KSL Salzburg - Methoden des Schriftspracherwerbs
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KSL Salzburg - Methoden des Schriftspracherwerbs
Methoden des Schriftspracherwerbs „Ich will Lesen und Schreiben lernen, weil… Wenn die Mama und der Papa miteinander etwas Geheimes reden wollen, dann schreiben sie es auf… Dann bleibt es ein Geheimnis, weil ich noch nicht lesen kann… Und wenn ich lesen und schreiben kann, dann kann ich auch mitreden!“ Pauli, Schüler der 1. Schulstufe im September Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Startinformationen I Dipl.Päd. Mag. Elisabeth Punz Volks- und Sonderschullehrerin, Deutschdidaktikerin - 25 Jahre Unterrichtstätigkeit an Volksschulen PH NÖ (seit 2000): - Deutschdidaktik in Volks- und Sonderschullehrerausbildung - Schwerpunkte: Lesen und Leseforschung Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Startinformationen II „Die rechte weis auffs kürtzist lesen zu lernen“ Valentin Ickelsamer 1523 Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Startinformationen III Die Frage nach der Leselehrmethode und der Verwendung eines Fibellehrganges im Anfangsunterricht ist aus empirischer Sicht zweitrangig. Bond&Dykstra 1963, May 2001 Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Startinformationen IV Schwerpunkte Frage 1: Wie lesen wir? LESEPROZESS Frage 2: Wie lernen Kinder lesen und schreiben? LESEENTWICKLUNG Frage 3: Wie lehren wir Kindern das Lesen und Schreiben am besten? ERSTLESE- UND SCHREIBMETHODEN Frage 4: Wie helfen wir Kindern mit Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Schreibens? FRÜHERKENNUNG FÖRDERMÖGLICHKEITEN Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Lesen aus der Sicht unterschiedlicher Forschungsrichtungen NEUROPSYCHOLOGIE alle Teile der neuronalen Informationsverarbeitung LESEN= komplexe Tätigkeit, An der verschiedene Teilprozesse beteiligt sind Reizaufnahme Reizbearbeitung emotionale Bewertung willentliche Aktion KOGNITIONSWISSENSCHAFT mehrere getrennte, hierarchisch organisierte Teilprozesse SPRACHPSYCHOLOGIE sprachrezeptive Akte Wahrnehmen Verabeiten Verstehen 22 Der Leseprozess = komplexer Vorgang der Bedeutungsentnahme Ablauf der Teilprozesse auf verschiedenen Ebenen Integration von Sätzen zu satzübergreifenden Bedeutungseinheiten Aufbau einer Struktur der Bedeutung des gesamten Textes ZUSAMMEN- Text -ebene ZUSAMMEN- Satzebene Herstellen semantischer und syntaktischer Relationen zwischen Wortfolgen SPIEL Wortebene Buchstaben- und Worterkennung SPIEL Erfassen der Wortbedeutung © Mag. E. Punz, PH NÖ Faktoren der Lesekompetenz Vorwissen Textverständnisspezifische Fähigkeiten Defizite in niedrigeren Prozessen können durch höhere Prozesse nur teilweise kompensiert werden! Text -ebene Defizite in niedrigeren Prozessen können durch höhere Prozesse NICHT „repariert“ werden! Satzebene Arbeitsgedächtnisprozesse Wortebene Worterkennungsprozesse SCHLÜSSELSTELLUNG IM GESAMTEN LESEPROZESS © Mag. E. Punz, PH NÖ Wie lesen wir? Wie greifen wir auf Wörter zu? ? Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ MODELL DES ZWEIFACHEN ZUGANGSWEGES (COLTHEART) visueller Reiz = gedrucktes Wort automatische Worterkennung Zugriff auf das „mentale Lexikon“ = VISUELLER ABRUF Buchstaben-Lautübersetzung + Synthese Zusammenlauten / Erlesen = PHONOLOGISCHE REKODIERUNG Bedeutungszuordnung lexikalisches Lesen nichtlexikalisches Lesen direkter Zugang indirekter Zugang Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Analogiemodell (PATTERSON UND COLTHEART) DRC-Modell (JACKSON/COLTHEART 2001) Modell des zweifachen Zugangsweges + Orthographisches zweiter Rekodierungsprozess: Lexikon konsistent ausgesprochene Buchstabenfolge und Silben spr – str – pf – iel – eck Ba-na-ne, To-ma-te Phonologisches Lexikon Semantisches Lexikon Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Wie lernen Kinder das Lesen und Schreiben? ? Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Vier Thesen Mechthild Dehn (2007) THESE 1 Lesenlernen ist mehr als die Kenntnis der Buchstaben und die Aneignung der Synthese THESE 2 Schreibenlernen ist mehr als die Aneignung der Buchstabenform im Bewegungsvollzug Zentrale Tätigkeit des Kindes = Problemlösen Tätigkeit des Kindes = sprachanalytisch THESE 3 THESE 4 Lernen ist weniger eine Folge von Lehrvorgängen Lernen = Aktivität des Lernenden. Fehler der Lese- und Schreibanfänger sollten nicht in erster Linie als Abweichung von der Norm betrachtet werden. Fehler = lernspezifische Notwendigkeit Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Stufenmodelle des Schriftspracherwerbs Populärste Stufenkonzeptionen: Frith, Seymour, Ehri (1985-1992) 3 grobe Entwicklungsphasen Anwendung unterschiedlicher Strategien Kritik: Dynamik der Entwicklungsprozesse zu wenig berücksichtigt Neuere entwicklungsorientierte Modelle Interaktives Analogiemodell des Lesens: Goswami (1993) unterstreicht Bedeutung der Phonologischen Bewusstheit 4-Phasenmodell von Mannhaupt: Mannhaupt(2001) Phase I und II: Erstlese- und Schreibunterricht Ziele: Basale Lesefertigkeit – lauttreue Schreibweise Stufenmodell des Strategieerwerbs: Valtin (2000) orientiert sich an den Lese- und Schreibstrategien des Kindes Beobachtungshilfe für die frühe Förderdiagnostik Kompetenzmodell: Klicpera et.al. 2007 Besonders große Bedeutung: Zeitpunkt der Einschulung und Erstleseinstruktion 10 Mag. Elisabeth Punz, PH NÖ Modell von Frith (1985) Logographische Phase Erkennen von Wörtern aufgrund hervorstechender, allgemeiner, visueller Merkmale Alphabetische Phase Beginnende Einsicht in den Buchstaben-Lautbezug Benennen der Buchstaben mit Lautelementen Buchstabenweises, vollständiges Erlesen von Wörtern Orthographische Phase Erkennen und Nutzen orthographischer und sprachstruktureller Elemente Automatisieren von Teilprozessen © Mag. E. Punz, PH NÖ Kompetenzentwicklungsmodell des Lesens Klicpera et.al. Präalphabetische Phase Entwicklung von Vorläuferkompetenzen Einschulung / Beginn der Erstleseinstruktion Alphabetische Phase geringe Integration der Teilprozesse Phonologische Rekodierung / indirekter nicht lexikalischer Zugang Förderung: lautorientierter Unterricht Aufbau des mentalen Lexikons / direkter, lexikalischer Zugang automatisierte Integration der Teilprozesse Bündelung der Teilprozesse, Interaktion der Lesestrategien © Mag. E. Punz, PH NÖ Wie lehren wir Kindern das Lesen und Schreiben? ? Erstleseunterricht Lesetechnik: Aneignung und Automatisierung Leseflüssigkeit, Lesesicherheit beim leisen und lauten Lesen Ziele Leseverständnis auf der Satzebene Förderung der Lesemotivation © Mag. E. Punz, PH NÖ Schwerpunkte des Erstleseunterrichts 1. Basale Lesefertigkeit = das fehlerfreie, relativ schnelle und mühelose Lesen eines Textes (Mayringer&Wimmer 2. Sinnerfassung von Anfang an (Dehn, Wedel-Wolff u.a.) 3. Förderung der Lesemotivation 10 Methodische Orientierung im Erstlese- und Schreibunterricht I SYNTHETISCHE versus GANZHEITLICHE Methode: Welche ist die bessere? Synthetische Methode Analytische Methode= Ganzheitsmethode Einzelbuchstabe (Brückel, Kern) Hauptmethode 50er-70er Jahre 20. Jh.) Buchstaben- und Silbensynthese Speichern ganzer Wörter ganze Wörter Entdecken der Buchstaben-Lautbeziehung Sätze Zu Beginn im Mittelpunkt: Buchstaben-Laut-Zuordnung Lautschulung Erste bekannte Methodik: 15. Jh. Buchstabenkenntnis Erlesen neuer Wörter Zu Beginn im Mittelpunkt: sinnerfassendes Lesen mehr als 200 Jahre alt © Mag. E. Punz, PH NÖ Beispiele Ganzheitsmethode Methodische Orientierung im Erstlese- und Schreibunterricht II LEHRGANGSORIENTIERTE versus LERNWEGSORIENTIERTE Konzepte „LERNWEGSORIENTIERT“ 1 