III. Grundsätze des Strafverfahrens 22 1. Allgemeine Grundsätze des
Transcription
III. Grundsätze des Strafverfahrens 22 1. Allgemeine Grundsätze des
Reemers publishing services GmbH H:/Soldan/StPO/3d/007 - Einleitung.3d from 07.12.2006 3B2 Version: 9.0.222; Page size: 240.00mm x 240.00mm Einleitung III. Grundstze des Strafverfahrens Literatur: Bçse, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Satzes „Nemo tenetur se ipsum accusare“, GA 2002, 98; Eschelbach, Gehçr vor Gericht, GA 2004, 228; Geppert, Der Grundsatz der freien Beweiswrdigung (§ 261 StPO), Jura 2004, 105; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 1974; Hassemer, Legalitt und Opportunitt im Strafverfahren – eine Skizze, FS zum 125jhrigen Bestehen der Staatsanwaltschaft Schleswig-Holstein, 1992, S. 529; Lderssen, Die strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts, ZStW 1973, 288; Stuckenberg, Die normative Aussage der Unschuldsvermutung, ZStW 1999, 422; Weigend, Unverzichtbares im Strafverfahrensrecht, ZStW 2001, 271. 22 1. Allgemeine Grundstze des Strafverfahrens. Unter den allgemeinen Grundstzen des Strafverfahrens wer- den hier solche verstanden, die fr alle Verfahrensstadien Geltung beanspruchen. Die speziellen Verfahrensgrundstze (vgl. Rn 33 ff.) betreffen hingegen in erster Linie bestimmte Verfahrensabschnitte.106 23 a) Offizialprinzip. Das sog. Offizialprinzip, das im Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 1 i.V.m. § 160 Abs. 1) eine einfachgesetzliche Ausprgung erfhrt, bedeutet, dass die Strafverfolgung grundstzlich (vgl. etwa §§ 155a, 155b, 374 ff., 395 ff., siehe Rn 131 f.) dem Staat und nicht dem einzelnen Brger obliegt. Historisch geht es auf die gezielte obrigkeitliche berwindung der Konfliktbewltigung durch die beteiligten privaten Parteien zurck.107 Hintergrund des staatlichen Strafverfolgungsmonopols ist einerseits das Bedrfnis nach Vermeidung von Selbstjustiz und andererseits die Gewhrleistung eines Verfahrens, das dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) gengt, indem es sowohl die Durchsetzung des çffentlichen Strafverfolgungsanspruchs als auch den Schutz der Rechte der von der Strafverfolgung betroffenen Personen gewhrleistet (vgl. Rn 4, 13). Das staatliche Strafverfolgungsmonopol korrespondiert mit dem Charakter des Strafrechts als çffentliches Recht, das die Verletzung der Rechtsordnung in der Person des oder der Geschdigten sanktioniert (vgl. Rn 1). 24 b) Selbstbelastungsfreiheit. Der Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder an der ei- genen Verurteilung mitzuwirken, wird als sog. nemo tenetur-Prinzip („nemo tenetur se ipsum accusare“ und „nemo tenetur se ipsum prodere“) bezeichnet. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung wrde die Menschenwrde berhren.108 Der nemo tenetur-Grundsatz hat in § 136 Abs. 1 S. 2 fr den Beschuldigten und in § 55 Abs. 1 fr den Zeugen eine einfachgesetzliche Ausprgung erfahren, gilt aber als bergeordneter Verfahrensgrundsatz.109 Anstzen, durch eine extensive Interpretation dieses Grundsatzes eine dogmatische Basis fr eine allgemeine Lehre der Beweisverbote zu schaffen, muss kritisch begegnet werden. Denn zum einen gibt es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz dergestalt, dass der Beschuldigte vor Selbstbelastungen jeglicher Art in Schutz genommen werden msste.110 Zum anderen ist der Beschuldigte zwar nicht zur aktiven Mitwirkung am Strafverfahren (z.B. durch die Mitwirkung an Tatrekonstruktionen, die Erstellung von Schriftproben oder die Abgabe einer Speichelprobe zum Zweck einer DNAAnalyse111) verpflichtet, wohl aber zur Duldung bestimmter Maßnahmen, die auch durch unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden kçnnen (z.B. die kçrperliche Untersuchung oder Entnahme einer Blutprobe nach § 81a, die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b oder die Durchfhrung einer Wahlgegenberstellung). Der Ansicht, dass das nemo tenetur-Prinzip auf das Verbot der zwangsweisen Preisgabe von Tatwissen, mithin auf den Schutz der geistig-seelischen Sphre des Beschuldigten zu beschrnken sei, kann von einem dogmatischen Standpunkt aus im Grundsatz zugestimmt werden.112 25 c) Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung, die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt113 und in Art. 6 Abs. 2 MRK gesetzlich verankert ist, besagt, dass niemand als schuldig behandelt werden darf, ohne dass in einem gesetzlich geregelten Verfahren seine Schuld nachgewiesen ist (nher Art. 6 MRK Rn 69 ff.).114 Die Unschuldsvermutung steht zwar nicht der Unzulssigkeit von Strafverfolgungsmaßnahmen entgegen, die ja erst die Klrung der Schuldfrage bezwecken; aus ihr folgt aber, dass entsprechend der Eingriffsintensitt der Strafverfolgungsmaßnahme ein be- 106 Die hier vorgenommene Unterscheidung deckt sich weitgehend mit der zwischen „verfassungsrechtlichen“ und „klassischen“ Prozessgrundstzen (vgl. LR/Rieß, Einl. H Rn 4 ff., 8), die mittlerweile terminologisch etwas veraltet erscheint; allgemein zu „unverzichtbaren“ Grundstzen des Strafverfahrens Weigend, ZStW 2001, 271; Heinrich, Jura 2003, 167. 107 Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, 1989, S. 93 m.w.N.; hervorzuheben ist hier das langobardische Edictus Rothari von 643 (vgl. Schçnfeld, Das Rechtsbewußtsein der Langobarden, 1934, S. 82 ff.; von Amira, Germanisches Recht, Band II, 4. Aufl. 1967, S. 172 ff.) und die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532. 108 BVerfGE 56, 37, 42, 49 = NJW 1981, 1431 ff.; BVerfGE 80, 109, 121 = NJW 1989, 2679, 2680. 10 Krekeler/Lçffelmann 109 Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998; Torka, Nachtatverhalten und nemo tenetur, 2000. 110 Vgl. BGHSt 42, 139, 156 = NJW 1996, 2940, 2943. 111 Meyer-Goßner, Einl. Rn 29a. 112 Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren. Ein Beitrag zur Konturierung eines berdehnten Verfahrensgrundsatzes, 2001. 113 BVerfGE 22, 254, 265 = NJW 1967, 2151, 2153; BVerfGE 82, 106 = NJW 1990, 2741. 114 BVerfGE 35, 311, 320 = NJW 1974, 26, 27; BVerfGE 74, 358, 371 = NJW 1987, 2427; BVerfGE 82, 106, 114 = NJW 1990, 2741; eingehend zum im Einzelnen umstrittenen normativen Gehalt der Unschuldsvermutung SK/Paeffgen, Art. 6 MRK Rn 175 ff.; Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, 1998; Stuckenberg, ZStW 1999, 422. Reemers publishing services GmbH H:/Soldan/StPO/3d/007 - Einleitung.3d from 07.12.2006 3B2 Version: 9.0.222; Page size: 240.00mm x 240.00mm Einleitung stimmter, ggf. erhçhter Grad des Tatverdachts vorliegen muss (nher zu den Graden des Tatverdachts Vorbem. zu § 94 Rn 4, § 112 Rn 10 ff. und § 152 Rn 5). Die Unschuldsvermutung endet erst mit der Rechtskraft der Verurteilung.115 Ein Anspruch des Beschuldigten darauf, ein Strafverfahren allein zu dem Zweck fortzufhren, seine Unschuld zu beweisen, kann aus der Unschuldsvermutung nicht hergeleitet werden.116 d) Grundsatz des gesetzlichen Richters. Der Grundsatz des gesetzlichen Richters ist in Art. 101 GG und in § 16 26 GVG ausdrcklich niedergelegt (vgl. auch Art. 6 MRK Rn 19 ff.). Dort heißt es: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden“. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhngig und unparteilich ist und der die Gewhr fr Neutralitt und Distanz gegenber den Verfahrensbeteiligten hat.117 Konsequenz dieses Grundsatzes ist die Notwendigkeit von abstrakten Zustndigkeitsregeln, sowohl in çrtlicher (§§ 7 ff.) und sachlicher (§§ 21a–140a GVG) Hinsicht als auch im Hinblick auf die Geschftsverteilung bei den jeweiligen Gerichten. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters kann nach § 338 Nr. 1 einen absoluten Revisionsgrund darstellen (nher § 338 Rn 2 ff.). Aus dem Grundsatz des gesetzlichen Richters folgt ferner die Notwendigkeit von Vorschriften, die die Ausschließung und Ablehnung eines Richters erlauben, wenn begrndete Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit bestehen (vgl. §§ 22 ff.).118 Mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters eng zusammen hngt der verfassungsrechtliche Grundsatz der richterlichen Unabhngigkeit (vgl. Art. 97 GG). e) Grundsatz des rechtlichen Gehçrs. Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat vor Gericht jedermann Anspruch auf recht- 27 f) Verhltnismßigkeitsgrundsatz. Der umfassende Geltungsanspruch des Grundsatzes der Verhltnismßigkeit kennzeichnet das Strafverfahrensrecht als „angewandtes Verfassungsrecht“ (vgl. Rn 2). Eine wichtige Konsequenz des Verhltnismßigkeitsgrundsatzes ist die ultima-ratio-Funktion des Strafrechts. Da das Strafrecht die einschneidendste Handhabe des Staates zur Beschrnkung der Freiheitsrechte seiner Brger darstellt, darf es im Hinblick auf etwaige mildere, ebenso geeignete Mittel – vorbehaltlich einer Einschtzungsprrogative des Gesetzgebers – nur subsidir Anwendung finden. Der Verhltnismßigkeitsgrundsatz ist bei allen Strafverfolgungsmaßnahmen mit Eingriffscharakter zu beachten. Ausprgungen dieses Grundsatzes finden sich in Form besonderer Subsidiarittsklauseln z.B. in § 81 Abs. 2 S. 2, § 98a Abs. 1 S. 2, § 100a S. 1, § 100c Abs. 1 Nr. 4, § 100f Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S.1 und S. 2, § 100g Abs. 2, § 100i Abs. 2 S. 1 und 2 § 110a Abs. 1 S. 3 und 4, § 112 Abs. 1 S. 2, § 120 Abs. 1 S. 1, § 163b Abs. 2 S. 2, § 163d Abs. 1 S. 1, § 163e Abs. 1 S. 2 und 3 und § 163f Abs. 1 S. 2 und 3 (vgl. auch Vorbem. zu § 94 Rn 6). Die Tendenz des Gesetzgebers, alle neu geschaffenen Ermittlungsbefugnisse mit einer derartigen besonderen Subsidiarittsklausel auszustatten, entwertet freilich deren Bedeutung als limitierendes Merkmal (zur Problematik der 28 liches Gehçr (vgl. auch Art. 6 MRK Rn 46).119 Dies bedeutet, dass jedem Betroffenen – nicht nur dem Angeklagten – Gelegenheit gegeben werden muss, sich dem Gericht gegenber zu den ihn betreffenden Sachverhalten zu ußern und dass das Gericht seine Ausfhrungen zur Kenntnis nehmen und in Erwgung ziehen muss.120 Art. 103 Abs. 1 GG ist zwar im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren nicht anwendbar, der Grundsatz des rechtlichen Gehçrs gilt aber als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips auch dort.121 Der Anspruch auf rechtliches Gehçr hat in der StPO einfachgesetzliche Ausprgungen in den §§ 33, 33a, 115, 118, 128, 136, 163a, 175, 201, 243 Abs. 2 und Abs. 4, §§ 257, 258, 265, 308 Abs. 1, § 311 Abs. 3, §§ 311a, 324 Abs. 2, §§ 326, 350, 351 Abs. 2 erfahren und ist auch in Art. 6 MRK verankert. Hervorzuheben ist auch das Akteneinsichtsrecht (vgl. §§ 147, 385 Abs. 3, §§ 406e, 474 ff.) als Ausprgung des Rechts auf rechtliches Gehçr (nher Art. 6 MRK Rn 44, 83).122 Ausnahmen von dem Grundsatz bestehen fr das Strafbefehlsverfahren (§ 407 Abs. 3), weil dort die Mçglichkeit des Einspruchs (§ 410) besteht, sowie dann, wenn die vorherige Anhçrung den Erfolg der Strafverfolgungsmaßnahme gefhrden wrde (§ 33 Abs. 4). In der Regel kann dies bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen angenommen werden (vgl. Vorbem. zu § 94 Rn 2). Der Anspruch soll verhindern, dass der Mensch zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht wird.123 Durch das am 1.1.2005 in Kraft getretene Anhçrungsrgengesetz124 wurde § 33a allgemeiner gefasst und § 356a neu eingefgt, um das Recht auf rechtliches Gehçr zu strken. 