Die vorliegenden Ausarbeitungen wurden im Rahmen einer

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Die vorliegenden Ausarbeitungen wurden im Rahmen einer
Die vorliegenden Ausarbeitungen wurden im Rahmen einer Gruppenarbeit im LK
Deutsch der Stufe 13 (Kursleiter G.-M. Fulde) des Städtischen Gymnasiums Rheinbach
erstellt. Dabei wurde zu Beginn im Plenum eine gleiche methodische Vorgehensweise als
verbindlich für die Einzelanalysen und – interpretationen festgelegt. Die Arbeiten
wurden Anfang September 2007 geschrieben und sind als Annäherung an dieses Werk
Schlinks zu betrachten.
Kurzbiographie und Hinweise zum Werk Bernhard Schlinks
Der Jurist und Schriftsteller Bernhard Schlink wurde am 6.Juli 1944 als Sohn des Prof. Dr.
Edmund Schlink bei Bielefeld geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und promovierte
1975 und lehrt seither als Professor für Recht an verschiedenen Universitäten. Diese Tätigkeit
führt er seit 1992 bis heute an der Berliner Humboldt-Universität aus. Außerdem wurde er
1987 Richter des Verfassungsgerichtshofs von Nordrhein-Westfalen und ist dies bis heute. Er
verfasste viele juristische Werke, bis er begann Romane zu schreiben, für die er viele Preise
und Auszeichnungen erhält. Sein wohl bekanntester und in vielen Sprachen erschienener
Roman „Der Vorleser“ brachte ihm mehrere internationale Literaturpreise ein und erreichte
erstmals als deutsches Buch die Bestsellerliste der New York Times.
In seinem im Jahr 2000 erschienen Roman mit dem Titel „Liebesfluchten“ umreißt Schlink,
genau wie in mehreren seiner anderen Werke, das zentrale Thema der Liebe.
In dem 1995 erschienenen Roman „Der Vorleser“ ging es schon um die Liebe eines
jugendlichen Jungen zu einer älteren Frau, die zunächst zu einander finden, dann aber mit
ihrer Liebe brechen. Nach vielen Jahren, der Junge ist inzwischen ein ausgewachsener und
studierter Mann, treffen beide zufällig in einem Gerichtssaal wieder aufeinander. In dem
Prozess geht es um die Vergangenheit der Frau während des Zweiten Weltkrieges und die
Schuldzuweisung am Tode mehrerer jüdischer Kinder. Schlink arbeitet also in dem
Zusammenhang der Entwicklung einer Liebe die deutsche Vergangenheit auf und stellt die
Frage der Schuld in kritisches Licht.
Um Ähnliches geht es in den sieben kurzen Liebesgeschichten, in die das schon erwähnte
Buch „Liebesfluchten“ unterteilt ist. Vom zweideutigen Titel ausgehend handelt es sich dabei
entweder um die Flucht vor der Liebe, oder um die Liebe als Zufluchtsort. Die durchgehend
männlichen Protagonisten müssen sich mit diesem Thema auseinander setzten. Die meisten
von ihnen sind schon älter und blicken auf ihr Leben zurück, wobei die für Schlink typische
Bewältigung der deutschen Vergangenheit wieder einmal zu tragen kommt. Die traurige
Bilanz dieser Männer als Liebhaber, die ihr Leben gelebt haben, ist die einer gescheiterten
Liebe, vielleicht einer Liebe, die es nie gegeben hat oder die unerfüllt bleibt. Sie kann über die
Jahre erkaltet sein, aber die Protagonisten sehnen sich ständig nach ihr. Die sieben
Erzählungen sind Geschichten von Schicksalen verschiedenartiger Menschen, die in ihrem
Handeln und Denken klischeehaft ähnlich gestrickt sind. Es sind Geschichten von verpassten
Liebschaften, unerfüllten Träumen und Sehnsüchten, von der Unfähigkeit Liebe zu zeigen, zu
geben oder zu empfangen.
(S.Engels / S. Jokisch / D. Rupperath)
Bernhard Schlink
Liebesfluchten
Textanalyse und Interpretation
Das Mädchen mit der Eidechse
Verfasser: Regina Knie, Bennett Krebs, Marcel Maaß und Svenja Weiler
Inhaltsverzeichnis
1
Thema
2
Gestalterische Merkmale
2.1 Textsorte
2.2 Aufbau
3
Erzählverhalten und Sprache
3.1 Erzählverhalten
3.2 Sprache
4
Charakterisierungen
4.1 Sohn
4.2 Vater
4.3 Mutter
5
Das Bild „Das Mädchen mit der Eidechse“
6
Kurzbiographie und Interpretation
1 Thema
Die Geschichte „Das Mädchen mit der Eidechse“ handelt von dem gleichnamigen Gemälde
des fiktiven Malers Dalmann. Es werden zwei Themen angeschnitten. Zum einen die Intrigen,
die Lügen und das Verschweigen der Zeit des Nationalsozialismus am Beispiel des Vaters des
Protagonisten und zum anderen das Scheitern der Beziehungen aufgrund falscher
Vorstellungen.
Zum ersten Thema scheint offensichtlich, dass der Vater als Richter unter dem Druck der
Nationalsozialisten dem Maler Dalmann das Gemälde geraubt hat. Nach außen ließ er es so
aussehen, als ob er es als Dank für die Hilfe zur Flucht geschenkt bekommen habe. In
Wirklichkeit aber bereicherte er sich an dem Besitz der verurteilten Juden.
Was das zweite Thema betrifft, so ist der Protagonist der Geschichte von dem Gemälde
beeinflusst, welches in ihm die Sehnsucht nach weiblicher Zärtlichkeit weckt. Diese
Sehnsucht entsteht durch den Mangel an Liebe seitens der Mutter und fördert die Zuneigung
zu dem Mädchen auf dem Bild, durch welches in ihm eine falsche Vorstellung von Romantik
entsteht.
Zum Schluss trennt er sich von dem Bild, indem er es verbrennt und glaubt sich zu befreien.
Und damit auch von der belastenden Vergangenheit, die an dem Bild haftet, und von den
falschen Vorstellungen der Liebe.
2 Gestalterische Merkmale
2.1 Textsorte
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine Kurzprosa mit Elementen einer
Kurzgeschichte. Diese Einordnung erscheint insbesondere durch die starke Komprimierung
des Inhaltes, die Lesbarkeit der Erzählung innerhalb eines Leseakts und die geringe
Personenanzahl schlüssig. Der Plot ist kurz gefasst und gut zu lesen wie zu verstehen; es gibt
nur, wie für eine Kurzgeschichte üblich, einen Handlungsstrang der eine hohe Erzähldichte
aufweist.
Auch die hier auszumachende Nutzung des Präteritums, die Vakanz einer Einleitung sowie
viele Aussparungen und Andeutungen sind für diese Textsorte exemplarisch.
Weiterhin unternimmt der Autor keinerlei Wertung oder Deutung. Der Sprachstil ist
schmucklos; Schlink bedient sich in „Das Mädchen und die Eidechse“ der Alltagssprache.
Ferner wird auch hier, wie in vielen Kurzgeschichten, von einem Alltagsproblem auf einen
größeren gesellschaftlichen Missstand bzw. auf ein kollektives Problem geschlossen: Die
Verbrechen der Nazizeit dringen innerhalb dieser Erzählung auf eine subtile Weise bis in die
Sphäre des unbeteiligten Protagonisten vor; sie holen ihn in seiner Alltagswelt als Sohn eines
vermutlich Schuldigen ein und bestimmen auf eine unscheinbare Art sein Leben.
Der Autor erzählt seine Kurzgeschichte mit einer für diese Textsorte typischen Distanz. Das
Ende ist offen, so dass der Leser sich seine eigene Meinung bilden kann und nicht von der
Fantasie oder Überzeugung des Autors abhängig ist.
2.2 Aufbau
Die Kurzgeschichte enthält kaum innere Handlung, denn Gedachtes und Empfundenes, dass
für andere Figuren nicht wahrnehmbar ist, wird nur minimal dargestellt. Die Handlung läuft
primär äußerlich ab.
Das Verhältnis zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit ist gerafft, da sich die Geschichte von
der Kindheit bis ins Erwachsenenleben zieht.
Die Handlung ist einsträngig und linear, wobei Schlink unwichtige Details weglässt.
Die Figuren werden von außen durch indirekte Rede dargestellt: „Er sprach mit dem
Mädchen. Dass er ohne sie besser dran wäre. Dass sie ihm ganz schön was eingebrockt habe.
Dass sie ihn jetzt ruhig freundlicher anschauen könne“. (S.31).
Die Handlung wird durch einen Erzählbericht dargestellt. Das Erzählverhalten ist personal.
3 Erzählverhalten und Sprache
3.1 Erzählverhalten
In „Das Mädchen mit der Eidechse“ ist eine personale Erzählsituation vorzufinden; der
Protagonist fungiert hier als Reflektorfigur; der Leser wird nicht zur Identifikation mit der
Figur angehalten – er soll sich viel mehr ein eigenes Urteil bilden, was generell mit der
Intention einer Kurzgeschichte einhergeht. Die Umwelt wird ausschließlich über den Jungen
wahrgenommen; sein Innenleben wird nur angedeutet. Als exemplarisch für die
Erzählsituation lässt sich etwa heranziehen: „Als der Junge vierzehn war, gab der Vater sein
Richteramt auf und nahm eine Stelle bei einer Versicherung an. Er tat es nicht gerne, der
Junge merkte es, obwohl der Vater sich nicht beklagte.“ (Seite 16).
Perspektivwechsel oder Erzählerkommentare sind nicht zu finden; ebenso wenig wie eine
besondere Beschreibung der Gefühle oder der inneren Befindlichkeit des Protagonisten.
Dementsprechend wird auch auf innere Monologe verzichtet. Auch dies ist für eine
Kurzgeschichte, wie sie Schlink hier erzählt, charakteristisch.
Dies geht nicht zuletzt mit dem schnörkellosen, holzschnittartigen und kalkuliert
schmucklosen Sprachstil einher, der insbesondere bei Schlinks Personenbeschreibungen
offensichtlich wird.
Die Erzählzeit ist das Präteritum.
3.2 Sprache
Der sprachliche Stil in der ersten Geschichte „Das Mädchen mit der Eidechse“ lässt sich als
für eine Kurzgeschichte typisch beschreiben. Er ist im Gros schmucklos; Schlink bedient sich
hier der Alltagssprache. Der Autor erzählt seine Kurzgeschichte mit einer für diese Textsorte
wesensgemäßen Distanz, was sich in seinen Worten und kurz angebundenen Formulierungen
sehr niederschlägt. Ferner scheint er sich nicht mit seinem Protagonisten zu identifizieren,
sondern fungiert nur als (unkritischer wie neutraler und emotionsloser) Beobachter seiner
Szenerie. Die, insbesondere wenn Schlink seine Charaktere beschreibt, auszumachenden,
gewollt schnörkellosen Formulierungen lassen viel Raum für eine eigene Ausschmückung:
Der Autor appelliert in gewisser Weise an die Fantasie seines Publikums; er schreibt wenig,
aber sagt viel – die gegebenen Informationen lassen sehr viel Raum, um selbst ein
authentisches Bild der Charaktere zu zeichnen. Viele der, mit einer vermeintlichen
Belanglosigkeit von Schlink versehenen, kurzen Parataxen transportieren für die Figuren als
exemplarisch anzusehende Wesenszüge. Der Platz, den Schlink mit seiner nüchternen
Sprache offen lässt, scheint vorbestimmt: Die Interpretation läuft in eine Richtung; obwohl
keine Emotionalisierung, Wertung oder Deutung des Autors betrieben wird, spricht der Plot
für sich. Hiermit einhergehend lassen sich nur wenige rhetorische Figuren ausmachen;
sprachlich-grammatikalische Besonderheiten sind hingegen einige vorhanden: Insbesondere
der parataktische Satzbau ist ein solches. Abschließend ist das verwandte Tempus Präteritum
ebenfalls typisch für diese Textsorte.
4 Charakterisierungen
4.1 Sohn
Der Protagonist weist eine sehr vielschichtige Persönlichkeit auf. Einerseits zeichnet er sich
nach außen hin durch eine Gestalt von großer Stärke mit „großknochigen Gliedmaßen“ und
„Ungelenkheit“ aus, was ihn in seinem sozialen Umfeld, das zunächst durch die
Schichtzugehörigkeit seines Vaters, einem angesehenem Richter, determiniert ist, isoliert.
Diese Äußerlichkeiten scheinen jedoch nicht mit seiner Persönlichkeit einherzugehen. Er ist
„oft verwirrt“, scheint aber dennoch oder gerade deswegen sehr vergeistigt.
Darüber hinaus hat er ein Gespür für die Psyche fremder Menschen. Er analysiert sie und
scheint selbst in die tiefsten Abgründe ihrer Persönlichkeit Einblick zu haben.
Ferner nimmt er unsichtbare Konflikte wahr. Auf diese Fertigkeiten ist er auf eine subtile
Weise stolz: Nach außen verkauft er sich als das, was andere in ihm bzw. seinem
Erscheinungsbild sehen wollen – er ist immer bestrebt, den gesellschaftlichen Konventionen
zu genügen und ist gehorsam. Allerdings auch ein Außenseiter, bis er aus seinem kräftigen
Äußerem innerhalb einer neuen, grobschlächtigeren Klassengemeinschaft Gewinn schlagen
kann. Wenn er jedoch, wiederum um sein „Prestige“ zu steigern, eine Freundin haben will,
deutet er seine „verborgenen Schätze“ stets an.
Ein Bruch in seiner anscheinend unkritischen Hörigkeit ist auszumachen, als er das von
seinen Eltern auferlegte Verbot, das Schlafzimmer nicht zu betreten, aus Neugierde
missachtet. Diese Neugierde führt sich fort in seiner Suche nach dem Maler „seines“ Bildes,
das als Manifestierung all seiner Wünsche und Begehrlichkeiten angesehen werden kann,
auszumachen. Im weiteren Verlauf der Kurzgeschichte ist sein Liebesleben stets von dem
Bild, das ihn als sehr sinnlichen Menschen in seiner Kindheit nachhaltig beeindruckte,
bestimmt: Die Perfektion des geheimnisvollen Mädchens wird von ihm zu seiner Referenz
erhoben; die oberflächlichen Liebschaften, die dem im Bild dargestellten Mädchen äußerlich
ähneln, können ihr niemals gerecht werden. Sein gesamtes Liebesleben ist durch dieses
Mädchen, mit dem er mitunter auch spricht, vereinnahmt. Nach jeder für ihn vermutlich
unbefriedigenden Romanze flüchtet er sich erneut in seine innige Beziehung mit dem
Mädchen mit der Eidechse. Dies geht so lange, bis er sich von ihr endgültig emanzipiert.
4.2 Vater
Der Vater des Protagonisten ist ein Kriegsrichter im Nationalsozialismus und später ein
Versicherungsangestellter. Er ist ein strenger und harter Richter und zudem Vater und
Ehemann.
Er war im Kriegsgerichtsrat in Straßburg seit 1943 tätig und kam fünf Jahre später aus
französischer Kriegsgefangenschaft. Während seiner Tätigkeit als Richter verurteilte er einen
befreundeten Offizier, der Juden ohne Pass geholfen hat sich der Festnahme durch die Polizei
zu entziehen. Es wurde ihm vorgeworfen den Offizier aus eigennützigen Beweggründen zum
Tode verurteilt zu haben. Zwei der Juden waren das Ehepaar Dalmann. Der Vater
vergewaltigte Frau Dalmann und eignete sich rechtswidrig das Gemälde „Das Mädchen mit
der Eidechse“ des Ehemannes an. Dies war aber nicht nur ein Einzelfall, denn es wurden ihm
mehrere rechtswidrige Besitzaneignungen von Juden vorgeworfen. Die Frau des Vaters
wusste von seinem Seitensprung und verweigerte ihm, mit ihr zu schlafen, also vergewaltigte
er auch sie und so entstand ihr Sohn, der Protagonist dieser Geschichte.
Aufgrund dieses Vorfalles legte er wegen schwerer Vorwürfe sein Amt als Richter nieder und
bekam eine Stelle bei einer Versicherung. Zu diesem Zeitpunkt war sein Sohn 14. Wegen des
geringeren Einkommens mussten sie in eine kleinere Wohnung umziehen. Durch seinen
unkontrollierten Alkoholkonsum verliert er auch seine Anstellung bei der Versicherung.
Während des 3 Studiumsjahres des Sohnes stürzte sein Vater nach einem Kneipenbesuch
stark alkoholisiert eine Böschung hinab, blieb liegen und erfror.
Sein Verhältnis zu seiner Frau war anscheinend von Anfang an nie das Beste. Sein Sohn
entdeckt zwar ein Hochzeitsfoto, auf dem seine Eltern sehr glücklich aussehen, aber dies
änderte sich wohl mit der Tätigkeit des Vaters in Straßburg. Dass er sie gezwungen hat, mit
ihm zu schlafen, hat sie ihm nie verziehen. Weiterhin verlief die Ehe unglücklich, sie stritten
sich sehr oft und wurde nur noch mehr von der Gewohnheit des Zusammenlebens vom
endgültigen Aus bewahrt. Sie distanzierten sich immer mehr voneinander. Er hielt sie aus
seinen beruflichen Tätigkeiten heraus, sie schliefen in getrennten Betten und teilten ihre
Freizeit nicht miteinander.
