung reicher Marranen als unerlässlich sah. Der Papst
wollte zudem die Juden bestrafen, die sich nicht konversionswillig zeigten. Zuerst kam die
978
Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 99.
Paolini: La Comunità Greco-Ortodossa, S. 65f.
980
Paolini: La Comunità Greco-Ortodossa, S. 67.
981
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 159.
982
Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 162.
979
209
Aufhebung der Privilegien, die seine Vorgänger billigten, in Form der Bulle Cum nimis
absurdum (14. Juli 1555), bevor er dann die Marranen verfolgen, verhaften und töten liess.983
Paul IV beendete in den 1550er Jahren die päpstliche Toleranz gegenüber den Juden
respektive conversos (Konvertiten) und belebte die Inquisition auf militante Weise wieder. Er
hob die früheren Schutzbriefe auf.
Die Einleitung der Bulle begründete die Repressionen unter anderem mit den zu grossen
Freiheiten der Juden.
„Da es völlig absurd und unzulässig erscheint, daß die von Gott um ihrer Schuld
willen zu ewiger Sklaverei verdammten Juden sich unserer christlichen Liebe und
Duldsamkeit erfreuen, um uns unsere Gnade in schnöder Undankbarkeit mit
Beleidigung zu vergelten und, statt sich demütig zu ducken, sich an die Macht
herandrängen, angesichts dessen ferner, daß diese uns zur Kenntnis gebrachten
Frechheiten in unserer erhabenen Stadt Rom und an anderen im
Herrschaftsbereiche der heiligen Römischen Kirche gelegenen Städten, Ländern
und Orten so weit gehen, daß sich die Juden mitten unter den Christen und sogar
in unmittelbarer Nähe der Kirchen ohne jegliches Abzeichen zu zeigen wagen,
sich in den vornehmsten Straßen und Plätzen der Städte, Gebiete und Orte, in
denen sie weilen, einzumieten wagen und Immobilien erwerben und besitzen und
Ammen und andere christliche Mägde in ihren Haushalt einstellen und noch auf
verschiedene andere Weise den christlichen Namen schmähen und zu verachten
wagen, sehen wir uns genötigt, indem wir bedenken, daß die römische Kirche die
Juden zum Zeugnis des wahren christlichen Glaubens duldet, die folgenden
Anordnungen zu treffen, damit sie von der Frömmigkeit und Milde des
apostolischen Stuhles angelockt, ihre Irrtümer dennoch erkennen und sich
bemühen, zu dem wahren Licht des katholischen Glaubens zu gelangen. Solange
sie in ihren Irrtümern verweilen, sollen sie aus der Wirkung des Werkes erkennen,
daß sie Sklaven, die Christen aber Freie durch Jesus Christus, unseren Herrn und
Gott, geworden sind, und daß es ungerecht wäre, wenn die Kinder der Freien den
Kindern der Magd dienen würden.“984
Der Hauptteil der Bulle sah neben weiteren Beschränkungen die Einrichtung von Ghettos, die
Pflicht
sich
als
Jude/Jüdin
zu
kennzeichen,
Einschränkungen
in
der
jüdischen
Geschäftstätigkeit und ein Bauverbot für neue Synagogen vor. Solche Diskriminierungen
waren an sich nicht neu. Bereits früher wurden an Konzilen ähnliche Beschlüsse gefasst, doch
sie wurden im Kirchenstaat kaum ausgeführt.985 Nicht so in diesem Fall. Die schriftlichen
Absichten endeten in autodafés (feierliche Ketzerverurteilungen), Zwangskonversionen oder
in der Verbannung auf Sklavenschiffen auf Malta. Die Interventionen des Stadtrates von
Ancona konnten die päpstlichen Machenschaften nicht aufhalten.986
983
Inhalt der Bulle siehe Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 140. Toaff: L’„Universitas Hebraeorum
Portugallensium“, S. 138f.
984
Übersetzung aus Deventer: Zwischen Ausweisung, Repression und Duldung, S. 376.
985
Deventer: Zwischen Ausweisung, Repression und Duldung, S. 377.
986
Am 22. Dezember 1555 schrieb der Stadtrat an den Papst, dass er besorgt sei über die antijüdischen
Agitationen, jedoch ohne Reaktion. Er begrüsste zwar die Massnahmen gegen die Häretiker, befürchtete aber
210
Einige Juden konnten fliehen, so etwa Amato Lusitano, ein berühmter Arzt und Gelehrter, der
von der christlichen Kirche attackiert wurde und deshalb über Pesaro, Ragusa nach Istanbul
floh, wo er nicht mehr als Christ getarnt leben musste. Später zog er nach Saloniki weiter.987
Weitere Marranen, die flüchten konnten, kamen in Urbino, Ferrara, Mailand und Cremona
unter.988
Die judenfeindlichen Taten in Ancona zeigen zweierlei auf. Erstens, die Solidarität unter den
Juden funktionierte nicht, im Gegenteil, denn die italienischen Juden stiessen sich von den
portugiesischen Glaubensbrüdern ab, zu gross war die wirtschaftliche Konkurrenz. Zweitens
öffnete sich mit der Abschiebung der Marranen die Phase der Krise des Hafens von Ancona,
die lange dauern sollte.989 Die Aktion des Papstes erwies sich im Nachhinein als ein Eigentor.
Im Januar 1556 liess Paul IV, wie im Vorjahr in der Bulle angekündigt und bereits in Rom
(Juli 1555) und Bologna (August 1555) ausgeführt, in Ancona ein Ghetto errichten. Unter
Pius IV beruhigte sich die Lage ein wenig, doch schon unter seinem Nachfolger Papst Pius V
wehte wieder ein anderer Wind. Nur noch in Ancona, Rom und Avignon durften sich 1569
Juden im Kirchenstaat aufhalten, dies weil sie im Levantehandel für die Obrigkeiten nützlich
waren.
„Was aber verderblicher als alles ist: sie haben sich dem Wahrsagen, Zaubereien,
magischen Kulten und Hexereien hingegeben, durch die sie viele unvorsichtige
Kranke und Schwache den satanischen Gaukeleien zuführen. [. . .] Schließlich ist
genügend bekannt und haben wir erklärt, daß dieses verkehrte Volk, obschon es
den Namen Christi unwürdig trägt, alle die bedroht, die in diesen Namen glauben
und ihrem Leben endlich mit seinen Listen nachstellt. Von diesen und anderen
schwerwiegenden Gründen angetrieben und bewegt von der Schwere der sich
täglich mehrenden Verbrechen, die unseren Städten schaden, bedenken wir
außerdem, daß dieses Volk außer bescheidenem Verkehr mit dem Osten niemand
in unserem Staat Nutzen gebracht hat.“990
Der Nachfolger von Pius V, Gregor XIII, wiederum regierte judenfreundlicher. Unter ihm
durften die Juden wieder im ganzen Staat leben, im Ghetto versteht sich, und freien Handel
treiben, auch mit Christen. Ebenso unter Sixtus V lebte es sich als Jude angenehmer (1586),
gleichzeitig, dass dadurch die städtische Wirtschaft zusammenbrechen könnte, da die Juden ökonomisch
unentbehrlich waren. Ein zweiter Brief wurde am 10. August 1556 nach den Hinrichtungen von 24. Juden auf
dem Scheiterhaufen nach Rom gesendet. Darin wurde nun weniger eigennützig gegen die missliche Lage der
Juden in Ancona geklagt, wiederum erfolg- und nutzlos. In dieser Zeit akzeptierte Ancona aus Selbstschutz
bedingungslos die päpstliche Vorherrschaft, in der Hoffnung auf eine blühende Zukunft. Siehe Hansen:
Immigrants and Church Patronage, S. 340.
987
Birnbaum: The long journey of Gracia Mendes, S. 97f., 105.
988
Toaff: L’„Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 140f.
989
Toaff: L’„Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 145.
990
Auszug aus einer Bulle von Papst Pius V aus dem Jahre 1569. Entnommen aus Deventer: Zwischen
Ausweisung, Repression und Duldung, S. 379.
211
sie durften sich wieder im ganzen Kirchenstaat frei niederlassen.991 Doch schon 1593, in der
Amtszeit von Clemens VIII, verschlechterte sich die Situation der Juden wieder zunehmend.
Die grosse Bedeutung der Juden im Handelswesen und vor allem ihre Funktion als
Geldverleiher verhinderten jedoch, dass sie aus dem Kirchenstaat, im speziellen aus der
Handelsstadt Ancona, vertreiben wurden. Wäre dies geschehen, wären der römische und der
anconitanische Alltag aufgrund von Geldmangel und Überschuldung stehen geglieben.992
Noch im 17. Jahrhundert befand sich die jüdische Gemeinde weiter in einem Zustand der
Schwäche, nur wirtschaftliche Umstände verhalfen den Juden zu mehr Lebensqualität. So
wurde beispielsweise 1659 die päpstlich angeordnete Schliessung aller jüdischen Geschäfte
ausserhalb des Ghettos vom Senat in Ancona verhindert. Dieser wies darauf hin, dass die
Stadt auf diese Geschäfte angewiesen war.993 Doch das Ghetto an und für sich blieb
bestehen.994
Antijüdische Agitationen bewirkten heftige Reaktionen aus Istanbul, wo die bekannte
portugiesische Jüdin Gracia Mendes und der Sultan Süleyman mit einem Boykott des Hafens
von Ancona und mit der Entführung anconitanischer Schiffe und Waren antworteten. Die
osmanische Regierung intervenierte, als 1555 in Ancona zahlreiche Juden verhaftet, enteignet
und ermordet wurden. Denn durch diese vom Papst veranlasste Tat gingen einige jüdische
Händler in Istanbul und Saloniki wirtschaftlich zugrunde, da sie ihr Kapital in Ancona
investiert hatten. Dies hatte zur Folge, dass sie ihre Steuern ans osmanische Steueramt nicht
bezahlen konnten, was wiederum dazu führte, dass sich der Sultan beim Kirchenstaat über die
durch die Judenverfolgung verursachten Steuereinbussen beklagte.995 Durch die direkte
Intervention von Sultan Süleyman gelang ein Aufschub für die Juden, die aus dem
osmanischen Reich nach Ancona gelangt waren und deshalb den Schutz durch die Türken in
Anspruch nehmen konnten. Die restlichen Angeklagten, die nicht zum Christentum
übertraten, wurden 1556 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.996
991
Das jüdische Ghetto in Ancona befand sich 1590 in der Gemeinde S. Martini. Hinweis in ASAN, A.N.AN,
Francesco Spinelli 1590-1591, Nr. 865, Blatt 4v. 1623 lag das jüdische Wohnviertel offensichtlich in der
Pfarrgemeinde S. Jacobi. ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 1h. 1624 besagt die
Notariatsurkunde, dass das jüdische Ghetto der Parochia (Pfarrgemeinde) S. Nicolai unterstellt war. ASAN,
A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 152h. In S. Nicolai stand auch eine Synagoge der
orientalischen Juden. ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 170v.
992
Zur Judenpolitik in Rom mit Einfluss auf Ancona siehe Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S.
485f.
993
Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 141.
994
Ein jüdischer Arzt aus Rom fragte gegen Ende des 17. Jahrhunderts um Erlaubnis, die kranken Juden im
Ghetto von Ancona pflegen zu dürfen. ASAN, A.C.AN, Suppliche 1690-1700, Nr. 70, keine Blattnummern.
995
Inalcik: Capital Formation, S. 121f.
996
Lewis: Die Juden in der islamischen Welt, S. 126.
212
Die Juden im osmanischen Reich antworteten darauf mit dem Versuch eines internationalen
Boykotts.997 Organisiert wurde er von Joseph Nassi, der als Schutzherr der Juden galt.
Zusammen mit Dona Gracia Mendes versuchte er den Hafen von Ancona von der
Weltwirtschaft abzuschneiden, um dem Papst ein Schuldgeständnis zur Verbrennung von
über 20 Marranen abzuringen, was jedoch nicht gelang.998 Die jüdische Gemeinschaft war
sich
nicht
einig,
wirtschaftliche
Eigeninteressen
überwogen
und
so
kam
ein
gebietsübergreifender Boykott nicht zustande. Während die nach Pesaro (Herzogtum Urbino)
geflüchteten conversos und der Sultan die Sache unterstützten, waren die in Ancona
gebliebenen Juden dagegen,999 ebenso die meisten jüdischen Gemeinden im osmanischen
Reich. Zudem war der Hafen Pesaro nicht in der Lage, das Warenvolumen Anconas
umfassend zu übernehmen und der Druck des päpstlichen Kirchenstaates auf den Herzog von
Urbino wurde zu gross. Um den eigenen Schaden im Masse zu halten, wurde der Boykott der
östlichen Hafenstädte bald aufgehoben. Bursa (heutige Türkei) war die erste Stadt, die den
Warenverkehr wieder aufnahm, ihr folgten andere.1000 So musste sich Gracia Mendes
geschlagen geben, ihre freche und eindrucksvolle Idee war gescheitert und schon 1558 blühte
der Handel mit Ancona wieder auf.1001
In einem Brief einer Privatperson an die anconitanische Kommune im August 1556 werden
die Marranen als hinterlistige Bösewichte verflucht („la malignità grande de li perfidi
Marrani“), da einige Juden, erwähnt werden Rabbiner in einer Synagoge in Saloniki, ein
Handelsverbot von levantinischen Waren mit Ancona eingeführt hatten und stattdessen lieber
mit Pesaro Geschäfte abwickelten.1002 Der Boykott verschärfte folglich die antijüdische
Haltung Anconas.
Im 18. Jahrhundert verhalf der Status des Freihafens Ancona wieder zu wirtschaftlichem
Aufschwung, den die Stadt im 17. Jahrhundert verloren hatte. Doch auf dem Weg zu mehr
Industrie und Handel wurde die religiöse Toleranz nicht wieder aufgenommen.1003
Stellvertretend dafür stand Pius VI, der ab 1775 die antijüdische Legislation erneut
vollstreckte.1004
997
Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, S. 111.
Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, S. 123.
999
Die Händlerelite, die die möglichen Folgen des Boykotts mit Angst voraussah, versuchte vergebends den
Papst umzustimmen. Er führte seine antijüdische Politik weiter. Caravale, Caracciolo: Lo Stato pontificio, S.
288.
1000
Caravale, Caracciolo: Lo Stato pontificio, S. 288.
1001
Näheres zum Scheitern des Boykotts. Siehe Birnbaum: The long journey of Gracia Mendes, S. 100f.
1002
ASAN, A.C.AN, Lettere di privati al Comune di Ancona, 1536-1599, Nr. 668, keine Blattnummern.
1003
Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 53.
1004
Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 141.
998
213
Erst durch die Besetzung der Stadt durch die Armee Napoleons zwischen 1797 und 1799
wurden die Juden vollkommen befreit. Sie nahmen nun direkt am politischen Leben teil und
die Ghettotore wurden entfernt. Doch schon kurz darauf, nach Napoleons Abgang, führten die
Päpste ihre antijüdische Politik weiter. So ging die jüdische Geschichte Anconas immer
weiter,
einerseits
anerkannt
als
fleissige
Händler,
andererseits
abgelehnt
als
Nichtkatholiken.1005
Fremdenfeindliche Neigungen wurden nicht nur gegenüber Juden geäussert. Während
jüdische Bewohner der Religion oder der wirtschaftlichen (Über)Macht wegen (Vorwurf der
Gier und Wucherei) verfolgt wurden, mussten sich ärmere Einwanderer ebenfalls gegen die
einheimische Mehrheit zur Wehr setzten. Im Jahre 1559 gingen in der Stadtverwaltung
Ancona gemäss dem anconitanischen Chronisten Camillo Albertini (1741-1824) zahlreiche
Klagen über bewaffnete Ausländer ein, die offenbar tagsüber und in der Nacht fremde
Häuser, Weinberge und andere Besitztümer aufsuchten und daran Diebstahl begingen.
Namentlich wurden Romagnoli (aus der Romagna), Schiavoni (Slawen) und Albanesi
(Albaner) erwähnt. Um diese Unordnung zu beseitigen, damit die Bevölkerung wieder in
Frieden leben konnte, beschloss der Stadtrat unter Androhung einer zehntägigen Strafe, dass
alle Ausländer, die nicht arbeiteten, innert 15 Tagen das Territorium von Ancona mitsamt
ihren Familien verlassen mussten.1006 Die Aufenthaltsgenehmigung wurde somit an die Arbeit
gekoppelt. Wer arbeitete, durfte bleiben. Diese Einschränkung berührte natürlich kaum
Kaufleute, vielmehr traf es einfache Arbeiter, die ohne Startkapital und ohne konkrete Arbeit
nach Ancona gelangten.
Die mentalen Landkarten der Päpste deckten sich nicht nur in diesem Fall hauptsächlich mit
den
Vorstellungen
ökonomisch
einflussreicher
Kaufleute.
Religiöse
oder
soziale
Abweichungen wurden nur schwer akzeptiert.
7.3 Livornesische Verlierer
Auch in Livorno war nicht alles Gold, was glänzte. Das orientalische Element der Stadt wurde
toleriert. Diese gelebte Toleranz und der demographische wie wirtschaftliche Aufschwung
hatten aber auch ihre Schattenseite: Livorno zählte neben Malta, Messina und Genua zu den
wichtigsten Umschlagplätzen für Sklaven. Vor allem von dort aus versorgte sich die
1005
Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 141.
BCA, Manoscritto 262, Camillo Albertini, Storia d’Ancona, Lib. XI, Parte Seconda, 1550 al 1563, Blatt
212f.
1006
214
französische Marine im 17. Jahrhundert mit Sklaven.1007 In den Jahren 1682 bis 1692 verlief
der Sklavenankauf konstant, wobei das Jahr 1690 mit 56 gekauften Sklaven den Höhepunkt
darstellte. In den zehn Jahren wurden in Livorno 147 Sklaven angekauft, wobei die
französische Marine zu den besten Kunden für muslimische Galeerensklaven am toskanischen
Markt gehörte.1008 Sklaven wurden nicht nur weiterverkauft. Durch die Rekrutierung von
Zwangsarbeitern aus der Toskana oder von anderswo und durch die Versklavung von
Menschen, die auf Malta oder in Fiume gekauft wurden, wurde der Hafen- und Stadtbau
kostengünstig vorangetrieben. Die Sklaven arbeiteten jeden Tag auf der Werft, angekettet an
den Füssen, und wurden nachts ins Bagno (Straflager) eingesperrt. Dieses Bagno der Sklaven
und Zwangsarbeiter wurde erst 1750 geschlossen, als die Sklaverei abgeschafft und Frieden
mit dem Osmanischen Reich respektive mit den barbaresken Staaten geschlossen wurde.1009
Auf den Rücken dieser wehrlosen Personen wuchs die Stadt, die trotzdem ihr Image als
Zufluchtstätte nicht so schnell verlor. Sie war der Ort, wo Mörder, Schurken und Piraten
ungestraft leben durften und wo gleichzeitig Ausgestossene, freiwillige Emigranten,
Kriegsopfer und vor allem religiös verfolgte Menschen, speziell Juden (Marranen) und
Muslime (Morisken) aus Spanien, eine neue Heimat fanden.1010 Sie alle trugen dazu bei, dass
Livorno stetig und schnell wuchs.1011
7.4 Messianische Zwischentöne
Übereinstimmende wirtschaftliche Interessen zeichneten die mentalen Landkarten sowohl der
Gastgeber als auch der Gastnehmer aus. Missstimmungen wurden vor allem im religiösen
Bereich wahrgenommen. Während die Juden in Livorno grösstenteil ihre Religion frei
ausleben konnten, waren die anconitanischen Juden immer wieder feindlichen Aktionen der
Päpste ausgesetzt. Innerjüdische Turbulenzen belasteten genauso das Verhältnis zu den
politischen Befehlshabern in der neuen Heimat. Der angebliche Messias Sabbatai Zwi
verunsicherte seine Glaubensbrüder in der Diaspora, was wiederum ihren Wohn- und
1007
Salvatore Bono: Achat d’esclaves turcs pour les galères pontificales (XVIe - XVIIIe siècle). In: Revue de
l’Occident Musulman et de la Méditerranée 39 (1985), S. 79f.
1008
Bono: Achat d’esclaves turcs, S. 85.
1009
Lucia Frattarelli Fischer: Presentazione. In: Fonti per la storia di Livorno. Fra Seicento e Settecento. Hg. von
Lucia Frattarelli Fischer, Carlo Mangio. Livorno 2006, S. 6.
1010
Marranen (spanisch für Schwein, dreckig) sind zwangsgetaufte Juden, Morisken zwangsgetauften Muslime.
Viele von ihnen flüchteten in der Zeit der spanischen Inquisition von der iberischen Halbinsel ins osmanische
Reich. Andere landeten in italienischen Stadtstaaten, wie Ancona oder Livorno. Eine etwas weniger
diffamierende Bezeichnung für konvertierte Juden und Muslime war converso. Näheres zur Bezeichnung der
religiösen Minderheiten in Spanien. Vgl. Heinen: Sephardische Spuren II, S. 471.
1011
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 533.
215
Arbeitsorten nicht zugute kam. Am Beispiel der sabbatianischen Bewegung kann dargelegt
werden, wie der mystische Messias das kaufmännische Leben der Juden durcheinander und
das Wirtschaftsleben Anconas und Livornos ins Stocken brachte.1012
„Ernstlich bereiteten sich daher die Juden zur Rückkehr in ihre Urheimat vor. In
Ungarn fingen sie bereits an, die Dächer ihrer Häuser abzutragen. Sie stellten ihre
Geschäfte ein, wenigstens unternahmen sie keine neuen. In den großen
Handelsstädten, in denen Juden im Großhandel tonangebend waren, in
Amsterdam, Livorno, Hamburg, trat dadurch eine Stockung ein.“1013
Die Mitte des 17. Jahrhunderts verlief turbulent. Venedig stand ab 1645 im Krieg mit dem
osmanischen Reich. Dadurch wurde die Seeroute nach Istanbul unterbrochen, die
europäischen Händler verlagerten ihre Geschäftssitze nach Izmir. Dort nahmen sie die Juden
als Agenten in Dienst, da diese westliche wie östliche Sprachen beherrschten und vor Ort
wichtige Verbindungen herstellen konnten. Auch Sabbatai Zwis Vater profitierte von den
neuen Umständen. Der arme Geflügel- und Eierhändler wurde ein erfolgreicher und
wohlhabender Unternehmer.1014
„Gerade war Sultan Ibrahim zur Regierung gekommen, und eine seiner ersten
außenpolitischen Taten bestand in der Kriegsführung mit der mächtigen Republik
Venedig. Bis dahin waren Konstantinopel und Saloniki die Handelszentren der
Türkei gewesen. Der Krieg unterbricht die Handelswege, und die Mehrheit der
Kaufmannschaft, Engländer, Franzosen, Holländer und Italiener, die nicht gewillt
sind, sich durch die Fehde zwischen dem Sultan und Venedig in ihren Geschäften
stören zu lassen, verlegen kurzerhand den Sitz ihrer Firmen und ihres Handels
nach Ismir. Das verändert fast über Nacht das Aussehen und die Bedeutung dieser
Stadt. Insbesondere für die Juden bricht eine neue Zeit an. Bisher haben dort nur
sehr wenige gelebt, und sie waren kaum wohlhabender als der armselige Händler
Mardochai Zewi. Jetzt strömt der ganze Handel der Levante in Ismir zusammen
und verlangt Arbeitskräfte. Drei-, viermal im Jahre kommen die großen
Karawanenzüge aus Indien, Persien, Armenien, Medien und Anatolien. Sie
bringen ihre Landesprodukte, Gewürze, Stoffe, Seidengewebe, Häute, Felle,
Schmucksachen, und empfangen dafür Metalle, Werkzeuge, Waffen und
Gerätschaften. Es entstehen Karawansereien und Kontore. Es werden Menschen
gesucht, die die Sprachen der Eingeborenen verstehen und als Vermittler und
Verwalter tauglich sind. Auch an Mardochai Zewi tritt ein großes englisches
Handelshaus heran und nimmt ihn als ihren Bevollmächtigten und Vertreter in
ihre Dienste. Aus dem armen Geflügelhändler wird auf diese Weise in kurzer Zeit
ein sehr angesehener und wohlhabender Kaufmann.“1015
1012
Als Standardwerk zu Sabbatai Zwi und seiner Wirkung gilt Gershom Scholem: Sabbatai Zwi. Der mystische
Messias. Frankfurt a. M. 1992. Sehr spannend zu lesen, doch gemäss Scholem mit zuviel undeutlicher und
psychlogischer Fiktion versehen, ist die Zwi-Biographie von Josef Kastein: Sabbatai Zewi. Der Messias von
Ismir. Berlin 1930.
1013
Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Aus den Quellen neu
bearbeitet von Dr. H. Graetz. Zehnter Band: Geschichte der Juden von der dauernden Ansiedelung der Marranen
in Holland (1618) bis zum Beginne der Mendelssohnschen Zeit (1750). Bearbeitet von Dr. M. Brann. Dritte
vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1897, S. 217.
1014
Scholem: Sabbatai Zwi, S. 134f.
1015
Kastein: Sabbatai Zewi, S. 31.
216
Sein Sohn brachte Europa mit seinem Messiasanspruch in Aufruhr. Auch die jüdischen
Gemeinden in Ancona und Livorno liessen sich anstecken. Trotz der Freiheiten und
Privilegien in der Diaspora schlugen sie die ökonomische Selbstbeherrschung in den Wind
und gaben sich grösstenteils der Begeisterung für Zwi hin. Livorno spielte schon längere Zeit
eine bedeutende Rolle für Sabbatai. Seine Frau Sara lebte dort gemäss einigen Zeugen ein
sittenloses Leben, bevor sie in Kairo Zwi heiratete.1016
„Die Stadt Livorno geht voran. Sie bestätigt als Durchgangspunkt der Juden aus
dem Orient und insbesondere der palästinensischen Spendensammler von neuem
ihre Wichtigkeit. Sie mißt sich auch als dem Orte von dem aus Sarah zur Königin
berufen wurde, besondere Bedeutung zu. Die Sabbatianer bekommen hier ohne
weiteres die Oberhand.“1017
Nur wenige konnten sich der Hysterie entziehen. Die beiden Brüder Jacob (Florenz) und
Emanuel b. David Frances (Livorno) verspotteten in ihren satirischen Gedichten die
Sabbatianer, jedoch ohne grossen Erfolg. Sie wurden angegriffen und die wenigen
Gleichdenkenden in Italien solidarisierten sich nicht mit ihnen.1018
Der grosse Rest jedoch verfiel dem Glauben an den Messias aus Izmir. Die Behauptung,
lediglich der jüdische „Pöbel“ habe mitgemacht und später den Rest der Juden gezwungen
mitzuziehen, kann nach Gershom Scholem nicht belegt werden. Viele Kaufleute, Rabbiner
und Gelehrte machten mit, die Verbindung von weltlichen und geistlichen Persönlichkeiten
der Gesellschaft verstärkte die Bewegung. In grossen Handelsstädten wie Livorno, Saloniki,
Amsterdam oder Hamburg, wo neben armen Glaubensbrüdern zahlreiche vermögende Juden
lebten, wurde das sabbatianische Evangelium begeistert aufgenommen. Auffällig war, dass
der Anteil der (ehemaligen) Marranen in diesen Städten hoch war. Offensichtlich bewirkte die
eigene Erfahrung oder die der Vorfahren von der Last der Vortäuschung (des christlichen
Glaubens) und die daraus resultierende Doppelrolle in Spanien und Portugal, dass die
Marranen sich wünschten, für ihre christliche Vergangenheit zu sühnen, indem sie im
Sabbatianismus ihr legitimes Judentum erkannten. Einer unter ihnen, R. Moses Pinheiro, war
ein Studienfreund Zwis. Er wohnte schon mehrere Jahre (seit cirka 1650) in Livorno – sein
Vater floh aus Izmir, womöglich weil er ein Anhänger Zwis war. Durch die persönliche
Bekanntschaft mit dem Messias, die wahrscheinlich nie richtig abbrach, und dank seiner
Frömmigkeit wogen seine Argumente für die Bewegung in Livorno stark. Briefe und
Andachtshandbücher aus Alexandria, Palästina und Aleppo heizten die Stimmung weiter
1016
Scholem: Sabbatai Zwi, S. 25f., 209.
