Die vorliegenden Ausarbeitungen wurden im Rahmen einer
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Die vorliegenden Ausarbeitungen wurden im Rahmen einer Gruppenarbeit im LK Deutsch der Stufe 13 (Kursleiter G.-M. Fulde) des Städtischen Gymnasiums Rheinbach erstellt. Dabei wurde zu Beginn im Plenum eine gleiche methodische Vorgehensweise als verbindlich für die Einzelanalysen und – interpretationen festgelegt. Die Arbeiten wurden Anfang September 2007 geschrieben und sind als Annäherung an dieses Werk Schlinks zu betrachten. Kurzbiographie und Hinweise zum Werk Bernhard Schlinks Der Jurist und Schriftsteller Bernhard Schlink wurde am 6.Juli 1944 als Sohn des Prof. Dr. Edmund Schlink bei Bielefeld geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und promovierte 1975 und lehrt seither als Professor für Recht an verschiedenen Universitäten. Diese Tätigkeit führt er seit 1992 bis heute an der Berliner Humboldt-Universität aus. Außerdem wurde er 1987 Richter des Verfassungsgerichtshofs von Nordrhein-Westfalen und ist dies bis heute. Er verfasste viele juristische Werke, bis er begann Romane zu schreiben, für die er viele Preise und Auszeichnungen erhält. Sein wohl bekanntester und in vielen Sprachen erschienener Roman „Der Vorleser“ brachte ihm mehrere internationale Literaturpreise ein und erreichte erstmals als deutsches Buch die Bestsellerliste der New York Times. In seinem im Jahr 2000 erschienen Roman mit dem Titel „Liebesfluchten“ umreißt Schlink, genau wie in mehreren seiner anderen Werke, das zentrale Thema der Liebe. In dem 1995 erschienenen Roman „Der Vorleser“ ging es schon um die Liebe eines jugendlichen Jungen zu einer älteren Frau, die zunächst zu einander finden, dann aber mit ihrer Liebe brechen. Nach vielen Jahren, der Junge ist inzwischen ein ausgewachsener und studierter Mann, treffen beide zufällig in einem Gerichtssaal wieder aufeinander. In dem Prozess geht es um die Vergangenheit der Frau während des Zweiten Weltkrieges und die Schuldzuweisung am Tode mehrerer jüdischer Kinder. Schlink arbeitet also in dem Zusammenhang der Entwicklung einer Liebe die deutsche Vergangenheit auf und stellt die Frage der Schuld in kritisches Licht. Um Ähnliches geht es in den sieben kurzen Liebesgeschichten, in die das schon erwähnte Buch „Liebesfluchten“ unterteilt ist. Vom zweideutigen Titel ausgehend handelt es sich dabei entweder um die Flucht vor der Liebe, oder um die Liebe als Zufluchtsort. Die durchgehend männlichen Protagonisten müssen sich mit diesem Thema auseinander setzten. Die meisten von ihnen sind schon älter und blicken auf ihr Leben zurück, wobei die für Schlink typische Bewältigung der deutschen Vergangenheit wieder einmal zu tragen kommt. Die traurige Bilanz dieser Männer als Liebhaber, die ihr Leben gelebt haben, ist die einer gescheiterten Liebe, vielleicht einer Liebe, die es nie gegeben hat oder die unerfüllt bleibt. Sie kann über die Jahre erkaltet sein, aber die Protagonisten sehnen sich ständig nach ihr. Die sieben Erzählungen sind Geschichten von Schicksalen verschiedenartiger Menschen, die in ihrem Handeln und Denken klischeehaft ähnlich gestrickt sind. Es sind Geschichten von verpassten Liebschaften, unerfüllten Träumen und Sehnsüchten, von der Unfähigkeit Liebe zu zeigen, zu geben oder zu empfangen. (S.Engels / S. Jokisch / D. Rupperath) Bernhard Schlink Liebesfluchten Textanalyse und Interpretation Das Mädchen mit der Eidechse Verfasser: Regina Knie, Bennett Krebs, Marcel Maaß und Svenja Weiler Inhaltsverzeichnis 1 Thema 2 Gestalterische Merkmale 2.1 Textsorte 2.2 Aufbau 3 Erzählverhalten und Sprache 3.1 Erzählverhalten 3.2 Sprache 4 Charakterisierungen 4.1 Sohn 4.2 Vater 4.3 Mutter 5 Das Bild „Das Mädchen mit der Eidechse“ 6 Kurzbiographie und Interpretation 1 Thema Die Geschichte „Das Mädchen mit der Eidechse“ handelt von dem gleichnamigen Gemälde des fiktiven Malers Dalmann. Es werden zwei Themen angeschnitten. Zum einen die Intrigen, die Lügen und das Verschweigen der Zeit des Nationalsozialismus am Beispiel des Vaters des Protagonisten und zum anderen das Scheitern der Beziehungen aufgrund falscher Vorstellungen. Zum ersten Thema scheint offensichtlich, dass der Vater als Richter unter dem Druck der Nationalsozialisten dem Maler Dalmann das Gemälde geraubt hat. Nach außen ließ er es so aussehen, als ob er es als Dank für die Hilfe zur Flucht geschenkt bekommen habe. In Wirklichkeit aber bereicherte er sich an dem Besitz der verurteilten Juden. Was das zweite Thema betrifft, so ist der Protagonist der Geschichte von dem Gemälde beeinflusst, welches in ihm die Sehnsucht nach weiblicher Zärtlichkeit weckt. Diese Sehnsucht entsteht durch den Mangel an Liebe seitens der Mutter und fördert die Zuneigung zu dem Mädchen auf dem Bild, durch welches in ihm eine falsche Vorstellung von Romantik entsteht. Zum Schluss trennt er sich von dem Bild, indem er es verbrennt und glaubt sich zu befreien. Und damit auch von der belastenden Vergangenheit, die an dem Bild haftet, und von den falschen Vorstellungen der Liebe. 2 Gestalterische Merkmale 2.1 Textsorte Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine Kurzprosa mit Elementen einer Kurzgeschichte. Diese Einordnung erscheint insbesondere durch die starke Komprimierung des Inhaltes, die Lesbarkeit der Erzählung innerhalb eines Leseakts und die geringe Personenanzahl schlüssig. Der Plot ist kurz gefasst und gut zu lesen wie zu verstehen; es gibt nur, wie für eine Kurzgeschichte üblich, einen Handlungsstrang der eine hohe Erzähldichte aufweist. Auch die hier auszumachende Nutzung des Präteritums, die Vakanz einer Einleitung sowie viele Aussparungen und Andeutungen sind für diese Textsorte exemplarisch. Weiterhin unternimmt der Autor keinerlei Wertung oder Deutung. Der Sprachstil ist schmucklos; Schlink bedient sich in „Das Mädchen und die Eidechse“ der Alltagssprache. Ferner wird auch hier, wie in vielen Kurzgeschichten, von einem Alltagsproblem auf einen größeren gesellschaftlichen Missstand bzw. auf ein kollektives Problem geschlossen: Die Verbrechen der Nazizeit dringen innerhalb dieser Erzählung auf eine subtile Weise bis in die Sphäre des unbeteiligten Protagonisten vor; sie holen ihn in seiner Alltagswelt als Sohn eines vermutlich Schuldigen ein und bestimmen auf eine unscheinbare Art sein Leben. Der Autor erzählt seine Kurzgeschichte mit einer für diese Textsorte typischen Distanz. Das Ende ist offen, so dass der Leser sich seine eigene Meinung bilden kann und nicht von der Fantasie oder Überzeugung des Autors abhängig ist. 2.2 Aufbau Die Kurzgeschichte enthält kaum innere Handlung, denn Gedachtes und Empfundenes, dass für andere Figuren nicht wahrnehmbar ist, wird nur minimal dargestellt. Die Handlung läuft primär äußerlich ab. Das Verhältnis zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit ist gerafft, da sich die Geschichte von der Kindheit bis ins Erwachsenenleben zieht. Die Handlung ist einsträngig und linear, wobei Schlink unwichtige Details weglässt. Die Figuren werden von außen durch indirekte Rede dargestellt: „Er sprach mit dem Mädchen. Dass er ohne sie besser dran wäre. Dass sie ihm ganz schön was eingebrockt habe. Dass sie ihn jetzt ruhig freundlicher anschauen könne“. (S.31). Die Handlung wird durch einen Erzählbericht dargestellt. Das Erzählverhalten ist personal. 3 Erzählverhalten und Sprache 3.1 Erzählverhalten In „Das Mädchen mit der Eidechse“ ist eine personale Erzählsituation vorzufinden; der Protagonist fungiert hier als Reflektorfigur; der Leser wird nicht zur Identifikation mit der Figur angehalten – er soll sich viel mehr ein eigenes Urteil bilden, was generell mit der Intention einer Kurzgeschichte einhergeht. Die Umwelt wird ausschließlich über den Jungen wahrgenommen; sein Innenleben wird nur angedeutet. Als exemplarisch für die Erzählsituation lässt sich etwa heranziehen: „Als der Junge vierzehn war, gab der Vater sein Richteramt auf und nahm eine Stelle bei einer Versicherung an. Er tat es nicht gerne, der Junge merkte es, obwohl der Vater sich nicht beklagte.“ (Seite 16). Perspektivwechsel oder Erzählerkommentare sind nicht zu finden; ebenso wenig wie eine besondere Beschreibung der Gefühle oder der inneren Befindlichkeit des Protagonisten. Dementsprechend wird auch auf innere Monologe verzichtet. Auch dies ist für eine Kurzgeschichte, wie sie Schlink hier erzählt, charakteristisch. Dies geht nicht zuletzt mit dem schnörkellosen, holzschnittartigen und kalkuliert schmucklosen Sprachstil einher, der insbesondere bei Schlinks Personenbeschreibungen offensichtlich wird. Die Erzählzeit ist das Präteritum. 3.2 Sprache Der sprachliche Stil in der ersten Geschichte „Das Mädchen mit der Eidechse“ lässt sich als für eine Kurzgeschichte typisch beschreiben. Er ist im Gros schmucklos; Schlink bedient sich hier der Alltagssprache. Der Autor erzählt seine Kurzgeschichte mit einer für diese Textsorte wesensgemäßen Distanz, was sich in seinen Worten und kurz angebundenen Formulierungen sehr niederschlägt. Ferner scheint er sich nicht mit seinem Protagonisten zu identifizieren, sondern fungiert nur als (unkritischer wie neutraler und emotionsloser) Beobachter seiner Szenerie. Die, insbesondere wenn Schlink seine Charaktere beschreibt, auszumachenden, gewollt schnörkellosen Formulierungen lassen viel Raum für eine eigene Ausschmückung: Der Autor appelliert in gewisser Weise an die Fantasie seines Publikums; er schreibt wenig, aber sagt viel – die gegebenen Informationen lassen sehr viel Raum, um selbst ein authentisches Bild der Charaktere zu zeichnen. Viele der, mit einer vermeintlichen Belanglosigkeit von Schlink versehenen, kurzen Parataxen transportieren für die Figuren als exemplarisch anzusehende Wesenszüge. Der Platz, den Schlink mit seiner nüchternen Sprache offen lässt, scheint vorbestimmt: Die Interpretation läuft in eine Richtung; obwohl keine Emotionalisierung, Wertung oder Deutung des Autors betrieben wird, spricht der Plot für sich. Hiermit einhergehend lassen sich nur wenige rhetorische Figuren ausmachen; sprachlich-grammatikalische Besonderheiten sind hingegen einige vorhanden: Insbesondere der parataktische Satzbau ist ein solches. Abschließend ist das verwandte Tempus Präteritum ebenfalls typisch für diese Textsorte. 4 Charakterisierungen 4.1 Sohn Der Protagonist weist eine sehr vielschichtige Persönlichkeit auf. Einerseits zeichnet er sich nach außen hin durch eine Gestalt von großer Stärke mit „großknochigen Gliedmaßen“ und „Ungelenkheit“ aus, was ihn in seinem sozialen Umfeld, das zunächst durch die Schichtzugehörigkeit seines Vaters, einem angesehenem Richter, determiniert ist, isoliert. Diese Äußerlichkeiten scheinen jedoch nicht mit seiner Persönlichkeit einherzugehen. Er ist „oft verwirrt“, scheint aber dennoch oder gerade deswegen sehr vergeistigt. Darüber hinaus hat er ein Gespür für die Psyche fremder Menschen. Er analysiert sie und scheint selbst in die tiefsten Abgründe ihrer Persönlichkeit Einblick zu haben. Ferner nimmt er unsichtbare Konflikte wahr. Auf diese Fertigkeiten ist er auf eine subtile Weise stolz: Nach außen verkauft er sich als das, was andere in ihm bzw. seinem Erscheinungsbild sehen wollen – er ist immer bestrebt, den gesellschaftlichen Konventionen zu genügen und ist gehorsam. Allerdings auch ein Außenseiter, bis er aus seinem kräftigen Äußerem innerhalb einer neuen, grobschlächtigeren Klassengemeinschaft Gewinn schlagen kann. Wenn er jedoch, wiederum um sein „Prestige“ zu steigern, eine Freundin haben will, deutet er seine „verborgenen Schätze“ stets an. Ein Bruch in seiner anscheinend unkritischen Hörigkeit ist auszumachen, als er das von seinen Eltern auferlegte Verbot, das Schlafzimmer nicht zu betreten, aus Neugierde missachtet. Diese Neugierde führt sich fort in seiner Suche nach dem Maler „seines“ Bildes, das als Manifestierung all seiner Wünsche und Begehrlichkeiten angesehen werden kann, auszumachen. Im weiteren Verlauf der Kurzgeschichte ist sein Liebesleben stets von dem Bild, das ihn als sehr sinnlichen Menschen in seiner Kindheit nachhaltig beeindruckte, bestimmt: Die Perfektion des geheimnisvollen Mädchens wird von ihm zu seiner Referenz erhoben; die oberflächlichen Liebschaften, die dem im Bild dargestellten Mädchen äußerlich ähneln, können ihr niemals gerecht werden. Sein gesamtes Liebesleben ist durch dieses Mädchen, mit dem er mitunter auch spricht, vereinnahmt. Nach jeder für ihn vermutlich unbefriedigenden Romanze flüchtet er sich erneut in seine innige Beziehung mit dem Mädchen mit der Eidechse. Dies geht so lange, bis er sich von ihr endgültig emanzipiert. 