"Homo Faber", ein moderner Ödipus? (Jessica Liese, 2012)
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"Homo Faber", ein moderner Ödipus? (Jessica Liese, 2012)
„Homo Faber“, ein moderner Ödipus? Eine vergleichende Untersuchung des Ödipuskomplexes in Max Frischs Roman „Homo Faber“ und Sophokles' Tragödie „König Ödipus“ Freiherr-vom-Stein Schule, Hessisch Lichtenau Fach: Deutsch Fachlehrer: Frau Hohmann Datum: 16. April 2012 Ort: Hessisch Lichtenau Jessica Liese Inhaltsverzeichnis Seite Fachwortverzeichnis 1. Vorwort 1 2 2. Sigmund Freud 2.1 Leben und Werk 3-5 2.2 Psychoanalyse des Ödipuskomplexes 6-7 3. „König Ödipus“ - Zusammenfassung 8-9 4. „Homo Fabe r“ - Zusamme nfassung 10 - 13 5. Darstellung und Vergleich der Ödipuskomplexe 14 - 19 6. Nachwort 20 7. Quellen 7.1 Literaturquellen 21 7.2 Internetquellen 22 7.3 Bildquellen 23 Fachwortverzeichnis I inzestuöse/Inzest „Geschlechtsverkehr zwischen Geschwistern oder Eltern und Kindern, Blutschande“1 N Neurologe „Nervenarzt“; Neurologie → „Wissenschaft vom Aufbau und der Funktion des Nervensystems“2 Neurophysiologie „Nervenphysiologie“3 (Physiologie: siehe physiologisch) neuropsychiatrisch „den Zusammenhang zwischen nervalen und... [seelischen] Vorgängen betreffend“4 P physiologisch Phsysiologie → „Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen des Organismus“5 Psychopathologie „Lehre von den... [seelischen] Abweichungen und Erkrankungen“6 Psychotherapeut Psychotherapie → „Wissenschaft von der Behandlung... [seelischer] und körperlicher Erkrankungen mithilfe systematischer Beeinflussung... [des Geistes]“7 1 2 3 4 5 6 7 http://services.langenscheidt.de/fremd wb/fremdwb.ht ml; Stand: 03.04.2012 http://services.langenscheidt.de/fremd wb/fremdwb.ht ml; Stand: 03.04.2012 http://services.langenscheidt.de/fremd wb/fremdwb.ht ml; Stand: 03.04.2012 http://www.gbe-bund.de/gloss ar/neuropsychiatrisch.html; Stand: 03.04.2012 http://services.langenscheidt.de/fremd wb/fremdwb.ht ml; Stand: 03.04.2012 http://services.langenscheidt.de/fremd wb/fremdwb.ht ml; Stand: 03.04.2012 http://services.langenscheidt.de/fremd wb/fremdwb.ht ml; Stand: 03.04.2012 1. Vorwort „Vater missbraucht sein eigenes Kind“ - Schlagzeilen wie diese liest man heutzutage oftmals in Zeitungen oder hört sie in den Nachrichten. Die meisten Menschen verstehen nicht, wie man so eine Tat begehen kann. Wie entsteht eine solche sexuelle Anziehung zwischen Eltern und ihren Kindern? Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick in die Psyche des Menschen wagen. Unter anderem beschäftigte sich Sigmund Freud mit diesem Bereich der Psychoanalyse. Er bezeichnete die sexuelle Anziehung zwischen Eltern und ihren Kindern als Ödipuskomplex8 . Der bekannte Mythos des König Ödipus ist demnach der Namensgeber der Krankheit, die zu einer sexuellen Anziehung zwischen Eltern und ihren Kindern führt. Daraus kann man schließen, dass Inzest schon vor langer Zeit ein Thema in der Literatur war. Inwiefern haben sich die Inzest-Fälle von früher bis heute verändert? Hat jeder Mensch die psychischen Voraussetzungen für eine solche Anziehung zu seinen Eltern? Sprichwörtlich wird gesagt, dass man sich selbst Partner sucht, die den Eltern ähneln. Stimmt dieses Sprichwort, da man sexuell anziehende Gefühle für seine Eltern hegt, obwohl man selbst gar nichts davon mitbekommt? All diesen Fragen möchte ich mit meiner Jahresarbeit auf den Grund gehen. Dabei werde ich die Psychoanalyse von Sigmund Freud mit einbeziehen, aber drastisch eingrenzen. Er war einer der bedeutendsten Psychoanalytiker seiner Zeit und hat im Laufe seines Lebens viele neue Aspekte über die Psyche herausgefunden9 – zu viel um alles in meiner Jahresarbeit zu erwähnen. Aus diesem Grund werde ich mich, in Anbetracht meines Themas, ausschließlich mit Sigmund Freuds Psychoanalyse des Ödipuskomplexes beschäftigen. Des Weiteren werde ich Max Frischs Roman „Homo Faber“ mit Sophokles' Tragödie „König Ödipus“ vergleichen, um die Veränderung des Themas Inzest innerhalb der Literaturgeschichte darzustellen. Alle mit einem * markierten Wörter sind alphabetisch geordnet im Fachwortverzeichnis genauer erläutert. 8 9 Berkel, Irene: Sig mund Freud (i.f.z.: Berkel, Sig mund Freud); Paderborn: Wilhelm Fink Verlag Gmb H und Co. Verlags KG; 2008; S. 41 Berkel, Sigmund Freud; S. 7 2. Sigmund Freud 2.1 Leben und Werk Der Psychoanalytiker Sigmund Freud wurde am 6. Mai 1856 in Freiberg in Mähren (Tschechien) geboren. Er war das erste Kind aus der dritten Ehe seines Vaters Jacob Freud (1815-1896), der ein jüdischer Textilkaufmann war. Zu ihm hatte Freud ein zwiespältiges Verhältnis. Später erkannte er, dass dieses schwierige Verhältnis das Ergebnis eines ungelösten Ödipuskomplexes war. Zu seiner Mutter Amalia (geb. Nathanson) (1835-1930), ebenfalls eine Jüdin, hatte Freud jedoch ein gutes Verhältnis. 