Kastein: Sabbatai Zewi, S. 220.
1018
Scholem: Sabbatai Zwi, S. 579f.
1017
217
an.1019
In Ancona war die Begeisterung nicht weniger gross. Hauptverantwortlich dafür war der
Rabbiner der Stadt, R. Mahallallel Halleluja. Er genoss unter den Juden in ganz Norditalien
ein hohes Ansehen als rabbinischer Gelehrter und Dichter und war ein Anhänger der Kabbala.
Viele aus seiner Gemeinde folgten seinen Ansichten. Er verehrte den Messias, von dem
umfassend und aus erster Hand Nachrichten nach Ancona gelangten. Da die Stadt an der
Adria ein bedeutender Hafen war, verfügte sie über vorzügliche Handelsverbindungen, mit
der Folge, dass auch Neuigkeiten aus dem Orient rasch eintrafen.1020
Der Prophet des Messias, Nathan von Gaza, besuchte Ancona und Livorno nach der
Apostasie Sabbatais im Jahre 1668. In Livorno unterrichtete er seine Anhänger etwa zwei
Monate lang, doch die Stimmung hatte sich bereits gekehrt. Er musste im Untergrund und in
privaten Häusern seine Lehren verbreiten. In Ancona wurde er vom bereits erwähnten
Rabbiner empfangen.1021
Weniger nach der Apostasie, die verzögert in Italien bekannt gemacht werden konnte wegen
des Krieges zwischen Venedig und dem osmanischen Reich (Verbindungsunterbruch
zwischen Italien und Izmir/Ägypten) und von vielen Anhängern Zwis positiv umgedeutet
oder geleugnet wurde, aber vermehrt nach dem Tod beider Protagonisten 1676 und 1680
verlor die Bewegung an Schwung und Wirkung, auch in Italien.1022
Für einmal nicht die katholische Kirche oder politische beziehungsweise wirtschaftliche
Turbulenzen brachte die jüdische Diaspora in Bedrängnis. Das Leben in der neuen Heimat
konnte noch so gefestigt sein, erleichtert durch religiöse und finanzielle Zugeständnisse der
lokalen, politischen Elite, harmonisiert durch das friedliche Zusammenleben mit
Familienmitgliedern, Glaubensgenossen, Geschäftspartnern und der lokalen Bevölkerung, die
Erwartung eines Erlösers stellte alles auf den Kopf. Dieser Glaube an einen, den man im
Nachhinein als Schauspieler, Betrüger und Gescheiterten bezeichnen muss, schadete Ancona
und Livorno ökonomisch heftig. Die grosse Autonomie der jüdischen Gemeinden, die enge
Abhängigkeit der anconitanischen und livornesischen Wirtschaft an die jüdischen Händler
und die schlechten Kontrollmöglichkeiten der Politik führten dazu, dass das Herz der Städte,
das Handelswesen, grösstenteils zu schlagen aufhörte, obwohl der Patient eigentlich gesund
war. Die Einbildung, der Messias komme, verunsicherte die jüdischen Kaufleute. Sie wussten
nicht mehr weiter – ins verheissene Land oder weiter in der Diaspora. Diese Verunsicherung
1019
Scholem: Sabbatai Zwi, S. 552f.
Zwei Juden aus Ancona erhielten die Informationen über Sabbatai Zwi durch die Rabbiner von Aleppo.
Scholem: Sabbatai Zwi, S. 558.
1021
Scholem: Sabbatai Zwi, S. 854f.
1022
Scholem: Sabbatai Zwi, S. 843f.
1020
218
bekamen Ancona und Livorno zu spüren.
Der Beifall für Sabbatai Zwi in der jüdischen Diaspora deckte auf, dass es nicht viel brauchte,
um die städtischen Strukturen Anconas und Livornos zu erschüttern. Die Wirtschaft der
Städte stand auf wackligen Füssen, die abgewanderten Juden zu ersetzen, wäre schwierig
gewesen. Was bisher als Erfolgsgarant galt – die Einbindung in das mediterrane Handels- und
Informationsnetzwerk, das durch persönliche Kontakte und Familienstrukturen aufgebaut
wurde und welches das anconitanische und livornesische Import- und Exportwesen dirigierte
– wurde nun zum schmerzhaften Bumerang. Gerade über diese Netzwerke wurden die
Nachrichten über Sabbatai Zwi, die Perspektiven einer Rückkehr nach Israel verbreitet. Güter
aus Izmir waren sicher immer willkommen in Ancona und Livorno, doch die Propaganda über
den Messias entzückte nur die Mehrheit der Juden, den Stadtregierungen Italiens bereiteten
sie dem Aufruhrpotenzial wegen Kopfschmerzen.
Das imaginäre Bild, das sich die jüdischen Kaufleute von Ancona und Livorno über Heimat
machten, war also offensichtlich nicht beständig. Aus anderen Teilen des Mittelmeeres
übermittelte Sehnsüchte und mystische Erscheinungen konnten die eigenen mentalen
Landkarten zerknittern und den Wünschen der Stadtherren Anconas und Livornos nach
wirtschaftlichem Erfolg zuwiderlaufen.
219
Teil III: Resultate und Auswirkungen
8. Das veränderte Stadtbild: Bewohner und Infrastruktur
8.1 Architektonische Wirtschaftsstützen
Die Umsetzung der verschiedenen Modellvorstellungen erzeugte Spannungen und
Harmonien. Diese waren in Ancona und Livorno im Zusammenleben der unterschiedlichen
Bevölkerungsgruppen sichtbar. Eigene Ideen wurden umgesetzt und prallten auf
divergierende
Vorstellungen.
Neben
unmittelbar
erkennbaren
Resultaten
des
Zusammentreffens, wie etwa die Verbrennung von Juden auf dem Scheiterhaufen oder der
alltägliche Warenaustausch am Hafen, entdeckt man auch Erfolge und Fehlschläge, die
längerfristig anhielten. Die städtische Infrastruktur Anconas und Livornos wurde durch die
zugewanderten Händler und ihren Gastgebern massgebend geprägt. Die Herrscher in Rom
und Florenz stellten Gemeinschaftseinrichtungen auf, die grosse wirtschaftliche Leistungen
ermöglichen sollten. Ancona erhielt von den Päpsten einige wichtige Bauwerke mit
ökonomischer Ausstrahlung, vor allem in der Seuchenabwehr. Livorno dagegen wurde von
den Medici von Grund auf neu aufgebaut.
8.1.1 Anconas Strukturierung der Küste
Die im Verlauf der Jahrhunderte erschaffene Architektur – die Hafenmole, die Lazarette, die
Loggia dei Mercanti, der Arco di Traiano, um nur einige Bauwerke zu nennen – formten das
prachtvolle Kleid Anconas, mit dem sich die Stadt eine eigene, äusserliche Identität gab oder
wie es Alessandro Mordenti italienisch ausdrückte: „l’habito solenne inventato per la
città“.1023
Die Hafenstadt zeigte sich im 16. Jahrhundert ambivalent. Die urbanen Strukturen zeugten
von Reichtum und Charme und in „la maitresse ville de la Marque“ (Michel Eyquem de
Montaigne), mit ihren schönen Frauen, ihren begabten Handwerkern und den zahlreichen,
meist ausländischen Kaufleuten, lebte es sich ruhig und friedlich. Interventionen wie die
Eroberung der Stadt 1532 durch den Kirchenstaat und die Judenverfolgung 1556 hinterliessen
jedoch Blutspuren.
Den hohen Stellenwert in der Region verdankte Ancona grösstenteils dem Ruhm Roms.
Ancona im 16. Jahrhundert, das war das östliche Tor Roms, der Hafen, wo man anlegte, um
in die Ewige Stadt zu gelangen, eine der wichtigsten, religiösen und politischen Zentren im
1023
Mordenti: Vita quotidiana, S. 392.
220
Mittelmeerraum. Diese geopolitische Komponente brachte Ancona die Rolle als
internationales Drehkreuz ein. Botschafter, Konsule, Spione und Informanten suchten die
Stadt auf.1024
Die Umsetzung der päpstlichen Politik hatte zunächst vor allem bauliche Folgen. Das
handelshemmende Auftreten von Piraten, Epidemien und Hungersnöten führte zu gezielten
Gegenmassnahmen der Päpste. Das Lazarett und viele weitere öffentliche Bauten standen im
Dienste des Wohls der Bewohner der Stadt und des wirtschaftlichen Überlebenswillens. Die
Angebote der Öffentlichen Hand – vom Spital über die Schulen bis hin zu den Handelsplätzen
– waren reichlich für eine 20'000-Einwohnerstadt und sie verliehen ihr ein kosmopolitisches
Ambiente, das mit Festen zelebriert wurde.1025
Die baulichen Massnahmen erreichten im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Der Architekt
Luigi Vanvitelli baute 1732 ein neues, fünfeckiges Lazarett in Ancona, weil das Alte nicht
mehr genügte. Weiter wurde die Strasse Flaminia instand gesetzt, der Hafen gesäubert, sprich
entsandet, zusätzliche Strassen und eine weitere Mole erbaut. Zudem wurde der
Triumphbogen Arco Clementino errichtet, die Hafenstrukturen vergrössert, die Ringmauer
erweitert und neue Lager konstruiert, so dass immer mehr Menschen, Waren und somit auch
Kapital in die Stadt strömten.1026
Die Lazarette erfüllten die Aufgabe, diese Ankömmlinge auf ansteckende Krankheiten hin zu
kontrollieren. Aus dem Jahre 1499 datiert der erste Hinweis auf ein Gebäude, das in Ancona
als Lazarett bezeichnet werden konnte und das ab 1503 in Betrieb genommen wurde. 1575
wurden zwei Weitere von Papst Gregor XIII in Auftrag gegeben. Ab 1624 und 1630 wurden
wieder neue Anlagen errichtet, bis schliesslich 1732 – nicht zufällig im Jahr der
Freihafenerklärung – Papst Clemens XII den Architekten Luigi Vanvitelli ermächtigte, ein
letztes Lazarett zu bauen.1027 Neue, grössere und modernere Einrichtungen waren die Folge
von mehr Warenverkehr und mehr Personen, die hospitalisiert werden mussten.1028
1024
Anselmi: Adriatico, S. 136.
Anselmi: Adriatico, S. 134f.
1026
Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 48f.
1027
Gemäss dem Lazarettbuch gab es vor der Amtszeit von Papst Gregor XIII in Ancona kein Lazarett, also
keine Stelle für die Annahme und Reinigung verdächtiger Waren und für die Beobachtung der Quarantäne. Erst
1575 wurde unter Gregor XIII ein solches errichtet. Es hiess „Lazzaretto di S. Agostino e del Casone del
Colonnello“. Sowohl das alte Lazarett als auch das Neue wurden von der Gesundheitsbehörde wie von der
Wirtschaft getragen und verwaltet. Laut authentischeren Quellen soll das alte Lazarett bereits 1562 und nicht erst
1575 aufgestellt worden sein. 1619 verfiel das alte Lazarett. 1630 wurde unter der Herrschaft von Papst Urban
VIII ein neues Lazarett angefertigt. Die Fertigungstellung dauerte fünf Jahre (1630-1635). Im neuen Lazarett
befanden sich 26 Lagerräume, verteilt auf zwei Etagen, allesamt waren geräumig.
Siehe ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 97f.
1028
Gianni Orlandi: La gelosa materia. I provvisori alla sanità di Ancona (1430-1810). Ancona 1991, S. 87f.
1025
221
Das Lazarettsystem war verbunden mit der Angst vor einer räumlichen Annäherung der
Seuchen. Dabei galten osmanische Städte wie Alexandria, Izmir, Istanbul, Mytilini (heutiges
Griechenland) sowie weitere Levantehäfen (und dementsprechend auch alle Schiffe, die dort
anlegten) zu allen Zeiten als Horte der Pest.1029 Als weitere Feindbilder galten Vagabunden,
Bettler, Juden und Zigeuner.1030 Menschen, die schmutzig wohnten, konnten die öffentliche
Gesundheit schädigen, so der einhellige Ton. 1630 liess Kardinal Barberini verlauten, dass die
vorhin genannten Personengruppen keine Stadt, kein Land und kein Schloss des
Kirchenstaates weder passieren noch darin eintreten durften, unter Androhung von
Geldstrafen bei Missachtung.1031
Die prioritäre Behandlung des Gesundheitsgedankens musste hart erkämpft werden. Die
Interessen der Politik und der Wirtschaft liefen nicht immer einträchtig zusammen. 1585
beschloss Papst Sixtus V, dass das Ufficio della sanità (Gesundheitsbehörde) wieder unter der
Verwaltung Anconas eingesetzt werden durfte. Eine 1%-Steuer auf eingeführte Waren wurde
ebenso wieder zugelassen, um die Behörde zu finanzieren und so das körperliche
Wohlbefinden der Stadtbewohner zu gewährleisten. Der Papst hatte die Steuer (und das Amt)
einst aufgehoben, um ausländische Händler anzulocken und den internationalen Handel
anzukurbeln. Doch jetzt schien die langfristige Gesundheit wichtiger zu sein als der
kurzfristige Geschäftserfolg.1032
Der Freiheit des Handels wurden oft gesundheitliche Grenzen gesetzt. In einigen Jahren fiel
die Messe in Senigallia wegen der Pest aus. Die dortigen Händler versuchten dies mittels
Geschenke an die Behörden zu verhindern, während Ancona, eifersüchtig der Prosperität
Senigallias wegen, dies begrüsste und sich zum Teil verschwörerisch betätigte. Die Pest war
also nicht nur ein humane, sondern auch eine ökonomische Katastrophe. Das einheimische
Markttreiben ging zurück und durch die sanitären Blockaden wurden die Kommunikation und
der Handel mit den ausländischen Märkten gelähmt. Nicht wenige Geschäftsleute wehrten
sich gegen allzu radikale Schutzmassnahmen. 1629 wurde in Ancona trotzdem ein neues
Lazarett erbaut, um die Quarantäne rigoroser durchführen zu können. Das Abwägen zwischen
wirtschaftlichen Interessen und öffentlichen Gesundheitsanliegen gestaltete sich diskursiv.
1029
Orlandi: La gelosa materia, S. 105f.
Zu den Stereotypen über Juden, Zigeuner und anderen Ausgeschlossenen in Europa (vor allem in
Deutschland, aber auch in der Schweiz) des 18. Jahrhunderts siehe Ulrich Kronauer: Vom gemeinsamen
Vorurteil gegenüber „Juden, Zigeunern und derlei Gesindel“ im 18. Jahrhundert. In: „Zigeuner“ und Nation.
Repräsentation – Inklusion – Exklusion. Hg. von Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut. Frankfurt a. M. 2008, S.
137-150.
1031
Orlandi: La gelosa materia, S. 22f.
1032
Orlandi: La gelosa materia, S. 53f.
1030
222
1701 wurde Ancona monopolistisch zu dem Kirchenstaatlazarett ernannt, was der Stadt
enorme geschäftliche Vorteile gegenüber dem Konkurrenten Senigallia brachte.1033
8.1.2 Das anconitanische Freihafenlazarett: Hort der Gründlichkeit und der Disziplin
Am 21. Juni 1731 wurde am Hafen, dort wo das Lazarett gebaut werden sollte, mit Schiffen
eine Prozession in Form einer Parade abgehalten.1034 Bevor der Architekt Luigi Vanvitelli
Romano bauen liess, machte er eine Reise durch Italien, um sich zu informieren, wie die
anderen Lazarette gebaut waren. Er entschied sich schliesslich für ein Pentagon (Fünfeck) mit
einem Bollwerk, Kanonen, einer Soldatenresidenz und einer Pulverkammer. Das Lazarett
hatte vier Tore. Auf der ersten Ebene befanden sich fünf grosszügige Strassen und 13
Lagerhallen. Auf der zweiten Ebene gab es einen Platz mit ebenfalls 13 Lagerräumen. An
diesen Platz grenzten 30 Türen, die in die Zimmer führten, wo die Verdächtigen leben
mussten. Im Zentrum des Platzes stand die Kapelle.1035 Von den insgesamt 60 Zimmern im
Lazarett wurden 30 vermietet, genau wie die Lagerräume.1036
Das im Zuge des Freihafens entstandene Lazarett konnte ab 1737 in Betrieb genommen
werden. Die Quarantäne konnte falls nötig gestartet werden.1037 Ausländern wurde der Zugang
zum Lazarett verweigert, da sie schliesslich nur die eigene Neugierde befriedigen wollten.1038
Ausländische Händler waren weniger neugierig, sie waren an guten und reibungslosen
Geschäften interessiert. Die Höhe der Tarife für die Quarantänegüter war heftig umstritten.
An den alten Tarifen wurden festgehalten, bis man 1748 sah, dass die Einsprüche der
Kaufleute, aus- wie inländisch, nicht endeten. Um Streitigkeiten und endlose Fragen zu
vermeiden, lohnte es sich für die Obrigkeiten, die Konsule und ihre Händler (einheimische
und fremde) nicht zu verärgern und ihre geforderten Rechte nicht zu beeinträchtigen.1039
Neben der ärztlichen Versorgung wurde mehr oder weniger für das leibliche und das seelische
Wohl gesorgt. In der Lazarettkneipe wurde Proviant verkauft. Der Wein, den es dort auch
gab, war von der Steuer („gabella“) und anderen Abgaben („dazio“ = Zoll) befreit. Zu Essen
gab es Fleisch und Brot; Früchte und Gemüse waren verboten, weil sie als schädlich galten.
Weiter nicht erlaubt waren der Kontakt zu Aussenstehenden Personen, das Trinken von
1033
Anselmi: Adriatico, S. 247f.
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 76v.
1035
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 74f.
1036
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 128v.
1037
Im Lazarettbuch wird detalliert über die Entstehung, das Funktionieren und das Leben im Lazarett berichtet.
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 1 – 273.
1038
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 69v.
1039
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 198f.
1034
223
Kaffee, der Verzehr von Früchten und das Verlassen des eigenen Zimmers ohne Begleitung.
Um dennoch weiterhin mit der Aussenwelt in Verbindung zu stehen, waren Briefe erlaubt. Sie
wurden mit Parfüm gereinigt.1040
In der Kapelle des Lazaretts wurden Messen abgehalten. Dort arbeitete ein beständiger
Kaplan/Gefängnisgeistlicher („cappellani“).1041 Obwohl bereits ab 1745 Messen stattfanden,
besuchte bis 1768 kein Bischof die Kultstätte. Beim Lazarettbesuch von 1768 als auch im
Jahre 1781 statteten die Geistlichen nur der Kapelle einen Besuch ab, die Beerdigungen der
Quarantäneinsassen wurden ausgelassen. Zudem wurde die Kapelle nur gutgeheissen und
nicht geweiht. Offenbar war die Wertschätzung des Bischofs für das Lazarett nicht sehr hoch.
Es gab zwei Orte (Gräben) für die Beerdigungen. Einer für die katholischen Christen und
einer für die „Türken“ und die Ungläubigen. 1755 wurden Holzsärge eingeführt. So entstand
ein provisorischer Friedhof. Im Oktober 1764 verfasste der Konsul der levantinischen
Kaufleute im Namen der Nation eine detaillierte Bittschrift an den Kardinal. Er verlangte,
dass der provisorische Friedhof aufgehoben wird, denn dort waren die Toten den Blicken aller
anderen Religionsgruppen ausgeliefert. Der Kardinal stimmte der Bitte zu.1042
Zu einem Lazarett gehörte eine straffe Organisation. Auf deren Organigramm fand man einen
Hausmeister1043, die Oberaufsicht („sopraintendente“)1044 und die „Cordoni Formali alle
Spiagge“ und „Cordoni Provvisionali alle Spiagge“1045. Erstere kamen zum Einsatz, wenn
konkrete Ansteckungsgefahr drohte, letztere als auf vielen Schiffen aus der osmanischen
Levante die Besatzung mit der Pest angesteckt wurde und man nicht wusste, wohin die
Schiffe gehen würden. Das „Tribunale del Consolato“ war zuständig für rechtliche
Angelegenheiten bezüglich des neuen Lazaretts.1046 Weiter auf der Lohnliste standen Wächter,
Soldaten, Ärzte und Reiniger.1047 Die Reiniger (spurgatori) wurden von der Università de
Mercanti oder den Konsulaten ausgewählt und nominiert. Für diesen Beruf musste man
ehrenhaft, robust und jung sein. Sie brachten die Waren von den Schiffen in die Lagerräume,
wo sie sie bewachten und umdrehten (= reinigten). War die Ware wieder sauber, die
Quarantäne abgeschlossen, so mussten sie sie wieder verpacken und zurücktragen. Daneben
gab es auch „normale Reiniger“ („spurghi ordinari“), die sich mit den sauberen oder weniger
verdächtigen Waren beschäftigen. Diese Waren kamen nur als reine Vorsichtsmassnahme in
1040
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 69h.
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 8v, 21v, 24v, 69v.
1042
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 145f.
1043
Zu den Aufgaben des Hausmeisters siehe ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 29f.
1044
Sie regelte, wer Zutritt zum Lazarett bekam. ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 34f.
1045
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 38f.
1046
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 54.
1047
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 87f., 114, 154f., 162f.
1041
224
die Quarantäne und sie stammten nicht aus verdächtigen Gebieten, wie die ganze Levante
eines war. Die Levante schien generell verdächtig zu sein. Die Ponente war generell
unverdächtig, ausser die Schiffe wurden von Korsaren oder Kriegsschiffen angegriffen. Auf
den „türkischen“ Schiffen befanden sich immer auch ein oder mehrere christliche Sklaven,
die entweder von ihren Herren in Freiheit gelassen wurden oder die von den Ungläubigen
geflohen waren. Auch sie mussten in die Quarantäne.1048 Die Güter aus der Levante mussten
Sack für Sack geöffnet, gedreht und gelüftet werden. Verdächtige Schiffe mit „Patente
Sporca“ aus verdächtigen Orten, die bereits angesteckt waren, wurden speziell behandelt. Die
ganze Ware wurde zum Lüften in die Lager verfrachtet. Alle zehn Tage mussten die Produkte
gewendet werden. Die mitgereisten Händler und Passagiere mussten ebenfalls ins Lazarett,
getrennt von den Waren. Die Quarantäne für Mensch und Ware dauerte 40 Tage. Die
Kaufleute und Passagiere durften von den Wächtern nie aus den Augen gelassen werden,
weder am Tag noch in der Nacht. Alle diese Massnahmen dienten der Vorsicht, damit die
Gesundheit bewahrt werden konnte.1049
Damit es gar nicht erst zur ernsthaften Säuberung kommen musste, heuerte Ancona zwei
bewaffnete Geleitschiffe an, um sicher zu gehen, woher die Schiffe kamen und wohin sie
gelangten. So wollte man sicher sein, keine verseuchten Schiffe im eigenen Hafen zu
haben.1050
Diverse Male, so die Aussagen aus dem Lazarettbuch, bedrohten dennoch die Pest und
anderen Seuchen direkt und indirekt den Standort Ancona. Die Ausbreitung der Pest auf
Malta im Jahre 1683 war auf Schiffe aus der Levante zurückzuführen. Dadurch blieben die
Häfen auf Malta geschlossen und der maritime Handel blieb grösstenteil aus, was auch
Ancona betraf.1051
Die Pestansteckung in Messina und Kalabrien im Jahre 1743 hatte ebenfalls Auswirkungen
auf Ancona. Das neue Lazarett war stets voll. Die Pest kam offenbar wieder von Schiffen aus
der Levante.1052
Im Jahre 1763 traf es die Vorstädte Splits in Dalmatien. Die Pest kam von Bosnien und blieb
vor den Toren Splits hängen. Durch diese waren grosse Gebiete unter Verdacht, von
Dalmatien, Istrien über Venedig, Triest bis Österreich, Apulien, Neapel und Kalabrien. Fast
1048
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 180v.
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 162f.
1050
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 67h.
1051
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 48f.
1052
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 46.
1049
225
zwei Jahre blieb die Region verdächtig, der adriatische Golf war überall geschlossen. Innert
vierzig Tagen mussten 1223 Personen in Quarantäne gesteckt werden.1053
1779 kam in Ancona ein ragusanisches Schiff an, das pestverdächtig war, weil es aus Izmir
(„Smirne“) kam, wo um diese Zeit grosse Infektionsgefahr herrschte.1054
Eine weitere Pestansteckung wurde im Jahre 1784 in Split registriert. Durch die Nähe zu Split
musste Ancona sehr wachsam bleiben. Der adriatische Golf war überall geschlossen. Wachen
an der Küste verhinderten, dass Schiffspersonal an Land kommen konnte und Asyl bekam.
Alle waren in höchster Alarmbereitschaft, zu Tag und zu Nacht. Venedig, Istrien Veneta,
Istrien Austriaca, Triest, österreichische Küste, Dalmatien, Apulien, Kalabrien und Neapel
gehörten zum Verdachtsgebiet. Alle Waren aus Dalmatien mussten 40 Tage im Lazarett
bleiben.1055
Die Tierseuche (epidemische Rinderkrankheiten) in Ancona und anderen Teilen der Marken
im Jahre 1786 kam aus Dalmatien. Im neuen Lazarett wurden in drei Lagerräumen 70 Rinder
aus Ungarn fast drei Monate lang behandelt. Sie gelangten über das Meer nach Ancona.