4.2 Vater Der Vater des Protagonisten ist ein Kriegsrichter im Nationalsozialismus und später ein Versicherungsangestellter. Er ist ein strenger und harter Richter und zudem Vater und Ehemann. Er war im Kriegsgerichtsrat in Straßburg seit 1943 tätig und kam fünf Jahre später aus französischer Kriegsgefangenschaft. Während seiner Tätigkeit als Richter verurteilte er einen befreundeten Offizier, der Juden ohne Pass geholfen hat sich der Festnahme durch die Polizei zu entziehen. Es wurde ihm vorgeworfen den Offizier aus eigennützigen Beweggründen zum Tode verurteilt zu haben. Zwei der Juden waren das Ehepaar Dalmann. Der Vater vergewaltigte Frau Dalmann und eignete sich rechtswidrig das Gemälde „Das Mädchen mit der Eidechse“ des Ehemannes an. Dies war aber nicht nur ein Einzelfall, denn es wurden ihm mehrere rechtswidrige Besitzaneignungen von Juden vorgeworfen. Die Frau des Vaters wusste von seinem Seitensprung und verweigerte ihm, mit ihr zu schlafen, also vergewaltigte er auch sie und so entstand ihr Sohn, der Protagonist dieser Geschichte. Aufgrund dieses Vorfalles legte er wegen schwerer Vorwürfe sein Amt als Richter nieder und bekam eine Stelle bei einer Versicherung. Zu diesem Zeitpunkt war sein Sohn 14. Wegen des geringeren Einkommens mussten sie in eine kleinere Wohnung umziehen. Durch seinen unkontrollierten Alkoholkonsum verliert er auch seine Anstellung bei der Versicherung. Während des 3 Studiumsjahres des Sohnes stürzte sein Vater nach einem Kneipenbesuch stark alkoholisiert eine Böschung hinab, blieb liegen und erfror. Sein Verhältnis zu seiner Frau war anscheinend von Anfang an nie das Beste. Sein Sohn entdeckt zwar ein Hochzeitsfoto, auf dem seine Eltern sehr glücklich aussehen, aber dies änderte sich wohl mit der Tätigkeit des Vaters in Straßburg. Dass er sie gezwungen hat, mit ihm zu schlafen, hat sie ihm nie verziehen. Weiterhin verlief die Ehe unglücklich, sie stritten sich sehr oft und wurde nur noch mehr von der Gewohnheit des Zusammenlebens vom endgültigen Aus bewahrt. Sie distanzierten sich immer mehr voneinander. Er hielt sie aus seinen beruflichen Tätigkeiten heraus, sie schliefen in getrennten Betten und teilten ihre Freizeit nicht miteinander. Nicht vergleichbar zu dem Verhältnis seiner Frau gegenüber war das Verhältnis zu seinem Sohn. Er war zwar auch hier streng und hart, liebte aber seinen Sohn. Er neigte wohl dazu, schnell cholerisch zu werden, aber in einem Beispiel zeigt er, dass auch in ihm ein liebevoller Vater steckt (S. 14). In diesem Beispiel wirkt er auf seinen Sohn vertrauens- und liebevoll, nimmt sich Zeit für ihn und hört ihm geduldig zu. Auch später, so erfährt man von seiner Mutter, war er an seinem Sohn interessiert, traute sich aber nicht auf seinen Sohn zuzugehen, aus Angst vor Abneigung (S. 28). Geprägt und verfolgt von seiner Vergangenheit verändert sich der Vater. Er spricht immer mehr dem Alkohol zu, bemüht sich aber nach außen den Schein zu wahren, er sei ein lockerer und ausgeglichene Mensch, der mit seinem Leben vollends klar kommt. Doch der Schein trügt. Er zieht sich immer wieder in sein Arbeitszimmer zurück und flüchtet sich in den Alkohol. Aufgrund der Vorwürfe ihm gegenüber wegen seiner Richter-Tätigkeit wird er vorsichtiger anderen gegenüber und teilte ihnen selten seine eigene Meinung mit. Sein Alkoholkonsum nimmt im Laufe der Geschichte immer weiter zu, betrinkt sich stark und verwüstet sein Arbeitszimmer (S. 21). Vermutlich ist es die Vergangenheit, die ihn immer wieder einholt, wodurch man auch seinen überdurchschnittlichen Alkoholkonsum erklären könnte. Er wird verfolgt von den zahlreichen Einzelschicksalen, die er verurteilt hat - noch dazu wegen eines anderen Glaubens. Hinzu kommt das Bild, welches im Arbeitszimmer hängt. Es erinnert ihn täglich an seine Tat an dem Ehepaar und an die Vergewaltigung Frau Dalmanns. Zudem lebt er mit seiner Schuld allein. Er musste nie eine gerechte Strafe absitzen. Niemand hat ihn zur Rechenschaft gezogen, also blieb er mit seiner unheimlichen Schuld allein. Nebenbei dann noch ewiges Vertuschen und Verfälschen von Tatsachen. Die Vorsicht, mit der er Nachbarn und Freunden entgegen treten muss, um sich selbst nicht zu verraten. Die Schuld, die er trüge, wenn alles rauskäme und seine Familie ohne ihn da stände. Mit all dem hat er täglich zu kämpfen und flüchtet sich in den Alkohol. Dies wurde so viel, dass er in zehn Jahren fast „eine Wohnung vertrunken“ hat (S. 27). Die Geldsumme, die der Vater vertrunken hat, nahm sich auch die Mutter beiseite und sparte sie sich zehn Jahre lang an. Ohne spezielle Hilfe war es nur eine Frage der Zeit, die seinen Tod bedeuten würde. Letztendlich erfror er nach einem Kneipenbesuch, wonach er eine Böschung hinabstürzte… 4.3 Mutter Die Mutter ist keine sehr auffällige Person in das ,,Mädchen mit der Eidechse“, allerdings auch keine unwichtige. Zu Anfang erfährt der Leser kaum etwas über ihren Charakter, außer dass sie verheiratet ist und mit ihrem Mann und ihrem Sohn zusammen lebt. Jedoch steht es nicht besonders gut um ihre Ehe, beispielsweise schlafen Mutter und Vater getrennt. Sie wird als ,,nervös“ und „schlank“ beschrieben. Sogleich merkt man, dass sie eine gewisse Abneigung gegen das Bild von dem Mädchen mit der Eidechse hegt, die Gründe hierfür werden erst später offenbart. Erst nach dem Tod ihres Mannes erhält der Leser durch Gespräche zwischen Mutter und Sohn einen Einblick in ihre Persönlichkeit. Durch kleine Gesten merkt man schnell, wie zurückgezogen und abweisend die Mutter ist ( ,,Er fragte sanft und wollte seine Hand auf ihre legen, aber sie zog sie fort“, S. 27). Es war ihr unmöglich sich von ihrem Mann zu trennen, weil dieser zu ihrem Lebensinhalt geworden ist ( ,,Aber eines Tages sind diese Tätigkeit und jener Mensch dein Leben geworden“, S. 28). Nachdem der Junge langsam hinter das Geheimnis des Bildes und somit auch hinter das seines Vaters kommt, beginnt die Mutter die Lüge des Vaters aufrecht zu erhalten. Es scheint so, als ob sie ihren Mann vehement gegen die Anschuldigungen des Sohnes verteidige. Sie versucht die Wahrheit zu verdrängen, ihre aus Lügen aufgebaute Ordnung aufrechtzuerhalten und die Handlungen des Vaters vor ihrem Sohn und vielleicht auch vor sich selbst zu rechtfertigen. Sie besteht darauf, dass der Vater so gehandelt habe, um Mutter und Sohn zu schützen. Der Sohn vermutet, dass er durch Vergewaltigung der Mutter durch den Vater hervorging. Dies würde auch das unterkühlte Verhältnis zwischen Mutter und Sohn erklären ( „Hat Vater dich, als du mich empfangen hast, vergewaltigt?(...) Kam er eines Nachts, und du wusstest von der anderen und wolltest nicht mit ihm schlafen, und er hat sich nicht darum geschert, was du wusstest und wolltest, und hat dich vergewaltigt? So bin ich in die Welt gekommen? Du hast es mir nie verziehen?“, S. 50 ). Mit der Zeit lernte sie mit ihren seelischen Wunden zu leben, allerdings war es ihr daher nicht möglich, sich auf ihren Sohn einzulassen.. Sie hat ihn in gewisser Weise aus ihrem Leben ausgeschlossen, denn er ist gewaltsam in ihr Leben getreten und stellt so eine schmerzliche Erinnerung an die Vergewaltigung dar und störte den Prozess ihrer Verdrängung. 5 Das Bild „Das Mädchen mit der Eidechse“ Das Bild „Das Mädchen mit der Eidechse“ von René Dalmann entstand wahrscheinlich in der Kurzgeschichte Anfang des 20. Jahrhunderts. „Im Vordergrund des Bildes sind ein Mädchen und eine Eidechse auf einem Felsen oder einer Düne, im Mittelgrund ist ein Strand, und vom Mittel- zum Hintergrund ist das Meer.“ (S. 13) „Das Bild zeigt ein Mädchen mit einer Eidechse. Sie sahen einander an und sahen einander nicht an, das Mädchen mit verträumten Blick, die Eidechse das Mädchen mit blicklosem, glänzenden Auge. Weil das Mädchen mit seinen Gedanken anderswo war, hielt es so still, dass auch die Eidechse auf dem moosbewachsenen Felsbrocken, an dem das Mädchen bäuchlings halb lehnte und halb lag, innegehalten hatte. Die Eidechse hob den Kopf und züngelte.“ (S.7) 1930 folgte Dalmann seiner geliebten Lydia Diakonow von Paris nach Berlin. Sie arbeitete dort als Kabarettistin und sie war Dalmanns Eidechse. Doch als der Dalmann-Raum geschlossen wurde und Lydias Kabarett von der SA zerschlagen wurde, flüchteten beide 1937 noch vor der Ausstellung in München nach Straßburg. Nachdem die Deutschen in Straßburg einmarschiert sind, fehlt von dem Ehepaar jede Spur. Zu der Zeit, als der Protagonist Nachforschungen über das Buch anstellt, gilt das Bild als verschollen und wurde zuletzt in der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ ausgestellt. Als er allerdings den ersten Rahmen abnimmt, erkennt er ein Etikett der Kunsthandlung in Straßburg. Es muss also auch dort ausgestellt worden sein. Jedoch handelt es sich nicht unbedingt um dasselbe Bild. Das in München ausgestellte Bild zeigte eine große Eidechse mit einem kleinen Mädchen. Das Etikett befand sich aber auf dem Bild mit einem Mädchen und einer kleinen Eidechse. In Wirklichkeit malte Dalmann ein zweites Bild und befestigte es über dem Ursprünglichen, um mit diesem und seiner Frau zu flüchten. Der Protagonist bemerkt des allerdings erst, als er das Bild am Strand verbrennt und an einer Seite die Leinwand hochschlägt und das Originalbild „die Eidechse mit dem Mädchen“ freigibt. Das Mädchen auf dem Gemälde ist circa acht Jahre alt und hat auf den Jungen schon in frühen Jahren eine faszinierende Wirkung. Für die Mutter ist das Mädchen das „Judenmädchen“, weil sie es für die Tochter des Malers hält. Man könnte es aber auch so verstehen, dass sie mit dem „Judenmädchen“ den „Seitensprung“ mit der Frau von Dalmann meint. Das Bild hat auf ihn so eine starke Wirkung, dass sein „erstes Mal“ eine Katastrophe wird, denn es kommt ihm falsch vor. Er nimmt es als Verrat an allem, was er liebte, wahr und denkt dabei unter anderem an das Mädchen auf dem Bild. Auch für den Vater ist das Bild alles (S. 23). Als der Vater stirbt, hängt der Protagonist das Bild über seinem Bett auf. Er spricht mit dem Mädchen auf dem Bild, fragt sie und schimpft mit ihr. Es entsteht eine einseitige Beziehung. Gegen Ende der Geschichte fragt er sich, ob das Bild für ihn mehr Geschenk oder Verhängnis ist. Zudem sieht er es als „beherrschende, kontrollierende Instanz, der Opfer gebracht werden“ müssen (S. 53). Das Mädchen verfolgt ihn, kontrolliert sein Liebesleben und ist Symbol für die Fehler seines Vaters in dessen Zeit im Kriegsgerichtsrat. In Folge dessen verbrennt er es schließlich am Strand. 6 Kurzbiographie und Interpretation Bernhard Schlink wurde am 06.07.1944 bei Bielefeld geboren. 1945 zog er nach Heidelberg, wo er mit seinen Geschwistern Johanna, Dorothea und Wilhelm aufwächst. Bereits mit acht Jahren schrieb er ein Drama, welches auf einer wahren Geschichte basiert. Es handelt vom Streit zwischen ihm und seinem Bruder, er nannte es deshalb „Der Brudermord“. Schlink studierte in Heidelberg und Berlin Jura. 1987 erscheint sein erster Kriminalroman „Selbs Justiz“ und 1988 der Kriminalroman „Die gordische Schleife“, der 1990 mit dem Glauser Preis des Syndikats ausgezeichnet wurde. 1993 erscheint „Selbs Betrug“, ebenfalls ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi- Preis (1993). 1995 erscheint dann sein vierter und berühmtester Roman „Der Vorleser“, der in 32 Sprachen übersetzt wurde und als erstes deutsches Buch auf den ersten Platz der New-York-Times Bestsellerliste sprang. Heute ist Bernhard Schlink Professor der Rechtswissenschaften in Berlin und ist Verfassungsrichter in Nordrhein-Westfalen. Bei seinem neuesten Werk ,,Liebesfluchten“ handelt es sich um eine Sammlung von sieben Geschichten, die sich alle mit der Flucht vor der und in die Liebe beschäftigen. Die erste Geschichte trägt den Namen ,,Das Mädchen mit der Eidechse“. Ein junger Mann entwickelt zu einem Bild, auf welchem ein offenbar jüdisches Mädchen mit einer Eidechse abgebildet ist, ein intensives Verhältnis. Das Bild ist durch undurchsichtige Machenschaften in die Hände seines Vaters gekommen, als dieser während des Krieges als Kriegsgerichtsrat tätig gewesen ist. Der Besitz des Bildes verurteilt den Protagonisten zur Geheimhaltung und schließt ihn aus der Gesellschaft aus. Erst als er sich von dem Bildnis trennt, hat er die Möglichkeit, ein normales Leben zu führen. Wie in all seinen Geschichten aus diesem Buch, hat Bernhard Schlink auch hier ein dichtes Netz aus Vergangenheit, Zeit, Erinnerung und Verdrängung gesponnen. Schlink behandelt mehrere wichtige Themen in dieser Kurzgeschichte. Da wäre zum einen das Thema des Kunstraubes im Dritten Reich, dem viele Künstler und deren Werke zum Opfer fielen. Ein weiteres großes Thema ist die Frage wie wir Deutschen mit unserer Vergangenheit umgehen und die damit verbundene Verdrängung. Immer wieder wird der Protagonist der Geschichte durch das Bild von der Vergangenheit eingeholt. Es erinnert ihn ständig an die Schuld, die der Vater mit dem wahrscheinlich unrechtmäßigen Erwerb auf sich geladen und die er nach dem Tod des Vaters geerbt hat. Er versucht alles zu verdrängen, die Ereignisse die um das Bild geschehen sind und die Situationen die er mit dem Bild verbindet. Er ist sich seiner Mitschuld bewusst, so dass er das Geheimnis um das Bild für sich behält und nicht der Öffentlichkeit preisgibt und er sieht sich gezwungen es vor den Augen anderer zu verstecken. Es wird zu einer Last und verhindert ein normales Leben. Letztendlich entscheidet er sich es zu verbrennen und damit den Beweis für die Schuld zu vernichten. Doch Schlink macht deutlich das dies unmöglich ist. Der Junge hat sein ganzes Leben mit dem Bild verbracht, so dass es sich zu intensiv in sein Gedächtnis gebrannt hat. Er wird die Schuld, der er sich bewusst ist und das Bild von dem Mädchen mit der Eidechse wohl nie wieder los. Es wird ihn auch sein weiteres Leben begleiten. Das Besondere an Schlinks Geschichte ist wohl die Nachwirkung: Man gehört wieder dem Leben an, aber anders, so als wäre man nach dem Lesen in eine bewusstere Gegenwart zurückgekehrt. Bernhard Schlink – Liebesfluchten Analyse und Interpretation der Geschichte „Der Seitensprung“ Verfasser: Juliane Arck, Sebastian Hein und Paula Krämer 1. Kurzbiographie und Hinweise zum Werk Bernhard Schlink (*1944), Jurist und Schriftsteller, ist heute einer der erfolgreichsten deutschen Autoren von Kriminalliteratur, Romanen und Erzählungen. Geboren 1944 in Bielefeld, studierte er in Heidelberg und Berlin, bevor er 1975 promovierte und 1981 habilitierte. Er war Professor in Bonn, Frankfurt/ Main, sowie in Berlin an der Humboldt- Universität. Zudem erhielt er 1993 die Gastprofessur an der Yeshiva Universität in New York. Außerdem ist Schlink seit 1988 Verfassungsrichter in Nordrhein- Westfalen. Er gilt als Experte auf dem Gebiet des Grund- und Staatrechts. Mit seinem ersten Roman „Die gordische Schleife“ (1988) erhielt Schlink auch seinen ersten Literaturpreis. In Folge verfasste Schlink die Detektivromane mit dem Protagonisten „Gerhard Selb“, sowie seinen Roman „Der Vorleser“ mit dem er den internationalen Durchbruch schaffte. 2000 wurde der Erzählband „Liebesfluchten“ veröffentlicht, ehe 2001 „Selbs Mord“ folgte. In Schlinks Erzählband „Liebesfluchten“ lassen sich in sieben Geschichten zehn, teilweise übereinstimmende, inhaltliche Aspekte feststellen. Diese sind: Zwanghafte Rituale, Liebe, Macht der Gewohnheit, Flucht vor Etwas oder in Etwas, Realitätsverlust und unterdrückte Sehnsüchte. Ferner sind es die Bewältigung der Vergangenheit, Lebenskrisen, Schuld und Selbstverleugnung. Letztere prägen den Inhalt der Geschichte „Der Seitensprung“, welche im Gesamtzusammenhang des Bandes die zweite Geschichte ist. Die Geschichte spielt in der Zeit zwischen 1986 und 1994 und handelt von einem Mann aus dem Westen, der eine Freundschaft mit einer jungen Familie aus dem Osten aufbaut und pflegt. Ausgehend von einem Schachspiel lernt der Ich-Erzähler, dessen Name nicht genannt wird, Sven, seine Frau Paula und die Tochter Julia kennen. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, der Urlaub wird gemeinsam verbracht und Informationen über die Geschehnisse im Osten an westliche Journalisten weitergegeben. Schließlich fällt die Mauer und Sven und Paula finden sich zusehends besser zurecht. Als Sven eine gesicherte Stelle findet, treffen sich alle um dieses zu feiern. In der folgenden Nacht, der Ich-Erzähler übernachtet bei Sven und Paula, kommt es zum Seitensprung zwischen ihm und Paula. Anschließend kommt es zur Krise, die darin besteht, dass Svens Stasi- Vergangenheit zur Sprache kommt und zu einer heftigen Konfrontation zwischen Sven und Paula führt, in die auch der Ich-Erzähler verwickelt wird. Danach bricht der Kontakt ab und wird erst am Ende der Geschichte wieder aufgenommen, als Julia zu einer Geburtstagfeier einlädt. 