Spracherfahrungsansatz Aufgabe der Lehrer/innen ≠Steuerung des Lernprozesses Aufgabe der Lehrer/innen = Anbieten von Schreibmöglichkeiten Wecken der Neugierde „LERNWEGSORIENTIERT“ 2 Reichen-Methode= Lesen durch Schreiben freies Schreiben von Anfang an Verwendung der Anlauttabelle individuelles Lerntempo Im Mittelpunkt: Im Mittelpunkt: individueller Lernprozess eigenaktives Lernen des Kindes Freude am Schreiben Kreativität Selbstständigkeit entstand um 1940 in Amerika deutscher Sprachraum: um 1980 (Brügelmann) wurde in den 90er Jahren des 20. Jh. vor allem in Deutschland populär (Jürgen Reichen) © Mag. E. Punz, PH NÖ Methodische Orientierung im Erstlese- und Schreibunterricht III LEHRGANGSORIENTIERTE versus LERNWEGSORIENTIERTE Konzepte Ganzheitlicher Ansatz nach Freinet Eigenfibel Schuldruckerei Freiarbeit Lesen und Schreiben aufeinander bezogen „LERNWEGSORIENTIERT“ 2 Reichen-Methode= Lesen durch Schreiben freies Schreiben von Anfang an Verwendung der Anlauttabelle individuelles Lerntempo Im Mittelpunkt: ? Freude am Schreiben Kreativität Selbstständigkeit wurde in den 90er Jahren des 20. Jh. vor allem in Deutschland populär (Jürgen Reichen) © Mag. E. Punz, PH NÖ Empirisch erhobene Einflussfaktoren auf den Lernerfolg in Lesen und Schreiben Quelle: Hamburger Studie PLUS Peter May Haupteinflussfaktoren Lernvoraussetzungen Lernverhalten Lernerpersönlich keit Frühzeitige Förderung Unterrichtsqualität Lehrerpersönlichkeit Lernweitere bedingungen Faktoren Außerschulische Hilfen Schulatmosphäre Ergebnisse der Studie PLUS (May 2001) 10 Vergleichsstudien (Foorman, Carr&Evans) SCHWERPUNKT Vermittlung Graphem-PhonemKorrespondenzen ERWERB DER BASALEN FERTIGKEITEN strukturiert unter Lehreranleitung Besserer Lernfortschritt in Lesen und Rechtschreiben Kinder mit ungünstigen Lernvoraussetzungen profitieren mehr SCHREIBEN enger Zusammenhang © Mag. E. Punz, PH NÖ Kriterien für einen effektiven Lese- und Schreibunterricht I • Ausmaß an dafür verwendeter Unterrichtszeit • Lernen der von den Buchstaben repräsentierten Phoneme • systematisches Training der akustischen Differenzierung von Phonemen sowie der Phonemanalyse und -synthese • Auswahl der Wörter für einen Sichtwortschatz • lautes Lesen • leises Lesen • Verbindung von Lesen und Schreiben (Klicpera) © Mag. E. Punz, PH NÖ Kriterien für einen effektiven Lese- und Schreibunterricht II • • • • Schaffung einer günstigen Lernorganisation Systematik des schriftsprachlichen Unterrichts Maßnahmen zur Schreib- und Lesemotivation Lesen und Schreiben in allen Schulfächern (May) © Mag. E. Punz, PH NÖ Prävention von LRS Schwerpunkte im Erstleseunterricht Förderung der Phonologischen Bewusstheit Lauschaufgaben und Lauschspiele, Reimaufgaben, Silben- und Wortspiele, Lautschulung, Phonem- Graphem- Zuordnung Lautgebärden als kompensatorische Hilfe Verbindung vieler verbosensomotorischer Teilfunktionen zur Einführung der Laute und Buchstaben Laute – Silben – Wörter / Synthesetraining Heranführen an die alphabetische Strategie (Lautanalyse, Durchgliederung in Sprechsilben, Silbenlesen Stufenweises Einführen der Buchstaben Vokale, Dauerkonsonanten (m,r,s,n,f,l,w,z), Plosivlaute (p,t,k,b,g,d), Zwielaute Lautgetreues Wortmaterial kurze Wörter mit Vokal-Konsonantenabfolge, lange Vokale leichter als kurze © Mag. E. Punz, PH NÖ Bedeutung der Qualität des Erstlese- und Schreibunterrichts „Bei den meisten lese- und rechtschreibschwachen Kindern müsste es möglich sein, durch Anpassung des Klassenunterrichts und eine zusätzliche individuelle Förderung den für das Kind optimalen Fortschritt im Rahmen der normalen Grundschule zu erzielen“ und „eine Verbesserung des Lese- und Schreibunterrichts“ könnte „wenigstens bei einem Teil der Kinder das Entstehen von ernsteren Leseschwierigkeiten (präventiv) verhindern“ (Klicpera 2000 und 2007).