Nicht vergleichbar zu dem Verhältnis seiner Frau gegenüber war das Verhältnis zu seinem
Sohn. Er war zwar auch hier streng und hart, liebte aber seinen Sohn. Er neigte wohl dazu,
schnell cholerisch zu werden, aber in einem Beispiel zeigt er, dass auch in ihm ein liebevoller
Vater steckt (S. 14). In diesem Beispiel wirkt er auf seinen Sohn vertrauens- und liebevoll,
nimmt sich Zeit für ihn und hört ihm geduldig zu. Auch später, so erfährt man von seiner
Mutter, war er an seinem Sohn interessiert, traute sich aber nicht auf seinen Sohn zuzugehen,
aus Angst vor Abneigung (S. 28).
Geprägt und verfolgt von seiner Vergangenheit verändert sich der Vater. Er spricht immer
mehr dem Alkohol zu, bemüht sich aber nach außen den Schein zu wahren, er sei ein lockerer
und ausgeglichene Mensch, der mit seinem Leben vollends klar kommt. Doch der Schein
trügt. Er zieht sich immer wieder in sein Arbeitszimmer zurück und flüchtet sich in den
Alkohol. Aufgrund der Vorwürfe ihm gegenüber wegen seiner Richter-Tätigkeit wird er
vorsichtiger anderen gegenüber und teilte ihnen selten seine eigene Meinung mit. Sein
Alkoholkonsum nimmt im Laufe der Geschichte immer weiter zu, betrinkt sich stark und
verwüstet sein Arbeitszimmer (S. 21).
Vermutlich ist es die Vergangenheit, die ihn immer wieder einholt, wodurch man auch seinen
überdurchschnittlichen Alkoholkonsum erklären könnte. Er wird verfolgt von den zahlreichen
Einzelschicksalen, die er verurteilt hat - noch dazu wegen eines anderen Glaubens. Hinzu
kommt das Bild, welches im Arbeitszimmer hängt. Es erinnert ihn täglich an seine Tat an dem
Ehepaar und an die Vergewaltigung Frau Dalmanns. Zudem lebt er mit seiner Schuld allein.
Er musste nie eine gerechte Strafe absitzen. Niemand hat ihn zur Rechenschaft gezogen, also
blieb er mit seiner unheimlichen Schuld allein. Nebenbei dann noch ewiges Vertuschen und
Verfälschen von Tatsachen. Die Vorsicht, mit der er Nachbarn und Freunden entgegen treten
muss, um sich selbst nicht zu verraten. Die Schuld, die er trüge, wenn alles rauskäme und
seine Familie ohne ihn da stände. Mit all dem hat er täglich zu kämpfen und flüchtet sich in
den Alkohol. Dies wurde so viel, dass er in zehn Jahren fast „eine Wohnung vertrunken“ hat
(S. 27). Die Geldsumme, die der Vater vertrunken hat, nahm sich auch die Mutter beiseite und
sparte sie sich zehn Jahre lang an. Ohne spezielle Hilfe war es nur eine Frage der Zeit, die
seinen Tod bedeuten würde. Letztendlich erfror er nach einem Kneipenbesuch, wonach er
eine Böschung hinabstürzte…
4.3 Mutter
Die Mutter ist keine sehr auffällige Person in das ,,Mädchen mit der Eidechse“, allerdings
auch keine unwichtige. Zu Anfang erfährt der Leser kaum etwas über ihren Charakter, außer
dass sie verheiratet ist und mit ihrem Mann und ihrem Sohn zusammen lebt. Jedoch steht es
nicht besonders gut um ihre Ehe, beispielsweise schlafen Mutter und Vater getrennt.
Sie wird als ,,nervös“ und „schlank“ beschrieben.
Sogleich merkt man, dass sie eine gewisse Abneigung gegen das Bild von dem Mädchen mit
der Eidechse hegt, die Gründe hierfür werden erst später offenbart. Erst nach dem Tod ihres
Mannes erhält der Leser durch Gespräche zwischen Mutter und Sohn einen Einblick in ihre
Persönlichkeit. Durch kleine Gesten merkt man schnell, wie zurückgezogen und abweisend
die Mutter ist ( ,,Er fragte sanft und wollte seine Hand auf ihre legen, aber sie zog sie fort“,
S. 27).
Es war ihr unmöglich sich von ihrem Mann zu trennen, weil dieser zu ihrem Lebensinhalt
geworden ist ( ,,Aber eines Tages sind diese Tätigkeit und jener Mensch dein Leben
geworden“, S. 28). Nachdem der Junge langsam hinter das Geheimnis des Bildes und somit
auch hinter das seines Vaters kommt, beginnt die Mutter die Lüge des Vaters aufrecht zu
erhalten.
Es scheint so, als ob sie ihren Mann vehement gegen die Anschuldigungen des Sohnes
verteidige. Sie versucht die Wahrheit zu verdrängen, ihre aus Lügen aufgebaute Ordnung
aufrechtzuerhalten und die Handlungen des Vaters vor ihrem Sohn und vielleicht auch vor
sich selbst zu rechtfertigen. Sie besteht darauf, dass der Vater so gehandelt habe, um Mutter
und Sohn zu schützen.
Der Sohn vermutet, dass er durch Vergewaltigung der Mutter durch den Vater hervorging.
Dies würde auch das unterkühlte Verhältnis zwischen Mutter und Sohn erklären ( „Hat Vater
dich, als du mich empfangen hast, vergewaltigt?(...) Kam er eines Nachts, und du wusstest
von der anderen und wolltest nicht mit ihm schlafen, und er hat sich nicht darum geschert,
was du wusstest und wolltest, und hat dich vergewaltigt? So bin ich in die Welt gekommen?
Du hast es mir nie verziehen?“, S. 50 ).
Mit der Zeit lernte sie mit ihren seelischen Wunden zu leben, allerdings war es ihr daher
nicht möglich, sich auf ihren Sohn einzulassen.. Sie hat ihn in gewisser Weise aus ihrem
Leben ausgeschlossen, denn er ist gewaltsam in ihr Leben getreten und stellt so eine
schmerzliche Erinnerung an die Vergewaltigung dar und störte den Prozess ihrer
Verdrängung.
5 Das Bild „Das Mädchen mit der Eidechse“
Das Bild „Das Mädchen mit der Eidechse“ von René Dalmann entstand wahrscheinlich in
der Kurzgeschichte Anfang des 20. Jahrhunderts.
„Im Vordergrund des Bildes sind ein Mädchen und eine Eidechse auf einem Felsen oder einer
Düne, im Mittelgrund ist ein Strand, und vom Mittel- zum Hintergrund ist das Meer.“ (S. 13)
„Das Bild zeigt ein Mädchen mit einer Eidechse. Sie sahen einander an und sahen einander
nicht an, das Mädchen mit verträumten Blick, die Eidechse das Mädchen mit blicklosem,
glänzenden Auge. Weil das Mädchen mit seinen Gedanken anderswo war, hielt es so still,
dass auch die Eidechse auf dem moosbewachsenen Felsbrocken, an dem das Mädchen
bäuchlings halb lehnte und halb lag, innegehalten hatte. Die Eidechse hob den Kopf und
züngelte.“ (S.7)
1930 folgte Dalmann seiner geliebten Lydia Diakonow von Paris nach Berlin. Sie arbeitete
dort als Kabarettistin und sie war Dalmanns Eidechse. Doch als der Dalmann-Raum
geschlossen wurde und Lydias Kabarett von der SA zerschlagen wurde, flüchteten beide 1937
noch vor der Ausstellung in München nach Straßburg. Nachdem die Deutschen in Straßburg
einmarschiert sind, fehlt von dem Ehepaar jede Spur.
Zu der Zeit, als der Protagonist Nachforschungen über das Buch anstellt, gilt das Bild als
verschollen und wurde zuletzt in der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ ausgestellt. Als
er allerdings den ersten Rahmen abnimmt, erkennt er ein Etikett der Kunsthandlung in
Straßburg. Es muss also auch dort ausgestellt worden sein. Jedoch handelt es sich nicht
unbedingt um dasselbe Bild. Das in München ausgestellte Bild zeigte eine große Eidechse mit
einem kleinen Mädchen. Das Etikett befand sich aber auf dem Bild mit einem Mädchen und
einer kleinen Eidechse. In Wirklichkeit malte Dalmann ein zweites Bild und befestigte es über
dem Ursprünglichen, um mit diesem und seiner Frau zu flüchten. Der Protagonist bemerkt des
allerdings erst, als er das Bild am Strand verbrennt und an einer Seite die Leinwand
hochschlägt und das Originalbild „die Eidechse mit dem Mädchen“ freigibt.
Das Mädchen auf dem Gemälde ist circa acht Jahre alt und hat auf den Jungen schon in frühen
Jahren eine faszinierende Wirkung. Für die Mutter ist das Mädchen das „Judenmädchen“,
weil sie es für die Tochter des Malers hält. Man könnte es aber auch so verstehen, dass sie mit
dem „Judenmädchen“ den „Seitensprung“ mit der Frau von Dalmann meint.
Das Bild hat auf ihn so eine starke Wirkung, dass sein „erstes Mal“ eine Katastrophe wird,
denn es kommt ihm falsch vor. Er nimmt es als Verrat an allem, was er liebte, wahr und denkt
dabei unter anderem an das Mädchen auf dem Bild.
Auch für den Vater ist das Bild alles (S. 23).
Als der Vater stirbt, hängt der Protagonist das Bild über seinem Bett auf. Er spricht mit dem
Mädchen auf dem Bild, fragt sie und schimpft mit ihr. Es entsteht eine einseitige Beziehung.
Gegen Ende der Geschichte fragt er sich, ob das Bild für ihn mehr Geschenk oder Verhängnis
ist. Zudem sieht er es als „beherrschende, kontrollierende Instanz, der Opfer gebracht werden“
müssen (S. 53). Das Mädchen verfolgt ihn, kontrolliert sein Liebesleben und ist Symbol für
die Fehler seines Vaters in dessen Zeit im Kriegsgerichtsrat. In Folge dessen verbrennt er es
schließlich am Strand.
6 Kurzbiographie und Interpretation
Bernhard Schlink wurde am 06.07.1944 bei Bielefeld geboren. 1945 zog er nach Heidelberg,
wo er mit seinen Geschwistern Johanna, Dorothea und Wilhelm aufwächst. Bereits mit acht
Jahren schrieb er ein Drama, welches auf einer wahren Geschichte basiert. Es handelt vom
Streit zwischen ihm und seinem Bruder, er nannte es deshalb „Der Brudermord“.
Schlink studierte in Heidelberg und Berlin Jura. 1987 erscheint sein erster Kriminalroman
„Selbs Justiz“ und 1988 der Kriminalroman „Die gordische Schleife“, der 1990 mit dem
Glauser Preis des Syndikats ausgezeichnet wurde. 1993 erscheint „Selbs Betrug“, ebenfalls
ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi- Preis (1993). 1995 erscheint dann sein vierter und
berühmtester Roman „Der Vorleser“, der in 32 Sprachen übersetzt wurde und als erstes
deutsches Buch auf den ersten Platz der New-York-Times Bestsellerliste sprang.
Heute ist Bernhard Schlink Professor der Rechtswissenschaften in Berlin und ist
Verfassungsrichter in Nordrhein-Westfalen.
Bei seinem neuesten Werk ,,Liebesfluchten“ handelt es sich um eine Sammlung von sieben
Geschichten, die sich alle mit der Flucht vor der und in die Liebe beschäftigen.
Die erste Geschichte trägt den Namen ,,Das Mädchen mit der Eidechse“. Ein junger Mann
entwickelt zu einem Bild, auf welchem ein offenbar jüdisches Mädchen mit einer Eidechse
abgebildet ist, ein intensives Verhältnis. Das Bild ist durch undurchsichtige Machenschaften
in die Hände seines Vaters gekommen, als dieser während des Krieges als Kriegsgerichtsrat
tätig gewesen ist. Der Besitz des Bildes verurteilt den Protagonisten zur Geheimhaltung und
schließt ihn aus der Gesellschaft aus. Erst als er sich von dem Bildnis trennt, hat er die
Möglichkeit, ein normales Leben zu führen.
Wie in all seinen Geschichten aus diesem Buch, hat Bernhard Schlink auch hier ein dichtes
Netz aus Vergangenheit, Zeit, Erinnerung und Verdrängung gesponnen. Schlink behandelt
mehrere wichtige Themen in dieser Kurzgeschichte. Da wäre zum einen das Thema des
Kunstraubes im Dritten Reich, dem viele Künstler und deren Werke zum Opfer fielen. Ein
weiteres großes Thema ist die Frage wie wir Deutschen mit unserer Vergangenheit umgehen
und die damit verbundene Verdrängung.
Immer wieder wird der Protagonist der Geschichte durch das Bild von der Vergangenheit
eingeholt. Es erinnert ihn ständig an die Schuld, die der Vater mit dem wahrscheinlich
unrechtmäßigen Erwerb auf sich geladen und die er nach dem Tod des Vaters geerbt hat. Er
versucht alles zu verdrängen, die Ereignisse die um das Bild geschehen sind und die
Situationen die er mit dem Bild verbindet. Er ist sich seiner Mitschuld bewusst, so dass er das
Geheimnis um das Bild für sich behält und nicht der Öffentlichkeit preisgibt und er sieht sich
gezwungen es vor den Augen anderer zu verstecken. Es wird zu einer Last und verhindert ein
normales Leben.
Letztendlich entscheidet er sich es zu verbrennen und damit den Beweis für die Schuld zu
vernichten. Doch Schlink macht deutlich das dies unmöglich ist. Der Junge hat sein ganzes
Leben mit dem Bild verbracht, so dass es sich zu intensiv in sein Gedächtnis gebrannt hat. Er
wird die Schuld, der er sich bewusst ist und das Bild von dem Mädchen mit der Eidechse
wohl nie wieder los. Es wird ihn auch sein weiteres Leben begleiten.
Das Besondere an Schlinks Geschichte ist wohl die Nachwirkung: Man gehört wieder dem
Leben an, aber anders, so als wäre man nach dem Lesen in eine bewusstere Gegenwart
zurückgekehrt.
Bernhard Schlink – Liebesfluchten
Analyse und Interpretation der Geschichte „Der Seitensprung“
Verfasser: Juliane Arck, Sebastian Hein und Paula Krämer
1.
Kurzbiographie und Hinweise zum Werk
Bernhard Schlink (*1944), Jurist und Schriftsteller, ist heute einer der erfolgreichsten
deutschen Autoren von Kriminalliteratur, Romanen und Erzählungen.
Geboren 1944 in Bielefeld, studierte er in Heidelberg und Berlin, bevor er 1975 promovierte
und 1981 habilitierte.
Er war Professor in Bonn, Frankfurt/ Main, sowie in Berlin an der Humboldt- Universität.
Zudem erhielt er 1993 die Gastprofessur an der Yeshiva Universität in New York. Außerdem
ist Schlink seit 1988 Verfassungsrichter in Nordrhein- Westfalen. Er gilt als Experte auf dem
Gebiet des Grund- und Staatrechts.
Mit seinem ersten Roman „Die gordische Schleife“ (1988) erhielt Schlink auch seinen ersten
Literaturpreis. In Folge verfasste Schlink die Detektivromane mit dem Protagonisten
„Gerhard Selb“, sowie seinen Roman „Der Vorleser“ mit dem er den internationalen
Durchbruch schaffte. 2000 wurde der Erzählband „Liebesfluchten“ veröffentlicht, ehe 2001
„Selbs Mord“ folgte.
In Schlinks Erzählband „Liebesfluchten“ lassen sich in sieben Geschichten zehn, teilweise
übereinstimmende, inhaltliche Aspekte feststellen. Diese sind: Zwanghafte Rituale, Liebe,
Macht der Gewohnheit, Flucht vor Etwas oder in Etwas, Realitätsverlust und unterdrückte
Sehnsüchte. Ferner sind es die Bewältigung der Vergangenheit, Lebenskrisen, Schuld und
Selbstverleugnung.
Letztere prägen den Inhalt der Geschichte „Der Seitensprung“, welche im
Gesamtzusammenhang des Bandes die zweite Geschichte ist.
Die Geschichte spielt in der Zeit zwischen 1986 und 1994 und handelt von einem Mann aus
dem Westen, der eine Freundschaft mit einer jungen Familie aus dem Osten aufbaut und
pflegt.
Ausgehend von einem Schachspiel lernt der Ich-Erzähler, dessen Name nicht genannt wird,
Sven, seine Frau Paula und die Tochter Julia kennen. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, der
Urlaub wird gemeinsam verbracht und Informationen über die Geschehnisse im Osten an
westliche Journalisten weitergegeben.
Schließlich fällt die Mauer und Sven und Paula finden sich zusehends besser zurecht. Als
Sven eine gesicherte Stelle findet, treffen sich alle um dieses zu feiern. In der folgenden
Nacht, der Ich-Erzähler übernachtet bei Sven und Paula, kommt es zum Seitensprung
zwischen ihm und Paula.