2. Gestalterische Merkmale Die Kurzgeschichte „Der Seitensprung“ wird durch das Kennen lernen der Hauptpersonen eingeleitet. Sie treffen sich zufällig beim Schach spielen; dies nennt man einen unmittelbaren Einstieg. Der zentrale Ort des Geschehens ist Berlin Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre. Auf den historischen Kontext wird durch die Ost-West-Freundschaft und die Jahreszahlen hingewiesen. Die Kurzgeschichte spielt in einem Zeitraum von etwa 8 Jahren (1986 - 1994). „Der Seitensprung“ enthält einen Zeitsprung, der zugleich zu einem offenen Schluss führt: Nachdem der Kontakt zwischen der kleinen Familie und dem erzählenden Ich abgebrochen ist, führt die Tochter, Julia, alle an ihrem 10. Geburtstag wieder zusammen. Diese von Schlink gewählte Schlussszene lässt offen, wie sich die Freundschaft weiterentwickelt; ob sie sich noch ein Mal anfreunden oder ob sie nach dem Geburtstag auseinander gehen. Die Krise dieser Kurzgeschichte besteht in dem Herauskommen der Bespitzelung Svens an seiner Frau Paula und ihrem daraus resultierendem Seitensprung. Jedoch ändert sich dies am Schluss; Julias 10. Geburtstag bringt Sven, Paula und das erzählende Ich wieder zusammen (Wendepunkt). Das Zusammentreffen der 3 Personen könnte noch zu einer Katastrophe im Schluss führen, da sie sich längere Zeit nicht mehr gesehen haben und dadurch immer noch verärgert über den jeweiligen anderen sind; dies lässt Schlink jedoch offen. „Der Seitensprung“ ist so strukturiert, dass der Aufbau der Handlung für den Leser klar ersichtlich ist. Der rote Leitfaden erstreckt sich vom Anfang des 1. bis zum Schluss des 7. Kapitels. Der klare und lineare Aufbau der Geschichte ist ersichtlich, da nichts Unnötiges/ Nebensächliches vorhanden ist; jede Anmerkung hat eine bestimmte Rolle und einen bestimmten Sinn für den weiteren Verlauf der Geschichte oder für das, was vorher schon geschildert wurde. Des Weiteren findet kein Ebenenwechsel statt. 3. Erzählverhalten und Sprache Beim Erzählverhalten und der verwendeten Sprache orientiert sich Schlink an den Mustern, die auch charakteristisch für Kurzgeschichten sind. In einem sprachlich schlichten, schmucklosen Stil gelingt es Schlink seine Charaktere und die Umgebung, in der sie sich bewegen, so zu zeichnen, dass sie trotz allem eindringlich und vielseitig sind. Das erzählende Ich ist neben seiner tragenden Rolle in der Geschichte ausschlaggebend dafür, dass neben den eigenen Gefühlen auch die Empfindungen und Stimmungen der anderen Personen aufgefangen werden und zum Ausdruck kommen. Per Assoziationstechnik wird zudem die Umgebung grob, aber klar erkenntlich umrissen. Die Fülle der Beschreibung von Gefühlen und Empfindungen des Ich-Erzählers fallen seiner Rolle unangemessen und überraschend kurz aus. Zu Beginn der Geschichte werden seine Gefühle und Eindrücke ausführlich beschrieben: „kannte niemanden“, „Öde Ostberlins […] seine Häßlichkeit“ (Kap.1). Doch schon bald werden auch die Gefühle seiner Mitmenschen aus seiner Sicht wiedergegeben: „er war ein bißchen geniert […] zudem […] geschmeichelt“ (Kap.1). Dieses zieht sich durch die gesamte Geschichte, sodass der Eindruck entsteht, dass dieses erzählende Ich nur ein Beobachter des Lebens von Sven, Paula und Julia ist. So verfließt die formale Grenze zwischen einem IchErzähler und einem auktorialen Erzähler. Nützlich ist die Rolle des erzählenden Ichs als Rolle des Beobachters der Umgebung. So wie es seine „Augen wandern“ lässt (Kap.2), entsteht ein genaues, aber nicht zu detailliertes Bild des Umfelds. Neben den optischen Eindrücken werden auch alle anderen sinnlichen Eindrücke so aufgefangen und wiedergegeben. Akustische Eindrücke wie Autos, die übers Kopfsteinpflaster rattern und Straßenbahnen, die in der Kurve quietschen (Kap.2), oder Vögel, die lärmen (Kap.12), sowie Gerüche wie stinkende Abfallbehälter und Komposthaufen (Kap.12), werden von dem erzählendem Ich einzeln dargestellt. Diese assoziationstechnischen Passagen in der Geschichte sind wie die Passagen inneren Monologs und erlebter Rede in erstaunlich schlichter, schmuckloser Sprache gehalten. Der großenteils parataktische Satzbau wird nur vereinzelt mit Parallelismen und Anaphern ausgeschmückt. Diese dienen vor allem im Inneren Monolog (Kap.13) als einfach zu strickende, aber effektive Möglichkeit die Gefühle hervorzuheben und somit dem Leser sehr deutlich zu machen. In dieser Geschichte werden in einem ruhigen, klaren Sprachstil eine komplizierte Vergangenheit, sowie eine daraus resultierende Ehekrise dargestellt. Dieses bewirkt, dass der Leser trotz der sich überschlagenden Handlung den Überblick über das Geschehen behalten kann und es distanziert betrachten kann. 4. Die Figuren Bernhard Schlink hat sich in der Geschichte „Der Seitensprung“ auf wenige Figuren reduziert. Es handelt sich um drei Hauptcharaktere, Paula und Sven (ein Ehepaar aus dem Osten) und den Erzähler (ein Freund der Familie). Der Sozialrichter ist der Erzähler der Geschichte. Er beschreibt seine Erlebnisse mit der Familie und der Leser erfährt keine Einzelheiten seiner Person und auch keine weit reichenden Details über sein Gefühlsleben. Der Erzähler dient dem Leser dazu, die Geschichte besser zu begreifen, er ist wie ein Betrachter der Geschichte, obwohl er selbst integriert ist. Außerdem trägt er dazu bei, dass der Leser seinen Standpunkt festigen kann, weil er eine fast neutrale Stellung nimmt, er beeinflusst den Leser nur wenig durch Meinungsäußerungen oder Gefühlsschilderungen. Auch die Verunsicherung des Erzählers nach dem Seitensprung trägt zur Meinungsbildung bei, da der wahre Standpunkt und Grund niemals deutlich wird. Der junge Sozialrichter hat also die Aufgabe, die Geschichte von einem weitgehend neutralen Standpunkt näher zu bringen. Sven ist ein sehr unsicherer Mensch. Er bespitzelt seine Frau, da er Angst hat sie könnte ins Gefängnis kommen. Diese Handlungsweise deutet auf eine gewisse Führsorglichkeit hin, jedoch auch auf eine Abhängigkeit. Er blickt zu seiner Frau auf und meint sie sei stärker als er. Er kann mit seinen Gefühlen nicht umgehen, als Paula ihn zur Rede stellt, er ist unsicher, verängstigt und aufbrausend. Diese Angst verlassen zu werden besteht nicht nur aus dem Grund, dass er Paula liebt, sondern auch, dass er von ihr in gewisser Weise abhängig ist. Die politisch engagierte Paula versucht vor dem Konflikt zu fliehen und schläft mit dem Erzähler. Sie wurde von ihrem Mann enttäuscht und weiß keinen Ausweg. Wenn man sich die Verhaltensweisen der Figuren Paula und Sven genauer ansieht, kann man Gemeinsamkeiten erkennen. Beide Personen begehen Verrat aneinander um ihre Ehe zu retten. Sven verrät Paula, indem er sie bespitzelt, um sie vor dem Gefängnis zu bewahren und somit die Ehe zu retten. Paula schläft mit dem Erzähler, um zu erkennen und zu begreifen, dass sie Sven trotzdem liebt und somit so etwas wie einen Schuldausgleich schafft. Man kann erkennen, dass sich die Einfachheit der Sprache auf die Figuren überträgt. Sie wirken unspektakulär und aus dem Leben genommen, es sind alltägliche Charaktere in einer Ausnahmesituation. 5. Aussage der Geschichte Die Geschichte der Seitensprung ist von zwei Hauptkonflikten bestimmt. Die persönlichen Auseinandersetzungen sind die Folge der politischen Konflikte zwischen dem Ehepaar. Die Vergangenheit der Stasi Spitzel war lange Zeit eine unangesprochene Sache. Erst nach und nach wurden Archive geöffnet und Funktionäre entlarvt. Die Geschichte „Der Seitensprung“ findet zu einer Zeit statt, in der diese Entwicklung noch ganz am Anfang stand. Einen Menschen aus seiner nächsten Umgebung auf seine Stasi Vergangenheit anzusprechen ist mit Sicherheit sehr schwierig. Als Paula von Svens Spitzelvergangenheit erfährt, kommt es zur Enttäuschung und zu einem Vertrauensverlust, was sich auf ihre Beziehung negativ auswirkt. Somit kommt es auch zu dem Seitensprung zwischen Paula und dem Erzähler. Wie in jeder Geschichte von „Liebesfluchten“, fliehen die Personen vor der Liebe. Hier durch den Seitensprung. Paula flieht auf diese Weise nicht nur vor den Komplikationen ihrer Ehe, sondern auch vor denen der Diktatur. Durch den Seitensprung wird Paula jedoch klar, dass sie Sven trotzdem liebt und jetzt eine Art Schuldausgleich geschaffen hat. Die Bewältigung der Vergangenheit und die Bewältigung einer Beziehungskrise liegen auch in dieser Geschichte nah beieinander. Die Aussage der Geschichte liegt darin, dass man sich für die Liebe nicht selbst verleugnen sollte, da die Vergangenheit die Personen immer einholt und daraus Lebenskrisen resultieren. Die Bewältigung der Vergangenheit ist notwendig für das Weiterleben der Menschen und für ein Verhindern von Konflikten und Krisen. Bernhard Schlink Verfasser: „Liebesfluchten“ - Der Andere Alexander Beck – Pius Heinz - Heidi Lenzen 1. Inhaltliche Zusammenfassung In der Geschichte "Der Andere", geht es um einen alten Mann, der bei dem Versuch nach dem Tod seiner Frau seinen Alltag neu zu ordnen, auf eindeutige Anzeichen dafür stößt, dass diese während ihrer Ehe eine Beziehung zu einem anderen Mann pflegte. Bengt Benner reagiert sehr verletzt, enttäuscht und beginnt, seine Ehe zu hinterfragen. Er merkt schließlich, dass sein eingebildetes Bild des Familienglücks nicht der Realität entspricht. Schließlich versucht er deutlichere Anzeichnen und Beweise für diese Beziehung zu finden. So schreibt er dem Anderen regelmäßig Briefe, in denen er sich als seine verstorbene Frau ausgibt. Weiterhin versucht er bei seinem Kindern Näheres in Erfahrung zu bringen. Bei diesem Versuch wird dem Leser allerdings deutlich, dass Bengt Benner kein sehr guter Vater gewesen ist und seine Kinder sich von ihm vernachlässigt fühlten („Es ist wie früher, wenn du dich monatelang nicht um uns gekümmert hast und plötzlich am Sonntag morgen mit uns spazieren gehen und reden wolltest. Uns fiel nichts ein, und du wurdest ärgerlich...“ ,S.120). Nachdem er seine Tochter besucht hat und sich mit diesem Vorwürfen konfrontiert sieht, beschließt er nicht mehr bei seinem Kindern oder bei guten Freundinnen seiner Frau nach Informationen über seinen Nebenbuhler zu suchen. Denn er beschließt, in die Stadt des Anderen zu fahren und so mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Er nähert sich dem Anderen langsam, indem er immer im selben Café mit ihm sitzt und ihn beobachtet. Auf Benner wirkt der Andere wie ein Aufschneider, der mit edlen Klamotten und tönenden Reden immer darauf bedacht ist Endruck zu schinden. Schließlich spricht Benner den Anderen an und sie kommen bei einer Partie Schach ins Gespräch. Sie verabreden sich auch für den nächsten Tag und so hat Benner eine Kontaktmöglichkeit zu seinem Widersacher hergestellt. Doch je mehr Zeit Benner mit dem Anderen verbringt, desto häufiger kommt es zu Situationen, welche zu so einem wohlhabenden Menschen nicht passen wollen. So muss sich der Andere, unter dem Vorwand er habe sein Geld vergessen, immer häufiger von Benner einladen lassen, um seine Rechnung im Café zu bezahlen. Weiterhin schreibt er ihm einen Brief im Namen seiner Frau, in dem er ihren Besuch ankündigt. Nach einigen Treffen spricht Benner auch wie durch Zufall seine Frau an, jedoch ohne etwas Genaueres zu verraten. Er gibt sich lediglich als ihr Nachbar aus, was der Andere auch als einen seltsamen Zufall nicht weiter beachtet. Am Tag darauf beschließt Benner, den Anderen unangekündigt zu besuchen. Es stellt sich heraus, dass der Andere nicht, wie behauptet, in einem schönen Jugendstilhaus wohnt, sondern dort lediglich im Keller haust. Der Andere versucht sich aus seiner peinlichen Lage herauszureden, doch Benner ist klar, dass der Andere keineswegs ein wohlhabender und angesehener Mann ist, sondern lediglich ein Versager und Blender, der krampfhaft nach Anerkennung sucht. Am nächsten Tag berichtet der Anderer, dass eine berühmte Geigerin (Benners Frau) ihn besuchen wird und er ihr zu Ehren ein Fest zu geben gedenkt. Hierfür braucht er allerdings Geld von Benner, welches dieser ihm auch gewillt ist zu geben, da er den Anderen bei dem Fest bloßstellen und sich so an ihm rächen möchte. So fängt Benner an, Pläne zu schmieden und findet hierbei heraus, dass der Andere ein Theater, das er einmal besaß, Bankrott gemacht hat. Dies unterstreicht die erfolglose Lebensgeschichte des Anderen in den Augen Benners. Schließlich verwirft Benner seinen Plan den Anderen bloßzustellen wieder, da er ihm im Laufe der Geschichte weniger als Rivale erscheint, sondern vielmehr als eine Person, die sein Mitleid verdient hat. So erzählt er ihm auch die Wahrheit über die angeblichen Briefe von seiner Frau. Der Andere versteht, warum Benner sich nicht mehr an ihm rächen will („Das Rächen hat sich erledigt, weil ich ohnehin ein Versager bin, stimmt’s?“). Weiterhin stellt er fest, dass er ein Schönredner sei und Lisa gerade das an ihm geliebt habe. Benner hingegen sei eher ein nüchterner, analysierender Mensch, dennoch habe Lisa Benner immer geliebt, doch mit ihm sei sie glücklich gewesen, gerade weil er nicht so ein kühler Mensch sei. Schließlich fährt Benner wieder nach Haus, doch er kommt nicht zur Ruhe, da ihm immer wieder der Andere und die Affäre einfallen. Er beschließt doch an dem Fest des Anderen teilzunehmen. Der Andere hält eine Rede über Lisa und Benner merkt, dass der Andere vielmehr in der Lage gewesen war in Lisa und in ihrem Geigenspiel eine Schönheit zu sehen, die er nie so recht wahrgenommen hat. Doch schließlich wird ihm klar, dass Lisa ihn geliebt hatte, wie der Andere sagte und sie ihm alles gegeben hatte, was er zu nehmen fähig war (S.148). 