OLG Brandenburg - Brandenburgisches Oberlandesgericht

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OLG Brandenburg - Brandenburgisches Oberlandesgericht
4 U 87/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht
1 O 530/03 Landgericht Potsdam
Anlage zum Protokoll vom 22.12.2004
Verkündet am 22.12.2004
..., Justizobersekretärin
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Im Namen des Volkes
U r t e il
in dem Rechtsstreit
der Frau A... C...,
Klägerin und Berufungsklägerin,
- Prozeßbevollmächtigter:
Rechtsanwalt ... -
gegen
1. Frau R... H...,
2. Herrn W... H...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
- Prozeßbevollmächtigter:
ZP 650
Urteil OLG allgemein - MEGA
Rechtsanwalt ... -
-2hat der 4. Zivilsenat des Brandenbuirgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche
Verhandlung vom 24. November 2004 durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ...,
die Richterin am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom
14. Mai 2004 - 1 O 530/03 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten mit der Begründung auf Löschung der mit notarieller
Urkunde vom 18. März 1996 bewilligten und am 10. Juni 1996 eingetragenen
Grunddienstbarkeit – Geh- und Fahrrecht – in Anspruch, diese hätten das Recht
rechtsgrundlos, nämlich durch ein wucherisches, die rechtliche Unerfahrenheit der
Rechtsvorgängerin der Klägerin ausnutzendes Rechtsgeschäft erlangt, jedenfalls sei ihnen
nach Treu und Glauben die weitere Inanspruchnahme des Geh- und Fahrrechts verwehrt.
Darüber hinaus begehrte sie die Vornahme von zur Dachentwässerung geeigneten
Maßnahmen und Schadensersatz.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen
Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Die Kammer hat dem Klageantrag zu 3., gerichtet auf Zahlung von Schadensersatz,
stattgegeben und die Klage im übrigen abgewiesen. Das Begehren auf Vornahme von
Maßnahmen zur Entwässerung der Dachflächen in der Weise, dass Wasser weder gehindert
noch
geführt
auf
das
klägerische
Grundstück
gelangen
könne,
sei
mangels
vollstreckungsfähigen Inhalts des Antrags unzulässig. Auch die Zustimmung zur Löschung
der Grunddienstbarkeit könne die Klägerin nicht verlangen. Das Geh- und Fahrrecht sei
rechtswirksam entstanden; der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt trage den Vorwurf
eines wucherischen Rechtsgeschäfts gemäß § 138 Abs. 2 BGB nicht. Ein auffälliges
-3Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sei insbesondere deshalb nicht zu
erkennen, weil das Wegerecht nach dem eigenen Vortrag der Klägerin im Rahmen der
Nachbarschaftshilfe gewährt worden sei, der eine unentgeltliche Vorteilsgewährung
wesensimmanent sei. Auch ihr Einwand, sie habe nicht verstanden, dass das Wegerecht in das
Grundbuch eingetragen werden sollte, greife nicht durch. Schließlich führe der vermeintlich
extensive Gebrauch des Wegerechts nicht zur Verwirkung des Rechts.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie die nicht zuerkannten
Ansprüche zunächst sämtlich weiter verfolgt und – erstmals – hilfsweise Unterlassung von im
einzelnen bezeichneten Handlungen, das Wegerecht betreffend, begehrt. Sie rügt, die Kammer
sei von einem unrichtigen Tatbestand ausgegangen und habe zudem rechtlich unzutreffende
Wertungen getroffen. Richtigerweise sei, da die Einräumung des Geh- und Wegerechts
unstreitig keine Gegenleistung für die Verlegung des Abwasseranschlusses gewesen sei, die
Grunddienstbarkeit durch den Beklagten rechtsgrundlos erlangt worden. Sie vertritt weiterhin
die Auffassung, es sei ihr aufgrund gewalttätiger und tätlicher Angriffe des Beklagten zu 1.
nicht zumutbar, den Beklagten weiterhin die Zufahrt über ihr Grundstück zu ermöglichen.