10 Im Alter von 3 Jahren zog die Familie nach Wien, wo Freud zunächst von seinen Eltern unterrichtet wurde, bevor er eine Privatschule und schließlich das Leopoldstädter Gymnasium besuchte. Dort machte er mit 17 Jahren seinen Abschluss mit Auszeichnung. 11 Von 1873 bis 1881 studierte Freud an der Wiener Universität Medizin. Danach assistierte er am Wiener Physiologischen Institut und veröffentlichte seine ersten Forschungsarbeiten. 12 Zunächst wandte Freud sich der Neurophysiologie* zu, doch nach Abbildung 1: Sigmund Freud (1856-1939) einem Studienaufenthalt in Paris bei Jean-Martin Charcot, dem berühmtesten Neurologen* seiner Zeit, gewann er großes Interesse an der Psychopathologie*. Auch in Freuds Privatleben kam es in dieser Zeit zu Veränderungen. 1882 verlobte er sich mit der Kaufmannstochter Martha Bernays (1861-1951), die er vier Jahre später heiratete. Mit ihr führte er eine glückliche Ehe, die 6 Kinder hervorbrachte. 1886, in dem Jahr der Hochzeit, eröffnete Freud eine neuropsychiatrische* Privatpraxis, in der er vor allem als Psychotherapeut* arbeitete. 13 Um die seelischen Erkrankungen, die Freud in seiner Praxis beobachtete, physiologisch* zu erklären, entwickelte er ein Verfahren, das es erstmals ermöglichte, die Herkunft und den Mechanismus solcher Erkrankungen zu verstehen. 14 10 11 12 13 14 Ermann, Michae l: Freud und die Psychoanalyse – Entdeckungen, Entwicklungen (i.f.z.: Ermann, Freud und die Psychoanalyse), Perspektiven in Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychomatik; 1. Auflage; Verlag W. Kohlhammer; 2008; S. 11 Ermann, Freud und die Psychoanalyse; S. 12 http://www.dh m.de/lemo/ht ml/b iografien/FreudSig mund/; Stand: 02.04.2012 Ermann, Freud und die Psychoanalyse; S. 14 Berkel, Sigmund Freud; S. 7 Freud versperrte die Psychoanalyse nie vor anderen Wissenschaften. Er erlangte auch selbst neue Anregungen für seine eigene Arbeit, genauso wie den Wissenschaften durch die Psychoanalyse neue Denkräume eröffnet wurden. So ist die Psychoanalyse ein Teil heutiger Wissenschaften wie zum Beispiel der neueren Literaturwissenschaft, der Filmwissenschaft, den Gender-Studies, der Kulturgeschichte und der Religionswissenschaft. 15 Als selbstbewusster und von seinen Erkenntnissen überzeugter Mensch, traf Freud mit seiner Aussage, dass alle Äußerungen des Seelenlebens sexueller Herkunft seien, auf großen Widerstand. Dennoch hielt er unbeirrt an seinen Überzeugungen fest. Allerdings hatte Freud auch stets die gesellschaftlichen und kulturellen Ereignisse im Auge, statt sich nur auf seine Überzeugungen zu stützen. Durch den Ersten Weltkrieg beispielsweise wurde seine Ansicht über das Seelenleben der Menschen pessimistischer und er deutete seine Triebtheorie noch einmal neu. 16 Generell lebte Freud in einer Zeit der revolutionären Strömungen in allen Lebensbereichen. Die Industrialisierung beherrschte das Alltagsleben. Trotzdem nahm er selbst an diesen Strömungen nur wenig Teil. Er interessierte sich für die Antike und die Renaissance, hatte einen bürgerlichen Lebensstil und war politisch eher desinteressiert. 17 Am 23. September 1939 starb Sigmund Freud in London. 16 Jahre zuvor wurde bei ihm Mundhöhlenkrebs diagnostiziert. Deshalb unterzog er sich 33 Operationen, die letztendlich ihren Tribut gefordert haben. 18 „Eins seiner Bücher, die Traumdeutung von 1900 (1899), stand im Britischen Museum neben Texten von Darwin und Marx – als eins der drei Bücher, die die moderne Zeit entschieden beeinflußten.“19 Dieses Zitat über Freud zeigt wie bedeutend seine Werke sind. Als Erfinder und Begründer der Psychoanalyse als Wissenschaft vom Unbewussten veränderte Freud das Bild des Menschen und das Verständnis von Kultur enorm. 20 Freud war davon überzeugt, dass die Psychoanalyse dazu bestimmt ist, dem Menschen aus seinen 15 16 17 18 19 20 Berkel, Sigmund Freud; S. 8 Berkel, Sigmund Freud; S. 8 - 9 Ermann, Freud und die Psychoanalyse; S. 14 http://www.dh m.de/lemo/ht ml/b iografien/FreudSig mund/; Stand: 02.04.2012 Wilhe lm Salber; Sig mund und Anna Freud – Eine Doppelbiographie; 2. Auflage; Bouvier Verlag; 2006; S. 8 Berkel, Sigmund Freud, S. 7 Illusionen und abergläubischen Vorstellungen zu weisen. 