Schwerbehindertenrecht Widder
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Schwerbehindertenrecht Widder
Bezirkskrankenhaus Günzburg Akademisches Krankenhaus für die Universität Ulm Schwerbehindertenrecht (SGB IX) Bernhard Widder Klinik für Neurologie und Neurologische Rehabilitation Überregionales Schlaganfallzentrum - Interdisziplinäres Schmerzzentrum 1/30 Entwicklung des Schwerbehindertenrechts 1953 Schwerbeschädigtengesetz für die Versorgung von Kriegsverletzten als Grundlage der weiteren Entwicklung 1974 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) zur “Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft”. Aufgrund der Anlehnung an das soziale Entschädigungsrecht zunächst MdE als Maßstab - allerdings ohne Kausalitätsbezug 1986 Neufassung des Schwerbehindertengesetzes. Ersatz der MdE durch den “Grad der Behinderung” (GdB) ohne Koppelung an das Arbeits- und Erwerbsleben, Wegfall der Prozentangabe. Zusätzlich “Nachteilsausgleiche” 2001 Überleitung des Schwerbehindertengesetzes in das SGB IX („ Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“) 2/30 1 Der Begriff der Behinderung im SGB IX § 2 SGB IX (1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Funktionsbeeinträchtigungen müssen vorliegen, also nicht erst in Zukunft zu erwarten sein, regelwidrig sein ist, d.h. von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen, nicht nur vorübergehend sein (> 6 Monate), und relevant sein, d.h. die Teilhabe am Leben beeinträchtigen (Grad der Behinderung wenigstens 10) 3/30 Weitere Begriffe des SGB IX § 2 SGB IX (2) Menschen sind … schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt …. (3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, … wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz … nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen). 4/30 2 Die Auswirkungen einer Behinderung Behinderung Grad der Behinderung (GdB) Nachteilsausgleiche (Merkzeichen) 5/30 Von den Anhaltspunkten zur VersMedV 1916 “Anhaltspunkte für die militärärztliche Beurteilung der Frage der Dienstbe-schädigung oder Kriegsbeschädigung“ 1983 “Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz” 2009 Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ der VersorgungsmedizinVerordnung (VersMedV) vom 1.12.2008 Internetversionen z.B. www.bmas.de Buchversion über Bundesministerium für Arbeit und Soziales 6/30 3 Grad der Behinderung (GdB) Welche Vorteile bringt ein „GdB“? GdB Vorteile < 30 keine Bedeutung 30-40 ggf. Anerkennung einer Schwerbehinderung im Rahmen der „Gleichstellung“, wenn ohne diese Hilfe kein geeigneter Arbeitsplatz zu erlangen oder zu behalten ist (vor allem bei Behörden und Großunternehmen) 50-60 1. 2. 3. 4. 70 erheblichere steuerliche Vorteile (auch Fahrtkosten) („Gleichstellung“ bei GdB von 50 und Merkzeichen „G“) 80-100 weitere steuerliche Vergünstigungen („Gleichstellung“ bei GdB von 70 und Merkzeichen „G“) frühere Berentung (60 bzw. 63 Jahre) Kündigungsschutz (nur mit Zustimmung Integrationsamt) Zusatzurlaub mäßige steuerliche Vorteile (570 EUR) 4 Allgemeine Regeln der GdB-Einschätzung (1) Für den GdB sind in der Regel nur Werte anzugeben, die durch 10 teilbar sind (10, 20, 30, 40 ….) Nicht als „Behinderung“ gewertet werden dürfen ... 