2. Gestalterische Merkmale Bei dem Roman „Liebesfluchten“ von Bernhard Schlink handelt es sich durchgehend, so auch im Kapitel „Der Andere“, um einen Prosatext, welcher vollständig in der Vergangenheit geschrieben ist. Die Geschichte beginnt mit einer sachlichen Einleitung. So realitätsnah, wie diese an sich ist, sind auch die, diese Geschichte verkörpernden, alltäglichen Charaktere. Der Autor, Bernhard Schlink, verwendet hauptsächlich eine schmucklose und einfache Sprache, um die Charakterzüge der Personen besser zum Ausdruck zu bringen ( Seite 141 f ). In diesen Seiten wird die Monotonie, in der Benner lebt, deutlich. Durch die sachliche Aufzählung von Tätigkeiten erlangt der Leser eine Vorstellung von dem Alltag Benners. Die Detailgenauigkeit ermöglicht es einen kameraperspektivischen Blick zu erlangen, was es einem vereinfacht, sich in das vorzustellende Milieu, die vorzustellende Umgebung, hineinzuversetzen. Diese Geschichte beinhaltet einen prägnanten, unerwarteten Wendepunkt, welcher die Geschichte weiter vorantreibt. Dieser folgt kurz vor Ende der Geschichte, als Brenner realisiert, dass Lisa ihn mit all seinen Mängeln geliebt hat. Er kann endlich mit sich selbst, mit Lisa, Rolf und dem Verlauf seiner Beziehung Frieden schließen. Zum Ende ist er in der Lage die Dimensionen seiner Beziehung vollständig zu erfassen. Seine Rachegedanken gehören der Vergangenheit an. 3. Erzählverhalten und Sprache Schlink nimmt die Position eines Erzählers ein. Seine objektive Erzählweise ist teils von subjektiven Eindrücken und Empfindungen unterbrochen (... anmutig waren diese Blicke und Gesten, dieses Lächeln, S.99). Im Allgemeinen macht er von dem Stilmittel des hypotaktischen Satzbaus Gebrauch (S.105), wodurch die parataktischen Sätze in der Vordergrund geraten. Diese beinhalten oftmals prägnante, sachliche Aussagen, wie »sie kommt nicht. Sie ist gestorben« (S. 145). Auch gelingt es ihm durch den Gebrauch dieses Stilmittels Aussagen als nüchtern darzustellen, um die Hauptperson nicht in eine emotionale Krise geraten zu lassen. Die Flucht aus dem Alltag durch pragmatisch orientiertes Handeln. »Er war zufrieden. Er hatte ein unerfreuliches Kapitel abgeschlossen. Er hatte sein Haus in Ordnung gebracht. « (S. 142). Oftmals verwendet Schlink Gedankenstriche als Ausdruck seiner Bewunderung (...- er war ein Star, S.144), zur Unterstreichung auftretender Charakterzüge (...- wie ein Kind, S.112) oder aber auch als Pause vor einem gefühlsbewussten Geständnis (...- in solchen Situationen hatte sich ihm die Vertrautheit ihres gemeinsamen Lebens offenbart, S103). Zur Verdeutlichung des einfachen Sprachstils, wie er in diesem Kapitel angewandt wurde, macht Schlink oft von dem Stilmittel der Anapher Gebrauch (S.103). Zusätzlich dient dieses sprachliche Mittel zur Veranschaulichung des monotonen Alltags, was gleichzeitig Rückschlüsse auf seine Charakterzüge offenbart. Er muss immer den Überblick bewahren, alles planen. Mit einer bildlichen, die Sinne anregenden Sprache, gelingt es Schlink die Situation zu verdeutlichen und dem Leser näher zu bringen („...der Verkehr und das Geschiebe und Gedränge der Menschen dichter wurden, Geschäft sich an Geschäft reihte, die Luft erfüllt war von den Stimmen der Menschen ...“, S.105). Während dieser Momente gelingt es dem Schreiber trotz seiner allgemein objektiven Schreibweise den Leser direkt ins Geschehen mit einzubeziehen und Teil der Handlung werden zu lassen. Ebenso lassen die Momente der Zuneigung einen Blick über die Charakterzüge der Hauptperson zu („Die kleine Schildkröte in seiner Hand ließ ihn beinahe weinen. So jung und schon so alt, so schutzlos und unbeholfen und schon so weise“, S. 131). Aus diesen Sätzen geht Brenners unbeholfene, in der Situation mit Rolf überforderte und an Selbstbewusstsein mangelnde Art hervor. Oft werden Aufzählungen verwendet, um z.B. Tagesabläufe oder Charaktereigenschaften so objektiv und kompakt wie möglich in einem hypotaktischen Satz zu vereinen. Wiederholung, wie sie auch in gehäufter Zahl auftreten, dienen der Verdeutlichung von Zuständen. („Er wusste, dass er langsam war, langsam im Wahrnehmen und im Verarbeiten , langsam im Sich - Einlassen, wie im Sich – Lösen“, S.101). Das Adjektiv bleibt als wichtig in Erinnerung. Oftmals reflektiert Brenner die Beziehung zu seiner Frau. Er kann nicht begreifen, wie seine Vorstellung derselben sich so von der Ansicht Rolfs unterscheidet. Er stellt sich Fragen und versucht diese selbst zu beantworten, was ihm bis zuletzt nicht recht gelingen mag. („Woher sollte er wissen, ob sie ihm die Eine und dem Anderen eine Andere gewesen war? Vielleicht war sie dem Anderen auch die gewesen, die sie ihm gewesen war“, S. 103). Die Art und Weise von Rolfs Briefen und Brenners unterscheidet sich sehr. Rolf wirkt selbstbewusster und emotionaler - »Du kannst nicht ohne mich« (S. 109). Durch die auffällig starke Häufung des Gebrauchs der sich auf zwei Personen beziehenden Personalpronomen hebt Schlink aus Rolfs Sicht die sehr starke Verbundenheit zu seiner Geliebten hervor. Mit der inhaltlichen Alltäglichkeit der gesamten Geschichte und der sehr einfachen und unprätentiösen Sprache schafft es Bernhard Schlink genauso wie in den anderen Geschichten emotionale Beziehungsprobleme durchschnittlicher Menschen der mittleren gebildeten Oberschicht in Deutschland darzustellen. Die Realitätsnähe zu den Figuren hilft es dem Leser sich in die Geschichte mit hinein zu versetzen. 4. Die Figuren Benner ist ein rechtschaffener, durchschnittlicher Bürger, der sich nach seiner Pensionierung und dem Tod seiner Frau mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss um seine völlig zerstreute emotionale Gefühlslage wieder in Ordnung zu bringen. Als hoher Beamter und Muster an Effizienz und Rationalität stellt Benner einen durchschnittlichen Mann des Alltags dar. Im Laufe der Geschichte begreift er, dass sein Rivale Rolf zwar ein Versager ist, jedoch seiner Frau Gefühle vermitteln konnte, die ihr von ihm immer verwehrt blieben. Benner weiß jedoch auch, dass seine verstorbene Frau Lisa ihn trotz seiner gefühlsarmen Art immer geliebt hat und niemals verlassen wollte. Nach seiner Pensionierung hat er Zeit sich mit Dingen auseinanderzusetzen, für die er während der Ausübung seines Berufes keine Zeit gehabt hatte. Er merkt jedoch schnell, dass er in seinem Leben durch seinen starr auf die Karriere gesetzten Ehrgeiz nicht nur seine Frau sondern auch seine beiden Kinder arg vernachlässigt hat. Die dauerhafte Beschäftigung mit Rolf, dem heimlichen Liebhaber seiner Frau bringt einen Wandel in Benner mit sich. Der zuerst auf Vergeltung ausgerichtete Protagonist merkt nach einigen Begegnungen mit seinem Rivalen, dass Rolf als beruflich sowie gesellschaftlich gescheiterter Mensch kaum noch zu bestrafen ist. Rolf ist zwar ein Betrüger, ein Schwadroneur und ein Schauspieler, der auf Kosten anderer lebt, jedoch konnte er Lisa das geben, was sie niemals von ihrem Mann bekommen konnte. Allein der Traum einmal sein eigenes Theater zu besitzen kostete Lisa ein Vermögen. Aber dennoch hatte sie dieses völlig gegensätzliche Verhalten zu ihrem Mann so beeindruckt, dass es zu einem Verhältnis über Jahre hinweg kam. Die Romantik und Spontaneität von Rolf waren genau das, was Lisa brauchte um in ihrem einseitigen und sehr alltäglichen Leben Abwechslung zu bekommen. Ihr Verhalten ist gegenüber den beiden Charakteren sehr unterschiedlich. Während sie durch den Alltag, die Kinder, die Fürsorge und Vertrautheit aber auch durch ihre Liebe zu und an Benner gebunden ist, ist es die Lebensfreude, die Leidenschaft und verloren geglaubte Glücksgefühle, die sie an Rolf binden. Benner realisiert, dass seine Frau sich die Liebe und Zuneigung, die sie von ihm nicht bekommen konnte, bei einer anderen Person hatte holen müssen um glücklich zu werden. Jedoch merkt er, dass Rolf niemals einen ähnlichen Stellenwert bei Lisa hatte, wie es bei ihm der Fall war. Sie liebte ihn mehr als den anderen. Am Ende der Geschichte wird deutlich, dass er weiß, dass seine Frau glücklich in ihrem Leben war. Dies führt dazu, dass das Ende doch noch zufrieden stellend für den Leser wird. 5. Die Aussage der Geschichte Die Geschichte zeigt, wie unberechenbar das Leben sein kann, und richtet sich scheinbar wie ein Appell an die Menschen. Sie fordert sie dazu auf, ihren oft in den Beruf oder die Karriere verkrampften Blick auf andere Dinge wie Familie, Partnerschaften oder Freundschaften zu lenken. Benner merkt am Ende der Geschichte, dass er Fehler gemacht hat, die zu der Affäre seiner Frau führten. Er selbst steht stellvertretend für eine große Gesellschaftsgruppe, die ähnliche Fehler machen könnte. Wenn Benner die Affäre seiner Frau nicht durch Zufall aufgedeckt hätte, wäre ihm dieser Fehler niemals bewusst geworden. Die Geschichte „der Andere“ könnte die Leser dadurch zum Nachdenken bewegen. In der heutigen modernen Gesellschaft sind heimliche Affären von verheirateten Personen keine Seltenheit mehr. Die immer weiter verschwindende moralische Verpflichtung in der Ehe ermöglicht es den Ehepartnern außerdem sich freier und gewissenloser auszuleben. Der Leser wird also am Ende der Geschichte dazu aufgefordert über eine Art Selbstreflexion sein eigenes Verhalten genauer und kritischer zu betrachten. Bernhard Schlink „Liebesfluchten“ - Zuckererbsen Verfasser: Josephine Czepuck – Philipp Krämer – Karsten Kretzer – Isabel Wickert 1. Textart 2. Inhalt 3. Charakterisierung des Protagonisten 4. Aufbau 5. Sprachliche Mittel 6. Intention 1.Textart Die Geschichte „Zuckererbsen“ von Bernhard Schlink weist diverse Merkmale einer typischen Kurzgeschichte auf. So wird der Leser mit einem unmittelbaren und schroffen Beginn in die Handlung eingeführt. Schlink verwendet einen überwiegend schmucklosen Stil, mit einer durchgängig linearen Handlungsstruktur. Man findet zudem einen klaren Wendepunkt, als Thomas eine schwere Verletzung ereilt, was ein weiteres Charakteristikum einer Kurzgeschichte darstellt. Außerdem findet man im Handlungsverlauf mehrere Zeitsprünge, das auch zur Kürze im Umfang der Geschichte beiträgt. Ein letzter Aspekt ist der offene Schluss, da der Leser nicht erfährt, wie es mit Thomas und seinen Liebschaften weitergeht. 2. Inhalt In der Kurzgeschichte „Zuckererbsen“ aus dem Buch „Liebesfluchten“ von Bernhard Schlink geht es um einen Mann, der sein Leben mit drei verschiedenen Frauen gleichzeitig lebt und im Laufe der Geschichte sich immer unfähiger fühlt dieser Situation noch gewachsen zu sein. Die Geschichte ist in 13 Kapitel unterteilt. Der Protagonist Thomas hat Architektur studiert und hat sich auf Dach- und Brückenbau spezialisiert. Schnell erlebt er beruflichen und privaten Erfolg. Als er von seiner Praktikantin, Jutta, ein Kind erwartet, heiraten die beiden und ziehen zusammen nach Berlin. Trotz des Erfolges fühlt sich Thomas unbefriedigt und entdeckt das Malen als Leidenschaft wieder. Im nächsten Kapitel geht es um das Kennenlernen seiner zweiten Beziehung. Die Hamburger Galeristin, Veronika, beginnt seine Bilder auszustellen und schon bald beginnt ihre Beziehung. Thomas möchte mit seiner Frau Jutta Schluss machen, doch für ihn sind die Umstände momentan nicht gelegen. Er erzählt zwar seiner Frau von seiner neuen Freundin, diese scheint ihr aber nicht wirklich Beachtung zu schenken, da er in den zwölf Jahren Ehe zuvor schon zweimal fremdgegangen ist. Thomas beginnt sein Leben auf zuteilen und pendelt zwischen Berlin und Hamburg. Im dritten Kapitel bekommt Veronika ein Kind von Thomas und obwohl sie vorher ruhig und geduldig war, fängt sie an Thomas zu drängen, sich von seiner Frau zu trennen. Thomas jedoch möchte sich nicht scheiden lassen und als alles anfängt ihn zu überfordern, geht er mit einem Freund in die Vogesen wandern, wo er die Studentin Helga kennen lernt. Nachdem sie einpaar gemeinsame Tage zusammen verbracht haben und Helga abreist, gibt sie ihm seine Adresse. Wieder zu Hause angekommen ist Thomas immer noch mit der Situation in zwei Beziehungen überfordert und fährt zu Helga nach Kassel. Diese bekommt mit das er zwei unterschiedliche Telefonate führt, aber beiden Frauen das selber erzählt und findet so heraus, dass er zwei Frauen hat. Er bleibt für Helgas Examensprüfung und dient ihr als Patient. Anfangs verläuft alles gut, doch mit der Zeit ist Thomas auch bei ihr überfordert. Er bekommt Beruf, Frauen und die eigene Zufriedenheit nicht mehr unter einen Hut und entscheidet sich, sich von Helga zutrennen. Als diese ihre Empörung über seine Entscheidung nicht zurückhält und sie wütend ist, da er für den Durchfall bei ihrem Examen verantwortlich sein wird, bleibt er mit ihr zusammen. Helga beginnt mit ihm Pläne über eine gemeinsame Zukunft zusprechen. Sie plant eine eigene Zahnklinik zu eröffnen. Im fünften Kapitel wird beschrieben, wie Thomas das Hochgefühl als „Jongleur“ genießt. Er ist voller Energie und überlegt nun, mit allen drei Frauen Schluss zumachen. Seinen 49.Geburtstag verbringt er bewusst alleine und denkt über seine Zukunft nach und welche Möglichkeiten er hätte. Aus beruflichen Gründen muss Thomas für einige Tage nach New York. Auch dort fühlt er sich in seiner Situation unwohl. Er empfindet das ganze Verhalten seiner Geschäftspartner als „falsch“ und entschließt sich letzten Endes die Verhandlungen zu verlassen. Als er sich in einem Café befindet, schreib er an alle drei Frauen eine Postkarte und sagt, dass er noch einmal von Vorne beginnen möchte. Das siebte Kapitel handelt davon, dass er versucht sein Leben wieder neu auf zunehmen. Er selber sagt, dass er das Gefühl habe, drei verschiedene Persönlichkeiten entwickelt zu haben. Für jede Frau eine andere. Jedoch hat Thomas ständig Angst, dass er die Persönlichkeiten vertauscht und es wird für ihn immer anstrengender sich ständig neu zu erfinden. Selbst bei einem harmlosen Gespräch in einem Zug, erzählt er nicht seine wahre Geschichte, sondern malt sich ein schönes Leben aus. Wieder fasst er den Entschluss mit allen drei Frauen Schluss zumachen und schafft es dieses Mal wieder nicht. Er ärgert sich über seine Unfähigkeit und schafft es letztlich mit Helga zu sprechen. Doch als diese vollkommen aufgelöst von dieser Mitteilung ist, lässt sich Thomas wieder erweichen und bleibt wieder mit ihr zusammen. Er hat eine akute Blinddarmentzündung und befindet sich für eine Woche im Krankenhaus. Als der Arzt ihm mitteilte, dass er zuerst Bauchspeicheldrüsenkrebs vermutet hatte, war das für Thomas die Lösung. Um ohne Vorwürfe und Schuldzuweisungen aus dieser Geschichte hinaus zukommen, beschließt er, dass er behaupten würde an Krebs erkrankt zu sein und nur noch wenige Monate zu leben hat. Er lebte sich in die Rolle des „Todkranken“ ein und plante seine letzten Monate. Im neunten Kapitel befindet sich Thomas an seinen Grenzen. Er fühlt sich von den dreien Frauen unfair behandelt und ist empört, als sie von ihm auch noch Unterstützung im Haushalt oder mit den Kindern fordern, obwohl er (angeblich) kurz vor seinem Tod stehe. Er macht sie für seine aussichtslose Lage verantwortlich. Sie sind undankbar, obwohl er es geschafft hat, sie alle drei glücklich zumachen. Sein Ausweg sieht er darin eine Reise auf unbestimmte Zeit zu unternehmen. Dafür lässt er sich eine Mönchskutte schneidern und macht sich mit wenig Dingen auf den Weg. Thomas ist ein Jahr auf der Reise. Durch seine Mönchskutte gewinnt er schnell vertrauen zu den Menschen, welche sich durch ihn helfen lassen. Postkarten verschickt er nur an seine Kinder und außer einem Telefonat mit