Anschließend kommt es zur Krise, die darin besteht, dass Svens Stasi- Vergangenheit zur
Sprache kommt und zu einer heftigen Konfrontation zwischen Sven und Paula führt, in die
auch der Ich-Erzähler verwickelt wird. Danach bricht der Kontakt ab und wird erst am Ende
der Geschichte wieder aufgenommen, als Julia zu einer Geburtstagfeier einlädt.
2.
Gestalterische Merkmale
Die Kurzgeschichte „Der Seitensprung“ wird durch das Kennen lernen der Hauptpersonen
eingeleitet. Sie treffen sich zufällig beim Schach spielen; dies nennt man einen unmittelbaren
Einstieg. Der zentrale Ort des Geschehens ist Berlin Ende der 80er und Anfang der 90er
Jahre. Auf den historischen Kontext wird durch die Ost-West-Freundschaft und die
Jahreszahlen hingewiesen.
Die Kurzgeschichte spielt in einem Zeitraum von etwa 8 Jahren (1986 - 1994).
„Der Seitensprung“ enthält einen Zeitsprung, der zugleich zu einem offenen Schluss führt:
Nachdem der Kontakt zwischen der kleinen Familie und dem erzählenden Ich abgebrochen
ist, führt die Tochter, Julia, alle an ihrem 10. Geburtstag wieder zusammen. Diese von Schlink
gewählte Schlussszene lässt offen, wie sich die Freundschaft weiterentwickelt; ob sie sich
noch ein Mal anfreunden oder ob sie nach dem Geburtstag auseinander gehen.
Die Krise dieser Kurzgeschichte besteht in dem Herauskommen der Bespitzelung Svens an
seiner Frau Paula und ihrem daraus resultierendem Seitensprung. Jedoch ändert sich dies am
Schluss; Julias 10. Geburtstag bringt Sven, Paula und das erzählende Ich wieder zusammen
(Wendepunkt).
Das Zusammentreffen der 3 Personen könnte noch zu einer Katastrophe im Schluss führen, da
sie sich längere Zeit nicht mehr gesehen haben und dadurch immer noch verärgert über den
jeweiligen anderen sind; dies lässt Schlink jedoch offen.
„Der Seitensprung“ ist so strukturiert, dass der Aufbau der Handlung für den Leser klar
ersichtlich ist. Der rote Leitfaden erstreckt sich vom Anfang des 1. bis zum Schluss des 7.
Kapitels. Der klare und lineare Aufbau der Geschichte ist ersichtlich, da nichts Unnötiges/
Nebensächliches vorhanden ist; jede Anmerkung hat eine bestimmte Rolle und einen
bestimmten Sinn für den weiteren Verlauf der Geschichte oder für das, was vorher schon
geschildert wurde. Des Weiteren findet kein Ebenenwechsel statt.
3. Erzählverhalten und Sprache
Beim Erzählverhalten und der verwendeten Sprache orientiert sich Schlink an den Mustern,
die auch charakteristisch für Kurzgeschichten sind.
In einem sprachlich schlichten, schmucklosen Stil gelingt es Schlink seine Charaktere und die
Umgebung, in der sie sich bewegen, so zu zeichnen, dass sie trotz allem eindringlich und
vielseitig sind.
Das erzählende Ich ist neben seiner tragenden Rolle in der Geschichte ausschlaggebend dafür,
dass neben den eigenen Gefühlen auch die Empfindungen und Stimmungen der anderen
Personen aufgefangen werden und zum Ausdruck kommen. Per Assoziationstechnik wird
zudem die Umgebung grob, aber klar erkenntlich umrissen.
Die Fülle der Beschreibung von Gefühlen und Empfindungen des Ich-Erzählers fallen seiner
Rolle unangemessen und überraschend kurz aus.
Zu Beginn der Geschichte werden seine Gefühle und Eindrücke ausführlich beschrieben:
„kannte niemanden“, „Öde Ostberlins […] seine Häßlichkeit“ (Kap.1). Doch schon bald
werden auch die Gefühle seiner Mitmenschen aus seiner Sicht wiedergegeben: „er war ein
bißchen geniert […] zudem […] geschmeichelt“ (Kap.1). Dieses zieht sich durch die gesamte
Geschichte, sodass der Eindruck entsteht, dass dieses erzählende Ich nur ein Beobachter des
Lebens von Sven, Paula und Julia ist. So verfließt die formale Grenze zwischen einem IchErzähler und einem auktorialen Erzähler.
Nützlich ist die Rolle des erzählenden Ichs als Rolle des Beobachters der Umgebung. So wie
es seine „Augen wandern“ lässt (Kap.2), entsteht ein genaues, aber nicht zu detailliertes Bild
des Umfelds. Neben den optischen Eindrücken werden auch alle anderen sinnlichen
Eindrücke so aufgefangen und wiedergegeben. Akustische Eindrücke wie Autos, die übers
Kopfsteinpflaster rattern und Straßenbahnen, die in der Kurve quietschen (Kap.2), oder
Vögel, die lärmen (Kap.12), sowie Gerüche wie stinkende Abfallbehälter und Komposthaufen
(Kap.12), werden von dem erzählendem Ich einzeln dargestellt.
Diese assoziationstechnischen Passagen in der Geschichte sind wie die Passagen inneren
Monologs und erlebter Rede in erstaunlich schlichter, schmuckloser Sprache gehalten. Der
großenteils parataktische Satzbau wird nur vereinzelt mit Parallelismen und Anaphern
ausgeschmückt. Diese dienen vor allem im Inneren Monolog (Kap.13) als einfach zu
strickende, aber effektive Möglichkeit die Gefühle hervorzuheben und somit dem Leser sehr
deutlich zu machen.
In dieser Geschichte werden in einem ruhigen, klaren Sprachstil eine komplizierte
Vergangenheit, sowie eine daraus resultierende Ehekrise dargestellt. Dieses bewirkt, dass der
Leser trotz der sich überschlagenden Handlung den Überblick über das Geschehen behalten
kann und es distanziert betrachten kann.
4.
Die Figuren
Bernhard Schlink hat sich in der Geschichte „Der Seitensprung“ auf wenige Figuren reduziert.
Es handelt sich um drei Hauptcharaktere, Paula und Sven (ein Ehepaar aus dem Osten) und
den Erzähler (ein Freund der Familie).
Der Sozialrichter ist der Erzähler der Geschichte. Er beschreibt seine Erlebnisse mit der
Familie und der Leser erfährt keine Einzelheiten seiner Person und auch keine weit
reichenden Details über sein Gefühlsleben. Der Erzähler dient dem Leser dazu, die
Geschichte besser zu begreifen, er ist wie ein Betrachter der Geschichte, obwohl er selbst
integriert ist. Außerdem trägt er dazu bei, dass der Leser seinen Standpunkt festigen kann,
weil er eine fast neutrale Stellung nimmt, er beeinflusst den Leser nur wenig durch
Meinungsäußerungen oder Gefühlsschilderungen. Auch die Verunsicherung des Erzählers
nach dem Seitensprung trägt zur Meinungsbildung bei, da der wahre Standpunkt und Grund
niemals deutlich wird.
Der junge Sozialrichter hat also die Aufgabe, die Geschichte von einem weitgehend neutralen
Standpunkt näher zu bringen.
Sven ist ein sehr unsicherer Mensch. Er bespitzelt seine Frau, da er Angst hat sie könnte ins
Gefängnis kommen. Diese Handlungsweise deutet auf eine gewisse Führsorglichkeit hin,
jedoch auch auf eine Abhängigkeit. Er blickt zu seiner Frau auf und meint sie sei stärker als
er. Er kann mit seinen Gefühlen nicht umgehen, als Paula ihn zur Rede stellt, er ist unsicher,
verängstigt und aufbrausend.
Diese Angst verlassen zu werden besteht nicht nur aus dem Grund, dass er Paula liebt,
sondern auch, dass er von ihr in gewisser Weise abhängig ist.
Die politisch engagierte Paula versucht vor dem Konflikt zu fliehen und schläft mit dem
Erzähler. Sie wurde von ihrem Mann enttäuscht und weiß keinen Ausweg.
Wenn man sich die Verhaltensweisen der Figuren Paula und Sven genauer ansieht, kann man
Gemeinsamkeiten erkennen. Beide Personen begehen Verrat aneinander um ihre Ehe zu
retten.
Sven verrät Paula, indem er sie bespitzelt, um sie vor dem Gefängnis zu bewahren und somit
die Ehe zu retten.
Paula schläft mit dem Erzähler, um zu erkennen und zu begreifen, dass sie Sven trotzdem
liebt und somit so etwas wie einen Schuldausgleich schafft.
Man kann erkennen, dass sich die Einfachheit der Sprache auf die Figuren überträgt. Sie
wirken unspektakulär und aus dem Leben genommen, es sind alltägliche Charaktere in einer
Ausnahmesituation.
5.
Aussage der Geschichte
Die Geschichte der Seitensprung ist von zwei Hauptkonflikten bestimmt. Die persönlichen
Auseinandersetzungen sind die Folge der politischen Konflikte zwischen dem Ehepaar.
Die Vergangenheit der Stasi Spitzel war lange Zeit eine unangesprochene Sache. Erst nach
und nach wurden Archive geöffnet und Funktionäre entlarvt.
Die Geschichte „Der Seitensprung“ findet zu einer Zeit statt, in der diese Entwicklung noch
ganz am Anfang stand.
Einen Menschen aus seiner nächsten Umgebung auf seine Stasi Vergangenheit anzusprechen
ist mit Sicherheit sehr schwierig.
Als Paula von Svens Spitzelvergangenheit erfährt, kommt es zur Enttäuschung und zu einem
Vertrauensverlust, was sich auf ihre Beziehung negativ auswirkt. Somit kommt es auch zu
dem Seitensprung zwischen Paula und dem Erzähler.
Wie in jeder Geschichte von „Liebesfluchten“, fliehen die Personen vor der Liebe. Hier durch
den Seitensprung. Paula flieht auf diese Weise nicht nur vor den Komplikationen ihrer Ehe,
sondern auch vor denen der Diktatur.
Durch den Seitensprung wird Paula jedoch klar, dass sie Sven trotzdem liebt und jetzt eine
Art Schuldausgleich geschaffen hat.
Die Bewältigung der Vergangenheit und die Bewältigung einer Beziehungskrise liegen auch
in dieser Geschichte nah beieinander.
Die Aussage der Geschichte liegt darin, dass man sich für die Liebe nicht selbst verleugnen
sollte, da die Vergangenheit die Personen immer einholt und daraus Lebenskrisen resultieren.
Die Bewältigung der Vergangenheit ist notwendig für das Weiterleben der Menschen und für
ein Verhindern von Konflikten und Krisen.
Bernhard Schlink
Verfasser:
„Liebesfluchten“
-
Der Andere
Alexander Beck – Pius Heinz - Heidi Lenzen
1. Inhaltliche Zusammenfassung
In der Geschichte "Der Andere", geht es um einen alten Mann, der bei dem Versuch nach dem
Tod seiner Frau seinen Alltag neu zu ordnen, auf eindeutige Anzeichen dafür stößt, dass diese
während ihrer Ehe eine Beziehung zu einem anderen Mann pflegte. Bengt Benner reagiert
sehr verletzt, enttäuscht und beginnt, seine Ehe zu hinterfragen. Er merkt schließlich, dass
sein eingebildetes Bild des Familienglücks nicht der Realität entspricht. Schließlich versucht
er deutlichere Anzeichnen und Beweise für diese Beziehung zu finden. So schreibt er dem
Anderen regelmäßig Briefe, in denen er sich als seine verstorbene Frau ausgibt. Weiterhin
versucht er bei seinem Kindern Näheres in Erfahrung zu bringen. Bei diesem Versuch wird
dem Leser allerdings deutlich, dass Bengt Benner kein sehr guter Vater gewesen ist und seine
Kinder sich von ihm vernachlässigt fühlten („Es ist wie früher, wenn du dich monatelang
nicht um uns gekümmert hast und plötzlich am Sonntag morgen mit uns spazieren gehen und
reden wolltest. Uns fiel nichts ein, und du wurdest ärgerlich...“ ,S.120). Nachdem er seine
Tochter besucht hat und sich mit diesem Vorwürfen konfrontiert sieht, beschließt er nicht
mehr bei seinem Kindern oder bei guten Freundinnen seiner Frau nach Informationen über
seinen Nebenbuhler zu suchen. Denn er beschließt, in die Stadt des Anderen zu fahren und so
mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Er nähert sich dem Anderen langsam, indem er immer
im selben Café mit ihm sitzt und ihn beobachtet. Auf Benner wirkt der Andere wie ein
Aufschneider, der mit edlen Klamotten und tönenden Reden immer darauf bedacht ist
Endruck zu schinden. Schließlich spricht Benner den Anderen an und sie kommen bei einer
Partie Schach ins Gespräch. Sie verabreden sich auch für den nächsten Tag und so hat Benner
eine Kontaktmöglichkeit zu seinem Widersacher hergestellt. Doch je mehr Zeit Benner mit
dem Anderen verbringt, desto häufiger kommt es zu Situationen, welche zu so einem
wohlhabenden Menschen nicht passen wollen. So muss sich der Andere, unter dem Vorwand
er habe sein Geld vergessen, immer häufiger von Benner einladen lassen, um seine Rechnung
im Café zu bezahlen. Weiterhin schreibt er ihm einen Brief im Namen seiner Frau, in dem er
ihren Besuch ankündigt. Nach einigen Treffen spricht Benner auch wie durch Zufall seine
Frau an, jedoch ohne etwas Genaueres zu verraten. Er gibt sich lediglich als ihr Nachbar aus,
was der Andere auch als einen seltsamen Zufall nicht weiter beachtet. Am Tag darauf
beschließt Benner, den Anderen unangekündigt zu besuchen. Es stellt sich heraus, dass der
Andere nicht, wie behauptet, in einem schönen Jugendstilhaus wohnt, sondern dort lediglich
im Keller haust. Der Andere versucht sich aus seiner peinlichen Lage herauszureden, doch
Benner ist klar, dass der Andere keineswegs ein wohlhabender und angesehener Mann ist,
sondern lediglich ein Versager und Blender, der krampfhaft nach Anerkennung sucht.
Am nächsten Tag berichtet der Anderer, dass eine berühmte Geigerin (Benners Frau) ihn
besuchen wird und er ihr zu Ehren ein Fest zu geben gedenkt. Hierfür braucht er allerdings
Geld von Benner, welches dieser ihm auch gewillt ist zu geben, da er den Anderen bei dem
Fest bloßstellen und sich so an ihm rächen möchte. So fängt Benner an, Pläne zu schmieden
und findet hierbei heraus, dass der Andere ein Theater, das er einmal besaß, Bankrott gemacht
hat. Dies unterstreicht die erfolglose Lebensgeschichte des Anderen in den Augen Benners.
Schließlich verwirft Benner seinen Plan den Anderen bloßzustellen wieder, da er ihm im
Laufe der Geschichte weniger als Rivale erscheint, sondern vielmehr als eine Person, die sein
Mitleid verdient hat. So erzählt er ihm auch die Wahrheit über die angeblichen Briefe von
seiner Frau. Der Andere versteht, warum Benner sich nicht mehr an ihm rächen will („Das
Rächen hat sich erledigt, weil ich ohnehin ein Versager bin, stimmt’s?“). Weiterhin stellt er
fest, dass er ein Schönredner sei und Lisa gerade das an ihm geliebt habe. Benner hingegen
sei eher ein nüchterner, analysierender Mensch, dennoch habe Lisa Benner immer geliebt,
doch mit ihm sei sie glücklich gewesen, gerade weil er nicht so ein kühler Mensch sei.
Schließlich fährt Benner wieder nach Haus, doch er kommt nicht zur Ruhe, da ihm immer
wieder der Andere und die Affäre einfallen. Er beschließt doch an dem Fest des Anderen
teilzunehmen. Der Andere hält eine Rede über Lisa und Benner merkt, dass der Andere
vielmehr in der Lage gewesen war in Lisa und in ihrem Geigenspiel eine Schönheit zu sehen,
die er nie so recht wahrgenommen hat. Doch schließlich wird ihm klar, dass Lisa ihn geliebt
hatte, wie der Andere sagte und sie ihm alles gegeben hatte, was er zu nehmen fähig war
(S.148).
2. Gestalterische Merkmale
Bei dem Roman „Liebesfluchten“ von Bernhard Schlink handelt es sich durchgehend, so
auch im Kapitel „Der Andere“, um einen Prosatext, welcher vollständig in der Vergangenheit
geschrieben ist. Die Geschichte beginnt mit einer sachlichen Einleitung. So realitätsnah, wie
diese an sich ist, sind auch die, diese Geschichte verkörpernden, alltäglichen Charaktere. Der
Autor, Bernhard Schlink, verwendet hauptsächlich eine schmucklose und einfache Sprache,
um die Charakterzüge der Personen besser zum Ausdruck zu bringen ( Seite 141 f ). In diesen
Seiten wird die Monotonie, in der Benner lebt, deutlich. Durch die sachliche Aufzählung von
Tätigkeiten erlangt der Leser eine Vorstellung von dem Alltag Benners. Die Detailgenauigkeit
ermöglicht es einen kameraperspektivischen Blick zu erlangen, was es einem vereinfacht, sich
in das vorzustellende Milieu, die vorzustellende Umgebung, hineinzuversetzen.