1. physiologische Veränderungen des Alters (z.B. altersgemäße Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule oder Merkfähigkeitsstörungen), 2. folgenlos abgelaufene Krankheiten oder Funktionsstörungen (z.B. Commotio cerebri), 3. weniger als 6 Monate bestehende Funktionsbeeinträchtigungen, 4. Gesundheitsstörungen, die erst in Zukunft zu erwarten sind. Abweichungen der Bewertung von den in den “Versorgungsmedizinischen Grundsätzen” genannten GdB-Werten bedürfen einer ausführlichen Begründung 9/30 Allgemeine Regeln der GdB-Einschätzung (2) “Übliche seelische Begleiterscheinungen“ von Behinderungen oder “übliche Schmerzen“ bei entsprechenden Funktionsstörungen sind in den GdB-Werten der „Versorgungsmedizinischen Grundsätze” bereits berücksichtigt. Über das Übliche hinausgehende, außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen und/oder Schmerzen sind gesondert zu begründen. Außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen setzen voraus, dass eine “spezielle ärztliche Behandlung erforderlich ist” (nicht nur ab und zu leichte Psychopharmaka, Behandlung muss nicht tatsächlich durchgeführt werden !!!!!!). 10/30 5 Bildung des Gesamt-GdB Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB 10 bedingen, führen nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB Maßgebend für die Bildung des Gesamt-GdB sind die “Auswirkungen der einzelnen Behinderungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander”. Diese können 30 + 20 = 50 30 + 20 = 60 30 + 20 = 40 30 + 20 = 30 voneinander unabhängig sein (z.B. SHT + Beinlähmung), sich aufeinander besonders nachteilig auswirken (z.B. paarige Gliedmaßen), sich zum Teil überschneiden (Regelfall) sich gar nicht verstärken (z.B. Beinfraktur + Peroneus) Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Behinderungen sind Vergleiche mit Funktionsstörungen anzustellen, zu denen feste GdBWerte angegeben sind 11/30 Feste GdB-Werte für Vergleichsbewertungen GdB Zugehörige Funktionsstörung 100 • Schwerer Intelligenzmangel mit hochgradigem Mangel an Selbständigkeit und Bildungsfähigkeit • Unvollständige Halsmarkschädigung mit gewichtigen Teillähmungen beider Arme und Beine und Störungen der Blasen- und/oder Mastdarmfunktion • Vollständige Lendenmarkschädigung mit Plegie der Beine und Störungen der Blasenund/oder Mastdarmfunktion • Vollständige Lähmung von Arm und Bein (Hemiplegie) • Verlust beider Arme oder beider Beine im Oberschenkel 80 • Störung des Gleichgewichts mit Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen oder zu stehen • Verlust beider Beine im Unterschenkel • Vollständiger Ausfall des Armplexus oder des Plexus lumbosacralis 70 • Verlust eines Armes im Oberarm oder im Ellbogenbereich 60 • Verlust eines Armes im Unterarm mit kurzem Stumpf • Vollständiger Ausfall des unteren Armplexus oder des (proximalen) N.ischiadicus 50 • Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung • Artikulationsstörung mit unverständlicher Sprache • Verlust einer Hand oder vollständiger Ausfall des oberen Armplexus • Verlust eines Beins im Unterschenkel • Vollständiger Ausfall der Unterschenkel- und Fußmuskulatur (distaler N.ischiadicus) 6 GdB-Werte bei Hemiparesen obere Extremität untere Extremität Plegie bzw. völlige Gebrauchsunfähigkeit Plegie, allenfalls Stehen für Transfer möglich Gehfähigkeit für kurze Strecken Arm/Hand unterstützend zu gebrauchen Gehfähigkeit selbständig für kurze Strecken GdB/MdE Gehfähigkeit nur leicht behindert Arm/Hand im täglichen Leben einsetzbar, jedoch Feinmotorikstörung Gehfähigkeit selbständig für kurze Strecken Gehfähigkeit nur leicht behindert Ggf. zusätzlich zu berücksichtigen: Aphasie Hemineglekt und/oder Apraxie symptomatisches Anfallsleiden organisches Psychosyndom 100 80-90 70-80 60-70 40-50 30-40 30-100 30-100 30-100 30-100 .... 