Zurück in die Normalität

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Zurück in die Normalität
Gesundheit
15. August 2013
Seite 11
«Wichtig ist, dass man
lernt, Nein zu sagen»
Mit Achtsamkeit Stress
bewältigen
Interview mit Dr. med. Stephan Fleig aus Kreuzlingen
zum Thema Burnout.
Interview mit Daniela von
Siebenthal, MBSR/MBCTTherapeutin, psychologische
Beratung aus Winterthur.
Dr. Fleig, was genau ist ein
Burnout?
Burnout kommt vom Englischen und bedeutet «ausbrennen». Der Begriff steht für einen
emotionalen, körperlichen und
geistigen Erschöpfungszustand.
Dieser Zustand der Antriebs- und
Leistungsschwäche ist die Folge
einer Überarbeitung und Überforderung über mehrere Monate.
Man weiss, dass es lange nicht
mehr nur Manager sind, die an
einem Burnout erkranken.
Es sind auch bekannterweise
Politiker wie z. B. der ehemalige Parteipräsident FDP Schweiz
Rolf Schweiger, der deutsche Ministerpräsident Matthias Platzeck oder auch Sportler, der Skispringer Sven Hannawald, Popstars wie Mariah Carey oder auch
Peter Plate. Laut Statistik sind
ca. sieben Prozent der Erwerbstätigen davon betroffen. Es
sind nicht nur die Länge der Arbeitszeiten
ausschlaggebend,
sondern das komplexe Zusammenspiel von individueller Anlage, Arbeitsbedingungen und
der persönliche Umgang mit
Stress.
Woran merken Sie, dass ein Patient an einem Burnout leidet?
Symptome können sein: Widerwillen täglich zur Arbeit zu
gehen, Vernachlässigung seiner
Bedürfnisse, Versagensängste,
Niedergeschlagenheit, Unlust,
Menschen zu
ertragen;
Gefühl
der
Hilflosigkeit,
Schlafstörungen, Unfähigkeit zum
Entspannen,
BewegungsBild: rab mangel,
ungenügende
Dr. Stephan Fleig.
Erholungsphasen und Depression. Unterstützen kann man die Betroffenen, indem man zuhört, sie ernst
nimmt, den Zustand nicht als
Bagatelle abtut. Auf Erfolge positiv reagieren, bei Misserfolgen
Toleranz walten lassen.
Wie können Sie als Allgemeinarzt hier therapeutisch und medizinisch helfen?
Je nach Schwere eines Burnouts sind Medikamente aus dem
Behandlungskreis einer Depression angesagt, da ein chronisches Burnout in eine Depression führen kann. Eine offene Kommunikation ist wichtig. Ich rate Burnoutpatienten
dazu, Stress abzubauen, Lernen
NEIN zu sagen und Ängste und
Blockaden
abzubauen.
In
schwereren Fällen sind Spezialärzte dafür ausgebildet. Auch
Kliniken haben immer mehr mit
Burnout-Fällen zu tun, für Patienten, die eine stationäre Therapie brauchen. Wichtig ist als
Prävention: Soziale Kontakte
pflegen, Probleme ansprechen,
Zeit für Erholung aussparen.
Angelina Rabener
Bild: rab
Nadine Fischli (Care Manager) berät eine Versicherte, die sich durch Krankheit in der Arbeitsunfähigkeit befindet.
Zurück in die Normalität
CARE MANAGEMENT Im Gespräch mit Nadine Fischli, Care Manager SWICA
Arbeitsunfähigkeit hat viele
Gesichter. Arbeitnehmer und
Arbeitgeber brauchen hier
gleichermassen Unterstützung.
Ein kompetentes Care Management kann helfen.
Nadine Fischli, bitte erklären Sie
Ihre Arbeit als Care Manager? Vereinfacht ausgedrückt begleite, berate und unterstütze ich als Care
Manager Menschen, welche durch
Krankheit (Psychische Erkrankungen, Leiden des Bewegungsapparates, des Herz/Kreislaufssystems etc.) oder Unfall in ihrer
Tätigkeit eingeschränkt sind. Diese befinden sich in der Regel in der
Arbeitsunfähigkeit und somit in einer schwierigen Lebenslage.
Welchen Nutzen haben Unternehmen davon, mit Ihnen als Care
Manager zusammenzuarbeiten?