21 21 Berkel, Sigmund Freud, S. 9 2. Sigmund Freud 2.2 Psychoanalyse des Ödipuskomplexes 1897 formulierte Sigmund Freud zum ersten Mal den Ödipuskomplex. Er erwähnte ihn in einem Brief an seinen früheren Freund Wilhelm Fließ. Bei seiner Selbstanalyse erkannte Freud seine Verliebtheit in seine Mutter und auf der anderen Seite seine Eifersucht gegenüber seinem Vater. Dieses Phänomen hielt er für allgemein gültig. 22 Auch in den Therapien der Patienten in seiner Praxis tauchten inzestuöse* Phantasien auf, welche ihn dazu veranlassten, dieses Phänomen näher zu untersuchen. 23 Wider der allgemeinen Annahme, dass kleine Kinder keine sexuellen Regungen und Phantasien empfinden, behauptete Freud, dass solche sexuellen Aktivitäten bereits bei Säuglingen auftauchen. 24 Sexualität ist laut Freud der Lustgewinn aus Körperzonen. Er unterteilte die kindlichen Entwicklungsschritte in 3 Phasen: Zunächst durchlebt das Kind die orale Phase (von lat. os: der Mund), bei der zum Beispiel das Saugen an der Brust der Mutter befriedigend wirkt. Die darauf folgende anale Phase (von lat. anus: der Darmausgang) ist von der Kontrolle der Ausscheidungsvorgänge bestimmt. Die dritte Phase ist die phallische Phase (von griech. Phallos: der Penis). In dieser Phase lernt das K ind sein eigenes und die Geschlechter der anderen kennen. 25 In der phallischen Phase glaubt jedes Kind, dass alle Menschen einen Penis haben. Erkennt der Junge, dass es auch Menschen ohne Penis gibt, muss er diesen Geschlechtsunterschied erst einmal anerkennen. Erwischt der Vater den Jungen bei der Masturbation, verbietet er es ihm. Bemerkt der Junge, dass seine Mutter keinen Penis hat, glaubt er, sie sei kastriert worden. Dieser Kastrationskomplex, wie Freud es betitelt, ist der ausschlaggebende Punkt bei der Überwindung des Ödipuskomplexes. Der Junge, der in seine Mutter verliebt ist und seinen Vater als Rivalen ansieht 26 , hat Angst vom Vater selbst kastriert zu werden.Deshalb verzichtet er lieber auf die inzestuöse Bindung zu seiner Mutter, statt auf seinen Penis. 27 Für ein Mädchen ergibt sich eine andere Situation. Wenn es erkennt, dass es selbst keinen Penis hat, entwickelt es den so genannten Penisneid. Diesen muss es überwinden 22 23 24 25 26 27 http://www.dh m.de/lemo/ht ml/b iografien/FreudSig mund/; Stand: 02.04.2012 Berkel, Sigmund Freud; S. 41 Berkel, Sigmund Freud; S. 30 http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/ht ml/die_entwicklung_des_sexualverh.ht ml; Stand: 02.04.2012 Berkel, Sigmund Freud, S. 33 Berkel, Sigmund Freud, S. 34 und anerkennen, dass es keinen Penis besitzt. Des Weiteren muss es sich mit der Mutter identifizieren und seine inzestuösen Wunsch auf den Vater richten. Dabei muss der Wunsch nach einem Penis von dem Wunsch nach einem Kind vom Vater ersetzt werden. 28 Demnach muss jedes Kind auf seine inzestuösen Wünsche verzichten und das Inzesttabu hinnehmen, um den Ödipuskomplex zu überwinden. 29 Alles in allem beschreibt der Ödipuskomplex laut Freud die sexuelle Anziehung des Kindes zu dem anders geschlechtlichen Elternteil und gleichzeitig die Eifersucht gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. Mit der Bezeichnung „Ödipuskomplex“ lehnt Freud sich an den Mythos des König Ödipus, der den berühmtesten Fall des Inzests verkörpert. 30 28 29 30 Berkel, Sigmund Freud, S. 35 Berkel, Sigmund Freud; S. 46 Berkel, Sigmund Freud; S. 41 3. „König Ödipus“ Zusammenfassung In Theben, dem Land, in dem König Ödipus herrscht, wütet die Pest. Die Bürger kommen zu Ödipus und bitten ihn um Hilfe. Ödipus hat bereits seinen Schwager Kreon zum Delphischen Orakel gesandt. Dieser überbringt dann die Botschaft, dass Theben erst von der Pest erlöst wird, wenn der Mord an Laios, dem Mann, der vor Ödipus in Theben herrschte, aufgeklärt wird. Noch bevor der Täter ermittelt wird, kündigt Ödipus an, dass der Schuldige das Land verlassen muss und von den Bürgern verstoßen werden soll. Da der Mord an Laios schon so lange her ist, ist es nahezu unmöglich einen Zeugen zu finden. Deshalb wird der göttliche Seher Theiresias gerufen. Dieser beschuldigt Ödipus der Mörder Laios zu sein. Ödipus ist empört und denkt, dass Kreon mit Theiresias abgemacht hat, dies zu sagen, damit Kreon selbst an die Macht in Theben kommt. Theiresias geht aber noch weiter. Er behauptet zu wissen, wer Ödipus Eltern seien und dass der Mörder des Laios Inzest betrieben habe. Kreon erfährt von den Anschuldigungen des Ödipus und kommt, um sich zu rechtfertigen. Ödipus jedoch ist davon überzeugt, dass Theiresias im Auftrag von Kreon handelt. Bevor Kreon und Ödipus handgreiflich werden können, kommt Ikoaste, Ödipus' Frau