13/30 Sonderfall „Heilungsbewährung“ Hirntumoren Gutartige Tumoren: GdB je nach Schaden WHO Grad II: GdB min. 50 WHO Grad III/IV: GdB min. 80 Heilungsbewährung von 5 Jahren nur nach Entfernung eines malignen Kleinhirntumors des Kindesalters (z.B. Medulloblastom). Bei geringer Leistungsbeeinträchtigung dabei GdB 50 Anfallsleiden (und analog z.B. Multiple Sklerose mit Therapie) nach 3 Jahren Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung verbleibender GdB 30 nach 3 Jahren Anfallsfreiheit ohne Antikonvulsiva kein GdB mehr Die früher vorgesehene Heilungsbewährung bei der schubförmig verlaufenden MS ist entfallen 14/30 7 Nachteilsausgleiche Merkzeichen B, G, aG, RF, H, (BI, Gl) Merkzeichen „G“ (1) Definition Vorteile (1) Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr Freifahrt im öffentlichen Nahverkehr 1. bei Hilflosigkeit (Merkzeichen („H“) 2. bei eingeschränkter Gehfähigkeit, bei Funktionsstörungen der LWS oder Gliedmaßen mit GdB 50, bei Claudicatio spinalis mit GdB 40, bei ausgeprägten psychogenen Gangstörungen, wenn Simulation und Aggravation auszuschließen sind, wenn eine Wegstrecke von etwa 2 km nicht in einer halben Stunde zurückgelegt werden kann, • • örtliche Besonderheiten sollen unberücksichtigt bleiben, nicht die schmerzfreie Gehstrecke ist entscheidend 16/30 8 Merkzeichen „G“ (2) 3. bei zerebralen Krampfanfällen wenn hierdurch im Straßenverkehr Gefahren für sich oder andere auftreten, bei im allgemeinen wenigstens mittlerer Anfallshäufigkeit (in Abständen von Wochen), bei tagsüber auftretenden Anfällen mit Bewusstseinsstörung. 4. bei Orientierungsstörungen wenn ausgeprägte Sehbehinderungen (z.B. Hemianopsie) bestehen, wenn Aphasien vorliegen, die einen GdB von 70-80 bedingen, wenn eine geistige Behinderung mit einem GdB von im Allgemeinen 80-90 besteht. 17/30 Merkzeichen „B“ Definition Vorteile Ständige Begleitung ist bei Schwerbehinderten notwendig, wenn die Voraussetzungen für die Merkzeichen ”G” oder ”H” vorliegen, und die Betroffenen zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson oder eine Hundes in öffentlichen Verkehrsmitteln. Gefahren müssen lediglich ”möglich” sein, sie brauchen weder mit Sicherheit einzutreten noch wahrscheinlich zu sein. Zu berücksichtigen ist nicht nur die Beförderung selbst, sondern auch der Weg dorthin (z.B. Treppe am Bahnhof). ”Regelmäßig” bedeutet nicht, dass dies ”immer” sein muss (z.B. alt bekannte Strecken bei Alzheimer-Betroffenen) 18/30 9 Merkzeichen „aG“ (1) Definition: Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu gehören Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen ... oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Vorteile: Benutzung von Behindertenparkplätzen 19/30 Merkzeichen „aG“ Das Merkzeichen ”aG” bezieht sich nur auf Einschränkungen der Gehfähigkeit und nicht auf andere Bewegungsbehinderungen (z.B. Orientierungsstörungen, Anfallsleiden). Der Leidenszustand muß ... die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken. Orientierung an der Gehstrecke: Eine außergewöhnliche Gehbehinderung ist anzunehmen, wenn ”die schmerzfreie Gehstrecke deutlich unter 50 m liegt”. Orientierung an der Behinderung bei Hemiplegikern: Personen mit gebrauchsunfähigem Arm (= ”armamputiert”) und einer verbliebenen Gehfähigkeit von einigen hundert Metern (= ”einseitig oberschenkelamputiert”). Doppelunterschenkelamputierte kommen generell nicht als Vergleichsmaßstab bei Analogschlüssen in Betracht (BSG-Urteil). 