Dieser fatale Ernstfall beendete für viele Monate den Rinderhandel. Man stieg auf Pferde um,
die nun im Transportwesen eingesetzt wurden. Da auch Rinderhäute in die Quarantäne
mussten, wurde deren Handel in Ancona und Umgebung ebenso verhindert. Zudem wurden
immense Summen investiert, zum Schutz vor solchen Verderben. Auch nicht empfindliche
Güter müssen gesäubert werden, so etwa Lederwaren, Wachs, Vierbeiner und Federvieh.1056
Die Massnahmen der Oberaufsicht („Sopraintendente“) in Zeiten der Not und schlechten
Gesundheitslage waren umfassend. Nie war die Lage schlimmer als in den Ansteckungszeiten
1763 und 1784 in Split, selbst in der Levante nicht. Als Gegenmittel wurden die Erhaltung der
Sauberkeit, die Eindeckung mit Proviant und die strenge Quarantäne eingesetzt. Weitere
Aktionen waren die Einengung des Zugangs zu Ancona, sowohl über das Land als auch über
das Meer, die Anstellung fähiger und ehrenhafter Arbeiter und die Überwachung der nicht
immer seriösen Soldaten. Weiter mussten die unempfindlichen Waren genauso vorsichtig
behandelt werden wie die Verdächtigen, man musste nach Regeln arbeiten, um nicht in
Konfusion zu geraten und man durfte nicht von diesen Regeln und der Rechtssprechung
abweichen. Schliesslich ging es darum, ohne ein Zögern zu handeln und die Disziplin sowie
die Wachsamkeit – Tag und Nacht – über alles zu stellen.1057
1053
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 52.
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 12h.
1055
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 66f.
1056
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 200f.
1057
ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 228f.
1054
226
Das Lazarettsystem Anconas verkörpert die gemeinsame, mentale Landkarte der Händler und
der Stadtherren, durch sicheren Handel mittels Disziplin und Gründlichkeit zu Ruhm und
Ehre zu kommen.
8.1.3 Livornos Werden zur Stadt
In Livorno zeigte sich das Angleichen diasporischer und obrigkeitlicher Vorstellungen
ebenfalls an der Infrastruktur. Livorno sah in der durchorganisierten Seuchenabwehr ein
Instrument, um ökonomische Vorteile gegenüber Konkurrenten zu generieren. Bauliche
Massnahmen stellten ein Fundament, um derartige Pläne in die Wirklichkeit umzusetzen. Die
Lazarette waren dabei nur ein Teil in einem durchdachten Urbanisierungsprozess, der aus
dem Fischerdorf die moderne, auf alle Gefahren (Krankheiten) und Chancen (Handel)
vorbereitete Stadt Livorno machen sollte.
Bereits 1512 beauftragte Kardinal Giulio de’ Medici den Architekten Antonio da Sangallo,
Livorno in eine befestigte Stadt zu wandeln. Das Projekt wurde von Alessandro de’ Medici
vollendet und beinhaltete die Fortezza Vecchia, eine Festung in deren Innern sich die Mastio
di Matilde, ein zylindrischer Wachturm, und die Quadratura dei Pisani, eine quadratische
Bastion, befinden.1058
In der Amtszeit von Cosimo I (1537-74) wurden über 30 Jahre hinweg eine Zollstelle, ein
Lazarett, ein Spital, ein Arsenal und eine Ankerfabrik gebaut. 1567 wurden Molen errichtet,
um dem Hafen und seinen Ankerplätzen Schutz zu bieten. Gleichzeitig kümmerte er sich auch
um die Landwege. Durch den Arno konnten die Schiffe bis fast nach Florenz gelangen. Der
Bau des Canale dei Navicelli, der Livorno mit Pisa verband, begann bereits 1541, dauerte
jedoch 30 Jahre bis zur Fertigstellung und wurde erst 1603 eröffnet.1059
Unter seinem Nachfolger Francesco I, der ab 1574 das Grossherzogtum Toskana führte,
stockte der Ausbau des Hafens. Francesco I widmete sich mehr der Innenstadt. Ab 1577 baute
er an der neuen Stadt, die sehr funktional und ohne grosse Annehmlichkeiten vom
Architekten Bernardo Buontalenti auf dem Reissbrett entworfen wurde. Sie fiel durch
rechtwinklig angelegte Strassen auf und war von tiefen Wassergräben und dicken Mauern
umgeben.1060 Das staatliche Ufficio della Fabbrica übernahm die Organisation der
1058
Nuti: Livorno, il porto, S. 332.
Nuti: Livorno, il porto, S. 332.
1060
Die Hauptstrasse Via Ferdinanda verband die beiden Tore Porta Colonnella und Porta Pisa. Parallel dazu
verliefen die Via Giardino und die Via della Saponeria. Als Querstrassen fungierten die Via Greca, die Via
Pratese, die Via Genovese, die Via del Bastioncino della Cera, die Via Marsiliana und die Via Balbiana. Sie alle
bildeten den Kern der neuen Stadt (Livorno Nuovo). Battilotti: Luoghi di commercio, S. 48.
1059
227
Bautätigkeiten, die Zollstelle (dogana), die Ceppi di Prato, eine religiös fundierte soziale
Einrichtung, eine so genannte luogo pio oder der Ritterorden San Stefano verwalteten
anschliessend die Gebäude, die entweder verkauft oder vermietet und später vererbt wurden.
Der zentrale rechteckige Exerzierplatz (Piazza d’Arme) diente sowohl der öffentlichen Hand
als auch als privater Marktplatz.1061 Die Pestilenz aus dem Jahre 1582 bewirkte zudem den
Bau eines Lazaretts, in dem die verdächtigen Waren gelagert und gesäubert werden konnten.
Die Arbeit Cosimos I wurde durch Ferdinando I ab 1587 fortgesetzt. Er liess einen Sumpf
ausgraben, wo daraufhin ein neues Becken (Nuova Darsena) für grosse Schiffe entstand.
Weiter baute er einen Damm, einen Leuchtturm, ein Aquädukt, sowie 1590 bis 1595 das neue
Lazarett S. Rocco, das dem steigenden Verkehrsaufkommen aus der Levante Rechnung trug.
Zudem schuf er Lagermöglichkeiten für die Konservierung von Lebensmitteln, baute einen
kleinen Hafen für die Schiffe vom Navicelli-Kanal und 1603 wurde das neue Arsenal
eingeweiht, wo Kriegs- und Handelsschiffe gebaut wurden. Daneben entstanden in dieser Zeit
der Dom, der Säulengang auf der Piazza d’Arme, der Palazzo della Doganetta für die Gäste
der Medici, das Krankenhaus S. Antonio, das Bagno1062 der Zwangsarbeiter, in dem zwei
Krankenhäuser integriert waren, eines für die Christen, eines für die Ungläubigen, einige
Kirchen und diverse Wohnungen. Das Ganze wurde abgerundet durch die Fertigstellung des
zweiten Befestigungsgürtels, dessen Mauer fünf Kilometer lang war und der durch sechs Tore
unterteilt wurde. Ebenfalls unter der Regie von Ferdinando I und Buontalenti wurde eine neue
Festungsanlage errichtet, das Fortezza Nuova.1063 Zwischen der neuen Festung und dem
Bagno, nahe dem zentralen Platz, wurde 1607 eine neue Anlagestelle für Schiffe (Porticciolo)
eröffnet, so dass das Markttreiben in dieser Umgebung verdichtet wurde.1064
Ferdinandos Sohn Cosimo II vollendete die Arbeiten an den Molen nach 1610, diesmal verlief
der Damm in Richtung Nordwest.1065
Die Bautätigkeit nahm auch mit Ferdinando II nicht ab. Er realisierte neue Quartiere, die
notwendig wurden, um den grösseren Handelsaufkommen gerecht zu werden. So entstand ab
1630 das Quartier Venezia Nuova,1066 das aus 23 Häuserblocks bestand, darunter Wohn- und
Lagerräume. Weiter liess er vier Kirchen, sieben Geschäftsgebäude, ein Refugium und vieles
1061
Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 531f.
Bagno ist der Name der berüchtigten Strafanstalten in Frankreich und Italien und bezeichnete ursprünglich
die Bäder des Serails (Residenz der osmanischen Herrscher) zu Konstantinopel, bei denen sich ein
Sklavengefängnis befand. Aus: Meyers Lexikon Online (lexikon.meyers.de, 18.02.2008).
1063
Nuti: Livorno, il porto, S. 334f.
1064
Battilotti: Luoghi di commercio, S. 55f.
1065
Nuti: Livorno, il porto, S. 336.
1066
Schon der Name verrät die beabsichtigte Konkurrenz zu Venedig.
1062
228
mehr bauen.1067 Diese Gebäude wurden durch insgesamt 25 Strassen, drei Plätze und sieben
Brücken miteinander verbunden. 1634 schuf Ferdinando II zudem ein weiteres Arsenal und
1645 öffnete ein weiteres Lazarett seine Tore, das Lazzaretto di San Jacopo. Es sollte nicht
das Letzte sein. 1781 nahm das Lazarett S. Leopoldo seine Arbeit auf.
Die in Livorno praktisch aus dem Nichts aufgebaute Stadtarchitektur war das konkrete
Resultat der mentalen Landkarten der Medici über ihre ideale Hafenstadt, die in Einklang mit
den kaufmännischen Vorstellungen über ideale Lebensräume gebracht wurde. Dem eigenen
Wunsch und dem Bedürfnis der Händler nach ausreichend Wohn- und Arbeitsraum,
Lagerungsmöglichkeiten verbunden mit weiteren Funktionsbauten wie Festungen und
Lazarette wurde Rechnung getragen. Die Retortenstadt Livorno bot einerseits viel Spielraum
für aktive Kaufleute. Sie vereinigte andererseits politische und ökonomische Interessen der
Obrigkeiten: Inklusion des Guten (Geld, saubere Waren, wohlhabende Geschäftsleute),
Exklusion von Krankheiten und Feinden.
8.2 Transformationsprozesse in den Augen der Reisenden
In die eben gerade beschriebenen städtischen Strukturen stiegen die zugewanderten Kaufleute
ein. Sie drangen in diese beweglichen Gegebenheiten ein, mit dem Resultat, dass neue
Formen entstanden. Die Reisenden brachten neue Strukturen hervor, reproduzierten und
veränderten sie.
Das heisst konkret: Die protestantische Religion traf auf die Katholische, der armenische
Händler auf den Florentinischen, syrische Männer auf toskanische Frauen, arme albanische
Bauern auf reiche anconitanische Adlige, slawische Sprachen auf romanische Dialekte,
englische, deutsche, holländische und französische Seefahrer auf einen modernen, komplett
ausgestatteten Hafen.
Dabei wurden nicht nur neue Objekte geschaffen, wie die multikulturelle Gesellschaft oder
die wachsende Handelshafenstadt. Das Subjekt sah sich durch die „Erfahrung der Ferne“
durchaus auch Transformationen ausgesetzt, die es zu verarbeiten galt.1068 Durch das Reisen
wurde die gewohnte soziale Umgebung verlassen. Somit war die Reise der Ausgangspunkt
einer erdenklichen Selbstveränderung. Das reisebedingte psychische Sich-Aussetzen und die
1067
Eine Aufzählung der Gebäude findet man bei: Nuti: Livorno, il porto, S. 336.
Eric J. Leed: Die Erfahrung der Ferne. Reisen von Gilgamesch bis zum Tourismus unserer Tage. Frankfurt a.
M. 1993.
1068
229
damit einhergehende eigene Gefährdung konnten Verwandlungsprozesse in Gang treten.1069
Fundamental ging es darum, im Rahmen der Ungeschütztheit und Fremdheit Identität und
Autonomie zu erlangen. Dieser Aufgabe stellten sich bis ins 19. Jahrhundert vor allem
Männer, Soldaten, Kaufleute, wandernde Gesellen, Studenten und Abenteurer, später dann
auch vermehrt Frauen.1070
In der neuen Heimat – Ancona und Livorno – wurden konkrete Utopien geschaffen,
Vorstellungsbilder verwirklicht, mit Hilfe von Fantasien und Projektionen eigene
Erfahrungsräume konstruiert. Im Unterschied zu den Touristen lebten die Kaufleute im
Normalfall längere Zeit im Reiseziel. Nichtsdestoweniger konnten sich auch diese in einer
ferienähnlichen Traumwelt bewegen, die sich aber in der materiellen Wirklichkeit
abspielte.1071
Dort wo die kaufmännischen, mentalen Landkarten nicht identisch mit den Vorstellungen der
neuen Gastgeber waren, entstanden beängstigende Erdrückungspotenziale. Stimmten die
Imaginationen überein, fanden die Kaufleute befreiende Entgrenzungspotenziale.
Diese divergierenden Erfahrungen beobachteten zahlreiche Italienreisende. Nicht nur die
längere Zeit ortsansässigen Kaufleute, sondern auch Reisende machten sich ein Bild von den
beiden Städten. Sie schrieben ihre Eindrücke nicht selten in Reiseberichten nieder. Italien war
und ist immer noch ein beliebtes Reiseziel.1072 Ihre Beschreibungen blieben an der Oberfläche
haften, der erste Eindruck war der Prägende. Da sie sich nicht langfristig dort aufhielten, darf
ihr schnelles Urteil nicht überbewertet werden. Es ist zu klären, was die Reisenden zu welcher
Zeit beeindruckt hatte. Sie waren weder auf der Flucht, noch daran interessiert, eine neue
Heimat zu suchen. Ihr Blick kann also als unbelastet eingestuft werden, im Gegensatz zu den
vertriebenen oder angelockten Kaufleuten, die durch wirtschaftliche, politische und religiöse
Konditionen angespannt waren.
Die punktuellen Beobachtungen der Reisenden zeigen die Resultate der aufeinander
treffenden mentalen Landkarten von einem neutralen, aussenstehenden Blickwinkel. Die von
1069
Christoph Hennig: Jenseits des Alltags. Theorien des Tourismus. In: Voyage. Jahrbuch für Reise- &
Tourismusforschung. Schwerpunktthema: Warum reisen? Hg. von Tobias Gohlis u.a. Köln 1997, S. 46.
1070
Jens Clausen: Das Selbst und die Fremde. Über psychische Grenzerfahrungen auf Reisen. Bonn 2007, S. 12.
Christoph Hennig legt das touristische Reisen in eine Zwischenstellung, eingeschlossen zwischen Realität und
Imagination. Kaufleute wurden mit denselben Spannungen konfrontiert. Hennig: Jenseits des Alltags, S. 47.
1071
Was brachte die Menschen dazu, sich ins Imaginäre zu begeben? Die Aufhebung sozialer Regeln – raus aus
dem alten Alltag – und der Wunsch nach Neuordnung wandeln zwischen Bedrohung und Rausch. Letzteres ist
wohl der Antrieb das Ich zu entgrenzen. „Identität muss von Zeit zu Zeit gelöst werden, wenn sie nicht
erdrückend wirken soll. Für solche Entgrenzungsprozesse und Metamorphosen schafft das Reisen Raum.
“Hennig: Jenseits des Alltags, S. 49.
1072
Livorno war im 17. und 18. Jahrhundert eine der Hauptstationen der Italienreisenden, die die Grand Tour in
Angriff nahmen. Hinweis von Ultimieri: Livorno descritta dai viaggiatori francesi, S. 5.
230
ihnen artikulierten Extreme der masslosen Übertreibung von der Anmut und der Entstellung
der Orte runden die Alltagserfahrungen der Einheimischen ab.
8.2.1 Faszinosum Ancona
Dass Ancona im 16. Jahrhundert ein place-to-be war, zeigt sich an dem Phänomen, dass nicht
nur zahlreiche Kaufleute aus aller Welt die Stadt bevölkerten, der Ort an der Adria wirkte
auch auf Künstler und Intellektuelle anziehend. Lorenzo Lotto, ein Maler der
Hochrenaissance, gebürtiger Venezianer, lebte oft ausserhalb seiner Geburtsstadt. Er fühlte
sich dort in seiner Arbeit blockiert und suchte deshalb sein Glück anderswo. Er landete unter
anderem auch in Ancona.1073 Der Philosoph Michel Eyquem de Montaigne erkannte auf seiner
Reise durch Italien im 16. Jahrhundert in Ancona eine Stadt mit vielen Einwohnern,
namentlich Griechen, Türken und Slawoniern, und mit regem Handelsverkehr. Er genoss
während seines Aufenthaltes die Lage und die Schönheit, insbesondere die Kirchen, der
Hafen und die Frauen, der Stadt.1074
Auf seiner Reise durch das heutige Italien besuchte der Ratsherr der Altstadt Königsberg i. Pr.
Reinhold Lubenau im 16. Jahrhundert ebenfalls die Stadt Ancona. Ihm fielen sofort die
schönen Türme sowie die prächtigen Paläste und Kirchen auf. Weiter gefielen ihm der Hafen,
wo viele Schiffe anlaufen konnten, und die Börse, wo man schöne Sachen kaufen konnte.1075
Er erwähnt in seinem Tagbuch ein lateinisches Sprichwort, das andeutet, wofür Ancona
bekannt und weshalb die Stadt überregional von Bedeutung war: „Unus portus in Ancona,
Unus turris in Cremona, Unus Papa in Roma.“1076 Während Ancona als Hafenstadt bekannt
war, glänzte Cremona mit seinem Turm und Rom als Papstresidenz.
Ein praktisch identisches Bild zeichneten deutsche Italienreisende im 18. Jahrhundert. Der
Publizist Johann Wilhelm von Archenholtz (1740er Jahre-1812) meinte zu Ancona, die Stadt
sei unter der Regie einer weisen Regierung zu grössten italienischen Handelsstadt gereift.
Obwohl die Stadt zum konservativen Kirchenstadt gehörte, wurde sie zum Freihafen erklärt,
so dass zahlreiche Manufakturen entstehen konnten.1077 Dem deutschen Juristen Johann
Caspar Goethe (1710-1782) gefiel die Stadt, er genoss auf der Zitadelle stehend die Aussicht
1073
Nicholas Davidson: „As Much for its Culture as for its Arms“: The Cultural Relations of Venice and its
Dependent Cities, 1400-1700. In: Mediterranean Urban Culture 1400 – 1700. Hg. von Alexander Cowan. Exeter
2000, S. 210.
1074
Michel Eyquem de Montaigne: Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580
bis 1581. Frankfurt a. M. 2002, S. 212f.
1075
Reinhold Lubenau: Beschreibung der Reisen des Reinhold Lubenau. Königsberg i. Pr. 1912, S. 339.
1076
Lubenau: Beschreibung der Reisen des Reinhold Lubenau, S. 339.
1077
Sandra Bader: Illusion und Wirklichkeit im deutschen Italienbild des 18. Jahrhunderts: Der Weimarer
Italianist Christian Joseph Jagemann. Jena 2003, S. 48.
231
und wünschte sich, seine traurige Zeit in der Quarantäne in Palmada lieber im wunderbaren
Lazarett von Ancona verbracht zu haben. Er erfuhr, dass Ancona einst eine blühende
Handelsstadt war, die jedoch nun (1740) ihren Glanz verloren hatte. Offenbar trug die
Konkurrenz Senigallia Schuld an dieser Entwicklung. Goethe selber wies die Verantwortung
dem Lieben Gott zu, „der allem seine Zeit bestimmt hat.“1078 Weiter besichtigte er den
schlecht vor Wind geschützten Hafen, die geraden und engen Strassen mit den vielen Winkeln
und Ecken, die vielen Türme, den kleinen Stadtplatz, diverse Kirchen, den Rathaussaal und
die Halle der Kaufleute, wo Geschäfte für Galanteriewaren (Schmuck und Accessoires)
angesiedelt waren.1079
Der umfangreiche und grenzenüberschreitende Handel und die exponierte Lage Anconas
zeigten sich darin, dass dort im 18. Jahrhundert regelmässig Nachrichten aus dem Osten
ankamen und weitergeleitet wurden. Die Stadt war also ein lokales Medienzentrum, wo
Informationen, vor allem aus dem Osten, wo das osmanische Reich im Krieg stand gegen
Österreich und Russland, was wiederum den Kirchenstaat beunruhigte, zusammenliefen.
Christian Joseph Jagemann berichtete in seiner Gazetta di Weimar darüber.1080
8.2.2 Vom Eldorado zum verdorbenen Livorno
Italienreisende beschrieben in ihren Tagebüchern und Reisebriefen ihre Eindrücke. Livorno
bekam dabei nicht selten gute Noten.
Der deutsche Schriftsteller Johann Georg Keyssler (1693-1743) beschrieb die Stadt als
„Paradies“ der Juden, und von Archenholtz konstatierte, dass die Juden dort ausserordentliche
Freiheiten genossen. In der deutsch-jüdischen Öffentlichkeit wurde noch in der Mitte des 19.
Jahrhunderts die Stadt als „Eldorado“ bezeichnet.1081
Der jüdische Aufklärer Isaak Euchel seinerseits konstatierte in Livorno das friedliche
Zusammenleben der Juden mit Nichtjuden, ohne Ghettomauern, wo die jüdische
Wirtschaftsaktivität anerkannt und produktiv war und wo die Anpassung der Juden an die
nichtjüdische Lebensweise einherging mit dem Fortlauf der jüdischen Kultur.1082
Damit stand er nicht alleine da. Im 18. Jahrhundert sprachen die Enzyklopädie und der
toskanische Ökonom Gian Ronaldo Carli in lobenden Worten von Livorno. Der Hafen sei
einer der bekanntesten, grössten, sichersten und mit subtiler, ökonomischer Raffinesse
1078
Johann Caspar Goethe: Reise durch Italien im Jahre 1740 (Viaggio per l’Italia). München 1987, S. 121.
Goethe: Reise durch Italien, S. 121f.
1080
Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 162.
1081
Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 5.
1082
Dubin: The Port Jews, S. 134.
1079
232
geführte im Mittelmeer. Viele Beobachter werteten positiv, aber gleichzeitig sehr
allgemein.1083
Detaillierter beobachtete Jagemann die Hafenstadt und ihre Erfolge im 18. Jahrhundert. Sie
sei der ideale Absatzmarkt für toskanische Waren wie Öl, Wein und Marmor. Zudem wurden
durch neue Handelsbeziehungen mit Marokko marokkanischer Weizen und Mehl eingeführt,
das Handelsvolumen über Importe aufgestockt. Diese Handelsrouten waren das Ziel der
Seeräuber, mit denen sich Livorno herumschlagen musste. Jagemann versteht die Haltung
Livornos, sich gewalttätig gegen sie zu wehren, und er ist verwundert, warum einige Städte
Schutzgeld an die Räuber bezahlten. Die Nähe zum Meer berge für Seehäfen wie Livorno
auch Nachteile, wie eben die Piraterie, so Jagemann.1084 Doch die positiven Ansichten
überwogen bei Jagemann. Die Politik Peter Leopolds habe seiner Meinung nach die Toskana
wirtschaftlich weit nach vorne gebracht. Er hob Gesetze hervor, die auf dem Gebiet der
Landwirtschaft, der Politik, der Kirchendisziplin und des Rechts die Weichen in eine
erfolgreiche Zukunft gestellt hätten. Konkret meinte er die Abschaffung der Zunftgesetze und
die Lancierung der Freiheit des Weizenanbaus. Laut Ersterem konnte jedes Individuum nun
selber entscheiden, in welcher Form es Handel treiben wollte. Der Handel war nun nicht mehr
bestimmten Klassen vorbehalten. Die Weizenanbaufreiheit erlaubte den toskanischen Bauern,
soviel Weizen anzubauen, wie sie glaubten, verkaufen zu können. Von ebenso grosser
Bedeutung war die Unterstützung Leopolds bei der Ausweitung des Handels nach Asien.1085
Der Erfolg des Hafens wurde weiter auf das strenge Reglement bezüglich der Gesundheit auf
See und auf die Gebührenfreiheit zurückgeführt. Er wurde so zum Vorbild für andere Städte
in der Region, wie etwa für Ancona. Die Existenzberechtigung und die Eigenartigkeit wurden
aus dem Handel abgeleitet. Die Dominanz dieser Funktion galt als Notwendigkeit. Selbst die
Nachteile, wie Lärm und schlechter Geruch, die daraus entstanden, mussten gemäss den
Obrigkeiten hingenommen werden, sogar von den privilegierten Personen. Im Zeitalter der
Aufklärung und der Vernunft erfuhren die Funktionalität, die Urbanisierung und die
Ökonomie eine Aufwertung.1086
Das Primat des Hafens und des dortigen Handelsaufkommens sowie die innovative
Urbanisierung sicherten der Stadt vorbild- und modellhaftes Wachstum und Wohlstand.
Obwohl andere Städte im Innern des Landes eine ruhmreichere Vergangenheit und eine
1083
Samuel Fettah: Du modèle au contre-modèle portuaire en méditerranée: Images de Livourne aux XVIII-XIXe
siècles. In: Espaces et territoires. Bulletin de la Société Languedocienne de Géographie. Villes portuaires.
Modèles dans le temps et dans l’espace. Hg. von Rachel Rodrigues Malta. Montpellier 2001, S. 12.
1084
Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 115, 168, 177 und 180.
1085
Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 209f.
1086
Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 13.
233
attraktivere Architektur vorzuweisen hatten, kamen sie nie an die Dynamik Livornos heran,
die die europäische Kulturelite begeisterte. Diese Aufwertung zeigte sich nicht nur
wirtschaftlich, sondern auch politisch. Die Regierung um Cosimo I wurde in der
Enzyklopädie hoch gerühmt. Die Rede war von einer gouvernement éclairé, die gemäss
Montesquieu durch ihre Genialität aus einer Sumpflandschaft die florierendste Stadt Italiens
erschaffen hatte.1087 Das erfolgreiche Hafenkonzept stand so ganz im Dienste eines politischen
Ideals, die durch die Vernunft aufgeklärte Monarchie.
Von Archenholtz greift diese Verbindung von Politik mit Wirtschaft auf. Trotz der Nähe zum
Konkurrenten Genua hätten die politischen Entscheidungsträger durch eine tolerante und
merkantilistische Politik den Reichtum gesteigert. Es würden zwar Altertümer oder Galerien
fehlen, was man von einer so jungen Stadt nicht erwarten könne, doch die Industrie, sprich die
Fabriken, und der Hafen seien nun mal primär wichtig. Einen Negativpunkt sieht von
Archenholtz in der Gastfreundschaft. Er beklagt sich darüber, dass ein Fremder wie er im
Schauspielhaus den doppelten Eintrittspreis bezahlen müsse.1088
Neben der wirtschaftlichen und politischen erlangte Livorno auch eine mediale
Bedeutsamkeit. Die Stadt war Umschlagplatz für Nachrichten aus dem osmanischen Reich
und für osmanische Aktivitäten. Diese News übermittelte Jagemann mittels seiner Gazetta di
Weimar in seine Heimat.1089
Johann Caspar Goethe bereiste Livorno im Frühling 1740. Über Siena gelangte er an die
Küste. In Livorno fiel ihm die Reinlichkeit der Strassen auf. Die städtische Architektur
bezeichnete er als bescheiden, was nach ihm für eine reine Handelsstadt, die noch nicht lange
existierte, nicht unüblich war. Während es anscheinend an schönen Kirchen und Altertümern
fehlte, konnte man dagegen in Livorno mit den unterschiedlichsten Völkern der Welt und mit
gesitteten Menschen in Kontakt treten.1090 Durch die Existenz von Kirchen (Dominikaner,
Griechen), einer Moschee und einer Synagoge erfahren wir, dass diverse Religionsgruppen
ihrem Glauben nachgingen. Besonders die Juden mussten sich wohl gefühlt haben, Livorno
galt als jüdisches Paradies, ohne Ghettocharakter. Nur die Protestanten erlebten
Einschränkungen. Öffentliche Gottesdienste durften nicht abgehalten werden, Gott musste im
Haus des Konsuls verehrt werden und die Taufen der Kinder gingen auf englischen oder
dänischen Schiffen vonstatten.1091
1087
Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 14.
Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 50.
1089
Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 161.
1090
Goethe: Reise durch Italien, S. 328f.
1091
Goethe: Reise durch Italien, S. 329f.
1088
234
Eine weitere Erscheinung, die sich nach Goethe als Folge des Kosmopolitismus bezeichnen
liess, waren die öffentlichen und privilegierten Prostituierten. Zudem betrachtete Goethe die
Bagni, die Schlafstätten der Sklaven und Galeerenhäftlinge, und den Hafen, der als einer der
besten in Europa galt. Der Handel mit Öl wurde durch ein entsprechendes Lagerhaus
gefördert. Im Quartier Neu-Venedig sollten künstlich angelegte Kanäle die Sauberkeit und
den Handel verbessern. Der bedeutende Korallenhandel und die Korallenverarbeitung lagen
in den Händen der Juden. Viele Kaufleute hielten sich in ihren Haushalten dunkelhäutige
Sklaven als Knechte und Mägde.1092 Alles in allem zeichnete Goethe von Livorno ein buntes
Bild, in welchem der Handel und Kaufleute aus aller Welt im Mittelpunkt standen.
Im 19. Jahrhundert änderte sich die Sichtweise der Beobachter, was vor allem objektiv – die
Stadt war nicht mehr so dominant im mediterranen Handelswesen wie früher und das Modell
der kosmopolitischen Hafenstadt war nun bekannt und galt nicht mehr als neu und pionierhaft
– zu erklären ist. Livorno verlor seine Beispielhaftigkeit. Dies wurde im Verlauf der
französischen Besatzungszeit deutlich sichtbar. In den französischen Rapporten wurde
bemängelt, dass dem Handel alles untergeordnet, ja sogar geopfert wurde und dass eine rege
Handelstätigkeit alleine nicht ausreiche, um Weltformat zu erreichen. Es fehle an
Annehmlichkeiten wie Brunnen, Spazierpromenaden und Spitäler. Von nun an musste die
Stadt vermehrt politische und administrative Funktionen ausüben.1093
Die einst positiv bewertete Betonung der Funktionalität hatte nun einen umgekehrten Effekt.
Aus dem Vorteil wurde eine Mangelerscheinung. Dazu kamen die veränderten Empfindungen
der europäischen Eliten im 19. Jahrhundert bezüglich Italien. Sie konnten nichts
Bemerkenswertes feststellen. Stendhal zum Beispiel bemerkte, dass die Stadt alles hatte, was
es zum handeln brauchte, mehr nicht. Das Meer sei traurig und die Strassen angemessen breit
und gerade. Ähnlich sah es der Reiseführer Baedeker. Er attestierte der Stadt, modern zu sein,
doch es fehle ihr an Kunstdenkmälern. Auch lokale Eliten bemängelten die kulturelle
Schwäche der Stadt. Dieser Verfall konnte nicht durch die wirtschaftliche Stärke kompensiert
werden, denn diese verlagerte sich nun in die Konkurrenzstädte wie London, Liverpool und
Genua.1094
Auf der politischen Ebene wechselte das Image genauso. Die toskanischen Herrscher
regierten nach der Französischen Revolution despotischer, wie wiederum Stendhal
beobachtete. Ihre Modellfunktion verschwand und parallel zur politischen Abwertung stieg
die Besorgnis, angesichts der fortschreitenden Industrialisierung. Die Angst des Volkes vor
1092
Goethe: Reise durch Italien, S. 329f.
Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 15.
1094
Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 16.
1093
235
der Veränderung und der Wunsch nach einer moralischen Ordnung steuerten zum negativen
Bild des Hafens bei. Livorno galt als Sammelbecken von Räubern, wie es Dickens formulierte
oder als schmutziges Quartier vom Hafen, so die Aussage von Edmond de Goncourt. Diese
Anschuldigungen galten vor allem der Hafenbevölkerung, die sich im Viertel Nuova Venezia
konzentrierte.1095
Der französische Konsul beschrieb diesen Teil der Stadt, wo viele Ausländer lebten, als Ort
des Schmuggels, des Diebstahls und der Morde. Dieses schlechte Ansehen der Plebs am
Hafen wurde auch von Marie Staehelin-Vischer bestätigt.1096 Sie sah dort nur Sträflinge,
Mörder und Diebe.1097
Diese Vorurteile führten zu einer weiteren Abwertung des Hafens und somit der ganzen Stadt.
Der urbane Erfolg war verflogen, der Hafen nur noch ein verdorbener Hort von kriminellen
Ausländern. Das Interesse der reichen Elite verschob sich an die Südküste, weit weg vom
Hafen. Für diesen interessierte sich niemand mehr, die maritime Landschaft und die Küste
rückten in den Mittelpunkt.1098
Die zunehmenden revolutionären Handlungen machten die toskanischen Behörden darauf
aufmerksam, dass der Hafen besser kontrolliert werden musste, da dort die Unordnung und
die Kriminalität beheimatet seien. So wurde der Hafen stigmatisiert, Adjektive wie gefährlich
und ungeordnet wurden mehr und mehr mit dem Hafen in Zusammenhang gebracht. Diesen
Ruf verfolgte den Hafen bis ins 20. Jahrhundert, als die Stadt neuerdings zum Brennpunkt
revolutionärer Arbeiter, Stichwort Kommunismus, wurde.1099
Im Grossen und Ganzen kann konstatiert werden, dass die Sicht der Reisenden sehr
unterschiedlich waren. Während die Einen die dominante wirtschaftliche Ausrichtung
bemängelten und sich mehr Kulturgüter wünschten, störte diese Tatsache Andere kaum. Sie
erfreuten sich an dem Vorhandenen. Die individuellen Geschmäcker kommen durch die
Berichte schön zum Ausdruck. Teilnahmslos verliess niemand die beiden Hafenstädte, sie
wirkten polarisierend. Man mochte oder verachtete das kosmopolitische und ökonomische
Treiben, positive wie negative Kritik waren die Folge. Langeweile schien für Ancona und
1095
Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 17.
Die Baslerin verbrachte aus Gesundheitsgründen ein Jahr im milden Livorno und Pisa. Sie schrieb ihre
Eindrücke in einem Tagebuch nieder. Marie Staehelin-Vischer: Il mio viaggio in Italia negli anni 1844 e 1845.
Livorno 1997.
1097
„Alle sei entrammo nel porto. Non posso descrivere l’impressione che mi ha fatto questa città, credevo di
essere ad Algeri, tutto mi sembrava così estraneo, così sporco; alcuni gruppi di galeotti, con vestiti rossi gli
assassini, gialli i ladri, erano occupati a pulire il porto. Con le loro barchette ci venivano così vicini che alzavano
le loro mani verso di noi per chiederci un’elemosina. Era un spettacolo veramente sgradevole.“ In: StaehelinVischer: Il mio viaggio in Italia, S. 27f.
1098
Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 18.
1099
Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 19.
1096
236
Livorno nicht vorgesehen zu sein. So ist es nicht verwunderlich, dass beide von Christian
Joseph Jagemann als grosse Städte bezeichnet wurden, in einem Atemzug erwähnt mit
Venedig, Mailand, Turin, Florenz, Bologna und Verona. Lediglich Rom, Neapel und Genua
wurden noch eine Stufe höher eingestuft.1100
1100
Sandra Bader untersuchte in ihrer Dissertation das Italienbild deutscher Reisender im 18. Jahrhundert.
Zentral sind dabei die Berichte von Johann Wilhelm von Archenholtz und von Christian Joseph Jagemann. Vgl.
dazu Bader: Illusion und Wirklichkeit, hier S. 118.
237
9. Zugewanderte Händler zwischen Integration und Ausschluss
Die hauptsächlich die Religion betreffenden Ressentiments gegen Nichtkatholiken waren die
Folgen der Diskrepanzen zwischen den Regierungen und den Händlern. Die mentale
Landkarte der idealen Handelsstadt seitens der Medici und Päpste sah eine multireligiöse
Bevölkerungszusammensetzung vor, doch die Rechtsumsetzung vollzog sich, wie wir
gesehen haben, nicht immer nach diesem Denkbild. Der Wunsch der Zugezogenen in Ancona
und Livorno ihr Privatleben samt Religion nicht versteckt und isoliert, sondern als Kollektiv
religiöse und kulturelle Bedürfnisse öffentlich sichtbar auszuleben, stiess auf Widerstand. Der
Grad zwischen Integration und Ghettoisierung respektive Duldung war schmal.
Ein Beispiel aus Sarajewo illustriert, dass diverse, nicht nur religiöse Faktoren stimmen
mussten, damit sich Neuzugezogene in die Stadt integrieren konnten.1101 Gemeinsamkeiten
förderten die Verständigung von Menschen unterschiedlicher Herkunft und somit die
Integration eines Ägypters in Sarajewo. Der Kaufmann und Kalligraph Haci Hasan Efendi aus
Kairo wurde sehr rasch mit den sozialen und politischen Verhältnisse der Stadt Sarajewo
vertraut. Seine angesehenen Berufe, sein grosses Startkapital, seine Heirat mit einer Frau aus
Sarajewo und seine moralische Integrität beeindruckten die Mitmenschen nachhaltig.1102 Er
galt zudem als Mittler zwischen den Kulturen, der neben Waren, wie Kaffee und Stoffe, auch
Nachrichten und Kuriositäten aus der fernen und unbekannten Welt mitbrachte. Für die
Bestaunung eines wunderlichen Vogels und eines Hammels mussten die Bewohner Sarajewos
tief in die Tasche greifen.1103 Dass sich Muslime aus osmanischen Städten schnell in die
muslimisch geprägte bosnisch-osmanische Gesellschaft integrieren konnten, lässt uns
vermuten, dass analoge Lebensläufe auch in nicht muslimisch, sondern katholisch geprägten
italienischen Hafenstädten zu finden waren. Religiöse, wie politische und sozioökonomische
Gemeinsamkeiten öffneten den Weg in die anconitanische und livornesische Gesellschaft,
Unterschiede wurden diskutiert. Die multikulturelle Gesellschaft wurde tagtäglich neu
verhandelt.
Die Wahrnehmung, wie Menschen in einer neuen Wohn- und Arbeitsumgebung, in einer
neuen Kultur gesellschaftliche Prozesse in Gang setzen, wird in der Diasporaforschung
kontrovers besprochen. Diasporagruppen, Menschen, die an einem Ort leben, wo sie oder ihre
Vorfahren nicht geboren wurden, wo vielleicht eine andere Sprache als ihre Muttersprache
gesprochen wurde, wo auch das politische, wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Umfeld
1101
Markus Koller, Arifa Ramovic: Die Integration eines ägyptischen Händlers in Sarajewo in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbücher für Geschichte und Kultur Südosteuropas 3 (2001), S. 149-157.
1102
Koller, Ramovic: Die Integration eines ägyptischen Händlers, S. 156.
1103
Koller, Ramovic: Die Integration eines ägyptischen Händlers, S. 153.
238
ungewohnt wenn nicht sogar unbekannt war, werden in der Weltgeschichte häufig
wahrgenommen. Erste Notiz von solchen Personen nimmt die aktuelle Wissenschaft meist im
jüdischen Kontext auf. Als erste Gemeinschaft im Exil gelten die Juden, die im 3. Jahrhundert
vor Christus ausserhalb Palästinas lebten.1104
Im Verlauf der Jahrhunderte zogen immer wieder Menschen auf der Suche nach Einkommen,
Abenteuern und neuen Existenzmöglichkeiten in die Fremde. Dort schufen sie ihren neuen
Lebensmittelpunkt, an dem sie arbeiteten, wohnten und lebten. Die Wege in die neue Heimat
gestalteten sich vielfältig, zum Teil ruhig oder auch fluchtartig, über Land oder zur See. Diese
Ein- oder Auswanderer, je nach Perspektive, werden hier als Diaspora bezeichnet. Der Begriff
Diaspora
kommt
aus
der
griechischen
Sprache
und
meint
„Zerstreuung“
oder
„Verbreitung“.1105 Im jüdischen Kontext und im allgemeinen Verständnis wird Diaspora oft
mit Vertreibung, Versklavung und Heimatlosigkeit verstanden. Dies hat sich geändert, denn
im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs wird der Begriff keineswegs ausschliesslich oder
primär negativ verwendet. Während die jüdische Diaspora und im ausserwissenschaftlichen
Bereich der Diasporabegriff oft negativ konnotiert werden, hat die Diasporaforschung diese
Vorstellungen in jüngster Zeit revidiert. Diaspora kann als Fremde wie auch als Heimat
verstanden werden, so wie es James Clifford mit seinem Konzept „routes and roots“
vorschlägt.1106 Sie umfasst einen dynamischen Prozess zwischen diesen beiden Polen. Zudem
weitete sich die Diasporaforschung über den jüdischen Kontext aus. Obwohl im
deutschsprachigen Raum innerhalb der Migrationsforschung weiterhin Vorstellungen einer
„victim diaspora“ vorherrschen, begannen im englischsprachigen Raum in den 1970er-Jahren
Forscher bei ihrer Analyse von transnationalen Migrationsbewegungen, die offenen
Möglichkeiten und die aktiven Handlungsspielräume der Migranten in den Mittelpunkt zu
stellen.1107 So entstand ein affirmativ-emanzipatorisch ausgerichteter Diskurs, der über
Journale und universitäre Programme (Diaspora Studies) bekannt gemacht wurde. Mit der
positiven Umwertung des Diasporabegriffs im öffentlichen Diskurs sieht Anna Lipphardt die
Gefahr, der Begriff könnte „inflationär“ benutzt werden, weil nun alle Formen von Migration
unterschiedslos als diasporisch bezeichnet werden.1108 Unter Berücksichtigung dieser
Schwierigkeit sieht sie als Kernaufgabe der zukünftigen Forschung den alternativen
1104
Ruth Mayer: Diaspora: Eine kritische Begriffsbestimmung. Bielefeld 2005, S. 8f.
Mayer: Diaspora, S. 8.
1106
James Clifford: Diasporas. In: Cultural Anthropology 9 (1994), S. 302–338.
1107
Einen guten Überblick über diese theoretische Diskussion geben folgenden Werke: Theorizing Diaspora. A
Reader. Hg. von Jana Evans Braziel, Anita Mannur. Malden 2003; Robin Cohen: Global Diasporas. An
Introduction. London 1997; Anna Lipphardt: Sammelrezension: Diaspora/s. In: http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/rezensionen/id=4888, Stand 27.11.2008.
1108
Lipphardt: Sammelrezension.
1105
239
Blickwinkel, der das Phänomen Migration jenseits der Nationalstaaten anfasst. Historische
Prozesse müssen transnational und auch mit anderen Methoden beschrieben werden, im
Gegensatz zur traditionellen Nationalhistoriographie.1109
Ebenso wie Lipphardt stellt Ruth Mayer einen Paradigmawechsel fest, wobei sie die
Umstellung von postkolonialen auf diasporische Studien aufzeigt, während Lipphardt
feststellt, dass Diasporagruppen im Verlauf der Forschung weniger als passive Opfer, dafür
mehr als aktive Kulturschaffende dargestellt werden.1110 In ihrer Einleitung zeigt Mayer den
Weg der Wissenschaft auf, die in den 1980er und 90er Jahren noch die postkoloniale Kritik
als zentrales Anliegen hatte und die Globalisierung vor dem Hintergrund des Konfliktes
Kolonisierer gegen Kolonisierter betrachtete. Doch seit geraumer Zeit findet eine
Neuorientierung der Debatten um die Phänomene Migration und Kulturkontakt statt. An die
Stelle
von
postkolonialen
treten
diasporische
Identitäten
in
der
Kultur-
und
Sozialwissenschaft mit dem Ziel auf, den Prozess der Globalisierung nicht nur allein mit dem
Gegensatz Kolonialisierung und Widerstand zu beschreiben. Mit dem Verweis auf Uma
Parameswaran bemerkt Mayer sogar ein „Zeitalter der Diaspora“, das die postkoloniale
Periode verdrängt habe. Klar scheint, nach Mayer, dass die Themenkomplexe Globalisierung,
Migration, Exil, Gedächtnis und Erinnerung nach einem Perspektivenwechsel rufen, weil die
in den Kultur- und Sozialwissenschaften erprobten Mittel zur Beschreibung von kulturellen
und sozialen Gruppenbildungs- und Identifikationsprozessen nicht mehr genügen, um die
Erfahrungen1111 und Gefühle der Akteure ausreichend und präzise zu lokalisieren, zu
thematisieren und zu kontextualisieren. Diasporagemeinschaften gelten bei einigen Experten
als das Andere des Nationalstaates, das sich gegen die in kultureller Hinsicht vorgenommenen
Vereinheitlichungsansprüche wehrt. Mayer schlägt vor, die Möglichkeit zu nutzen, sich
globalen Erscheinungen in Gesellschaft und Kultur zu nähern, indem man sie der
nationalstaatlichen Zuordnung entzieht, sie aber trotzdem mit einigen nationalstaatlichen
Denkmodellen verbindet. Sie versteht Diasporen ebenso wie Nationalstaaten als „vorgestellte
1109
Die Verfolgung dieses transnationalen Ansatzes ist ein Anliegen dieser Untersuchung. Dabei soll es weder
darum gehen, eine reine Opferdiaspora darzustellen, noch darum, die emanzipatorische Diaspora zu
verherrlichen. Ziel der Studie ist die Suche nach mentalen Landkarten von Kaufleuten in der Diaspora.
Methodisch geht es darum, grenzübergreifende kulturelle Erscheinungen zu erkunden, wobei Kultur sowohl
materiell als auch immateriell zu verstehen ist. Die Händler trugen ihre Wünsche für die Zukunft und
Vorstellungen vom Leben über politische Grenzen hinweg in die neue Heimat, wo sie auf divergierende oder
übereinstimmende Ansichten der Lokalbevölkerung trafen.
1110
Mayer: Diaspora, S. 7f.
1111
Erfahrung wird verstanden als ein aktives und produktives Erkunden und Erforschen von Wirklichkeit, das
mehr ist als nur das passive Registrieren und Sammeln. Wogegen Erleben ein mitfühlendes und mitdenkendes
Dabeisein ausdrückt, das in negativer Form zum Erleiden wird, also ein Modus des Erlebens ist, meint Erfahrung
mehr als Erleben oder Erleiden. Siehe dazu Kay Junge u.a.: Einleitung. In: Erleben, Erleiden, Erfahren. Die
Konstitution sozialen Sinns jenseits instrumenteller Vernunft. Hg. von Kay Junge u.a. Bielefeld 2008, S. 16f.
240
Gemeinschaften“ im Sinne von Benedict Anderson. Der Mann oder die Frau in der Diaspora
lebt also im Spannungsfeld zwischen kosmopolitischer Freiheit und besitzergreifendem
Nationalismus, der aber nicht mehr territorial definiert wird.
Die diversen Definitionsversuche zeigen mehrere Streitpunkte auf: Mayer verwirft die
Vorstellung William Safrans, jede Diasporagemeinschaft strebe die Rückkehr in eine Heimat
an und schliesst sich James Clifford an, der den Diasporabegriff offener fasste.1112 Er
akzentuierte vielmehr die Dualität von „roots and routes“, von Verwurzelung und Mobilität.
Mayer steht Cliffords Diaspora Studies, die von der postkolonialen Theorie Homi K. Bhabhas
geprägt sind, dort kritisch gegenüber, wo die zelebrierende Tendenz zum Vorschein kommt,
wie sie auch von Kachig Tölölyan vorangetrieben wird. Tölölyan sieht in den Diasporen
„DIE“ Embleme des Transnationalismus und die exemplarischen Weltbürger. Diese
Übereinstimmung von Diaspora mit Transnationalität übersieht nach Mayer jedoch, dass die
Identität der meisten Diasporaangehörigen von den alltäglichen Erfahrungen vor Ort geprägt
ist.1113 Francesca Trivellato spricht in diesem Zusammenhang von der Schwäche der
Gegenüberstellung von Staat und Diaspora oder von informellen und organisierten
Netzwerken. Sie lädt ein, die Errungenschaften der Diasporaangehörigen, etwa der jüdischen
Händler, in ihrer spezifischen, kontextuellen Dimension zu beobachten.1114
In Anlehnung an Robin Cohen definiert Mayer Diaspora als eine Gemeinschaft, die sich
durch Vertreibung oder Emigration von einem Zentrum auf zwei oder mehrere periphere Orte
verteilte.1115 Sie zeichnet sich zudem dadurch aus, dass sie die Vorstellung eines
gemeinsamen Ursprungs oder eines gemeinsamen Ziels in sich trägt. Mayer kommt zum
Schluss, dass Diasporen mittels selektiver Fallbeispiele am besten zu fassen sind. So will sie
der beunruhigenden Entwicklung „einer simplifizierenden und historisch undifferenzierten
Begriffsverwendung“1116 begegnen.
Susanne Schwalgin kommt in ihrer Arbeit über die armenische Diaspora in Griechenland
ebenfalls zur Erkenntnis,
„dass Diaspora dann zu einem sinnvollen Konzept für die Untersuchung von
Identitätsprozessen in der Diaspora wird, wenn wir uns auf eine Analyse der
multiplen Beziehungen und Prozesse von Verortung einlassen, durch die der
Diasporaraum konstituiert wird, und wenn wir dabei nicht aus den Augen
1112
Mayer: Diaspora, S. 8f.
Mayer: Diaspora, S. 12f.
1114
Trivellato: Les juifs d’origine portugaise, S. 182. In eine ähnliche Richtung läuft Waltraud Kokot, die die
alltägliche Erfahrung von Lokalität vor Ort als wesentlichen Bestandteil der Diasporaidentität betont. Mayer
verweist auf die Arbeiten von Waltraud Kokot. Mayer: Diaspora, S. 16.
1115
Im Gegensatz zu ihm unterscheidet Mayer jedoch nicht zwischen Handels-, Opfer- oder Arbeitsdiasporen.
Mayer: Diaspora, S. 13.
1116
Mayer: Diaspora, S. 14.
1113
241
verlieren, dass diese Beziehungen von Machtstrukturen geformt sind. Erst dann
wird deutlich, dass Mobilität und Sesshaftigkeit, lokale und transnationale
Identifikationen, Prozesse der Hybridisierung und Ethnisierung keine sich
ausschliessende Kategorien sind, sondern vielmehr ihr komplexes Zusammenspiel
die Gleichzeitigkeit multipler Beziehungen des Diasporaraums beschreibt.“1117
Für Judith T. Shuval gehört, ebenso wie für Mayer, eine Vielzahl von unterschiedlichen
Gruppen zum Begriff Diaspora. Neben politischen Flüchtlingen, ausländischen Einwohnern
und Gastarbeitern sind es Immigranten, Vertriebene, ethnische und rassische Minderheiten
und Überseegemeinschaften. Ihnen allen ist gemein, dass sie eine reale oder eine imaginäre
Verbindung zur alten Heimat pflegen, dass sie verstreut auf dem Planeten leben, dass Mythen
und Erinnerungen an das Heimatland aktuell vorhanden sind, dass sie sich im Gastland
entfremden, dass sie eine eventuelle Heimkehr in die alte Heimat wünschen (eschatologisch
oder utopisch), dass sie das Heimatland unterstützen und dass sie eine kollektive Identität
aufweisen.1118 Shuval räumt ein, dass Diasporagruppen wissenschaftlich schwer zu fassen
und zu bestimmen sind. Sie schlägt deshalb vor, sie schematisch zu ordnen. Unter den drei
allgemein gültigen Strukturmerkmalen Diasporagruppen, Heimatland und Gastland werden
diverse Charakteristika vereint, die immer weiter ergänzt werden können. Die Wissenschaft
sollte dann mit Hilfe dieser Konzeptualisierung die Diasporagruppen, die sie untersucht,
systematisch zuordnen können, um herauszufinden, wo gemeinsame und wo getrennte
Eigenschaften bestehen.1119 Die generalisierende Vereinfachung des Begriffs, die Shuval als
Stärke anpreist, muss genau reflektiert und deren Anwendbarkeit nötigenfalls bezweifelt
werden.
Die in dieser Studie untersuchten mentalen Landkarten der Diasporagruppen in Ancona und
Livorno würden sich nur mit einer Vernachlässigung der stark individuell gestalteten
Lebensläufe in ein solches Schema zwängen lassen. Zu unterschiedlich verarbeiteten sie die
Erfahrung von Heimat und Fremde. Entlang von kundgegebenen Sehnsüchten, Wünschen und
Interessen wurde dennoch die Anstrengung unternommen, das kollektive Gefühl Diaspora-zusein sichtbar werden zu lassen.
Die mobilen Kaufleute, die in Ancona und Livorno ankamen, führten multiple, persönliche
und geschäftliche Beziehungen, meist ohne Rücksicht auf bestehende politische
Grenzziehungen oder andere Schranken. Händler aus Ost und West, Nord und Süd tätigten in
1117
Susanne Schwalgin: „In the Ghetto“. Prozesse der Verortung in der armenischen Diaspora Griechenlands. In:
Wir sind auch da: Über das Leben von und mit Migranten in europäischen Grossstädten. Hg. von Angelika Eder.
München 2003, S. 188.
1118
Judith T. Shuval: Diaspora Migration: Definitional Ambiguities and a Theoretical Paradigm. In: International
Migration 38 (2000), S. 41-57, bes. S. 43.
1119
Das Schema findet man unter Shuval: Diaspora Migration, S. 50f.
242
den Hafenstädten, egal ob fest oder temporär dort wohnhaft, Geschäfte im ganzen
Mittelmeerraum und darüber hinaus. Sie schlossen sich in Nationen zusammen, die sich
primär über gemeinsame Handelsinteressen und über die gleiche geographische Herkunft
definierten, wobei dieselbe Religion ebenfalls des Öfteren als Ein- oder Ausschlusskriterium
verstanden wurde. Der Sinn, der im Handel tätigen Diasporagruppen stand hier unter der
Schirmherrschaft von ökonomischen Interessen.1120
Bei der Klärung des Diasporabegriffs und dessen theoretischer Einbettung wurden Prozesse
der Verortung, im Spannungsfeld von Mobilität und Sesshaftigkeit, lokalen und
transnationalen Identifikationen, Hybridisierung und Ethnisierung, analysiert. In der hier
untersuchten Periode gibt es solche Phänomene an der Küste der Apenninhalbinsel reichlich
zu entdecken. Ambivalente Lebensläufe von Persönlichkeiten zeugten von einem Leben in
der Diaspora, das in der heterogenen Vielfalt eine homogene Einheit aufweist. In
mediterranen
Hafenstädten
wie
Ancona
und
Livorno
lebten
unterschiedlichste
Diasporagruppen und schufen in ihrem Lebensumfeld ein einzigartiges Lebensgefühl,
zwischen „roots“ und „routes“, zwischen Integration und Fremdsein gelagert.