und Kreons Schwester, aus dem Palast und schickt Kreon fort. Ödipus erzählt ihr von Theiresias und seiner Vermutung bezüglich Kreon. Iokaste bezweifelt, dass Theiresias Abbildung 2: Ödipus und die Sphinx die Wahrheit sagte und erzählt stattdessen, dass Laios von einem Orakel angekündigt wurde, dass er von seinem eigenen Sohn umgebracht wird. Jedoch sei er von Räubern erschlagen worden. Ödipus erzählt von seinem eigenen Orakelspruch: Er würde seinen Vater töten und sich mit seiner Mutter vermählen und Kinder zeugen. Tatsächlich hatte er Angst seinen Vater umzubringen und verließ Korinth, wo er mit seinen vermeintlichen Eltern lebte. Dann traf er an einer Weggabelung auf eine Gruppe Männer und erschlug alle. Um zu beweisen, dass er dabei nicht Laios getötet hatte, wollte er den einzigen Tatzeugen sprechen. In der Hoffnung, dass dieser sagt, dass Laios von mehreren Männern umgebracht wurde. Plötzlich erscheint ein Bote aus Korinth, der berichtet, dass der König Polybos, gestorben sei und dass die Bürger nun Ödipus zum Herrscher machen wollen. Iokaste schließt daraus, dass der Orakelspruch falsch war, da Ödipus' Vater einen normalen Tod gestorben sei. Ödipus ist trotzdem noch beunruhigt. Der Bote erzählt, dass Polybos nicht Ödipus' Vater ist, sondern dass er vor langer Zeit von Laios' Leuten ausgesetzt werden sollte, aber dann in seine (des Boten) Hände gekommen sei, der ihn Polybos als Geschenk gab. Um diese Geschichte zu überprüfen lässt Ödipus den Hirten rufen, der ihn selbst vor langer Zeit aussetzen sollte. Iokaste bemerkt langsam die Zusammenhänge und Verstrickungen, in die sie und Ödipus geraten sind. Der Hirte bestätigt die Geschichte des Boten, wodurch sich der ganze Fall aufklärt: Ödipus hat seinen Vater Laios umgebracht, sich mit seiner Mutter Iokaste vermählt und mit dieser Kinder gezeugt. Ein Diener des Palastes berichtet, dass sich Iokaste im Palast erhängt hat. Ödipus selbst hat sich mit Spangen von Iokastes Gewandt in die Augen gestochen und sich somit geblendet. Mit blutigen Augen kommt Ödipus aus dem Palast und wünscht seinen Kindern ein besseres Leben. Außerdem lässt er sich von Kreon des Landes verweisen, so wie er es am Anfang dem (zu dem Zeitpunkt noch unbekannten) Mörder des Laios geschworen hatte. 31 31 Sophokles: König Ödipus (i.f.z.:Sophokles, König Ödipus); Stuttgart: Philipp Reclam jun. Gmb H & Co.; 1989; Universal-Bibliothek Nr. 630; S. 4-66 und Pelster, Theodor: Lektüreschlüssel: Sophokles, König Ödipus (i.f.z.:Pelster, Lektüreschlüs sel: König Ödipus ); Stuttgart: Philipp Reclam jun. Gmb H & Co.; 2005; Universal-Bibliothek Nr. 15356; S. 1016 4. „Homo Faber“ Zusammenfassung Walter Faber, ein Ingenieur aus der Schweiz, der schon seit längerer Zeit in New York wohnt, befindet sich auf einer Dienstreise nach Venezuela. Auf dem Flug dorthin lernt er den jungen Unternehmer Herbert Hencke kennen, der seinen Bruder in Guatemala besuchen will, weil er schon lange nichts mehr von ihm gehört hat. Faber bemerkt eine gewisse Ähnlichkeit Herberts zu Fabers deutschen Freund Joachim, den er seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hat. Aufgrund eines Motorschadens muss das Flugzeug in der Wüste Tamaulipas notlanden. Während diesem Aufenthalt in der Wüste, Abbildung 3: Sam Shepard als Walter Faber in Volker Schlöndorffs schreibt Faber einen Brief an Kinofilm "Homo faber" nach dem Roman von Max Frisch (D/F/GR 1991). seine Geliebte Ivy, in dem er sich von ihr trennt. Außerdem spielen Herbert und Faber viel Schach und freunden sich an. Faber erfährt, dass Herbert tatsächlich der Bruder von seinem Freund Joachim ist und dass Joachim mit Fabers Jugendliebe Hanna verheiratet war. Dann schwelgt Faber in Erinnerungen: Hanna war von ihm schwanger geworden, kurz bevor er nach Bagdad versetzt werden sollte. Er wollte das Kind nicht und Hanna tat so, als wäre sie mit einer Abtreibung einverstanden. Trotzdem fühlte sich Faber dazu verpflichtet, Hanna zu heiraten. Hanna war Halbjüdin und musste Deutschland in der Nazi- Zeit verlassen. Die Heirat mit Faber hätte Hanna eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz ermöglicht. Kurz vor dem Standesamt hatte Hanna die Hochzeit jedoch verweigert. Faber musste abreisen und sein Freund Joachim sollte Hanna bei der Abtreibung helfen, da er Medizinstudent war. Seit seiner Abreise hat Faber nie wieder etwas von den beiden gehört. Als das Flugzeug nach dem Aufenthalt in der Wüste in Mexiko-City ankommt, entscheidet sich Faber spontan Herbert auf seiner Reise nach Guatemala zu begleiten und