20/30 10 Merkzeichen „aG“ - Bayern-aG (2) Schwerbehinderte, bei denen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ nicht vorliegen, aber … GdB 80 für Funktionsstörungen an unteren Gliedmaßen oder der LWS und Merkzeichen „G“ und „B“¨ GdB 70 für Funktionsstörungen an unteren Gliedmaßen oder der LWS und Merkzeichen „G“ und „B“ und GdB 50 für Funktionsstörungen des Herzens und der Atmungsorgane 21/30 Merkzeichen „aG“ - Urteile (1) BSG vom 03.02.1988 – 9/9a RVs 19/86 Ein Schwerbehinderter kann nicht deshalb als außergewöhnlich gehbehindert anerkannt werden, weil normale Parkplätze ihm das beim Ein- und Aussteigen aus seinem PKW erforderliche vollständige Öffnen der Wagentüre nicht oder nicht ungefährdet ermöglichen. BSG vom 19.01.1992 – 9a RVs 4/92 Auch häufig auftretende Anfälle, die zur Bewegungsunfähigkeit führen, rechtfertigen „aG“ nicht, da sie nicht ständig auftreten. Eine Gleichstellung kommt nur in Betracht, wenn der Anfallskranke wegen gleich bleibender Anfallshäufigkeit ständig auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Auch die ständige Gefahr, einen Anfall zu erleiden, reicht nicht aus. BSG vom 13.12.1994 – 9 RVs 3/94 Der Nachteilsausgleich „aG“ steht Behinderten nicht zu, die wegen eines Anfallsleidens oder wegen Störungen der Orientierungsfähigkeit zwar nur unter Aufsicht gehen können, aber nicht auf einen Rollstuhl angewiesen sind. BSG vom 11.03.1998 – B 9 SB 1/97 R Auch die Gefahr einer Verschlimmerung kann den Nachteilsausgleich „aG“ rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn medizinisch feststeht, dass der Schwerbehinderte zur Vermeidung überflüssiger Gehstrecken in der Regel einen Rollstuhl benutzen soll, um der baldigen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes vorzubeugen. 11 Merkzeichen „aG“ - Urteile (2) BSG vom 10.12.2002 – B 9 SB 7/01 R Nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften kommt es nicht darauf an, welche Wegstrecke ein Schwerbehinderter außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewältigen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung – praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an – erfüllt, qualifiziert sich für den Nachteilsausgleich „aG“ auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Bay. LSG vom 05.10.2004 – L 18 SB 45/04 Bei der Frage, ob ein behinderter Mensch außergewöhnlich gehbehindert ist, kommt es nicht immer darauf an, welche Restgehstrecke ihm tatsächlich verblieben ist. Wenn der behinderte Mensch nämlich nicht so stark beeinträchtigt ist, dass ihm schon auf den ersten Metern eine Fortbewegung nur mit großer körperlicher Anstrengung möglich ist, scheidet die Feststellung des Nachteilsausgleichs aus. LSG Rheinland-Pfalz vom 19.07.2005 – L 4 SB 54/05 Begründen die festgestellten Funktionseinschränkungen für sich nicht das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung, sondern verursacht erst das Hinzutreten einer Adipositas per magna die Geheinschränkung, sind die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „aG“ nicht erfüllt. Das Gehen mit einem Rollator ist rechtlich der Fortbewegung mit fremder Hilfe nicht gleichzustellen. Merkzeichen „aG“ - Urteile (3) BSG vom 29.03.2007 – B 9/9a SB 5/05 R Es reicht für die Bejahung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht aus, dass der Kläger auf Fußwegstrecken von etwa 100 m – unter Umständen sogar mehrfach – pausieren muss. Vielmehr kommt es insbesondere darauf an, ob er sich nur unter großen körperlichen Anstrengungen zu Fuß fortbewegen kann. BSG vom 05.07.2007 – B 9/9a SB 5/06 R Bei der Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „aG“ sind Schwierigkeiten beim Verlassen des Kraftfahrzeugs nicht zu berücksichtigen, zumal sie von der Art und Ausstattung des Fahrzeugs abhängen. Es kommt allein darauf an, ob sich der behinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. 12 Merkzeichen „RF“ (1) Definition Sehbehinderte (GdB 60) und Hörgeschädigte (GdB 50) sowie Personen mit einem GdB von 80, die aufgrund ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig und umfassend nicht teilnehmen können. Das Merkzeichen soll ”Behinderten ein Mindestmaß an Informationen und Abwechslung zu bieten, um sie vor kultureller Verödung zu schützen”. Vorteile Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht und Gebührenermäßigung beim Telefon. 