9.1 Integration in Ancona: Möglichkeiten und Hürden
Wie bereits im zweiten Teil der Arbeit erläutert, wurden die Geschicke Anconas von Rom aus
gesteuert.1121 Die in der kirchenstaatlichen Peripherie Ancona entstandene starke
Händlerschicht musste sich nie gegen den Adel durchsetzen, um Macht zu erlangen. Beide
wurden vom selben Papst mit Privilegien versehen oder entmachtet. So gesellte sich der
Kaufmann nicht nur in die Vermittlerposition zwischen Produzent und Konsument, sondern
auch in die zwischen der abstrakten Regierung in Rom und der sozialen Realität vor Ort.
Während im übrigen Italien viele Kaufleute aus dem Adelsstand ausgeschlossen wurden,
verhalf der Papst Anconas Wirtschaftselite im 17. Jahrhundert zu neuem adligem Ruhm.
Neben alteingesessenen Geschlechtern wie Benincasa oder Ferretti wurden Familien aus
Ragusa, Bergamo, Mailand und Brescia aufgenommen.1122
1120
Filippini: Les nations à Livourne, S. 581f.
Alessandro Mordentis Aufsatz deutet an, dass gesellschaftliche Entwicklungsgänge in Ancona stets, vor
allem aber im 16. und 17. Jahrhundert, von Rom aus geleitet wurden. Mordenti: Vita quotidiana, S. 375-406.
1122
Mordenti: Vita quotidiana, S. 377f.
1121
243
Nicht allen Diasporagruppen wurden legislative Mittel zur Integration angeboten. Die meisten
Albaner, Morlaken1123 und Schiavoni (aus Slawonien/Kroatien) wurden übergangen. Speziell
wenn sie bewaffnet waren, wollte man sie nicht aufnehmen. Ausnahmen bildeten Albaner mit
einem hohen Ansehen, die Ancona wirtschaftlich von Nutzen sein konnten.1124
Weitaus einfacher schien die Ansiedelung der Slawen. Bereits 1467 gründeten Slawonier in
Ancona eine Art Selbsthilfegruppe (la Compagnia del Popolo), die sich zu einer Bruderschaft
entwickelte.1125 Nach der slawischen (Dalmatiner, Serbokroaten, Albaner) Armutsmigration
im 14. und 15. Jahrhundert gelangten im 16. Jahrhundert neben begabten Handwerkern immer
mehr kaufmännische Spezialisten nach Ancona. Unter ihnen lösten die florierenden
Grosshändler bald die Kleinhändler (Krämer) ab. Hin und wieder erhielten diese rasch die
anconitanische Stadtbürgerschaft, was viele Vorteile mit sich trug. Das offene
Heiratsverhalten, bevorzugt mit lokalen Adligen und nicht nur innerhalb der eigenen Gruppe,
und der Kauf von Adelshäusern und monumentalen Palästen waren Wegbereiter für eine
gelungene Integration.1126 Diese hing also mehrheitlich am Geld. Wer nicht im Adelsstand
war, konnte sich dahin einkaufen. Corrado Ferretti hinterliess in seinem Testament die
Aussage, wenn jemand nicht adlig war, aber 20'000 Scudi Mitgift in die Ehe brachte, so hielt
es diesen für adlig.1127
Herausragend in dieser Entfaltung waren die Ragusaner. Sie stachen durch klare
wirtschaftliche Interessen und eine internationale Ausrichtung heraus. Daneben blieben die
Vertreter aus Split, Zadar, Fiume und Dalmatien oft blass.1128 Voraussetzungen für eine
bequeme Integration in Ancona wurden zum Teil schon in der alten Heimat geschaffen. Die
alten serbischen Familien, die das öffentliche – wirtschaftliche und politische – Leben in
Ragusa im 16. Jahrhundert beherrschten, wurden nach und nach regelrecht italienisiert, vor
allem in Bezug auf die Sprache, ihre Namen und ihre Sitten.1129 Man sprach und lebte
italienisch.
Der Reichtum war der Schlüssel zur raschen und unkomplizierten Integration der
ragusanischen
1123
Einwanderer.
Die
Ragusanerin
Francesca
Clanevich
de
Vodopich
Name der christlichen Landbevölkerung aus dem Innern Dalmatiens, die durch das islamische Vordringen an
die Küsten gedrängt wurden. Siehe Ekkehard Eickhof: Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in
Südosteuropa 1645-1700. Stuttgart 1988, S. 88.
1124
Mordenti: Vita quotidiana, S. 379f.
1125
Im 15. Jahrhundert waren in Ancona, Camerino, Fabriano, Fano, Fermo, Jesi, Macerata, Loreto, Osimo,
Pesaro, Potenza Picena, Recanati und San Severino Marche slawische Bruderschaften präsent. Giancarli: Una
koinè adriatica, S. 131.
1126
Mordenti: Vita quotidiana, S. 381f.
1127
Testamentarische Aussage entnommen aus Mordenti: Vita quotidiana, S. 384.
1128
Mordenti: Vita quotidiana, S. 383.
1129
Anselmi: Adriatico, S. 148.
244
beispielsweise war äusserst gut betucht, was sich an ihrem Hausrat erahnen liess. Ihr
umfangreiches Erbe, 1715 beim Notar in Ancona aufgelistet, beinhaltete zahlreiche Gemälde
und diverse Gegenstände aus Seide, Gold und Silber. Ein Tischchen mit zwei Teppichen aus
Moskau und anderen Fussmatten aus der Levante sowie Tischdecken aus Flandern rundeten
die möblierte Vielfalt ab. Diamanten fehlten in der Erbliste ebenso wenig. Alle diese
Gegenstände waren in einem Wohnpalast in der Parrocchia di Santa Maria della Piazza
(Ragusanerviertel in Ancona) untergebracht. Daneben besass sie (und ihre Familie) noch ein
Lagerhaus und ein weiteres, nicht näher definiertes Haus. Zwei weitere Besitztümer wurden
dazugemietet.1130
Trotz der mitgebrachten Vermögenswerte mussten die Juden mehr Anstrengungen als die
katholischen Ragusaner auf sich nehmen, um nicht nur als Geschäftsleute, sondern auch als
gläubige Menschen anerkannt zu werden. Die Zugeständnisse der anconitanischen Kommune
an die jüdischen Bänker im Jahre 1494, die weit mehr als finanzieller Art waren
(Kultusfreiheit, Bewegungsfreiheit,
kein Erkennungszeichentragepflicht, Recht auf
Wohneigentum) liessen vermuten, dass die Juden als Einheimische und Nichtfremde
angesehen wurden. Doch diese Gutmütigkeit war immer an ökonomische Hintergedanken und
Interessen der Stadt gebunden. Nur wenn Juden präsent waren, lief die städtische Wirtschaft.
Durch die geglückten und andauernden Erfahrungen Anconas mit einem kosmopolitischen,
wirtschaftlich erfolgreichen und toleranten Ambiente wurde die Stadt seit dem Mittelalter Ziel
von Juden aus dem Königreich Neapel und aus Portugal, von wo sie vertrieben wurden. Im
16. Jahrhundert erfuhr die Gastfreundschaft erhebliche Brüche und Einschränkungen. Diese
waren nicht auf eine veränderte Grosszügigkeit Anconas zurückzuführen, sondern auf den
Triumph der externen, der päpstlichen Politik, die nach dem Konzil von Trient zum
Instrument des Hasses gegen die Ketzer wurde. Dieser übermächtigen Einstellung aus der
Zentrale konnte sich die periphere Stadt Ancona nicht entziehen. Die Schikanen gegen die
Juden nahmen zu. Das Ghetto und das Erkennungszeichen waren die augenscheinlichsten
Kennzeichen der Anpassung Anconas an Rom, die jedoch schon bald relativiert wurde. Um
den erfolgreichen Wirtschaftslauf nicht ins Stolpern zu bringen, musste das Zusammenleben
mit den Juden reibungsfrei funktionieren. Die Juden waren das Spiegelbild einer
ambivalenten Gesellschaft, die mit wirtschaftlichen und moralischen Idealen kämpfte.1131
Das 1555 eröffnete Ghetto blieb mehre Jahrhunderte bestehen und bildete eine Mauer zur
restlichen Bevölkerung. Kurz vor der Auflösung des Ghettos wurde darüber immer noch
1130
1131
ASAN, A.N.AN, Luca de Baldi 1715, Nr. 1704, Blatt 361f.
Mordenti: Vita quotidiana, S. 384f.
245
heftig debattiert. 1786 kam von Rom die Anordnung, das Ghetto in Ancona zu vergrössern.
Ancona billigte zu. In der Stadt am Meer herrschte Aufbruchstimmung. Am Hafen wurde
gebaut, zudem wurden eine neue Strasse und neue, nicht gerade kleine Gebäude errichtet.
Evakuierungen von christlichen Familien mussten ebenfalls in Betracht gezogen werden, um
das Ghetto auszudehnen. Ebenfalls Gesprächsthema war das Fleisch. Per Dekret verbot man
in Ancona das Schächten. Nur den armen Juden, die andernfalls gar nie Fleisch essen
konnten, und zum Selbstverbrauch in der Familie war es weiterhin erlaubt.1132
Um die Jahre 1788/89 beklagten sich die anconitanischen Behörden, dass die Juden im Ghetto
von Ancona immer mehr Rechte verlangten (Verschiedenheit der Kulte, Zugehörigkeit zur
Gesellschaft), aber sich gleichzeitig den Pflichten (Steuern auf Hausbesitz) entziehen wollten.
Obwohl die Verfassung den Hausbesitz für Juden verbot, war es keineswegs so, dass die
Juden keine Häuser besassen. Ancona wollte so Gleichheit auf allen Stufen, Rechte und
Pflichten, schaffen.1133
Den Ausschlag, sich erfolgreich in die anconitanische und kirchenstaatliche Gesellschaft zu
integrieren, gab das Geld. Wer zum Wohlstand der Stadt beitrug, konnte auch sein
Nichtkatholischsein überwinden und relativ unbelästigt in der Stadt leben. Die Auswirkungen
der Umsetzung der mental maps in den Alltag waren eine von zugewanderten Händlern
erkaufte Integration, die im Falle von Nichtkatholiken religiöse Abstriche in Kauf nahmen.
9.2 Integration auf livornesisch: Massnahmen der Regierung und der Händler
Die Einbindung der diasporischen Händler in die livornesische Gemeinschaft wurde einerseits
durch die Zugewanderten bestimmt, andererseits durch die politischen Herrscher vor Ort
bedingt.
Der anspruchsvolle Aufgabenkatalog der toskanischen Regierung verlangte eine enge
Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. Durch den Anstieg der Getreideimporte wurden in
Livorno mehr Lagermöglichkeiten und mehr Handelspersonal notwendig. Die wichtige Rolle
des Ritterordens San Stefano als Abwehrbollwerk gegen Feinde, die Belebung des Freihafens
und die Bewahrung der politischen Neutralität komplettierten die aussen- und
wirtschaftspolitischen Herausforderungen, welche die öffentliche Hand nur zusammen mit
den zugewanderten Händlern lösen konnten, da diese über weit reichende und fruchtbare
1132
1133
ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/1, keine Blattnummern.
ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/1, keine Blattnummern.
246
Kontakte verfügten.1134 Demzufolge waren die politischen Machtträger auf eine gelungene
Integration der Kaufleute angewiesen, was sie dann auch aktiv förderten.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kamen immer mehr Schiffe in Livorno an, zuerst aus der
näheren Umgebung, Sardinien, Korsika und Ragusa, später auch aus Spanien, Portugal und
England. Die Schiffe von der Iberischen Halbinsel brachten Produkte aus den amerikanischen
und indischen Kolonien mit nach Livorno, wie Zucker, Schildläuse, Ebenholz,
Elefantenzähne, Stoffe aus Indien und China.1135 Mehr Waren bedeutete für die Stadt
grösseren Bedarf nach Fachkräften im Umgang mit diesen und daraus folgend intensivere
Anstrengungen bei der Stadtplanung, was die Stadtverwaltung vor bauliche und soziale
Herausforderungen stellte. Die Integration der Händler musste von den Stadtbehörden aktiv
begleitet werden. Um dies zu erreichen, wurden weitere Baumassnahmen unausweichlich. Im
17. Jahrhundert wurden durch die Aufschüttung und Trockenlegung von Gewässern neue
Wohn- und Geschäftsräume geschaffen, auch ausserhalb der Stadtmauern. Anstoss für dieses
Projekt waren die Hungersnöte während des 30-jähirgen Krieges (1618-1648), als Livorno
zum Anlaufhafen für Getreide aus dem Osten wurde und so neue Lagerhäuser brauchte.1136
Durch die Errichtung einer Lagerstadt, das Quartier Venezia Nuova, war Livorno nicht mehr
eine Stadt mit Hafen, sondern eine Hafenstadt. Die Einrichtung forderte grosse legislative,
technische und finanzielle Anstrengungen. Mittels Kanälen und Trockenlegungen
vergrösserte sich die Stadt weiter zuungunsten des Meeres. Die Möglichkeit, Waren über den
Wasserweg (Kanäle) direkt in die Lager zu führen, ohne Transportkosten, war sehr attraktiv
für die Kaufleute. Die Häuser in Venezia Nuova, ausgestattet mit Alkoven (Bettnischen),
Arbeits- und Musikzimmern plus Lagermöglichkeiten für Waren, ermöglichten den Händlern
ein mondänes Leben, sie vereinten den Wohn- mit dem Arbeitssitz. Dazu kam die
Untertunnelung des Hafens. Die grossen Kellerräume waren die Zentren der Speicherung von
Waren aus dem Mittelmeer, den Nordmeeren und den amerikanischen und asiatischen
Gebieten. In das neue, auf das Handelswesen ausgerichtete Quartier zogen die Konsule und
zahlreiche Händler, die das Lager- und Speicherwesen organisieren, steuern und verwalten
wollten und dabei von einem fortschrittlichen Steuersystem profitierten.1137
Der wirtschaftliche Aufstieg Livornos im 16. und 17. Jahrhundert veränderte nicht nur das
architektonische Bild des Ortes. Die neu errichtete Stadt wurde mit organischem Leben
1134
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 271.
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 282, 284.
1136
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 308.
1137
Das Edikt von 1676 (porto franco) erhob eine Steuer auf die Lagerung, doch wurde der Verkauf und die
Wiederausfuhr nicht zusätzlich besteuert. Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 312f.
1135
247
gefüllt.1138 Sie hatte einen belebten, zentralen Platz, auf dem der Dom stand. Dieser Platz lag
an der Hauptstrasse Via Ferdinanda, die die Verbindung zwischen dem neuen Hafenbecken
und der Strasse nach Pisa herstellte. Zwischen 1590 und 1604 siedelten sich die Bewohner
nach sozialen Gruppen in der Stadt an und nicht nach ethnischen oder religiösen Merkmalen.
Auf der Via Ferdinanda, wo sich hauptsächlich das Handelswesen abspielte, wohnten die
reichen Bewohner (vor allem Händler und Beamte). Engländer, Franzosen, Griechen,
Toskaner und Juden lebten Tür an Tür.1139
Offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen den baulichen Massnahmen und der Zunahme
respektive der zunehmendem Komplexität der Bevölkerung in Livorno. Noch 1601 erschien
Livorno immer noch primär als eine von Männern dominierte Garnisons- und Grenzstadt, die
vor allem militärische Zwecke erfüllte. Das änderte sich bald, Gotteshäuser verliehen der
Stadt ein multireligiöses und lebendiges Antlitz. 1606 wurde in der Via della Madonna (quer
zur Hauptstrasse) eine Kirche für die unierten Kirchen (Chiesa della Santissima Annunziata
dei Greci) und hinter dem Dom eine Synagoge gebaut. Die Strasse der Madonna wurde so
zum Zentrum der fremden Nationen, weil die eben genannte griechische Kirche selbst die
orthodoxen Griechen aufnahm und eine andere Kirche in der Strasse (Chiesa della Madonna)
bot den von der katholischen Kirche verfolgten Engländern, Holländern, Portugiesen (neue
Christen), Franzosen und Armeniern Schutz.1140
In Livorno passten die von den Medici auf Papier versprochenen Vorstellungen von Freiheit,
Wohlstand und Gleichheit jedoch nicht immer zu den konkreten Massnahmen zur Integration
der zugewanderten Kaufleute. Deren Ansprüche auf diese Versprechen wurden in der Realität
grosse Herausforderungen entgegensetzt. Ob man sich der livornesischen Gesellschaft
zugehörig nennen durfte, zeigte sich in den Friedhöfen, wobei die nichtkatholischen
Gemeinschaften (Juden, Engländer, Holländer, Türken) ihre Toten ausserhalb der Stadtmauer
begraben mussten. Die ersten Gräberanlagen waren schlichte offene Felder, ohne grossen
Bezug zur heiligen Bedeutung. Die Juden bekamen in der Zone Mulinacci ein Begräbnisfeld
zugesprochen, bis gegen Mitte des 17. Jahrhunderts ein neues Territorium benutzt werden
konnte. Die Muslime, das waren vor allem die Sklaven aus dem Bagno dei forzati, begruben
ihre Leichen in einem für sie reservierten Gelände, ebenfalls in der Zone Mulinacci.
Komplizierter gestaltete sich die Bestattung der nichtkatholischen Christen, die als
Eindringlinge und Konkurrenten des Katholizismus wahrgenommen wurden. Wenn sie sich
1138
1606 wurde Livorno offiziell von Ferdinando I zur Stadt erklärt. Ein Governatore leitete die Regierung mit
militärischen und zivilen Kompetenzen. Vgl. Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 303.
1139
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 294f.
1140
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 300f.
248
zu Katholiken erklärten, gab es keine Probleme beim Begräbnis, was viele nordeuropäische
Korsaren dementsprechend praktizierten. Diejenigen Protestanten, die sich nicht diesem
opportunistischen Nikodemismus hingaben, darunter zahlreiche Händler aus den östlichen
christlichen Kirchen, mussten ihre Toten im Garten eines flämischen Ingenieurs begraben.1141
Später erwarb die holländisch-deutsche Kongregation einen neuen Friedhof. 1695 schliesslich
erhielten sie die Erlaubnis, ihr Gelände ummauern zu dürfen – mit der Auflage, dass sie auf
die Hauptstrasse zwei Fenster einrichteten – so dass die Ruhestätte die nötige Sicherheit
erhielt und eine gewisse Identität aufwies.1142 Dass die Grabstätte als Garten bezeichnet
wurde, ist kein Zufall, sondern reflektiert die Haltung der lokalen Behörden, die diesem Ort
keine sakrale Bedeutung verleihen wollten. Ähnlich erging es den Engländern mit ihrem
„Garten“. Blumen, Obst- und Blütenbäume hinterliessen Eindrücke wie in einem botanischen
Garten, wo man verweilen und spazieren konnte, und der Wärter arbeitete praktisch nur als
Gartenspezialist. Ab der zweiten Hälfte es 18. Jahrhundert verbesserte sich die Lage der
Nichtkatholiken erheblich. Die Habsburger schufen religiöse Großzügigkeiten, wovon die
Muslime, die Griechisch-Orthodoxen und die Armenier profitierten und was an den diversen
Friedhöfen abzulesen ist.1143 Im 19. Jahrhundert wurden aus sanitärhygienischen Gründen
richtige Begräbnisstätten eingerichtet, die holländisch-deutsche gleich neben der griechischorthodoxen und der englischen, getrennt nur durch ein Gitter, aber je mit separatem
Eingang.1144
Dort wo die öffentliche Hand weniger mitzubestimmen hatte, waren die Integrationshürden
weniger hoch. Während die diversen Gemeinden je eigene Gottesäcker besassen, war das
alltägliche Leben mehr vom Zusammensein geprägt. Man traf sich täglich und redete
miteinander, zum Teil lebten verschiedene Gruppen unter demselben Dach. Es kam
dementsprechend zu Durchmischungen, wie Akten aus dem Jahre 1611 aufzeigen. Männliche
Immigranten integrierten sich durch Heirat von Frauen aus Livorno in die livornesische
Gesellschaft.1145 Eine Heirat konnte auch innerhalb der Glaubensgemeinschaft Vorteile mit
sich bringen. Salomone Ambron, gebürtig in Rom, erhielt 1800 durch Heirat die Privilegien
der jüdischen Nation von Livorno, wo er und seine Familie nun auch lebten.1146
Das soziale Leben war geprägt von der Lebhaftigkeit der Bewohner, die ihre Weltoffenheit
und ihr Blick nach aussen in das eigene Leben projizierten, aber trotzdem ihre Wurzeln nicht
1141
I „Giardini“ della Congregazione Olandese-Alemanna, S. 3.
I „Giardini“ della Congregazione Olandese-Alemanna, S. 4.
1143
I „Giardini“ della Congregazione Olandese-Alemanna, S. 7.
1144
I „Giardini“ della Congregazione Olandese-Alemanna, S. VII, VIII.
1145
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 305f.
1146
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 196.
1142
249
vergassen. Während die livornesischen Immobilien (Wohn-, Geschäfts- und Gotteshäuser)
von den grossherzoglichen Technikern und Beamten parzelliert, geplant und gebaut wurden,
konnten die Bewohner/Nutzer nur bei der Ausschmückung der Häuser und der
Innenarchitektur Einfluss nehmen. Das Inventar der Häuser lässt uns erahnen, wie das
ausgesehen haben muss. Verschiedenste Möbelstücke aus aller Welt, Gemälde mit Porträts
und Geschirrstücke von neuen Produkten, wie Biergläser oder Kakaotassen, statteten die
Wohnungen aus. Diese Üppigkeit war aber nur in den Hauptstrassen anzutreffen, in der Via
Greca dagegen statteten die Griechen ihre Häuser einfach und funktional aus, auch die
Fassade wurde schlicht gehalten, ohne Gesims an jedem Fenster und ohne edle Quadersteine
als Verzierung. Obwohl die Griechen als bescheiden galten, besassen einige von ihnen
durchaus
ein
goldverziertes
Himmelbett,
Seidenteppiche,
Federkissen
oder
Ebenholzmöbelstücke, oftmals Erbstücke.1147 Auch die Kirchen der Diasporagruppen erfuhren
eine individuelle, identitätsstiftende Ausstattung. Die beiden griechischen (San Jacopo und
Santissima Annunziata) wurden mit griechischen Elementen dekoriert. Dazu gehörten
Paramente, Altarbilder und Ikonostasen.1148
Daneben verdeutlichten die Sittenmandate und die farbige, mit Schmuck verzierte und
abwechslungsreiche Mode, wie das Leben pulsierte. Zahlreiche Cafes, Konditoreien und
Gasthäuser, die Leckereien von überall her anboten, sowie Orte, wo dem Spiel und der
Körperertüchtigung nachgegangen werden konnte, zeugen von dieser Vitalität.1149 Die
Geschäfte, die Liebe und die Heirat brachten Männer und Frauen mit unterschiedlichen
Herkunftsgebieten, Sprachen, Kulturen, Berufen und Religionen zusammen.1150
Neben der wirtschaftlichen Integration nahmen die Neuankömmlinge vermehrt am sozialen
und politischen Leben der Stadt teil. Viele von ihnen, die in Livorno dauerhaft lebten und dort
Immobilien erwarben,1151 erhielten das Stadtbürgerrecht und arbeiteten in der Stadtregierung.
Der Besitz von Wohneigentum wurde im 17. Jahrhundert zum Eingangstor in das politische
und juristische Leben der Stadt, nur so konnte man an die Vorrechte der Stadtbürgerschaft
gelangen.1152
Die grossen baulichen Investitionen, die religiöse Toleranz – mit Einschränkungen – und das
offene Bürgerrecht liessen Livorno, eine Stadt ohne autochthone Bevölkerung, zu einer
1147
Funis: Gli insediamenti dei greci a Livorno, S. 70f.
Funis: Gli insediamenti dei greci a Livorno, S. 72.
1149
ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 961/35, Blatt 181, 182: Bewilligung
für ein Kaffeehaus und einen Billiardsalon (Lettere del Gov. 1749 und 1780).
1150
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 306f.
1151
Der jüdische Hauskäufer Menahem de Daniel Ferro forderte 1660, keine Gabella – eine Steuer – beim Kauf
seines Hauses in Livorno bezahlen zu müssen. Siehe ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 121, 130.
1152
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 318f.
1148
250
Hafenstadt heranwachsen, die im Handelswesen mit den grossen Konkurrenten Genua,
Neapel und Venedig lange Zeit mithalten konnte.1153 Dies war das Ergebnis von mentalen
Landkarten, die von beiden Seiten (Medici und Kaufleute) ähnlich ausgestaltet und meist
texttreu in die Wirklichkeit umgesetzt wurden. Die florierende Handelsstadt war der Erfolg
der Zusammenarbeit, das religiöse Nebeneinander mit vereinzelten Benachteiligungen für
Nichtkatholiken der meist akzeptierte Kompromiss der Neuankommenden.
9.3 Sprachliche Verständigung und kulturelle Selbstbestimmung
Eine Herausforderung, die die Umsetzung der verschiedenen mentalen Landkarten mit sich
brachte, war die Sprachenfrage. Um die Geschäfte reibungslos abwickeln zu können,
benötigte es auf den Handelsplätzen ein gegenseitiges sprachliches Verständnis. Hierbei war
ein weit verbreiterter Bilingualismus vonnöten. Vor allem in der Spätantike wie auch später
im 15. und 16. Jahrhundert bemühte sich das Abendland lateinisch und griechisch zu
beherrschen. Die Renaissance hatte im Westen zu einer breiten Rezeption der griechischen
Sprache geführt, mit dem Ergebnis einer weitgehend bilingualen politischen Klasse. Der
venezianische Gesandte Ottaviano Maggi forderte 1566, dass Diplomaten Italienisch,
Griechisch und Lateinisch kommunizieren
konnten. Diese Aussage stand vor dem
Hintergrund der Interessen Venedigs im östlichen Mittelmeerraum, die teilweise von Livorno
und verstärkt von Ancona ebenso geteilt wurden.1154 Die im Westen mit der Entstehung von
zahlreichen
griechisch-lateinischen
Gesprächbüchlein
(Colloquia)
weiter
forcierte
Zweisprachigkeit unter den Intellektuellen und Politikern korrespondierte nach Thomas Haye
nicht mit der Entwicklung im Osten. Mit dem Untergang des Byzantinischen Reiches und der
Machtübernahme der Osmanen ging das kulturelle Zentrum der Graecophonie verloren.
Zudem kam im Abendland ein Misstrauen gegenüber den Griechen wieder auf, die offenbar
nicht in der gleichen Intensität Lateinisch lernten, wie sie selber Griechisch studierten. Der
bilinguale Weg wurde also im südöstlichen Europa kaum begangen, da der „arrogante“
Grieche scheinbar nicht gewillt war, das „barbarische“ Latein zu erlernen. Dieser Argwohn
bestand seit der Antike und überdauerte das gesamte Mittelalter.1155 Die Verständigung in
derselben Sprache war also nicht immer gegeben und deshalb nicht leicht. Keine Ausnahme
bildeten hier die Schmelztiegel Ancona und Livorno.
1153
Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 319.