Nach Rücknahme der Berufung hinsichtlich des Antrages Ziffer
2 (Maßnahmen zur
Dachentwässerung) und Erörterung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich der angekündigten
Hilfsanträge auf Unterlassung von im einzelnen bezeichneten Handlungen beantragt die
Klägerin nunmehr,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten zu verurteilen, der
Löschung des als Grunddienstbarkeit eingetragenen Geh- und Fahrrechts über die im
Grundbuch von ... auf Blatt ... eingetragenen Grundstücke Flur 1, Flurstück 148/1 und 150/2
zuzustimmen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen mit näheren Ausführungen die angefochtene Entscheidung.
-4II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
Zu Recht und aus zutreffenden Erwägungen hat die Kammer einen Anspruch der Klägerin auf
Zustimmung zur Löschung des im Grundbuch eingetragenen Geh- und Fahrrechts verneint.
a) Die Grunddienstbarkeit auf dem Grundstück der Klägerin ist wirksam durch Einigung
zwischen der seinerzeitigen Grundstückseigentümern, der Mutter der Klägerin einerseits und
dem Beklagten zu 2. andererseits, und Eintragung in das Grundbuch entstanden.
b) Die Klägerin kann die Bewilligung der Löschung des Geh- und Fahrrechts nicht im Wege
der Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 BGB verlangen.
aa) Entgegen ihrer Auffassung wurde die Grunddienstbarkeit nicht rechtsgrundlos erteilt,
dieser lag vielmehr ein schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft zugrunde. In Ziffer III des
notariellen Vertrages vom 18. März 1996 “räumt” die Rechtsvorgängerin der Klägerin dem
seinerzeitigen Eigentümer des Beklagtengrundstücks ein “Geh- Fahr- und Leitungsrecht ein
(...) ebenfalls als Gegenleistung für die Anlage der Abwasseranlagen”. Welcher
Erklärungswert diesen rechtsgeschäftlichen Erklärungen beizumessen ist, wenn nicht der des
schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts, ist nicht zu erkennen.
bb) Das der dinglichen Einigung zugrunde liegende Rechtsgeschäft ist auch nicht gemäß §
138 Abs. 1 oder 2 BGB sittenwidrig und damit nichtig.
Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht
Denkenden verstößt. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn Leistung und Gegenleistung
objektiv in auffälligem Mißverhältnis zueinander stehen. Allerdings führt ein auffälliges
Mißverhältnis allein nicht zur Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB; hinzutreten müssen
vielmehr weitere Umstände, etwa eine verwerfliche Gesinnung. Ein Handeln aus
verwerflicher Gesinnung ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der begünstigte
Vertragspartner die wirtschaftlich schwächere Lage des anderen Teils bewusst zu seinem
Vorteil ausnutzt oder wenn er sich leichtfertig der Einsicht verschließt, dass sich der andere
nur unter Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einläßt.
-5-
Gemessen an diesen Anforderungen läßt sich – wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat –
weder ein objektives Mißverhältnis der Leistungen noch das subjektive Element der
Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB feststellen.
Die Klägerin geht fehl in der Annahme, unter den Parteien sei das Fehlen einer Vereinbarung
über eine Gegenleistung für die Einräumung des Geh- und Fahrrechts unstreitig gewesen.
Das beiderseitige erstinstanzliche Parteivorbringen bietet keinerlei Grundlage für eine
vermeintliche Übereinstimmung darin, dass die Vertragsparteien das Geh- und Fahrrecht nicht
als Gegenleistung für die Verlegung des Abwasseranschlusses vereinbart hätten.
Entsprechender Vortrag findet sich auch nicht in dem Klageerwiderungsschriftsatz der
Beklagten vom 2. März 2004 (Bl. 76 ff.), so dass die Klägerin auch durch “zu eigen machen”
gegnerischen Vortrags kein Unstreitigwerden entsprechenden Parteivorbringens begründen
konnte.