Diese Geschichte beinhaltet einen prägnanten, unerwarteten Wendepunkt, welcher die
Geschichte weiter vorantreibt. Dieser folgt kurz vor Ende der Geschichte, als Brenner
realisiert, dass Lisa ihn mit all seinen Mängeln geliebt hat. Er kann endlich mit sich selbst, mit
Lisa, Rolf und dem Verlauf seiner Beziehung Frieden schließen. Zum Ende ist er in der Lage
die Dimensionen seiner Beziehung vollständig zu erfassen. Seine Rachegedanken gehören der
Vergangenheit an.
3. Erzählverhalten und Sprache
Schlink nimmt die Position eines Erzählers ein. Seine objektive Erzählweise ist teils von
subjektiven Eindrücken und Empfindungen unterbrochen (... anmutig waren diese Blicke und
Gesten, dieses Lächeln, S.99). Im Allgemeinen macht er von dem Stilmittel des
hypotaktischen Satzbaus Gebrauch (S.105), wodurch die parataktischen Sätze in der
Vordergrund geraten. Diese beinhalten oftmals prägnante, sachliche Aussagen, wie »sie
kommt nicht. Sie ist gestorben« (S. 145). Auch gelingt es ihm durch den Gebrauch dieses
Stilmittels Aussagen als nüchtern darzustellen, um die Hauptperson nicht in eine emotionale
Krise geraten zu lassen. Die Flucht aus dem Alltag durch pragmatisch orientiertes Handeln.
»Er war zufrieden. Er hatte ein unerfreuliches Kapitel abgeschlossen. Er hatte sein Haus in
Ordnung gebracht. « (S. 142). Oftmals verwendet Schlink Gedankenstriche als Ausdruck
seiner Bewunderung (...- er war ein Star, S.144), zur Unterstreichung auftretender
Charakterzüge (...- wie ein Kind, S.112) oder aber auch als Pause vor einem gefühlsbewussten
Geständnis (...- in solchen Situationen hatte sich ihm die Vertrautheit ihres gemeinsamen
Lebens offenbart, S103). Zur Verdeutlichung des einfachen Sprachstils, wie er in diesem
Kapitel angewandt wurde, macht Schlink oft von dem Stilmittel der Anapher Gebrauch
(S.103). Zusätzlich dient dieses sprachliche Mittel zur Veranschaulichung des monotonen
Alltags, was gleichzeitig Rückschlüsse auf seine Charakterzüge offenbart. Er muss immer den
Überblick bewahren, alles planen. Mit einer bildlichen, die Sinne anregenden Sprache, gelingt
es Schlink die Situation zu verdeutlichen und dem Leser näher zu bringen („...der Verkehr
und das Geschiebe und Gedränge der Menschen dichter wurden, Geschäft sich an Geschäft
reihte, die Luft erfüllt war von den Stimmen der Menschen ...“, S.105). Während dieser
Momente gelingt es dem Schreiber trotz seiner allgemein objektiven Schreibweise den Leser
direkt ins Geschehen mit einzubeziehen und Teil der Handlung werden zu lassen. Ebenso
lassen die Momente der Zuneigung einen Blick über die Charakterzüge der Hauptperson zu
(„Die kleine Schildkröte in seiner Hand ließ ihn beinahe weinen. So jung und schon so alt, so
schutzlos und unbeholfen und schon so weise“, S. 131). Aus diesen Sätzen geht Brenners
unbeholfene, in der Situation mit Rolf überforderte und an Selbstbewusstsein mangelnde Art
hervor. Oft werden Aufzählungen verwendet, um z.B. Tagesabläufe oder
Charaktereigenschaften so objektiv und kompakt wie möglich in einem hypotaktischen Satz
zu vereinen. Wiederholung, wie sie auch in gehäufter Zahl auftreten, dienen der
Verdeutlichung von Zuständen. („Er wusste, dass er langsam war, langsam im Wahrnehmen
und im Verarbeiten , langsam im Sich - Einlassen, wie im Sich – Lösen“, S.101). Das
Adjektiv bleibt als wichtig in Erinnerung. Oftmals reflektiert Brenner die Beziehung zu seiner
Frau. Er kann nicht begreifen, wie seine Vorstellung derselben sich so von der Ansicht Rolfs
unterscheidet. Er stellt sich Fragen und versucht diese selbst zu beantworten, was ihm bis
zuletzt nicht recht gelingen mag. („Woher sollte er wissen, ob sie ihm die Eine und dem
Anderen eine Andere gewesen war? Vielleicht war sie dem Anderen auch die gewesen, die sie
ihm gewesen war“, S. 103). Die Art und Weise von Rolfs Briefen und Brenners unterscheidet
sich sehr. Rolf wirkt selbstbewusster und emotionaler - »Du kannst nicht ohne mich« (S.
109). Durch die auffällig starke Häufung des Gebrauchs der sich auf zwei Personen
beziehenden Personalpronomen hebt Schlink aus Rolfs Sicht die sehr starke Verbundenheit zu
seiner Geliebten hervor.
Mit der inhaltlichen Alltäglichkeit der gesamten Geschichte und der sehr einfachen und
unprätentiösen Sprache schafft es Bernhard Schlink genauso wie in den anderen Geschichten
emotionale Beziehungsprobleme durchschnittlicher Menschen der mittleren gebildeten
Oberschicht in Deutschland darzustellen. Die Realitätsnähe zu den Figuren hilft es dem Leser
sich in die Geschichte mit hinein zu versetzen.
4. Die Figuren
Benner ist ein rechtschaffener, durchschnittlicher Bürger, der sich nach seiner Pensionierung
und dem Tod seiner Frau mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss um seine völlig
zerstreute emotionale Gefühlslage wieder in Ordnung zu bringen. Als hoher Beamter und
Muster an Effizienz und Rationalität stellt Benner einen durchschnittlichen Mann des Alltags
dar. Im Laufe der Geschichte begreift er, dass sein Rivale Rolf zwar ein Versager ist, jedoch
seiner Frau Gefühle vermitteln konnte, die ihr von ihm immer verwehrt blieben. Benner weiß
jedoch auch, dass seine verstorbene Frau Lisa ihn trotz seiner gefühlsarmen Art immer geliebt
hat und niemals verlassen wollte. Nach seiner Pensionierung hat er Zeit sich mit Dingen
auseinanderzusetzen, für die er während der Ausübung seines Berufes keine Zeit gehabt hatte.
Er merkt jedoch schnell, dass er in seinem Leben durch seinen starr auf die Karriere gesetzten
Ehrgeiz nicht nur seine Frau sondern auch seine beiden Kinder arg vernachlässigt hat. Die
dauerhafte Beschäftigung mit Rolf, dem heimlichen Liebhaber seiner Frau bringt einen
Wandel in Benner mit sich. Der zuerst auf Vergeltung ausgerichtete Protagonist merkt nach
einigen Begegnungen mit seinem Rivalen, dass Rolf als beruflich sowie gesellschaftlich
gescheiterter Mensch kaum noch zu bestrafen ist. Rolf ist zwar ein Betrüger, ein
Schwadroneur und ein Schauspieler, der auf Kosten anderer lebt, jedoch konnte er Lisa das
geben, was sie niemals von ihrem Mann bekommen konnte. Allein der Traum einmal sein
eigenes Theater zu besitzen kostete Lisa ein Vermögen. Aber dennoch hatte sie dieses völlig
gegensätzliche Verhalten zu ihrem Mann so beeindruckt, dass es zu einem Verhältnis über
Jahre hinweg kam. Die Romantik und Spontaneität von Rolf waren genau das, was Lisa
brauchte um in ihrem einseitigen und sehr alltäglichen Leben Abwechslung zu bekommen. Ihr
Verhalten ist gegenüber den beiden Charakteren sehr unterschiedlich. Während sie durch den
Alltag, die Kinder, die Fürsorge und Vertrautheit aber auch durch ihre Liebe zu und an
Benner gebunden ist, ist es die Lebensfreude, die Leidenschaft und verloren geglaubte
Glücksgefühle, die sie an Rolf binden. Benner realisiert, dass seine Frau sich die Liebe und
Zuneigung, die sie von ihm nicht bekommen konnte, bei einer anderen Person hatte holen
müssen um glücklich zu werden. Jedoch merkt er, dass Rolf niemals einen ähnlichen
Stellenwert bei Lisa hatte, wie es bei ihm der Fall war. Sie liebte ihn mehr als den anderen.
Am Ende der Geschichte wird deutlich, dass er weiß, dass seine Frau glücklich in ihrem
Leben war. Dies führt dazu, dass das Ende doch noch zufrieden stellend für den Leser wird.
5. Die Aussage der Geschichte
Die Geschichte zeigt, wie unberechenbar das Leben sein kann, und richtet sich scheinbar wie
ein Appell an die Menschen. Sie fordert sie dazu auf, ihren oft in den Beruf oder die Karriere
verkrampften Blick auf andere Dinge wie Familie, Partnerschaften oder Freundschaften zu
lenken. Benner merkt am Ende der Geschichte, dass er Fehler gemacht hat, die zu der Affäre
seiner Frau führten. Er selbst steht stellvertretend für eine große Gesellschaftsgruppe, die
ähnliche Fehler machen könnte. Wenn Benner die Affäre seiner Frau nicht durch Zufall
aufgedeckt hätte, wäre ihm dieser Fehler niemals bewusst geworden. Die Geschichte „der
Andere“ könnte die Leser dadurch zum Nachdenken bewegen.
In der heutigen modernen Gesellschaft sind heimliche Affären von verheirateten Personen
keine Seltenheit mehr. Die immer weiter verschwindende moralische Verpflichtung in der
Ehe ermöglicht es den Ehepartnern außerdem sich freier und gewissenloser auszuleben.
Der Leser wird also am Ende der Geschichte dazu aufgefordert über eine Art Selbstreflexion
sein eigenes Verhalten genauer und kritischer zu betrachten.
Bernhard Schlink
„Liebesfluchten“
- Zuckererbsen
Verfasser: Josephine Czepuck – Philipp Krämer – Karsten Kretzer – Isabel Wickert
1. Textart
2. Inhalt
3. Charakterisierung des Protagonisten
4. Aufbau
5. Sprachliche Mittel
6. Intention
1.Textart
Die Geschichte „Zuckererbsen“ von Bernhard Schlink weist diverse Merkmale einer
typischen Kurzgeschichte auf. So wird der Leser mit einem unmittelbaren und schroffen
Beginn in die Handlung eingeführt. Schlink verwendet einen überwiegend schmucklosen Stil,
mit einer durchgängig linearen Handlungsstruktur. Man findet zudem einen klaren
Wendepunkt, als Thomas eine schwere Verletzung ereilt, was ein weiteres Charakteristikum
einer Kurzgeschichte darstellt. Außerdem findet man im Handlungsverlauf mehrere
Zeitsprünge, das auch zur Kürze im Umfang der Geschichte beiträgt. Ein letzter Aspekt ist der
offene Schluss, da der Leser nicht erfährt, wie es mit Thomas und seinen Liebschaften
weitergeht.
2. Inhalt
In der Kurzgeschichte „Zuckererbsen“ aus dem Buch „Liebesfluchten“ von Bernhard Schlink
geht es um einen Mann, der sein Leben mit drei verschiedenen Frauen gleichzeitig lebt und
im Laufe der Geschichte sich immer unfähiger fühlt dieser Situation noch gewachsen zu sein.
Die Geschichte ist in 13 Kapitel unterteilt.
Der Protagonist Thomas hat Architektur studiert und hat sich auf Dach- und Brückenbau
spezialisiert. Schnell erlebt er beruflichen und privaten Erfolg. Als er von seiner Praktikantin,
Jutta, ein Kind erwartet, heiraten die beiden und ziehen zusammen nach Berlin.
Trotz des Erfolges fühlt sich Thomas unbefriedigt und entdeckt das Malen als Leidenschaft
wieder.
Im nächsten Kapitel geht es um das Kennenlernen seiner zweiten Beziehung. Die Hamburger
Galeristin, Veronika, beginnt seine Bilder auszustellen und schon bald beginnt ihre
Beziehung. Thomas möchte mit seiner Frau Jutta Schluss machen, doch für ihn sind die
Umstände momentan nicht gelegen. Er erzählt zwar seiner Frau von seiner neuen Freundin,
diese scheint ihr aber nicht wirklich Beachtung zu schenken, da er in den zwölf Jahren Ehe
zuvor schon zweimal fremdgegangen ist. Thomas beginnt sein Leben auf zuteilen und pendelt
zwischen Berlin und Hamburg.
Im dritten Kapitel bekommt Veronika ein Kind von Thomas und obwohl sie vorher ruhig und
geduldig war, fängt sie an Thomas zu drängen, sich von seiner Frau zu trennen.
Thomas jedoch möchte sich nicht scheiden lassen und als alles anfängt ihn zu überfordern,
geht er mit einem Freund in die Vogesen wandern, wo er die Studentin Helga kennen lernt.
Nachdem sie einpaar gemeinsame Tage zusammen verbracht haben und Helga abreist, gibt sie
ihm seine Adresse.
Wieder zu Hause angekommen ist Thomas immer noch mit der Situation in zwei
Beziehungen überfordert und fährt zu Helga nach Kassel. Diese bekommt mit das er zwei
unterschiedliche Telefonate führt, aber beiden Frauen das selber erzählt und findet so heraus,
dass er zwei Frauen hat.
Er bleibt für Helgas Examensprüfung und dient ihr als Patient. Anfangs verläuft alles gut,
doch mit der Zeit ist Thomas auch bei ihr überfordert. Er bekommt Beruf, Frauen und die
eigene Zufriedenheit nicht mehr unter einen Hut und entscheidet sich, sich von Helga
zutrennen. Als diese ihre Empörung über seine Entscheidung nicht zurückhält und sie wütend
ist, da er für den Durchfall bei ihrem Examen verantwortlich sein wird, bleibt er mit ihr
zusammen.
Helga beginnt mit ihm Pläne über eine gemeinsame Zukunft zusprechen. Sie plant eine eigene
Zahnklinik zu eröffnen.
Im fünften Kapitel wird beschrieben, wie Thomas das Hochgefühl als „Jongleur“ genießt. Er
ist voller Energie und überlegt nun, mit allen drei Frauen Schluss zumachen. Seinen
49.Geburtstag verbringt er bewusst alleine und denkt über seine Zukunft nach und welche
Möglichkeiten er hätte.
Aus beruflichen Gründen muss Thomas für einige Tage nach New York. Auch dort fühlt er
sich in seiner Situation unwohl. Er empfindet das ganze Verhalten seiner Geschäftspartner als
„falsch“ und entschließt sich letzten Endes die Verhandlungen zu verlassen.
Als er sich in einem Café befindet, schreib er an alle drei Frauen eine Postkarte und sagt, dass
er noch einmal von Vorne beginnen möchte.
Das siebte Kapitel handelt davon, dass er versucht sein Leben wieder neu auf zunehmen. Er
selber sagt, dass er das Gefühl habe, drei verschiedene Persönlichkeiten entwickelt zu haben.
Für jede Frau eine andere. Jedoch hat Thomas ständig Angst, dass er die Persönlichkeiten
vertauscht und es wird für ihn immer anstrengender sich ständig neu zu erfinden. Selbst bei
einem harmlosen Gespräch in einem Zug, erzählt er nicht seine wahre Geschichte, sondern
malt sich ein schönes Leben aus.
Wieder fasst er den Entschluss mit allen drei Frauen Schluss zumachen und schafft es dieses
Mal wieder nicht. Er ärgert sich über seine Unfähigkeit und schafft es letztlich mit Helga zu
sprechen.
Doch als diese vollkommen aufgelöst von dieser Mitteilung ist, lässt sich Thomas wieder
erweichen und bleibt wieder mit ihr zusammen.
Er hat eine akute Blinddarmentzündung und befindet sich für eine Woche im Krankenhaus.
Als der Arzt ihm mitteilte, dass er zuerst Bauchspeicheldrüsenkrebs vermutet hatte, war das
für Thomas die Lösung. Um ohne Vorwürfe und Schuldzuweisungen aus dieser Geschichte
hinaus zukommen, beschließt er, dass er behaupten würde an Krebs erkrankt zu sein und nur
noch wenige Monate zu leben hat.
Er lebte sich in die Rolle des „Todkranken“ ein und plante seine letzten Monate.
Im neunten Kapitel befindet sich Thomas an seinen Grenzen. Er fühlt sich von den dreien
Frauen unfair behandelt und ist empört, als sie von ihm auch noch Unterstützung im Haushalt
oder mit den Kindern fordern, obwohl er (angeblich) kurz vor seinem Tod stehe. Er macht sie
für seine aussichtslose Lage verantwortlich. Sie sind undankbar, obwohl er es geschafft hat,
sie alle drei glücklich zumachen.
Sein Ausweg sieht er darin eine Reise auf unbestimmte Zeit zu unternehmen. Dafür lässt er
sich eine Mönchskutte schneidern und macht sich mit wenig Dingen auf den Weg.
Thomas ist ein Jahr auf der Reise. Durch seine Mönchskutte gewinnt er schnell vertrauen zu
den Menschen, welche sich durch ihn helfen lassen. Postkarten verschickt er nur an seine
Kinder und außer einem Telefonat mit Helga hat er keinen Kontakt zu den Frauen.