Helga hat er keinen Kontakt zu den Frauen. Er lebt in Hotels, Klöstern und kleinen Pensionen. Seit seiner Reise hat er sich entschieden sein Leben in teilweiser Abstinenz zu verbringen (kein Alkohol und Sex). Er fühlt sich wie in einer Art Trance und abgeschnitten von seiner Umwelt. Er reflektiert sein Leben und sucht nach dem Sinn darin, der für ihn aber nicht sichtbar wird. Seine Reise endet durch einen Zugunfall. Er verfängt sich mit seiner Mönchskutte in der Tür des Zuges, welcher hin mehrere Meter hinter sich herschleift. Dadurch hat er sich sein Rückgrat verletzt und muss von nun an im Rollstuhl leben, da er ab der Brust abwärts gelähmt ist. Zu dem Zeitpunkt befindet er sich in Italien, wo er vier Wochen lang liegen muss. Anschließend wird er in eine Rehabilitationsklinik in der Nähe von Berlin transportiert. Im vorletzten Kapitel ist Thomas für zwei Monate in der Rehabilitationsklinik. Er lernt zwar mit seinem Körper umzugehen, hat aber keinerlei Vorstellung davon wie er im Leben weiter machen soll. Er verbringt seinen 51.Geburtstag dort und bekommt Besuch von einem alten Freund. Dieser berichtet, dass sich Jutta um alles kümmern wird und lässt ihm ein Päckchen von ihr da. Es enthält ein Heft über eine Frühjahrsausstellung seiner Bilder durch Veronika und einen Vortrag, den Jutta an seiner Stelle gehalten hat, bei dem es um einen Brückenbau in New York geht. Das letzte Kapitel beginnt damit, dass Helga ihn aus der Reha-Klinik abholt. Sie scheint weder sauer noch enttäuscht zu sein und erzählt munter von der Planung für noch weitere Zahnkliniken. Thomas ist verunsichert, da er erstens mit Jutta gerechnet hat und zweitens nicht weiß wie er sich Helga angemessen verhalten soll. Es stellt sich heraus, dass Helga Jutta und Veronika zusammen geführt hat und alle drei eine gemeinsame „Verwertungs- und Vermarktungsgesellschaft TTT“ gegründet haben. Die drei Thomasse. Zusammen haben sie seine alte Wohnung behindertengerecht gemacht. Die Wohnung am Tiergarten enthält nun ein Atelier und ein Konferenzraum, sowie ein Gästezimmer. Die drei Frauen wollen, dass Thomas mit und für sie Arbeit, damit sie die Bilder verkaufen, Brücken bauen oder neue Zahnkliniken eröffnen können. Sie lassen ihm keine Wahl und sagen, dass er eher auf sie und ihre Pflege angewiesen ist, als sie auf sein Talent. Thomas stimmt zu. Er versucht zwar aus der Wohnung zu kommen, scheitert aber. Die Geschichte endet mit dem Gedanken daran, dass er gerne zwei Katzen für sein Apartment hätte, er ist nun zufrieden und denkt, dass er seinen Tätigkeiten, wie in der Politik aktiv zu werden endlich nachkommen kann 3. Charakterisierung des Protagonisten: Der Hauptcharakter der Geschichte „Zuckererbsen“, Thomas, ist ein erfolgreicher Architekt, der sich auf Dachausbauten, sowie den Bau von Brücken spezialisiert hat. Er ist allerdings nie mit seinen Erfolgen zufrieden und sucht neue Befriedigung, indem er ständig neue Affären beginnt. Als ihn seine Affären schließlich einholen, stellt er sich nicht diesem Problem, sondern beginnt davon zu laufen. Er flieht ständig vor seiner Arbeit und seinen Affären. Allerdings jeweils mit einer weiteren Frau, was seine Probleme am Ende schließlich eskalieren lässt. 4. Aufbau Die vierte Kurzgeschichte des Buches „Liebesfluchten“ von Bernhard Schlink mit dem Titel „Zuckererbsen“ ist unterteilt in 13 Kapitel. 1. Aufbau der persönlichen Beziehung im Erzählungsverlauf und den Fluchten daraus: Die ersten drei Kapitel beschreiben den Werdegang des Protagonisten Thomas in Hinsicht auf seinen beruflichen Wandel und vor allem aber seine Bekanntschaften mit den drei verschiedenen Frauen Jutta, seine Frau; Veronika, die Galeristin die seine Bilder bekannt machte und zu seiner 1.Geliebten wurde ; Helga, eine Studentin der Zahnheilkunde und seine 2. Geliebte. Man kann sagen, dass Thomas jedes mal aus seiner Beziehung flüchtet hinein in eine neue Beziehung, wie es der Titel des Buches schon sagt. Zu erst ist er glücklich verheiratet mit Jutta. Als er jedoch beruflich nicht mehr seine volle Befriedigung in der Architektur findet beginnt er zu malen und lernt so Veronika kennen. Doch als diese ein Kind erwartet und ihn nun dazu drängt seine Frau zu verlassen, beginnt Thomas erneut eine Beziehung mit einer weiteren Frau. Helga ist noch jung, hat weder beruflich noch familiär konkrete Vorstellungen. Doch auch im 4. Kapitel führt er diese Fluchten fort, als Helga ihn nach Abschluss ihres Studiums drängt eine gemeinsame Praxis aufzumachen. Im nächsten Kapitel wird nun deutlich, dass Thomas sich mit den drei Beziehungen überfordert fühlt und in keiner mehr die eigene Befriedigung findet und so überlegt er die Ringe des Jongleurs, als den er sich selbst sieht, wieder zu öffnen aus Angst, dass Spiel mit den drei Frauen könnte und müsste irgendwann zuende gehen. Nach einer Zeit der Auszeit aus beruflichen Gründen in New York schreibt er jedoch den drei Frauen jeweils eine Postkarte mit den Wunsch noch mal von vorn zu beginnen. Diese Gefühl hält nicht lange an, und so entschließt er wieder die Beziehungen zu den drei Frauen zu beenden, da er sich bewusst geworden ist, im Laufe der Zeit drei verschiedene Persönlichkeiten entwickelt zu haben und nun Gefahr läuft irgendwann eine falsche Rolle in Gegenwart einer der Frauen zu spielen. Doch auch diesmal gelingt es ihm nicht mit allen Frauen zu reden, allein bei Helga fasst er den Mut, diese ist jedoch so empört, dass sie Thomas zum bleiben bringen kann. Nachdem er den Frauen erzählt hat er habe angeblich Bauchspeicheldrüsenkrebs und diese Ihn seiner Meinung nach undankbar behandeln obwohl er sie alle drei glücklich machte sah er in den Vorwürfen ihnen gegenüber eine Chance der Flucht und verreist auf unbestimmte zeit. Im Endeffekt jedoch lebt er, nach seinem Unfall während der Reise welcher ihn aufgrund einer Lähmung Brust abwärts in den Rollstuhl zwang, in einem Leben welches alle drei Frauen und ihn vereinte. Die drei Frauen kümmerten sich um ihn und seine beruflichen Geschäfte. 2. Aufbau des Ortswechsels innerhalb der Geschichte: Die Geschichte und die drei verschiedenen Frauen prägen den Wechseln zwischen verschiedenen Städten. So baut Thomas mit jeder neuen Frau ein neues Leben in einer anderen Stadt auf und vollzieht immer wieder neue Reisen durch ganz Deutschland und die Welt Zu Anfang der Erzählung lebt Thomas mit Jutta in Berlin. Die Galeristin Veronika lernt er in Hamburg kennen und beginnt dort ein zweites Leben mit dieser. Immer wieder pendelte er nun zwischen Berlin und Hamburg. Aus diesen Beziehungen Flüchtete er sich mit einem Freund in eine Wanderung durch die Vogesen, wo er Helga aus Kassel kennen lernte. Im Herbst musste er geschäftlich nach New York. Im neunten Kapitel macht er sich dann auf den Weg einer Reise durch viele Städte welche aufgrund seiner Unfalls in Mailand endete. Von dort aus wurde er in eine Rehabilitationsklinik in Berlin gebracht und anschließend, nach zwei Monaten Aufenthalt, brachte ihn Helga in seine alte Wohnung in Berlin. Als Fazit kann man also sagen, dass die gesamte Geschichte so aufgebaut ist, dass mit jedem Leben mit einer neuen Frau, ein neues Leben in einer anderen Stadt beginnt, was jedes Mal das Resultat einer Flucht aus dem vorigen Leben ist, welches Thomas nicht mehr voll und ganz befriedigt, welches er aber dennoch nicht aufgeben möchte. Zu beginn befindet der Protagonist sich in Berlin wo er noch ein einfaches Leben lebt. Dann flüchtet er immer wieder von Stadt zu Stadt in ein neues Leben und pendelt zwischen den drei Wohnorten und den damit verbundenen Frauen hin und her weil er nirgends eine volle Erfüllung seiner Träume, Wünsche und Vorstellungen erfährt, bis er schließlich wieder in Berlin zur Ruhe kommt und dort alle drei vorher gelebten Leben in einem Ort und Leben vereint. 5.Sprachliche Mittel Sprachliche Mittel: - realistische Darstellung - krisenhafte Gefährdung - Entscheidungszwang - Reduktion auf wenige Figuren - alltägliche Charaktere - personales Erzählverhalten - einfache Sprache, aber kalkuliert durchgestaltet Die hier aufgeführten Aspekte machen deutlich, dass „Zuckererbsen“ eine Kurzgeschichte ist. Im Folgenden Stichwortartiges zu „Erzählverhalten und Sprache“. - Wechsel von neutralem und personalem Erzählverhalten - erlebte Rede und innerer Monolog - Bewusstseinsstrom - Eindringlichkeit - innere Beklemmung - sinnliche Eindrücke ( süßlicher Babygeruch, etc.) - teilweise schmuckloser Stil - Teilweise distanziert - Charakterisierung von Beziehungen - Assoziationstechnik - teilweise unspektakuläre Darstellung - klimaktisch aufgebaut 5. Intention Schlinks Kurzgeschichte „Zuckererbsen“ aus der Geschichtensammlung Liebesfluchten behandelt einen Lebensausschnitt eines Mannes von seiner Jugend bis fast an sein Lebensende. Der Protagonist, Thomas, ist scheinbar jemand der mit beiden Beinen im Leben steht und alles besitzt oder bekommen kann was er sich oberflächlich zu wünschen scheint. Seine Zerrissenheit zwischen seinen Berufen und Hobbys sowie die Problematik seiner drei parallel verlaufenen Beziehungen lassen jedoch ein tiefergreifendes Motiv erkennen. Schlink konstruiert seinen Protagonisten absichtlich so, dass dieser selbst nicht die Beweggründe für sein unstetes Leben erkennt und immer auf der Suche nach seiner wahren Befriedung und seinem Daseinsgrund ist. Er strebt sozusagen nach den „Zuckererbsen“, das wahren, süße Leben ohne die harte Hülle. Thomas bewegt sich dabei immer weiter in einer abwärts laufenden Spirale aus immer neuen Verwicklungen und Verstrickungen, die sein Leben sowohl beruflich als auch privat aus den Fugen bringen- er hat mehrmals die Chance, diesen Verlauf zu durchbrechen, fürchtet sich aber immer vor dem entscheidenden Schritt. Dies bringt ihn schließlich dahin, dass er alles verliert was er vorher hatte. Das entscheidende ist jedoch, dass der Protagonist letztendlich am Ziel seines Strebens angekommen ist und trotz der schlechten Gesamtsituation (Lähmung, seine Doppelleben ist aufgeflogen) eine Art inneren Frieden findet. Ein Resumée zu finden fällt in diesem Fall schwer. Flüchtig betrachtet mahnt Schlink, sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat. Diese Thematik tritt jedoch insofern in den Hintergrund, als dass Schlink vielmehr zu versuchen scheint, die menschlichen Gefühle und Beziehungen, die emotionalen Momenten und Beweggründe dem Leser eindringlich nahe zu bringen. Bernhard Schlink „Liebesfluchten“ - Die Beschneidung Verfasser: Anna Katharina Eiff – Alexander Lorber – Vanessa Willms Die Beschneidung Der Autor der Kurzgeschichtensammlung „Liebesfluchten“, Bernhard Schlink wurde am 6. Juni 1944 bei Bielefeld geboren und lebt heute als Jurist in Bonn und Berlin. Für seinen Roman „Der Vorleser“ erhielt er 1997 den Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster. 1999 bekam der Schriftsteller den Welt-Literaturpreis und im Februar 2000 die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft. „Der Vorleser“ erreichte als erstes deutsches Buch Platz eins auf der New – York – Times - Bestsellerliste und wurde in 25 Sprachen übersetzt. Wie auch schon in seinem Werk „Der Vorleser“ spielt die Liebe in „Liebesfluchten“ ebenfalls eine ausgesprochen wichtige Rolle. Der Titel „Liebesfluchten“ erklärt sich aus dem gemeinsamen Aspekt jeder der Geschichten: die Flucht in einer Liebesbeziehung oder die Flucht aus ihr heraus. Es fliehen dort jedoch keine Liebespaare, sondern Einzelpersonen, aufgrund von Unzufriedenheit über erkaltete Beziehungen. Im Folgenden werden wir eine der sieben Kurzgeschichten, die den Namen „Die Beschneidung“ trägt, genauer analysieren und den Versuch einer Interpretation unternehmen. Ein deutscher Austauschstudent namens Andi trifft in New York die Frau seines Lebens, die Jüdin Sarah. Konflikte sind vorprogrammiert, da ihre Familie fest mit der jüdischen Tradition und Kultur verbunden ist, während Andis Vater im 2. Weltkrieg auf Seiten der Deutschen gedient hat. Bei der Bar-Mizwa von Sarahs Bruder wird diese Gegensätzlichkeit erstmalig zu einem Problem, als Andi sich mit Sarahs Onkel Aaron über die Familiengeschichten unterhält, wobei er auf Desinteresse bezüglich seiner Familie und Geschichte stößt, als er sich wagt sie anzusprechen. Andi hingegen zeigt Interesse an der fremden Kultur, obwohl dieses Interesse nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Sarahs Familie hält ihn für einen typischen Deutschen, der allen Vorurteilen gerecht wird und jedes Klischee bedient, was dazu führt, dass sich Andi permanent genötigt sieht sich für seine Nationalität und Ansichten zu rechtfertigen. Mit dem Voranschreiten ihrer Beziehung beginnt auch Sarah ihm gezielt Schuldgefühle wegen des Holocaust zu machen, die sich in spöttischen und provokativen Anmerkungen äußern. Daraufhin beginnt Andi sich, aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorurteile, selbst in Frage zu stellen und versucht vor der ständigen Selbstverteidigung in die Verleugnung der eigenen Identität und Nationalität zu flüchten. Das äußert sich in der Selbstzensur in ihren Unterhaltungen, die Andi mit Sarah führt, da diese unangenehm und auffällig oft in Streit münden, der immer auf die Holocaustschuldfrage hinausläuft. Der Rahmen, in dem sich der Streit dann bewegt ist immer der gleiche: zusammenfassend wirft Sarah Andi vor Deutscher zu sein, woran er aber nichts ändern kann, da es Teil seiner Identität ist. Sarah kann den Umstand, dass er Deutscher ist, eigentlich nicht ertragen, sie tröstet sich nur mit ihrer Liebe seiner Person als Individuum gegenüber, während er Toleranz und Akzeptanz von ihr erwartet, die aufgrund ihrer Liebe für ihn selbstverständlich sein müsste. Da Andi seine Nationalität nicht zu ändern vermag und er sich für die Geschichte seines Landes bisher auch nicht schuldig fühlte, da sie seine Generation nicht direkt betrifft, versucht er sich fortwährend zu rechtfertigen und damit zu entschuldigen, dass er nicht die Schuld einer vergangenen Generationen zu tragen fähig sei. Sarah verurteilt jedoch seine Art sich mit dieser Begründung aus seiner Schuld schleichen zu wollen, weshalb es immer wieder zu erneuten Konfrontationen mit dem selben ungelösten Ende kommt. Da eine Einigung ohne die Nachgabe oder Einsicht einer der beiden nicht möglich ist, versöhnen sich beide nach jedem nervenzerreibenden Streit, allerdings ohne eine Aussprache und die Bewältigung der Ursache. Bei einer gemeinsamen Deutschlandreise bemerkt Andi, dass Sarah konsequent jede Gelegenheit zu ergreifen scheint, um über die deutsche Kultur zu spotten, und ihn damit herauszufordern. Des weiteren bemerkt er, dass immer ferner