Die notarielle Urkunde, die die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der
getroffenen vertraglichen Abreden in sich trägt, enthielt in Ziffer III die Regelung, dass das
“Geh-, Fahr- und Leitungsrecht (...) ebenfalls als Gegenleistung für die Anlage von
Abwasserleitungen” eingeräumt wurde.
Im Rahmen der Beurteilung der Sittenwidrigkeit des Vertrages sind danach die von der
Rechtsvorgängerin der Klägerin eingeräumten Grunddienstbarkeiten einerseits und die von
den Beklagten übernommene Verpflichtung zur Errichtung eines Abwasserschachtes mit zwei
Revisionsschächten sowie dem Hauptschacht am Übergabepunkt zur öffentlichen Straße und
Kostentragung andererseits einzustellen. Tatsächliches Vorbringen dazu, in welchem
objektiven Wertverhältnis diese übernommenen Verpflichtungen zueinander stehen – und nur
darauf, und nicht auf den Umfang der Erfüllung kommt es für die Sittenwidrigkeit an – fehlt.
Hier kommt indes hinzu - und auch insoweit ist gegen die Ausführungen der Kammer in den
Urteilsgründen nichts zu erinnern -, dass die Abreden unbestritten im Rahmen
nachbarschaftlichen Entgegenkommens getroffen wurden. Eine vergleichende Betrachtung
des objektiven Wertes der im Rahmen der Nachbarschaftshilfe ausgetauschten Leistungen
-6verbietet sich; der Leistungsaustausch erfolgt nicht nach Marktwertkriterien, sondern wird
durch das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis geprägt.
Fehlt es bereits an einem besonders groben objektiven Mißverhältnis, greift die
Vermutungswirkung für ein Handeln des Beklagten zu 2. aus verwerflicher Gesinnung nicht.
Auch das tatsächliche Vorbringen der Klägerin vermag die Annahme eines Handelns aus
verwerflicher Gesinnung nicht zu begründen. Der klägerische Vortrag beschränkt sich auf
inhaltsleere Darlegungen – der Beklagte zu 2. habe ihre Mutter “jedoch gedrängt”, der
notariellen Beurkundung zuzustimmen – und nicht durch Tatsachen unterlegten Bewertungen
– es “drängt sich der Eindruck auf, der Beklagte zu 2. hätte bewußt (...) die für die Mutter der
Klägerin extrem schwierige Situation ausgenutzt” und “die Einräumung des Geh- und
Fahrrechts gegen Errichtung dieser Abwasseranlage stellt eine Übervorteilung der Mutter der
Klägerin dar und geschah in rechtsmißbräuchlicher Ausnutzung der geschäftlichen
Unerfahrenheit”.
Eines Hinweises der Kammer hätte es angesichts der Ausführungen der Beklagten in der
Klageerwiderungsschrift, in der sie darauf verwiesen, dass das Vorliegen eines wucherischen
Rechtsgeschäfts nicht nachvollziehbar sei, insgesamt ohnehin nicht bedurft; aus den
Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 24. März 2004 ergibt sich aber auch, dass die
Schwierigkeiten der Feststellung eines Mißverhältnisses Gegenstand der Erörterung im
Verhandlungstermin vom 3. März 2004 waren.
cc) Die noch im Verhandlungstermin am 24. November 2004 vertretene Auffassung des
Klägervertreters, das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft sei jederzeit kündbar - und mit
Klageerhebung konkludent gekündigt worden - findet im Gesetz keine Grundlage. Der
Versuch, die Anwendbarkeit der auf Dauerschuldverhältnisse zugeschnittenen (Kündigungs)Regelungen zu begründen, beruht auf einer offensichtlichen Verkennung der Trennung
zwischen schuldrechtlichem Verpflichtungsgeschäft - dieses ist mit der Eintragung der
Grunddienstbarkeit erfüllt - und dem dinglichen Recht, dessen Erlöschen durch Kündigung
allenfalls dann möglich ist, wenn diese zur auflösenden Bedingung gemacht wurde.
dd) Der Klägerin steht auch kein Anfechtungsrecht gemäß § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB zur Seite.