25/30 Merkzeichen „RF“ a) Behinderte mit schweren Bewegungsstörungen ► wenn der Behinderte trotz Begleitperson und technischer Hilfsmittel ständig an die Wohnung gebunden ist, maßgeblich ist, ob der Behinderte passiv als Zuschauer oder Zuhörer sitzend oder stehend an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann, es reicht nicht aus, lediglich an einzelnen Veranstaltungen (z.B. Massen-veranstaltungen) nicht teilnehmen zu können, ► wenn dem Behinderten nur ganz wenige Veranstaltungen zugänglich sind, deren Art und Anzahl ”nicht nennenswert” und im Verhältnis zu anderen Veranstaltungen als ”geringfügig” zu werten sind, 26/30 13 Merkzeichen „RF“ b) Behinderte, die auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken ► bei motorischer Unruhe oder aggressivem Verhalten, ► bei schwerer Entstellung, Geruchsbelästigung, häufigen hirnorganischen Anfällen, groben unwillkürlichen Kopf- und Gliedmaßenbewegungen sowie lauten Atemgeräuschen (z.B. Tracheostoma), der Begriff der ”Unzumutbarkeit” soll nicht besonderen Empfindlichkeiten der Gesellschaft, sondern dem Behinderten und seiner Menschenwürde Rechnung tragen, die funktionsgerechte Benutzung üblicher Hilfsmittel (z.B. Tragen von Windelhosen) stellt keine Verletzung der Menschenwürde dar, bei geistig Behinderten ist es unerheblich, ob sie überhaupt imstande sind, die Darbietungen zu erfassen oder zu verfolgen, es kommt nicht darauf an, ob der Behinderte wegen seiner Affektlabilität emotional belastende Veranstaltungen meidet. 27/30 Merkzeichen „H“ Definition Hilflos im Sinne des SGB IX ist, wer 1. nicht nur vorübergehend 2. bei häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen 3. aus körperlichen und/oder psychischen Gründen 4. dauernd in erheblichem Umfang fremder Hilfe bedarf. Vorteile Steuerminderung (3.700 EUR), unentgeltliche Beförderung im Personennahverkehr, Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer, Gewährung von Pflegegeld, häusliche Pflegehilfe … 28/30 14 Merkzeichen „H“ (Hilflosigkeit) Hilflosigkeit Pflegebedürftigkeit Gesetzliche Unfallversicherung, Soz. EntPflegeversicherung schädigungsrecht, Schwerbehindertenrecht … wer … nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist … … wer … für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des tägliches Lebens auf Dauer … in erheblichem oder höheren Maße der Hilfe bedarf Welches Attribut ist „leichter“ zu erhalten? 29/30 Merkzeichen „H“ (Hilflosigkeit) Pflegebedürftigkeit Grundpflege Körperpflege Waschen, Zahnpflege, Darm- und Blasenentleerung Ernährung Nahrungsaufnahme Hauswirtschaft Mobilität Aufstehen u. Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Stehen und Gehen … Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung … Pflegestufe 1: min. 90 min Grundpflege / Tag Hilflosigkeit Grundpflege Körperpflege Waschen, Zahnpflege, Darm- und Blasenentleerung Ernährung Nahrungsaufnahme Geistige Anregung Mobilität Aufstehen u. Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Stehen und Gehen … Kommunikation Erfordernis der ständigen Überwachung Täglicher Zeitaufwand bei min. 3 Verrichtungen von min. 2 Stunden 15 Kasuistiken zu Merkzeichen 31/30 Merkzeichen aG - Orientierungsstörungen Anamnese: Ältere Sehstörung linkes Auge (GdB 30). In letzten Jahren zunehmende Gangunsicherheit, Gedächtnis- und Orientierungsprobleme, häufige Stürze. Kann nicht allein gelassen werden (läßt Herdplatten an) Derzeitige Einschätzung Sehminderung GdB 30 Herzminderleistung mit Bluthochdruck GdB 20 Hüftgelenksarthrose GdB 20 Verschleißerscheinungen der WS GdB 20 Gesamt GdB 60 Keine Merkzeichen. Klagt auf höheren GdB sowie „G“, „B“ und „aG“ Befund: Fortgeschrittene SAE mit unsicher-ataktischem Gangbild mit verbliebener Wegstrecke 200-300 m, Parkinsonoid, ausgeprägte Demenz. Im CT massive Innen- und Außenatrophie, Ultraschall generalisierter Gefäßprozess. Beurteilung: GdB 80 sowie “G”, “B”, jedoch nicht “aG” 32/30 16 Merkzeichen aG - reduzierte Gehstrecke Anamnese: 54jährige Ärztin für physikalische Medizin, in Rehabilitationsklinik tätig. Mit 9 Jahren Poliomyelitis, danach Parese linkes Bein, Versorgung mit Schienen-Hülsen-Apparat. In den letzten 10 Jahren Kraftverlust, schubförmig begonnen nach Infekt mit Muskelschmerzen. Laut stationärer Abklärung Fibromyalgie-Syndrom, kein Postpolio-Syndrom. Arbeitet ganztägig. Aktionsradius mit Krücken 20-30 m, hat Parkplatz am Haus, Arbeitsplatz ebenerdig. Derzeitige Einschätzung: GdB 80 + “G”, Klagt auf “aG” 33/30 Merkzeichen aG - Aussteigen aus dem PKW Anamnese: 74jähriger Rentner, vor 5 Jahren rechtshirniger Schlaganfall. erfolgter Nach Rehabilitation Gehfähigkeit 200-300 m, jedoch weiterhin komplette Plegie des Armes. Zusätzlich jetzt in letzten 2 Jahren dementieller Abbau, kann nicht alleine gelassen werden. Die 20 Jahre jüngere Ehefrau pflegt ihn. Derzeitige Einschätzung GdB 80, alle Merkzeichen außer „aG“. Klagt jetzt auf „aG“. Habe Probleme beim Aussteigen aus dem PKW und benötige hierbei Hilfe. Er brauche dazu jedoch genügend Abstand zum nächsten Auto, wie es diesen nur auf einem Behindertenparkplatz gebe. BSG vom 05.07.2007 – B 9/9a SB 5/06 R: Schwierigkeiten beim Verlassen des Kraftfahrzeugs sind nicht zu berücksichtigen, zumal sie von der Art und Ausstattung des Fahrzeugs abhängen. Es kommt allein darauf an, ob sich der behinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. aber … ev. Vergleich mit „armamputiert und einseitig oberschenkelamputiert“ 34/30 17 Merkzeichen RF Anamnese: Beim dem 47jährigen Angestellten bestehen nach einer Verletzung des linken Unterschenkels ein Muskeldefekt, trophische Störungen, eine Fußgelenksversteifung links sowie eine Schädigung des N. peronaeus und N. tibialisn. Zusätzlich reaktive Depression, seit Jahren bestehende Migräne und Wirbelsäulenbeschwerden aufgrund der Fehlhaltung beim Gehen. Derzeitige Einschätzung: Gesamt-GdB von 90 und Merkzeichen „G“. Geklagt wird auf Anerkennung des Merkzeichens „RF“. In der Begründung macht der Kläger geltend, dass er nach einstündigem Sitzen den linken Fuß hochlagern müsse und deshalb Veranstaltungen im Stehen, wie z.B. Eishockeyspiele, nicht besuchen könne. Autofahren und der Besuch von Veranstaltungen im Sitzen seien weiterhin möglich. Beurteilung: Im vorliegenden Fall wird zwar ein GdB von wenigstens 80 erreicht. Nach den Vorgaben der Anhaltspunkte genügt es aber nicht, wenn die Teilnahme an einzelnen Veranstaltungen nicht möglich ist. 35/30 Merkzeichen RF Anamnese: Bei der 56jährigen, frühzeitig berenteten Klägerin bestehen seit Jahren gemäß Unterlagen ein ausgeprägte neurotische Depression, eine Zwangsstörung, eine Somatisierungsstörung, Wirbelsäulenbeschwerden sowie Beschwerden an mehreren Gelenken. Es erfolgt eine Behandlung mit hochpotenten Neuroleptika. Derzeitige Einschätzung: Gesamt-GdB von 100 ohne Merkzeichen. Klage auf Merkzeichen RF. Befund: Bei der Untersuchung fanden sich ständige dystone, ticartige Bewegungen der Gesichts- und Halsmuskulatur sowie des gesamten Oberkörpers. In der Anamnese wurde außerdem eine ausgeprägte Angst vor Menschenansammlungen berichtet. 36/30 18