Übergeordnet betrachtet können
Arbeitgeber die durch nicht arbeitende Mitarbeitende verursachten Kosten (Sozialkosten, Arbeitsplatzkosten etc.) langfristig
senken, wenn Sie einen Care Manager mit der Begleitung beauftragen. Zudem nehmen die Arbeitgeber unter anderem durch den
Einsatz eines Care Managers ihre
soziale Verantwortung wahr und
kümmern sich darum, dass ihre
Mitarbeitenden eine kompetente
Begleitung im Genesungs- und Reintegrationsprozess zur Verfügung
haben.
Wie sieht Ihre Vorgehensweise in
genanntem
Reintegrationsprozess aus? Der Care Manager bespricht die Situation zuerst mit dem
Arbeitgeber. Dieses Gespräch liefert meist wertvolle Hinweise, damit zwischen Mitarbeiter und Care
Manager eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entstehen kann.
Danach kommt es zu einem ersten persönlichen Gespräch mit der
arbeitsunfähigen Person. Dieses
Gespräch bildet die Basis der Zusammenarbeit. Darin findet eine
Bestandsaufnahme statt, d.h., es
wird die medizinische wie auch
persönliche Biografie mit Heilverlauf, die therapeutisch behandelnden Stellen und die berufliche
und soziale Situation aufgenommen. Es gilt dabei nicht nur kurz-,
sondern auch mittel- und langfristig zu eruieren, was an Aktivitäten notwendig ist, damit die be-
troffene Person die für das Leben
so enorm wichtigen persönlichen
und beruflichen Perspektiven nicht
verliert oder wieder findet.
Welche Chancen und Möglichkeiten bieten sich dem Arbeitnehmer hier? Bei der Begleitung eines arbeitsunfähigen Menschen ist
es sehr wichtig, ihm Möglichkeiten, Chancen und Risiken in Bezug auf seine berufliche und private Zukunft aufzuzeigen. Ein Gesprächsschwerpunkt bildet hier die
Aufklärung über die wichtigen Sozialpartner wie Invalidenversicherung, Pensionskassen, Arbeitslosenversicherung usw., jedoch auch über die bei einem Austritt (durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses) aus einer Firma wichtige Versicherungsdeckung über eine Krankentaggeldversicherung.
Ist Burnout eines der häufigsten
Krankheitsbilder, mit dem Sie in
Ihrem Arbeitsalltag konfrontiert
sind? Ob es die häufigste Diagnose
ist, welcher ich in meinem Arbeitsalltag begegne, mag ich bezweifeln. Was mir allerdings subjektiv auffällt ist, dass ich heute
vermehrt von Unternehmen auf
den Verdacht für ein «Ausgebrannt Sein» eines Mitarbeiters angefragt werde.
«Kein Mitarbeitender kann
sich Unproduktivität leisten,
ohne dies mit einer Mehrfachbelastung zu büssen.»
Die Sensibilität für diese Erkrankung ist offensichtlich am Wachsen. Seien Sie sich bewusst, dass
in einer so rasch kommunizierenden Gesellschaft die Kadenz einer Arbeitsstunde enorm viel höher liegt, als früher. Kein Mitarbeitender kann sich Unproduktivität leisten, ohne dies mit einer
Mehrfachbelastung zu büssen. Zudem sind die Erwartungen an die
Arbeitnehmenden gewachsen, weil
die Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit und Ertragslage erhalten möchten. Burnout kann jeden treffen, der pflichtbewusst, loyal, gewissenhaft und engagiert
seinen jeweiligen Tätigkeiten
nachkommt und ständig am Limit
seiner persönlichen Ressourcen
«läuft».
Es gibt Mitarbeiter, die weniger
motiviert sind, um nach einem Arbeitsausfall an den Arbeitsplatz
zurückzukehren. Wie kommen Sie
diesen auf die Schliche? Die Frage
ist heikel und Bedarf einer differenzierten Antwort. Wir leben in
einer Leistungsgesellschaft und
diese nimmt ihre soziale Verantwortung soweit war, dass alle kollektiv (durch den Prämien- und
Beitragsgedanken) bei Bedarf für
andere, weniger leistungsfähige
Personen einstehen.
«Das Einhalten bestimmter
Verhaltensregeln ist ein
wichtiger Bestandteil einer
Wiedereingliederung.»