115 116 117 118 119 BVerfGE 35, 202, 232 = NJW 1973, 1226, 1230. BGHSt 10, 88, 93. BVerfG NJW 2005, 3410 m.w.N. Meyer-Goßner, Vor § 22 Rn 1. Eingehend zum normativen Gehalt des Grundsatzes Eschelbach, GA 2004, 228. 120 BVerfGE 60, 175, 210 = NJW 1982, 1579, 1582; BVerfGE 64, 135, 144 = NJW 1983, 2762, 2763; BVerfGE 65, 305, 307 = NJW 1984, 1026. 121 BVerfGE 101, 397, 405 = NJW 2000, 1709. 122 BVerfG NJW 1994, 3219; Kempf, StraFo 2004, 299, der zutreffend darauf hinweist, dass das durch Akteneinsicht ermçglichte rechtliche Gehçr eine wesentliche Bedingung fr den an die Organe der Strafrechtspflege gerichteten Auftrag der Wahrheitsfindung darstellt (302); zur Bedeutung im Ermittlungsverfahren Walischewski, StV 2001, 243. 123 BVerfGE 7, 53, 58 = NJW 1957, 1228; BVerfGE 9, 89, 95 = NJW 1959, 427. 124 BGBl I 2004, S. 3220; Huber, JuS 2005, 109; die Gesetznderung geht zurck auf die Plenarentscheidung BVerfGE 107, 395 = NJW 2003, 1924. Krekeler/Lçffelmann 11 Reemers publishing services GmbH H:/Soldan/StPO/3d/007 - Einleitung.3d from 07.12.2006 3B2 Version: 9.0.222; Page size: 240.00mm x 240.00mm Einleitung Kumulierung von Eingriffen nher Vorbem. zu § 94 Rn 8). Besondere Bedeutung entfaltet der Verhltnismßigkeitsgrundsatz auch im Hinblick auf die zeitlichen Schranken von Eingriffsbefugnissen.125 29 g) Vorbehalt des Gesetzes. Der verfassungsrechtliche Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes besagt, dass jeder hoheitlichen Maßnahme mit Eingriffscharakter eine einfachgesetzliche Befugnisnorm zugrunde liegen muss. Fr das Strafverfahren ist dieser Grundsatz deshalb von besonderer Bedeutung, weil sich die Ermittlungswirklichkeit nicht abschließend in bestimmten Verfahrensregeln abbilden lsst. Die Beweismittelgewinnung ist deshalb vom Grundsatz der freien Gestaltung des Ermittlungsverfahrens, die Beweiswrdigung durch den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswrdigung bestimmt. Durch das StVG 1999126 wurde ferner § 161 in eine – bis dahin in der StPO fehlende – Ermittlungsgeneralklausel umgestaltet (nher § 161 Rn 1, 13 ff.). Die Ermittlungsgeneralklausel rechtfertigt aber nur Maßnahmen mit geringer Eingriffsintensitt wie etwa die kurzfristige Observation. Besondere Maßnahmen sind ohne spezialgesetzliche Ermchtigungsgrundlage unzulssig, wobei im Detail vieles umstritten ist.127 Mit dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes eng zusammen hngt der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz.128 30 h) Grundsatz des fair trial. Die vorstehend genannten allgemeinen Verfahrensgrundstze berbrckend stellt der Grundsatz des fair trial, der in Art. 6 MRK (vgl. dort Rn 39 ff.) im Sinne eines Mindeststandards129 eine gesetzliche Ausgestaltung erfahren hat und verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet wird, ein Prinzip dar, das die grçßtmçgliche Optimierung verfassungsmßiger Werte durch das Verfahrensrecht verlangt.130 Beispiele: In schwerwiegenden Fllen muss dem Angeklagten auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 ein Pflichtverteidiger bestellt werden;131 Aussagen eines Zeugen vom Hçrensagen mssen besonders vorsichtig gewrdigt werden.132 Geheimhaltungsinteressen des Staates drfen dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen.133 Die gerichtliche Frsorgepflicht, die sich in Hinweis- (vgl. § 265, § 136 Rn 16) und Schutzpflichten (vgl. § 68 Abs. 2 und 3, § 68a, §§ 171b, 172 Nr. 2 GVG) konkretisiert, stellt eine der wichtigsten Ausprgungen des Anspruchs auf ein faires Strafverfahren