Er lebt in Hotels, Klöstern und kleinen Pensionen. Seit seiner Reise hat er sich entschieden
sein Leben in teilweiser Abstinenz zu verbringen (kein Alkohol und Sex).
Er fühlt sich wie in einer Art Trance und abgeschnitten von seiner Umwelt. Er reflektiert sein
Leben und sucht nach dem Sinn darin, der für ihn aber nicht sichtbar wird.
Seine Reise endet durch einen Zugunfall. Er verfängt sich mit seiner Mönchskutte in der Tür
des Zuges, welcher hin mehrere Meter hinter sich herschleift. Dadurch hat er sich sein
Rückgrat verletzt und muss von nun an im Rollstuhl leben, da er ab der Brust abwärts gelähmt
ist.
Zu dem Zeitpunkt befindet er sich in Italien, wo er vier Wochen lang liegen muss.
Anschließend wird er in eine Rehabilitationsklinik in der Nähe von Berlin transportiert.
Im vorletzten Kapitel ist Thomas für zwei Monate in der Rehabilitationsklinik.
Er lernt zwar mit seinem Körper umzugehen, hat aber keinerlei Vorstellung davon wie er im
Leben weiter machen soll. Er verbringt seinen 51.Geburtstag dort und bekommt Besuch von
einem alten Freund. Dieser berichtet, dass sich Jutta um alles kümmern wird und lässt ihm ein
Päckchen von ihr da.
Es enthält ein Heft über eine Frühjahrsausstellung seiner Bilder durch Veronika und einen
Vortrag, den Jutta an seiner Stelle gehalten hat, bei dem es um einen Brückenbau in New
York geht.
Das letzte Kapitel beginnt damit, dass Helga ihn aus der Reha-Klinik abholt.
Sie scheint weder sauer noch enttäuscht zu sein und erzählt munter von der Planung für noch
weitere Zahnkliniken. Thomas ist verunsichert, da er erstens mit Jutta gerechnet hat und
zweitens nicht weiß wie er sich Helga angemessen verhalten soll. Es stellt sich heraus, dass
Helga Jutta und Veronika zusammen geführt hat und alle drei eine gemeinsame
„Verwertungs- und Vermarktungsgesellschaft TTT“ gegründet haben. Die drei Thomasse.
Zusammen haben sie seine alte Wohnung behindertengerecht gemacht. Die Wohnung am
Tiergarten enthält nun ein Atelier und ein Konferenzraum, sowie ein Gästezimmer. Die drei
Frauen wollen, dass Thomas mit und für sie Arbeit, damit sie die Bilder verkaufen, Brücken
bauen oder neue Zahnkliniken eröffnen können. Sie lassen ihm keine Wahl und sagen, dass er
eher auf sie und ihre Pflege angewiesen ist, als sie auf sein Talent.
Thomas stimmt zu. Er versucht zwar aus der Wohnung zu kommen, scheitert aber. Die
Geschichte endet mit dem Gedanken daran, dass er gerne zwei Katzen für sein Apartment
hätte, er ist nun zufrieden und denkt, dass er seinen Tätigkeiten, wie in der Politik aktiv zu
werden endlich nachkommen kann
3. Charakterisierung des Protagonisten:
Der Hauptcharakter der Geschichte „Zuckererbsen“, Thomas, ist ein erfolgreicher Architekt,
der sich auf Dachausbauten, sowie den Bau von Brücken spezialisiert hat. Er ist allerdings nie
mit seinen Erfolgen zufrieden und sucht neue Befriedigung, indem er ständig neue Affären
beginnt. Als ihn seine Affären schließlich einholen, stellt er sich nicht diesem Problem,
sondern beginnt davon zu laufen. Er flieht ständig vor seiner Arbeit und seinen Affären.
Allerdings jeweils mit einer weiteren Frau, was seine Probleme am Ende schließlich
eskalieren lässt.
4. Aufbau
Die vierte Kurzgeschichte des Buches „Liebesfluchten“ von Bernhard Schlink mit dem Titel
„Zuckererbsen“ ist unterteilt in 13 Kapitel.
1. Aufbau der persönlichen Beziehung im Erzählungsverlauf und den Fluchten daraus:
Die ersten drei Kapitel beschreiben den Werdegang des Protagonisten Thomas in Hinsicht auf
seinen beruflichen Wandel und vor allem aber seine Bekanntschaften mit den drei
verschiedenen Frauen Jutta, seine Frau; Veronika, die Galeristin die seine Bilder bekannt
machte und zu seiner 1.Geliebten wurde ; Helga, eine Studentin der Zahnheilkunde und seine
2. Geliebte.
Man kann sagen, dass Thomas jedes mal aus seiner Beziehung flüchtet hinein in eine neue
Beziehung, wie es der Titel des Buches schon sagt.
Zu erst ist er glücklich verheiratet mit Jutta. Als er jedoch beruflich nicht mehr seine volle
Befriedigung in der Architektur findet beginnt er zu malen und lernt so Veronika kennen.
Doch als diese ein Kind erwartet und ihn nun dazu drängt seine Frau zu verlassen, beginnt
Thomas erneut eine Beziehung mit einer weiteren Frau. Helga ist noch jung, hat weder
beruflich noch familiär konkrete Vorstellungen.
Doch auch im 4. Kapitel führt er diese Fluchten fort, als Helga ihn nach Abschluss ihres
Studiums drängt eine gemeinsame Praxis aufzumachen.
Im nächsten Kapitel wird nun deutlich, dass Thomas sich mit den drei Beziehungen
überfordert fühlt und in keiner mehr die eigene Befriedigung findet und so überlegt er die
Ringe des Jongleurs, als den er sich selbst sieht, wieder zu öffnen aus Angst, dass Spiel mit
den drei Frauen könnte und müsste irgendwann zuende gehen.
Nach einer Zeit der Auszeit aus beruflichen Gründen in New York schreibt er jedoch den drei
Frauen jeweils eine Postkarte mit den Wunsch noch mal von vorn zu beginnen.
Diese Gefühl hält nicht lange an, und so entschließt er wieder die Beziehungen zu den drei
Frauen zu beenden, da er sich bewusst geworden ist, im Laufe der Zeit drei verschiedene
Persönlichkeiten entwickelt zu haben und nun Gefahr läuft irgendwann eine falsche Rolle in
Gegenwart einer der Frauen zu spielen. Doch auch diesmal gelingt es ihm nicht mit allen
Frauen zu reden, allein bei Helga fasst er den Mut, diese ist jedoch so empört, dass sie
Thomas zum bleiben bringen kann.
Nachdem er den Frauen erzählt hat er habe angeblich Bauchspeicheldrüsenkrebs und diese
Ihn seiner Meinung nach undankbar behandeln obwohl er sie alle drei glücklich machte sah er
in den Vorwürfen ihnen gegenüber eine Chance der Flucht und verreist auf unbestimmte zeit.
Im Endeffekt jedoch lebt er, nach seinem Unfall während der Reise welcher ihn aufgrund
einer Lähmung Brust abwärts in den Rollstuhl zwang, in einem Leben welches alle drei
Frauen und ihn vereinte. Die drei Frauen kümmerten sich um ihn und seine beruflichen
Geschäfte.
2. Aufbau des Ortswechsels innerhalb der Geschichte:
Die Geschichte und die drei verschiedenen Frauen prägen den Wechseln zwischen
verschiedenen Städten. So baut Thomas mit jeder neuen Frau ein neues Leben in einer
anderen Stadt auf und vollzieht immer wieder neue Reisen durch ganz Deutschland und die
Welt
Zu Anfang der Erzählung lebt Thomas mit Jutta in Berlin.
Die Galeristin Veronika lernt er in Hamburg kennen und beginnt dort ein zweites Leben mit
dieser.
Immer wieder pendelte er nun zwischen Berlin und Hamburg.
Aus diesen Beziehungen Flüchtete er sich mit einem Freund in eine Wanderung durch die
Vogesen, wo er Helga aus Kassel kennen lernte.
Im Herbst musste er geschäftlich nach New York.
Im neunten Kapitel macht er sich dann auf den Weg einer Reise durch viele Städte welche
aufgrund seiner Unfalls in Mailand endete.
Von dort aus wurde er in eine Rehabilitationsklinik in Berlin gebracht und anschließend, nach
zwei Monaten Aufenthalt, brachte ihn Helga in seine alte Wohnung in Berlin.
Als Fazit kann man also sagen, dass die gesamte Geschichte so aufgebaut ist, dass mit jedem
Leben mit einer neuen Frau, ein neues Leben in einer anderen Stadt beginnt, was jedes Mal
das Resultat einer Flucht aus dem vorigen Leben ist, welches Thomas nicht mehr voll und
ganz befriedigt, welches er aber dennoch nicht aufgeben möchte.
Zu beginn befindet der Protagonist sich in Berlin wo er noch ein einfaches Leben lebt. Dann
flüchtet er immer wieder von Stadt zu Stadt in ein neues Leben und pendelt zwischen den drei
Wohnorten und den damit verbundenen Frauen hin und her weil er nirgends eine volle
Erfüllung seiner Träume, Wünsche und Vorstellungen erfährt, bis er schließlich wieder in
Berlin zur Ruhe kommt und dort alle drei vorher gelebten Leben in einem Ort und Leben
vereint.
5.Sprachliche Mittel
Sprachliche Mittel:
-
realistische Darstellung
-
krisenhafte Gefährdung
-
Entscheidungszwang
-
Reduktion auf wenige Figuren
-
alltägliche Charaktere
-
personales Erzählverhalten
-
einfache Sprache, aber kalkuliert durchgestaltet
Die hier aufgeführten Aspekte machen deutlich, dass „Zuckererbsen“ eine Kurzgeschichte ist.
Im Folgenden Stichwortartiges zu „Erzählverhalten und Sprache“.
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Wechsel von neutralem und personalem Erzählverhalten
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erlebte Rede und innerer Monolog
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Bewusstseinsstrom
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Eindringlichkeit
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innere Beklemmung
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sinnliche Eindrücke ( süßlicher Babygeruch, etc.)
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teilweise schmuckloser Stil
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Teilweise distanziert
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Charakterisierung von Beziehungen
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Assoziationstechnik
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teilweise unspektakuläre Darstellung
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klimaktisch aufgebaut
5. Intention
Schlinks Kurzgeschichte „Zuckererbsen“ aus der Geschichtensammlung Liebesfluchten
behandelt einen Lebensausschnitt eines Mannes von seiner Jugend bis fast an sein
Lebensende. Der Protagonist, Thomas, ist scheinbar jemand der mit beiden Beinen im Leben
steht und alles besitzt oder bekommen kann was er sich oberflächlich zu wünschen scheint.
Seine Zerrissenheit zwischen seinen Berufen und Hobbys sowie die Problematik seiner drei
parallel verlaufenen Beziehungen lassen jedoch ein tiefergreifendes Motiv erkennen. Schlink
konstruiert seinen Protagonisten absichtlich so, dass dieser selbst nicht die Beweggründe für
sein unstetes Leben erkennt und immer auf der Suche nach seiner wahren Befriedung und
seinem Daseinsgrund ist. Er strebt sozusagen nach den „Zuckererbsen“, das wahren, süße
Leben ohne die harte Hülle. Thomas bewegt sich dabei immer weiter in einer abwärts
laufenden Spirale aus immer neuen Verwicklungen und Verstrickungen, die sein Leben
sowohl beruflich als auch privat aus den Fugen bringen- er hat mehrmals die Chance, diesen
Verlauf zu durchbrechen, fürchtet sich aber immer vor dem entscheidenden Schritt. Dies
bringt ihn schließlich dahin, dass er alles verliert was er vorher hatte. Das entscheidende ist
jedoch, dass der Protagonist letztendlich am Ziel seines Strebens angekommen ist und trotz
der schlechten Gesamtsituation (Lähmung, seine Doppelleben ist aufgeflogen) eine Art
inneren Frieden findet. Ein Resumée zu finden fällt in diesem Fall schwer. Flüchtig betrachtet
mahnt Schlink, sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat. Diese Thematik tritt jedoch
insofern in den Hintergrund, als dass Schlink vielmehr zu versuchen scheint, die
menschlichen Gefühle und Beziehungen, die emotionalen Momenten und Beweggründe dem
Leser eindringlich nahe zu bringen.
Bernhard Schlink
„Liebesfluchten“ - Die Beschneidung
Verfasser: Anna Katharina Eiff – Alexander Lorber – Vanessa Willms
Die Beschneidung
Der Autor der Kurzgeschichtensammlung „Liebesfluchten“, Bernhard Schlink wurde am 6.
Juni 1944 bei Bielefeld geboren und lebt heute als Jurist in Bonn und Berlin. Für seinen
Roman „Der Vorleser“ erhielt er 1997 den Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster. 1999
bekam der Schriftsteller den Welt-Literaturpreis und im Februar 2000 die Ehrengabe der
Heinrich-Heine-Gesellschaft. „Der Vorleser“ erreichte als erstes deutsches Buch Platz eins
auf der New – York – Times - Bestsellerliste und wurde in 25 Sprachen übersetzt.
Wie auch schon in seinem Werk „Der Vorleser“ spielt die Liebe in „Liebesfluchten“ ebenfalls
eine ausgesprochen wichtige Rolle. Der Titel „Liebesfluchten“ erklärt sich aus dem
gemeinsamen Aspekt jeder der Geschichten: die Flucht in einer Liebesbeziehung oder die
Flucht aus ihr heraus. Es fliehen dort jedoch keine Liebespaare, sondern Einzelpersonen,
aufgrund von Unzufriedenheit über erkaltete Beziehungen.
Im Folgenden werden wir eine der sieben Kurzgeschichten, die den Namen „Die
Beschneidung“ trägt, genauer analysieren und den Versuch einer Interpretation unternehmen.
Ein deutscher Austauschstudent namens Andi trifft in New York die Frau seines Lebens, die
Jüdin Sarah. Konflikte sind vorprogrammiert, da ihre Familie fest mit der jüdischen Tradition
und Kultur verbunden ist, während Andis Vater im 2. Weltkrieg auf Seiten der Deutschen
gedient hat. Bei der Bar-Mizwa von Sarahs Bruder wird diese Gegensätzlichkeit erstmalig zu
einem Problem, als Andi sich mit Sarahs Onkel Aaron über die Familiengeschichten
unterhält, wobei er auf Desinteresse bezüglich seiner Familie und Geschichte stößt, als er sich
wagt sie anzusprechen. Andi hingegen zeigt Interesse an der fremden Kultur, obwohl dieses
Interesse nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Sarahs Familie hält ihn für einen typischen
Deutschen, der allen Vorurteilen gerecht wird und jedes Klischee bedient, was dazu führt,
dass sich Andi permanent genötigt sieht sich für seine Nationalität und Ansichten zu
rechtfertigen. Mit dem Voranschreiten ihrer Beziehung beginnt auch Sarah ihm gezielt
Schuldgefühle wegen des Holocaust zu machen, die sich in spöttischen und provokativen
Anmerkungen äußern. Daraufhin beginnt Andi sich, aufgrund der gegen ihn erhobenen
Vorurteile, selbst in Frage zu stellen und versucht vor der ständigen Selbstverteidigung in die
Verleugnung der eigenen Identität und Nationalität zu flüchten. Das äußert sich in der
Selbstzensur in ihren Unterhaltungen, die Andi mit Sarah führt, da diese unangenehm und
auffällig oft in Streit münden, der immer auf die Holocaustschuldfrage hinausläuft. Der
Rahmen, in dem sich der Streit dann bewegt ist immer der gleiche: zusammenfassend wirft
Sarah Andi vor Deutscher zu sein, woran er aber nichts ändern kann, da es Teil seiner
Identität ist. Sarah kann den Umstand, dass er Deutscher ist, eigentlich nicht ertragen, sie
tröstet sich nur mit ihrer Liebe seiner Person als Individuum gegenüber, während er Toleranz
und Akzeptanz von ihr erwartet, die aufgrund ihrer Liebe für ihn selbstverständlich sein
müsste. Da Andi seine Nationalität nicht zu ändern vermag und er sich für die Geschichte
seines Landes bisher auch nicht schuldig fühlte, da sie seine Generation nicht direkt betrifft,
versucht er sich fortwährend zu rechtfertigen und damit zu entschuldigen, dass er nicht die
Schuld einer vergangenen Generationen zu tragen fähig sei. Sarah verurteilt jedoch seine Art
sich mit dieser Begründung aus seiner Schuld schleichen zu wollen, weshalb es immer wieder
zu erneuten Konfrontationen mit dem selben ungelösten Ende kommt. Da eine Einigung ohne
die Nachgabe oder Einsicht einer der beiden nicht möglich ist, versöhnen sich beide nach
jedem nervenzerreibenden Streit, allerdings ohne eine Aussprache und die Bewältigung der
Ursache. Bei einer gemeinsamen Deutschlandreise bemerkt Andi, dass Sarah konsequent jede
Gelegenheit zu ergreifen scheint, um über die deutsche Kultur zu spotten, und ihn damit
herauszufordern. Des weiteren bemerkt er, dass immer ferner liegende Gesprächsthemen auf
ihr Problem der gegensätzlichen Geschichte zurückführen, sie zu dem üblichen Konflikt
führen und einen Streit auslösen, selbst wenn die Ausgangssituation nicht im Geringsten
etwas mit der Thematik zu tun hatte. Andi erreicht bald die Erkenntnis, dass jeder erneute
Streit lediglich die Fortsetzung eines vergangenen Streits ist, den sie nicht gelöst und
bewältigt, sondern nur stillgelegt und aufgeschoben haben. Um dem fortlaufenden
Neuaufgreifen ihres Streits aus dem Weg zu gehen, bemittelt sich Andi bald der bereits
erwähnten Selbstzensur, indem er jedes Thema zu meiden versucht, was irgendwie einen
erneuten Konflikt herbeiführen könnte. Er stellt bald fest, dass es sich dabei um seine
Selbstverleugnung handelt, dass er seine eigene Identität negiert und sich aufzugeben bereit
zu sein scheint, um die Beziehung zu Sarah zu retten. Dass das keine dauerhafte Lösung ihres
Problems sei, wird ihm bewusst. Andi beschließt, sich dem zu stellen, auch wenn es nicht
möglich ist die Angelegenheit auszudiskutieren. Er unterzieht sich Beschneidung und hat vor
danach zum Judentum zu konvertieren, um Sarah seine Liebe und um ihr zu beweisen, dass
seine Individualität und ihre Liebe ihre Geschichte und seine Nationalität sekundär sein
lassen.