Joachim zu besuchen. Auf Joachims Farm angekommen, finden sie ihn tot in seiner Hütte auf. Er hat sich erhängt. Herbert bleibt zurück und nimmt die Stelle Joachims ein, während Faber wieder zurück fährt und später endlich in Caracas, dem eigentlichen Ziel seiner Dienstreise, ankommt. Da dort die nötigen Vorbereitungen noch nicht getroffen sind, fliegt er zurück nach New York. Seine Geliebte Ivy hat den Brief, in dem er Schluss gemacht hat, ignoriert und holt ihn vom Flughafen ab. Eine Woche später ist für Faber schon die nächste Dienstreise geplant. Um früher von Ivy los zu kommen, bucht er eine Schiffsreise nach Paris, statt wie gewohnt mit dem Flugzeug zu fliegen. Auf dieser Schiffsreise lernt er Elisabeth Piper (Faber nennt sie Sabeth, da ihm Elisabeth nicht gefällt) kennen, die ihn an Hanna erinnert. Sie freunden sich an und Faber macht ihr sogar am Ende der Reise einen Heiratsantrag. In Paris angekommen, wird Faber von seinem Chef angeboten, ein paar Tage Urlaub zu nehmen. Das tut er auch und trifft wenig später Sabeth im Louvre wieder. Sie sehen sich oft und Sabeth erzählt Faber, dass sie per Anhalter nach Rom reisen will. Aufgrund der Gefahren möchte Faber dies nicht und begleitet sie schließlich nach Italien. Auf dem Weg nach Rom kommt es in Avignon zum Geschlechtsverkehr. Als Faber im weiteren Verlauf der Reise erfährt, dass Hanna Sabeths Mutter ist, verdrängt er den Gedanken, dass sie seine Tochter sein könnte. Nachdem sie einige Städte in Italien erkundet haben, reisen Faber und Sabeth nach Griechenland, wo Sabeth am Strand von einer Schlange gebissen wird. Als Faber ihr helfen will, weicht sie vor ihm zurück und stürzt eine Böschung runter. Er bringt Sabeth in ein Krankenhaus in Athen. Dort schläft er ein und als er wieder aufwacht, ist Hanna bei ihm im Zimmer. Sabeth ist noch rechtzeitig mit Serum behandelt worden und Hanna nimmt Faber bei sich auf. Hanna möchte wissen, was zwischen Faber und Sabeth war, verschweigt ihm zunächst jedoch, dass Sabeth seine Tochter ist. Als herauskommt, dass sie eben doch Vater und Tochter sind, beschließt Faber nach Athen zu ziehen und Hanna zu heiraten. Im Krankenhaus erfahren sie, dass Sabeth aufgrund eines nicht diagnostizierten Schädelbasisbruchs gestorben ist, den sie sich zugezogen hat, als sie die Böschung herunter gefallen ist. Nach Sabeths Tod ist Faber wieder nach New York gereist. Seine ehemalige Wohnung ist von Unbekannten bewohnt, also reist er wieder ab. Er besucht Herbert auf seiner Farm und als er seine Montage in Caracas überwachen will, wird er krank. Schließlich fliegt er wieder nach Athen und schreibt von Hannas Wunsch, ihr Kind allein aufzuziehen. Faber weiß, dass er Magenkrebs hat, an dem er kurz darauf auch stirbt. 32 32 Frisch, Max: Ho mo faber. Ein Bericht (i.f.z.: Frisch, Ho mo Faber); 1. Auflage; Frankfurt am Ma in: Suhrkamp Verlag; 1998; S. 7-220 und und Lachner, Juliane: Interpretationen Deuts ch: Max Frisch, Homo faber (i.f.z.: Lachner, Ho mo faber); Stark Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2011; S. 9-16 5. Ödipuskomplex Darstellung und Vergleich Auf der einen Seite „König Ödipus“, eine Tragödie aus der Antike und auf der anderen Seite „Homo Faber“, ein Roman, dessen Geschichte im 20. Jahrhundert spielt. Beide Lektüren haben einen ähnlichen inhaltlichen Aspekt – Inzest. Dennoch ist die Geschichte jeweils eine andere. Sogar der Inzest an sich ist verschieden. In „König Ödipus“ wird der junge Ödipus von seinen Eltern verstoßen. Er wird an einen Hirten übergeben, der ihn vernichten soll, doch statt diesen Auftrag zu erledigen, gibt er den Säugling an einen anderen Hirten, durch den Ödipus Abbildung 4: Personenkonstellation in "König Ödipus" letztendlich zu Polybos, dem Herrscher von Korinth gelangt. Später erfährt Ödipus von einem Orakel, dass er seinen Vater erschlagen und seine Mutter heiraten wird. Um diesem Schicksal zu entgehen, verlässt er Korinth und geht nach Theben. Auf dem Weg dorthin erschlägt er einen Mann, von dem Ödipus selbst noch nicht weiß, dass er sein leiblicher Vater war. In Theben angekommen wird er zum Herrscher, da er die Stadt vor einem Unheil rettete. Ödipus bekommt Iokaste zur Frau. Seine eigene Mutter, mit der er vier Kinder zeugte, ohne zu wissen, dass sie seine Mutter ist. In „Homo Faber“ entwickelt sich der Inzest anders. Hanna, die Jugendliebe Walter Fabers ist schwanger. Faber tritt jedoch bald eine neue Stelle in Bagdad an und möchte das Kind deshalb (und wegen der politischen Situation) nicht haben. Sie einigen sich, wie Faber selbst 20 Jahre