dar.134 Der im angloamerikanischen Recht vorherrschende Gedanke des fair trial im Sinne einer „Waffen-Gleichheit“ zwischen Anklage und Verteidigung kann auf das deutsche Strafverfahrensrecht hingegen wegen dessen weniger kontradiktorischen Charakters nicht ohne weiteres bertragen werden.135 31 i) Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung. Da durch das Strafverfahrensrecht besonders tief in die Rechte der 32 Betroffenen eingegriffen wird, kommt dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung fr den gesamten Strafprozess große Bedeutung zu. Dieser Grundsatz, der zum Recht auf ein faires Verfahren gezhlt werden kann, erfhrt einfachgesetzliche Ausprgungen unter anderem in den §§ 115, 121, 128 f., 161a, 163 Abs. 2 S. 1, § 163a Abs. 3, §§ 222a, 222b, 229 Abs. 1 und 2, § 268 Abs. 3 S. 2 und ist auch in Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK (vgl. dort Rn 59 ff.) niedergelegt. Das BVerfG hat sich in jngerer Zeit hufiger mit Verstçßen gegen den Beschleunigungsgrundsatz, u.a. in Haftsachen,136 auseinanderzusetzen gehabt. Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzçgerungen mssen grundstzlich bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, z.B. im Rahmen der Strafzumessung, durch Beschrnkung der Strafverfolgung, Absehen von Strafe oder Einstellung des Verfahrens, bercksichtigt werden. Art und Umfang der Verzçgerung mssen durch das erkennende Gericht ausdrcklich festgestellt werden.137 Zu einem Verfahrenshindernis kann die Verzçgerung aber nur in extrem gelagerten Einzelfllen fhren (vgl. auch Rn 68).138 Der Beschleunigungsgrundsatz gebietet aber auch, exzessivem Prozessverhalten der Verteidigung zu begegnen, indem z.B. zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellte Beweisantrge erst in den Urteilsgrnden beschieden werden.139 Das im materiellen Strafrecht geltende Analogieverbot beansprucht nach h.M. im Strafverfahren keine Geltung.140 125 Nher Kropp, ZRP 2001, 404; vgl. ferner die Begrenzung der Anordnungsdauer in § 100b Abs. 2 S. 4, § 100d Abs. 1 S. 4–6, § 100i Abs. 4 S. 2; BVerfGE 96, 44, 54 = NJW 1997, 2165, 2166 (Durchsuchung), BVerfG NStZ 2005, 456 m.w.N. (U-Haft). 126 BGBl I S. 1253; BT-Drucks 14/1484. 127 Vgl. Perschke, Die Zulssigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden im Strafverfahren, 1997; Hilger, NStZ 2000, 564; Martensen, JuS 1999, 433. 128 Dazu BVerfGE 110, 33 = NJW 2004, 2213 m.w.N. 129 Meyer-Goßner, Art. 6 MRK Rn 4. 130 Steiner, Das Fairnessprinzip im Strafprozeß, 1995, S. 140 ff. m.w.N.; Roxin, § 11 Rn 11. 131 BVerfGE 46, 202 = NJW 1978, 151. 132 BVerfGE 57, 250 = NJW 1981, 1719. 133 BGHSt 49, 112 = NJW 2004, 1259. 134 Zu einzelnen Ausprgungen der Frsorgepflicht Marczak, StraFo 2004, 373. 135 BVerfGE 110, 226, 253 = NJW 2004, 1305, 1308 konkretisiert das Prinzip der „Waffengleichheit“ auf Informati- 12 Krekeler/Lçffelmann 136 137 138 139 140 onsrechte und das Recht des Beschuldigten auf Mitwirkung eines Verteidigers seiner Wahl; vgl. Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, 2000; Heubel, Der „Fair trial“ – Ein Grundsatz des Strafverfahrens?, 1981; LR/Rieß, Einl. H Rn 116 ff. U-Haft: BVerfGK 5, 109 = NStZ 2005, 456; BVerfG NJW 2006, 668; 2006, 1336; BVerfG NStZ 2006, 295; BVerfG EuGRZ 2006, 283; 2006, 626;; kritisch hierzu Schmidt, NStZ 2006, 313; Reststrafenbewhrung: BVerfG NJW 2001, 2707; Strafvollzug: BVerfGK 5, 155 = NJW 2005, 3488. BVerfG NJW 1993, 3254; 1995, 1277; 2003, 2225; 2003, 2228; BVerfGK 1, 269 = NJW 2003, 2897; BVerfGK 2, 239 = NJW 2004, 2398. BVerfGK 1, 269, 284 = NJW 2003, 2897, 2899. BGHR StPO § 244 Abs. 3 S. 2 Prozessverschleppung 14 = NJW 2005, 2466; BGH NStZ 2005, 341. LR/Rieß, Einl. B Rn 24.