Sarah bemerkt die Veränderung an seinem Körper nicht und auch als er sie darauf
aufmerksam macht, dass er sich hat beschneiden lassen, gelingt es ihr nicht, den Grund für die
plötzliche Operation zu erraten. Demnach bleibt auch die Erkenntnis ihrerseits über Andis
Selbstaufgabe und Hingabe ihr gegenüber aus, da sie seinen Beweggrund gar nicht reflektiert.
Als Andi am nächsten Morgen aufwacht, erreicht ihn die Erkenntnis, dass seine Beschneidung
als eine symbolische Handlung nicht Sarahs Weltanschauung zu ändern vermochte, diese aber
gleichzeitig ihre Beziehung zerstört. Er zieht die Konsequenz daraus und verlässt sie noch im
Morgengrauen, während sie schläft, weil er einer Beziehung, in der eine solche Botschaft
ihren Empfänger nicht erreichen kann, keinen Sinn abzugewinnen fähig ist und die
Aussichtslosigkeit jedes weiteren Rettungsversuches erkennt.
Um zu prüfen, ob „Die Beschneidung“ die Kriterien einer Kurzgeschichte erfüllt, seien
folgende typische Merkmale genannt, die bei der Geschichte zu finden waren:
Die Geschichte beginnt unmittelbar. Der erste Satz startet mit dem Satz „Das Fest war
vorbei.“ (S.199; Z.1). Der Leser wird also unvermittelt in die Handlung „hinein geworfen“,
womit ein Kriterium für die Kurzgeschichte erfüllt wäre.
Als zentralen Ort des Geschehens könnte die Beziehung der beiden Hauptcharaktere genannt
werden. Aus diesem Zirkel entfernt sich der Autor erst gegen Ende der Geschichte, wenn das
Auseinanderbrechen der Beziehung sich im finalen Stadium befindet. Da das Ende bis auf das
Scheitern im Zusammenhalt offen bleibt und beliebig weiter erzählt werden könnte, (welches
Fazit ziehen die Charaktere Andi und Sarah aus diesem Ausgang? etc.) kann „Die
Beschneidung“ mit Sicherheit als Kurzgeschichte behandelt werden. Alle gefundenen
Kriterien sprechen dafür. Zudem wird der Umfang der Geschichte mit ca. 50 Seiten dem einer
typischen Kurzgeschichte gerecht.
Die Beziehung zwischen Andi und Sarah bildet auch den Rahmen der Kurzgeschichte. Die
Darstellung dieser erfolgt dann auch durchgehend in einer linearen Handlungsstruktur. Die
Entwicklung ihrer Beziehung stellt den „Roten Faden“ dar, an welchem sich die Handlung
orientiert. Mehrere Erzählebenen entstehen dabei nicht, da abweichende Handlungsstränge
nur in Dialoge eingebunden werden (Bsp.: S.201; Z.3f Die Erzählung des Onkels).
Trotz der linearen Erzählstruktur gibt es eine Spannungskurve. Der schleichende Prozess des
Scheiterns beider Hauptakteure steigert sich immer weiter und mündet im Versagen beider
bezüglich des Erhalts der Beziehung. Die eigentliche Krise der Kurzgeschichte ist das aber
nicht.
Diese ist der ewige Konflikt, der zwischen Andi und Sarah immer wieder entbrennt und die
Wiederholung desselben als solche. Ursache dafür ist das immer noch unsichere und
gespannte Verhältnis zwischen Juden und deutschen Christen nach dem Holocaust. Als
Wendepunkt dient schließlich Andis Aufgabe seiner religiösen Identität, indem er sich
beschneiden lässt – nicht aus Überzeugung, sondern um Sarahs Willen. Doch dass gerade das
nicht gelingt, stellt den Wendepunkt dar, mit dem die beiden Charaktere endgültig scheitern.
Bevor es aber dazu kommt verläuft die Beziehung im ständigen Wechsel zwischen Streit und
Versöhnung. Alle Konversationen des Liebespaares sind retardierende Momente, denn jeder
Konflikt resultiert auch in einer vorläufigen Versöhnung ohne jedoch eine Lösung für das
Problem gefunden zu haben. Das Schweigen, die Vermeidung weiterer Konfrontation dient
Andi als vorläufige Lösung des Problems; stattdessen wird es aber nur umgangen (S.237;
Z.11f). Die Streitszenen treten aber als mehrfache Wiederholungen im Handlungsverlauf
immer wieder auf, weshalb Schlink sie deshalb auch als dramaturgisches Mittel nutzt. Die
Ähnlichkeit steckt dabei im immer gleichen Meinungskonflikt der „Schuldfrage“.
Der zeitliche Verlauf ist sehr strikt gehalten. Schlink rafft die Zeit, um die Entwicklung der
Beziehung auf 50 Seiten mit allen wichtigen Details aufzuzeigen. Durch nicht genau
dokumentierte aber klein gehaltene Zeitsprünge in spätere Geschehnisse lässt Schlink
eventuell Ereignisloses oder für den Plot schlicht Unwichtiges aus. Die Entwicklung der
Beziehung als wichtigstes Augenmerk wird dabei nicht unterbrochen. Rückblicke gibt es
keine, da die Geschichte im Ganzen einen Rückblick auf die gemeinsame Beziehung des
Paares darstellt.
Die Schlusspointe sehe ich abschließend im Zusammenbruch der Beziehung. „Er zog die
Schuhe an und ging.“ (S.255; Z.14). Symbolisch als die Aufgabe des Versuchs, mit der
gegenseitigen Verschiedenheit zu leben- sich mit ihr zu arrangieren, die Resignation vor sich
selbst anzusehen. Als Katastrophe würde ich diese Pointe aber nicht ansehen, stellt sie jedoch
für Andi die Flucht aus der Liebe in die Wideraufnahme der eigenen Identität dar.
Um die Personen der Geschichte stärker in den Vordergrund zu rücken, findet oft der Wechsel
zwischen neutralem und personalem Erzählverhalten statt. So beschreibt Schlink zuerst die
Aktion – „In der Nacht wachte Andi auf“(S.206; Z.14), daraufhin beginnt der Charakter
nachzudenken und es entwickelt sich ein personales Erzählverhalten: „Er dachte an ihren
Streit. ...“(S.206; Z.26). Ein richtiger Perspektivenwechsel entsteht aber selten; wenn Schlink
davon Gebrauch macht, so wendet er dies im Gedankenmonolog an, in dem das Ich versucht,
einen eigenen Standpunkt für seine Situation oder ein Problem zu finden(z.B. S.228; Z.16f)
„Geht es Sarah mit uns so wie mir mit den Kindern?“. Bis auf diese Ausnahmen schreibt der
Autor die Geschichte aber nicht in der Perspektive eines Lyrischen Ichs, sondern beschreibt
die Ereignisse. Andi steht dabei mit seinen Handlungen, Gefühlen und Gedanken im
Vordergrund. Eine sprachliche Gestaltung seiner inneren Verfassung kommt damit relativ
häufig vor. Allerdings auf deskriptiver Ebene. Wenn Andi sich beispielsweise darüber klar
wird, dass eine Beschneidung nach dem traditionellen Ritual für ihn nicht in Frage kommt,
beschreibt Schlink mit Hilfe von ausdrucksstarken Verben und Adjektiven wie
„verstümmeln“, „präsentieren“ und „blutig“ die Angst in den Gedanken Andis über eine
eventuelle Beschneidung (Bsp.: S.245; Z.13). Die innere Verfassung wird damit recht deutlich
hervorgehoben, ohne es direkt subjektiv zu schildern. Diese gedanklichen Monologe sind es
auch, die den oft als kühl und schmucklos beschriebenen Stil Schlinks dennoch auch
emotional wirkungsvoll machen. Die Unsicherheit des Ichs, hier Andi in seiner Beziehung,
gibt damit auch einen Hinweis auf den (negativen) Entwicklungsstatus dieser Beziehung.
Immer wieder lässt sich auch eine innere Beklemmung des Protagonisten Andi im Text
spüren. Das verstärkt sich vor allem nach mehreren Streitgesprächen mit Sarah, nach denen er
„seine Liebe immer kleiner zuschneidet“ (S.237; Z.14f). Vor allem, weil Andi Probleme
lieber verdrängt, verstärken sie doch seine innere Beklemmung, die sich dann auch in das
Umgangsklima beider Partnern projiziert. Und doch tauchen im Kontrast dazu immer wieder
sinnliche Eindrücke in Form von Erotik auf (z.B. S.232; Z.19f o. S.252; Z.12f), die den Stil
Schlinks somit doch emotionaler werden lassen, als er auf den ersten Blick scheint.
Und doch wechselt sich diese Wirkung des „emotionalen Eindrucks“ stets ab mit dem
kalkuliert schmucklosen Stil – „sie liebten sich“ – der die Geschichte realer und authentischer
macht. Allerdings führt genau das auch zu einer gewahrten Distanz des Lesers zum Text.
Schlink richtet sich in „Die Beschneidung“ nie direkt an den Leser. Der Bezug entsteht, wenn
der Leser Andis Handlungen und innere Konflikte in seinen Gedanken auf sich selbst
projiziert und reflektiert. Wie würde man selbst handeln? Hätte man dieselben Probleme wie
der Protagonist in einer solchen Beziehung?
Gerade durch die Gedanken und Gefühle Andis wird die Beziehung charakterisiert.
Außerdem macht Schlink von einer Assoziationstechnik Gebrauch, um das Scheitern der
Beziehung schon am Anfang anzudeuten (S.206; Z.27f). Damit wird auch die ständige
Spannung in der Beziehung eingeleitet und sogar weiter verstärkt.
Selbst Ironie verwendet Schlink in dieser Geschichte, um die Spannung zwischen den
Charakteren zu verstärken. Zum einen durch das Sprichwort „Bis zur Vergasung“, das bei
einer Geburtstagsfeier eine hitzige Diskussion auslöst (S.215; Z.7f: „Die Deutschen sagen,
wenn sie von etwas genug haben, dass sie es vergasen?“), zum anderen mit Sarahs
charakteristischem Spott über die „Ordnung“ der Deutschen und den Wahn, Altes durch
Neues zu ersetzen (S.229; Z.7f). Neben Ironie neigt Schlink dazu, mit Sarkasmus die
Spannung anzufachen und den Protagonisten in einen Konflikt zu verwickeln – deshalb ist der
„Spott“ bei Sarah ein Charakterzug, die durch die gleichzeitige Ernsthaftigkeit der darin
enthaltenen Kritik dazu führt, dass sie Andi reizt und zu Konversation zwingen will. Andi
hingegen versucht durch Gegenwitze (S.235; Z.19f) Sarah dazu zu bringen, ihre Kritik
„locker“ zu nehmen und will sie viel mehr ablenken, als auf das Gespräch einzugehen.
Sarkasmus ist neben Ironie also auch ein Mittel Schlinks, den Leser die Spannungen zwischen
den Partnern spüren zu lassen. Allerdings ist sie auf Seiten Sarahs oft geradezu provokant,
und nach Andis Empfindung sogar anschuldigend gemeint: „Für meine Verwandten haben die
Deutschen eine besondere Vergangenheit gemacht.“ (S.226; Z.7).
Schlink trennt Passagen der Erzählerdarstellung mit Passagen, die fast nur aus wörtlicher
Rede bestehen. Diese stellen fast immer Dialoge zwischen Andi und Sarah dar, die sich mit
steigender Tendenz zu Streitgesprächen entwickeln. Die Konversationen lösen bei Andi
innere Konflikte aus. Hier sei ein Gedankenmonolog genannt, in dem sich Andi in die
Meinungskonfliktsituation hineinsteigert, weshalb Schlink hier von einem Klimax Gebrauch
macht (S.229; Z.14ff). Im Abschnitt zuvor sei auf die Verwendung einer Anapher
hingewiesen. Sarahs Fragen zu den Baustellen der Hauptstadt beginnen jeweils mit „Warum
muss...alles“ und „...auch noch gleich“, was ihrer Erregtheit und ihrem Unverständnis dem
gegenüber Ausdruck verleiht. Ebenso gibt es die Wortwiederholung „Vorboten“ (S.206;
Z.28), mit der das drohende Unheil der Beziehung schon suggeriert wird und welches später
ja auch eintrifft.
Nachdem Inhalt, Sprache und Gestaltung nun hinreichend diskutiert wurden, werden wir uns
nun den Charakterisierungen der Protagonisten und im Anschluss der Intention Schlinks
zuwenden.
Bei den Protagonisten dieser Kurzgeschichte, die den Handlungsrahmen darstellen, handelt es
sich um Andi und Sarah. Schlinks Hauptaugenmerk liegt hierbei jedoch auf Andi, von dessen
Standpunkt aus die Handlung reflektiert wird und dessen innerer Konflikt die Handlung
vorantreibt.
Andi ist Student aus Deutschland, welcher ein Stipendium für ein Auslandsstudium in New
York genießt. Beschrieben wird er durch Eigenschaften wie Höflichkeit, gutes Aussehen,
Charme, Bescheidenheit und Intelligenz. In New York lernt er Sarah kennen, mit der er eine
innige Liebesbeziehung auszubauen versucht, da er sich von ihr unter anderem Geborgenheit
in der fremden Großstadt verspricht. Da Sarah Jüdin ist, wird Andi anfangs von Unsicherheit
gegenüber Sarahs Familie beherrscht, da er sich nicht darüber bewusst ist, wie er sich als
Deutscher gegenüber einer jüdischen Familie zu verhalten habe, ganz zu schweigen von der
ohnehin nicht leichten Aufgabe, einen guten Eindruck auf die Familie seiner Geliebten zu
machen. Er hat Angst vor einer Konfrontation mit den historischen Ereignissen des Zweiten
Weltkrieges und des damit verbundenen Holocaust. Da er die Konfrontation mit der
Vergangenheit durch Sarahs Familie als Schuldzuweisung an ihn persönlich empfindet,
versucht er sich und seine Heimat stets zu rechtfertigen. Er fühlt sich wegen seiner
Nationalität als Individuum nicht akzeptiert. Die deutsch-jüdische Geschichte empfindet er als
zwischenmenschliche Barriere zwischen sich, Sarah und ihrem Umfeld. Er beginnt zum
Vermeidungsstrategen zu werden, indem er wegen der steigenden Häufigkeit der
Auseinandersetzungen zwischen Andi und Sarah um dieses Thema beginnt, streitverdächtige
Situationen zu meiden. Dieser Umstand und die damit verbundene Selbstzensur führen zu
einer Reduktion ihrer Beziehung auf die Erlebnisse der gemeinsamen Nächte. Andi stellt die
These auf, dass nur „Seinesgleichen“ (S.243) fähig sei, sich gegenseitig zu ertragen. Um
Sarah so nah zu kommen, dass er „ihresgleichen“ wird, entschließt er sich zum Judentum zu
konvertieren und eine Beschneidung vornehmen zu lassen. Seine Beschneidung ist das Opfer,
dass er ihrer Beziehung zu Liebe zu bringen bereit ist. Dass das seine Selbstaufgabe, die
Aufgabe seiner Identität und die Resignation vor Sarah und dem Konflikt bedeutet, wird ihm
später jedoch bewusst und bewegt ihn dazu aus der Beziehung zu fliehen, aus der
Beklemmung der Situation auszubrechen.
Der Glücksanspruch, den Andi auf Geborgenheit, Gleichberechtigung, Akzeptanz und Erotik
im ausgewogenen Maße erhebt, bleibt ihm missgönnt.
Sarah repräsentiert in dieser Beziehung all jene, die Deutschland die Schuld am Holocaust bis
in die Gegenwart nachtragen und die Fronten somit so verhärten, dass sämtliche Verhältnisse
zu erkalten verurteilt sind.