liegende Gesprächsthemen auf ihr Problem der gegensätzlichen Geschichte zurückführen, sie zu dem üblichen Konflikt führen und einen Streit auslösen, selbst wenn die Ausgangssituation nicht im Geringsten etwas mit der Thematik zu tun hatte. Andi erreicht bald die Erkenntnis, dass jeder erneute Streit lediglich die Fortsetzung eines vergangenen Streits ist, den sie nicht gelöst und bewältigt, sondern nur stillgelegt und aufgeschoben haben. Um dem fortlaufenden Neuaufgreifen ihres Streits aus dem Weg zu gehen, bemittelt sich Andi bald der bereits erwähnten Selbstzensur, indem er jedes Thema zu meiden versucht, was irgendwie einen erneuten Konflikt herbeiführen könnte. Er stellt bald fest, dass es sich dabei um seine Selbstverleugnung handelt, dass er seine eigene Identität negiert und sich aufzugeben bereit zu sein scheint, um die Beziehung zu Sarah zu retten. Dass das keine dauerhafte Lösung ihres Problems sei, wird ihm bewusst. Andi beschließt, sich dem zu stellen, auch wenn es nicht möglich ist die Angelegenheit auszudiskutieren. Er unterzieht sich Beschneidung und hat vor danach zum Judentum zu konvertieren, um Sarah seine Liebe und um ihr zu beweisen, dass seine Individualität und ihre Liebe ihre Geschichte und seine Nationalität sekundär sein lassen. Sarah bemerkt die Veränderung an seinem Körper nicht und auch als er sie darauf aufmerksam macht, dass er sich hat beschneiden lassen, gelingt es ihr nicht, den Grund für die plötzliche Operation zu erraten. Demnach bleibt auch die Erkenntnis ihrerseits über Andis Selbstaufgabe und Hingabe ihr gegenüber aus, da sie seinen Beweggrund gar nicht reflektiert. Als Andi am nächsten Morgen aufwacht, erreicht ihn die Erkenntnis, dass seine Beschneidung als eine symbolische Handlung nicht Sarahs Weltanschauung zu ändern vermochte, diese aber gleichzeitig ihre Beziehung zerstört. Er zieht die Konsequenz daraus und verlässt sie noch im Morgengrauen, während sie schläft, weil er einer Beziehung, in der eine solche Botschaft ihren Empfänger nicht erreichen kann, keinen Sinn abzugewinnen fähig ist und die Aussichtslosigkeit jedes weiteren Rettungsversuches erkennt. Um zu prüfen, ob „Die Beschneidung“ die Kriterien einer Kurzgeschichte erfüllt, seien folgende typische Merkmale genannt, die bei der Geschichte zu finden waren: Die Geschichte beginnt unmittelbar. Der erste Satz startet mit dem Satz „Das Fest war vorbei.“ (S.199; Z.1). Der Leser wird also unvermittelt in die Handlung „hinein geworfen“, womit ein Kriterium für die Kurzgeschichte erfüllt wäre. Als zentralen Ort des Geschehens könnte die Beziehung der beiden Hauptcharaktere genannt werden. Aus diesem Zirkel entfernt sich der Autor erst gegen Ende der Geschichte, wenn das Auseinanderbrechen der Beziehung sich im finalen Stadium befindet. Da das Ende bis auf das Scheitern im Zusammenhalt offen bleibt und beliebig weiter erzählt werden könnte, (welches Fazit ziehen die Charaktere Andi und Sarah aus diesem Ausgang? etc.) kann „Die Beschneidung“ mit Sicherheit als Kurzgeschichte behandelt werden. Alle gefundenen Kriterien sprechen dafür. Zudem wird der Umfang der Geschichte mit ca. 50 Seiten dem einer typischen Kurzgeschichte gerecht. Die Beziehung zwischen Andi und Sarah bildet auch den Rahmen der Kurzgeschichte. Die Darstellung dieser erfolgt dann auch durchgehend in einer linearen Handlungsstruktur. Die Entwicklung ihrer Beziehung stellt den „Roten Faden“ dar, an welchem sich die Handlung orientiert. Mehrere Erzählebenen entstehen dabei nicht, da abweichende Handlungsstränge nur in Dialoge eingebunden werden (Bsp.: S.201; Z.3f Die Erzählung des Onkels). Trotz der linearen Erzählstruktur gibt es eine Spannungskurve. Der schleichende Prozess des Scheiterns beider Hauptakteure steigert sich immer weiter und mündet im Versagen beider bezüglich des Erhalts der Beziehung. Die eigentliche Krise der Kurzgeschichte ist das aber nicht. Diese ist der ewige Konflikt, der zwischen Andi und Sarah immer wieder entbrennt und die Wiederholung desselben als solche. Ursache dafür ist das immer noch unsichere und gespannte Verhältnis zwischen Juden und deutschen Christen nach dem Holocaust. Als Wendepunkt dient schließlich Andis Aufgabe seiner religiösen Identität, indem er sich beschneiden lässt – nicht aus Überzeugung, sondern um Sarahs Willen. Doch dass gerade das nicht gelingt, stellt den Wendepunkt dar, mit dem die beiden Charaktere endgültig scheitern. Bevor es aber dazu kommt verläuft die Beziehung im ständigen Wechsel zwischen Streit und Versöhnung. Alle Konversationen des Liebespaares sind retardierende Momente, denn jeder Konflikt resultiert auch in einer vorläufigen Versöhnung ohne jedoch eine Lösung für das Problem gefunden zu haben. Das Schweigen, die Vermeidung weiterer Konfrontation dient Andi als vorläufige Lösung des Problems; stattdessen wird es aber nur umgangen (S.237; Z.11f). Die Streitszenen treten aber als mehrfache Wiederholungen im Handlungsverlauf immer wieder auf, weshalb Schlink sie deshalb auch als dramaturgisches Mittel nutzt. Die Ähnlichkeit steckt dabei im immer gleichen Meinungskonflikt der „Schuldfrage“. Der zeitliche Verlauf ist sehr strikt gehalten. Schlink rafft die Zeit, um die Entwicklung der Beziehung auf 50 Seiten mit allen wichtigen Details aufzuzeigen. Durch nicht genau dokumentierte aber klein gehaltene Zeitsprünge in spätere Geschehnisse lässt Schlink eventuell Ereignisloses oder für den Plot schlicht Unwichtiges aus. Die Entwicklung der Beziehung als wichtigstes Augenmerk wird dabei nicht unterbrochen. Rückblicke gibt es keine, da die Geschichte im Ganzen einen Rückblick auf die gemeinsame Beziehung des Paares darstellt. Die Schlusspointe sehe ich abschließend im Zusammenbruch der Beziehung. „Er zog die Schuhe an und ging.“ (S.255; Z.14). Symbolisch als die Aufgabe des Versuchs, mit der gegenseitigen Verschiedenheit zu leben- sich mit ihr zu arrangieren, die Resignation vor sich selbst anzusehen. Als Katastrophe würde ich diese Pointe aber nicht ansehen, stellt sie jedoch für Andi die Flucht aus der Liebe in die Wideraufnahme der eigenen Identität dar. Um die Personen der Geschichte stärker in den Vordergrund zu rücken, findet oft der Wechsel zwischen neutralem und personalem Erzählverhalten statt. So beschreibt Schlink zuerst die Aktion – „In der Nacht wachte Andi auf“(S.206; Z.14), daraufhin beginnt der Charakter nachzudenken und es entwickelt sich ein personales Erzählverhalten: „Er dachte an ihren Streit. ...“(S.206; Z.26). Ein richtiger Perspektivenwechsel entsteht aber selten; wenn Schlink davon Gebrauch macht, so wendet er dies im Gedankenmonolog an, in dem das Ich versucht, einen eigenen Standpunkt für seine Situation oder ein Problem zu finden(z.B. S.228; Z.16f) „Geht es Sarah mit uns so wie mir mit den Kindern?“. Bis auf diese Ausnahmen schreibt der Autor die Geschichte aber nicht in der Perspektive eines Lyrischen Ichs, sondern beschreibt die Ereignisse. Andi steht dabei mit seinen Handlungen, Gefühlen und Gedanken im Vordergrund. Eine sprachliche Gestaltung seiner inneren Verfassung kommt damit relativ häufig vor. Allerdings auf deskriptiver Ebene. Wenn Andi sich beispielsweise darüber klar wird, dass eine Beschneidung nach dem traditionellen Ritual für ihn nicht in Frage kommt, beschreibt Schlink mit Hilfe von ausdrucksstarken Verben und Adjektiven wie „verstümmeln“, „präsentieren“ und „blutig“ die Angst in den Gedanken Andis über eine eventuelle Beschneidung (Bsp.: S.245; Z.13). Die innere Verfassung wird damit recht deutlich hervorgehoben, ohne es direkt subjektiv zu schildern. Diese gedanklichen Monologe sind es auch, die den oft als kühl und schmucklos beschriebenen Stil Schlinks dennoch auch emotional wirkungsvoll machen. Die Unsicherheit des Ichs, hier Andi in seiner Beziehung, gibt damit auch einen Hinweis auf den (negativen) Entwicklungsstatus dieser Beziehung. Immer wieder lässt sich auch eine innere Beklemmung des Protagonisten Andi im Text spüren. Das verstärkt sich vor allem nach mehreren Streitgesprächen mit Sarah, nach denen er „seine Liebe immer kleiner zuschneidet“ (S.237; Z.14f). Vor allem, weil Andi Probleme lieber verdrängt, verstärken sie doch seine innere Beklemmung, die sich dann auch in das Umgangsklima beider Partnern projiziert. Und doch tauchen im Kontrast dazu immer wieder sinnliche Eindrücke in Form von Erotik auf (z.B. S.232; Z.19f o. S.252; Z.12f), die den Stil Schlinks somit doch emotionaler werden lassen, als er auf den ersten Blick scheint. Und doch wechselt sich diese Wirkung des „emotionalen Eindrucks“ stets ab mit dem kalkuliert schmucklosen Stil – „sie liebten sich“ – der die Geschichte realer und authentischer macht. Allerdings führt genau das auch zu einer gewahrten Distanz des Lesers zum Text. Schlink richtet sich in „Die Beschneidung“ nie direkt an den Leser. Der Bezug entsteht, wenn der Leser Andis Handlungen und innere Konflikte in seinen Gedanken auf sich selbst projiziert und reflektiert. Wie würde man selbst handeln? Hätte man dieselben Probleme wie der Protagonist in einer solchen Beziehung? Gerade durch die Gedanken und Gefühle Andis wird die Beziehung charakterisiert. Außerdem macht Schlink von einer Assoziationstechnik Gebrauch, um das Scheitern der Beziehung schon am Anfang anzudeuten (S.206; Z.27f). Damit wird auch die ständige Spannung in der Beziehung eingeleitet und sogar weiter verstärkt. Selbst Ironie verwendet Schlink in dieser Geschichte, um die Spannung zwischen den Charakteren zu verstärken. Zum einen durch das Sprichwort „Bis zur Vergasung“, das bei einer Geburtstagsfeier eine hitzige Diskussion auslöst (S.215; Z.7f: „Die Deutschen sagen, wenn sie von etwas genug haben, dass sie es vergasen?“), zum anderen mit Sarahs charakteristischem Spott über die „Ordnung“ der Deutschen und den Wahn, Altes durch Neues zu ersetzen (S.229; Z.7f). Neben Ironie neigt Schlink dazu, mit Sarkasmus die Spannung anzufachen und den Protagonisten in einen Konflikt zu verwickeln – deshalb ist der „Spott“ bei Sarah ein Charakterzug, die durch die gleichzeitige Ernsthaftigkeit der darin enthaltenen Kritik dazu führt, dass sie Andi reizt und zu Konversation zwingen will. Andi hingegen versucht durch Gegenwitze (S.235; Z.19f) Sarah dazu zu bringen, ihre Kritik „locker“ zu nehmen und will sie viel mehr ablenken, als auf das Gespräch einzugehen. Sarkasmus ist neben Ironie also auch ein Mittel Schlinks, den Leser die Spannungen zwischen den Partnern spüren zu lassen. Allerdings ist sie auf Seiten Sarahs oft geradezu provokant, und nach Andis Empfindung sogar anschuldigend gemeint: „Für meine Verwandten haben die Deutschen eine besondere Vergangenheit gemacht.“ (S.226; Z.7). Schlink trennt Passagen der Erzählerdarstellung mit Passagen, die fast nur aus wörtlicher Rede bestehen. Diese stellen fast immer Dialoge zwischen Andi und Sarah dar, die sich mit steigender Tendenz zu Streitgesprächen entwickeln. Die Konversationen lösen bei Andi innere Konflikte aus. Hier sei ein Gedankenmonolog genannt, in dem sich Andi in die Meinungskonfliktsituation hineinsteigert, weshalb Schlink hier von einem Klimax Gebrauch macht (S.229; Z.14ff). Im Abschnitt zuvor sei auf die Verwendung einer Anapher hingewiesen. Sarahs Fragen zu den Baustellen der Hauptstadt beginnen jeweils mit „Warum muss...alles“ und „...auch noch gleich“, was ihrer Erregtheit und ihrem Unverständnis dem gegenüber Ausdruck verleiht. Ebenso gibt es die Wortwiederholung „Vorboten“ (S.206; Z.28), mit der das drohende Unheil der Beziehung schon suggeriert wird und welches später ja auch eintrifft. Nachdem Inhalt, Sprache und Gestaltung nun hinreichend diskutiert wurden, werden wir uns nun den Charakterisierungen der Protagonisten und im Anschluss der Intention Schlinks zuwenden. Bei den Protagonisten dieser Kurzgeschichte, die den Handlungsrahmen darstellen, handelt es sich um Andi und Sarah. Schlinks Hauptaugenmerk liegt hierbei jedoch auf Andi, von dessen Standpunkt aus die Handlung reflektiert wird und dessen innerer Konflikt die Handlung vorantreibt. Andi ist Student aus Deutschland, welcher ein Stipendium für ein Auslandsstudium in New York genießt. Beschrieben wird er durch Eigenschaften wie Höflichkeit, gutes Aussehen, Charme, Bescheidenheit und Intelligenz. In New York lernt er Sarah kennen, mit der er eine innige Liebesbeziehung auszubauen versucht, da er sich von ihr unter anderem Geborgenheit in der fremden Großstadt verspricht. Da Sarah Jüdin ist, wird Andi anfangs von Unsicherheit gegenüber Sarahs Familie beherrscht, da er sich nicht darüber bewusst ist, wie er sich als Deutscher gegenüber einer jüdischen Familie zu verhalten habe, ganz zu schweigen von der ohnehin nicht leichten Aufgabe, einen guten Eindruck auf die Familie seiner Geliebten zu machen. Er hat Angst vor einer Konfrontation mit den historischen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges und des damit verbundenen Holocaust. Da er die Konfrontation mit der Vergangenheit durch Sarahs Familie als Schuldzuweisung an ihn persönlich empfindet, versucht er sich und seine Heimat stets zu rechtfertigen. Er fühlt sich wegen seiner Nationalität als Individuum nicht akzeptiert. Die deutsch-jüdische Geschichte empfindet er als zwischenmenschliche Barriere zwischen sich, Sarah und ihrem Umfeld. Er beginnt zum Vermeidungsstrategen zu werden, indem er wegen der steigenden Häufigkeit der Auseinandersetzungen zwischen Andi und Sarah um dieses Thema beginnt, streitverdächtige Situationen zu meiden. Dieser Umstand und die damit verbundene Selbstzensur führen zu einer Reduktion ihrer Beziehung auf die Erlebnisse der gemeinsamen Nächte. Andi stellt die These auf, dass nur „Seinesgleichen“ (S.243) fähig sei, sich gegenseitig zu ertragen. Um Sarah so nah zu kommen, dass er „ihresgleichen“ wird, entschließt er sich zum Judentum zu konvertieren und eine Beschneidung vornehmen zu lassen. Seine Beschneidung ist das Opfer, dass er ihrer Beziehung zu Liebe zu bringen bereit ist. Dass das seine Selbstaufgabe, die Aufgabe seiner Identität und die Resignation vor Sarah und dem Konflikt bedeutet, wird ihm später jedoch bewusst und bewegt ihn dazu aus der Beziehung zu fliehen, aus der Beklemmung der Situation auszubrechen. Der Glücksanspruch, den Andi auf Geborgenheit, Gleichberechtigung, Akzeptanz und Erotik im ausgewogenen Maße erhebt, bleibt ihm missgönnt. Sarah repräsentiert in dieser Beziehung all jene, die Deutschland die Schuld am Holocaust bis in die Gegenwart nachtragen und die Fronten somit so verhärten, dass sämtliche Verhältnisse zu erkalten verurteilt sind. Sarah bringt Andi anfangs viel Liebe entgegen und ist in der Beziehung sehr hingebungsvoll, allerdings