Thomas Haye: West-östliche Kommunikation. Latein und Griechisch als mittelalterliche Medien der
Verständigung zwischen dem Abendland und Byzanz. In: Zwischen Babel und Pfingsten. Sprachdiffernzen und
Gesprächsverständigung in der Vormoderne (8.-16. Jh.). Hg. von Peter von Moos. Münster 2008, S. 491.
1155
Haye: West-östliche Kommunikation, S. 497f.
1154
251
Der französische Jurist und Philologe Charles De Brosses schrieb in seinen Erinnerungen über
Livorno, dass es nicht einfach sei, zu bestimmen, welche Nation dort beheimatet sei.
Vielmehr sei die Bevölkerung ein Gemisch aus verschiedenen Nationen aus Europa und
Asien. Dementsprechend sah De Brosses in den Strassen Livornos die Szenerie eines
Maskenballs und die Sprachenvielfalt liessen ihn an die Situation beim Turm zu Babel
erinnern.1156 Unter den Matrosen schien die englische Sprache weit verbreitet gewesen zu
sein, wie Otto Speyer in seinem Werk „Bilder Italienischen Landes und Lebens“ aus dem 19.
Jahrhundert zu berichten wusste. Jedenfalls war das Englische gemäss Speyer aus einer
entsprechenden Menschenmenge gut hörbar.1157 Edward Wright stellte 1720 fest, dass ständig
viele Engländer in Livorno waren und dass eine derart grosse Anzahl an englischen
Handelsschiffen dort anlegte, dass viele Einheimische in der Lage waren, die englische
Sprache zu verstehen. Dinge, die nicht für livornesische Ohren bestimmt waren, sollte man
auf den Strassen Livornos besser nicht in englischer Sprache artikulieren, so Wright.1158
Weitere Sprachen kamen ebenfalls durch die zugewanderten Händler nach Livorno. In den
Strassen von Livorno hörte man oft die kastilische oder portugiesische Sprache der jüdischen
Einwanderer aus Spanien und Portugal, die, trotz der Verfolgung, dadurch ihr spanisches
Wesen und ihre Verwurzelung in Spanien zum Ausdruck brachten.1159 Poliakov fragt sich, ob
diese Zuneigung „aus der Verschlagenheit von Kaufleuten, die weder Glauben noch Gesetz
kennen“,1160 stammt. Diogo Ramada Curto und Anthony Molho akzentuieren die
überlappenden Identitäten der Juden. Die portugiesischen Juden in Livorno entwickelten ein
umfangreiches Handelsnetzwerk, bestehend aus diversen Mittelmeerhäfen. Sie versorgten den
toskanischen Markt unter anderem mit Tabak, der über Portugal auf die Apenninhalbinsel
gelangte. Die Einbindung in den Fernhandel scheint die lokale Verankerung kaum zu
beeinträchtigt zu haben, was sich darin zeigte, dass Juden in Livorno in Immobilien
investierten, eng mit dem Grossherzog kooperierten sowie dessen Schutz genossen und enge
Verbindungen mit der lokalen Aristokratie eingingen. Das sind Merkmale einer
überlappenden Identität, die toskanische Werte, jüdische Wurzeln, Konvertitenvereinigungen
und lusitanisch-nationale Gefühle einband.1161 Die jüdische Gemeinde in Livorno entwickelte
einen eigenen Dialekt, der so genannte bagito (oft bagitto geschrieben), eine Mischsprache,
1156
Silvia Calamai!: Livorno, vocali, clear speech: piste fonetiche e suggestioni storiche. In: Quaderni del
Laboratorio di Linguistica 5 (2004-05), http://alphalinguistica.sns.it/Quaderni.htm, Stand 28.04.2010.
1157
Calamai: Livorno, vocali, clear speech.
1158
Calamai: Livorno, vocali, clear speech.
1159
Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, S. 113.
1160
Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, S. 114.
1161
Ramada Curto, Molho: Introduction, S. 12.
252
bestehend aus italienischen (toskanischen), hebräischen, spanischen und portugiesischen
Elementen.1162
Die Vielschichtigkeit der vertriebenen Juden lässt sich schön an ihren Namen ablesen. Durch
sie werden ganze Lebensläufe sichtbar. In historischen Dokumenten erscheinen die Juden auf
vielseitige Art und Weise. So findet man im Archivio di Stato di Firenze die Juden mit
italienischen,
spanischen,
portugiesischen,
französischen,
deutschen,
holländischen
lateinischen, hebräischen, türkischen oder arabischen Namen. Sie waren zusammengesetzt aus
Vorname, Patronym, Familienname, Ortsname und Berufsname.1163
Ein Beispiel aus dem Medici Archive Project. Dies könnte immer die gleiche Person sein:
Vorname
Patronym
Benedetto
di
Familienname
Ortsname
Berufsname
Benedetto
da Pisa
Mercante
Benito
Levantino
Medico
Vita
Ebreo
Benedetto
Mendes Giudeo
Barrucca
Ben Hayim
Baroccas
Benaim
Mendez
Spagnuolo
Parallel zur Sprachenvielfalt funktionierte eine auf der italienischen Sprache beruhende lingua
franca als Verkehrssprache, die im Mittelmeerraum angewandt wurde und als internationale
Stimme der Kaufleute diente.1164 In Ragusa stellte die italienische Komponente ebenfalls
1162
Nuti: Livorno, il porto, S. 343. Näheres zum bagitto: Pardo Fornaciari: Fate onore al bel Purim. Il bagitto,
vernacolo degli ebrei livornesi. Livorno 2005.
1163
Das „Medici Archive Project“ befasst sich mit diesen Dingen: www.medici.org/jewish/identities.html, Stand
27.11.2008.
1164
Sergio Anselmi bezeichnet Italienisch als die internationale Sprache der Händler. Anselmi: Adriatico, S. 99.
Die Existenz einer lingua franca ist umstritten. Während Nora Lafi keine quellenfundierten Beweise für die
Existenz der lingua franca in Tripolis im 19. Jahrhundert fand, sondern davon ausgeht, dass die
nordafrikanischen Kaufleute, ob in Tripolis, in Marseille oder in Livorno, arabisch sprachen und Lehnwörter aus
anderen Sprachen benutzten, fand Jocelyne Dakhlia im Mittelmeerraum in den Jahrhunderten zuvor (ab dem 15.
Jahrhundert) durchaus Spuren einer gemeinsamen, eigenständigen Sprache, die jedoch nie zur Mutterprache, nie
grammatikalisch ausgereift, sprich kreolisiert wurde. Nora Lafi: La langue des marchands de Tripoli au XIX
siècle: langue franque et langue arabe dans un port méditerranéen. In: Trames de langues. Usages et métissages
linguistiques dans l’histoire du Maghreb. Hg. von Jocelyne Dakhlia. Paris 2004, S. 215-222; Jocelyne Dakhlia:
Lingua Franca. Histoire d’une langue métisse en Méditerranée. Arles 2008.
Dakhlia legt grossen Wert auf die Gleichstellung der islamisch-nordafrikanischen und christlich-europäischen
Elemente bei der Entwicklung der Sprache. Sowohl Muslime in Europa, zum Beispiel Muhammad al-Kabir (Bey
von Oran und Mascara, Algerien, 18. und 19. Jahrhundert) in Livorno und Marseille, als auch Europäer in
Nordafrika und europäische Schiffe im Mittelmeer trugen zum Entstehen und zur Verbreitung der Sprache bei.
Dakhlia: Lingua Franca, S. 162.
Der Austausch war nicht einseitig, Städte wie Livorno oder Venedig nahmen Muslime auf, so dass man nicht
von einer europäischen Dominanz (gegenüber Afrika) versus eine muslimische Ignoranz (gegenüber Europa)
253
einen bedeutungsvollen Beitrag zur Sprachenkultur. Dies war durch die wirtschaftlichen
Bezüge zum Okzident bedingt. Der ragusanische Geschäftsmann Benedetto Cotrugli
(serbokroatisch: Kotruljic) schrieb in seinem Werk „Della mercatura et del mercante
perfetto“, dass die italienische Sprache für die ragusanischen Händler geläufig und
verständlich war, während die restliche Bevölkerung serbokroatisch sprach.1165 Die
Personennamen änderten sich durch sprachliche Einflüsse und die soziale Stellung. Die
Namen der ragusanischen Händler wurden italienisiert, die Personen aus bescheideneren
Verhältnissen behielten ihre serbischen Namen.1166
Selbst in die arabische Sprache nordafrikanischer Händler flossen italienische Wörter.1167
In offiziellen Belangen galt in Livorno ausschliesslich die italienische Sprache, weshalb der
Einsatz von Dolmetschern und Übersetzern unumgänglich wurde.1168 In Ancona kamen diese
im multilingualen Handelswesen oft zum Einsatz. Der Anconitano Jacomo Tromba übersetzte
als offizieller Dolmetscher der anconitansichen Behörden für die Überseenationen (Nationi
Orientali). Damit sind die Gebiete östlich Anconas gemeint, namentlich wurden die türkisch
sprich muslimisch dominierten Gegenden erwähnt. Er sprach und übersetzte italienisch,
dalmatinisch, griechisch und türkisch.1169 Seine Funktion war überaus wichtig. Er musste
schwören, korrekt und gewissenhaft zu arbeiten.1170 Alessio Perotti aus Istanbul, in Ancona
lebend, fungierte als Dolmetscher italienisch-griechisch.1171
sprechen kann. Erst mit der Kolonialisierung im 19. und der Nationalstaatenbildung im 20. Jahrhundert
verschwand diese Kunstsprache. Dakhlia: Lingua Franca, S. 294.
Mehr zur lingua franca (Entstehung, Aufbau, Beispiele in Form von Briefen und Liedern, Wörterlisten) bei
Daniel Panzac: La Lingua Franca: un outil de communication. In: Living in the Ottoman Ecumenical
Community. Hg. von Vera Costantini, Markus Koller. Leiden 2008, S. 409-422.
1165
Anselmi: Venezia, Ragusa, Ancona, S. 62.
1166
Der italienische Einfluss ist nicht wegzureden. Alle Bischöfe in Ragusa beispielsweise waren Italiener. Vgl.
Anselmi: Venezia, Ragusa, Ancona, S. 62f.
1167
So findet man noch im 18. und 19. Jahrhundert die italienischen Ausdrücke kuntratu (contratto, Vertrag),
nulu (nolo, Leihgebühr), kunsul (consul, Konsul), karantina (quarantena, Quarantäne), kummisyiun
(commissione, Kommission), bulissiya (polizia, Polizei) und andere im Nachlass des libyschen Händlers Hasan
al Faqih Hasan. Dieser hatte Kontakte zu den jüdischen Kaufleuten in Livorno. Hinweis bei Lafi: La langue des
marchands, S. 220.
1168
In einem Rechtsstreit vom 30. Juni 1660 wurde eine Übersetzung vom Französischen ins Italienische
notwendig und dementsprechend durchgeführt. Der Übersetzer bescheinigte, die Wahrheit geschrieben zu haben.
ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 205.
1169
ASAN, A.C.AN, Suppliche 1619-1626, Nr. 62, keine Blattnummern. Die Beschreibung von Jacobo Tromba
als „interpreti Camerali scientis idioma italium et theucrum“ (italienisch-türkisch) in ASAN, A.N.AN, Francesco
Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 43h. Übersetzung italienisch-dalmatinisch in ASAN, A.N.AN, Francesco
Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 238. Übersetzung italienisch-griechisch in ASAN, A.N.AN, Francesco
Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 242. Zudem leistete Tromba auch Dienste als Vormund oder Beistand. 1623
nahm er den Griechen Nicolo Marizi aus Lefkada bei sich auf, solange dessen Bruder Manogli unterwegs war.
Da dieser jedoch nicht wieder zurückkehrte, übernahmen andere Familienmitglieder und weitere in Ancona
ansässige Griechen (Stamo Areta, ebenfalls ursprünglich aus Lefkada) die Fürsorge Nicolos. Siehe ASAN,
A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 91h-92h.
1170
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879, Blatt 54v.
1171
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 74.
254
Die meisten Händler arbeiteten polyglott, so auch die persischen und die osmanischen
Armenier. Die Adresseneinträge ihrer Geschäftsbriefe (versandt zwischen Indien, Iran und
dem Mittelmeer) wurden armenisch, italienisch, französisch und englisch verfasst, kaum aber
in persischer Sprache, der offiziellen Sprache im Safawidenreich im heutigen Iran.1172 Der
armenische Händler Giovanni Salvatore, 1621 in Ancona anwesend, sprach kein italienisch,
dafür aber türkisch, genauso wie Giorgio und Simone Melchiorri, weitere armenische
Händler, die in Messina lebten, aber auf der Durchreise in Ancona waren.1173 Über ihre
ursprüngliche Heimat ist nichts bekannt, die türkische Sprache spricht aber für das
osmanische Reich in der Levante.
Der Pflege der armenischen Sprache wurde in der Diaspora grosse Bedeutung zugemessen. Es
gelangten armenische Typografen nach Livorno. 1642 eröffnete Vardapet Hovhannes aus Neu
Julfa eine Druckerei in Livorno, in der die Davidpsalmen ins Armenische übersetzt wurden.
So wurden Livorno wie auch Venedig wichtige Zentren des armenischen Druckwesens.1174
Auch die jüdische Gemeinschaft stärkte die eigene Sprache im Exil. 1650 gründete Jedidiah
Gabbai in Livorno eine hebräische Druckerei, die Vorbild und Anstoss war für die
Entwicklung einer publizierfreudigen Druckindustrie in Nordafrika und dem Nahen Osten.1175
Livorno galt als eine beachtete Schaltstelle für jüdische Studien in der Wissenschaft und in
Religionsfragen.
In Ancona hatte die öffentliche Sprachenvielfalt einen schweren Stand. Jüdische
Publikationen fehlten trotz der wirtschaftlichen Stärke und der dauerhaften Präsenz der Juden
weitgehend, umgekehrt gab es durchaus antijüdische Studien. Abgesehen von einigen
lateinischen Texten und slawischen sowie türkischen Lexika zu Beginn des 16. Jahrhunderts
bestand die nichtitalienische Presse lediglich aus einigen slawischen (kroatischen) Werken,
die im 17. Jahrhundert auf den Markt kamen.1176 Im 18. Jahrhundert kamen einige
französische Bücher dazu.1177 Der Ideenaustausch erfolgte hauptsächlich über die Adria
hinweg. Die anconitanische Öffnung gegen Osten hin, die Annäherung an den slawischen
Balkan wirkte sich verlegerisch aus. Das Fehlen eines lokalen, dalmatinischen Druckwesens
verhinderte jedoch die grossangelegte Publikation von weltlichen Schriften auf slawisch.
Solange diese Branche an der Ostadria brach lag, übernahm unter anderem Ancona an der
1172
Briefe aus Neu Julfa nach Livorno und Venedig zur Familie Shahrimanian, italianisiert Sceriman, hatten
italienische Briefköpfe. Siehe Aslanian: “The Salt in a Merchant’s Letter”, S. 143.
1173
ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878, Blatt 83h-84v, 186.
1174
Siehe Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 103. Aslanian: “The Salt in a Merchant’s Letter”, S. 133.
1175
Hinweis auf die Druckerei: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 91.
1176
1527 gab der Kaufmann Pietro Lupis in Ancona ein slawisches und ein türkisches Wörterbuch heraus. Die
beiden Werke sollten den italienischen Geschäftsleuten helfen, sich im Osten sprachlich zurechtzufinden. Vgl.
Sacco: Mastro Pellegrino, S. 11.
1177
Filippo M. Giochi, Alessandro Mordenti: Annali della tipografia in Ancona 1512-1799. Roma 1980, S. Lf.
255
Westadria diese Tätigkeiten. Die Quantität der slawischen Drucke in Ancona konnte jedoch
nicht mit derjenigen anderer Städte mithalten. Venedig spielte auch hier die erste Geige, war
die kulturelle Metropole schlechthin.1178 Das Druck- und Verlagswesen spiegelte die
bescheidene, gesamtwirtschaftliche Realität Anconas wider. Das fehlende Hinterland, wo man
grossräumig expandieren konnte, verhinderte die kulturelle und soziale Stabilität durch neue
Markterschliessungen.
Der
kommerziellen
Ausrichtung
folgten
keine
militärischen
Gebietserweiterungen im Innern der Apenninhalbinsel. Ancona blieb ein centro minore, ein
Treffpunkt zweiten Ranges. Seine typografischen genauso wie seine kaufmännischen und
handwerklichen Erfolge, zwar nicht sehr verbreitet, aber doch erwähnenswert, bildeten einen
kleinen, bescheidenen Mosaikstein in einem grossen Gesamtkunstwerk.1179
Die Sprachenvielfalt war eine der Erscheinungen, die aus dem Zusammenkommen von
obrigkeitlichen und kaufmännischen mentalen Landkarten in Ancona und Livorno hervortrat.
Händler verschiedenster Sprachrichtungen trafen sich und auf die italienische Sprache. Die
Stärkung der eigenen Sprache in der sprachlichen Fremde mittels öffentlicher, mündlicher
Anwendung und Publikationen ging einher mit der Anwendung der italienischen Sprache und
der neuen, gemeinsamen, auf dem Italienischen basierenden lingua franca.
Zugehörigkeiten wurden sprachlich, aber auch äusserlich ausgedrückt. Es gilt den
wesentlichen Stellenwert der Kleidung in vergangenen Zeiten nicht zu unterschätzen. Die
Selbstwahrnehmung der Eliten der anconitanischen Gesellschaft fusste auf der Mode, welche
Machtpositionen demonstrierte. Amtspersonen in Ancona verliessen 1514 ihren Arbeitsplatz
nie ohne den langen Mantel. Diese Bräuche schärften den Sinn für das Individuelle und das
Eigentümliche. Dabei kam es mehr darauf an, die Würde eines Amtes zu ehren, als durch
Reichtum zu verblüffen. Die vorherrschende Koexistenz von traditionellen und innovativen
Kleidern kam durch die Suche nach Eleganz oder durch die Imitierung ausländischer
Prototypen.1180
Die nicht noblen Personen wurden angehalten, sich zur Elite abgrenzend zu kleiden.
Prostituierte durften ihr Zuhause nie, weder am Tag noch in der Nacht, ohne Mütze mit Feder
verlassen. Die Pflicht zur grellen Aufmachung war nicht das einzige normative Instrument,
um mit der Mode die soziale Hierarchie im Alltag zu unterstreichen. Die Gesetzgebung
schwankte zwischen Härte und Nachgiebigkeit. Hier spielten wirtschaftliche Interessen der
Händler und Handwerker, die ihre Absatzmärkte gesichert sehen wollten, aber auch der
Widerstand von Teilen der Öffentlichkeit, die nicht auf gewisse Produkte verzichten wollte,
1178
Giochi, Mordenti: Annali della tipografia in Ancona, S. LXXIIf.
Giochi, Mordenti: Annali della tipografia in Ancona, S. LXXXIf.
1180
Mordenti: Vita quotidiana, S. 397f.
1179
256
gewichtige Rollen. Wenn Verbote nicht wirkten, so konnte die Legislative mit
Tarifbestimmungen die Modewahl lenken. Auch Schuhe und Taschen zeugten von Wohlstand
oder Armut.1181
Ancona war in dem Sinne ein Sonderfall, dass auch bescheidenere Einwohner gewisse
Luxusprodukte erwerben konnten, die anderswo den vorherrschenden Klassen vorbehalten
war. Dies hing mit dem merkantilen Modell der Stadt Ancona zusammen. Rohstoffe wie etwa
Häute und Felle waren vom 14. bis zum 18. Jahrhundert im derart grossen Umfang in der
Stadt vorhanden und wurden vor Ort von Handwerkern verarbeitet, so dass sich viele
Anconitani die Waren leisten konnten. Dementsprechend konnte man vor allem in der
Zeitspanne vom 16. bis zum 17. Jahrhundert in öffentlichen Palästen und in Residenzen von
Adligen, Kaufleuten, Handwerkern, aber auch in geringerem Ausmasse von gewöhnlichen
Stadtbürgern, die grosse Fülle von bearbeitetem Leder in der Innenausstattung bewundern.1182
Bei all diesem Prunk gelang es dem anconitanischen Adligen Francesco Ferretti das
Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren. Er verliess sich auf seinen realistischen,
pragmatischen, vom Kaufmanntum geleiteten Geist. Nur so konnte der Luxus ja erst
entstehen.1183
Dass die Gratwanderung zwischen Anpassung und Eigenheit wie in Ancona an der sozialen
Stellung und an modischen und kulturellen Kennzeichen der Zugewanderten abzulesen war,
bewiesen Fälle in Livorno. Die jüdischen Neuankömmlinge hielten in der Diaspora an ihrer
Lebensweise fest. Sie kleideten sich modisch, benahmen sich als Personen von Rang und
trugen Perücken. Sie galten als Pioniere der Assimilation und wurden in Livorno vom
Dominikanerpater Jean Baptiste Labat als prunkliebende Menschen beschrieben, die vor
allem an Hochzeiten Aufsehen erregten.1184
Der in Kopenhagen geborene jüdische Aufklärer Isaac Euchel (1756-1804) bewunderte in den
1780er Jahren, wie die livornesischen Juden Sprache, Bekleidung und Verhalten von den
Einheimischen übernommen hatten und mit welcher Sicherheit und Wertschätzung sie in der
Hafenstadt lebten. Er sah keinen Unterschied in der Kleidung der jüdischen und der übrigen
Bevölkerung. Die Juden verständigten sich eloquent und korrekt in der dortigen Sprache. Sie
konnten jeder Beschäftigung und jedem Geschäft nachgehen, wie es ihnen beliebte. Euchel
1181
Mordenti: Vita quotidiana, S. 402f.
Mordenti: Vita quotidiana, S. 405f.
1183
Mordenti: Vita quotidiana, S. 406.
1184
Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, S. 115f.
1182
257
war stolz zu beobachten, wie sicher sich seine Glaubensbrüder unter Nichtjuden entfalten
konnten.1185
Otto Speyer erlebte und beobachtete die kosmopolitische Seite der Stadt Livorno, wobei er
jeder Nationalität ein ihr eigenes Charakteristikum zuschrieb. Der Armenier wirkte ernst, der
Türke galt als gravitätisch, der Albaner schien kräftig zu sein, ein malerisches Kostüme
tragend, der Grieche sei eitel, zudem sehe er wie eine Frau aus und die Orientalen sassen
Kaffee schlürfend und Pfeife rauchend im Café. Diese Beobachtungen geschahen vor dem
Hintergrund einer sich abzeichnenden Rauferei zwischen zwei englischen Matrosen.1186
Die multilinguale Gesellschaft der beiden Hafenstädte verstand sich auf Kaufmannsebene
ohne grössere Probleme. Eine gemeinsame Sprache war die hohe soziale Stellung.
Sprachliche und kulturelle Eigenheiten der Zuwanderer wurden innerhalb der eigenen Gruppe
gefördert, die Verständigung mit den Einheimischen und anderen Volksgruppen funktionierte
geschäftlich. Der gemeinsame kaufmännische Sinn verband, die herkunftsbezogenen
Unterschiede liefen ungestört parallel. Obrigkeitliche und diasporische mental maps erzeugten
eine multikulturelle Gesellschaft, die sich ökonomisch traf, aber ansonsten eher
nebeneinander als miteinander lebte.
9.4 Katholische Abwehrmechanismen
Das friedliche Nebeneinander in Ancona und Livorno von Menschen unterschiedlichster
Herkunft, aber mit gleichen, ökonomischen Interessen wurde durch religiöse Unterschiede
gestört. Dies bekamen nicht nur die Nichtkatholiken unmittelbar und direkt zu spüren. Vor
allem der adriatische Raum, als Pufferzone zwischen der katholischen Apenninhalbinsel und
dem multireligiösen Balkan, war ein umkämpftes Gebiet, wo sich die verschiedenen Kirchen
um Einfluss stritten. Während religiöse Differenzen in Ancona (und Livorno) durch
Handelsinteressen
gemildert
werden
konnten,
versuchten
die
Päpste
in
anderen
kirchenstaatlichen Städten mittels katholischen Ausbildungszentren die Träger der
zukünftigen, katholischen Rückeroberung des Balkans zu formen. Zugewanderte, reiche
Ungläubige wurden auf dem eigenen Territorium toleriert, doch ihre Glaubensbrüder in der
Heimat waren Ziel der Bekehrung.
1185
1186
Dubin: Researching Port Jews, S. 53f.
Calamai: Livorno, vocali, clear speech.
258
9.4.1 Das collegio illirico
Nach dem Schisma im Jahre 1054 zwischen der römisch-katholischen und der östlichorthodoxen Kirche, der misslungenen Vereinigung 1439 beim Konzil von Florenz und der
rasanten Ausbreitung des Protestantismus und des Islams in Folge der Reformation im
Norden Europas und der Eroberungen osmanischer Truppen im Süden Europas (vor allem
Balkan) sah sich die katholische Kirche gezwungen, seine machtpolitische Stellung in Europa
zu verteidigen. Die Wiederbeschlagnahme des Balkans genoss hohe Priorität.1187
Neben militärischen Rückeroberungen in Form von Kreuzzügen wurde 1580 ein Kollegium
hervorgebracht. Dieses collegio illirico bildete junge Menschen zu Priestern aus. Als Standort
wurde Loreto (nahe Ancona) gewählt, ein Ort mit grossem symbolischem Wert. Schon seit
langer Zeit galt die dortige Wallfahrtskirche als Bollwerk gegen den Protestantismus und den
Islam. Bei dieser Identifikation halfen die Jesuiten kräftig als Missionare mit.1188 Zudem war
die heimische Kasse durch Almosen und Spenden gut gefüllt und Loreto lag geographisch
günstig, das heisst noch auf kirchenstaatlichem Boden, aber gleichzeitig nahe zu den vom
Islam gefährdeten Gebieten auf dem Balkan.1189 Von hier aus sollte der Kult von Loreto vor
allem nach Osten verbreitet werden.
Die konkrete Bedrohung durch die Verbreitung protestantischer Bücher in slawischer,
griechischer und armenischer Sprache und die Verfolgungen durch die Osmanen erwies sich
als schwerwiegend, weil die katholische Kirche in den bedrohten Gebieten auf dem Balkan
keine Priester stellen konnte. Die Kontrahenten blieben zudem keineswegs inaktiv. Einerseits
plante der Bischof von Koper (Slowenien) Pier Paolo Vergerio die Verbreitung des
Luthertums auf dem Balkan. Dazu gehörten Neuveröffentlichungen und Übersetzungen von
Lobeshymnen, Verteidigungsschriften und der Bibel in slowenischer, kroatischer und
italienischer Sprache sowie einige Publikationen in kyrillischer und glagolitischer Schrift.1190
Andererseits reichte der lange Schatten Istanbuls bis weit in den Norden. Es ist deshalb nicht
verwunderlich, dass die Konversionen zum Islam zunahmen und nicht verhindert werden
konnten. Während sich im 15. und 16. Jahrhundert vorwiegend häretische Bogomilen und
Adlige dem Islam zuwandten, um ihre Ländereien und ihre Macht zu behalten, verliess im 16.
und 17. Jahrhundert das einfache Volk zunehmend die katholische Kirche. Dieser Weg wurde
eingeschlagen, um die schlechten Lebensbedingungen hinter sich zu lassen. Die muslimischen
1187
Marco Moroni: I collegi illirici delle Marche e la penisola balcanica in età moderna. In: Adriatico. Un mare
di storia, arte, cultura. Hg. von Bonita Cleri. Ripatransone 2000, S. 183f.