später noch denkt, auf eine Abtreibung. Faber geht nach Bagdad und hört seitdem nichts mehr von Hanna. Jahre später reist mit dem Schiff nach Paris, um dort zu arbeiten. Auf dem Schiff lernt er Elisabeth kennen - seine Tochter, von der er nichts weiß. Sie verlieben sich und statt in Paris zu arbeiten, nimmt Faber sich Urlaub und reist mit Elisabeth, die er Sabeth nennt, weil er den Namen Elisabeth nicht mag, über Italien nach Griechenland. Faber erkennt zwar die Ähnlichkeit zwischen Sabeth und Hanna, er weiß sogar, dass Sabeths Mutter Hanna heißt, jedoch möchte er nicht die Gewissheit haben, dass Sabeth seine Tochter ist. In Griechenland wird Sabeth von einer Schlange gebissen und fällt eine Böschung hinunter, als Faber ihr helfen will. Im Krankenhaus in Athen trifft Faber auf Hanna. Seine Vermutung hat sich bestätigt. Sabeth ist tatsächlich seine Tochter. Kurzerhand beschließt er Hanna zu heiraten und eine Abbildung 5: Personenkonstellation in "Homo Faber" richtige Familie zu werden, doch Sabeth stirbt und Faber wenige Wochen später ebenfalls. Der größte Unterschied zwischen den beiden Geschichten ist also die Form des Inzests. Während bei „König Ödipus“ ein Mutter-Sohn-Inzest vorliegt, ist es bei „Homo Faber“ ein Vater-Tochter-Inzest, demnach das genaue Gegenteil. Außerdem hat Faber keinen Rivalen, den er versucht zu töten. Zwar ist er eifersüchtig auf den Pingpong-Spieler und den Baptisten auf dem Schiff (S. 83 Z. 18ff. „Dabei hat er gar nichts zu sagen, der Baptist, es geht ihm […] bloß darum, das Mädchen anfassen zu können, […] dazu sein Lächeln über mich.“), aber er sieht sie nicht als Rivalen an. Ödipus weiß nicht, dass Laios sein Rivale ist (also der Mann seiner Geliebten) als er ihn erschlägt. Deshalb kann man bei seiner Tat auch nicht von Hass gegenüber dem Rivalen sprechen, wie es Freud formulierte (siehe 2.2 Sigmund Freud – Psychoanalyse des Ödipuskomplexes). Trotz des offensichtlich unterschiedlichen Inzests lassen sich allein von der Geschichte her einige Parallelen erkennen. In „Homo Faber“ wird die Tragödie des Ödipus sogar kurz erwähnt. Hanna ist begeistert von Mythen und redet auch von ihnen „Oedipus und die Sphinx, auf einer kaputten Vase dargestellt in kindlicher Weise“ (S. 154 Z. 3f.) ist für Hanna zum Beispiel eine Tatsache. Es wird zwar nicht weiter auf den Mythos eingegangen, jedoch lässt sich aus diesem kurzen Hinweis erkennen, dass Faber der Inzest beschäftigt und dass der Inzest ein Leben kaputt macht („[...] auf einer kaputten Vase [...]“) . Immerhin ist die Lektüre „Homo Faber“ als Bericht geschrieben, in dem Walter Faber von seinem Leben erzählt. Des Weiteren ist der Ort, an dem herauskommt, dass Inzest begangen wurde, in beiden Lektüren Griechenland. Faber und Hanna schlafen zwar in Avignon miteinander (S. 135 Z. 23ff. „Jedenfalls war es das Mädchen, das in jener Nacht, Abbildung 6: Ödipus und die nachdem wir bis zum Schlottern draußen gestanden hatten, in Sphinx auf einer Vase mein Zimmer kam - “), aber dass Sabeth wirklich seine Tochter ist, erfährt er erst in Griechenland von Hanna. Eine weitere Gemeinsamkeit der Lektüren ist die Vorgeschichte der beiden Hauptcharaktere. Faber denkt, Hanna hätte das Kind abgetrieben. Demnach kann er gar nicht wissen, dass er eine Tochter hat, als er auf dem Schiff Sabeth kennen lernt. Ödipus wurde nie gesagt, dass Polybos und Periboia nicht seine leiblichen Eltern sind. Deshalb verließ er Korinth mit Recht; aus Angst, dass sich der Orakelspruch (V. 791ff. „[...] daß ich der Mutter mich vermischen müßte, […] und Mörder dessen sein, der mich gepflanzt, des Vaters.“) bewahrheitet. Seine Eltern verneinten sogar seine Frage, ob er nicht ihr richtiges Kind sei, nachdem ein Betrunkener Ödipus dies gesagt hatte (V. 779ff.). Demnach kann er ebenfalls nicht wissen, dass Iokaste seine Mutter ist. Zum Ende hin lässt sich noch eine offensichtliche Parallele erkennen. Nachdem Ödipus erkennt, dass er Inzest begangen und seinen Vater getötet hat, sticht er sich die Augen aus. Faber denkt im Zug nach Zürich ebenfalls darüber nach sich die Augen mit zwei Gabeln auszustechen (S. 209 Z. 6ff.). Das zeigt, dass Faber sich seine Schuld nun eingesteht, wie Ödipus es ebenfalls getan hat 33 . Beide bestrafen sich (bzw. Faber will sich bestrafen, tut es aber nicht) dafür, dass sie ihr Leben lang so blind gewesen sind und nicht erkannt haben, dass sie sich in ihre Mutter/Tochter verliebt haben. Sowohl Ödipus, als auch Faber tun vor dem Inzest etwas Gutes für die Menschen. Ödipus rettete die Stadt Theben, indem er das