entfernt sie sich immer mehr von Andi, indem sie bei Diskussionen über die Schuld Deutschlands am Holocaust die Position von Andia gegnerischer Partei ergreift, wobei sie sich grundsätzlich in Schuldzuweisungen verliert. Die Problematik besteht jedoch hauptsächlich darin, dass Sarah Andi regelmäßig provoziert, indem sie ihm gegenüber scharfe, zynische und eindeutige Anspielungen auf die deutsch-jüdische Geschichte macht, wobei sie Andi regelmäßig anzugreifen scheint, zumindest zu erzielen versucht, dass dieser sich angegriffen fühlt und sich genötigt sieht, sich zu rechtfertigen. Sarah scheint zwischen der Geschichte des Landes ihres Partners und der Individualität Andis nicht unterscheiden zu können, und zieht ihn somit, mal bewusst, manchmal unbewusst permanent vor ein moralisches Gericht. Obwohl sie Andi so scharf und direkt angreift, reagiert sie selbst auch sehr abwehrend impulsiv, was sich äußert, wenn sie sich - selbst in Situationen, in denen nichts ferner liegt, als das Thema Holocaust - dahingehend angegriffen fühlt und darin begründend zu streiten beginnt. Zwar stellt Schlink zwischenmenschliche Beziehungen in „Liebesfluchten“ in den Vordergrund und thematisiert den Facettenreichtum des menschlichen, emotionalen Gefühlsspektrums, jedoch zeigt er in „Die Beschneidung“ auf, dass die Liebe zwischen Andi und Sarah nicht stark und expressiv genug ist, um auf dieser Ebene zu leisten, was die Öffentlichkeit nicht zu schaffen vermag. Ihre Liebe hält nicht nur dem moralischen Druck der Vergangenheit nicht Stand, sondern die Beziehung erschwert durch ihre Entwicklung noch jene zu ertragen. In dieser Geschichte zeigt Schlink, dass es sich bei der Liebe um einen belastenden Faktor im Leben handeln kann, welcher dazu führen kann, dass man eine Flucht aus der Liebe, die eigentlich selbst doch so wünschenswert ist, unternimmt. Die Liebe, von der der Illusionär glaubt, sie sei fähig, Diskrepanzen zwischen zwei Individuen zu überbrücken, ist unfähig, ein Individuum vor Klischees und Vorurteilen zu schützen. Die Beschneidung Andis, die in dieser Kurzgeschichte ihren Zweck verfehlt, seine Beziehung zu retten, zeigt, dass symbolische Handlungen aus Liebe keine Weltanschauung zu ändern vermögen und auch nicht die Auseinandersetzung mit dieser ersetzen können. Die Beziehung von Andi und Sarah, die die nachhaltigen Spannungen zwischen deutscher und jüdischer Vergangenheit repräsentieren, stellt den Leser bei seiner Reflexion über den Grund der Spannungen vor die Frage, ob es gerechtfertigt ist, dass die dritte Generation nach dem Holocaust noch die Last der Schuld zu tragen hat und ob die Schuld selbst an die Enkel und Urenkel der Schuldigen übertragen werden darf, da diese moralisch sowie real keine Mitschuld an den Geschehnissen trifft. Schließlich lässt Schlink den Leser mit der Frage allein, wie viele junge Generationen sich noch für die Vergangenheit ihrer Großväter zu rechtfertigen haben. Bernhard Schlink „Liebesfluchten“ - Der Sohn Verfasser: Maximilian Preiß – Fabian Schmitt – Erik Schulte – Elena Wickert Erzählverhalten und Sprache Schlinks Erzählverhalten in der Kurzgeschichte „Der Sohn“ ist klar und prägnant. Sein Erzähler ist nur Beobachter des gesamten Geschehens. Er erzählt kühl („Die Kirche war ausgebrannt“, S.267), sachlich („Je höher sie fuhren, desto langsamer kamen sie voran. Die Straße wurde schmaler und schlechter.“, S.267) und fast teilnahmslos ( „Zwei Fahrer tauchten auf, legten die Toten ins Grab, schaufelten es zu und klopften mit den Spaten die Erde fest.“, S. 278). Seine Story ist gradlinig aufgebaut und lässt den Leser an dem Ende der Story nicht zweifeln (Der Professor nimmt entgegen seiner Gewohnheit an solch einer Mission in einem Bürgerkriegsland teil, Waffen und Militärfahrzeuge (Jeeps), plötzliches Bedürfnis seinen Sohn anzurufen, um ihm zu sagen, dass er ihn lieb hat, ausgebrannte Kirche, zwei Tote, unglücklicher Vater, keine richtige Schießerei, aber der Vater wird getroffen, muss langsam sterben). Detailgenauigkeit („Die Beobachter kamen mit einem amerikanischen Militärflugzeug, weiß gestrichen und blau markiert.“, S. 257) und Assoziationstechnik („Die großen Fenster waren brusthoch mit Sandsäcken gesichert, bei manchen fehlte das Glas.“, S. 257 – deutet auf Kriegshandlungen hin) zeigen sich ebenfalls im Erzählstil. Für den Erzählstil verwendet Schlink einfache Sprachmuster („Er merkte, dass.., Er war traurig, Er hätte ihn gerne gesehen. Er hätte gerne nichts getan..., Aber dann war er auch schon zu müde...“, S. 281). Diese Wiederholungen wirken auf den Leser lieblos und langweilig. Sie verhindern, dass beim Leser Gefühle oder Spannung aufgebaut werden. Schlink verwendet sie aber bewusst, weil er nicht erzählen will, sondern nur beschreiben. Er benutzt auch Floskeln in seinem Erzählstil. Besonders negativ zeigt sich dieses bei dem Bekenntnis des Vaters, dass er seinen Sohn liebt („Ich hab dich lieb, mein Junge.“, S. 265). Diese Worte bleiben nur leere Worthülsen, die ein Mit- und Nachfühlen ausschließen. Überhaupt vermeidet der Erzählstil jede Wertung, sondern lässt in jeder Situation Distanz zu den Personen und der Handlung erkennen. Wenn Schlink in einem kleinen Moment der Hauptperson (Professor) gestattet, über seine Fehler nachzudenken („Hatte er es dem Sohn leichter machen wollen? Oder der Mutter? Oder sich selbst?“, S. 269), dann unterbricht er diese Schilderung der Seelenlandschaft des Professors radikal mit der Fortsetzung einer sachlichen Schilderung („Die Jeeps fuhren über den Platz und parkten mit laufenden Motoren und eingeschalteten Scheinwerfern vor der Kirche.“, S. 269). Am Schluss lässt Schlink im Erzählstil sogar ein bisschen Ironie und Tragik zu („Er war traurig, dass in den letzten Momenten nicht der Film seines Lebens vor ihm ablief. Er hätte ihn gerne gesehen. Er hätte gerne nichts getan, sich entspannt und zugeschaut. Statt dessen musste er bis zum letzten Moment denken. Der Film – warum hielt der Tod nicht, was man sich von ihm verspricht?“, S. 281). Das Geschehen wird - außer eben am Ende - unspektakulär dargestellt, ohne viel Emotionen, was auch an der weitgehenden Auslassung der wörtlichen Rede liegt. Eine Verdichtung der Atmosphäre erreicht Schlink an einigen Stellen durch eine dreiteilige Beschreibung (S. 257, Z.7/8; S. 261, Z. 13). Obwohl hier nur mit wenigen Worten etwas beschrieben wird, kann der Leser sich die Situation am Flughafen bzw. das Aussehen des Mädchens gut vorstellen. Zur insgesamt nur knappen Information des Lesers zählt auch, dass der Autor nur Hinweise gibt, aus denen sich der Leser dann selbst etwas zusammenreimen muss. So wird das Flugzeug, in dem die Beobachter anreisen, als weiß mit blauer Markierung beschrieben (S. 257, Z. 4/5). Der Leser kann sich jedoch denken, dass es sich um eine Maschine der UN handelt. Auch in Bezug auf das Land erfährt der Leser nichts Genaues. Jedoch lässt sich aus der Flugroute (S. 260, Z. 17/18) und der Tatsache, das es sich um ein spanischsprachiges Land handelt (S. 262, Z. 19/20; S. 265, Z. 26/27) schließen, dass die Geschichte in einem Land Südamerikas spielt. Durch den Hinweis, dass es in dem Land zwei Meersprovinzen gibt (S. 260, Z. 25) kann die Lage weiter eingegrenzt werden, ohne dass sich mit Bestimmtheit sagen ließe, welches Land es letztendlich ist. Rhetorische Figuren tauchen in der Geschichte nicht häufig auf, trotzdem pflegt Schlink eine in gewisser Weise kunstvolle Sprache, die auf den ersten Blick aber nicht auffällt. So benutzt er gelegentlich Worte, die veraltet erscheinen (S. 257, Z. 17: „Kavalkade“; S. 258, Z. 30: „gehörig“), und gibt so seiner Sprache einen Stil, der nicht in die moderne Literatur zu passen scheint. Auch die Verwendung von „roter Wein“ statt „Rotwein“ verstärkt diesen Eindruck (S. 262, Z. 4/5). Auch wenn sich die rhetorischen Figuren in Grenzen halten, fallen doch einige auf. So z. B. „Herzen der Stadt“ (S. 259, Z. 6: Metapher) und „Tür - und Fensterhöhlen“ (S. 267, Z. 21: Metapher), die jedoch eher „alltägliche“ Metaphern sind. Auch „eingerostetes Spanisch“ (S. 262, Z. 19/20) zählt hierzu. Der Beginn der Sätze mit „Ob“ (S. 264, Z. 10 ff.) bringt dem Leser die Probleme des Protagonisten mit seiner Freundin näher. Die Wiederholung des Wortes „Ich“ (S.265, Z. 13) dient zur Verdeutlichung der Verwirrung des Sohnes. Die Geschichte ist weitgehend ohne Humor geschrieben, nur an zwei Stellen fällt Ironie auf (S. 265. Z. 28 ff.; S. 275, Z. 3 ff.). Die erste Stelle abstrahiert eine ernsthafte Gefahr ins Lustige, die zweite zeigt die Bitterkeit des Kanadiers, der sich seines Alkoholproblems bewusst ist und verdeutlicht, das die Friedensmission der Beobachter keinen Erfolg haben wird. Auch der Ausruf des betrunkenen Kanadiers (S. 271, Z. 8: Onomatopoesie) wirkt lustig, verdeutlicht aber letzten Endes doch nur wieder sein Problem. Auffällig ist die Wiederholung der gleichen Wortreihenfolge im Abstand weniger Seiten (S. 259, Z. 7/8 und S. 263, Z. 9/10). Sie zeigt den immer gleichen Aufbau der Stadt und eine gewisse Monotonie. Eine Besonderheit, die an der Kurzgeschichte auffällt, sind die vielen Worte, die ein Geräusch beschreiben. Es beginnt mit „knirschenden Splittern und Sand“ (S. 257, Z. 12), setzt sich mit dem „Knattern einer Maschinenpistole“ (S. 262, Z. 27) fort und endet mit dem „Rauschen“ der Stadt (S. 263, Z. 7). Besonders intensiv wird Schlinks Sprache, als er die Gefühle des Deutschen, die er unter dem Druck der Erinnerungen hat, beschreibt (S.273, Z. 3). Der Leser kann sich in ihn hineinversetzen und fühlt mit ihm, ausgelöst durch die Dichte von Schlinks Schilderung. Besonders prägnant sind hier die „gestorbenen Hoffnungen“ (S. 273, Z. 5), die die Gefühle des Protagonisten verdeutlichen und auch eine der wenigen emotionalen Momente der Geschichte darstellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kurzgeschichte „Der Sohn“ vor allem durch eine klare Sprache gekennzeichnet ist, die schlicht wirkt, aber dennoch nie plump oder vereinfachend ist. Bei genauerem Studium der Erzählung wird deutlich, dass der Autor tiefgründiger und vielschichtiger schreibt, als man zunächst meint. Die Figuren Charakterisierung: Der Deutsche Der deutsche Beobachter ist ein Professor für Völkerrecht, der schon für viele verschiedene internationale Organisationen gearbeitet hat, jedoch nie im Einsatz vor Ort war (S.260). Er ist geschieden, seitdem sein Sohn 5 Jahre alt war (S. 261). Er hat allerdings eine Freundin, die in New York lebt, mit der er sich jedoch unmittelbar vor der Abreise zerstritten hat, die ihm aber dennoch eine Krawatte eingepackt hat. Kurz nachdem er das gesehen hat, ruft er seinen Sohn von seinem Einsatzort als internationaler Beobachter in einem südafrikanischen Land aus an, ohne einen speziellen Grund zu haben (S. 264). Am Ende sagt er ihm zum ersten Mal, dass er ihn lieb habe, was jedoch zu einer peinlichen Stille führt. In dem Moment wünscht er sich, das schon öfter gesagt zu haben (S. 265). Den Deutschen quält die Vergangenheit, so eben insbesondere sein Verhalten gegenüber seinem Sohn. Anstoß zu seinen Gedanken ist eine Situation, in der seine Begleiter Bilder ihrer Familie zeigen, er jedoch keines hat (S. 261/2). Fortan denkt er öfter an vergangene Situationen, so an eine, wo er mit seinem Sohn zwei Wochen in den Herbstferien Urlaub machen wollte, was er mit seiner Ex-Frau abgesprochen hatte. Der gerichtliche Beschluss sah jedoch anderes vor und so holte der Freund seiner ExFrau den Sohn ab und nahm ihn mit. Der Deutsche wehrte sich in dieser Situation nicht und ließ es geschehen (S. 269). Dieses Verhalten könnte darauf schließen lassen, dass er Konflikten aus dem Weg zu gehen versucht und es ihm an Durchsetzungsfähigkeit mangelt. Dies wird durch eine weitere Situation belegt, in der er am Ende einer Tanzstunde ein Mädchen nicht nach Hause fährt, wie es üblich gewesen wäre, sondern es einem Stärkeren überlässt (S. 272). In diesen Erinnerungen schwelgend bedauert er sein Leben und ist beschämt ob der „Niederlagen seines Lebens“ (S. 273, Z. 4). Es zeigt sich, dass er sein Leben verlebt hat, Träume und Wünsche hat, die er nicht verwirklichen konnte. Auch sein letzter Traum erfüllt sich nicht: Er will seinen Sohn die Treppe hinaufkommen sehen und den „Film seines Lebens“ sehen (S. 280/1). Diese letzte Situation spiegelt in gewisser Hinsicht sein Leben wieder, die Hoffnung, zerschlagen durch Hilflosigkeit und die Enttäuschung darüber, nicht das erreicht zu haben, was er sich vorgenommen hatte. Charakterisierung: Der Kanadier Der Kanadier, der Partner des Deutschen, ist Ingenieur und Geschäftsmann, der in einer Menschenrechtsorganisation engagiert ist. Er hat eine Frau und 4 Kinder und beginnt während des Abendessens Fotos seiner Familie zu zeigen, worauf die anderen ebenfalls ihr Familienfotos zeigen mit Ausnahme des Deutschen, der keine Fotos hat (S. 260). Er redet viel und ist im Gegensatz zum Deutschen eher extrovertiert (S. 260, Z. 27 ff.). Er geht anderen Leuten auf die Nerven, was auch in der Geschichte ein paar Mal deutlich wird (S. 271, Z. 20; S. 277, Z. 21). Der Kanadier ist Alkoholiker, er hat Whiskey dabei und betrinkt sich auch während der Fahrt in ihre Einsatzprovinz regelmäßig (S. 270). Obwohl er aus Amerika nach Kanada ausgewandert ist, da er mit Waffen nichts zu tun haben wollte, kennt er sich sehr gut mit diesen aus und erkennt bereits am Schuss, um welche Waffe es sich handelt (S. 263/271/72). Als der Deutsche und der Kanadier nachts Schüsse hören, ist sich der Kanadier sicher, dass es sich um die Waffe des Comandante handelt und nicht um die des Offiziers, wie es der Comandante behauptete. Er beginnt zu dem Zeitpunkt Misstrauen gegen die beiden Führer ihrer Fahrt zu entwickeln. So schlägt er dem Deutschen vor, dass beide zusammen versuchen sollen zu fliehen. Als der Deutsche dagegen zu argumentieren versucht, beharrt der Kanadier auf seiner Meinung (S. 274). In beiden Fällen ist er äußerst stur und lässt sich von seinem Gedanken nicht abbringen. Nachdem er sich mit dem Comandante am Folgetag gestritten hat, da er zurückfahren will, dieser aber nicht einwilligte, greift er die Waffe des Deutschen und bedroht den Offizier. Daraufhin wird er erschossen (S. 277/78), wobei nicht klar wird, wer schießt. Die Aussage der Geschichte Oberflächig betrachtet ist die Aussage der Kurzgeschichte „Der Sohn“, dass man immer damit rechnen muss, dass man sterben kann ohne sich vorher von besonders nahe stehenden Menschen verabschiedet zu haben. Dieser Eindruck wird aber der Geschichte nicht ganz gerecht. Es geht vor allem darum, dass ein Vater erkennen muss, dass er eine sehr