-7Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin hinreichend konkret zu Fehlvorstellungen ihrer
Mutter über den Inhalt der abgegebenen Erklärungen vorgetragen hat, denn jedenfalls stehen
zwei Gründe dagegen, dass ein eventuell bestehendes Anfechtungsrecht wirksam ausgeübt
wurde.
Unabhängig davon, ob der Klägerin selbst überhaupt ein Anfechtungsrecht zusteht, fehlt es
nämlich an jeglichem Vortrag zur Einhaltung der Anfechtungsfrist gemäß § 121 BGB,
wonach die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muß. Die jahrelange Ausübung
des Geh- und Fahrrechts durch die Beklagten in dem eingeräumten Umfang, der Umstand,
dass die Klägerin nach allgemeiner Lebenserfahrung die notarielle Urkunde sowie die
Eintragungsnachricht vom Grundbuchamt zugesandt bekommen hat, schließlich die
Übertragung des Grundstücks - mit der Grunddienstbarkeit - auf die Klägerin, stehen der
Annahme, eine Anfechtung könne rechtzeitig noch mit Klageerhebung erfolgt sein, entgegen.
ee) Schließlich ergibt sich - die Darlegungen der Klägerin zu den tätlichen Angriffen als wahr
unterstellt - auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kein Anspruch auf
Verzicht auf das Geh- und Fahrrecht.
Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass nur derjenige Rechte geltend machen kann, der
sich selbst rechtstreu verhält; Rechtsverstöße führen grundsätzlich nicht zu einem Wegfall
eigener Rechte. Die Rechtschutzinteressen des Gegners werden dadurch gewahrt, dass diesem
unter den im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen Ansprüche auf Schadensersatz und/oder
Unterlassung zustehen. Der vorliegende Fall bietet keine Veranlassung, ausnahmsweise die
einschneidende Folge des Rechtsverlustes gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Es ist bereits
zweifelhaft, ob der Rechtsinhaber seines dinglichen Rechts überhaupt dadurch verlustig gehen
kann, dass er gegenüber dem aus der Grunddienstbarkeit Verpflichteten oder dessen
Angehörigen Tätlichkeiten begeht. Den Vortrag der Klägerin als richtig unterstellt, wäre dem
Beklagten zu 2. der Vorwurf einer Straftat zu machen; er hätte gegen (Straf-)Normen
verstoßen, die jedermann gegenüber gelten, mit der Grunddienstbarkeit und ihrer Ausübung
als solcher aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Gegen derartige
Verfehlungen stehen dem aus der Grunddienstbarkeit Verpflichteten - wie jedem anderen
Bürger auch - die Schadensersatz- und Abwehransprüche gemäß den §§ 823 Abs. 1, Abs. 2,
-81004 BGB, 223 StGB zur Verfügung, mit denen seine Rechtschutzinteressen hinreichend
gewahrt werden.
Auch soweit die Klägerin Überschreitungen des eingeräumten Geh- und Fahrrechts behauptet,
ist sie auf Ansprüche nach den §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB zu verweisen. Die Voraussetzungen
für einen auf Treu und Glauben gestützten Anspruch auf Verzicht auf die Grunddienstbarkeit dass infolge endgültiger Veränderungen der Nutzen für das herrschende Grundstück in keinem
Verhältnis (mehr) zum Schaden an dem dienenden Grundstück steht - sind nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) und die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung
einer
einheitlichen
Rechtsprechung
eine
Entscheidung
des
Bundesgerichtshofs nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n.F.).
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird gemäß den §§ 12 Abs. 1, 14
Abs. 1, 19 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. auf 5.000,00
(Antrag Ziffer 1: 4.500,00 , Antrag
Ziffer 2.: 500,00 ) festgesetzt.
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