Sarah bringt Andi anfangs viel Liebe entgegen und ist in der Beziehung sehr hingebungsvoll,
allerdings entfernt sie sich immer mehr von Andi, indem sie bei Diskussionen über die Schuld
Deutschlands am Holocaust die Position von Andia gegnerischer Partei ergreift, wobei sie
sich grundsätzlich in Schuldzuweisungen verliert. Die Problematik besteht jedoch
hauptsächlich darin, dass Sarah Andi regelmäßig provoziert, indem sie ihm gegenüber
scharfe, zynische und eindeutige Anspielungen auf die deutsch-jüdische Geschichte macht,
wobei sie Andi regelmäßig anzugreifen scheint, zumindest zu erzielen versucht, dass dieser
sich angegriffen fühlt und sich genötigt sieht, sich zu rechtfertigen. Sarah scheint zwischen
der Geschichte des Landes ihres Partners und der Individualität Andis nicht unterscheiden zu
können, und zieht ihn somit, mal bewusst, manchmal unbewusst permanent vor ein
moralisches Gericht.
Obwohl sie Andi so scharf und direkt angreift, reagiert sie selbst auch sehr abwehrend
impulsiv, was sich äußert, wenn sie sich - selbst in Situationen, in denen nichts ferner liegt,
als das Thema Holocaust - dahingehend angegriffen fühlt und darin begründend zu streiten
beginnt.
Zwar stellt Schlink zwischenmenschliche Beziehungen in „Liebesfluchten“ in den
Vordergrund und thematisiert den Facettenreichtum des menschlichen, emotionalen
Gefühlsspektrums, jedoch zeigt er in „Die Beschneidung“ auf, dass die Liebe zwischen Andi
und Sarah nicht stark und expressiv genug ist, um auf dieser Ebene zu leisten, was die
Öffentlichkeit nicht zu schaffen vermag. Ihre Liebe hält nicht nur dem moralischen Druck der
Vergangenheit nicht Stand, sondern die Beziehung erschwert durch ihre Entwicklung noch
jene zu ertragen. In dieser Geschichte zeigt Schlink, dass es sich bei der Liebe um einen
belastenden Faktor im Leben handeln kann, welcher dazu führen kann, dass man eine Flucht
aus der Liebe, die eigentlich selbst doch so wünschenswert ist, unternimmt.
Die Liebe, von der der Illusionär glaubt, sie sei fähig, Diskrepanzen zwischen zwei
Individuen zu überbrücken, ist unfähig, ein Individuum vor Klischees und Vorurteilen zu
schützen. Die Beschneidung Andis, die in dieser Kurzgeschichte ihren Zweck verfehlt, seine
Beziehung zu retten, zeigt, dass symbolische Handlungen aus Liebe keine Weltanschauung zu
ändern vermögen und auch nicht die Auseinandersetzung mit dieser ersetzen können.
Die Beziehung von Andi und Sarah, die die nachhaltigen Spannungen zwischen deutscher und
jüdischer Vergangenheit repräsentieren, stellt den Leser bei seiner Reflexion über den Grund
der Spannungen vor die Frage, ob es gerechtfertigt ist, dass die dritte Generation nach dem
Holocaust noch die Last der Schuld zu tragen hat und ob die Schuld selbst an die Enkel und
Urenkel der Schuldigen übertragen werden darf, da diese moralisch sowie real keine
Mitschuld an den Geschehnissen trifft.
Schließlich lässt Schlink den Leser mit der Frage allein, wie viele junge Generationen sich
noch für die Vergangenheit ihrer Großväter zu rechtfertigen haben.
Bernhard Schlink „Liebesfluchten“
- Der Sohn
Verfasser: Maximilian Preiß – Fabian Schmitt – Erik Schulte – Elena Wickert
Erzählverhalten und Sprache
Schlinks Erzählverhalten in der Kurzgeschichte „Der Sohn“ ist klar und prägnant. Sein
Erzähler ist nur Beobachter des gesamten Geschehens. Er erzählt kühl („Die Kirche war
ausgebrannt“, S.267), sachlich („Je höher sie fuhren, desto langsamer kamen sie voran. Die
Straße wurde schmaler und schlechter.“, S.267) und fast teilnahmslos ( „Zwei Fahrer tauchten
auf, legten die Toten ins Grab, schaufelten es zu und klopften mit den Spaten die Erde fest.“,
S. 278). Seine Story ist gradlinig aufgebaut und lässt den Leser an dem Ende der Story nicht
zweifeln (Der Professor nimmt entgegen seiner Gewohnheit an solch einer Mission in einem
Bürgerkriegsland teil, Waffen und Militärfahrzeuge (Jeeps), plötzliches Bedürfnis seinen
Sohn anzurufen, um ihm zu sagen, dass er ihn lieb hat, ausgebrannte Kirche, zwei Tote,
unglücklicher Vater, keine richtige Schießerei, aber der Vater wird getroffen, muss langsam
sterben).
Detailgenauigkeit
(„Die
Beobachter
kamen
mit
einem
amerikanischen
Militärflugzeug, weiß gestrichen und blau markiert.“, S. 257) und Assoziationstechnik („Die
großen Fenster waren brusthoch mit Sandsäcken gesichert, bei manchen fehlte das Glas.“, S.
257 – deutet auf Kriegshandlungen hin) zeigen sich ebenfalls im Erzählstil. Für den Erzählstil
verwendet Schlink einfache Sprachmuster („Er merkte, dass.., Er war traurig, Er hätte ihn
gerne gesehen. Er hätte gerne nichts getan..., Aber dann war er auch schon zu müde...“, S.
281). Diese Wiederholungen wirken auf den Leser lieblos und langweilig. Sie verhindern,
dass beim Leser Gefühle oder Spannung aufgebaut werden. Schlink verwendet sie aber
bewusst, weil er nicht erzählen will, sondern nur beschreiben. Er benutzt auch Floskeln in
seinem Erzählstil. Besonders negativ zeigt sich dieses bei dem Bekenntnis des Vaters, dass er
seinen Sohn liebt („Ich hab dich lieb, mein Junge.“, S. 265). Diese Worte bleiben nur leere
Worthülsen, die ein Mit- und Nachfühlen ausschließen. Überhaupt vermeidet der Erzählstil
jede Wertung, sondern lässt in jeder Situation Distanz zu den Personen und der Handlung
erkennen. Wenn Schlink in einem kleinen Moment der Hauptperson (Professor) gestattet,
über seine Fehler nachzudenken („Hatte er es dem Sohn leichter machen wollen? Oder der
Mutter? Oder sich selbst?“, S. 269), dann unterbricht er diese Schilderung der
Seelenlandschaft des Professors radikal mit der Fortsetzung einer sachlichen Schilderung
(„Die Jeeps fuhren über den Platz und parkten mit laufenden Motoren und eingeschalteten
Scheinwerfern vor der Kirche.“, S. 269). Am Schluss lässt Schlink im Erzählstil sogar ein
bisschen Ironie und Tragik zu („Er war traurig, dass in den letzten Momenten nicht der Film
seines Lebens vor ihm ablief. Er hätte ihn gerne gesehen. Er hätte gerne nichts getan, sich
entspannt und zugeschaut. Statt dessen musste er bis zum letzten Moment denken. Der Film –
warum hielt der Tod nicht, was man sich von ihm verspricht?“, S. 281).
Das Geschehen wird - außer eben am Ende - unspektakulär dargestellt, ohne viel Emotionen,
was auch an der weitgehenden Auslassung der wörtlichen Rede liegt.
Eine Verdichtung der Atmosphäre erreicht Schlink an einigen Stellen durch eine dreiteilige
Beschreibung (S. 257, Z.7/8; S. 261, Z. 13). Obwohl hier nur mit wenigen Worten etwas
beschrieben wird, kann der Leser sich die Situation am Flughafen bzw. das Aussehen des
Mädchens gut vorstellen. Zur insgesamt nur knappen Information des Lesers zählt auch, dass
der Autor nur Hinweise gibt, aus denen sich der Leser dann selbst etwas zusammenreimen
muss. So wird das Flugzeug, in dem die Beobachter anreisen, als weiß mit blauer Markierung
beschrieben (S. 257, Z. 4/5). Der Leser kann sich jedoch denken, dass es sich um eine
Maschine der UN handelt. Auch in Bezug auf das Land erfährt der Leser nichts Genaues.
Jedoch lässt sich aus der Flugroute (S. 260, Z. 17/18) und der Tatsache, das es sich um ein
spanischsprachiges Land handelt (S. 262, Z. 19/20; S. 265, Z. 26/27) schließen, dass die
Geschichte in einem Land Südamerikas spielt. Durch den Hinweis, dass es in dem Land zwei
Meersprovinzen gibt (S. 260, Z. 25) kann die Lage weiter eingegrenzt werden, ohne dass sich
mit Bestimmtheit sagen ließe, welches Land es letztendlich ist.
Rhetorische Figuren tauchen in der Geschichte nicht häufig auf, trotzdem pflegt Schlink eine
in gewisser Weise kunstvolle Sprache, die auf den ersten Blick aber nicht auffällt.
So benutzt er gelegentlich Worte, die veraltet erscheinen (S. 257, Z. 17: „Kavalkade“; S. 258,
Z. 30: „gehörig“), und gibt so seiner Sprache einen Stil, der nicht in die moderne Literatur zu
passen scheint. Auch die Verwendung von „roter Wein“ statt „Rotwein“ verstärkt diesen
Eindruck (S. 262, Z. 4/5).
Auch wenn sich die rhetorischen Figuren in Grenzen halten, fallen doch einige auf. So z. B.
„Herzen der Stadt“ (S. 259, Z. 6: Metapher) und „Tür - und Fensterhöhlen“ (S. 267, Z. 21:
Metapher), die jedoch eher „alltägliche“ Metaphern sind. Auch „eingerostetes Spanisch“ (S.
262, Z. 19/20) zählt hierzu. Der Beginn der Sätze mit „Ob“ (S. 264, Z. 10 ff.) bringt dem
Leser die Probleme des Protagonisten mit seiner Freundin näher. Die Wiederholung des
Wortes „Ich“ (S.265, Z. 13) dient zur Verdeutlichung der Verwirrung des Sohnes.
Die Geschichte ist weitgehend ohne Humor geschrieben, nur an zwei Stellen fällt Ironie auf
(S. 265. Z. 28 ff.; S. 275, Z. 3 ff.). Die erste Stelle abstrahiert eine ernsthafte Gefahr ins
Lustige, die zweite zeigt die Bitterkeit des Kanadiers, der sich seines Alkoholproblems
bewusst ist und verdeutlicht, das die Friedensmission der Beobachter keinen Erfolg haben
wird. Auch der Ausruf des betrunkenen Kanadiers (S. 271, Z. 8: Onomatopoesie) wirkt lustig,
verdeutlicht aber letzten Endes doch nur wieder sein Problem.
Auffällig ist die Wiederholung der gleichen Wortreihenfolge im Abstand weniger Seiten (S.
259, Z. 7/8 und S. 263, Z. 9/10). Sie zeigt den immer gleichen Aufbau der Stadt und eine
gewisse Monotonie.
Eine Besonderheit, die an der Kurzgeschichte auffällt, sind die vielen Worte, die ein Geräusch
beschreiben. Es beginnt mit „knirschenden Splittern und Sand“ (S. 257, Z. 12), setzt sich mit
dem „Knattern einer Maschinenpistole“ (S. 262, Z. 27) fort und endet mit dem „Rauschen“
der Stadt (S. 263, Z. 7).
Besonders intensiv wird Schlinks Sprache, als er die Gefühle des Deutschen, die er unter dem
Druck der Erinnerungen hat, beschreibt (S.273, Z. 3). Der Leser kann sich in ihn
hineinversetzen und fühlt mit ihm, ausgelöst durch die Dichte von Schlinks Schilderung.
Besonders prägnant sind hier die „gestorbenen Hoffnungen“ (S. 273, Z. 5), die die Gefühle
des Protagonisten verdeutlichen und auch eine der wenigen emotionalen Momente der
Geschichte darstellen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kurzgeschichte „Der Sohn“ vor allem durch eine
klare Sprache gekennzeichnet ist, die schlicht wirkt, aber dennoch nie plump oder
vereinfachend ist. Bei genauerem Studium der Erzählung wird deutlich, dass der Autor
tiefgründiger und vielschichtiger schreibt, als man zunächst meint.
Die Figuren
Charakterisierung: Der Deutsche
Der deutsche Beobachter ist ein Professor für Völkerrecht, der schon für viele verschiedene
internationale Organisationen gearbeitet hat, jedoch nie im Einsatz vor Ort war (S.260). Er ist
geschieden, seitdem sein Sohn 5 Jahre alt war (S. 261). Er hat allerdings eine Freundin, die in
New York lebt, mit der er sich jedoch unmittelbar vor der Abreise zerstritten hat, die ihm aber
dennoch eine Krawatte eingepackt hat. Kurz nachdem er das gesehen hat, ruft er seinen Sohn
von seinem Einsatzort als internationaler Beobachter in einem südafrikanischen Land aus an,
ohne einen speziellen Grund zu haben (S. 264). Am Ende sagt er ihm zum ersten Mal, dass er
ihn lieb habe, was jedoch zu einer peinlichen Stille führt. In dem Moment wünscht er sich, das
schon öfter gesagt zu haben (S. 265). Den Deutschen quält die Vergangenheit, so eben
insbesondere sein Verhalten gegenüber seinem Sohn. Anstoß zu seinen Gedanken ist eine
Situation, in der seine Begleiter Bilder ihrer Familie zeigen, er jedoch keines hat (S. 261/2).
Fortan denkt er öfter an vergangene Situationen, so an eine, wo er mit seinem Sohn zwei
Wochen in den Herbstferien Urlaub machen wollte, was er mit seiner Ex-Frau abgesprochen
hatte. Der gerichtliche Beschluss sah jedoch anderes vor und so holte der Freund seiner ExFrau den Sohn ab und nahm ihn mit. Der Deutsche wehrte sich in dieser Situation nicht und
ließ es geschehen (S. 269). Dieses Verhalten könnte darauf schließen lassen, dass er
Konflikten aus dem Weg zu gehen versucht und es ihm an Durchsetzungsfähigkeit mangelt.
Dies wird durch eine weitere Situation belegt, in der er am Ende einer Tanzstunde ein
Mädchen nicht nach Hause fährt, wie es üblich gewesen wäre, sondern es einem Stärkeren
überlässt (S. 272). In diesen Erinnerungen schwelgend bedauert er sein Leben und ist
beschämt ob der „Niederlagen seines Lebens“ (S. 273, Z. 4). Es zeigt sich, dass er sein Leben
verlebt hat, Träume und Wünsche hat, die er nicht verwirklichen konnte. Auch sein letzter
Traum erfüllt sich nicht: Er will seinen Sohn die Treppe hinaufkommen sehen und den „Film
seines Lebens“ sehen (S. 280/1). Diese letzte Situation spiegelt in gewisser Hinsicht sein
Leben wieder, die Hoffnung, zerschlagen durch Hilflosigkeit und die Enttäuschung darüber,
nicht das erreicht zu haben, was er sich vorgenommen hatte.
Charakterisierung: Der Kanadier
Der Kanadier, der Partner des Deutschen, ist Ingenieur und Geschäftsmann, der in einer
Menschenrechtsorganisation engagiert ist. Er hat eine Frau und 4 Kinder und beginnt während
des Abendessens Fotos seiner Familie zu zeigen, worauf die anderen ebenfalls ihr
Familienfotos zeigen mit Ausnahme des Deutschen, der keine Fotos hat (S. 260). Er redet viel
und ist im Gegensatz zum Deutschen eher extrovertiert (S. 260, Z. 27 ff.). Er geht anderen
Leuten auf die Nerven, was auch in der Geschichte ein paar Mal deutlich wird (S. 271, Z. 20;
S. 277, Z. 21). Der Kanadier ist Alkoholiker, er hat Whiskey dabei und betrinkt sich auch
während der Fahrt in ihre Einsatzprovinz regelmäßig (S. 270). Obwohl er aus Amerika nach
Kanada ausgewandert ist, da er mit Waffen nichts zu tun haben wollte, kennt er sich sehr gut
mit diesen aus und erkennt bereits am Schuss, um welche Waffe es sich handelt (S.
263/271/72). Als der Deutsche und der Kanadier nachts Schüsse hören, ist sich der Kanadier
sicher, dass es sich um die Waffe des Comandante handelt und nicht um die des Offiziers, wie
es der Comandante behauptete. Er beginnt zu dem Zeitpunkt Misstrauen gegen die beiden
Führer ihrer Fahrt zu entwickeln. So schlägt er dem Deutschen vor, dass beide zusammen
versuchen sollen zu fliehen. Als der Deutsche dagegen zu argumentieren versucht, beharrt der
Kanadier auf seiner Meinung (S. 274). In beiden Fällen ist er äußerst stur und lässt sich von
seinem Gedanken nicht abbringen. Nachdem er sich mit dem Comandante am Folgetag
gestritten hat, da er zurückfahren will, dieser aber nicht einwilligte, greift er die Waffe des
Deutschen und bedroht den Offizier. Daraufhin wird er erschossen (S. 277/78), wobei nicht
klar wird, wer schießt.
Die Aussage der Geschichte
Oberflächig betrachtet ist die Aussage der Kurzgeschichte „Der Sohn“, dass man immer damit
rechnen muss, dass man sterben kann ohne sich vorher von besonders nahe stehenden
Menschen verabschiedet zu haben.