schlechte Beziehung zu seinem Sohn hat. Der Vater erkennt seine Schuldgefühle, die er seit der Wegnahme seines Sohnes durch den Geliebten seiner Frau immer erfolgreich verdrängt hatte. Er muss erkennen, dass er ein Mensch ist, der nie bereit war, um etwas oder um seinen Sohn zu kämpfen. Er war immer ein Meister von faulen Kompromissen. Seine Vorstellung, ein Vater zu sein, wie er es gerne gewesen wäre, bleibt nur ein Traum. Die Geschichte macht deutlich, dass man vor seinen Schuldgefühlen auf Dauer nicht weglaufen kann. Ein weiterer Aussageaspekt in dieser Geschichte besteht in der Tatsache, dass der Vater erkennen muss, dass sein Leben bedeutungslos und farblos abgelaufen ist. Denn der von ihm erwartete Film seines Lebens, der angeblich in den letzten Lebensminuten immer abläuft, bleibt aus. Bernhard Schlink „Liebesfluchten“ - Die Frau an der Tankstelle Verfasser: Sophie Engels – Sarah Jokisch - Daniel Rupperath 1 Inhalt „Die Frau an der Tankstelle“ Eine der sieben Kurzgeschichten trägt den Titel „Die Frau an der Tankstelle“. Hierbei geht es um einen älteren Mann, der die fünfzig schon überschritten hat. Er lebt mit seiner Frau in einer routinierten und auf Ritualen aufgebauten Ehe. Die Liebe der beiden ist erkaltet und ihre Ehe zwar funktionsfähig, aber nicht die tiefgründige Erfüllung des persönlichen Glücks und der Sehnsüchte des Einzelnen. Daher besteht weder eine leidenschaftliche, noch eine körperliche Liebe zwischen den beiden Ehepartnern. Erst nachdem sie sich darüber einig sind, ihre Goldene Hochzeit nicht zu feiern, können beide wieder frei und erleichtert miteinander sprechen und geben ihrer gemeinsamen Liebe eine zweite Chance. Dabei planen sie eine Art „zweite Hochzeitsreise“ nach Amerika, um ihre Liebe zu erneuern, die sie mit dem erstmaligen sexuellen Kontakt nach langer Zeit besiegeln. Auf dieser gemeinsamen Reise ereignet sich dann der Wendepunkt, auf den schon von Anfang an hingearbeitet wird und in dessen Zusammenhang auch der Titel der Geschichte steht. Als die beiden bei einem Ausflug über eine abgelegene, lange Straße fahren, scheint ein langjähriger Traum des Mannes in Erfüllung zu gehen. In diesem Traum, der sich seit seinem fünfzehnten Lebensjahr täglich wiederholt, stellt er sich vor, durch eine weite Ebene zu fahren und an einer Tankstelle zu halten. Dort tritt eine Frau heraus, die sein Auto tankt und mit ihm Geschlechtsverkehr hat. Er kann die Zukunft mit dieser Frau vor sich sehen. In der Realität trifft das Ehepaar tatsächlich auf einer Tankstelle eine einsame Frau an. Alles ist genau wie im Traum, nur kann sich der Mann nicht dazu entschließen, seine Frau zu verlassen, um in ein neues Leben mit der Frau an der Tankstelle einzutreten. So verlässt er hektisch die Tankstelle und setzt mit seiner Frau die Reise fort. Doch das Geschehene überwältigt ihn und er bittet seine Frau, ihn aussteigen zu lassen. Eine Erklärung gibt er ihr nicht und sie fährt nach einigem Zögern tatsächlich ohne ihn weiter. Er mietet sich ein Zimmer und betrinkt sich. Schlussendlich befindet sich der Mann am Meer wieder und genießt seine neu gewonnene Freiheit. 2 Gestalterische Merkmale, Erzählstil und Sprache Bei der Analyse der Gestaltung des Textes erscheint es angebracht, die Formmerkmale einer Kurzprosa mit einzubeziehen und in dem Text auf bestimmte Elemente der Kurzgeschichte hinzuweisen. Hierbei lassen sich bestimmte Kriterien festlegen. So beginnt die Geschichte mit einem völlig unmittelbaren Einstieg. Die ersten Worte lauten: „Er wusste nicht mehr, ob…“ (Kapitel 1, Zeile 1). Die Frage nach dem wer bleibt für den Leser zunächst lange Zeit ungeklärt. Er findet sich sofort mitten im Leben eines anderen Menschen wieder. Die Einleitung, die man als das erste Kapitel der siebten Geschichte bezeichnen kann, ist gerade mal auf eine Seite begrenzt, dennoch erfährt der Leser Dinge, die für das Verständnis der fortlaufenden Geschichte ausreichen. Insgesamt hält sich die Geschichte vom Umfang her sehr kurz und beläuft sich auf 25 Seiten, die allerdings in etwa für Kurzgeschichten untypische Kapitel unterteilt werden. Es wird nur ein relativ kurzer Lebensabschnitt einer Person beschrieben, in der sich diese mit der Lösung eines alltäglichen Problems auseinander setzen muss. Dies ist eine Art Krise, in der der Protagonist nach einem Ausweg sucht. Es endet schließlich in einer Katastrophe, in die er durch eine zuvor gefällte Entscheidung, zu der er zwangsläufig gezwungen wird, hineingerät. Dabei bildet die Person, bzw. in diesem Fall die zwei Hauptpersonen, keinen fragmentarischen Charakter, sondern sie werden ausführlich charakterisiert (Kapitel 3). Der Erzähler tritt als auktorialer, allwissender Erzähler auf. Er kennt die Gefühlslage und die Gedankengänge der Menschen, beschreibt sie allerdings nicht emotional, sondern bleibt nüchtern in seiner Betrachtung und distanziert sich somit. So schreibt er zum Beispiel: „Auf sie wirkte sein Charme nicht mehr. Zuerst dachte sie…“(Kapitel 3, Abschnitt 3). Er kann sich in die Personen hineinversetzten und aus ihrem Blickwinkel ebenfalls das Verhalten oder die vermuteten Gefühle der anderen Person ablesen. Insgesamt hält sich der Autor überwiegend an ein neutrales Erzählverhalten. In einer anderen Geschichte verwendet er sogar die IchPerspektive. Der Inhalt der Geschichte bildet allerdings eine Ausnahme der Kurzprosa, da er nicht realistisch wirkt. Schließlich geht es um einen Traum, den ein Mann seit seiner Kindheit träumt und der letztendlich, zumindest zum Teil, in Erfüllung geht. Das hat schon eher etwas Mystisches an sich. Einen zentralen Ort des Geschehens gibt es nicht, allein schon aufgrund der Reise, die das Ehepaar unternimmt. Zu Beginn spielt die Geschichte vermutlich in Deutschland. Später wird eine Reise durch Kanada geplant und auch durchgeführt. Die Umgebung spielt für die Geschichte daher eher eine geringe Rolle. Die Erzählung ist von einem roten Leidfaden durchzogen. Es gibt keine Einschübe in Form von Retrospektiven oder Exkursionen. Die Hauptperson, der Mann, befindet sich allerdings häufig in einem Bewusstseinsstrom, vielleicht sogar in einer zukunftsweisenden Art. Dieser lineare Handlungsverlauf äußert sich besonders in der Spannungskurve. Hierzu ist zu sagen, dass es zwei Erzählebenen gibt. Einmal wird der Traum, also etwas Unerfassbares, beschrieben und danach das wahre Leben, also die Realität. Die Linearität wird ganz deutlich an Hand der fortlaufenden Geschichte. Ist der Traum beschrieben, so geht es mit dem Leben in der Ehe weiter. Spannungen in dieser Ehe werden aufgebaut, bis es zum gemeinsamen Bruch kommt. Man spricht sich aus, versucht einen Neuanfang, der nicht gelingen kann und zum Scheitern verurteilt ist, bis es zum Wendepunkt kommt, der nicht mit dem Höhepunkt zusammenfällt, was besonders wichtig erscheint. Der Traum wird wahr und auf Grund des Entscheidungszwangs des Individuums wird eine baldige Entscheidung unabdingbar. Auf Grund dieser Konfrontation mit der plötzlichen Situation bleibt der Hauptperson keine Wahl, als davon zu laufen und zu versuchen einer endgültigen Entscheidung aus dem Weg zu gehen, um das bisherige Leben wieder aufzunehmen. Doch der Höhepunkt folgt dann, als der Mann sich entschließt, aus dem Auto auszusteigen und seiner Frau und somit seinem alten Leben, das er aus seiner Sicht all die langen Jahre umsonst gelebt hat, den Rücken kehrt. Jetzt ist er bereit für einen Neuanfang und endgültig frei, aber auch verlassen. Dies bildet dann die Schlusspointe. Ein wirkliches Ende gibt es nicht. Der Schluss bleibt vielmehr offen und der Lesen kann die Geschichte für sich selbst zu Ende bringen, schließlich gibt es ja auch im echten Leben nicht immer das ersehnte und erwartete „Happy End“. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Für den Protagonisten schließt die Story mit einer Katastrophe ab. Weder konnte der Mann ein neues Leben, so wie er es sich erträumt hat, beginnen, noch hat er mit seinem alten Leben richtig abschließen können, da er auf die Wiederkehr seiner Frau hofft. Selten gibt es hier und da einen Zeitsprung, wo etwas ausgelassen wird, was für die eigentliche Geschichte nicht wichtig ist. Wichtige Fakten oder lange Vorgänge werden häufig in einer Zeitraffung kurz, schnell und präzise beschrieben. Jeder neue Handlungsstrang wird durch einen Absatz und darauf folgendem Abschnitt eingeleitet. Auffällig sind die retardierenden Momente, zum Beispiel durch Wiederholungen desselben Vorgangs. So wird oft beschrieben, dass der Mann es liebt, wenn seine Frau auf ihn zugegangen kommt, oder dass er ihr gerne beim Schlafen zusieht. Aber nicht nur ganze Vorgänge werden wiederholt. Schlink nennt oft in aufeinander folgenden Sätzen dasselbe Verb oder auch Subjekt. Dies zeigt sich besonders in dem parallelen Satzbau, den der Autor zur Genüge verwendet. Die wenigen Dialoge des Romans sind sehr gedehnt. Doch es ist nicht die Menge des Gesprochenen, die die Länge ausmacht, sondern auch die vielen Einschübe, in denen Vorgänge beschrieben werden. Dabei wird auch oft die erlebte Unterhaltung durch den Erzähler zusammengefasst oder in einen inneren Monolog eingebracht. In den wenigen Dialogen fällt besonders das kurze Frage-Antwort-Spiel zwischen den Sprechern ins Auge. Auch die elliptische Sprechweise und der parataktische Satzbau stechen hervor. Ansonsten ist der Text im Großen und Ganzen hypotaktisch verfasst, wobei es gezielte parataktische Einschübe gibt. Die Unsicherheit des Ichs äußert sich am stärksten in den Bewusstseinsströmen des Individuums. Diese Seelenlandschaft, die der Autor in Sentenzen versucht darzustellen, unterstreicht er mit markanten Fragen, die sich die Person in dieser Situation stellt und auf die sie eine Antwort finden muss. Hierzu trägt auch das Gegenüberstellen verschiedener Gedankengänge und Handlungsmöglichkeiten bei. Außerdem erfährt der Leser immer wieder sinnliche Eindrücke, die die Personen erhalten, wie zum Beispiel „er roch den strengen Geruch ihres Schweißes und hörte ihren pfeifenden Atem“ (Seite 289, oben). 3. Die Figuren Die in Bernhard Schlink verwendeten Protagonisten sind ein Mann, Ende Fünfzig, und seine Ehefrau, die Professorin in der Forschung ist. Sie haben zusammen drei Kinder. Der Alltag sowie die Ferien und die Freizeit des Ehemannes sind begleitet von einer dauerhaften Angespanntheit und Ungeduld, die er nicht ablegen kann ( S. 286, Z. 23 f. ). Er ist glücklich, dass er so eine schöne Frau an seiner Seite hat und sieht gerne ihre Gestalt und wie sie auf ihn zugeht ( S. 298, Z. 17 ). Seine Frau hingegen ist diejenige, die die Entscheidungen in der Beziehung trifft ( S. 195, Z. 10 ), die sich über Kleinigkeiten freut, die die Herbere von beiden ist. Der Umgang des Ehepaares untereinander ist sehr diszipliniert und von Ritualen geprägt, ihr Alltag lässt demnach wenig Raum für Spontaneität, obwohl die Frau von dieser Eigenschaft an ihrem Mann begeistert ist. Dies erkennt man an ihrem gemeinsamen Ausflug, den sie ans Meer machen. Beide stehen in einer Plastikfolie um sie herum geschlungen dort im Regen, als ihr Mann alleine und ungeplant ans Wasser und auch hinein geht. Doch er ist eher erschrocken und verlegen über sein Handeln ( S. 297, Z. 18 f. ). Zwischen den beiden Ehepartnern besteht kein erfülltes Liebesleben mehr, sie haben das Ritual des Miteinander – Schlafens aufgegeben, da keiner von beiden mehr einen ersten Schritt machte. Sie bleiben weiterhin in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer wohnen, da keiner der beiden die bestehenden äußeren Rituale des Ausziehens, Einschlafens, Aufwachens und Aufstehens aufgeben möchte. Hier wird das ritualisierte Leben ohne Spontaneität deutlich ( S. 288, Z. 30 f. ) Seit der Jugendzeit des Mannes begleitet ihn beinah täglich der Traum von einer Frau an der Tankstelle. Als er mit seiner Frau die Reise durch Kanada antritt, treffen sie tatsächlich auf eine Tankstelle, aus der eine Frau heraustritt. Diese Situation erinnert ihn stark an seinen Traum und er ist sofort von ihrer Schönheit fasziniert ( S. 300, Z. 5 ). Er möchte mit dieser fremden Frau zusammen sein Leben teilen. Er ist sich bewusst, wie verrückt es ist, sich gegen seine Frau zu entscheiden für eine ihm Fremde. Dennoch überlegt er lieber verrückt zu sein, anstatt vernünftig und traurig zu bleiben ( S. 303, Z. 1 ). Er entscheidet sich dann aber für seine Frau. Als er beginnt, an ihre Freude über Kleinigkeiten, ihre Zutraulichkeit und ihre freudige Art zu denken, fahren sie los. Ihm ist, als müsse er sich selbst überzeugen, dass er das Richtige tue. Doch ihm kommen Zweifel und er entscheidet sich schließlich gegen das Zusammenleben mit seiner Frau und für das Unbestimmte. Diese Entscheidung trifft er ungeplant, spontan und ohne zu wissen, was sich ergibt. Intention Bernhards Schlinks Leitintention in „Liebesfluchten“ ist wohl die Frage nach der richtigen zwischenmenschlichen Beziehung. Wie wichtig ist das Miteinander? Und wie wichtig ist ein „Ich“ im „Wir“? In „Die Frau an der Tankstelle“ werden gerade diese Fragen behandelt, jedoch weiß Schlink sich auf eine Art auszudrücken, die es dem Leser schwer macht, bei erstem Lesen die wirkliche Intention auszumachen. Erst nach einiger Reflektion über den Protagonisten und dessen Beziehung zu sich und seiner Frau erkennt der Leser die wirkliche Problematik. So wird der Mann als unzufrieden mit sich selbst und krankhaft routiniert beschrieben, wobei dem Leser nicht vermittelt wird, was die Ursache diese Unzufriedenheit ist. Die Ehe und die Liebe zu der Frau sind für den Protagonisten nicht ausreichend, es scheint gerade so, als ob sein Inneres keine zwischenmenschlichen Beziehungen zulassen könne. Beim Wendepunkt der Geschichte scheint diese Beklemmung ein Ende zu finden, doch auch hier flüchtet er zurück in das Gewohnte. Für den Leser ist das Handeln des Mannes gar missverständlich, so ist sein großer Traum zum Greifen nah und könnte für ihn die Lösung aller Probleme sein, zieht er ihm die doch innerlich so verhasste Alltäglichkeit vor. Wie kommt es jedoch zu diesem Entschluss des Mannes? Erst nach einem Gefühlsausbruch seinerseits und der eigenen Schuldgebung an der misslungenen Ehe schafft er es, den Bann der Routine zu brechen, und er verlässt seine Frau. Welche Bedeutung diese Handlung für den Mann und seine Zukunft hat, ist ungewiss. So gibt Schlink jedoch abschließend einen Hinweis und endet mit „er hatte unendlich viel Zeit“. Das Ende lässt viele Fragen offen, deren Beantwortung nur zu Spekulationen führen würde, eins ist jedoch deutlich: Nur derjenige, der mit sich selbst zufrieden ist, ist in der Lage, einen anderen zu lieben.