1188
Bekannte Jesuiten waren Nicolò Bobadilla, Mancinelli und der Händler Marino Temparizza. Seit Mitte des
16. Jahrhunderts sorgten sie dafür, dass die religiöse Verbindung Marken-Balkan aufrecht gehalten werden
konnte. Moroni: Le Marche e la penisola balcanica, S. 205f.
1189
Moroni: I collegi illirici, S. 185f.
1190
Moroni: Le Marche e la penisola balcanica, S. 203.
259
Herrscher zeigten zwar eine gewisse Großzügigkeit für die Selbstverwaltung der christlichen
und der anderen religiösen Gruppen, was die Religion, die Familie, die Ausbildung und die
Fürsorge betraf. Doch die Steuerpolitik, die die Muslime gegenüber den dhimmi
(Nichtmuslime) stark bevorteilte, drängte viele Personen zur Konversion.1191 1582 schrieb der
ragusanische Händler Marco Temparizza an die Kirche, dass die balkanischen Völker
unbedingt Hilfe und spirituelle Leitfäden bräuchten, damit der katholische Glauben bewahrt
werden konnte.1192
Das dafür bestimmte Kollegium wurde 1593 nach Rom verlegt, weil Loreto und das Gebiet
der Marken während der Hungersnot 1591 schwierige wirtschaftliche Zeiten durchmachte.
Doch schon bald – nach intensiver inhaltlicher und grundsätzlicher Debatte – kehrte die
Institution
1624
nach
Loreto
zurück.
So
wurde
sie
endgültig
zum
wahren
Ausbildungszentrum für den balkanischen Klerus.1193
Ab 1627 arbeitete das Kollegium eng mit der Congregazione de Propoganda Fide zusammen,
die 1622 in Rom von Papst Gregor XV mit dem Ziel der Versöhnung der katholischen mit der
protestantischen und der orthodoxen Kirche sowie der stetigen Förderung der Missionierung
erschaffen wurde. Während die orthodoxe Kirche die katholischen Missionsbestrebungen auf
dem Balkan zu verhindern versuchte, zeigten sich die Osmanen offener und großmütiger.1194
Während der Arbeit des Kollegiums fehlte es nie an Diskussionspunkten. Die Sprachenfrage
führte dazu, dass 1604 in Rom ein Buch zur slawischen Sprachenlehre herausgegeben wurde.
Dies schuf ein Bewusstsein für verlegerische Aktivitäten, nicht nur in Rom, sondern auch in
Venedig, Loreto und Ancona. Temparizza hatte vergeblich versucht, die Sprachenvielfalt
institutionell zu fördern. Es genügte ihm nicht, dass im Kollegium auf dalmatinisch studiert
und gelehrt wurde. Da im selben Gebiet auch türkisch, vlachisch und albanisch gesprochen
wurde, sollten auch diesen Sprachen mehr Beachtung geschenkt werden. Um dies zu
verwirklichen, schlug er vor, das Kollegium nach Ragusa zu transferieren, da dort durch die
umfangreichen Handelskontakte diese Sprachen einen Eingang in das städtische Leben
gefunden hätten.1195
Auch die Zulassungsbestimmungen für die Schüler und deren Herkunft sorgten für
Gesprächsstoff. Eigentlich mussten die Kandidaten mindestens 20 Jahre alt sein und Lesen
1191
Um 1520 machten die Muslime etwa 19% der balkanischen Bevölkerung aus, die Juden etwa 1% und die
Christen 80%. Die anatolischen Muslime lebten hauptsächlich in den urbanen Zentren. Nach der Mitte des 16.
Jahrhunderts nahm die Islamisierung schnell zu. Dabei konnte ein religiöser Synkretismus festgestellt werden.
Trotz Konversion wurden die Kinder getauft und christliche Feste gefeiert. Moroni: Le Marche e la penisola
balcanica, S. 204.
1192
Moroni: I collegi illirici, S. 190f.
1193
Moroni: I collegi illirici, S. 192f.
1194
Moroni: Rapporti culturali, S. 198f.
1195
Moroni: I collegi illirici, S. 194f.
260
und Schreiben können. Doch in der Praxis wurden die Normen nicht sehr rigide eingehalten.
Eine bestimmte Anzahl Ausbildungsplätze wurde für die einzelnen Personengruppen
(Dalmatiner, unter osmanischer Herrschaft Lebende, Bulgaren, Kroaten, Albaner)
freigehalten.1196
Das Kollegium in Loreto war nicht das Einzige dieser Art in der Region. 1663 wurde eine
ähnliche Anstalt in Fermo (Marken) errichtet. Nachdem der Vorschlag, ein zweites Kollegium
in Ragusa aufzubauen, vom Tisch war, kam die Stunde von Fermo. Der Bischof von Ragusa
musste sein Projekt zurückziehen, da die politische Autorität Ragusas Vergeltungsanschläge
seitens der Osmanen befürchtete. In Fermo wurden die Sprachenlehre, die Philosophie und
die Theologie gelehrt.1197
In Loreto und Fermo gingen in zwei Jahrhunderten um die 1'000 Auszubildende zur Schule.
Viele der Absolventen, auch diejenigen aus Rom, kehrten nach der priesterlichen Erziehung
zurück in ihr Ursprungsgebiet. Die meisten unter ihnen kamen von Dalmatien, viele Andere
aus osmanischen Gegenden des Balkans, von Bulgarien über Albanien bis in die Türkei und
Armenien. Nicht wenige stammten aus Familien der lokalen Elite. Es gelang die Ausbildung
einer grossen Anzahl Priester, die sich danach anstrengten, die Verbindung zwischen der
römischen Kirche und der balkanischen Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Religiös ging es
darum, das Verschwinden des Katholizismus zu verhindern, kulturell war das Kollegium
dafür verantwortlich, die (katholischen) Eliten der Kultur auf der Balkanhalbinsel
hervorzubringen. Doch auch die stetige Ausbildung kirchlicher Würdenträger, namentlich der
Bischöfe, wurde gewährleistet. Die missionarische Betriebsamkeit war stets mit kultureller
Vermittlung verknüpft. Neben der Verbreitung theologischer Bücher und frommer Texte
investierten sie Zeit in die Publikation literarischer und wissenschaftlicher Werke, wie etwa
ein Grammatiklehrbuch oder ein Mathematikhandbuch. Überall in den Marken, auch in
Ancona, wurden Lektüren für die Menschen auf der gegenüberliegenden Adriaküste und die
Gebiete dahinter gedruckt.1198
Persönlichkeiten, die aus der Schule in Loreto und Fermo rauskamen, engagierten sich unter
anderem in der Lexikographie (Lateinisch-Epirotisch), in der Übersetzung vom Lateinischen
ins Kroatische (und Kyrillische), im Umlaufbringen von Büchern (Sammlung von Gebeten),
in der Eröffnung neuer Schulen oder sie verfassten eigene Werke (Grammatikbücher,
Biographien).1199
1196
Moroni: I collegi illirici, S. 196f.
Moroni: I collegi illirici, S. 199f.
1198
Moroni: I collegi illirici, S. 201f.
1199
Moroni: Rapporti culturali, S. 200.
1197
261
Sicherlich existierten schon vor dem collegio illirico Brücken aller Art über die Adria. Mit
den wirtschaftlichen Erfolgen, vor allem der ragusaner Kaufmannselite in Ancona, wurden
Grundsteine gelegt, dass diese bestehen blieben. Der ragusanische Händler Marino Gondola
vermachte den Jesuiten eine beträchtliche Spende, so dass gegen Mitte des 17. Jahrhunderts
auch in Ragusa ein Jesuitenkollegium eröffnet werden konnte. Die Früchte der Arbeit der
Kollegien in Ragusa und Loreto bzw. Fermo konnten sich bald sehen lassen. Nicht nur in
Dalmatien, auch in Bosnien, Bulgarien und Albanien wurde die Mission vorangetrieben und
neue Schulen errichtet. Dabei trafen sie auf Widerstand der muslimischen, der orthodoxen
und der franziskanischen Kirche. Vor allem in Albanien konnte die Islamisierung nicht
aufgehalten werden.1200
Das collegio illirico arbeitete noch lange Zeit. Erst 1860, kurz nach der Schlacht von
Castelfidardo (italienischer Unabhängigkeitskrieg, Risorgimento), wurden die Tore endgültig
verschlossen. Fermo schloss bereits 1746.1201
Diese katholische Institution ist das Resultat der mentalen Landkarten der Päpste, die nur im
Katholizismus den richtigen Weg sahen. Andersgläubige wurden nur dann toleriert, wenn
wirtschaftliche Interessen überwogen, was in Ancona durchaus der Fall war. Katholische
Händler beteiligten sich am katholischen Eifer.
9.4.2 Das Pilgerwesen
Das collegio war die Erziehungsinstitution, das Pilgerwesen die Auslebung des katholischen
Glaubens im Adriagebiet. Neben Jerusalem und Rom kristallisierte sich im 15. Jahrhundert
Loreto als weitere Pilgerstation heraus. Als Folge der steigenden Präsenz der balkanischen
Immigranten (Slawen, Morlaken und Albaner) an der Küste der Marken, die sich in
Bruderschaften sammelten, und durch die konstanten Harmonien mit Rom und Assisi wurde
Loreto für das transadriatische Pilgerwesen immer belangreicher. Neben ganz gewöhnlichen
und einfachen Menschen, darunter vor allem Handwerker, suchten Adlige Loreto auf. Es wäre
zudem falsch anzunehmen, dass die Pilger nur von der dalmatinischen Küste nach Westen
pilgerten. Es tauchten gleichermaßen Reisende aus der orthodoxen Welt (Serbien und
Montenegro) auf, wie etwa 1479 der adlige Montenegriner Ivan Cernojevic. Nach ihm folgten
weitere illustre Gäste aus dem Balkan, einige von ihnen waren bedeutende Persönlichkeiten,
1200
1201
Moroni: Le Marche e la penisola balcanica, S. 210f.
Moroni: I collegi illirici, S. 202.
262
wie zum Beispiel Bernardo Frankopan, der Graf aus Senj, andere gehörten zur
bescheideneren, lokalen Adelsschicht.1202
Quantitative Angaben über die Pilger sind kaum zu eruieren, es fehlen die Daten. Über die
Menge der Almosen lässt sich einiges erahnen, aber nichts genau bestimmen. Zwischen 1550
und 1650 verzeichnete Loreto genau wie Rom demnach die grössten Almoseneinnahmen,
hatte also die meisten Pilger. Mit Sicherheit kann festgestellt werden, dass der Erfolg Loretos
eine Folge des Konzils von Trient war. Die Antwort der katholischen Kirche auf die
Reformation und die Ankunft der Jesuiten 1554 stärkten das katholische System, wie es
Loreto, Nummer zwei in der Hierarchie, nach Rom, repräsentierte.1203
Schwierig ist auch die Bestimmung der Herkunft der Pilger. Quellen aus dem Wallfahrtsspital
und weitere Angaben von Historikern sagen aus, dass im 18. Jahrhundert die Deutschen (aus
Österreich, Bayern, Schwaben, Böhmen, Mähren, Schlesien, Ungarn), die Franzosen, die
Illyrer, die Flamen, die Spanier und die Polen am zahlreichsten waren. Albanische Händler
besuchten gewöhnlich während der Messe von Senigallia die Wallfahrtskirche. Eine enge
Verbindung bestand daneben zu Fiume und dessen Stadtteil Tersatto. Wie Loreto genoss
diese Ortschaft ein hohes Ansehen als antiosmanische Festung. Pilger aus Rab (Dalmatien)
zog es in die Kirche Santa Maria in Loreto oder in das gleichnamige Gotteshaus in Fiume.
Die gemeinsame Funktion verband die Orte, ohne hierarchisch zu wirken. Die kleine Kirche
im Osten war dem grossen Mutterhaus auf der Apenninhalbinsel nicht untergeben.1204
Zu Ragusa waren die Bezüge nicht minder intensiv. Seit dem ersten Vertrag zwischen Ragusa
und Ancona aus dem Jahre 1199 dehnten sich die transadriatischen Kontakte kontinuierlich
aus. Ragusa, einen Tribut an den osmanischen Sultan zahlend, genoss grosse Autonomie und
kommerzielle Vorzüge. Folglich begannen die ragusanischen Kaufleute, aus Bosnien
vertrieben, weite Gebiete des balkanischen Hinterlandes (unter anderem Belgrad und Sofia)
wirtschaftlich, aber auch kulturell und religiös zu prägen. Den Händlern folgten nicht selten
Missionare. Jede ragusanische Kolonie, selbst wenn sie nur wenige dutzende Personen
umfasste, besass eine eigene Kapelle, wohin eigene katholische Priester berufen wurden. In
Ragusa selber arbeiteten dank den engen Verbindungen zu den Zentren der Adriawestküste
und zu Rom immer italienische Bischöfe. Zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert kamen
sie oft aus den Marken.1205
1202
Moroni: Rapporti culturali, S. 183f.
Moroni: Rapporti culturali, S. 186f.
1204
Moroni: Rapporti culturali, S. 190f.
1205
Moroni: Rapporti culturali, S. 194.
1203
263
In diesem Klima ist es nicht verwunderlich, dass Ragusaner auch zu Loreto mental und real
verbunden waren. Reiche Geschäftsmänner hinterliessen der Kirche in Loreto testamentarisch
viel Geld und die ragusanischen Händler und Seeleute, die mit Ancona Handel trieben,
begaben sich für gewöhnlich mit der ganzen Schiffsbesatzung nach Loreto, wobei einige
unter ihnen mehr an den Gasthöfen als an der Wallfahrtskirche interessiert waren. Seriöser
waren die Sympathiebekundungen der ragusanischen Adligen, etwa der Familie Gondola, die
reichlich Geld nach Loreto vererbte. Die Nähe Ragusas zu Loreto – beginnend im 16.
Jahrhundert, intensiviert im 17. Jahrhundert – zeigte sich auch in den Namen der
ragusanischen Schiffe. Als Beispiel sei hier erwähnt: Santo Spirito e Santa Maria di Loreto.
Die Verbreitung von Bruderschaften, Altären, Kapellen und Kirchen in der Diözese Ragusa
und deren Umgebung, die der Madonna oder der Santa Casa von Loreto gewidmet wurden,
war ebenfalls beträchtlich. In die gleiche Richtung laufen die Publikationen von Büchern aus
Loreto und die aktive seelsorgerische Tätigkeit von Bischöfen, die sich in Loreto ausbilden
liessen und sich dementsprechend verpflichtet fühlten, die dortige Lehre zu verteidigen.1206
Die höchste Konzentration der Einflüsse aus Loreto gab es – wie vorher angedeutet – entlang
der adriatischen Ostküste. Weniger auffällig waren die Spuren im balkanischen Hinterland
und in der Levante. Doch nicht nur in Ragusa und Tersatto, sondern auch auf Malta, auf
Naxos (Griechenland) und in Istanbul fanden sich vereinzelt Kapellen nach dem Vorbild
Loretos. Ihre spärliche Anzahl im Binnengebiet lässt sich daraus erklären, dass dort die
Islamisierung schon weit fortgeschritten war. Gegen diese wehrte sich der Bischof Pietro
Bogdani (geboren 1625 im Kosovo): Er studierte in Rom, wurde zum Priester in Loreto,
kehrte dann zurück in seine alte Heimat, arbeitete in Shkodra (Albanien), wo er sich für die
Übersetzung wichtiger Werke ins Albanische einsetzte, eröffnete Schulen, wurde nach Skopje
versetzt, wo er sich mit orthodoxen und muslimischen Herrschaftsansprüchen konfrontiert
sah, flüchtete nach Venedig und Padua und starb schliesslich an den Folgen der Pest. Bogdani
war eine emblematische Figur für einen Abgänger des collegio illirico (in Loreto oder Fermo)
in der Gesellschaft und der Kultur des Balkans im 17. und 18. Jahrhundert.1207
Das Pilgerwesen in und um Loreto ist als eine Form der Zugehörigkeit zu sehen. Es wurde
versucht, den Balkan religionspolitisch wieder näher an Rom zu bringen. Die Allianz
zwischen Loreto als Katholizismuszentrum und katholischen Kaufleuten vom Balkan, vor
allem aus Ragusa, als Pilger und Geldgeber, diente diesem Ziel. Sie war stark und
wirkungsvoll. Mentale Landkarten der Raumgestaltung trafen sich hier – katholische
1206
1207
Moroni: Rapporti culturali, S. 195f., 202.
Moroni: Rapporti culturali, S. 202f.
264
Kompetenzen und kaufmännische Stärken wurden harmonisiert. Die katholische Kirche
wollte sich auf dem Balkan durchsetzen, wobei ihr die Händler halfen. Die Händler wiederum
wollten sich im Kirchenstaat integrieren, wobei sie auf die katholische Kirche als
Machtzentrale angewiesen waren.
265
10. Fazit
Diese Studie hat Ancona und Livorno als Modelle einer florierenden Hafenstadt dargestellt.
In einer Langzeitperspektive wurden die beiden Städte miteinander verglichen. Das
kirchenstaatliche Ancona stand neben dem toskanischen Livorno. Die Gäste, die
diasporischen Kaufleute, interagierten mit den Gastgebern, den Päpsten respektive den
Medici. Die Modellvorstellungen der beiden Akteurgruppen über ihre Hafen- und
Handelsstadt wurden nebeneinander gestellt und zeitlich verfolgt. Alle Vergleiche ergaben
Reibungen, Kritik und Widerstand. Daraus entstanden soziale Dynamiken, Bewegungen und
Veränderungen.1208
Die Auswertung und Interpretation der verwendeten Quellen und Fachliteratur erlaubt eine
eigene Perspektive auf die Geschichte Anconas und Livornos: Die Fokussierung auf
Kaufleute jedwelcher Herkunft und Religion und ihr Umgang mit den öffentlichen
Institutionen vor Ort ermöglicht diverse Themenfelder anzuschneiden. Die reichen
Geschäftsleute mit ihren weit verzweigten Familiennetzwerken gestalteten die politischen,
wirtschaftlichen, kulturellen, religiösen und sozialen Strukturen der beiden Städte mit. Die
langansässigen Herrschaftseliten nahmen diese von ihnen gewollte und verursachte
Herausforderung auf. Angetrieben von Gefühlen, Ideen, Zukunftsvorstellungen und
Wünschen, die nicht nur individuell und flüchtig, sondern vor allem relational und ansteckend
waren, was ihnen eine soziale Handlungsmacht verlieh, führten kaufmännische und
obrigkeitliche Taten eine kontroverse Entwicklung von Ancona und Livorno an.1209 Die aus
diesen Handlungen erkennbaren Raumwahrnehmungen sind in religiösen Belangen nicht
selten divergierende und in wirtschaftlicher Hinsicht meist konvergierende Modelle einer
florierenden Hafenstadt. Diese imaginierten Abbildungen der Umwelt fussten auf bestimmten
Voraussetzungen,
nahmen
mannigfache
Gestalten
an
und
hatten
weit
reichende
Konsequenzen.
Das Umfeld von Ancona und Livorno: Der Mittelmeerraum und die mobilen Händler
Der Einstieg anhand der Voraussetzungen, auf welchen Ancona und Livorno als Modelle der
florierenden Hafenstadt wachsen konnten, vermochte zu zeigen, dass der Modellcharakter der
beiden Städte kontextbezogen betrachtet werden muss. Drei kontextuelle Faktoren sind
auszumachen: Erstens war ein wirtschaftlich dynamisches und produktives mediterranes
1208
1209
Frevert: Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen, S. 207.
Frevert: Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen, S. 197.
266
Umfeld nötig, damit Städte ohne bedeutende Produktionsstätten, wie Ancona und Livorno,
überhaupt in das Handelswesen einsteigen konnten. Zweitens griffen Ancona und Livorno auf
bereits bestehende mediterrane Handelsnetzwerke zurück, indem sie fremde Kaufleute mit
umfassenden familiären und geschäftlichen Kontakten für sich einspannten. Drittens waren
Ancona und Livorno politisch relativ schwach. Das heisst, wirtschaftspolitische
Entscheidungen waren meist Antworten auf grosse Ereignisse im Umfeld. Die Grossmächte
im Mittelmeerraum von Spanien und Frankreich über England bis zum Osmanischen Reich
und Russland agierten, während Kleinstaaten wie die Toskana und der Kirchenstaat
reagierten.
Das Modell der florierenden Hafenstadt in Form eines Freihafens wurde in Livorno erfunden
und nicht nur von Ancona kopiert.1210 Die beiden Städte suchten sich so ihren Weg in einem
Umfeld, in dem der von kaufmännischen Diasporagruppen dominierte Handel grosse
Erfolgsaussichten versprach.
Die ideale Hafenstadt: Pulsierende Wirtschaftsmetropole und religiöse Anpassungen
Sowohl die lokale Obrigkeit in Ancona/Rom und Livorno/Florenz als auch die diasporischen
Händler trugen die Ideen der florierenden Hafenstadt. Bei der Umsetzung kamen Divergenzen
und Konvergenzen zum Vorschein.
Obrigkeitliche Vorstellungen der idealen Hafenstadt basierten auf wirtschaftlichen Freiheiten
und Begünstigungen unter Einbezug religiöser Annehmlichkeiten. Die Livornina gilt als
Musterbeispiel, wie fremde Kaufleute mit Steuer- und Zollgeschenken angelockt wurden.
Religiöse Freizügigkeiten waren explizit an Juden gerichtet.
Kaufmännische Vorstellungen über die neue Heimat in der Diaspora drehten sich um
wirtschaftliche Möglichkeiten, kulturelle und soziale Entfaltungen, religiöses Wohlbefinden
und existenzielle Stabilitäten. Ob von nah oder fern, Kaufleute suchten in Ancona und
Livorno Verdienstmöglichkeiten. Am besten gelang dies den Ragusanern in Ancona und den
Juden in Livorno. Während Erstere keine kulturellen und religiösen Differenzen überwinden
mussten, gelang es der jüdischen Nation in Livorno dank wirtschaftlichem Eifer religiöse
Unterschiede in den Hintergrund zu drängen. Vereinzelt schafften es auch Persönlichkeiten
nicht jüdischer und nicht katholischer Gemeinschaften, durch wirtschaftliches Engagement
Respekt und Ansehen zu gewinnen. Kulturelle und soziale Aktivitäten verstärkten den
Einfluss der Neuzugezogenen auf das Stadtleben und entsprachen ihrem Bedürfnis, sich
1210
Giuliano Procacci: Geschichte Italiens und der Italiener. München 1989, S. 188.
267
einerseits in der Fremde heimisch zu fühlen, sich andererseits aber ihren Wurzeln, etwa
armenisch oder griechisch, bewusst zu bleiben. Das religiöse Wohlergehen war neben dem
Einkommen und dem kulturellen und sozialen Status der dritte Eckpfeiler einer von den
Zugewanderten definierten florierenden Hafenstadt. Katholiken in beiden Städten und Juden
in Livorno stiessen kaum auf religiöse Anfeindungen. Reibungsflächen öffneten sich bei
anderen Gemeinschaften. Die Interaktion zwischen Gastgeber und Gast lief nicht immer
konfliktfrei ab. Das Modell der florierenden Hafenstadt war wirtschaftlich unumstritten. Doch
mit den Kaufleuten kamen nicht nur Geschäftsleute, sondern auch religiöse Menschen nach
Ancona und Livorno. Protestanten, Griechisch-Orthodoxe und Juden in Ancona mussten
lange um ihre Rechte kämpfen. Der Weg dorthin war von Konflikten und Kompromissen
geprägt. Unterstützung fanden die Händler in ihren Nationen und Bruderschaften, die lange
gewerkschaftlich organisiert waren, im Lauf der Zeit aber immer mehr an Bedeutung
verloren. War der Konsul im 16. und 17. Jahrhundert noch der Vertreter der Kaufleute, wurde
er im 18. Jahrhundert der Repräsentant der Regierung, ohne grossen Bezug zur Bevölkerung
vor Ort.
Das Modell der florierenden Hafenstadt war eine (wirtschafts)politische Idee der Machthaber
und eine wirtschaftliche Idee der Kaufleute. Diese Vorstellungen trafen sich in Ancona und
Livorno. Das wirtschaftliche Leben verlief demzufolge harmonisch. Andere Lebensbereiche
waren konfliktreicher. Vor allem religiöse Unterschiede verlangten nach Kompromissen und
gegenseitigem Entgegenkommen, was nicht immer gelang. Einige Male wurden
Andersgläubige diskriminiert, verhaftet, enteignet und ermordet.
Die Folgen der Umsetzung der Modelle: Komplexe städtische Strukturen in Ancona und
Livorno
Die Auswirkungen der Umsetzung der obrigkeitlichen und kaufmännischen Gedanken zur
modellhaften florierenden Hafenstadt beschliessen die Arbeit. Das erste und am besten
sichtbare Resultat der Interaktion zwischen Regierung und Handelselite sind die veränderten
Stadtbilder. Eine funktionale, auf den Handel und seine Nebenwirkungen (Epidemien)
ausgerichtete Infrastruktur bestimmte die beiden Ortschaften. Neue Strassen, Brücken,
Geschäfts-, Wohn-, Lager- und Gotteshäuser sowie erneuerte Hafenanlagen verhalfen
Livorno schnell zur Entwicklung von einem einige Hundert Einwohner umfassenden Dorf zu
einer Stadt mit mehreren Tausend Bewohnern. Ancona erfuhr durch Hafenmolen, Lazarette,
Schulen und Spitäler ebenfalls eine architektonische Aufwertung, die meist im Dienste der
268
Handelsinteressen stand. Diese offensichtlichen Veränderungen fielen zahlreichen Besuchern
auf. Sie urteilten sehr unterschiedlich über die wirtschaftliche Ausrichtung der beiden Städte.
Was einige als konsequent und erfolgsversprechend lobten, missbilligten andere als
mangelhaft und langweilig. Ancona und Livorno wirkten polarisierend.
Nicht nur die bebaute Beschaffenheit der Städte veränderte sich durch die von Kaufleuten und
städtischen respektive regionalen Machthabern getragene wirtschaftliche Ausrichtung auf den
Handel. Das Modell der florierenden Hafenstadt konnte nur aufrechterhalten bleiben, wenn
die vom Ausland nach Ancona und Livorno geholten Fachkräfte auch längerfristig dort
blieben und ihr Kapital, ihr Wissen und ihre Investitionen lokal einsetzten. Der Grat zwischen
Integration und Ausschluss war schmal. In Ancona konnte man sich mit Geld integrieren. Die
erkaufte Anerkennung löste auch religiöse Spannungen. Kaum anders war die Situation in
Livorno, wobei aber an der Tyrrhenischen Küste die Integration nicht so einseitig von den
Kaufleuten vorangetrieben wurde. Zwar ermöglichte auch hier vor allem der Reichtum,
politisch mitzureden und sich sozial einzufügen, doch war die religiöse Toleranz bei den
Medici ausgeprägter als bei den Päpsten.