Rätsel der Sphinx gelöst hat 34 und Faber hilft unterentwickelten Völkern mit Technik (S. 10 Z. 34). Im weiteren Verlauf ihrer 33 34 Lachner, Ho mo faber; S. 73 Lachner, Ho mo faber; S. 73 Geschichte jedoch sind beide für einen Tod verantwortlich. Ödipus jedoch nur indirekt. Iokaste erhängt sich selbst, als sie erkennt, dass Ödipus ihr eigener Sohn ist (V. 1264). Sabeth hingegen stirbt an der Verletzung durch den Sturz. Sie stürzte jedoch nur die Böschung runter, weil sie vor Faber zurückschreckte, als er ihr zu Hilfe kommen wollte. (S. 174 Z. 5f.). Deshalb trifft Faber mehr Schuld als Ödipus, wenn man den Tod der Geliebten der beiden Männer betrachtet. Im Gegensatz zu Ödipus hätte Faber die Wahrheit über seine Geliebte viel früher erkennen können. Ödipus wusste nur, dass er einen Mann erschlagen hatte, aber da seine vermeintlichen Eltern in Korinth ihm nicht gesagt hatten, dass sie nicht seine leiblichen Eltern sind, konnte er ja nicht ahnen, dass es sein Vater war, den er erschlagen hatte. Faber hingegen erfuhr in Italien, dass Abbildung 7: Walter Faber (Sam Shepard) und Elisabeth Piper (Julie Delpy). Szene aus dem Film "Homo faber" von Volker Schlöndorff. Sabeth Hannas Tochter ist (S. 128 Z. 26). Hätte er noch weitere Fragen gestellt, beispielsweise über Joachim, hätte er bestimmt herausgefunden oder zumindest vermuten können, dass Sabeth seine Tochter ist. Aber Faber wollte es auch einfach nicht wahr haben. Er hat sich die Rechnung bezüglich Hannas Schwangerschaft und Sabeths Alter so zurecht gelegt, dass sie so aufgeht als könnte er gar nicht der Vater sein (S. 132 Z. 2ff.). Die innere Größe der Hauptcharaktere weist ebenfalls Unterschiede auf. Ödipus bekennt sich sofort seiner Schuld und sticht sich die Augen aus. Er verlangt sogar von Kreon, dass er ihm des Landes verweist, so wie Ödipus es selbst dem Möder des Laios geschworen hatte (V. 1436ff.). Faber hingegen versucht sein Leben irgendwie weiter zu leben und erkennt in Cuba sogar die Schönheit des Lebens (S. 187ff.). Des Weiteren ist „Homo Faber“ (wie oben schon einmal angesprochen) ein Bericht aus der Sicht von Faber. Mit diesem Bericht versucht er sich für den Inzest und letztendlich auch für den Tod Sabeths zu rechtfertigen (S. 134 Z. 1ff „Was ist denn meine Schuld? Ich habe sie auf dem Schiff getroffen […], ein Mädchen mit baumelnden Roßschwanz vor mir.“). Das merkt man vor allem daran, dass er oft schreibt, dass er es nicht hätte ahnen können, dass Sabeth seine Tochter ist und hätte er es früher gewusst, wäre alles ganz anders geworden (S. 78 Z. 13ff. „[...] Wieso Fügung! Es hätte auch ganz anders kommen können“) Demnach ist Faber im Gegensatz zu Ödipus nicht in der Lage sich seine Schuld einzugestehen. Ödipus' Blendung und Fabers kurzzeitiger Gedanke sich zu blenden haben etwas unterschiedliche Funktionen und Gründe. Ödipus blendet sich als Strafe dafür, dass er Inzest begangen hat. Außerdem schämt er sich vor seinen Kindern und möchte ihnen nicht mehr in die Augen sehen. Faber hingegen denkt nicht nur wegen dem Inzest an sich an die Blendung, sondern auch, weil er sich selbst nicht mehr sieht und erkennt. 35 Bevor er Sabeth kennen gelernt hat, war er ein verlässlicher Arbeiter, danach hat er sich Urlaub genommen und das Leben genossen wie es war. Anders als Ödipus sehnt Faber sich nach Sabeths Tod immer noch nach ihr (S. 209 Z. 1ff „Ich habe nichts mehr zu sehen. Ihre zwei Hände, die es nirgends mehr gibt, ihre Bewegung, wenn sie das Haar in den Nacken wirft oder sich kämmt, ihre Zähne, ihre Lippen, ihre Augen, die es nirgends mehr gibt, ihre Stirn: wo soll ich sie suchen?“). Das weist darauf hin, dass Faber sich mit dem Gedanken nicht abfinden kann, dass Sabeth seine Tochter ist. Zwar möchte er Hanna heiraten, um eine richtige Familie zu werden, aber die Gefühle zu Sabeth als seine Geliebte kann er dennoch nicht ganz unterdrücken. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „König Ödipus“ und „Homo Faber“ sich in manchen Aspekten des Inzests sehr ähnlich sind. Jedoch sind grundlegende Unterschiede vorhanden, die deutlich machen, dass in „Homo Faber“ Gefühle und das Leben der Menschen mehr im Mittelpunkt stehen, als bei „König Ödipus“. Iokaste und Ödipus sehen keinen Sinn mehr in ihrem Leben, aber Faber und Hanna versuchen so gut es geht weiter zu leben, auch wenn Faber am Ende stirbt. 