Dieser Eindruck wird aber der Geschichte nicht ganz gerecht. Es geht vor allem darum, dass
ein Vater erkennen muss, dass er eine sehr schlechte Beziehung zu seinem Sohn hat. Der
Vater erkennt seine Schuldgefühle, die er seit der Wegnahme seines Sohnes durch den
Geliebten seiner Frau immer erfolgreich verdrängt hatte. Er muss erkennen, dass er ein
Mensch ist, der nie bereit war, um etwas oder um seinen Sohn zu kämpfen. Er war immer ein
Meister von faulen Kompromissen. Seine Vorstellung, ein Vater zu sein, wie er es gerne
gewesen wäre, bleibt nur ein Traum. Die Geschichte macht deutlich, dass man vor seinen
Schuldgefühlen auf Dauer nicht weglaufen kann.
Ein weiterer Aussageaspekt in dieser Geschichte besteht in der Tatsache, dass der Vater
erkennen muss, dass sein Leben bedeutungslos und farblos abgelaufen ist. Denn der von ihm
erwartete Film seines Lebens, der angeblich in den letzten Lebensminuten immer abläuft,
bleibt aus.
Bernhard Schlink
„Liebesfluchten“ - Die Frau an der Tankstelle
Verfasser: Sophie Engels – Sarah Jokisch
-
Daniel Rupperath
1 Inhalt
„Die Frau an der Tankstelle“
Eine der sieben Kurzgeschichten trägt den Titel „Die Frau an der Tankstelle“. Hierbei geht es
um einen älteren Mann, der die fünfzig schon überschritten hat. Er lebt mit seiner Frau in
einer routinierten und auf Ritualen aufgebauten Ehe. Die Liebe der beiden ist erkaltet und ihre
Ehe zwar funktionsfähig, aber nicht die tiefgründige Erfüllung des persönlichen Glücks und
der Sehnsüchte des Einzelnen. Daher besteht weder eine leidenschaftliche, noch eine
körperliche Liebe zwischen den beiden Ehepartnern. Erst nachdem sie sich darüber einig sind,
ihre Goldene Hochzeit nicht zu feiern, können beide wieder frei und erleichtert miteinander
sprechen und geben ihrer gemeinsamen Liebe eine zweite Chance. Dabei planen sie eine Art
„zweite Hochzeitsreise“ nach Amerika, um ihre Liebe zu erneuern, die sie mit dem
erstmaligen sexuellen Kontakt nach langer Zeit besiegeln. Auf dieser gemeinsamen Reise
ereignet sich dann der Wendepunkt, auf den schon von Anfang an hingearbeitet wird und in
dessen Zusammenhang auch der Titel der Geschichte steht. Als die beiden bei einem Ausflug
über eine abgelegene, lange Straße fahren, scheint ein langjähriger Traum des Mannes in
Erfüllung zu gehen. In diesem Traum, der sich seit seinem fünfzehnten Lebensjahr täglich
wiederholt, stellt er sich vor, durch eine weite Ebene zu fahren und an einer Tankstelle zu
halten. Dort tritt eine Frau heraus, die sein Auto tankt und mit ihm Geschlechtsverkehr hat. Er
kann die Zukunft mit dieser Frau vor sich sehen.
In der Realität trifft das Ehepaar tatsächlich auf einer Tankstelle eine einsame Frau an. Alles
ist genau wie im Traum, nur kann sich der Mann nicht dazu entschließen, seine Frau zu
verlassen, um in ein neues Leben mit der Frau an der Tankstelle einzutreten. So verlässt er
hektisch die Tankstelle und setzt mit seiner Frau die Reise fort. Doch das Geschehene
überwältigt ihn und er bittet seine Frau, ihn aussteigen zu lassen. Eine Erklärung gibt er ihr
nicht und sie fährt nach einigem Zögern tatsächlich ohne ihn weiter. Er mietet sich ein
Zimmer und betrinkt sich. Schlussendlich befindet sich der Mann am Meer wieder und
genießt seine neu gewonnene Freiheit.
2 Gestalterische Merkmale, Erzählstil und Sprache
Bei der Analyse der Gestaltung des Textes erscheint es angebracht, die Formmerkmale einer
Kurzprosa mit einzubeziehen und in dem Text auf bestimmte Elemente der Kurzgeschichte
hinzuweisen. Hierbei lassen sich bestimmte Kriterien festlegen.
So beginnt die Geschichte mit einem völlig unmittelbaren Einstieg. Die ersten Worte lauten:
„Er wusste nicht mehr, ob…“ (Kapitel 1, Zeile 1). Die Frage nach dem wer bleibt für den
Leser zunächst lange Zeit ungeklärt. Er findet sich sofort mitten im Leben eines anderen
Menschen wieder. Die Einleitung, die man als das erste Kapitel der siebten Geschichte
bezeichnen kann, ist gerade mal auf eine Seite begrenzt, dennoch erfährt der Leser Dinge, die
für das Verständnis der fortlaufenden Geschichte ausreichen.
Insgesamt hält sich die Geschichte vom Umfang her sehr kurz und beläuft sich auf 25 Seiten,
die allerdings in etwa für Kurzgeschichten untypische Kapitel unterteilt werden. Es wird nur
ein relativ kurzer Lebensabschnitt einer Person beschrieben, in der sich diese mit der Lösung
eines alltäglichen Problems auseinander setzen muss. Dies ist eine Art Krise, in der der
Protagonist nach einem Ausweg sucht. Es endet schließlich in einer Katastrophe, in die er
durch eine zuvor gefällte Entscheidung, zu der er zwangsläufig gezwungen wird, hineingerät.
Dabei bildet die Person, bzw. in diesem Fall die zwei Hauptpersonen, keinen
fragmentarischen Charakter, sondern sie werden ausführlich charakterisiert (Kapitel 3). Der
Erzähler tritt als auktorialer, allwissender Erzähler auf. Er kennt die Gefühlslage und die
Gedankengänge der Menschen, beschreibt sie allerdings nicht emotional, sondern bleibt
nüchtern in seiner Betrachtung und distanziert sich somit. So schreibt er zum Beispiel: „Auf
sie wirkte sein Charme nicht mehr. Zuerst dachte sie…“(Kapitel 3, Abschnitt 3). Er kann sich
in die Personen hineinversetzten und aus ihrem Blickwinkel ebenfalls das Verhalten oder die
vermuteten Gefühle der anderen Person ablesen. Insgesamt hält sich der Autor überwiegend
an ein neutrales Erzählverhalten. In einer anderen Geschichte verwendet er sogar die IchPerspektive.
Der Inhalt der Geschichte bildet allerdings eine Ausnahme der Kurzprosa, da er nicht
realistisch wirkt. Schließlich geht es um einen Traum, den ein Mann seit seiner Kindheit
träumt und der letztendlich, zumindest zum Teil, in Erfüllung geht. Das hat schon eher etwas
Mystisches an sich.
Einen zentralen Ort des Geschehens gibt es nicht, allein schon aufgrund der Reise, die das
Ehepaar unternimmt. Zu Beginn spielt die Geschichte vermutlich in Deutschland. Später wird
eine Reise durch Kanada geplant und auch durchgeführt. Die Umgebung spielt für die
Geschichte daher eher eine geringe Rolle.
Die Erzählung ist von einem roten Leidfaden durchzogen. Es gibt keine Einschübe in Form
von Retrospektiven oder Exkursionen. Die Hauptperson, der Mann, befindet sich allerdings
häufig in einem Bewusstseinsstrom, vielleicht sogar in einer zukunftsweisenden Art. Dieser
lineare Handlungsverlauf äußert sich besonders in der Spannungskurve. Hierzu ist zu sagen,
dass es zwei Erzählebenen gibt. Einmal wird der Traum, also etwas Unerfassbares,
beschrieben und danach das wahre Leben, also die Realität. Die Linearität wird ganz deutlich
an Hand der fortlaufenden Geschichte. Ist der Traum beschrieben, so geht es mit dem Leben
in der Ehe weiter. Spannungen in dieser Ehe werden aufgebaut, bis es zum gemeinsamen
Bruch kommt. Man spricht sich aus, versucht einen Neuanfang, der nicht gelingen kann und
zum Scheitern verurteilt ist, bis es zum Wendepunkt kommt, der nicht mit dem Höhepunkt
zusammenfällt, was besonders wichtig erscheint. Der Traum wird wahr und auf Grund des
Entscheidungszwangs des Individuums wird eine baldige Entscheidung unabdingbar. Auf
Grund dieser Konfrontation mit der plötzlichen Situation bleibt der Hauptperson keine Wahl,
als davon zu laufen und zu versuchen einer endgültigen Entscheidung aus dem Weg zu gehen,
um das bisherige Leben wieder aufzunehmen. Doch der Höhepunkt folgt dann, als der Mann
sich entschließt, aus dem Auto auszusteigen und seiner Frau und somit seinem alten Leben,
das er aus seiner Sicht all die langen Jahre umsonst gelebt hat, den Rücken kehrt. Jetzt ist er
bereit für einen Neuanfang und endgültig frei, aber auch verlassen. Dies bildet dann die
Schlusspointe. Ein wirkliches Ende gibt es nicht. Der Schluss bleibt vielmehr offen und der
Lesen kann die Geschichte für sich selbst zu Ende bringen, schließlich gibt es ja auch im
echten Leben nicht immer das ersehnte und erwartete „Happy End“. Das Gegenteil ist
vielmehr der Fall. Für den Protagonisten schließt die Story mit einer Katastrophe ab. Weder
konnte der Mann ein neues Leben, so wie er es sich erträumt hat, beginnen, noch hat er mit
seinem alten Leben richtig abschließen können, da er auf die Wiederkehr seiner Frau hofft.
Selten gibt es hier und da einen Zeitsprung, wo etwas ausgelassen wird, was für die
eigentliche Geschichte nicht wichtig ist. Wichtige Fakten oder lange Vorgänge werden häufig
in einer Zeitraffung kurz, schnell und präzise beschrieben.
Jeder neue Handlungsstrang wird durch einen Absatz und darauf folgendem Abschnitt
eingeleitet.
Auffällig sind die retardierenden Momente, zum Beispiel durch Wiederholungen desselben
Vorgangs. So wird oft beschrieben, dass der Mann es liebt, wenn seine Frau auf ihn
zugegangen kommt, oder dass er ihr gerne beim Schlafen zusieht. Aber nicht nur ganze
Vorgänge werden wiederholt. Schlink nennt oft in aufeinander folgenden Sätzen dasselbe
Verb oder auch Subjekt. Dies zeigt sich besonders in dem parallelen Satzbau, den der Autor
zur Genüge verwendet.
Die wenigen Dialoge des Romans sind sehr gedehnt. Doch es ist nicht die Menge des
Gesprochenen, die die Länge ausmacht, sondern auch die vielen Einschübe, in denen
Vorgänge beschrieben werden. Dabei wird auch oft die erlebte Unterhaltung durch den
Erzähler zusammengefasst oder in einen inneren Monolog eingebracht. In den wenigen
Dialogen fällt besonders das kurze Frage-Antwort-Spiel zwischen den Sprechern ins Auge.
Auch die elliptische Sprechweise und der parataktische Satzbau stechen hervor.
Ansonsten ist der Text im Großen und Ganzen hypotaktisch verfasst, wobei es gezielte
parataktische Einschübe gibt.
Die Unsicherheit des Ichs äußert sich am stärksten in den Bewusstseinsströmen des
Individuums. Diese Seelenlandschaft, die der Autor in Sentenzen versucht darzustellen,
unterstreicht er mit markanten Fragen, die sich die Person in dieser Situation stellt und auf die
sie eine Antwort finden muss. Hierzu trägt auch das Gegenüberstellen verschiedener
Gedankengänge und Handlungsmöglichkeiten bei. Außerdem erfährt der Leser immer wieder
sinnliche Eindrücke, die die Personen erhalten, wie zum Beispiel „er roch den strengen
Geruch ihres Schweißes und hörte ihren pfeifenden Atem“ (Seite 289, oben).
3. Die Figuren
Die in Bernhard Schlink verwendeten Protagonisten sind ein Mann, Ende Fünfzig, und seine
Ehefrau, die Professorin in der Forschung ist. Sie haben zusammen drei Kinder.
Der Alltag sowie die Ferien und die Freizeit des Ehemannes sind begleitet von einer
dauerhaften Angespanntheit und Ungeduld, die er nicht ablegen kann ( S. 286, Z. 23 f. ). Er ist
glücklich, dass er so eine schöne Frau an seiner Seite hat und sieht gerne ihre Gestalt und wie
sie auf ihn zugeht ( S. 298, Z. 17 ).
Seine Frau hingegen ist diejenige, die die Entscheidungen in der Beziehung trifft ( S. 195, Z.
10 ), die sich über Kleinigkeiten freut, die die Herbere von beiden ist.
Der Umgang des Ehepaares untereinander ist sehr diszipliniert und von Ritualen geprägt, ihr
Alltag lässt demnach wenig Raum für Spontaneität, obwohl die Frau von dieser Eigenschaft
an ihrem Mann begeistert ist. Dies erkennt man an ihrem gemeinsamen Ausflug, den sie ans
Meer machen. Beide stehen in einer Plastikfolie um sie herum geschlungen dort im Regen, als
ihr Mann alleine und ungeplant ans Wasser und auch hinein geht. Doch er ist eher
erschrocken und verlegen über sein Handeln ( S. 297, Z. 18 f. ).
Zwischen den beiden Ehepartnern besteht kein erfülltes Liebesleben mehr, sie haben das
Ritual des Miteinander – Schlafens aufgegeben, da keiner von beiden mehr einen ersten
Schritt machte. Sie bleiben weiterhin in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer wohnen, da keiner
der beiden die bestehenden äußeren Rituale des Ausziehens, Einschlafens, Aufwachens und
Aufstehens aufgeben möchte. Hier wird das ritualisierte Leben ohne Spontaneität deutlich ( S.
288, Z. 30 f. )
Seit der Jugendzeit des Mannes begleitet ihn beinah täglich der Traum von einer Frau an der
Tankstelle. Als er mit seiner Frau die Reise durch Kanada antritt, treffen sie tatsächlich auf
eine Tankstelle, aus der eine Frau heraustritt. Diese Situation erinnert ihn stark an seinen
Traum und er ist sofort von ihrer Schönheit fasziniert ( S. 300, Z. 5 ). Er möchte mit dieser
fremden Frau zusammen sein Leben teilen. Er ist sich bewusst, wie verrückt es ist, sich gegen
seine Frau zu entscheiden für eine ihm Fremde. Dennoch überlegt er lieber verrückt zu sein,
anstatt vernünftig und traurig zu bleiben ( S. 303, Z. 1 ). Er entscheidet sich dann aber für
seine Frau. Als er beginnt, an ihre Freude über Kleinigkeiten, ihre Zutraulichkeit und ihre
freudige Art zu denken, fahren sie los. Ihm ist, als müsse er sich selbst überzeugen, dass er
das Richtige tue. Doch ihm kommen Zweifel und er entscheidet sich schließlich gegen das
Zusammenleben mit seiner Frau und für das Unbestimmte. Diese Entscheidung trifft er
ungeplant, spontan und ohne zu wissen, was sich ergibt.
Intention
Bernhards Schlinks Leitintention in „Liebesfluchten“ ist wohl die Frage nach der richtigen
zwischenmenschlichen Beziehung. Wie wichtig ist das Miteinander? Und wie wichtig ist ein
„Ich“ im „Wir“? In „Die Frau an der Tankstelle“ werden gerade diese Fragen behandelt,
jedoch weiß Schlink sich auf eine Art auszudrücken, die es dem Leser schwer macht, bei
erstem Lesen die wirkliche Intention auszumachen. Erst nach einiger Reflektion über den
Protagonisten und dessen Beziehung zu sich und seiner Frau erkennt der Leser die wirkliche
Problematik.
So wird der Mann als unzufrieden mit sich selbst und krankhaft routiniert beschrieben, wobei
dem Leser nicht vermittelt wird, was die Ursache diese Unzufriedenheit ist. Die Ehe und die
Liebe zu der Frau sind für den Protagonisten nicht ausreichend, es scheint gerade so, als ob
sein Inneres keine zwischenmenschlichen Beziehungen zulassen könne. Beim Wendepunkt
der Geschichte scheint diese Beklemmung ein Ende zu finden, doch auch hier flüchtet er
zurück in das Gewohnte. Für den Leser ist das Handeln des Mannes gar missverständlich, so
ist sein großer Traum zum Greifen nah und könnte für ihn die Lösung aller Probleme sein,
zieht er ihm die doch innerlich so verhasste Alltäglichkeit vor.
Wie kommt es jedoch zu diesem Entschluss des Mannes? Erst nach einem Gefühlsausbruch
seinerseits und der eigenen Schuldgebung an der misslungenen Ehe schafft er es, den Bann
der Routine zu brechen, und er verlässt seine Frau. Welche Bedeutung diese Handlung für den
Mann und seine Zukunft hat, ist ungewiss. So gibt Schlink jedoch abschließend einen Hinweis
und endet mit „er hatte unendlich viel Zeit“.
Das Ende lässt viele Fragen offen, deren Beantwortung nur zu Spekulationen führen würde,
eins ist jedoch deutlich: Nur derjenige, der mit sich selbst zufrieden ist, ist in der Lage, einen
anderen zu lieben.