Eine dritte Konsequenz aus den umgesetzten Ideen der Modellhafenstadt war die sprachliche
und die kulturelle Vielfalt der Zugewanderten, ohne dass dabei die Verständigung mit der
lokalen Gesellschaft vernachlässigt worden wäre. Die Bewahrung und Stärkung des Eigenen
ging einher mit der Anerkennung gemeinschaftlicher Normen. Armenische Bücher zu
publizieren und zu lesen, verhinderte nicht, Handelsverträge in der gemeinsamen lingua
franca Italienisch abzuschliessen. Das Geschäft war der gemeinsame Nenner, der miteinander
gelebt wurde, ansonsten aber verliefen die kulturellen Leben eher nebeneinander.
Was wirtschaftlich miteinander und sprachlich, sozial und kulturell nebeneinander
funktionierte, lief in religiösen Fragen nicht selten aneinander vorbei. Als Folge der zugunsten
der Geschäfte tolerierten, aber im Grunde nicht gern gesehenen multireligiösen Gesellschaft
in Ancona und Livorno, wurde die Bedrohung durch das Eindringen von Nichtkatholiken (vor
allem aus dem islamischen Osten, aber auch aus dem protestantischen Norden) in katholische
Gebiete (auf der Apenninhalbinsel) durch die katholische Kirche bekämpft. Die
Priesterausbildungsstätte, das collegio illirico in Loreto und Fermo (nahe Ancona) sowie der
Wallfahrtsort Loreto waren die institutionellen Massnahmen der Kirche, sich kirchenpolitisch
auch mit Hilfe von finanzkräftigen Kaufleuten mächtig zu positionieren. Dem Modell der
florierenden und kosmopolitischen Hafenstadt wurde das Modell einer monoreligiösen
Region entgegengestellt.
269
Die hier untersuchte langfristige Entwicklung zweier Städte zeigte, dass ihr Modellcharakter
in ein politisches und wirtschaftliches, bereits bestehendes System eingebettet werden, dass
die eigenen Ideen der Zukunftsplanung mit diesen Umständen umgehen und dass die
Umsetzung der Vorstellungen in der Zusammenarbeit von politischen mit ökonomischen
Machthabern geschehen musste. Die Modelle Ancona und Livorno existierten nicht nur als
politische, auf Papier gebrachte Ideen. Die obrigkeitlichen Vorstellungen und legislativen
Anreize wurden von den Bewohnern angenommen und gelebt. Der wirtschaftliche Erfolg und
die kosmopolitische Ausstrahlung wurden weit verbreitet wahrgenommen – zeitgenössisch
wie auch im Nachhinein.
„Von allen Kuriositätenläden war unserer (in Gibelet im heutigen Libanon, Anm. d. Verf.)
seit hundert Jahren der am besten ausgestattete und angesehenste im ganzen Orient. Die Leute
kamen von überall her, um uns zu besuchen, aus Marseile, London, Köln, Ancona ebenso wie
aus Smyrna, Kairo und Isfahan.“1211
Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Ancona in dieser prominenten Aufzählung von Städten
mitgeführt wird. Livorno fehlt wohl nur, weil der Autor nicht zwei Orte aus demselben
(heutigen) Staat aufführen wollte. Ancona und Livorno waren modellhafte und zugleich
einzigartige Handelsstädte. Die Einmaligkeit lag in der konkreten Ausgestaltung von Ideen,
wie das Leben in einer Stadt politisch geführt und alltäglich gestaltet werden konnte. Der
Reichtum an Waren, Sprachen, Bauwerken und Religionen war in vielen Städten am
Mittelmeer präsent. Wie neue und alte Ideen umgesetzt wurden, wie diese Vielfalt zustande
kommen konnte, wurde jedoch sehr individuell begangen. Ancona und Livorno machten sich
im 16. Jahrhundert auf den Weg, erfolgreiche Handelsstädte zu werden. Dafür öffneten sie
sich
praktisch
bedingungslos
für
fremde
Zuwanderer.
Diese
Neudefinition
der
Bevölkerungsstruktur, die später infrastrukturell angepasst wurde, zeigte Wirkung.
Geschäftsleute aus allen Himmelsrichtungen kamen. Der von den Obrigkeiten geplante
wirtschaftliche Aufschwung konnte realisiert werden. Mit den Kaufleuten kamen jedoch nicht
nur arbeitende, sondern auch in der Freizeit aktive Menschen. Während die wirtschaftlichen
Vorstellungen von Politik und Privaten dasselbe Ziel der Umsatz- und Gewinnsteigerung
verfolgten, kamen private, vor allem religiöse Projekte der Diasporagruppen nicht immer
wohlwollend bei den weltlichen und kirchlichen Würdenträgern an. Das Erfolgsmodell fiel
1211
Amin Maalouf: Die Reisen des Herrn Baldassare. Frankfurt a. M. 2001, S. 11.
270
zeitweise auseinander, konnte aber meist nach einiger Zeit wieder durch wirtschaftliche
Erfolge zusammengehalten werden.
Wege zur florierenden Hafenstadt gab es viele, Ancona und Livorno haben gezeigt, welchen
sie genommen haben. Viele weitere Freihafenstädte wie Triest, Genua, Nizza, Napoli und
Messina nahmen ähnliche. Ancona und Livorno sind Modelle, wenn auch nicht exklusive,
einer durch finanzielle Anreize geförderten Zuwanderung aufgebauten Handelsstadt, die sehr
rasch wuchs und rasant wirtschaftlich prosperierte, die aber nicht immer in der Lage war,
diesen schnellen Bevölkerungszuwachs und die damit verbundene religiöse Vielfalt zu
verarbeiten.
271
Anhänge
1. La Livornina (Zusammenfassung)
Zusammenfassung (des Verf.) der LIVORNINA (Version 10. Juni 1593) aus:
Collezione degl’ordini municipali di Livorno corredata delli statuti delle sicurtà e delle piu‘
importanti rubriche delli statute di mercanzia di Firenze. Hg. von Carlo Giorgi. Livorno 1798,
S. 237-256
und
Treflicher Zustand der Juden in Toskana. In: Ephemeriden der Menschheit, oder Bibliothek
der Sittenlehre, der Politik und der Gesetzgebung 2 (1786), S. 120-127, S. 209-222.
A. Präambel
B. Artikel 1 – 44
1. Niederlassungsrecht.
2. Schutz vor Denunzierung und Anklagen.
3. Schutz vor Inquisition; Recht auf eigene Zeremonien, Vorschriften, Riten, Gebräuche,
Gebote und Sitten der jüdischen Gesetze; Verbot von Wucher.
4. Schutz vor Strafverfolgung für Menschen und Waren von Taten (Schulden und
Verbrechen), die ausserhalb der Toskana und vor der Ankunft in der Selben begangen
wurden.
5. Befreiung von Register- und Katastereintrag, Steuern und Zöllen, ausser den normalen
Zöllen.
6. Handelsfreiheit mit allen Gebieten (Levante, Ponente, Barberia, Alessandria);
Unterstützung durch toskanische Galeeren; Wohnsitz Livorno oder Pisa als Pflicht.
7. Möglichkeit, die Zollhäuser ein Jahr länger als üblich zu benutzen.
8. Möglichkeit, Vorschüsse (eine Art staatliches Darlehen) zu erhalten.
9. Werkzeuge, Hausrat, Schmuck, Perlen, Gold, Silber und andere Sachen werden bei
der Ein- und Ausfuhr nicht besteuert.
10. Es wird ein weltlicher Richter eingestellt, der die zivilen und öffentlichen Prozesse
führt.
11. Bei Mischehen mit Christen und Muslimen (Türken und Mauren) erfolgt die
Bestrafung nur von diesem Richter.
12. Wenn jemand zu Unrecht angeklagt wurde, so muss der Ankläger als Verleumder
bestraft werden, damit er nie wieder Unschuldige anklagt.
272
13. Falls jemand bankrott geht und seine Schulden nicht mehr bezahlen kann, so sollen die
Waren und Wechselbriefe seiner Korrespondenten und Kommittenten nicht
beschlagnahmt oder aufgehalten werden.
14. Die Mitgift der Frauen soll nicht speziell besteuert werden.
15. Die Beschlagnahmung von Waren muss innerhalb eines Monates begründet und die
Schulden bewiesen werden, ansonsten ist die Beschlagnahme unrechtens.
16. Das Recht, bei Schiffsunglücken das Versicherungsgeld zu bekommen (Rechtsschutz).
17. Das Recht, Bücher aller Art zu besitzen, egal in welcher Sprache (Version 1591:
Inquisitor musste die Bücher beglaubigen).
18. Jüdische Ärzte und Chirurgen dürfen frei arbeiten, sie dürfen auch Christen
behandeln.
19. Das Recht, zu studieren und zu promovieren.
20. Das Recht auf eine Synagoge, wo die Zeremonien abgehalten werden können.
Niemand darf diese mit Worten und Taten stören. Kein Christ darf zu diesem
Gottesdienst überredet werden, ansonsten erfolgt eine Bestrafung.
21. Das Recht, die Erbschaft frei zu verteilen. Wenn kein Testament und keine Erben
vorhanden sind, geht das Erbe an die Synagoge. Das Erbe wird nicht besteuert.
22. Alle Kauf- und Verkaufverträge innerhalb des Staates Toskana sind erst gültig, wenn
sie schriftlich festgehalten und mit Unterschrift des Käufers und des Verkäufers
versehen sind.
23. Die Handelsbücher müssen sorgfältig und genau geführt werden, genauso wie bei
allen anderen Kaufleuten, genauso wie bisher üblich und genauso wie es der Richter
vorschreibt.
24. An christlichen und an jüdischen Festtagen (Sabbat und andere Feste) kann nichts
gegen oder für die Juden unternommen werden.
25. Die jüdischen Vorgesetzten (Massari) dürfen Richter sein in innerjüdischen
Angelegenheiten. Sie dürfen auch „skandalöse“ Juden ausweisen.
26. Kein Christ darf einen Juden unter 13 Jahren vom Judentum wegnehmen und ihn
überreden, sich taufen lassen. Erwachsene können getauft werden.
27. Sklaven von Juden können nicht frei werden, ausser wenn es die Juden so wollen.
28. Die Schlächter dürfen keine höheren Fleischpreise bei Juden verlangen. Die Juden
dürfen jüdische Schlächter annehmen und sie müssen beim Fleischimport keine
speziellen Zölle bezahlen.
273
29. Juden bekommen die gleichen Privilegien und Freiheiten wie die christlichen Händler
in Florenz und Pisa. Kein Erkennungszeichen muss getragen werden und sie dürfen
unbewegliche Güter besitzen.
30. Alle Familienoberhäupter dürfen legale Verteidigungswaffen besitzen, nur nicht in
Florenz, Siena und Pistoia.
31. Die Privilegien geniesst nur derjenige, der von den Vorgesetzten der Synagoge und
den Massari anerkannt wurde, in die Kanzleibücher eingetragen wurde, Zweidrittel der
Stimmen der jüdischen Gemeinschaft bekam und sich mit dem Handel oder anderen
Gewerben beschäftigt – ausgenommen sind Trödelhändler.
32. Die Spesen und der Verdienst des Richters müssen die Juden selber bezahlen.
33. Der Polizeihauptmann von Pisa („Bargello“) vollzieht die Befehle des Richters und
der Massari.
34. Alle Zivil- wie auch Kriminalprozesse werden von diesem Richter geführt. Das gilt
für innerjüdische Konflikte, als auch für Streitereien mit Christen und anderen
Nationen.
35. Alle Juden, die von den jüdischen Vorgesetzten (Massari) anerkannt wurden,
geniessen die oben genannten Privilegien im vollen Umfange, wenn sie sich fest in
Livorno oder Pisa niedergelassen haben.
36. Die Privilegien gelten 25 Jahre. Beide Seiten (Kaufleute und Medici) müssen sich an
die Abmachungen halten, auch ihre Nachkommen. Wird der Vertrag nicht fünf Jahre
vor Ablauf der Frist gekündigt, dann läuft er weitere 25 Jahre, und so weiter.
Die eigenen unbeweglichen Güter dürfen frei verkauft, die ausstehenden Kredite in
kurzer Zeit eingelöst und eingetrieben und die eigenen Waren, Geräte des Haushalts,
Juwelen, Gold, Silber und Anderes zollfrei (ausser die üblichen Zölle) ausgeführt
werden. Die Fuhrleute und Kapitäne müssen die Abwanderungswilligen überall
hinbringen und keine überhöhten Preise dafür verlangen.
37. Juden dürfen in Pisa und Livorno Land kaufen, um ihre Toten zu beerdigen. Dabei
dürfen sie nicht gestört werden.
38. Händler aus der Levante und andere Reisende, die in Pisa und Livorno frei ankommen
dürfen mit ihren Waren, erhalten nur von den Massari eine Bürgschaft, wenn sie
Streitigkeiten haben.
39. Die toskanischen Galeeren garantieren für alle Waren der Juden und ihrer
Korrespondenten, die aus dem Orient, dem Okzident, der Barberia oder anderswoher
274
kommen, die freie und sichere Einfahrt in den Hafen Livornos, um die Waren
abzuladen, sogar wenn kein Freibrief vorhanden ist.
40. Juden müssen keine Soldaten aufnehmen und ihnen auch keine Haushaltgeräte,
Pferde, Wagen oder andere Dinge leihen.
41. Niemand darf die Juden belästigen oder ihnen zu nahe treten. Zuwiderhandlungen
werden bestraft.
42. Juden dürfen Christen einstellen, auch Ammen, wie es in Ancona, Rom und Bologna
auch möglich ist. Diese müssen aber frei sein.
43. Die vorliegenden Artikel sollen unversehrt und mit Verstand von den offiziellen
Stellen umgesetzt werden, ohne Wortklauberei und immer zugunsten der Händler.
44. Allen politischen, juristischen, kirchlichen und militärischen Amtspersonen wird
befohlen, dass sie die genannten Bewilligungen, Begünstigungen und Privilegien
beachten und besorgt sind, dass diese beachtet werden. Sie sind unantastbar, auch
nicht von bisherigen Gesetzen, Statuten und Verfügungen, die dagegen sprechen
würden und deshalb nun aufgehoben werden.
C. Schlussbemerkungen und Signatur
275
2. Abkürzungen und Glossar
ASL
Archivio di Stato di Livorno
ASAN
Archivio di Stato di Ancona
Darin enthalten:
A.C.AN
Archivio Storico Comunale di Ancona
A.N.AN
Archivio Notarile di Ancona
Archivio Ferretti
Privatarchiv
v = Vorderseite des Dokuments
h = Hinterseite des Dokuments
Bagno
Strafverbüssungsort für Verbrecher in Italien und Frankreich, die
zur Zwangsarbeit verurteilt wurden.
BCA
Biblioteca Comunale „Luciano Benincasa" di Ancona
British Factory
Interessengemeinschaft von englischen Kaufleuten, um die eigenen
Ziele erreichen und die Konkurrenten in Schach halten zu können.
Bruderschaft
Die Bruderschaft (ital. confraternita) war eine Vereinigung von
Gleichgesinnten, meistens nur Männer, die politische, kulturelle,
soziale oder religiöse Ziele verfolgten.
Dodici
Regierende und beschlussfassende Versammlung (Kongress) der
jüdischen Nation in Livorno. Sie wurde von Händlerfamilien
bestimmt, die aus Spanien stammten. Später wurde diese
oligarchische Versammlung auf 60 Personen aufgestockt. Die
Funktion war vererbbar.
Fondaco
Siehe Karawanserei
Karawanserei
Unterkunft und zum Teil auch Handelsplatz und Warenlager, an
Handelsstrassen oder in grossen Städten, für durch Gebiete Asiens
oder Afrikas ziehende Gruppen von Reisenden, Kaufleuten oder
Forschern. Diese Benennung verwendeten vor allem die Reisenden.
Der Terminus funduq (griechisch und arabisch) war in Ägypten des
13. und 14. Jahrhundert üblich. Viele Handelsstädte im
Mittelmeerraum, etwa Venedig oder Genua, besassen solche
fondacos (italienisch) für die Unterbringung der ausländischen
Kaufleute. Der Begriff khan, oft auch kan oder han geschrieben
(persisch) wurde oft im persischen und osmanischen Raum
gebraucht.
Konsul
Der Konsul in der Frühen Neuzeit kann nicht mit einem heutigen
Konsul verglichen werden. Der damalige Konsul war ein
Fachvertreter, der die Kaufleute vor Ort wirtschaftlich unterstützte
und ihnen sprachlich zur Seite stand. Sie waren nicht die
politischen Repräsentanten der Heimatregierung.
276
Livornina
Verfassungsurkunden vom 30. Juli 1591 und 10. Juni 1593,
erlassen vom toskanischen Grossherzog Ferdinando I. Darin lädt er
Händler aus aller Welt, unabhängig welcher Religion, Nation oder
Rasse sie angehören, ein, sich in Livorno niederzulassen und aktiv
am Handel teilzunehmen.
Massari
Vorsteher und Verwalter der jüdischen Nation in Livorno mit
administrativen und richterlichen Funktionen. Sie wurden vom
toskanischen Herrscher ernannt, nachdem die jüdische
Versammlung eine Liste mit Kandidaten vorgestellt hatte. Diese
waren praktisch alles Händler aus angesehenen Familien, die von
der Iberischen Halbinsel nach Livorno kamen.
Millet
Im Osmanischen Reich war eine millet (vom arabischen millah =
Religion) eine anerkannte und autonome Religionsgemeinschaft,
die ein Recht auf Selbstverwaltung und Rechtsprechung unter der
Leitung ihrer religiöser Oberhäupter genoss.
Nation
Eine nazione darf nicht als Nation im modernen Sinne verstanden
werden. Es ist eine Institution, die aus dem Mittelalter stammt und
vor allem im Mittelmeerraum, speziell in den Häfen der Levante,
anzufinden ist. Sie wird auch universitas bezeichnet und vereinigt
Kaufleute mit gleichen Interessen und gleicher geographischer
Herkunft. Mitunter kann die Religion ein Wesensmerkmal
darstellen, so besassen etwa die Juden eine eigene Nation, wie auch
die griechisch-orthodoxen Griechen oder die protestantischen
Engländer (doch auch Katholiken wurden dort aufgenommen). Die
holländische Nation war ebenfalls gemischt, bestehend aus
Katholiken und Protestanten.
Nazione
Siehe Nation
Parnassim
Hebräisch für Massari
Pax Ottomanica
Eine Bezeichnung für die zeitliche Periode (vor allem 16. und 17.
Jahrhundert) auf dem Balkan und anderen vom Osmanischen Reich
eroberten Gebieten, als die diversen Gruppierungen relativ friedlich
miteinander lebten. Das muslimisch-osmanische Element
harmonierte grösstenteil mit den jüdischen und christlichen Wesen.
Pforte
Alternative Bezeichnung der osmanischen Regierung, benannt nach
ihrem Regierungssitz.
Pidgin
Mischsprache aus Elementen der Ausgangs- und der Zielsprache.
Risorgimento
Italienische Einigungsbestrebungen im 19. Jahrhundert.
Sancakbeyi
Der Vorsitzende (Bey) eines Sancak (Verwaltungseinheit im
Osmanischen Reich).
277
Stracceria/Strazzaria
Handel mit Secondhandwaren. Gemäss Artikel 31 der Livornina
(Version 1593) war es Juden verboten, in dieser Branche tätig zu
sein.
Waldenser
In Südfrankreich im 12. Jahrhundert entstandene Buss- und
Armutsbewegung, benannt nach ihrem Begründer, dem Lyoner
Kaufmann Petrus Waldes. Die Waldenser, zunächst eine
Laienbewegung innerhalb der abendländischen Kirche, wurden vor
allem wegen der von ihnen trotz kirchlichen Verbots praktizierten
Laienpredigt 1184 als Häretiker verurteilt. 1532 schlossen sich die
Waldenser der Reformation an.
278
3. Quellen- und Literaturverzeichnis
Ungedruckte Quellen
Ancona
! ASAN, Archivio Ferretti, Bolla della Sant. di N. S. Clemente VIII, 2. di Aprile 1594, Nr.
70.
! ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36.
! ASAN, A.C.AN, Commercio – Consolati – Fiere – Franchigie – Trattati – Patenti, sec.
XVI, Nr. 2776.
! ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVII, Nr. 59.
! ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1706.
! ASAN, A.C.AN, Pergamena, Nr. 74 bis.
! ASAN, A.C.AN, Culto, Chiese, Conventi, Monasteri, Funzioni, sec. XVI, Nr. 2775.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche al Consiglio reiette ed accolte, 1545-1558, Nr. 557.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche al Consiglio reiette ed accolte, 1558-1578, Nr. 614.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche al Consiglio reiette ed accolte, 1580-1603, Nr. 2774.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche 1600-1603, Nr. 105.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche 1608-1613, Nr. 44/2.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche 1614-1618, Nr. 105.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche 1619-1626, Nr. 64.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche 1619-1626, Nr. 62.
! ASAN, A.C.AN, Suppliche 1690-1700, Nr. 70.
! ASAN, A.C.AN, Lettere di privati al Comune di Ancona, 1536-1599, Nr. 668.
! ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/1.
! ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/2.
! ASAN, A.N.AN, Marino Benincasa 1548-1552, Nr. 536.
! ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1590-1591, Nr. 865.
! ASAN, A.N.AN, Orazio Brancadoro 1598-1599, Nr. 887.
! ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1602-1603, Nr. 869.
! ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1621-1622, Nr. 878.
! ASAN, A.N.AN, Francesco Spinelli 1623-1624, Nr. 879.
! ASAN, A.N.AN, Luca de Baldi 1715, Nr. 1704.
279
! BCA, Manoscritto 262, Camillo Albertini, Storia d’Ancona, Lib. XI, Parte Seconda, 1550
al 1563.
! BCA, Manoscritto 264, Camillo Albertini, Storia d’Ancona, Lib. XII, Parte Seconda, 1611
al 1700.
Livorno
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie V, Lettere dei
Consoli del Mare, Nr. 2592, Lettere dei Consoli del Mare di Pisa 1627-1630/1631.1212
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie VI, Atti civili =
suppliche, Nr. 2602, Atti civili: suppliche 1595-1629.
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie VI, Atti civili =
suppliche, Nr. 2603, Atti civili: suppliche 1630-1648.
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie VI, Atti civili =
suppliche, Nr. 2606, Atti civili: suppliche 1656-1657.
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie VI, Atti civili =
suppliche, Nr. 2607, Atti civili: suppliche 1658-1662.
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie VI, Atti civili =
suppliche, Nr. 2608, Atti civili: suppliche 1665/16671213-1680.
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie VI, Atti civili =
suppliche, Nr. 2609, Atti civili: suppliche 1678.
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie VI, Atti civili =
suppliche, Nr. 2610, Atti civili: suppliche 1797-1800.1214
! ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550-1808, Serie XI, Nr. 3076, Atti
criminali dell’Auditore: processo contro il Console d’Olanda (1787).
! ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 958.
! ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 959.
! ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VIII, Nr. 961.
! ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764-1860, Serie VI, Suppliche e informazioni,
Nr. 942, Istanze e suppliche per “livornine” 1816-1831.
1212
Gemäss Findbuch endet die Akte 1630, doch auf der Akte selber steht 1627-1631.
Gemäss Findbuch beginnt die Akte im Jahre 1665, doch auf der Akte selber steht 1667-1680. Die ersten
Blätter der Akte sind aus dem Jahre 1667, was auf einen Schreibfehler im Findbuch hindeutet.
1214
Bemerkung: In dieser Akte besitzt nicht jedes Blatt eine separate Seitenzahl. Jeder Fall, der mehrere Blätter
umfassen kann, ist einzeln nummeriert. Die Fälle 159 bis 188 fehlen in der Akte.
1213
280
Gedruckte Quellen und Literatur
! Adriatico. Un mare di storia, arte, cultura. Hg. von Bonita Cleri. Ripatransone 2000.
! Agstner, Rudolf: Du Levant au Ponant: le développement du service consulaire autrichien
au XVIIIe siècle. In: La fonction consulaire à l’époque moderne. L’Affirmation d’une
institution économique et politique (1500-1800). Hg. von Jörg Ulbert, Gérard Le Bouëdec.
Rennes 2006, S. 297-316.
! Altomare, Renata: Contributo allo studio della comunità francese a Livorno nel secolo
XVII. Pisa 1976/1977.
! Ancona e le Marche nel Cinquecento. Economia, società, istituzioni, cultura. Hg. von
Sergio Anselmi u.a. Ancona 1982.
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mercantile degli ebrei ad Ancona. In: The Mediterranean and the Jews. Banking, Finance
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Ramat-Gan 1989, S. 11–38.
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négociantes dans L’Europe moderne. Hg. von Franco Angiolini, Daniel Roche. Paris 1995,
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! Angiolini, Franco: Der Hafen. In: Orte des Alltags. Miniaturen aus der europäischen
Kulturgeschichte. Hg. von Heinz-Gerhard Haupt. München 1994, S. 44-50.
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! Anselmi, Sergio: Adriatico. Studi di storia secoli XIV-XIX. Ancona 1991.
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mercantile del Medio Adriatico. In: Atti e Memorie, Serie VIII – Volume VI. Hg. von
Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1972, S. 41-108.
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Correspondence in the Indian Ocean and the Mediterranean. In: Journal of World History
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Informal and Semi-Formal Institutions at Work. In: Journal of Global History 1 (2006), S.
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! Berti, Marcello: Nel Mediterraneo ed oltre. Temi di storia e storiografia marittima toscana
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franco colti da un osservatorio significativo: La società di Giulio del Beccuto. In: Atti del
convegno „Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 289-305.
! Biagi, Maria Grazia: I Consoli delle Nazioni a Livorno. In: Atti del convegno „Livorno e il
Mediterraneo nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 361–368.
! Birnbaum, Marianna D.: The long journey of Gracia Mendes. Budapest 2003.
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of Barcelona and São Paulo. In: International Journal of Psychology 40 (2005), S. 37-50.
! Bonazzoli, Viviana: Adriatico e Mediterraneo orientale. Una dinastia mercantile ebraica del
secondo ’600: I Costantini. Trieste 1998.
283
! Bonazzoli, Viviana: Sulla struttura familiare delle aziende ebraiche nella Ancona del ’700.
In: La presenza ebraica nelle Marche, secoli XIII-XX. Hg. von Sergio Anselmi, Viviana
Bonazzoli. Ancona 1993, S. 139-154.
! Bonazzoli, Viviana: Gli ebrei sefarditi del Levante e i Ragusei nel Cinquecento: Dal
commercio di cuoi e tessuti al profilarsi di nuovi equilibri mediterranei. In: Ragusa e il
Mediterraneo: Ruolo e funzioni di una Repubblica marinara tra Medioevo ed Età moderna.
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