Versicherer wie etwa mein Arbeitgeber SWICA, tragen die Verantwortung, dass die aus diesem
Kollektivpool heraus gewährten
Leistungen nur bei effektivem Anspruch und solange wie nötig fliessen. Ein Care Manager ist sich dessen bewusst und muss das in seine
Überlegungen einbeziehen. Anhand der Aufklärung durch einen
Care Manager kann sich die begleitete Person entscheiden, ob sie
kooperativ mitwirkt oder nicht.
Unsere Erfahrung im Care Management in allen Branchen, Geschäftsbereichen und Funktionen
sind dienlich, um rasch und effizient zu erkennen, ob die Bereitschaft zur ernsthaften Zusammenarbeit vorhanden ist. Das Einhalten bestimmter Verhaltensregeln ist ein wichtiger Bestandteil
einer Wiedereingliederung. Meine
Erfahrung zeigt, dass teils Menschen in misslichen Lebenslagen,
in welchen sie eine Fremdbestimmung erfahren, mit alten Verhaltensmustern reagieren und somit
nicht aktiv am Prozess teilnehmen. Um Vertrauen aufzubauen gilt
es, eine loyale Verbindlichkeit sowie menschliche und soziale Kompetenz zu vermitteln. Doch es ist
wirklich nur ein kleiner Prozentsatz, der sich gewollt gegen eine
Wiedereingliederung bemüht. Die
Zusammenarbeit mit dem Care
Management beruht dabei immer
auf Freiwilligkeit. Wir bieten Hand
für konstruktive Lösungen, die allen Beteiligten helfen, zwingen aber
niemanden, sie mitzutragen.
Die Fragen stellte:
Angelina Rabener
Frau von Siebenthal, was umfasst die Achtsamkeitsschulung?
Bedeutsam für mich persönlich
ist die Verbindung von Körper
und Geist. Diese Verbundenheit ist essenziell, um die Wirkungen von Stressreaktionen im
Körper zu erkennen und zu verstehen. Zu den achtsamkeitsbasierten Ansätzen gehört das
Übungsprogramm Stressbewältigung
durch
Achtsamkeit
(MBSR). Die Zunahme der Achtsamkeit mit dieser Methode ist
wissenschaftlich belegt.
Welche Übungen werden dabei
praktiziert?
Am Anfang der Achtsamkeitsschulung geht es darum, die eigene Körperwahrnehmung zu
fördern. Dies geschieht einerseits durch formelle Übungen
wie
Bodyscan, achtsame Yogaund
Bewegungsübungen, Atemund Sitzmeditation, bei
denen gezielt
Bild: z. V. g.
für das Üben
der
Acht- Therapeutin Danisamkeit Zeit ela von Siebenthal.
genommen
wird, um bewusst aus der Geschäftigkeit des Alltags auszusteigen. Andererseits wird eine
informelle Achtsamkeitspraxis
aufgebaut. Diese beinhaltet alltägliche Tätigkeiten, die achtsam durchgeführt werden wie
z.B. Essen. Zudem werden thematische Inhalte, z.B. zu Stress
erleben oder bei MBCT zu Depression, vermittelt.
Wie kann diese Therapie bei einem Erschöpfungszustand, wie
dem Burnout, helfen?
In der heutigen Arbeitswelt ist
der Grad sehr schmal zwischen
interessanten Herausforderungen, die als Quelle von Gesundheit beschrieben werden
und hohen, chronischen Stressbelastungen durch zunehmende Komplexität und Flexibilität,
welche in Unternehmen gefordert werden und zu psychosomatischen Beschwerden führen
können. Der Zugang zum bewussten Erleben des eigenen Lebens wird immer eingeschränkter. Das Praktizieren von
Achtsamkeit ermöglicht, den
Kontakt zum gegenwärtigen Erleben wiederherzustellen, um
eine aktive Rolle in der Selbstfürsorge sowie Erholung, zu
übernehmen und eine innere
Haltung von Ruhe wie Klarheit
zu kultivieren. Die eigene Lebensbalance zu gestalten bedeutet, dass wir darauf achten,
gleichzeitig Belastungen abzubauen und persönliche Ressourcen aufzubauen. Wir alle
haben Ressourcen. Es gilt die eigene Bedürfnisse sowie die Werte zu kennen und zu stärken.
www.achtsamfuehren.ch
Angelina Rabener