35 http://www.kerber-net.de/literatur/deutsch/prosa/frisch/homo_faber/mythos_did.pdf; Stand: 07.04.2012 6. Nachwort Bezogen auf meine Ausgangsfrage, ob „Homo Faber“ ein moderner Ödipus ist, lässt sich ein nicht ganz eindeutiges Fazit ziehen. In beiden Lektüren geht es um den Ödipuskomplex, den Sigmund Freud so erklärte, dass sich das Kind dem anders geschlechtlichen Elternteil hingezogen fühlt und das gleichgeschlechtliche Elternteil als Rivalen ansieht. Jedoch waren in beiden Lektüren nie beide Elternteile anwesend. Nur kurz in „Homo Faber“ am Ende im Krankenhaus. Sabeth empfand aber in keiner Sekunde Hass gegenüber ihrer Mutter. Sie fand es sogar amüsant, als Faber ihr erzählte, dass er ihre Mutter kennt. Demnach kann man in den Lektüren zwar von Inzest, aber nicht vom Ödipuskomplex an sich reden. Bezogen auf die Geschichte ist „Homo Faber“ meiner Meinung nach auch kein moderner Ödipus. Sophokles wollte mit der Lektüre „König Ödipus“ wohl den Inzest an sich und die Tragik des Ödipus darstellen. Max Frisch hatte meiner Meinung nach nicht die Absicht mit „Homo Faber“ den Inzest zwischen Sabeth und Faber darzustellen. Für ihn war der Inzest wohl nur der Höhepunkt der Blindheit Fabers gegenüber der Welt und dem Leben. Schließlich sah Faber alles nur technisch und selbst andere Menschen fand er anstrengend (S. 8 Z.16f.). Frisch wollte meiner Meinung nach nur die Tragik des Ödipus auf Fabers leben übertragen. Durch meine Jahresarbeit habe ich erfahren, dass sich die Inzest-Fälle innerhalb der Zeit nicht viel verändert haben. In „Homo Faber“ wird der Inzest zwar eher auf die Gesellschaft und Gefühle bezogen und in „König Ödipus“ ist alles eine Frage der Ehre, aber ansonsten ist alles recht ähnlich. Durch Sigmund Freud ist mir nun klar geworden, dass jeder Mensch auch sexuelle Gefühle für seine Eltern hegt, selbst wenn es einem selbst nicht auffällt. Immerhin geschieht dies in einer sehr frühen Lebensphase, an die man sich später sowieso nicht mehr erinnern kann. Aufgrund der unterschiedlichen Auslegungen des Inzests – in „König Ödipus als Haupthandlung und in „Homo Faber“ als Höhepunkt der Handlung – komme ich zu dem Schluss, dass „Homo Faber“ kein moderner Ödipus, sondern nur eine Geschichte mit dem inhaltlichen Aspekt aus „König Ödipus“ ist. 7. Quellen 7.1 Literaturquellen Primärliteratur Frisch, Max: Homo faber. Ein Bericht; 1. Auflage; Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag; 1998 Sophokles: König Ödipus; Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co.; 1989; Universal-Bibliothek Nr. 630 Berkel, Irene: Sigmund Freud; Paderborn: Wilhelm Fink Verlag GmbH und Co. Verlags KG; 2008 Sekundärliteratur Lachner, Juliane: Interpretationen Deutsch: Max Frisch, Homo faber; Stark Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2011 Pelster, Theodor: Lektüreschlüssel: Sophokles, König Ödipus; Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co.; 2005; Universal-Bibliothek Nr. 15356 Auszüge aus: Ermann, Michael: Freud und die Psychoanalyse – Entdeckungen, Entwicklungen, Perspektiven in Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychomatik; 1. Auflage; Verlag W. Kohlhammer; 2008 7. Quellen 7.2 Internetquellen http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/FreudSigmund/, Stand: 02.04.2012 http://www2.huberlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/die_entwicklung_des_sexualverh.html; Stand: 02.04.2012 http://www.kerber-net.de/literatur/deutsch/prosa/frisch/homo_faber/mythos_did.pdf; Stand: 07.04.2012 7. Quellen 7.3 Bildquellen Abbildung 1: Sigmund Freud (1856-1939) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/12/Sigmund_Freud_LIFE.jpg /290px-Sigmund_Freud_LIFE.jpg, Stand: 07.04.2012 Abbildung 2: Ödipus und die Sphinx (→ Titelbild) http://thepoliticizer.com/wp-content/uploads/2010/09/4-Oedipus-Sphinx.jpg, Stand: 01.04.2012 Abbildung 3: Sam Shepard als Walter Faber in Volker Schlöndorffs Kinofilm "Homo faber" nach dem Roman von Max Frisch (D/F/GR 1991) (→ Titelbid) http://85.214.56.41/movieman/Images/Film/00019615_HomoFaber_002-1.jpg, Stand: 01.04.2012 Abbildung 4: Personenkonstellation in „König Ödipus“ Selbst erstellt auf Vorlage der Primärliteratur Abbildung 5: Personenkonstellation in „Homo Fabe r“ Selbst erstellt auf Vorlage der Primärliteratur Abbildung 6: Ödipus und die Sphinx auf einer Vase http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/6/6c/Oedipus_sphinx_Louvre_ G417_full.jpg/220px-Oedipus_sphinx_Louvre_G417_full.jpg, Stand: 09.04.2012 Abbildung 7: Walter Faber (Sam Shepard) und Elisabeth Piper (Julie Delpy). Szene aus de m Film "Homo faber" von Volker Schlöndorff. http://woman.brigitte.de/asset/Image/briwoman/2-kultur/2-2-film- musik/juliedelpy/fotostrecke/julie_delpy_15.jpg, Stand: 07.04.2012